Linksliberale Enterhaken - PRuF

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03.11.2013 Aufrufe

Rezensionen MIP 2013 19. Jhrg. in die lokalen Parteistrukturen beider Volksparteien. Auf dieser Ebene der Parteiorganisation wird die zahlenmäßige Stärke älterer Menschen laut der Autorin besonders sichtbar. Verantwortlich hierfür seien die gute Erreichbarkeit und der Wegfall weiter Reisen zur Durchführung des politischen Engagements. Die Autorin beschreibt eine Situation, in der ältere Mitglieder wertvolle Ressourcen für ihre lokalen Parteiorganisationen zur Verfügung stellen, in der aber auch deutliche Konflikte zwischen älteren und jüngeren Parteimitgliedern existieren. Das politische Gewicht älterer Parteimitglieder sei zwar nicht genau messbar, aber gerade auf der lokalen Ebene nicht zu unterschätzen (S. 288-293). Insgesamt sieht Munimus trotz einer gewissen Heterogenität in den Lebens- und Interessenslagen älterer Menschen durchaus übergreifende, gemeinsame Interessen dieser Gruppe. Diese verortet sie vor allem auf sozialpolitischem Gebiet bei Fragen der finanziellen Ausstattung des Lebensabends und Forderungen nach einer guten medizinischen und pflegerischen Versorgung. Auch wenn die numerische Stärke älterer Menschen zwar bisher zu keiner Dominanz führe, sieht die Autorin jedoch Hinweise für einen antizipatorischen Effekt. So gäbe es deutliche Anzeichen, dass auf die Belange von Menschen über 60 Jahren häufiger und direkter eingegangen werde als auf die Bedürfnisse anderer Altersgruppen, da man um die quantitative Stärke von Menschen im Seniorenalter wisse (S. 323). Die Befunde von Bettina Munimus können als wichtige Basis für nachfolgende Arbeiten dienen und werfen eine Vielzahl weiterer Fragen auf. So ist beispielsweise von Interesse, wie stark der von Munimus beschriebene antizipatorische Effekt auf die Willensbildung von Parteien wirkt und welche Konsequenzen sich hieraus für den politischen Prozess in der Bundesrepublik ergeben. Die Dissertation liefert damit einen wichtigen Beitrag zur politikwissenschaftlichen Forschung zum Thema des demographischen Wandels und bietet eine Basis für weiterführende Forschungen auf diesem Gebiet. Dipl.-Pol. Sandra Brunsbach Jan Odenbach: Partei, Netz, Netzpartei. Meinungs- und Willensbildung in der Piratenpartei, Springer VS, Wiesbaden 2012, 118 S., ISBN 978-3-658-00375-3, 29,95 €. Jan Odenbach dringt in einen Forschungsbereich vor, der in aller Munde ist: Die Piratenpartei. Einige Werke, wie „Unter Piraten“ von Christoph Bieber, Claus Leggewie (Hrsg.), sind bereits erschienen, viele werden sicherlich noch folgen. Das Besondere am Vorliegenden ist der selbstexperimentelle Charakter. Der Autor begibt sich in die Höhle des Löwen, forscht und berichtet als Teil des zu untersuchenden Feldes. Einleitend in die konkrete Studie der Piratenpartei skizziert der Autor die Wirkungen massenmedialer Kommunikation auf die politische Öffentlichkeit. Auf dem Weg, dem Leser die Vorteile der Netzkommunikation näher zu bringen, gelingt es Odenbach, durch einfache und prägnante Formulierungen einschlägige Theorien kurz und klar darzustellen. Etablierte Parteien krankten an einer „one to many“-Kommunikation, welche zur Entfremdung der Parteiführung von der Basis führe, während onlinebasierte Kommunikation „many to many“-Kommunikation durch leichte Zugangsbarrieren ermögliche. Letztere sei flexibler und erlaube es der Organisation aufgrund niedriger Transaktionskosten Fehler zu machen und aus diesen zu lernen. Nach kurzer Klärung des Begriffs der „Netzpartei“ stellt der Autor organisations- und kommunikationssoziologische Grundlagen dar, um für die Untersuchung der Piratenpartei eine geeignete Methode zu entwickeln. Er entscheidet sich für die teilnehmende Beobachtung, bei der Interviews eine wichtige Rolle spielen. In schlichter Erzählform wird der Feldzugang nachgezeichnet. Als Untersuchungsfeld wird der Entwicklungsprozess des Grundsatzprogrammes im Berliner Landesverband der Piratenpartei bis hin zu seinem Beschluss auf der Mitgliederversammlung im Oktober 2010 gewählt. In den nächsten Kapiteln wird die „Politikherstellung“ mittels onlinebasierter Kommunikation unter die Lupe genommen und stets eine Parallele zu realweltlichen Kontakten gezogen. Der Autor kommt zum Schluss, dass Mailinglisten an 180

