Linksliberale Enterhaken - PRuF

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03.11.2013 Aufrufe

Rezensionen MIP 2013 19. Jhrg. teiblöcken zwischen zwei Wahlen wechseln, konstatiert Schniewind ein deutlich höheres Niveau als auf der Bundesebene. Aus der Makroperspektive sind zu den Gründen allerdings keine fundierten Aussagen möglich (S. 266). So gewinnt dieser Faktor erst bei der abschließenden Typenbildung wieder Bedeutung. Neben den drei diskutierten Faktoren stützt sich Schniewind auf die parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse (S. 270). Das Vorgehen der Typenbildung ist dabei nicht theoriegeleitet, sondern erfolgt allein auf Basis der empirischen Ausprägung der Indikatoren in einer zusammenfassenden hierarchischen Cluster-Analyse. Somit bleibt vollkommen unklar, zu welchem Zweck die Typologie, außer dem des Vergleichs mit der Schweiz, erstellt wurde. 10 Schniewind bezeichnet einerseits die Typologie von Sartori 11 als veraltet (S. 39/40), verkennt aber deren Zweck als vorläufige Theoriebildung zum Zusammenhang der Wettbewerbsdynamik eines Parteiensystems und dem Zusammenbruch eines politischen Systems. Tatsächlich kann das Erklärungsziel des Demokratiezusammenbruchs nicht das von Schniewind bei der Analyse der stabilen Demokratien der deutschen Bundesländer sein. Aber sie bietet auch keine alternative theoretische Perspektive, wozu die Übung der Typenbildung dienen soll. Sie fällt mit ihrer Typenbildung in die Vor-Sartori- Zeit zurück, indem sie zur Gruppenbildung das wenig fruchtbare Kriterium der Parteienanzahl nimmt (S. 305). Der Clou von Sartoris Typologie war ja, dass er die Klassifikation der Parteiensysteme nach Anzahl ihrer Elemente ablöste durch ihre qualitativen Eigenschaften wie die Polarisierung. 12 So bleibt als zentraler Befund der Arbeit eher die Diskussion der Einzelindika- 10 Adrian Vatter (2002): Kantonale Demokratien im Vergleich. Entstehungsgründe, Interaktionen und Wirkungen politischer Institutionen in den Schweizer Kantonen, Leske+Budrich, Opladen. 11 Giovanni Sartori (1976): Parties and Party Systems: A Framework for Analysis. Part I. Cambridge University Press, Cambridge et al. 12 S. hierzu auch Russel J. Dalton (2008): The Quantity and the Quality of Party Systems Party System Polarization, Its Measurement, and Its Consequences', Comparative Political Studies 41(7): 899-920, der den Vorrang in der Erklärungskraft der ideologischen Polarisierung gegenüber der Fragmentierung noch einmal herausgestellt hat. toren – und weniger die Typenbildung. In der Darstellung und der Entwicklung der Indikatorenwerte für die Bundesländerebene liegen dann auch die Stärken der Arbeit. Neben der guten Dokumentation des Wandels, vor allem des Anstiegs der Polarisierung, der Volatilität und der Fragmentierung auch in den alten Bundesländern, überzeugt die eingängige Darstellung der Indikatorenberechnungen. Diese Beispiele plant der Rezensent in seinen Lehrveranstaltungen einzusetzen. Neben vielen Redundanzen in den ersten drei Kapiteln ist die mangelnde Theorieentwicklung wohl die größte Schwäche dieser Arbeit. Aber diese Schwäche könnte man auch als Stärke sehen: Mit der vorliegenden, explorativen Studie liegt nun genügend solide erhobenes Material vor, um weitergehende theorieentwickelnde und theorietestende Studien am Beispiel der deutschen Bundesländer durchzuführen. Dr. Simon T. Franzmann Simone Unger: Parteien und Politiker in sozialen Netzwerken. Moderne Wahlkampfkommunikation bei der Bundestagswahl 2009, Springer VS, Wiesbaden 2012, 313 S., ISBN 978-3-531-19607-7, 39,95 €. Die politikwissenschaftliche Forschung zur Darstellung und Analyse von Wahlkämpfen in Deutschland ist vergleichsweise breit. Erfreulich ist es daher, dass sich Simone Unger in ihrer Dissertation einem bisher nur wenig erforschten Bereich deutscher Wahlkämpfe gewidmet hat: dem Wahlkampf im Social Web. Der Bundestagswahlkampf 2009 stand von Anfang an unter dem Zeichen eines generellen Bedeutungszuwachses der sozialen Netzwerke. So steigt seit Jahren die Zahl der Internetnutzer im Allgemeinen und der Nutzer sozialer Netzwerke im Besonderen fast über alle Altersgrenzen hinweg kontinuierlich an. Der Online-Wahlkampf von Barack Obama hatte zudem ein Jahr zuvor bewiesen, wie das Social Web auch im Wahlkampf strategisch und gewinnbringend eingesetzt werden kann. Die Rezeption des US-Wahlkampfs stellte die deutschen Parteien somit unter einen gewissen Erwartungsdruck. Daher verwundert es nicht, dass im Bundestagswahlkampf 186

