Linksliberale Enterhaken - PRuF

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03.11.2013 Aufrufe

Aufsätze Ani Smith-Dagesyan – Die Grüne Partei Libanons – eine Partei des Wandels in einem starren Parteiensystem MIP 2013 19. Jhrg. Grundlage für die gesellschaftliche Koexistenz bildet die mehrfach revidierte Verfassung 6 sowie der ungeschriebene Nationalpakt von 1943 und das Abkommen von Ta’if aus dem Jahr 1989, mit dem der Bürgerkrieg endete und das allgemeine Verfassungsprinzipien und Bestimmungen über das moderne politische System enthält. Aufgrund der sehr heterogenen Zusammensetzung der ethnisch-religiösen Gemeinschaften ist das politische System des Landes stark von politischem Konfessionalismus geprägt. Dieser spiegelt sich in allen Teilbereichen des politischen Systems wider. Politisches System Der Libanon ist eine parlamentarische Demokratie mit einem Mehrparteiensystem, die auf einem Konfessionsproporz aufgebaut ist. Das politische System beruht auf der Verfassung von 1926, der informellen Absprache zur Machtteilung zwischen den religiösen Gemeinschaften (Nationalpakt) 7 von 1943 sowie dem Abkommen von Ta’if (1989, Saudi Arabien) 8 , welches einige Bestimmungen des Nationalpakts modifizierte. Laut Nationalpakt bekleiden Mitglieder bestimmter religiöser Gruppen die drei höchsten Staatsämter: • Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein, • der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein, • der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein 9 . 6 So in den Jahren 1927, 1929, 1943, 1990, 1995, 1998 und 2004. 7 Für mehr Details s. Kahzen, Farid el (1991): The Communal Pact of National Identities: The Making and Politics of the 1943 National Pact. 8 Ausführlich dazu Krayyem, Hassan (1997): The Lebanese Civil War an Taif Agreement, in: Salem, Paul (ed.): Conflict Resolution in the Arab World: Selected Essays, Beirut, S. 93-118.; Maila, Joseph (1992): The Document of National Understanding: A Commentary. 9 Matthies Volker (1997) (Hg.), Der gelungene Frieden. Beispiele und Bedingungen erfolgreicher friedlicher Konfliktbearbeitung, S. 204. Alle drei verfügen über Vetorechte gegen bereits verabschiedete Gesetze und können auch den Prozess der Verabschiedung verhindern. Die erwähnten wichtigsten Ämter werden von den entsprechenden Religionsgemeinschaften nicht nur als Staatsorgane verstanden, sondern auch als Hüter der Interessen ihrer Religionsgruppe. Dieses System der Machtteilung wird auf Arabisch Al Taifia genannt – zu Deutsch wörtlich Konfessionalismus: Die Macht geht hierbei nicht vom Volk aus, sondern von den Religionsgemeinschaften, die ein Bindeglied zwischen ihren Angehörigen und dem Staat bilden. Zusätzlich sind die Religionsgemeinschaften auch im ganzen Staatsapparat proportional vertreten. Eine Trennung von Religion und Politik existiert folglich im Libanon nicht. Die weltweit einzigartige „konfessionelle Parität“ regelt auch, welche religiöse Gruppe wie viele Sitze in der „Maglis an Nauwab“, der libanesischen Nationalversammlung, erhält. Ende der achtziger Jahre verschob sich vor dem Hintergrund des Ta‘if-Abkommens die Parität der Parlamentssitze leicht zugunsten der Muslime 10 und die Machtverteilung zwischen den drei Spitzenpositionen wurde neu justiert, indem der Präsident etwas an Macht verlor, der Parlamentssprecher im Gegensatz dazu jedoch an Macht gewann. Nach Artikel 24 der libanesischen Verfassung 11 und basierend auf den Modifikationen des Ta’if- Abkommens werden die 128 Sitze im libanesischen Parlament gleichmäßig zwischen christlichen und muslimischen Konfessionen nach einem Proporzsystem aufgeteilt. Die Nationalversammlung besteht aus einer Kammer. Die Abgeordneten werden vom Volk für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt. Die Hauptfunktionen der Nationalversammlung sind die Wahl des Präsidenten, des Parlamentschefs (zurzeit Nabih Berri) und die Bestätigung 10 Von 5:6 auf 5:5 bei gegenwärtig 128 Parlamentsmandaten. 11 Die Verfassung der Republik Libanon, online unter http://www.conseilconstitutionnelliban.com/pdf/ Lebanese%20constitution.pdf. 108

