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03.11.2013 Aufrufe

Rezensionen MIP 2013 19. Jhrg. Béatrice Ziegler/Nicole Wälti (Hrsg.): Wahl- Probleme der Demokratie, Schriften zur Demokratieforschung Band 5, Schulthess-Verlag, Zürich 2012, 251 S., ISBN 978-3-7255-6492-7, 68,00 CHF/49,00 €. Das Zentrum für Demokratie Aarau und die Aarauer Demokratietage Die „Schriften zur Demokratieforschung“ werden vom Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) 13 herausgegeben. Wichtige Impulse für die Gründung des ZDA im Januar 2009 gingen vom Nationalen Forschungsschwerpunkt „Challenges to Democracy in the 21st Century“ 14 aus. Das ZDA ist ein akademisches Forschungszentrum an der Universität Zürich. Angesiedelt ist es in Aarau, der Hauptstadt des Kantons Aargau. Die 3. Aarauer Demokratietage 15 des ZDA widmeten sich am 7. und 8. April 2011 dem Funktionieren der Meinungsbildung und der informierten Wahlentscheidung von Bürgerinnen und Bürgern in der heutigen Demokratie. Nun liegen die Vorträge in gedruckter Form vor. Sie gliedern sich in die drei Blöcke: „Wahl- und Abstimmungskampagnen in Recht und Politik“, „eDemocracy, Politische Bildung und Web 2.0“, „Direkte Demokratie und politische Kommunikation in der Informationsgesellschaft. Herausforderungen für den Kanton Aargau“. Die beständige Wiederkehr der Demokratie und die vernünftigen Stimmbürger Eröffnet wird der Sammelband durch das Einführungsreferat von Francis Cheneval mit dem Titel „Von der beständigen Wiederkehr der Demokratie“. Cheneval, Lehrstuhlinhaber für Politische Philosophie an der Universität Zürich, möchte den vielschichtigen Prozess aufzeigen, der immer wieder zur Rückgewinnung partizipativ legitimierter politischer Autorität führt. Wichtig ist Cheneval der rechtliche Rahmen, in dem sich die Auseinandersetzung um die Beteiligung an der Herrschaft abspielt. Er hebt die Bedeutung von 13 http://www.zdaarau.ch/de/index.php. 14 http://www.nccr-democracy.uzh.ch/front-page-de? set_language=de. 15 Die 5. Aarauer Demokratietage finden am 21./22. März 2013 statt: http://www.demokratietage-zda.ch/de/5_ adt_2013/index.php. regelmäßigen, freien und fairen Wahlen hervor. Wenn Cheneval auch keinen linearen Fortschritt der Demokratie belegen kann, so nimmt er doch deutlich von Untergangsszenarien Abstand. Überraschend und erfrischend sind dabei Chenevals Belege, dass Demokratie auf vielfältige Ursprünge und Praktiken in ganz verschiedenen Kulturen (er nennt als Beispiel einen südafrikanischen Stamm und den Irokesenbund) zurückgreifen kann, wenn man bereit ist, Demokratie in der freien Meinungsäußerung, der jedermann zuteil werdenden Anhörung und der Anerkennung der Gleichheit im Wert jedes Einzelnen als Mitglied der politischen Gemeinschaft zu erkennen. Besonders hervorzuheben ist Chenevals Sprache, die eingängige Formulierungen schafft wie „Wahlen als Wiederholungsritual der Demokratie“, „Demokratie als abwechselnde Wiederkehr von Konkurrenz und Kooperation“ oder „Zweikomponentenleim Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“. Andreas Auer analysiert im Beitrag „Das Bild des Stimmbürgers in der Rechtsprechung des Bundesgerichts“ die wesentlichen Urteile zu Art. 34 Bundesverfassung, der die Wahl- und Abstimmungsfreiheit garantiert. Auers Ausgangspunkt ist das „Bild des vernünftigen Stimmbürgers als für die Demokratie notwendige Fiktion der bundesgerichtlichen Rechtsprechung“. Sein Text, der die Meinungsbildung und ihre Darstellung durch das Bundesgericht von verschiedenen Seiten ausleuchtet, bringt auch diejenigen Leserinnen und Leser, die mit den leading cases vertraut sind, zum Nachdenken. Er gibt allen Anregungen, die sich überlegen, was es bei den Stimmberechtigten und beim Volk sowie an behördlicher Information vor einer Abstimmung braucht, damit ein Willensbildungsprozess als frei und offen qualifiziert werden kann. Die Wirkung der Propaganda Hanspeter Kriesis Beitrag trägt den Titel „Das Abstimmungsverhalten der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger: wie wirken Abstimmungskampagnen?“. Er ist eine der wenigen Publikationen, die den Einfluss der Propaganda auf die Schweizer Stimmberechtigten darstellen. Eingebettet ist Kriesis Darstellung in die internationale Diskussion, inwiefern die Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, politisch kompetent 188

