Linksliberale Enterhaken - PRuF

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Aufsätze Philipp Scherer/Ina E. Bieber – Eintagsfliege oder Partei mit Zukunft? [...] MIP 2013 19. Jhrg. Wähler/innen der Piraten und der etablierten Parteien zeigt sich ein deutlicher Unterschied (Tabelle 4): Während nur 8,3 Prozent der Piratenparteiwähler/innen angeben, die Partei aufgrund der Themenorientierung zu wählen, führt knapp ein Drittel der Wähler/innen der anderen Parteien ihre Wahlentscheidung auf Sachthemen zurück. Somit scheint die Themenorientierung eine vergleichsweise geringe Erklärungskraft für den Wahlerfolg der Piraten zu liefern. Wie erwartet, weisen die beiden Untersuchungsgruppen deutliche Unterschiede hinsichtlich der Protestwahl und dem neuen Politikstil auf: 20,5 Prozent der Piratenwähler/innen geben an, die Partei aus Protest zu wählen. Dies ist nur bei 1,0 Prozent der Wähler/innen der anderen Parteien der Grund ihrer Wahlentscheidung. Somit können deutlich mehr Protestwähler/innen unter den Piratenwähler/innen identifiziert werden. Dies unterstützt die These, dass es sich bei der Piratenpartei eher um eine Eintagsfliege als um eine Partei mit Zukunft handelt. Dem entgegen stehen die zahlreichen Wähler/innen, die die Piraten aufgrund ihres neuen Politikstils gewählt haben: Für ein Fünftel war dies der zentrale Grund. Hingegen geben nur 1,1 Prozent der Wähler/innen der anderen Parteien dieses Motiv an 9 . heit" und "in den Medien vertreten". Unter "Themenorientierung" wurden die Nennungen zu verschiedenen Politikfeldern zusammengefasst. Unter "Protestwahl" wurden die Nennungen "aus Protest" und "Denkzettel, Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien" zusammengefasst. Unter "Politikstil" wurden die Nennungen zu "reformfreudig/modern/zukunftsorientiert", "innovativ/tatkräftig/bewegen etwas/dynamisch", "neu, anders", "Transparenz", "Mitbestimmung" und "Authentisch" zusammengefasst. 9 Hinzuweisen ist auf die großen Anteile der Residualkategorie, die in den Berechnungen als Kontrastgruppe dient. Da wir uns aus theoretischen Erwägungen auf die Bereiche Themenorientierung, Protestwahl und neuer Politikstil konzentrieren, haben wir von einer weiteren Differenzierung abgesehen, weshalb die Anteile dieser Kategorie entsprechend hoch ausfallen. Tabelle 4: Gründe für Wahlentscheidung (in Prozent) Wähler/innen der Piratenpartei Wähler/innen anderer Parteien 1 (n=132) (n=717) Themenorientierung 8,3 31,9 Protestwahl 20,5 1,0 Neuer Politikstil 28,8 1,1 Sonstiges/Residualkategorie 42,4 66,0 GESAMT 100% 100% Quelle: Eigene Berechnungen. Signifikanter Unterschied (chi²-Test). 1 Union, SPD, FDP, Bündnis90/Die Grünen und Die Linke. Festgehalten werden kann, dass – wie im Theorieteil vermutet – die Piratenpartei sowohl aufgrund ihres neuen Politikstils als auch ihres Protestpotentials gewählt wird. Fraglich bleibt bislang, inwiefern die Themenorientierung eine Rolle bei der Wahlentscheidung zugunsten der Piratenpartei spielt. Bei der Analyse der offenen Antworten konnten keine signifikanten Indizien gefunden werden, die das Argument der Themenorientierung stützen. Im nachfolgenden Teil sollen daher verschiedene Einflussfaktoren kontrolliert einer Prüfung unterzogen werden. 4.3 Sozialstruktur, Themenorientierung, Protest, neuer Politikstil oder doch eine ganz normale Wahlentscheidung? In den bisherigen deskriptiven Analysen konnte gezeigt werden, wer die Piratenparteiwähler/innen sind. Zudem wurde analysiert, welche Gründe sie für ihre Wahlentscheidung angegeben haben. Nun soll betrachtet werden, welchen Einfluss die einzelnen Faktoren in multivariaten Analysen unter kontrollierten Bedingungen haben. Hierzu werden drei logistische Regressionen mit der abhängigen Variable „Wahlentscheidung zugunsten der Piratenpartei“ (codiert mit 1 = Wahlentscheidung Piratenpartei; 0 = Wahlentscheidung andere Partei) und weiteren zentralen abhängigen Variablen betrachtet. Als unabhängige soziodemographische Variablen dienen die Faktoren Geschlecht, Alter in Jahre, Bildung, Schichtzugehörigkeit und Internetnutzung. Jetzt wird überprüft, ob sie auch unter Kontrolle weiterer Faktoren noch wirksam sind. 124

