16vor.de | 10.2.2013 Mut zur Herz-Schmerz-Operette - Theater Trier
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<strong>16vor</strong>.<strong>de</strong> | <strong>10.2.2013</strong><br />
<strong>Mut</strong> <strong>zur</strong> <strong>Herz</strong>-<strong>Schmerz</strong>-<strong>Operette</strong><br />
Mit <strong>de</strong>r 1924 im <strong>Theater</strong> an <strong>de</strong>r Wien uraufgeführten “Gräfin Mariza” konnte <strong>de</strong>r<br />
ungarische Komponist Emmerich Kálmán an <strong>de</strong>n Welterfolg seiner “Csárdásfürstin”<br />
anknüpfen. Das zwischen turbulenter Komödie und gefühlvollem Melodrama<br />
pen<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Stück, das viermal verfilmt wur<strong>de</strong>, erhält seine beson<strong>de</strong>re Wirkung aus<br />
<strong>de</strong>r folkloristischen Färbung <strong>de</strong>r Musik – ungarische Rhythmen und Zigeunerklänge<br />
machen <strong>de</strong>n Charme dieses Klassikers aus. Noch bis zum 21. April ist “Grafin<br />
Mariza” in <strong>de</strong>r Inszenierung von Klaus-Dieter Köhler im <strong>Trier</strong>er <strong>Theater</strong> zu sehen.<br />
TRIER. Die schöne und reiche Gräfin Mariza will zahlreichen lästigen Mitgiftjägern<br />
entfliehen und täuscht eine Verlobung mit einem von ihr erfun<strong>de</strong>nen “Baron Koloman<br />
Zsupán” vor. Zu ihrer Überraschung erscheint auf <strong>de</strong>r Feier auf ihrem<br />
transsylvanischen Landgut tatsächlich ein Herr dieses Namens. Bei Mariza knistert<br />
es aber ab <strong>de</strong>r ersten Begegnung mit ihrem Gutsverwalter Bela Törek, <strong>de</strong>r in<br />
Wirklichkeit <strong>de</strong>r verarmte Graf Tassilo ist und inkognito für seine Schwester Lisa eine<br />
Mitgift zusammensparen will.<br />
Tassilo schreibt einem Freund, dass er nur wegen <strong>de</strong>r Mitgift für Lisa auf <strong>de</strong>m<br />
bedrücken<strong>de</strong>n Posten ausharren will. Der Gräfin gelangt dieser Brief in die Hän<strong>de</strong><br />
und sie glaubt, auch ihr “Verwalter” habe es nur auf ihr Geld abgesehen, zumal sie<br />
die Zuneigung zwischen Tassilo und Lisa als Liebesbeziehung missinterpretiert.<br />
Nach einem Eklat zwischen Gräfin und Tassilo erscheint (als <strong>de</strong>a ex machina)<br />
Tassilos Tante: Sie hat alle Schul<strong>de</strong>n beglichen und führt die stan<strong>de</strong>sgemäß<br />
einan<strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Mariza und Tassilo zusammen. Baron Zsupán hat sich<br />
unter<strong>de</strong>ssen in Lisa verliebt, und auch dieses Paar fin<strong>de</strong>t zusammen.<br />
“Gräfin Mariza” ist eines <strong>de</strong>r erfolgreichsten Werke von Kálmán (eigentlich: Koppstein<br />
Imre), ja, eine <strong>de</strong>r erfolgreichsten <strong>Operette</strong>n überhaupt. Das Werk enthält etliche<br />
bekannte Ohrwürmer.<br />
Kálmáns musikalische Qualitäten wer<strong>de</strong>n vielfach unterschätzt: Nach einer<br />
krankheitshalber abgebrochenen Ausbildung zum Klaviervirtuosen trat er im Alter von<br />
18 Jahren in die Kompositionsklasse Hans Kösslers an <strong>de</strong>r Budapester<br />
Musikaka<strong>de</strong>mie ein, übrigens als Kollege von Bartók und Kodály. Kössler selbst war<br />
neben seiner Verehrung für Brahms ein beson<strong>de</strong>rs für die Männerchor-Literatur<br />
be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Komponist. Bei<strong>de</strong>s hatte auf Kálmán wichtigen Einfluss. Er konnte als<br />
Gewinner <strong>de</strong>s Franz-Joseph-Preises in Budapest Bayreuth besuchen. Der große<br />
Erfolg seiner humorvollen Kabarett-Gesänge führte ihn aber <strong>zur</strong> leichten Muse.<br />
In Kálmáns Werken hat <strong>de</strong>r Chor eine gesteigerte Be<strong>de</strong>utung, während die<br />
Tanzelemente gegenüber an<strong>de</strong>ren <strong>Operette</strong>n-Klassikern etwas <strong>zur</strong>ücktreten. Er hatte<br />
auch bezüglich seiner Texte Gespür für Qualität und für das Geschäft: Nach <strong>de</strong>m<br />
großen Erfolg <strong>de</strong>r “Czárdásfürstin” (uraufgeführt 1915 in Wien) versuchte er, <strong>de</strong>n<br />
Texter Alfred Grünwald ausschließlich für sich zu gewinnen. Dieser lehnte zwar ab,<br />
war aber – gemeinsam mit Julius Brammer – weiterhin für Kálmán tätig, so auch für<br />
die 1924 uraufgeführte “Gräfin Mariza”.
