Linksliberale Enterhaken - PRuF

Linksliberale Enterhaken - PRuF Linksliberale Enterhaken - PRuF

03.11.2013 Aufrufe

Aufgespießt Aiko Wagner/Antonia May – Linksliberale Enterhaken [...] MIP 2013 19. Jhrg. sich selbst auf der Links-Rechts-Skala einschätzen. Für die Sympathisierenden anderer Parteien beträgt der Anteil zwischen 85 und 90 Prozent. Demnach sind diese beiden zentralen politischen Richtungsbegriffe 12 auch für die in ihrem Selbstverständnis angeblich allein ‚vorn’ zu verortende Partei von Bedeutung. Die Nichtwähler – die Befragten, die für die Sonntagsfrage angeben, wahrscheinlich oder sicher nicht an der Wahl teilnehmen zu wollen – sind fast genau in der Mitte des ideologischen Raumes zu finden. Abbildung 1: Ideologische Selbsteinschätzung und Demokratiezufriedenheit der Sympathisanten der im Bundestag vertretenen Parteien, der Piratenpartei sowie der Nichtwähler Anmerkung: Selbsteinschätzung der Parteisympathisanten: Mittelwerte und 95%- Konfidenzintervalle auf der Links-Rechts-Achse (horizontal) sowie der Demokratiezufriedenheit (vertikal) Wie steht es um die angebliche Mobilisierung politikverdrossener Bürger? Wenn die Piratenpartei ihre Sympathisanten größtenteils aus unzufriedenen und politikverdrossenen Nichtwählern rekrutierte, wäre die Konkurrenzsituation zu den linken Parteien eher gering. Zudem wäre das Erstarken der Piratenpartei mit einem positiven Effekt hinsichtlich höherer Partizipation verbunden. Die Abbildung 1 zeigt auf der vertikalen Achse dazu die Demokratiezufriedenheitswerte als Indikator für die Politikverdrossenheit. Die Frage, wie zufrieden oder unzufrieden sie mit der Demokratie in Deutschland sind, beantworten die Sympathisanten von Union, SPD, FDP und den Grünen im Mittel eher positiv. Die An- hänger der Linken und der Piraten sind im Mittel etwas unzufriedener; der Anteil (sehr oder ziemlich) Zufriedener liegt bei etwa 20 Prozent, lediglich die Nichtwähler weisen mit unter zehn Prozent noch geringere Werte auf. Piratenanhänger unterscheiden sich hinsichtlich generalisierter politischer Positionen nicht von den Anhängern von SPD und Grünen, bezüglich der Evaluierung des Funktionierens der Demokratie stehen sie den Anhängern der Linken nahe und nur sehr viel geringer den Nichtwählern. Diese Ergebnisse verweisen zum einen auf eine stärkere Konkurrenzsituation der Piraten zu den drei bisherigen Parteien des linken Spektrums als auf eine Mobilisierung unzufriedener Nichtwähler. Zum anderen spiegelt die Selbstverortung der Anhängerschaft die Position der Parteiprogrammatik im linksliberalen Bereich zu einem großen Teil wider. 13 Wenn nun aber die Anhänger der Piraten sich kaum von denen der anderen linken Parteien unterscheiden, wieso konnte die Piratenpartei dann überhaupt ein solches Unterstützerreservoir aufbauen? Bislang haben wir ausschließlich auf die Verteilungen zentraler Kenngrößen geblickt und dabei implizit angenommen, dass die Zusammenhänge zwischen inhaltlicher Selbstverortung und Parteiunterstützung für alle Parteien gleich seien – wenn meine Position der Position der Soizialdemokraten nahe ist, stimme ich für sie, wenn ich den Grünen näher stehe, dann votiere ich für diese. Dass selbes auch für die Piraten gilt, ist zwar nicht unplausibel, aber eben nicht empirisch gesichert. Gerade vor dem Hintergrund der angeblichen Andersartigkeit der Pira- 12 Vgl. zur Bedeutung des Links-Rechts-Schemas z.B. Dieter Fuchs und Hans-Dieter Klingemann 1990: The Left-Right Schema, in: M. Kent Jennings und Jan W. van Deth (Hrsg.): Continuities in Political Action, de Gruyter, S. 203-234. 13 Vgl. umfassend zur Programmatik Marc Debus und Thorsten Faas 2013: Die Piratenpartei in der ideologischprogrammatischen Parteienkonstellation Deutschlands: Das Füllen einer Lücke?, in: Oskar Niedermayer (Hrsg.): Die Piratenpartei, Springer VS, S. 175-188. 132