MIP 2013 19. Jhrg. Philipp Scherer/Ina E. Bieber – Eintagsfliege oder Partei mit Zukunft? [...] Aufsätze Im klassischen Modell ist zusätzlich, um die Erklärungskraft des Faktors Themenorientierung zu prüfen, ein Positionsissue zum Thema Netzpolitik enthalten. Hierbei wird angenommen, dass sich das Elektorat der Piratenpartei im Allgemeinen gegen eine weitreichende Kontrolle des Internets ausspricht und sich dadurch signifikant von den Wähler/innen der etablierten Parteien abgrenzt. Zur Kontrolle werden weitere Positionsissues zum Thema Zuwanderung, Steuern und Kernenergie integriert. Diese sollten keinen signifikanten Einfluss auf die Wahlentscheidung zugunsten der Piratenpartei haben. Um die Protestwahlthese multivariat zu prüfen werden Fragen nach dem Vertrauen in zentrale politische Institutionen 10 , dem Vertrauen in Bundespolitiker/innen und zur Demokratiezufriedenheit berücksichtigt. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass die Piratenwähler/innen im Vergleich zu der Wählerschaft der anderen Parteien den politischen Institutionen und Akteuren eher misstrauisch gegenüber stehen und mit dem Funktionieren der Demokratie unzufriedener sind. Zudem wird die Parteiidentifikation – eingeteilt in die in Abschnitt 4.1 beschriebenen Gruppen – berücksichtigt. Der dritte Erklärungsfaktor – die Etablierung eines neuen Politikstils – kann in diesem Modell nicht berücksichtigt werden, da der Datensatz keine entsprechenden Fragen enthält. Aus diesem Grund wird eine zweite logistische Regression durchgeführt mit den Antworten auf die offene Frage nach den Gründen für die Wahlentscheidung – eingeteilt in die drei Dimensionen „Protest“, „Politikstil“ und „Themenorientierung“ und mit der Referenzkategorie „sonstige Gründe“. Schließlich stellt die dritte Berechnung ein gemischtes Modell dar, welches einerseits die Einflussfaktoren des klassischen Modells sowie den „neuen Politikstil“ berücksichtigt. Es wird bewusst auf die Implementation der Themenorientierung und der Protestwahl verzichtet, da hier nachweislich Korrelationen mit den Positionsissues und Variablen zur Messung der Protestwahl aus 10 Es wurde ein Index des Vertrauens der Befragten zu der Arbeit des Bundestags, des Bundesrats und der Bundesregierung erstellt. dem klassischen Model bestehen. Die folgende Tabelle 5 zeigt die Ergebnisse. Tabelle 5: Logistische Regressionen (Odds Ratio) Klassisches Modell Modell mit offenen Gründen Gemischtes Modell Soziodemographie Geschlecht (Mann) 1,88(0,54) * 1,93(0,54) * 2,19(0,70) * Alter in Jahren 0,97(0,01) * 0,96(0,01) *** 0,97(0,01) * Hohe Bildung 0,65(0,20) ** 0,54(0,17) * 0,64(0,22) Niedrige Bildung 1,04(0,43) 1,57(0,65) 1,13(0,52) Oberschicht 0,79(0,32) 1,09(0,44) 0,96(0,43) Unterschicht 0,94(0,28) 1,72(0,50) 0,89(0,30) Internetnutzung 1,10(0,06) + 1,07(0,06) * 1,05(0,06) Themenorientierung Thema: Netzpolitik 0,79(0,04) *** 0,80(0,04) *** Thema: Zuwanderung 1,05(0,05) 1,07(0,06) Thema: Steuern 0,95(0,05) 0,94(0,05) Thema: Kernenergie 1,04(0,05) 1,04(0,05) Protestwahlthese Demokratiezufriedenheit 0,66(0,11) * 0,62(0,11) + Institutionenvertrauen 0,81(0,07) * 0,85(0,09) Politiker/innenvertrauen 0,96(0,09) 0,92(0,09) keine Parteiidentifikation 6,68(2,20) *** 7,65(2,83) *** Parteiidentifikation ≠ Wahlentscheidung 7,37(2,24) *** 9,58(3,31) *** Offen genannte Gründe Themenorientierung 0,42(0,16) * Protestwahl 32,94(16,04) *** Neuer Politikstil 38,79(17,50) *** 39,25(19,59) *** Pseudo R² .33 .35 .44 LL -219,45 -212.36 -181,75 AIC 472,91 446,73 399,51 BIC 551,54 497,61 482,76 Fallzahl 754 754 754 Quelle: Eigene Berechnungen. Referenzkategorien: Mann, Mittlere Bildung (Mittlere Reife; Realschulabschluss), Mittelschicht, Parteiidentifikation entspricht Wahlentscheidung, sonstige Gründe für Wahlentscheidung. Signifikanzniveau: + < 0.10; * < 0,05; ** < 0,01; *** < 0.001. Zunächst ist in allen drei Modellen zu erkennen, dass das Geschlecht, das Alter und mit Einschränkungen die Bildung und die Internetnutzung einen signifikanten Einfluss auf die Piratenwahl haben. Das bedeutet, dass auch unter kontrollierten Bedingungen die Piratenparteiwähler/innen eher männlich und jung sind. Zudem nutzen sie etwas häufiger als andere Befragte das Internet. Die Beobachtungen hinsichtlich des Geschlechts und des Alters decken sich demnach mit den Ergebnissen Niedermayers (2013). Darüber hinaus konnte, entgegengesetzt zu seinen Ergebnissen, beobachtet werden, dass formal höher gebildete Personen, d.h. Personen mit Abitur oder Fachhochschulreife, im Vergleich zu den Wähler/innen der anderen Parteien seltener die Piratenpartei wählen. Daher wird zukünftig 125