MIP 2013 19. Jhrg. Rezensionen zu entscheiden. Zum einen stützt sich Kriesi auf die Auswertung der sog. Vox-Umfragen (das sind Nachbefragungen) zu 148 Vorlagen, über die zwischen 1981 und 1999 abgestimmt wurde. Zum anderen zieht Kriesi eine Panel-Umfrage zu den Kampagnen zur Revision des Asylgesetzes, zur Volksinitiative der SVP betreffend Verschärfung der Einbürgerung und zum Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform bei. Die drei Vorlagen unterschieden sich bezüglich Bekanntheit und Komplexität. Die Befürworter des neuen Einbürgerungsverfahrens verfügten über deutlich mehr Mittel als die Gegner, die Befürworter der Unternehmenssteuerreform über unverhältnismäßig mehr Mittel als die Gegenseite. Kriesi kann nachweisen, dass die Kampagnen in allen drei Fällen nicht ohne Wirkung blieben, wobei diese bei den einfachen, bekannten Vorlagen viel größer war. Grundsätzlich wirkten die Kampagnen verstärkend, sie führten aber auch zu sog. Konversionen, vor allem bei der Vorlage zur Unternehmenssteuerreform. Dies wertet Kriesi als problematisch, weil sie angesichts der Komplexität kaum in diesem Maße auf einem authentischen Entscheid der Betroffenen beruhen konnten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die sehr einseitige Kampagne Stimmende dazu verleitete, gegen ihre politischen Interessen zu stimmen. Dies ist besonders problematisch, weil die Zustimmung zur Unternehmenssteuerreform sehr knapp ausfiel (50,5%) und sich nachträglich herausstellte, dass die Information der Regierung unvollständig war. Wie Kriesi damit nachweist, gibt es Konstellationen, in denen die Gefahr einer manipulativen Wirkung von Kampagnen besteht. Dieser Beitrag liest sich mit Gewinn zusammen mit einem anderen Text von Kriesi mit dem Titel „Sind Abstimmungsergebnisse käuflich?“ in der Festschrift für Wolf Linder 16 . In diesem fasst Kriesi seine Ergebnisse wie folgt zusammen: Es wäre „ziemlich übertrieben, zu behaupten, […] dass man Abstimmungserfolge kaufen könne. Es wäre aber ebenso falsch zu behaupten, […] dass 16 Hanspeter Kriesi, Sind Abstimmungsergebnisse käuflich?, in: Vatter/Varone/Sager, Demokratie als Leidenschaft. Planung, Entscheidung und Vollzug in der schweizerischen Demokratie. Festschrift für Prof. Dr. Wolf Linder zum 65. Geburtstag, Haupt Verlag Bern/Stuttgart/Wien 2009, S. 83-106. Abstimmungskampagnen kaum oder gar keinen Einfluss auf das Abstimmungsresultat hätten.“ Häufig zitiert wurde im letzten Jahr die vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) in Auftrag gegebene Studie 17 von Michael Hermann und Mario Nowak mit dem Titel „Das politische Profil des Geldes. Wahl- und Abstimmungswerbung in der Schweiz“. 18 Mit ihren einprägsamen farbigen Graphiken gewann sie die Aufmerksamkeit der Medien. Dass die großen bürgerlichen Parteien bei Wahlen und Abstimmungen zusammen mit den Wirtschaftsverbänden über massiv höhere Mittel verfügen als SPS und Grüne, wissen aufmerksame Zeitgenossinnen und Zeitgenossen schon lange. Erstmals liegen nun aber umfangreiche Daten vor. Hermann und Nowak belegen z.B. (S. 6), dass 69% aller Werbeausgaben für die 10 teuersten Abstimmungskampagnen ausgegeben wurden, während die 10 billigsten Kampagnen insgesamt nur 2,5% der Ausgaben auf sich vereinten. Viel ausgegeben wurde jeweils für die Propaganda zu Vorlagen zur Außen- und Finanzpolitik. Ein großer Teil der Summen stammte von den Wirtschaftsverbänden (S. 7 f.). „Bei fünf von sechs Abstimmungen konnte das eine Lager mehr als doppelt so viele Werbemittel einsetzen wie das andere. Bei zwei von drei Abstimmungen übertraf das Ungleichverhältnis gar den Faktor 4 zu 1.“ (S. 10). Eklatant war auch die Verteilung der Gelder auf das politische Spektrum. Hermann und Nowak fassten es in den Satz (S. 11): „Das Geld liegt rechts der Mitte.“ Obwohl die Autoren den Einfluss der finanziellen Mittel auf die Wahl- und Abstimmungserfolge relativieren (S. 21), so wird doch augenfällig, dass in der Schweiz nicht die politischen Parteien das letzte Wort haben, sondern dass es darauf ankommt, ob sich in einem Abstimmungskampf finanzmächtige Wirtschaftsverbände engagieren. Demoskopie und Voting Advice Applications Claude Longchamp, Verwaltungsratspräsident und Vorsitzender der Geschäftsleitung des auf 17 Siehe die Pressemitteilung des EJPD: http://www.ejpd. admin.ch/ejpd/de/home/dokumentation/mi/2012/2012- 02-21.html. 18 http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/pressemit teilung/2012/2012-02-21/ber-wahlfinanzierung-d.pdf. 189

