Linksliberale Enterhaken - PRuF

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03.11.2013 Aufrufe

Rezensionen MIP 2013 19. Jhrg. mit weitgehend an Bedeutung. Ob angesichts deren zentraler Bedeutung, auch in machtpolitischer Hinsicht, die Erfolgswertbeliebigkeit wirklich akzeptiert werden kann, scheint mir sehr die Frage zu sein. Diese Feststellung ist nicht nur gegen die Thesen dieses Buches gerichtet, sondern auch gegen die herrschende Meinung, von der Äquivalenz von, wie es vereinfachend heißt, Mehrheitswahl und Verhältniswahl. Die beiden Autoren arbeiten auch nicht nur mit dieser groben Elle, nach der Entfaltung des verfassungsrechtlichen Maßstabes werden eine ganze Reihe von Einzelfragen detailliert erörtert, insbesondere die Verfassungsmäßigkeit der Überhangmandate, weiter etwa die Abschaffung der Verbindung der Landeslisten der Parteien und der Übergang zu separaten Listen in jedem Land, damit verbunden ist die Änderung, dass das gesamte Wahlgebiet als solches nur in Randaspekten rechnerisch in Erscheinung tritt, hauptsächlich aber die Mandatsverteilung jeweils nach den Landeslisten erfolgt. Wie viele Mandate in den Ländern der Bundesrepublik jeweils verteilt werden, bemisst sich nach der Wahlbeteiligung. Die vom Gesetzgeber zentral intendierte Beseitigung der Möglichkeiten negativer Stimmgewichte wird ebenso behandelt wie die eingeführte Regelung zu den Reststimmen. In all diesen weiteren Fragen wird detailliert argumentiert, an verschiedenen Stellen kommt aber immer wieder die Grundthese zum Tragen, nämlich dass die Wahlrechtsgleichheit nicht gegen die Entscheidung des Gesetzgebers in Stellung gebracht werden dürfe. Der dem Gesetzgeber bei der Ausformung des Wahlrechtes nach Ansicht von Grzeszick und Lang zustehende große Spielraum wird weiter dadurch verteidigt, dass die Wahlgesetzgebung – entgegen anderslautender Auffassungen – nicht als „Entscheidung in eigener Sache“ verstanden wird. Damit soll ausdrücklich eine bei Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache gebotene strengere verfassungsgerichtliche Prüfung nicht geboten sein. Dies wird damit begründet, dass die für die „Entscheidung in eigener Sache“ charakterisierende Interessenidentität innerhalb des Parlamentes nicht gegeben sei. Das überzeugt zum einen deswegen nicht, weil die aktuellen Parlamentsparteien durchaus ein Interesse teilen können, nämlich kleine und auch künftige neue Wettbewerber vom Wahlerfolg und dem Parlament möglichst fernzuhalten. Ein Kartellverdacht gegen die bislang erfolgreichen Parteien ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen und vom Bundesverfassungsgericht in Fragen der Parteienfinanzierung auch schon wirkmächtig angesprochen worden (s. BVerfGE 111, 382 ff.). Für die 5%-Klausel im Europawahlrecht gilt dasselbe. Zum zweiten ist aber auch zu sehen, dass das Wahlrecht die Wettbewerbsbedingungen zwischen den Parteien, auch denjenigen, die bereits im Parlament vertreten sind, beeinflussen kann. Die Festlegung der Wettbewerbsregeln – Wahlrecht ist Wettbewerbsrecht – durch die aktuelle Mehrheit ist und bleibt problematisch, gerade darauf zielt ja die Kennzeichnung des Wahlrechts als materielles Verfassungsrecht. Für eine Zurücknahme der Kontrollintensität besteht also kein Anlass, im Gegenteil: Wegen der Versuchung der Mehrheit, ein für sie günstiges Wahlrecht zu formulieren, ist hier eine strenge verfassungsrechtliche Prüfung angezeigt. Gerade jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts lassen erkennen, dass das Gericht die Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit, gerade auch in der Erscheinungsform der Erfolgswertgleichheit, stärker akzentuiert (hingewiesen sei auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der 5%-Klausel im Europawahlgesetz, BVerfGE 129, 300 ff.). Die Frage nach dem Verhältnis von gesetzgeberischer Freiheit zur Ausgestaltung des Wahlrechtes und der verfassungsrechtlichen Verpflichtung auf die Grundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG erhält von daher neuen Anlass, grundsätzlich durchdacht zu werden. Dieses Buch bietet in seiner Einseitigkeit hierzu anregenden Diskussionsstoff und wirft zu Recht die Frage nach der Bedeutung der Formel vom „Wahlrecht als materiellem Verfassungsrecht“ auf. Prof. Dr. Martin Morlok 174