MIP 2013 19. Jhrg. Philipp Scherer/Ina E. Bieber – Eintagsfliege oder Partei mit Zukunft? [...] Aufsätze<br />

Im klassischen Modell ist zusätzlich, um die Erklärungskraft<br />

des Faktors Themenorientierung zu<br />

prüfen, ein Positionsissue zum Thema Netzpolitik<br />

enthalten. Hierbei wird angenommen, dass<br />

sich das Elektorat der Piratenpartei im Allgemeinen<br />

gegen eine weitreichende Kontrolle des Internets<br />

ausspricht und sich dadurch signifikant<br />

von den Wähler/innen der etablierten Parteien<br />

abgrenzt. Zur Kontrolle werden weitere Positionsissues<br />

zum Thema Zuwanderung, Steuern<br />

und Kernenergie integriert. Diese sollten keinen<br />

signifikanten Einfluss auf die Wahlentscheidung<br />

zugunsten der Piratenpartei haben. Um die Protestwahlthese<br />

multivariat zu prüfen werden Fragen<br />

nach dem Vertrauen in zentrale politische<br />

Institutionen 10 , dem Vertrauen in Bundespolitiker/innen<br />

und zur Demokratiezufriedenheit berücksichtigt.<br />

Dem liegt die Annahme zu Grunde,<br />

dass die Piratenwähler/innen im Vergleich zu<br />

der Wählerschaft der anderen Parteien den politischen<br />

Institutionen und Akteuren eher misstrauisch<br />

gegenüber stehen und mit dem Funktionieren<br />

der Demokratie unzufriedener sind. Zudem<br />

wird die Parteiidentifikation – eingeteilt in<br />

die in Abschnitt 4.1 beschriebenen Gruppen –<br />

berücksichtigt.<br />

Der dritte Erklärungsfaktor – die Etablierung eines<br />

neuen Politikstils – kann in diesem Modell<br />

nicht berücksichtigt werden, da der Datensatz<br />

keine entsprechenden Fragen enthält. Aus diesem<br />

Grund wird eine zweite logistische Regression<br />

durchgeführt mit den Antworten auf die offene<br />

Frage nach den Gründen für die Wahlentscheidung<br />

– eingeteilt in die drei Dimensionen<br />

„Protest“, „Politikstil“ und „Themenorientierung“<br />

und mit der Referenzkategorie „sonstige<br />

Gründe“.<br />

Schließlich stellt die dritte Berechnung ein gemischtes<br />

Modell dar, welches einerseits die Einflussfaktoren<br />

des klassischen Modells sowie den<br />

„neuen Politikstil“ berücksichtigt. Es wird bewusst<br />

auf die Implementation der Themenorientierung<br />

und der Protestwahl verzichtet, da hier<br />

nachweislich Korrelationen mit den Positionsissues<br />

und Variablen zur Messung der Protestwahl aus<br />

10<br />

Es wurde ein Index des Vertrauens der Befragten zu<br />

der Arbeit des Bundestags, des Bundesrats und der<br />

Bundesregierung erstellt.<br />

dem klassischen Model bestehen. Die folgende<br />

Tabelle 5 zeigt die Ergebnisse.<br />

Tabelle 5: Logistische Regressionen (Odds Ratio)<br />