MIP 2013 19. Jhrg. Rezensionen Unübersichtlichkeit kranken, sobald sie eine bestimmte Größe erreichen. Zudem beobachtet Odenbach, dass unsachliche und emotionalisierte Meinungsäußerungen schnell eine Eigendynamik entwickeln. Kritiker, die zumeist in der Minderheit sind, können durch sogenannten Shitstorm Diskussionen lahmlegen. Einzelne Personen werden systematisch aus der Diskussion vertrieben. Mittels Twitter hingegen sei durch die Begrenzung der Zeichen eine bessere Koordinierung der Informationen möglich. Politikherstellung im obigen Sinne kann aber auch durch Twittern nicht bewerkstelligt werden. Den Schwerpunkt der Arbeit macht die Untersuchung der Liquid Democracy bzw. das Liquid Feedback (LQFB) aus. Dies ist besonders erfreulich, stellt diese Art der Willensbildung innerhalb von politischen Parteien doch eine Neuerscheinung dar. Besonders spannend ist einerseits die Frage, ob das LQFB geeignet ist, ein breiteres Publikum zur Partizipation zu bewegen und andererseits die Möglichkeit der Stimmendelegation. Das Ergebnis Odenbachs ist eher ernüchternd. Er kommt zum Schluss, dass das LQFB zwar eine gute Gelegenheit biete, streitige Fragen vorab aufzubereiten, die tatsächliche Willensbildung im Endeffekt doch in realweltlichen Treffen stattfinde. Auch ein Mehr an aktiven Teilnehmern ließe sich so nicht zwingend erreichen, da zumeist diejenigen, die LQFB benutzen gleichzeitig auch diejenigen sind, die später in persönlichen Treffen an entsprechenden Beschlüssen mitwirken. Das, was die lebensnahe Betrachtung nahelegt, ist schlussendlich auch das Resultat der hier vorgenommenen Untersuchung: Ein direktdemokratisches Modell, indem jeder über alles entscheidet, lässt sich auch nicht mittels LQFB bewerkstelligen. Wird Politik nur als Nebenbeschäftigung betrieben, so bleibt Zeit für ein oder zwei Themen. Im Übrigen ist man gezwungen, sich entweder aus dem Thema herauzuhalten oder seine Stimme weiter zu delegieren. Letzteres Mittel ist in seiner Wirkung nicht unumstritten. Eine einmal delegierte Stimme kann beliebig oft weiterdelegiert werden, sodass im Endeffekt jemand mit einer vom Delegierenden abweichenden politischen Einstellung über dessen Stimme verfügen kann. Interessant ist jedoch die Beobachtung Odenbachs, dass im Falle einer solchen „falschen“ Stimmennutzung schnell mittels Online-Kommunikation nicht nur die Stimme zurückgenommen werden kann, sondern dies auch rasch zu einem Vertrauensentzug beim Abstimmenden führen kann. Insgesamt ist Essenz der Untersuchung, dass digitale Kommunikation soziale Strukturen im Netz eher abbildet, als dass sie das Produkt von Netzkommunikation ist. Auch wenn der Erfolg der Piratenpartei derzeit auf der Kippe zu stehen scheint, ist es trotzdem oder gerade deswegen wichtig, das von Odenbach eher kurz behandelte Phänomen der Piratenpartei als Netzpartei auf die nächste Wissenschaftsstufe zu heben und sowohl aus sozialwissenschaftlicher als auch aus juristischer Sicht die Erscheinung der „Anti-Parteien“ insgesamt zu beleuchten. Ewgenij Sokolov Lukas Schaub: Die Finanzierung von Wahlund Abstimmungskämpfen. Ein Beitrag zum demokratischen Diskurs und zur politischen Chancengleichheit, jur. Diss. Universität Basel, Dike Verlag, Zürich/St. Gallen 2012, 422 S., ISBN 978-3-03751-423-8, 89,00 CHF/78,00 €. Ausgangspunkt von Lukas Schaubs Dissertation ist die These, dass die Qualität des demokratischen Willensbildungsprozesses der zentrale legitimitätsstiftende Faktor einer Demokratie und der von ihr ausgehenden Staatsgewalt ist (S. 1 f.). In einer medial dicht durchdrungenen Gesellschaft wird der Umfang der politischen Werbung maßgeblich durch die Ressourcen der Akteure bestimmt. Größere finanzielle Potenz wird zu einem Wettbewerbsvorteil, der die Offenheit und Vielfalt des Diskurses gefährden kann (S. 2). Um über die Notwendigkeit einer Regulierung der politischen Werbung sprechen zu können, beginnt Schaub (S. 7-45) mit Definitionen von Politik, politischer Kommunikation, Medialisierung der Politik sowie „Amerikanisierung“ der Wahl- und Abstimmungskämpfe und breitet die sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse zur politischen Werbung aus. Dabei ergänzt er die theore- 181