MIP 2013 19. Jhrg. Ani Smith-Dagesyan – Die Grüne Partei Libanons – eine Partei des Wandels in einem starren Parteiensystem Aufsätze der Regierung 12 . Weitere wichtige Funktionen sind die Verabschiedung der Gesetze und des Haushalts. Das Parlament hat damit eine – im Gegensatz zu anderen arabischen Staaten – verhältnismäßig einflussreiche Rolle im politischen System Libanons. Der Präsident, der Regierungschef und das Kabinett bilden die Exekutive. Staatsoberhaupt und Leiter der Exekutive ist der Staatspräsident, der vom Parlament für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt wird. Auf Vorschlag des Parlaments ernennt der Staatspräsident den Ministerpräsidenten und die Mitglieder des Kabinetts. Der gegenwärtige Präsident ist General Michel Sleiman 13 . Er ist das Oberhaupt des Staates und der Oberbefehlshaber der libanesischen Armee. Die ausführende Gewalt ist dem Ministerrat anvertraut, welcher die öffentliche Politik in allen Feldern formuliert und in Übereinstimmung mit den in Kraft befindlichen Gesetzen ausführt. Der Premierminister, zurzeit Nadschib Miqati 14 , wird auf der Grundlage von verbindlichen parlamentarischen Beratungen ernannt. Nach parlamentarischen Beratungen, die vom designierten Premierminister durchgeführt werden, wird das Kabinett in Übereinstimmung mit dem Präsidenten der Republik gebildet. Der Regierungschef ist auch der Präsident des Kabinetts. Das Kabinett wird durch den Kabinettspräsidenten mit dem Einverständnis des Staatspräsidenten und den Parlamentsmitgliedern zusammengestellt. Nach dem Doha-Abkommen 2008 15 besteht das Kabinett aus 30 Ministern. Die Mehrheit darf 16 Minister stellen, die Opposition 11 und der Präsident 3 Minister. Das politische System des Libanon stellt sowohl eine Stärke als auch eine Schwäche für die politische Entwicklung des Landes dar 16 . Einerseits ist für die verschiedenen religiösen Gruppen des 12 Trotz der Ernennung durch den Präsidenten müssen Ministerpräsident und Kabinett das Vertrauen des Parlaments gewinnen. 13 Im Amt seit dem 25.5.2008. 14 Im Amt seit dem 25.1.2011 15 Das Abkommen haben die libanesischen Konfliktparteien im Jahr 2008 unterzeichnet, um die jüngste politische Krise im Libanon zu entschärfen. Siehe mehr dazu unter: www.lp.gov.lb. Landes ein konkordanzdemokratisches Proporzsystem eine Notwendigkeit, um eigene Interessen durchzusetzen und an der Landespolitik teilzuhaben. Andererseits liegt in dem politischen Konfessionalismus sowie dem ausgeprägten Patronagesystem die Ursache für die Schwäche der staatlichen Institutionen, die sich in einer tiefen Verstrickung in Korruptionsfälle zeigt. Alle diese Schwächen begünstigen Einmischungen von außen, von denen die meisten politischen Führer in ihrer politischen Arbeit abhängig sind 17 . Die Angemessenheit dieses Systems wird heute häufig kritisiert, da sich das Verhältnis der Bevölkerungsgruppen seit der Entstehung des Systems deutlich zugunsten der Muslime verändert hat. Eine Abschaffung des Konfessionalismus ist bereits im Abkommen von Ta‘if vorgesehen. Was ursprünglich als ein Mechanismus zur Konfliktlösung und als Kompromissformel gedacht war 18 , um das Land zu stabilisieren und Machtkonflikten entgegenzuwirken, scheitert, sobald es zu rasanten demografischen Verschiebungen oder sozialen Verwerfungen kommt und sich konfessionelle Gruppen im politischen System nicht mehr ausreichend repräsentiert und hiervon benachteiligt fühlen. Dadurch wird das Land destabilisiert. Das System hilft immer noch, den Ausbruch von gewalttätigen Konflikten zu vermeiden. Wenn jedoch außergewöhnliche Belastungen hinzukommen, besteht die Gefahr, dass das System diese nicht mehr angemessen bewältigen kann und Konflikte doch gewaltsam ausgetragen werden. Parteiensystem Die libanesische Gesellschaft war und ist seit der Gründung des Staates in hohem Maße marginalisiert und fragmentiert 19 . Grund hierfür ist das Zusammenleben diverser Religionsgemeinschaf- 16 Salam, Paul (ed.): Lebanon in Limbo. Postwar Society and State in an Uncertain Regional Environment, Baden-Baden. 17 Ebd. 18 Lijphart, Arend (1977): Democracy in Plural Societies. 19 Khazen, Farid el (2003): Political parties in postwar Lebanon: Parties in search of partisans, in: The Middle East Journal, Washington: Vol. 57, Iss. 4, S. 605-624. 109

Aufsätze Ani Smith-Dagesyan – Die Grüne Partei Libanons – eine Partei des Wandels in einem starren Parteiensystem MIP 2013 19. Jhrg.<br />