Klassisches<br />

Modell<br />

Modell mit<br />

offenen<br />

Gründen<br />

Gemischtes<br />

Modell<br />

Soziodemographie<br />

Geschlecht (Mann) 1,88(0,54) * 1,93(0,54) * 2,19(0,70) *<br />

Alter in Jahren 0,97(0,01) * 0,96(0,01) *** 0,97(0,01) *<br />

Hohe Bildung 0,65(0,20) ** 0,54(0,17) * 0,64(0,22)<br />

Niedrige Bildung 1,04(0,43) 1,57(0,65) 1,13(0,52)<br />

Oberschicht 0,79(0,32) 1,09(0,44) 0,96(0,43)<br />

Unterschicht 0,94(0,28) 1,72(0,50) 0,89(0,30)<br />

Internetnutzung 1,10(0,06) + 1,07(0,06) * 1,05(0,06)<br />

Themenorientierung<br />

Thema: Netzpolitik 0,79(0,04) *** 0,80(0,04) ***<br />

Thema: Zuwanderung 1,05(0,05) 1,07(0,06)<br />

Thema: Steuern 0,95(0,05) 0,94(0,05)<br />

Thema: Kernenergie 1,04(0,05) 1,04(0,05)<br />

Protestwahlthese<br />

Demokratiezufriedenheit 0,66(0,11) * 0,62(0,11) +<br />

Institutionenvertrauen 0,81(0,07) * 0,85(0,09)<br />

Politiker/innenvertrauen 0,96(0,09) 0,92(0,09)<br />

keine Parteiidentifikation 6,68(2,20) *** 7,65(2,83) ***<br />

Parteiidentifikation ≠<br />

Wahlentscheidung<br />

7,37(2,24) *** 9,58(3,31) ***<br />

Offen genannte Gründe<br />

Themenorientierung 0,42(0,16) *<br />

Protestwahl 32,94(16,04) ***<br />

Neuer Politikstil 38,79(17,50) *** 39,25(19,59) ***<br />

Pseudo R² .33 .35 .44<br />

LL -219,45 -212.36 -181,75<br />

AIC 472,91 446,73 399,51<br />

BIC 551,54 497,61 482,76<br />

Fallzahl 754 754 754<br />

Quelle: Eigene Berechnungen. Referenzkategorien: Mann,<br />

Mittlere Bildung (Mittlere Reife; Realschulabschluss), Mittelschicht,<br />

Parteiidentifikation entspricht Wahlentscheidung,<br />

sonstige Gründe für Wahlentscheidung. Signifikanzniveau:<br />

+<br />

< 0.10; * < 0,05; ** < 0,01; *** < 0.001.<br />

Zunächst ist in allen drei Modellen zu erkennen,<br />

dass das Geschlecht, das Alter und mit Einschränkungen<br />

die Bildung und die Internetnutzung<br />

einen signifikanten Einfluss auf die Piratenwahl<br />

haben. Das bedeutet, dass auch unter<br />

kontrollierten Bedingungen die Piratenparteiwähler/innen<br />

eher männlich und jung sind. Zudem<br />

nutzen sie etwas häufiger als andere Befragte<br />

das Internet. Die Beobachtungen hinsichtlich<br />

des Geschlechts und des Alters decken sich demnach<br />

mit den Ergebnissen Niedermayers (2013).<br />

Darüber hinaus konnte, entgegengesetzt zu seinen<br />

Ergebnissen, beobachtet werden, dass formal<br />

höher gebildete Personen, d.h. Personen mit<br />

Abitur oder Fachhochschulreife, im Vergleich zu<br />

den Wähler/innen der anderen Parteien seltener<br />

die Piratenpartei wählen. Daher wird zukünftig<br />

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