Kálmán wur<strong>de</strong> 1933 von <strong>de</strong>n Nationalsozialisten auf die Liste unerwünschter<br />
Komponisten gesetzt. Obwohl 1934 über seine Werke in Deutschland ein<br />
Aufführungsverbot verhängt wur<strong>de</strong>, erschien noch im selben Jahr eine Verfilmung<br />
seiner “Czárdásfürstin”. Kálmán war wie seine Librettisten Brammer und Grünwald<br />
bis zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich (1938) in Wien tätig. Als<br />
Ju<strong>de</strong>n mussten dann alle drei emigrieren.<br />
Kálmáns bekannteste Werke greifen stark auf die Zigeunermusik <strong>zur</strong>ück. Der heute<br />
wegen Political Correctness verpönte Ausdruck “Zigeuner” ist bei Kálmán<br />
unvermeidlich: So hieß eine seiner ersten Erfolgsoperetten “Der Zigeunerprimas”,<br />
und auch in <strong>de</strong>r “Mariza” gibt es die berühmten Lie<strong>de</strong>rtexte “Komm Zigány” o<strong>de</strong>r<br />
“Höre ich Zigeunerklänge”. Gottlob hat man am <strong>Trier</strong>er <strong>Theater</strong> nicht umgetextet und<br />
nur im Programmheft statt von “Zigeunern” von <strong>de</strong>n “Gemeinschaften <strong>de</strong>r Roma”<br />
gesprochen. Musikalisch enthält die “Mariza” eine abwechslungsreiche Mixtur aus<br />
“Zigeunerklängen” und wienerischem Melos, angereichert auch mit neuerer<br />
Tanzmusik.<br />
Die Inszenierung besorgte Klaus-Dieter Köhler, in <strong>Trier</strong> seit langem bekannt – in<br />
früheren Jahren unter an<strong>de</strong>ren als Oberspielleiter <strong>de</strong>s Schauspiels und Stellvertreter<br />
<strong>de</strong>s Intendanten. Als nunmehriger Freiberufler arbeitet er in Schauspiel,<br />
Jugendtheater, Revuen, Musicals und eben auch <strong>Operette</strong>. Für <strong>Trier</strong> hat er unter<br />
an<strong>de</strong>rem mehrere <strong>Operette</strong>n inszeniert, zuletzt 2010 <strong>de</strong>n “Graf von Luxemburg”.<br />
Bei <strong>Operette</strong>ninszenierungen ist es ein gängiges Problem, dass sich die meisten<br />
Regisseure für das “altmodische” und “kitschige” Genre genieren und die Stücke bis<br />
<strong>zur</strong> Unkenntlichkeit “bearbeiten”. Beson<strong>de</strong>rs zu fürchten sind historisch-politische<br />
Reminiszenzen, so etwa Erinnerungen an die (Gestapo-)Verfolgung <strong>de</strong>r jüdischen<br />
Autoren. Köhler hat mit Recht <strong>de</strong>n Unterhaltungscharakter betont und nur eine<br />
passable Distanzierung vorgenommen. Er stellt das Stück in eine Rahmenhandlung,<br />
die <strong>de</strong>r Filmkomödie “Nachts im Museum” entspricht: Ein Museumsbesucher wird<br />
versehentlich eingeschlossen und erlebt <strong>zur</strong> “Geisterstun<strong>de</strong>”, dass Statuen von ihren<br />
Po<strong>de</strong>sten herabsteigen und die Geschichte rund um Gräfin Mariza darbieten. Trotz<br />
dieser meines Erachtens durchaus entbehrlichen Rahmenhandlung bekennt sich<br />