Grundlage für die gesellschaftliche Koexistenz<br />

bildet die mehrfach revidierte Verfassung 6 sowie<br />

der ungeschriebene Nationalpakt von 1943 und<br />

das Abkommen von Ta’if aus dem Jahr 1989,<br />

mit dem der Bürgerkrieg endete und das allgemeine<br />

Verfassungsprinzipien und Bestimmungen<br />

über das moderne politische System enthält.<br />

Aufgrund der sehr heterogenen Zusammensetzung<br />

der ethnisch-religiösen Gemeinschaften ist<br />

das politische System des Landes stark von politischem<br />

Konfessionalismus geprägt. Dieser spiegelt<br />

sich in allen Teilbereichen des politischen<br />

Systems wider.<br />

Politisches System<br />

Der Libanon ist eine parlamentarische Demokratie<br />

mit einem Mehrparteiensystem, die auf einem<br />

Konfessionsproporz aufgebaut ist. Das politische<br />

System beruht auf der Verfassung von 1926, der<br />

informellen Absprache zur Machtteilung zwischen<br />

den religiösen Gemeinschaften (Nationalpakt)<br />

7 von 1943 sowie dem Abkommen von<br />

Ta’if (1989, Saudi Arabien) 8 , welches einige Bestimmungen<br />

des Nationalpakts modifizierte.<br />

Laut Nationalpakt bekleiden Mitglieder bestimmter<br />

religiöser Gruppen die drei höchsten<br />

Staatsämter:<br />

• Das Staatsoberhaupt muss maronitischer<br />

Christ sein,<br />

• der Regierungschef muss sunnitischer Muslim<br />

sein,<br />

• der Parlamentspräsident muss schiitischer<br />

Muslim sein 9 .<br />

6<br />

So in den Jahren 1927, 1929, 1943, 1990, 1995, 1998<br />

und 2004.<br />

7<br />

Für mehr Details s. Kahzen, Farid el (1991): The Communal<br />

Pact of National Identities: The Making and Politics<br />

of the 1943 National Pact.<br />

8<br />

Ausführlich dazu Krayyem, Hassan (1997): The Lebanese<br />

Civil War an Taif Agreement, in: Salem, Paul<br />

(ed.): Conflict Resolution in the Arab World: Selected<br />

Essays, Beirut, S. 93-118.; Maila, Joseph (1992): The<br />

Document of National Understanding: A Commentary.<br />

9<br />

Matthies Volker (1997) (Hg.), Der gelungene Frieden.<br />

Beispiele und Bedingungen erfolgreicher friedlicher<br />

Konfliktbearbeitung, S. 204.<br />

Alle drei verfügen über Vetorechte gegen bereits<br />

verabschiedete Gesetze und können auch den<br />

Prozess der Verabschiedung verhindern. Die erwähnten<br />

wichtigsten Ämter werden von den entsprechenden<br />

Religionsgemeinschaften nicht nur<br />

als Staatsorgane verstanden, sondern auch als<br />

Hüter der Interessen ihrer Religionsgruppe.<br />

Dieses System der Machtteilung wird auf Arabisch<br />

Al Taifia genannt – zu Deutsch wörtlich<br />

Konfessionalismus: Die Macht geht hierbei nicht<br />

vom Volk aus, sondern von den Religionsgemeinschaften,<br />

die ein Bindeglied zwischen ihren<br />

Angehörigen und dem Staat bilden. Zusätzlich<br />

sind die Religionsgemeinschaften auch im ganzen<br />

Staatsapparat proportional vertreten. Eine<br />

Trennung von Religion und Politik existiert folglich<br />

im Libanon nicht.<br />

Die weltweit einzigartige „konfessionelle Parität“<br />

regelt auch, welche religiöse Gruppe wie<br />

viele Sitze in der „Maglis an Nauwab“, der libanesischen<br />

Nationalversammlung, erhält. Ende<br />

der achtziger Jahre verschob sich vor dem Hintergrund<br />

des Ta‘if-Abkommens die Parität der<br />

Parlamentssitze leicht zugunsten der Muslime 10<br />

und die Machtverteilung zwischen den drei Spitzenpositionen<br />

wurde neu justiert, indem der Präsident<br />

etwas an Macht verlor, der Parlamentssprecher<br />

im Gegensatz dazu jedoch an Macht gewann.<br />

Nach Artikel 24 der libanesischen Verfassung 11<br />

und basierend auf den Modifikationen des Ta’if-<br />

Abkommens werden die 128 Sitze im libanesischen<br />

Parlament gleichmäßig zwischen christlichen<br />

und muslimischen Konfessionen nach einem<br />

Proporzsystem aufgeteilt. Die Nationalversammlung<br />

besteht aus einer Kammer. Die Abgeordneten<br />

werden vom Volk für eine Amtszeit<br />

von vier Jahren gewählt.<br />

Die Hauptfunktionen der Nationalversammlung<br />

sind die Wahl des Präsidenten, des Parlamentschefs<br />

(zurzeit Nabih Berri) und die Bestätigung<br />

10<br />

Von 5:6 auf 5:5 bei gegenwärtig 128 Parlamentsmandaten.<br />

11<br />

Die Verfassung der Republik Libanon, online unter<br />

http://www.conseilconstitutionnelliban.com/pdf/<br />

Lebanese%20constitution.pdf.<br />

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