Linksliberale Enterhaken - PRuF
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„Aufgespießt“ Philipp Erbentraut – Alle Macht den Eseln? [...] MIP 2013 19. Jhrg.<br />
Alle Macht den Eseln? Die Kür eines<br />
Vierbeiners als Wahlkandidat<br />
in Ecuador belebt eine alte Traditionslinie<br />
der Demokratiekritik<br />
Philipp Erbentraut M.A. 1<br />
Er kam, sah und iahte. Die um ein Haar erfolgreiche<br />
Kandidatur eines Esels zu den Abgeordnetenwahlen<br />
in Ecuador sorgte kürzlich weltweit<br />
für Aufsehen. Eine Gruppe junger Aktivisten in<br />
dem südamerikanischen Land wollte mit der Kür<br />
des Vierbeiners auf die Inkompetenz vieler Kandidaten<br />
für die Asamblea Nacional aufmerksam<br />
machen. Unter anderem bewarben sich zu den<br />
Parlamentswahlen am 17. Februar dieses Jahres<br />
Fußballer, Schauspieler und Fernsehsternchen<br />
um die begehrten Mandate. Warum dann nicht<br />
gleich ein Esel, dachten sich wohl die jungen<br />
Leute. Die zuständigen Behörden wiesen das<br />
Tier allerdings ab. Begründung: Die Bewerbung<br />
verletze die Würde des Parlaments. Auch der<br />
schöne rote Schlips, den „Don Burro“ (Herr<br />
Esel) vor dem Wahlamt von Guayaquil trug, half<br />
da nicht. 2 Mehr Erfolg hatte Herr Esel dagegen<br />
im Internet, wo er mit mehreren zehntausend<br />
Followern binnen weniger Tage zur Ikone für<br />
Ecuadors Twittergeneration avancierte.<br />
Was nun auf den ersten Blick wie der übliche<br />
Politklamauk für die Panorama-Seiten der Zeitungen<br />
anmutet, knüpft bei näherer Betrachtung<br />
jedoch an eine alte demokratietheoretische Tradition<br />
an. Tatsächlich gibt es eine ideengeschichtlich<br />
faszinierende Korrespondenzrelation<br />
zwischen der Herrschaft des Volkes und der Gestalt<br />
des Esels. Bereits seit der Antike fungiert<br />
der Esel als Reittier der Demokratiekritik. Die<br />
Eselmetapher soll dabei die Demokratie denunzieren,<br />
in der unqualifizierte Bürger an der Poli-<br />
1<br />
Der Verfasser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut<br />
für Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-<br />
Universität Düsseldorf.<br />
2<br />
Vgl. Esel als Kandidat abgewiesen, in: Süddeutsche<br />
Zeitung am 17./18. November 2012, S. 8.<br />
tik teilnehmen und ihnen ein Übermaß an individueller<br />
Freiheit gewährt wird.<br />
So berichtet Platon um 370 vor Christus in der<br />
Politeia von einer unerhörten Begebenheit aus<br />
Athen. Von der Zügellosigkeit der demokratischen<br />
Playboys in der Stadt angesteckt, seien<br />
selbst die Haustiere außer Rand und Band geraten,<br />
kenne der durch die Volksherrschaft hervorgerufene<br />
Sittenverfall keine Grenzen mehr. So<br />
seien etwa „Pferde und Esel“ gewohnt, „völlig<br />
frei einherzuschreiten und jeden, dem sie auf der<br />
Straße begegnen, anzurennen, wenn er ihnen<br />
nicht aus dem Wege geht“ 3 . Die gerechte Ordnung<br />
ist damit für Platon auf den Kopf gestellt.<br />
Nicht von Philosophenkönigen wird die Attische<br />
Polis regiert, sondern von einfältigen Eseln.<br />
Buridans Esel als Zerrbild einer liberalen Demokratie, Quelle: Karikatur<br />
aus dem New York Herald (um 1900), Urheber W. A. Rogers<br />
Auch aus dem Gleichnis von Buridans Esel, der<br />
nicht in der Lage ist, zwischen zwei gleich<br />
großen Heuhaufen zu wählen und deshalb verhungern<br />
muss, lässt sich unschwer das Zerrbild<br />
einer liberalen Demokratie ohne inneren Wertekompass<br />
modeln. In einer Karikatur im New<br />
York Herald um 1900 wird auf diese Weise der<br />
damalige US-Kongress als tumber Esel veralbert,<br />
der sich nicht entscheiden kann, einen Kanal<br />
durch Panama oder Nicaragua zu bauen und<br />
deshalb täglich Millionen Dollar verliert. Eine<br />
zur Dezision unfähige Ordnung wie diese, höhn-<br />
3<br />
Platon: Der Staat (um 370 v. Chr.), Jubiläumsausgabe<br />
Sämtlicher Werke, Bd. 4, eingeleitet von Olof Gigon,<br />
übertragen von Rudolf Rufener, Zürich und München<br />
1974, S. 428.<br />
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