MIP 2013 19. Jhrg. Aiko Wagner/Antonia May – Linksliberale Enterhaken [...] Aufgespießt ten ist es durchaus denkbar, dass die Gründe für die Wahl bzw. Unterstützung dieser andere sind als für andere Parteien. Wenn dies der Fall ist, wären die berichteten Ähnlichkeiten wenig relevant. Jedoch lassen sich auch hier keine Besonderheiten der Piraten erkennen – die Gründe der Wahlentscheidung sind die gleichen wie für die Bundestagsparteien. Ein Regressionsmodell zur Erklärung der Wahlabsicht einer Partei stärkt vielmehr die oben vorgestellten deskriptiven Befunde: Die berichtete Wahlabsicht der Befragten wurde mittels des Alters und Geschlechts, ihrer ideologischen Selbsteinstufung sowie ihrer Demokratiezufriedenheit erklärt. Im Bezug auf die prospektiven Piratenwähler zeigen sich vier deutliche und statistisch signifikante Ergebnisse: Erstens sind sie jünger als die Wähler aller anderen Parteien und der Nichtwähler. Zudem ist, zweitens, der Anteil männlicher Wähler deutlich höher. Drittens verorten sich die Wähler der FDP und der Unionsparteien signifikant weiter rechts auf der zentralen ideologischen Achse des politischen Wettbewerbs, während die Grünenund die Linkenwähler links von den Piratenwählern stehen. Die ideologische Selbstverortung unterscheidet jedoch nicht verlässlich zwischen SPD und Piratenpartei. Viertens sind Piratenwähler signifikant unzufriedener mit der Demokratie als die Wähler aller anderen Parteien, mit Ausnahme der Linken. Ihre Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Zustand der Demokratie in der Bundesrepublik ist jedoch geringer als die der Nichtwähler. Interessanterweise kann in diesem auf den ersten Blick ernüchternden Befund sowohl eine Erklärung für das Erstarken als auch für den momentanen Sinkflug der Piraten gefunden werden. Fassen wir kurz zusammen: Erstens, hinsichtlich der ideologischen Positionierung schließen die Piraten keine Lücke – im Gegenteil, der gemäßigt linke Bereich ist der am dichtesten von Parteien besiedelte Raum im deutschen Parteiensystem. Zweitens, das Binden von mit dem Funktionieren der Demokratie eher Unzufriedenen ist kein Alleinstellungsmerkmal der Piratenpartei. Drittens, sozialstrukturell richten sie sich nicht an eine spezifische, bislang kaum repräsentierte Gruppe – gerade höher gebildete Männer gelten nicht als unterrepräsentiert. Viertens, sind die Zusammenhänge zwischen Einstellungen und Soziodemographie auf der einen und Wahlentscheidung auf der anderen Seite für die Piraten nicht grundsätzlich verschieden von den Zusammenhängen für andere Parteien. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die vor allem seit der zweiten Jahreshälfte 2012 stärkere Betonung von politischen Positionen und der damit verbundene relative Bedeutungsverlust der Polity- und Politics-Dimension der piratischen Politik nicht zum elektoralen Erfolg der Piratenpartei beiträgt. Solange sie nicht vornehmlich als Partei mit inhaltlichem Sonderstatus wahrgenommen wurde, sondern als Repräsentantin eines neuen, flexibleren, ‚flüssigen’ Politikstils und als Verfechterin transparenterer demokratischer Institutionen, konnte sie trotz der schraffierten ‚Nichtbesonderheit’ Erfolge feiern. Aber bereits nach ihrem Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus wurde der Ruf nach einer inhaltlichen Profilierung laut – und die Piraten folgten diesem. Die damit verbundene Wahrnehmung, dass Policies auch bei den Piraten als wichtiger gelten würden als Fragen der institutionellen Dimension und bezüglich der Prozesse des Politischen, führt dann folgerichtig dazu, dass sie ihre Sonderstellung verlieren. Ohne diese aber verlieren sie ihre Attraktivität und damit ihre Unterstützerbasis. Dass sich die Piraten hinsichtlich ihrer Transparenz- und Beteiligungsvorstellungen von den etablierten Parteien unterscheiden, ist evident. Bezogen auf die inhaltlichen Politikpräferenzen ihrer Anhängerschaft sind die Piraten aber keineswegs eine Partei sui generis. In dem Maße, in dem sie sich zu etablieren vermögen, tragen sie zu einer weiteren Fragmentierung des linken Spektrums der Parteienlandschaft bei. Ob die Partei aber als relevanter Faktor der bundesdeutschen Politik Bestand haben wird, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es der Piratenpartei gelingt, die organisatorischen Herausforderungen zu bestehen, die für eine Professionalisierung im parlamentarischen Betrieb notwendig sind, ohne ihre anfangs enthusiastisch engagierte Anhängerschaft zu verprellen. 133