MIP 2013 19. Jhrg. Rezensionen Marc Henschel: Die Partei als Marke – Marketing in der politischen Kommunikation am Beispiel des Bundestagswahlkampfs 2002 von Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Akademiker Verlag (inhaltlich unveränderte Neuauflage), Saarbrücken, 2012, 91 S., ISBN 978-3.639- 43721-8, 49,00 €. Im ersten Teil seine Buchs befasst sich der Autor mit den theoretischen Grundlagen politischen Marketings. Hierbei stellt er zunächst zusammenfassend die gängigen Beschreibungen dessen dar, was im Bereich der Wirtschaft als Marketing verstanden wird und welche Instrumente eingesetzt werden. Sodann untersucht Henschel die Kompatibilität einzelner Marketing-Instrumente mit den spezifischen Bedingungen der Politik und stellt anhand des Standes der Wissenschaft Gemeinsamkeiten, aber auch grundlegende Unterschiede heraus, wie sie sich etwa aus der binnendemokratischen Verfasstheit der Parteien ergeben. Die Perspektive wird dabei deutlich aus Sicht des Marketings eingenommen. Henschel arbeitet deskriptiv und aus Sicht der Notwendigkeiten eines erfolgreichen Marketings. Insoweit ist es vielleicht etwas weitgehend formuliert, wenn er zusammenfassend resümiert, dass politisches Marketing eine Ökonomisierung der Politik bedeute, welche die Interaktion zwischen politischen Wählern und Akteuren auf ein Tauschverhältnis reduziere. Zentrale Bedingung eines erfolgreichen Einsatzes von Marketinginstrumenten sei dabei eine Forcierung eines Top- Down Ansatzes bei der Willensbildung und eine Auslagerung des Wahlkampfmanagements, da die innerparteiliche Demokratie unter ökonomischen Gesichtspunkten hinderlich sei. Dies sollte vielleicht um „aus Sicht des Marketings betrachtet“ ergänzt werden. Denn hieraus Schlussfolgerungen über prinzipiellen Sinn und Unsinn der Übertragung von Marketinginstrumenten in die Politik zu ziehen, überlässt Henschel anderen. Aus Sicht des Juristen läuft Henschel dabei anhand seiner Formulierung womöglich Gefahr, von jenen als Kronzeugen (miss-?) verstanden zu werden, die die Übertragung von Marketinginstrumenten aus normativen Gründen ablehnen. Der zweite Teil der Arbeit widmet sich dann der Betrachtung der dargestellten Mechanismen anhand des Wahlkampfes von Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Jahr 2002. Dabei wird aufgezeigt, dass tatsächlich Bottom-Down Ansätze in die Tat umgesetzt wurden, vor allem, was die Strukturierung der internen Kommunikation angeht. Dabei werden auch die Schwierigkeiten selbst kleinerer Parteien deutlich, ein geschärftes Profil mit einem Allgemeinvertretungsanspruch in Einklang zu bringen. Auch die Limitierungen, die das Feld der Politik den Mechanismen des Marketings auferlegt, werden sichtbar. Insgesamt liefert die Arbeit einen kompakten und kurzweiligen Einstieg in die Funktionalitäten von Marketing im politischen Bereich in Theorie und Praxis. Der Ansatz ist dabei vorwiegend deskriptiv und liefert als solcher eine hilfreiche und griffige Grundlage für weitere Betrachtungen, die sich auch Fachfremden gut erschließt. Felix Terlinden Eckart Klein: Ein neues NPD-Verbotsverfahren? Rechtsprobleme beim Verbot politischer Parteien, Nomos Verlag, Baden-Baden 2012, 30 S., ISBN 978-3-8329-7571-5, 14 €. Nach der Aufdeckung der Serienmorde der NSU- Terrorzelle keimte erneut eine öffentliche Diskussion um ein Verbot der NPD auf. Beflügelt wurde diese Diskussion durch die Bekanntgabe der Festsetzungen der staatlichen Mittel für die politischen Parteien. Danach hat die NPD für das Jahr 2012 einen Anspruch auf etwa 1,4 Mio. Euro. Klein greift in seiner kurzen Schrift von gerade einmal 30 Seiten die Möglichkeit eines erneuten Verbotsverfahrens gegen die NPD aus juristischer Sicht auf und wagt an der einen oder anderen Stelle einen Ausflug in die rechtspolitische Perspektive. Eingangs gibt Klein einen kurzen Überblick über die Regelungen des Parteiverbots und die bisherigen Erfahrungen mit diesem besonderen Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland. Breiter wird dann das „Grundsatzdilemma“ (S. 10 ff.) erörtert. Kann in einer liberalen Demokratie überhaupt eine Partei, eine politische Organisation, die von Verfassung wegen an herausragender Stelle an der politischen Willensbildung des 175

Rezensionen<br />

MIP 2013 19. Jhrg.<br />

mit weitgehend an Bedeutung. Ob angesichts deren<br />

zentraler Bedeutung, auch in machtpolitischer<br />

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akzeptiert werden kann, scheint mir sehr die<br />

