Linksliberale Enterhaken - PRuF
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Aufgespießt Aiko Wagner/Antonia May – Linksliberale Enterhaken [...] MIP 2013 19. Jhrg. „Aufgespießt“ Linksliberale Enterhaken. Geht die Fragmentierung des Parteiensystems in eine neue Runde? Aiko Wagner 1 / Antonia May 2 „Wo sitzt ihr eigentlich, ganz links, ganz rechts – oder im Computerraum?“ – Roland Theiss (CDU), in: Süddeutsche Zeitung, 26.3.2012. Nachdem die Piraten in vier der letzten fünf Landtagswahlen Erfolge feiern konnten, wollen sie im Herbst 2013 in den Bundestag einziehen. Glaubt man den aktuellen Zahlen der Umfrageinstitute, erscheint dieses Vorhaben jedoch unsicher. Warum ist der Höhenflug des Frühjahrs 2012 beendet? Dieses Popularitätstief lässt sich nur erklären, wenn auch die Hintergründe des vorherigen Erfolgs verstanden werden. Was steckt also hinter den heftigen Schwankungen? Ein Erklärungsansatz zu Aufstieg und Fall neuer Parteien konzentriert sich auf ihre Positionierung, vor allem im Bezug zu anderen Parteien. Daher wollen wir im Folgenden zeigen, wo der politische Neuling steht und fragen, ob sich hierüber das Auf und Ab verstehen lässt. Informationen über die inhaltlichen politischen Vorstellungen der Piratenpartei sind jedoch weder umfassend noch widerspruchslos genug, um problemlos einen Vergleich mit den Positionen der anderen großen Parteien anstellen zu können. Dies liegt zum Teil an den sich noch immer im Entstehungsprozess befindenden Parteiprogrammen und an den Charakteristiken der Meinungsbildungsprozesse der Piraten. Nicht zuletzt durch 1 Der Verfasser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Abteilung Demokratie und Demokratisierung. 2 Die Verfasserin ist studentische Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Abteilung Demokratie und Demokratisierung. ihre auf Inklusion und Diskursivität bedachten und daher zeitintensiven Verfahren kommt es nur langsam zu einer Festschreibung der inhaltlichen Programmpunkte. Daher sollen im Folgenden nicht die Parteipositionen im engeren Sinn, sondern vor allem das Einstellungsprofil jener in den Fokus gerückt werden, die sich in ihrer Selbstbeschreibung zur potenziellen Wählerschaft 3 der Piraten zählen. 4 Die Piraten sind „weder links noch rechts, sondern vorne“. 5 So lautet ihre Selbstbeschreibung zuweilen. Als eine Alternative zum herkömmlichen Parteienangebot, als völlig neue Erscheinung des bundesdeutschen Parteiensystems beschreiben sie sich gern und meinen damit (auch), für die klassische Verortung durch die Wahlund Parteienforschung unzugänglich zu sein. Positionierungsversuche im parteieigenen Piratenwiki zeigen große Distanzen zu allen etablierten Parteien. 6 Ihr Markenkern bezieht sich vor allem auf bürgerliche Freiheitsrechte, vor allem hinsichtlich der Anwendung von Datenschutz- Grundrechten im Internet. Die Debatte um Internetsperren hat den Policy-Standpunkt der Piratenpartei hierzu in der Öffentlichkeit bekannt gemacht. 7 Der zweite Schwerpunkt umfasst die hohe Wertschätzung direktdemokratischer Verfahren sowie die Forderungen nach mehr Transparenz des politischen Prozesses, bezieht sich damit auf die Politics- und Polity-Dimensionen, 3 Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass das vorrangig genutzte Maskulinum – sofern nicht explizit auf ein Geschlecht verwiesen wird – dem Lesefluss geschuldet ist und demnach beispielsweise die Wählerschaft Wähler*innen miteinbegreift. 