MIP 2013 19. Jhrg. Rezensionen 2009 erstmals auch in Deutschland Elemente des Social Web zum Einsatz kamen. Unger rekurriert in ihrer Studie nicht allgemein auf den Online-Wahlkampf der deutschen Parteien, sondern konkret auf die Präsenz und die Aktivität der im Bundestag vertretenen Parteien und ihrer Spitzenkandidaten im Social Web bzw. den sozialen Netzwerken studiVZ, facebook, You- Tube, twitter und flickr. Ihr Ziel ist eine umfassende und systematische Analyse des Umgangs der Parteien mit dem Social Web im Bundestagswahlkampf 2009. Nach einer Einführung und einem Überblick über Medienwandel und -nutzung widmet sich die Autorin zunächst der Erfassung und Dokumentation der relevanten Online-Aktivitäten. Von Mai 2009 bis Juni 2010 erfasste sie dazu wöchentlich die Webaktivitäten der Parteien und Politiker in den sozialen Netzwerken. Diese umfassende Darstellung ergänzt Unger um Ergebnisse aus Experteninterviews mit den verantwortlichen Parteiakteuren sowie mit Online-Kommunikations-Experten. Zusätzlich ist Unger auch an der Bewertung der Internetpräsenz durch die Rezipienten interessiert. Zu diesem Zweck führt sie eine Online-Befragung unter Nutzern von studiVZ durch. Zur Beantwortung ihrer Forschungsfragen nutzt Unger also einen Methodenmix aus quantitativer Messung der Webaktivitäten, leitfadengestützten Experteninterviews und standardisierten Befragungen. Bei den Interviews mit den Parteiverantwortlichen wird immer wieder deutlich, wie sehr die Wahlkampfstrategen der deutschen Parteien durch den US-Präsidentschaftswahlkampf von 2008 bewusst oder auch unbewusst beeinflusst wurden. Unger findet zudem heraus, dass sich die Parteien nicht auf die Netzwerke mit den meisten Nutzern beschränken, sondern auf alle bekannten Netzwerke zurückgreifen und diese miteinander verlinken. Die Parteien legen sich also nicht auf eine Zielgruppe fest, sondern versuchen möglichst viele verschiedene Wählergruppen mit zielgruppenspezifischen Angeboten anzusprechen. Da sich die Nutzerstruktur je nach sozialem Netzwerk unterscheidet, variiert auch entsprechend das Inhaltsangebot der Parteien. Bezogen auf die Analyse der Social Web-Aktivitäten und -Strategien der Parteien kritisieren die Online-Experten vor allem den fehlenden Willen zum Dialog mit Anhängern und Unterstützern bzw. die etablierte Top- Down-Kommunikation und die Angst der Parteien vor Kontrollverlust. So sei einzige Online-Strategie eben die, dass die Parteien die sozialen Netzwerke im Wahlkampf genutzt haben. „Alles andere sei weniger Strategie und mehr ein Suchen, Tasten und Experimentieren mit den neuen Medien gewesen“ (S. 176). Die Parteien nutzten das Social Web also weniger aufgrund seines Potentials, sondern eher aus sozialem Druck heraus. Bezüglich der Bewertung durch die Rezipienten ist sich die Autorin bewusst, dass die Ergebnisse zu studiVZ aufgrund der Tatsache, dass die Nutzer sozialer Netzwerke sich soziodemographisch von Netzwerk zu Netzwerk unterscheiden, nicht als allgemeingültig angesehen werden können. Problematisch ist an diesem Vorgehen jedoch etwas anderes: Da nur die Nutzer in die Stichprobe gelangen konnten, die angaben, einen Kandidaten oder eine Partei gut zu finden, besteht die Gefahr eines Bias zu Gunsten der Parteien und ihrer Spitzenpolitiker. Daher verwundert es auch nicht, dass kein Befragter die Profile der Spitzenkandidaten als „eher nicht gelungen“ oder „gar nicht gelungen“ einstufte (Tabelle 17) und einzig bei der Bewertung des Parteiprofils leichte Kritik geübt wurde. Auch die relativ gute Bewertung der Interaktions- und Kommunikationsmöglichkeiten kann auf die Auswahl der Befragten zurückzuführen sein. Insgesamt eröffnet die Studie von Unger dank der faktengesättigten Dokumentation einen umfassenden Blick auf die Präsenz und Aktivität der Parteien im Social Web während des Bundestagswahlkampfs 2009. Ein weiteres Verdienst ist der übersichtlich gestaltete Einblick in die Perspektive der Parteien auf ihren Umgang mit dem Social Web sowie die diesbezüglichen Einschätzungen der Experten und der Rezipienten. Dabei fördert vor allem die Analyse durch die Online-Experten interessante Ergebnisse zu Tage, die Grundlage für weitere Studien sein können. Unger leistet mit dieser umfassenden Arbeit zur Nutzung von sozialen Netzwerken im Wahlkampf insgesamt einen wertvollen Beitrag für die Wahlkampfforschung in Deutschland. Jens Walther 187

