Linksliberale Enterhaken - PRuF
Linksliberale Enterhaken - PRuF
Linksliberale Enterhaken - PRuF
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Rezensionen<br />
MIP 2013 19. Jhrg.<br />
tischen Ausführungen mit aktuellen Daten aus<br />
der Schweiz. Im Kapitel „Sind Wahlen und Abstimmungen<br />
käuflich?“ (S. 46-92) stellt Schaub<br />
den Diskussionsstand in der Schweiz dar und<br />
nimmt Bezug auf Untersuchungen aus den USA.<br />
Er weist dabei darauf hin, dass die Bereitschaft<br />
der unterlegenen Bürgerinnen und Bürger, den<br />
Entscheid zu akzeptieren und sich weiter in den<br />
Meinungsbildungsprozess einzubringen, nur dann<br />
gegeben ist, wenn sie Wahlen und Abstimmungen<br />
nicht als durch Geld manipuliert erleben (S. 89 f.).<br />
Das vierte Kapitel (S. 93-165) widmet Schaub<br />
dem Konzept der deliberativen Demokratie. Einleitend<br />
hält er fest, dass die Bundesverfassung<br />
keinem ausdifferenzierten Demokratiekonzept<br />
folgt (S. 95) und stellt die Grundzüge der republikanischen<br />
und der liberalen Demokratietheorie<br />
vor. An den deliberativen Modellen hebt er<br />
hervor, dass der politische Wille nicht eine vorbestehende<br />
Größe, sondern das Ergebnis einer<br />
argumentativen Auseinandersetzung ist (S. 107).<br />
Gemäß Schaub weisen Wahl- und Abstimmungskämpfe<br />
trotz ihrer Mängel einen diskursiven<br />
Charakter auf (S. 135). Damit die verschiedenen<br />
Argumente die gleiche Chance haben, ihre<br />
Kraft zu entfalten, muss ein Mindestmaß an faktischer<br />
Zugangsgleichheit bestehen (S. 136-138).<br />
Der Zugang zu paid media und die Möglichkeiten,<br />
auf den free media Bereich Einfluss nehmen<br />
zu können, sind wegen der unterschiedlichen finanziellen<br />
Ressourcen der politischen Akteure<br />
nicht gegeben (S. 139). In der Folge trägt<br />
Schaub zusammen, wo Verfassung und Gesetz<br />
der Forderung nach gleichberechtigtem Zugang<br />
zu den Medien Rechnung tragen (S. 140-144).<br />
Ebenso erwähnt er, dass das Bundesgericht 6 das<br />
Anliegen der finanziellen Transparenz in Abstimmungskämpfen<br />
betont hat (S. 151 f.). Kritisch<br />
äussert sich Lukas Schaub gegen die Forderung,<br />
die Aussagen der Akteure müssten der<br />
Wahrhaftigkeit und der Sachlichkeit verpflichtet<br />
und auf Dialog gerichtet sein. Er argumentiert<br />
dabei mit dem qualifizierten Schutz der politischen<br />
Meinungsäußerung und behauptet, der po-<br />
6<br />
Die Urteile des Bundesgerichts sind zugänglich über<br />
die Website des Gerichts: http://www.bger.ch. Die Leitentscheide<br />
(BGE) finden sich in der Rubrik „BGE<br />
(Leitentscheide)“, die übrigen neueren Entscheide in<br />
der Rubrik „weitere Urteile ab 2000“.<br />
litische Diskurs sei mitunter darauf angewiesen,<br />
dass auch Halb- oder Unwahrheiten geäußert werden<br />
(S. 154). Lieber bringt Schaub das vom U.S.<br />
Supreme Court entwickelte Bild des „marketplace<br />
of ideas“ in die Diskussion ein (S. 162-165).<br />
Kapitel 5 geht auf die individuelle politische<br />
Chancengleichheit ein (S. 166-273). Ausgangspunkt<br />
ist die Frage, inwiefern sich ein Akteur,<br />
dessen Chancengleichheit durch finanzielle Ungleichheit<br />
beeinträchtigt wird, auf die in Art. 34<br />
Abs. 2 BV 7 verbriefte Wahl- und Abstimmungsfreiheit<br />
berufen kann. Chancengleichheit umschreibt<br />
Schaub dabei als Rahmenbedingungen<br />
zur Lösung von Verteilungsproblemen (S. 168).<br />
Einleitend untersucht er – mit wenig Erfolg –, ob<br />
das Verfassungsrecht das Anliegen aufnimmt.<br />
Ergiebiger sind die Ausprägungen der Chancengleichheit<br />
in kompetitiv strukturierten Lebensbereichen.<br />
Für den wirtschaftlichen Wettbewerb<br />
finden sich Bestimmungen in der Verfassung<br />
und in Gesetzen, die vor Wettbewerbsverzerrungen<br />
staatlichen Ursprungs schützen und die<br />
Gleichbehandlung mit Konkurrenten garantieren<br />
(S. 197 f.). Anschließend geht Schaub näher auf<br />
den Wettbewerb in der demokratischen Entscheidfindung<br />
ein. Chancengleichheit definiert<br />
er hierbei als die Möglichkeit des Einzelnen, seine<br />
politischen Vorstellungen mit dem gleichen<br />
Gewicht in die Auseinandersetzung einzubringen<br />
(S. 211). Sie erschöpft sich nicht in der<br />
Stimmabgabe (dezisionale politische Chancengleichheit),<br />
sondern erstreckt sich auch auf die<br />
Phase der Meinungsbildung (kommunikative politische<br />
Chancengleichheit) (S. 212 f.). So überzeugend<br />
sich diese Ausführungen lesen, die<br />
Schlussfolgerung, dass sich die politische Chancengleichheit<br />
als ein spezifisch politisches<br />
Gleichheitsgebot aus der Garantie der politischen<br />
Rechte nach Art. 34 BV ergibt (S. 222),<br />
erfolgt dann doch etwas abrupt. Wohl nicht zuletzt<br />
deshalb doppelt Schaub mit der Menschenwürde<br />
nach, aus der ein Minimalanspruch auf<br />
politische Teilhabe fließt, und verweist darauf,<br />
dass bereits die Verfassung von 1848 die politische<br />
Gleichheit als strenge Chancengleichheit<br />
auffasste und gegen das Zensuswahlrecht ein-<br />
7<br />
Die Bundesverfassung (BV) ist abrufbar unter:<br />
http://www.admin.ch/ch/d/sr/c101.html.<br />
182