4 Datengrundlage ist eine Umfrage im Auftrag des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) vom Dezember 2012. Befragt wurden insgesamt 2.901 Wahlberechtigte. Als Anhänger und Sympathisanten werden diejenigen Personen bezeichnet, die eine über 50-prozentige Wahrscheinlichkeit angaben, der jeweiligen Partei zukünftig die Stimme geben zu wollen. 5 Kai Biermann und Tina Klopp, 22.09.2009, Die Zeit – Onlineausgabe, Zugriff: 07.01.2013, http://www.zeit.de/ politik/deutschland/2009-09/piraten-partei-revolution. 6 Vgl. die Darstellung auf http://wiki.piratenpartei.de/ wiki/images/d/d6/Wertedreieck.png. 7 Vgl. Henning Bartels 2009: Die Piratenpartei. Entstehung, Forderungen und Perspektiven der Bewegung, Contumax-Verlag. 130
MIP 2013 19. Jhrg. Aiko Wagner/Antonia May – Linksliberale Enterhaken [...] Aufgespießt also auf die Fragen, wie und unter welchen Verfahrensregeln Politik betrieben werden sollte. 8 Zwei Einschätzungen zur Piratenpartei sind zu unterscheiden. Die erste ist die der medialen Öffentlichkeit. Die Berichterstattung ging vor allem während des Popularitätshochs davon aus, dass die Piratenpartei Wählergruppen anspräche, die sich im bisherigen Politikbetrieb nicht wiedergefunden hätten und nun, jenseits des bestehenden Parteienspektrums, ihre politische Heimat fänden. Dementsprechend wurde den Piraten eine Wählerklientel aus Protestwählern und Politikverdrossenen attestiert, die bislang oftmals den Weg an die Wahlurnen nicht gefunden hätten. In diesem Zusammenhang wurde eine ideologische Nicht-Verortbarkeit der Piratenpartei unterstrichen und lediglich soziodemographische Auffälligkeiten der Mitglieder wie der Anhängerschaft herausgestellt. Die andere Position wird vermehrt von politikwissenschaftlichen Arbeiten auf empirischer Basis eingenommen. Hier mehren sich die Stimmen, die den parlamentarischen Neuling klar in der linksliberalen Sphäre verorten. 9 Damit stünden die Piraten in direkter Konkurrenz zu den Bündnisgrünen, zur SPD und der Linken. Trifft die erste Position, die eine Verortungsmöglichkeit der Piraten verneint, zu, wäre eine Positionierung der Piratenanhänger im politischen Raum zusammen mit denen anderer Parteien nicht sinnvoll möglich. Die Partei wäre vornehmlich durch den Politikstil charakterisiert und eine Beschreibung als neuartig, als Partei sui generis, nicht überzogen. Sind die Piraten, wie die zweite Position nahe legt, lediglich eine neue Ausdifferenzierung des linksliberalen Spektrums, sollte eine Einordnung der Sympa- 8 Zu Liquid Feedback-Prozeduren siehe z.B. Simon T. Franzmann 2012: Wie der Erfolg der Piratenpartei Gesellschaft, Politik und Politikwissenschaft herausfordert, in: MIP 18, S. 123-126, und Sebastian Buck 2012: Liquid Democracy – eine Realisierung deliberativer Hoffnungen? Zum Selbstverständnis der Piratenpartei, in: ZParl. (3), S. 626-635. 9 Siehe den sehr lesenswerten Überblick von Marc Debus und Thorsten Faas 2013: Die Piratenpartei in der ideologisch-programmatischen Parteienkonstellation Deutschlands: Das Füllen einer Lücke?, in: Oskar Niedermayer (Hrsg.): Die Piratenpartei, Springer VS, S. 175-188. thisierenden der Piraten in den bisherigen Politikraum möglich sein. Nach einem kurzen Blick auf die soziodemographischen Charakteristika der Piratenanhängerschaft fragen wir daher, wo sie im Politikraum ihre Heimat hat, wenn sie sich denn zwischen den üblichen Polen ‚links’ und ‚rechts’ verorten lässt. Mittlerweile sind die soziodemographischen Eigenheiten der Wähler- und Mitgliederklientel der Piratenpartei weitgehend bekannt. 