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MIP 2013 19. Jhrg.<br />

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konstatiert Schniewind ein deutlich höheres Niveau<br />

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fundierten Aussagen möglich (S. 266). So gewinnt<br />

dieser Faktor erst bei der abschließenden<br />

Typenbildung wieder Bedeutung. Neben den<br />

drei diskutierten Faktoren stützt sich Schniewind<br />

auf die parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse<br />

(S. 270). Das Vorgehen der Typenbildung ist dabei<br />

nicht theoriegeleitet, sondern erfolgt allein<br />

auf Basis der empirischen Ausprägung der Indikatoren<br />

in einer zusammenfassenden hierarchischen<br />

Cluster-Analyse. Somit bleibt vollkommen<br />

unklar, zu welchem Zweck die Typologie,<br />

außer dem des Vergleichs mit der Schweiz, erstellt<br />

wurde. 10 Schniewind bezeichnet einerseits<br />

die Typologie von Sartori 11 als veraltet (S. 39/40),<br />

verkennt aber deren Zweck als vorläufige Theoriebildung<br />

zum Zusammenhang der Wettbewerbsdynamik<br />

eines Parteiensystems und dem<br />

Zusammenbruch eines politischen Systems. Tatsächlich<br />

kann das Erklärungsziel des Demokratiezusammenbruchs<br />

nicht das von Schniewind<br />

bei der Analyse der stabilen Demokratien der<br />

deutschen Bundesländer sein. Aber sie bietet<br />

auch keine alternative theoretische Perspektive,<br />

wozu die Übung der Typenbildung dienen soll.<br />

Sie fällt mit ihrer Typenbildung in die Vor-Sartori-<br />

Zeit zurück, indem sie zur Gruppenbildung das<br />

wenig fruchtbare Kriterium der Parteienanzahl<br />

nimmt (S. 305). Der Clou von Sartoris Typologie<br />

war ja, dass er die Klassifikation der Parteiensysteme<br />

nach Anzahl ihrer Elemente ablöste<br />

durch ihre qualitativen Eigenschaften wie die<br />

Polarisierung. 12 So bleibt als zentraler Befund<br />

der Arbeit eher die Diskussion der Einzelindika-<br />

10<br />

Adrian Vatter (2002): Kantonale Demokratien im Vergleich.<br />

Entstehungsgründe, Interaktionen und Wirkungen<br />

politischer Institutionen in den Schweizer Kantonen,<br />

Leske+Budrich, Opladen.<br />

11<br />

Giovanni Sartori (1976): Parties and Party Systems: A<br />

Framework for Analysis. Part I. Cambridge University<br />

Press, Cambridge et al.<br />

12<br />

S. hierzu auch Russel J. Dalton (2008): The Quantity and<br />

the Quality of Party Systems Party System Polarization,<br />

Its Measurement, and Its Consequences', Comparative<br />