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MIP 2013 19. Jhrg.<br />

Béatrice Ziegler/Nicole Wälti (Hrsg.): Wahl-<br />

Probleme der Demokratie, Schriften zur Demokratieforschung<br />

Band 5, Schulthess-Verlag,<br />

Zürich 2012, 251 S., ISBN 978-3-7255-6492-7,<br />

68,00 CHF/49,00 €.<br />

Das Zentrum für Demokratie Aarau und die Aarauer<br />

Demokratietage<br />

Die „Schriften zur Demokratieforschung“ werden<br />

vom Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) 13 herausgegeben.<br />

Wichtige Impulse für die Gründung<br />

des ZDA im Januar 2009 gingen vom Nationalen<br />

Forschungsschwerpunkt „Challenges to Democracy<br />

in the 21st Century“ 14 aus. Das ZDA ist ein<br />

akademisches Forschungszentrum an der Universität<br />

Zürich. Angesiedelt ist es in Aarau, der<br />

Hauptstadt des Kantons Aargau.<br />

Die 3. Aarauer Demokratietage 15 des ZDA widmeten<br />

sich am 7. und 8. April 2011 dem Funktionieren<br />

der Meinungsbildung und der informierten<br />

Wahlentscheidung von Bürgerinnen und<br />

Bürgern in der heutigen Demokratie. Nun liegen<br />

die Vorträge in gedruckter Form vor. Sie gliedern<br />

sich in die drei Blöcke: „Wahl- und Abstimmungskampagnen<br />

in Recht und Politik“,<br />

„eDemocracy, Politische Bildung und Web 2.0“,<br />

„Direkte Demokratie und politische Kommunikation<br />

in der Informationsgesellschaft. Herausforderungen<br />

für den Kanton Aargau“.<br />

Die beständige Wiederkehr der Demokratie und<br />

die vernünftigen Stimmbürger<br />

Eröffnet wird der Sammelband durch das Einführungsreferat<br />

von Francis Cheneval mit dem<br />

Titel „Von der beständigen Wiederkehr der Demokratie“.<br />

Cheneval, Lehrstuhlinhaber für Politische<br />

Philosophie an der Universität Zürich, möchte<br />

den vielschichtigen Prozess aufzeigen, der<br />

immer wieder zur Rückgewinnung partizipativ<br />

legitimierter politischer Autorität führt. Wichtig<br />

ist Cheneval der rechtliche Rahmen, in dem sich<br />

die Auseinandersetzung um die Beteiligung an<br />

der Herrschaft abspielt. Er hebt die Bedeutung von<br />

13<br />

http://www.zdaarau.ch/de/index.php.<br />

14<br />

http://www.nccr-democracy.uzh.ch/front-page-de?<br />

set_language=de.<br />

15<br />

Die 5. Aarauer Demokratietage finden am 21./22. März<br />

2013 statt: http://www.demokratietage-zda.ch/de/5_<br />

adt_2013/index.php.<br />

regelmäßigen, freien und fairen Wahlen hervor.<br />