10 Es finden sich daher auch wenig überraschend die medial diskutierten Besonderheiten der Piratenmitglieder ebenso unter den hier untersuchten Sympathisanten wieder – sowohl der Männeranteil als auch der Anteil der unter 35jährigen ist höher als für jede der anderen Parteien. Für das politische Verhalten sind jedoch politische Einstellungen von größerer Relevanz als sozialstrukturelle Charakteristika einer Person. Welche Positionen vertreten die Sympathisanten der Piraten inhaltlich? Abbildung 1 zeigt dazu auf der x-Achse die mittlere ideologische Selbsteinschätzung der Sympathisanten der im Bundestag vertretenen Parteien, der Piratenanhängerschaft sowie der Nichtwähler. Erkennbar wird die Trennung der Wählerschaft in bürgerliches und linkes Lager. Sympathisierende der Piraten lassen sich in ihrer ideologischen Selbstverortung zwischen denen der SPD und Bündnis90/Die Grünen finden. 11 Sie sind damit Teil eines differenzierteren Mitte-Links-Lagers und treten dadurch insbesondere mit diesen Parteien in den Wettbewerb um Wählerstimmen. Die Selbsteinordnung zwischen links und rechts funktioniert dabei für die Piraten ebenso gut wie für die Anhängerschaften der anderen Parteien: Über 87 Prozent der Piratenanhänger können 10 Siehe dazu beispielsweise die Darstellungen bei Oskar Niedermayer 2013: Die Wähler der Piratenpartei: wo kommen sie her, wer sind sie und was bewegt sie zur Piratenwahl?, in: ders. (Hrsg.): Die Piratenpartei, Springer VS, S. 63-74, und Stefanie Haas und Richard Hilmer 2013: Backboard oder Steuerboard: Wo stehen die Piraten politisch?, in: Oskar Niedermayer (Hrsg.): Die Piratenpartei, Springer VS, S. 75-80. 11 Vgl. ähnlich Holger Onken und Sebastian H. Schneider 2012: Entern, kentern oder auflaufen? Zu den Aussichten der Piratenpartei im deutschen Parteiensystem, in: ZParl. (3), S. 609-625. 131
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Aufgespießt Aiko Wagner/Antonia May – <strong>Linksliberale</strong> <strong>Enterhaken</strong> [...] MIP 2013 19. Jhrg.<br />
„Aufgespießt“<br />
<strong>Linksliberale</strong> <strong>Enterhaken</strong>. Geht die<br />
Fragmentierung des Parteiensystems<br />
in eine neue Runde?<br />
Aiko Wagner 1 /<br />
Antonia May 2<br />
„Wo sitzt ihr eigentlich, ganz links, ganz rechts<br />
– oder im Computerraum?“ – Roland Theiss<br />
(CDU), in: Süddeutsche Zeitung, 26.3.2012.<br />
Nachdem die Piraten in vier der letzten fünf<br />
Landtagswahlen Erfolge feiern konnten, wollen<br />
sie im Herbst 2013 in den Bundestag einziehen.<br />
Glaubt man den aktuellen Zahlen der Umfrageinstitute,<br />
erscheint dieses Vorhaben jedoch unsicher.<br />
Warum ist der Höhenflug des Frühjahrs<br />
2012 beendet? Dieses Popularitätstief lässt sich<br />
nur erklären, wenn auch die Hintergründe des<br />
vorherigen Erfolgs verstanden werden. Was<br />
steckt also hinter den heftigen Schwankungen?<br />
Ein Erklärungsansatz zu Aufstieg und Fall neuer<br />
Parteien konzentriert sich auf ihre Positionierung,<br />
vor allem im Bezug zu anderen Parteien.<br />
Daher wollen wir im Folgenden zeigen, wo der<br />
politische Neuling steht und fragen, ob sich hierüber<br />
das Auf und Ab verstehen lässt.<br />
Informationen über die inhaltlichen politischen<br />
Vorstellungen der Piratenpartei sind jedoch weder<br />