Political Studies 41(7): 899-920, der den Vorrang in der<br />

Erklärungskraft der ideologischen Polarisierung gegenüber<br />

der Fragmentierung noch einmal herausgestellt hat.<br />

toren – und weniger die Typenbildung. In der<br />

Darstellung und der Entwicklung der Indikatorenwerte<br />

für die Bundesländerebene liegen dann<br />

auch die Stärken der Arbeit. Neben der guten<br />

Dokumentation des Wandels, vor allem des Anstiegs<br />

der Polarisierung, der Volatilität und der<br />

Fragmentierung auch in den alten Bundesländern,<br />

überzeugt die eingängige Darstellung der<br />

Indikatorenberechnungen. Diese Beispiele plant<br />

der Rezensent in seinen Lehrveranstaltungen<br />

einzusetzen. Neben vielen Redundanzen in den<br />

ersten drei Kapiteln ist die mangelnde Theorieentwicklung<br />

wohl die größte Schwäche dieser<br />

Arbeit. Aber diese Schwäche könnte man auch<br />

als Stärke sehen: Mit der vorliegenden, explorativen<br />

Studie liegt nun genügend solide erhobenes<br />

Material vor, um weitergehende theorieentwickelnde<br />

und theorietestende Studien am Beispiel<br />

der deutschen Bundesländer durchzuführen.<br />

Dr. Simon T. Franzmann<br />

Simone Unger: Parteien und Politiker in sozialen<br />

Netzwerken. Moderne Wahlkampfkommunikation<br />

bei der Bundestagswahl<br />

2009, Springer VS, Wiesbaden 2012, 313 S.,<br />

ISBN 978-3-531-19607-7, 39,95 €.<br />

Die politikwissenschaftliche Forschung zur Darstellung<br />

und Analyse von Wahlkämpfen in<br />

Deutschland ist vergleichsweise breit. Erfreulich<br />

ist es daher, dass sich Simone Unger in ihrer<br />

Dissertation einem bisher nur wenig erforschten<br />

Bereich deutscher Wahlkämpfe gewidmet hat:<br />

dem Wahlkampf im Social Web.<br />

Der Bundestagswahlkampf 2009 stand von Anfang<br />

an unter dem Zeichen eines generellen Bedeutungszuwachses<br />

der sozialen Netzwerke. So<br />

steigt seit Jahren die Zahl der Internetnutzer im<br />

Allgemeinen und der Nutzer sozialer Netzwerke<br />

im Besonderen fast über alle Altersgrenzen hinweg<br />

kontinuierlich an. Der Online-Wahlkampf<br />

von Barack Obama hatte zudem ein Jahr zuvor<br />

bewiesen, wie das Social Web auch im Wahlkampf<br />

strategisch und gewinnbringend eingesetzt<br />

werden kann. Die Rezeption des US-Wahlkampfs<br />

stellte die deutschen Parteien somit unter<br />

einen gewissen Erwartungsdruck. Daher verwundert<br />

es nicht, dass im Bundestagswahlkampf<br />

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