Aufgespießt Aiko Wagner/Antonia May – <strong>Linksliberale</strong> <strong>Enterhaken</strong> [...] MIP 2013 19. Jhrg.<br />

sich selbst auf der Links-Rechts-Skala einschätzen.<br />

Für die Sympathisierenden anderer Parteien<br />

beträgt der Anteil zwischen 85 und 90 Prozent.<br />

Demnach sind diese beiden zentralen politischen<br />

Richtungsbegriffe 12 auch für die in ihrem Selbstverständnis<br />

angeblich allein ‚vorn’ zu verortende<br />

Partei von Bedeutung. Die Nichtwähler – die<br />

Befragten, die für die Sonntagsfrage angeben,<br />

wahrscheinlich oder sicher nicht an der Wahl<br />

teilnehmen zu wollen – sind fast genau in der<br />

Mitte des ideologischen Raumes zu finden.<br />

Abbildung 1: Ideologische Selbsteinschätzung und Demokratiezufriedenheit der<br />

Sympathisanten der im Bundestag vertretenen Parteien, der Piratenpartei sowie der<br />

Nichtwähler<br />

Anmerkung: Selbsteinschätzung der Parteisympathisanten: Mittelwerte und 95%-<br />

Konfidenzintervalle auf der Links-Rechts-Achse (horizontal) sowie der Demokratiezufriedenheit<br />

(vertikal)<br />

Wie steht es um die angebliche Mobilisierung<br />

politikverdrossener Bürger? Wenn die Piratenpartei<br />

ihre Sympathisanten größtenteils aus unzufriedenen<br />

und politikverdrossenen Nichtwählern<br />

rekrutierte, wäre die Konkurrenzsituation zu<br />

den linken Parteien eher gering. Zudem wäre das<br />

Erstarken der Piratenpartei mit einem positiven<br />

Effekt hinsichtlich höherer Partizipation verbunden.<br />

Die Abbildung 1 zeigt auf der vertikalen<br />

Achse dazu die Demokratiezufriedenheitswerte<br />

als Indikator für die Politikverdrossenheit. Die<br />

Frage, wie zufrieden oder unzufrieden sie mit<br />

der Demokratie in Deutschland sind, beantworten<br />

die Sympathisanten von Union, SPD, FDP<br />

und den Grünen im Mittel eher positiv. Die An-<br />

hänger der Linken und der Piraten sind im Mittel<br />

etwas unzufriedener; der Anteil (sehr oder ziemlich)<br />

Zufriedener liegt bei etwa 20 Prozent, lediglich<br />

die Nichtwähler weisen mit unter zehn<br />

Prozent noch geringere Werte auf.<br />

Piratenanhänger unterscheiden sich hinsichtlich<br />

generalisierter politischer Positionen nicht von<br />

den Anhängern von SPD und Grünen, bezüglich<br />

der Evaluierung des Funktionierens der Demokratie<br />

stehen sie den Anhängern der Linken nahe<br />

und nur sehr viel geringer den Nichtwählern.<br />

Diese Ergebnisse verweisen<br />

zum einen auf eine<br />

stärkere Konkurrenzsituation<br />

der Piraten zu den<br />

drei bisherigen Parteien<br />

des linken Spektrums als<br />

auf eine Mobilisierung<br />

unzufriedener Nichtwähler.<br />

Zum anderen spiegelt<br />

die Selbstverortung der<br />

Anhängerschaft die Position<br />

der Parteiprogrammatik<br />

im linksliberalen<br />

Bereich zu einem großen<br />

Teil wider. 13<br />

Wenn nun aber die Anhänger<br />

der Piraten sich<br />

kaum von denen der anderen linken Parteien unterscheiden,<br />

wieso konnte die Piratenpartei dann<br />

überhaupt ein solches Unterstützerreservoir aufbauen?<br />

Bislang haben wir ausschließlich auf die<br />

Verteilungen zentraler Kenngrößen geblickt und<br />

dabei implizit angenommen, dass die Zusammenhänge<br />

zwischen inhaltlicher Selbstverortung<br />

und Parteiunterstützung für alle Parteien gleich<br />

seien – wenn meine Position der Position der<br />

Soizialdemokraten nahe ist, stimme ich für sie,<br />

wenn ich den Grünen näher stehe, dann votiere<br />

ich für diese. Dass selbes auch für die Piraten<br />

gilt, ist zwar nicht unplausibel, aber eben nicht<br />

empirisch gesichert. Gerade vor dem Hintergrund<br />

der angeblichen Andersartigkeit der Pira-<br />

12<br />

Vgl. zur Bedeutung des Links-Rechts-Schemas z.B.<br />

Dieter Fuchs und Hans-Dieter Klingemann 1990: The<br />

Left-Right Schema, in: M. Kent Jennings und Jan W.<br />

van Deth (Hrsg.): Continuities in Political Action, de<br />

Gruyter, S. 203-234.<br />

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Vgl. umfassend zur Programmatik Marc Debus und<br />

Thorsten Faas 2013: Die Piratenpartei in der ideologischprogrammatischen<br />

Parteienkonstellation Deutschlands:<br />

Das Füllen einer Lücke?, in: Oskar Niedermayer (Hrsg.):<br />

Die Piratenpartei, Springer VS, S. 175-188.<br />

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