umfassend noch widerspruchslos genug, um<br />
problemlos einen Vergleich mit den Positionen<br />
der anderen großen Parteien anstellen zu können.<br />
Dies liegt zum Teil an den sich noch immer im<br />
Entstehungsprozess befindenden Parteiprogrammen<br />
und an den Charakteristiken der Meinungsbildungsprozesse<br />
der Piraten. Nicht zuletzt durch<br />
1<br />
Der Verfasser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum<br />
Berlin für Sozialforschung (WZB),<br />
Abteilung Demokratie und Demokratisierung.<br />
2<br />
Die Verfasserin ist studentische Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum<br />
Berlin für Sozialforschung (WZB),<br />
Abteilung Demokratie und Demokratisierung.<br />
ihre auf Inklusion und Diskursivität bedachten<br />
und daher zeitintensiven Verfahren kommt es<br />
nur langsam zu einer Festschreibung der inhaltlichen<br />
Programmpunkte. Daher sollen im Folgenden<br />
nicht die Parteipositionen im engeren Sinn,<br />
sondern vor allem das Einstellungsprofil jener in<br />
den Fokus gerückt werden, die sich in ihrer<br />
Selbstbeschreibung zur potenziellen Wählerschaft<br />
3 der Piraten zählen. 4<br />
Die Piraten sind „weder links noch rechts, sondern<br />
vorne“. 5 So lautet ihre Selbstbeschreibung<br />
zuweilen. Als eine Alternative zum herkömmlichen<br />
Parteienangebot, als völlig neue Erscheinung<br />
des bundesdeutschen Parteiensystems beschreiben<br />
sie sich gern und meinen damit (auch),<br />
für die klassische Verortung durch die Wahlund<br />
Parteienforschung unzugänglich zu sein. Positionierungsversuche<br />
im parteieigenen Piratenwiki<br />
zeigen große Distanzen zu allen etablierten<br />
Parteien. 6 Ihr Markenkern bezieht sich vor allem<br />
auf bürgerliche Freiheitsrechte, vor allem hinsichtlich<br />
der Anwendung von Datenschutz-<br />
Grundrechten im Internet. Die Debatte um Internetsperren<br />
hat den Policy-Standpunkt der Piratenpartei<br />
hierzu in der Öffentlichkeit bekannt gemacht.<br />
7 Der zweite Schwerpunkt umfasst die<br />
hohe Wertschätzung direktdemokratischer Verfahren<br />
sowie die Forderungen nach mehr Transparenz<br />
des politischen Prozesses, bezieht sich<br />
damit auf die Politics- und Polity-Dimensionen,<br />
3<br />
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass das vorrangig<br />
genutzte Maskulinum – sofern nicht explizit auf ein<br />
Geschlecht verwiesen wird – dem Lesefluss geschuldet<br />
ist und demnach beispielsweise die Wählerschaft Wähler*innen<br />
miteinbegreift.<br />
4<br />
Datengrundlage ist eine Umfrage im Auftrag des Wissenschaftszentrums<br />
Berlin für Sozialforschung (WZB)<br />
vom Dezember 2012. Befragt wurden insgesamt 2.901<br />
Wahlberechtigte. Als Anhänger und Sympathisanten<br />
werden diejenigen Personen bezeichnet, die eine über<br />
50-prozentige Wahrscheinlichkeit angaben, der jeweiligen<br />
Partei zukünftig die Stimme geben zu wollen.<br />
5<br />
Kai Biermann und Tina Klopp, 22.09.2009, Die Zeit –<br />
Onlineausgabe, Zugriff: 07.01.2013, http://www.zeit.de/<br />
politik/deutschland/2009-09/piraten-partei-revolution.<br />
6<br />
Vgl. die Darstellung auf http://wiki.piratenpartei.de/<br />
wiki/images/d/d6/Wertedreieck.png.<br />
7<br />
Vgl. Henning Bartels 2009: Die Piratenpartei. Entstehung,<br />
Forderungen und Perspektiven der Bewegung,<br />
Contumax-Verlag.<br />
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