Frage zu sein. Diese Feststellung ist nicht nur<br />

gegen die Thesen dieses Buches gerichtet, sondern<br />

auch gegen die herrschende Meinung, von<br />

der Äquivalenz von, wie es vereinfachend heißt,<br />

Mehrheitswahl und Verhältniswahl.<br />

Die beiden Autoren arbeiten auch nicht nur mit<br />

dieser groben Elle, nach der Entfaltung des verfassungsrechtlichen<br />

Maßstabes werden eine ganze<br />

Reihe von Einzelfragen detailliert erörtert,<br />

insbesondere die Verfassungsmäßigkeit der<br />

Überhangmandate, weiter etwa die Abschaffung<br />

der Verbindung der Landeslisten der Parteien<br />

und der Übergang zu separaten Listen in jedem<br />

Land, damit verbunden ist die Änderung, dass<br />

das gesamte Wahlgebiet als solches nur in Randaspekten<br />

rechnerisch in Erscheinung tritt, hauptsächlich<br />

aber die Mandatsverteilung jeweils nach<br />

den Landeslisten erfolgt. Wie viele Mandate in<br />

den Ländern der Bundesrepublik jeweils verteilt<br />

werden, bemisst sich nach der Wahlbeteiligung.<br />

Die vom Gesetzgeber zentral intendierte Beseitigung<br />

der Möglichkeiten negativer Stimmgewichte<br />

wird ebenso behandelt wie die eingeführte Regelung<br />

zu den Reststimmen. In all diesen weiteren<br />

Fragen wird detailliert argumentiert, an verschiedenen<br />

Stellen kommt aber immer wieder<br />

die Grundthese zum Tragen, nämlich dass die<br />

Wahlrechtsgleichheit nicht gegen die Entscheidung<br />

des Gesetzgebers in Stellung gebracht werden<br />

dürfe.<br />

Der dem Gesetzgeber bei der Ausformung des<br />

Wahlrechtes nach Ansicht von Grzeszick und<br />

Lang zustehende große Spielraum wird weiter<br />

dadurch verteidigt, dass die Wahlgesetzgebung<br />

– entgegen anderslautender Auffassungen –<br />

nicht als „Entscheidung in eigener Sache“ verstanden<br />

wird. Damit soll ausdrücklich eine bei<br />

Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache<br />

gebotene strengere verfassungsgerichtliche Prüfung<br />

nicht geboten sein. Dies wird damit begründet,<br />

dass die für die „Entscheidung in eigener<br />

Sache“ charakterisierende Interessenidentität innerhalb<br />

des Parlamentes nicht gegeben sei.<br />

Das überzeugt zum einen deswegen nicht, weil<br />

die aktuellen Parlamentsparteien durchaus ein<br />

Interesse teilen können, nämlich kleine und auch<br />

künftige neue Wettbewerber vom Wahlerfolg<br />

und dem Parlament möglichst fernzuhalten. Ein<br />

Kartellverdacht gegen die bislang erfolgreichen<br />

Parteien ist nicht ohne weiteres von der Hand zu<br />

weisen und vom Bundesverfassungsgericht in<br />

Fragen der Parteienfinanzierung auch schon<br />

wirkmächtig angesprochen worden (s. BVerfGE<br />

111, 382 ff.). Für die 5%-Klausel im Europawahlrecht<br />

gilt dasselbe. Zum zweiten ist aber<br />

auch zu sehen, dass das Wahlrecht die Wettbewerbsbedingungen<br />

zwischen den Parteien, auch<br />

denjenigen, die bereits im Parlament vertreten<br />

sind, beeinflussen kann. Die Festlegung der<br />

Wettbewerbsregeln – Wahlrecht ist Wettbewerbsrecht<br />

– durch die aktuelle Mehrheit ist und<br />

bleibt problematisch, gerade darauf zielt ja die<br />

Kennzeichnung des Wahlrechts als materielles<br />

Verfassungsrecht. Für eine Zurücknahme der<br />

Kontrollintensität besteht also kein Anlass, im<br />

Gegenteil: Wegen der Versuchung der Mehrheit,<br />

ein für sie günstiges Wahlrecht zu formulieren,<br />

ist hier eine strenge verfassungsrechtliche Prüfung<br />

angezeigt.<br />

Gerade jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts<br />

lassen erkennen, dass das Gericht<br />

die Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit,<br />

gerade auch in der Erscheinungsform der Erfolgswertgleichheit,<br />

stärker akzentuiert (hingewiesen<br />

sei auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit<br />

der 5%-Klausel im Europawahlgesetz,<br />

BVerfGE 129, 300 ff.). Die Frage nach dem<br />

Verhältnis von gesetzgeberischer Freiheit zur<br />

Ausgestaltung des Wahlrechtes und der verfassungsrechtlichen<br />

Verpflichtung auf die Grundsätze<br />

des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG erhält von<br />

daher neuen Anlass, grundsätzlich durchdacht zu<br />

werden. Dieses Buch bietet in seiner Einseitigkeit<br />

hierzu anregenden Diskussionsstoff und<br />

wirft zu Recht die Frage nach der Bedeutung der<br />

Formel vom „Wahlrecht als materiellem Verfassungsrecht“<br />

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Prof. Dr. Martin Morlok<br />

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