Wenn Cheneval auch keinen linearen Fortschritt<br />

der Demokratie belegen kann, so nimmt er doch<br />

deutlich von Untergangsszenarien Abstand. Überraschend<br />

und erfrischend sind dabei Chenevals<br />

Belege, dass Demokratie auf vielfältige Ursprünge<br />

und Praktiken in ganz verschiedenen Kulturen (er<br />

nennt als Beispiel einen südafrikanischen Stamm<br />

und den Irokesenbund) zurückgreifen kann, wenn<br />

man bereit ist, Demokratie in der freien Meinungsäußerung,<br />

der jedermann zuteil werdenden<br />

Anhörung und der Anerkennung der Gleichheit<br />

im Wert jedes Einzelnen als Mitglied der politischen<br />

Gemeinschaft zu erkennen. Besonders hervorzuheben<br />

ist Chenevals Sprache, die eingängige<br />

Formulierungen schafft wie „Wahlen als Wiederholungsritual<br />

der Demokratie“, „Demokratie als<br />

abwechselnde Wiederkehr von Konkurrenz und<br />

Kooperation“ oder „Zweikomponentenleim Demokratie<br />

und Rechtsstaatlichkeit“.<br />

Andreas Auer analysiert im Beitrag „Das Bild des<br />

Stimmbürgers in der Rechtsprechung des Bundesgerichts“<br />

die wesentlichen Urteile zu Art. 34 Bundesverfassung,<br />

der die Wahl- und Abstimmungsfreiheit<br />

garantiert. Auers Ausgangspunkt ist das<br />

„Bild des vernünftigen Stimmbürgers als für die<br />

Demokratie notwendige Fiktion der bundesgerichtlichen<br />

Rechtsprechung“. Sein Text, der die<br />

Meinungsbildung und ihre Darstellung durch das<br />

Bundesgericht von verschiedenen Seiten ausleuchtet,<br />

bringt auch diejenigen Leserinnen und<br />

Leser, die mit den leading cases vertraut sind,<br />

zum Nachdenken. Er gibt allen Anregungen, die<br />

sich überlegen, was es bei den Stimmberechtigten<br />

und beim Volk sowie an behördlicher Information<br />

vor einer Abstimmung braucht, damit ein<br />

Willensbildungsprozess als frei und offen qualifiziert<br />

werden kann.<br />

Die Wirkung der Propaganda<br />

Hanspeter Kriesis Beitrag trägt den Titel „Das<br />

Abstimmungsverhalten der Schweizer Stimmbürgerinnen<br />

und Stimmbürger: wie wirken Abstimmungskampagnen?“.<br />

Er ist eine der wenigen<br />

Publikationen, die den Einfluss der Propaganda<br />

auf die Schweizer Stimmberechtigten darstellen.<br />

Eingebettet ist Kriesis Darstellung in die internationale<br />

Diskussion, inwiefern die Bürgerinnen<br />

und Bürger in der Lage sind, politisch kompetent<br />

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