MIP 2013 19. Jhrg.<br />

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Unübersichtlichkeit kranken, sobald sie eine bestimmte<br />

Größe erreichen. Zudem beobachtet<br />

Odenbach, dass unsachliche und emotionalisierte<br />

Meinungsäußerungen schnell eine Eigendynamik<br />

entwickeln. Kritiker, die zumeist in der Minderheit<br />

sind, können durch sogenannten Shitstorm<br />

Diskussionen lahmlegen. Einzelne Personen werden<br />

systematisch aus der Diskussion vertrieben.<br />

Mittels Twitter hingegen sei durch die Begrenzung<br />

der Zeichen eine bessere Koordinierung der<br />

Informationen möglich. Politikherstellung im<br />

obigen Sinne kann aber auch durch Twittern<br />

nicht bewerkstelligt werden. Den Schwerpunkt<br />

der Arbeit macht die Untersuchung der Liquid<br />

Democracy bzw. das Liquid Feedback (LQFB)<br />

aus. Dies ist besonders erfreulich, stellt diese Art<br />

der Willensbildung innerhalb von politischen<br />

Parteien doch eine Neuerscheinung dar. Besonders<br />

spannend ist einerseits die Frage, ob das<br />

LQFB geeignet ist, ein breiteres Publikum zur<br />

Partizipation zu bewegen und andererseits die<br />

Möglichkeit der Stimmendelegation. Das Ergebnis<br />

Odenbachs ist eher ernüchternd. Er kommt<br />

zum Schluss, dass das LQFB zwar eine gute Gelegenheit<br />

biete, streitige Fragen vorab aufzubereiten,<br />

die tatsächliche Willensbildung im Endeffekt<br />

doch in realweltlichen Treffen stattfinde.<br />

Auch ein Mehr an aktiven Teilnehmern ließe<br />

sich so nicht zwingend erreichen, da zumeist<br />

diejenigen, die LQFB benutzen gleichzeitig auch<br />

diejenigen sind, die später in persönlichen Treffen<br />

an entsprechenden Beschlüssen mitwirken.<br />

Das, was die lebensnahe Betrachtung nahelegt,<br />

ist schlussendlich auch das Resultat der hier vorgenommenen<br />

Untersuchung: Ein direktdemokratisches<br />

Modell, indem jeder über alles entscheidet,<br />

lässt sich auch nicht mittels LQFB bewerkstelligen.<br />

Wird Politik nur als Nebenbeschäftigung<br />

betrieben, so bleibt Zeit für ein oder zwei<br />

Themen. Im Übrigen ist man gezwungen, sich<br />

entweder aus dem Thema herauzuhalten oder<br />

seine Stimme weiter zu delegieren. Letzteres<br />

Mittel ist in seiner Wirkung nicht unumstritten.<br />

Eine einmal delegierte Stimme kann beliebig oft<br />

weiterdelegiert werden, sodass im Endeffekt jemand<br />

