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Linksliberale Enterhaken - PRuF

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Aufsätze Axel Schwarz – Die Parteien, das Gemeinwohl und der oberste Wert MIP 2013 19. Jhrg.<br />

der Allgemeinheit, Gemeinnutz, Staatsinteresse<br />

und öffentliches Interesse. Seine Verwirklichung<br />

gilt als die höchste Aufgabe staatsbezogenen<br />

Handelns. Entsprechend ist im Sinne der Brockhaus-Enzyklopädie<br />

„der Grad der Umsetzung<br />

von Gemeinwohlvorstellungen der entscheidende<br />

Maßstab der Legitimation von Politik“. Ob<br />

Parteien nun tatsächlich das Gemeinwohlinteresse<br />

verfolgen oder nicht, ist hier nicht die Frage.<br />

Jede Diktatur und jedes totalitäre System gibt<br />

vor, ausschließlich das Gemeinwohl zu verfolgen.<br />

Für die Parteien eines demokratischen Systems<br />

ergibt sich aus dem Gemeinwohlgedanken<br />

jedenfalls ein Begründungszwang, dem sie in<br />

den Grundsatzprogrammen Rechnung tragen, indem<br />

auch sie das Gemeinwohl als obersten Wert<br />

ihres Handelns postulieren. Das Gemeinwohl<br />

wird dabei als etwas verstanden, das mit der<br />

Marktfreiheit zu tun hat, aber durchaus von dieser<br />

verschieden ist. Gleichzeitig existiert im Bewusstsein<br />

der Öffentlichkeit ein klares Rangverhältnis<br />

zwischen Marktfreiheit und Gemeinwohl:<br />

Gemeinnutz geht vor Eigennutz. Lediglich eine<br />

radikal-liberale Position, die aber nicht einmal<br />

von Adam Smith vertreten wird, behauptet, dass<br />

es einem Gemeinwesen umso besser gehe, je<br />

egoistischer sich seine Mitglieder verhalten. Im<br />

Prinzip kann eine Demokratie auch solche und<br />

andere Extrempositionen verkraften, weil die<br />

vorhandenen Entscheidungsstrukturen für einen<br />

vernünftigen Ausgleich sorgen. Hier sind insbesondere<br />

die unabhängige Justiz und allen voran<br />

die unabhängige Rechtsprechung gefordert. Heute<br />

ist die Güterabwägung, die der Richter beim<br />

Aufeinanderprallen unterschiedlicher Interessen<br />

und Werte regelmäßig vornimmt, auch wenn<br />

man nicht in jedem Fall mit der Entscheidung<br />

zufrieden sein kann, jedenfalls in Deutschland<br />

kein Problem mehr. Das entspricht jedenfalls bis<br />

vor kurzem dem klassischen Verfassungsverständnis.<br />

Dass im Zeitraum der letzten zehn Jahre<br />

eine gewaltige juristische Umwälzung eingetreten<br />

ist, die die schönsten Vorstellungen von<br />

einem gerechten Ausgleich zunichte zu machen<br />

droht, wird bisher kaum bemerkt. Allenthalben<br />

macht sich ein dumpfes Unbehagen breit, weil<br />

„… der, dem die Wirtschaft dienen soll, … zu<br />

ihrem Diener“ geworden ist und Menschen und<br />

Dinge einem zum Selbstzweck degenerierten<br />

Profitstreben geopfert werden. 8 Mit der „Kolonialisierung<br />

der Lebenswelt durch die Wirtschaft“<br />

zerbröckelt die staatsbürgerliche Solidarität<br />

9 und das Gleichgewicht der gesellschaftlichen<br />

Teilsysteme gerät aus den Fugen 10 .<br />

III. Ausrichtung der modernen Rechtsordnung<br />

Eine Rechtsordnung ist nicht wertneutral. Das<br />

war früher möglicherweise leichter zu erkennen.<br />

Für das deutsche Kaiserreich hat das Shirvani in<br />

MIP 2006 11 belegt. Damals galten Vaterland und<br />

Obrigkeitsstaat als höchster Wert. Sicherlich ist<br />

auch heute noch der Staat ein schützenswertes<br />

Gut ersten Ranges. Das Nuklearwaffengutachten<br />

des Internationalen Gerichtshofs (IGH) 12 rechtfertigt<br />

den Einsatz von Nuklearwaffen zur Ausübung<br />

des Rechts auf Selbstverteidigung, wenn<br />

die Existenz des Staates bedroht ist und billigt<br />

unter einschränkenden Voraussetzungen wohl<br />

auch das Recht zum Mauerbau 13 zu, um sich<br />

oder andere abzuschotten. Die deutsche Verfas-<br />

8<br />

Marcel da Veiga, Spiritualität oder ökonomisches Kalkül<br />

– was brauchen moderne Unternehmen und Führungskräfte?,<br />

in: Diedrich, Ralf/Heilemann, Ullrich (Hrsg.),<br />

Ökonomisierung der Wissensgesellschaft. Wie viel<br />

Ökonomie braucht und wie viel Ökonomie verträgt die<br />

Wissensgesellschaft?, Berlin 2011, S. 181, 186. Der<br />

Sammelband Diedrich/Heilemann entstand aus Anlass<br />

des 600. Jahrestages der Universität Leipzig und wurde<br />

unter dem Titel „Beat the system“ von Axel Schwarz in<br />

WissR 2012, S. 194-198, besprochen.<br />

9<br />

So Matthias Petzold, Sinn geben und/oder Sinn finden?<br />

Zur Orientierungssuche in der Wissensgesellschaft, in;<br />

Diedrich/Heilemann a.a.O. (Fn. 8), S. 191 ff., 197.<br />

10<br />

Ders. aaO (Fn. 9), S. 207.<br />

11<br />

Foroud Shirvani, Die politischen Parteien im Staatsrecht<br />

des Deutschen Kaiserreiches, in: MIP 2006, S. 77- 87,<br />

verfügbar unter http://www.pruf.de/fileadmin/redaktion/,<br />

Oeffentliche_Medien/<strong>PRuF</strong>/MIP/MIP_2006_Heft13.pdf<br />

abgerufen am 25.12.2012.<br />

12<br />

Verfügbar unter http://europainstitut.de/fileadmin/<br />

schriften/341.pdf, abgerufen am 25.12.2012.<br />

13<br />

Das IGH-Gutachten vom 9.7.2004 („Legal Consequences<br />

of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian<br />

Territory“) verneinte die Verhältnismäßigkeit des<br />

Baus einer Mauer bzw. eines befestigten Sperrzauns im<br />

Westjordanland und in Jerusalem, der die überwiegend<br />

palästinensisch von den überwiegend jüdisch besiedelten<br />

Gebieten trennen sollte. Das Gutachten ist verfügbar<br />

unter http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/<br />

Nahost/mauer-igh-orig.pdf, abgerufen am 25.12.2012.<br />

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