Linksliberale Enterhaken - PRuF
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MIP 2013 19. Jhrg.<br />
Rezensionen<br />
2009 erstmals auch in Deutschland Elemente des<br />
Social Web zum Einsatz kamen.<br />
Unger rekurriert in ihrer Studie nicht allgemein<br />
auf den Online-Wahlkampf der deutschen Parteien,<br />
sondern konkret auf die Präsenz und die Aktivität<br />
der im Bundestag vertretenen Parteien und<br />
ihrer Spitzenkandidaten im Social Web bzw. den<br />
sozialen Netzwerken studiVZ, facebook, You-<br />
Tube, twitter und flickr. Ihr Ziel ist eine umfassende<br />
und systematische Analyse des Umgangs<br />
der Parteien mit dem Social Web im Bundestagswahlkampf<br />
2009.<br />
Nach einer Einführung und einem Überblick über<br />
Medienwandel und -nutzung widmet sich die Autorin<br />
zunächst der Erfassung und Dokumentation<br />
der relevanten Online-Aktivitäten. Von Mai 2009<br />
bis Juni 2010 erfasste sie dazu wöchentlich die<br />
Webaktivitäten der Parteien und Politiker in den<br />
sozialen Netzwerken. Diese umfassende Darstellung<br />
ergänzt Unger um Ergebnisse aus Experteninterviews<br />
mit den verantwortlichen Parteiakteuren<br />
sowie mit Online-Kommunikations-Experten.<br />
Zusätzlich ist Unger auch an der Bewertung der Internetpräsenz<br />
durch die Rezipienten interessiert.<br />
Zu diesem Zweck führt sie eine Online-Befragung<br />
unter Nutzern von studiVZ durch. Zur Beantwortung<br />
ihrer Forschungsfragen nutzt Unger also<br />
einen Methodenmix aus quantitativer Messung<br />
der Webaktivitäten, leitfadengestützten Experteninterviews<br />
und standardisierten Befragungen.<br />
Bei den Interviews mit den Parteiverantwortlichen<br />
wird immer wieder deutlich, wie sehr die Wahlkampfstrategen<br />
der deutschen Parteien durch den<br />
US-Präsidentschaftswahlkampf von 2008 bewusst<br />
oder auch unbewusst beeinflusst wurden. Unger<br />
findet zudem heraus, dass sich die Parteien nicht<br />
auf die Netzwerke mit den meisten Nutzern beschränken,<br />
sondern auf alle bekannten Netzwerke<br />
zurückgreifen und diese miteinander verlinken.<br />
Die Parteien legen sich also nicht auf eine<br />
Zielgruppe fest, sondern versuchen möglichst viele<br />
verschiedene Wählergruppen mit zielgruppenspezifischen<br />
Angeboten anzusprechen. Da sich<br />
die Nutzerstruktur je nach sozialem Netzwerk<br />
unterscheidet, variiert auch entsprechend das Inhaltsangebot<br />
der Parteien. Bezogen auf die Analyse<br />
der Social Web-Aktivitäten und -Strategien der<br />
Parteien kritisieren die Online-Experten vor allem<br />
den fehlenden Willen zum Dialog mit Anhängern<br />
und Unterstützern bzw. die etablierte Top-<br />
Down-Kommunikation und die Angst der Parteien<br />
vor Kontrollverlust. So sei einzige Online-Strategie<br />
eben die, dass die Parteien die sozialen Netzwerke<br />
im Wahlkampf genutzt haben. „Alles andere<br />
sei weniger Strategie und mehr ein Suchen,<br />
Tasten und Experimentieren mit den neuen Medien<br />
gewesen“ (S. 176). Die Parteien nutzten das<br />
Social Web also weniger aufgrund seines Potentials,<br />
sondern eher aus sozialem Druck heraus.<br />
Bezüglich der Bewertung durch die Rezipienten<br />
ist sich die Autorin bewusst, dass die Ergebnisse<br />
zu studiVZ aufgrund der Tatsache, dass die Nutzer<br />
sozialer Netzwerke sich soziodemographisch<br />
von Netzwerk zu Netzwerk unterscheiden, nicht<br />
als allgemeingültig angesehen werden können.<br />
Problematisch ist an diesem Vorgehen jedoch etwas<br />
anderes: Da nur die Nutzer in die Stichprobe<br />
gelangen konnten, die angaben, einen Kandidaten<br />
oder eine Partei gut zu finden, besteht die<br />
Gefahr eines Bias zu Gunsten der Parteien und<br />
ihrer Spitzenpolitiker. Daher verwundert es auch<br />
nicht, dass kein Befragter die Profile der Spitzenkandidaten<br />
als „eher nicht gelungen“ oder<br />
„gar nicht gelungen“ einstufte (Tabelle 17) und<br />
einzig bei der Bewertung des Parteiprofils leichte<br />
Kritik geübt wurde. Auch die relativ gute Bewertung<br />
der Interaktions- und Kommunikationsmöglichkeiten<br />
kann auf die Auswahl der Befragten<br />
zurückzuführen sein.<br />
Insgesamt eröffnet die Studie von Unger dank<br />
der faktengesättigten Dokumentation einen umfassenden<br />
Blick auf die Präsenz und Aktivität<br />
der Parteien im Social Web während des Bundestagswahlkampfs<br />
2009. Ein weiteres Verdienst<br />
ist der übersichtlich gestaltete Einblick in die<br />
Perspektive der Parteien auf ihren Umgang mit<br />
dem Social Web sowie die diesbezüglichen Einschätzungen<br />
der Experten und der Rezipienten.<br />
Dabei fördert vor allem die Analyse durch die<br />
Online-Experten interessante Ergebnisse zu<br />
Tage, die Grundlage für weitere Studien sein<br />
können. Unger leistet mit dieser umfassenden<br />
Arbeit zur Nutzung von sozialen Netzwerken im<br />
Wahlkampf insgesamt einen wertvollen Beitrag<br />
für die Wahlkampfforschung in Deutschland.<br />
Jens Walther<br />
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