mit einer vom Delegierenden abweichenden<br />

politischen Einstellung über dessen Stimme<br />

verfügen kann. Interessant ist jedoch die Beobachtung<br />

Odenbachs, dass im Falle einer solchen<br />

„falschen“ Stimmennutzung schnell mittels Online-Kommunikation<br />

nicht nur die Stimme zurückgenommen<br />

werden kann, sondern dies auch<br />

rasch zu einem Vertrauensentzug beim Abstimmenden<br />

führen kann.<br />

Insgesamt ist Essenz der Untersuchung, dass digitale<br />

Kommunikation soziale Strukturen im<br />

Netz eher abbildet, als dass sie das Produkt von<br />

Netzkommunikation ist.<br />

Auch wenn der Erfolg der Piratenpartei derzeit<br />

auf der Kippe zu stehen scheint, ist es trotzdem<br />

oder gerade deswegen wichtig, das von Odenbach<br />

eher kurz behandelte Phänomen der Piratenpartei<br />

als Netzpartei auf die nächste Wissenschaftsstufe<br />

zu heben und sowohl aus sozialwissenschaftlicher<br />

als auch aus juristischer Sicht die<br />

Erscheinung der „Anti-Parteien“ insgesamt zu<br />

beleuchten.<br />

Ewgenij Sokolov<br />

Lukas Schaub: Die Finanzierung von Wahlund<br />

Abstimmungskämpfen. Ein Beitrag zum<br />

demokratischen Diskurs und zur politischen<br />

Chancengleichheit, jur. Diss. Universität Basel,<br />

Dike Verlag, Zürich/St. Gallen 2012, 422 S.,<br />

ISBN 978-3-03751-423-8, 89,00 CHF/78,00 €.<br />

Ausgangspunkt von Lukas Schaubs Dissertation<br />

ist die These, dass die Qualität des demokratischen<br />

Willensbildungsprozesses der zentrale legitimitätsstiftende<br />

Faktor einer Demokratie und<br />

der von ihr ausgehenden Staatsgewalt ist (S. 1 f.).<br />

In einer medial dicht durchdrungenen Gesellschaft<br />

wird der Umfang der politischen Werbung<br />

maßgeblich durch die Ressourcen der Akteure<br />

bestimmt. Größere finanzielle Potenz wird zu einem<br />

Wettbewerbsvorteil, der die Offenheit und<br />

Vielfalt des Diskurses gefährden kann (S. 2).<br />

Um über die Notwendigkeit einer Regulierung<br />

der politischen Werbung sprechen zu können,<br />

beginnt Schaub (S. 7-45) mit Definitionen von<br />

Politik, politischer Kommunikation, Medialisierung<br />

der Politik sowie „Amerikanisierung“ der<br />

Wahl- und Abstimmungskämpfe und breitet die<br />

sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse zur politischen<br />

Werbung aus. Dabei ergänzt er die theore-<br />

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