Köhler im Kern <strong>zur</strong> <strong>Herz</strong>-<strong>Schmerz</strong>-<strong>Operette</strong> – und das ist gut so, an<strong>de</strong>rnfalls soll man<br />
überhaupt die Hän<strong>de</strong> von solchen Werken lassen.<br />
Bei überzeugen<strong>de</strong>r Personenführung gibt es zahlreiche mehr o<strong>de</strong>r weniger witzige<br />
Zutaten, die zum Großteil beim Publikum gut ankommen. So wird (mit<br />
Textanpassungen) viel aus an<strong>de</strong>ren <strong>Operette</strong>n zitiert, etwa <strong>de</strong>r Kellner Sigismund<br />
aus <strong>de</strong>m “Weißen Rössl” o<strong>de</strong>r Zsupáns “Schweinespeck” aus <strong>de</strong>m “Zigeunerbaron”;<br />
auch wird – <strong>de</strong>m Schauplatz Transsylvanien gemäß – <strong>de</strong>r Dracula-Mythos bedient.<br />
Das Bühnenbild (Thomas Gruber) und die Kostüme (José Manuel Vazquez und<br />
Carola Vollath) sind üppig und dabei geschmackvoll.<br />
Die musikalische Leitung liegt in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s neuen <strong>Trier</strong>er Ersten<br />
Kapellmeisters Joongbae Jee – keine leichte Aufgabe für <strong>de</strong>n Einstand! Die <strong>Operette</strong><br />
wird in ihren musikalischen Schwierigkeiten oft unterschätzt. Das Ergebnis ist<br />
achtbar. Von <strong>de</strong>r Gestaltung her ist <strong>de</strong>m Dirigenten zuzustimmen, dass er<br />
insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>n gefühlvollen Stellen recht mäßige Tempi wählt, freilich erhöht<br />
das die Anfor<strong>de</strong>rungen an die Sänger. Solisten, Orchester und <strong>de</strong>r anspruchsvolle<br />
Chor wer<strong>de</strong>n gut koordiniert.
Sängerisch beginnt die Aufführung schwach: Sowohl die Sängerin <strong>de</strong>r jungen<br />
Zigeunerin Manja (Silvie Offenbeck) als auch teilweise die Piroschkas drücken<br />
zwecks Stimmvergrößerung und produzieren dabei ein Riesen-Tremolo und recht<br />
unsaubere Intonation – weniger wäre mehr.<br />
Im Folgen<strong>de</strong>n bessert sich die Lage aber wesentlich: Joana Caspar als Gräfin Mariza<br />
besitzt eine kräftige, insbeson<strong>de</strong>re auch höhensichere Stimme, die sogar noch bei<br />
gleichzeitigem Forte <strong>de</strong>s Chors <strong>de</strong>utlich zu hören ist. Dass man sie bei manchen<br />
Parlando-Stellen in <strong>de</strong>r für einen Sopran unangenehmen tiefen Mittellage wenig hört,<br />
ist <strong>de</strong>m Komponisten anzulasten, <strong>de</strong>r vielleicht Vorbil<strong>de</strong>rn Richard Strauss o<strong>de</strong>r<br />
Puccini nacheifern wollte, aber zu dick instrumentierte. Frau Caspar besitzt auch eine<br />
gute Bühnenerscheinung und punktet schauspielerisch, wenn sie sich trotz stolzen,<br />
ja blasierten Gehabens als Gesellschaftsdame immer mehr <strong>de</strong>r vermeintlich nicht<br />
stan<strong>de</strong>sgemäßen Liebe öffnet. Insgesamt eine überzeugen<strong>de</strong> <strong>Operette</strong>ndiva!<br />
Den Verwalter Bela Törek – in Wahrheit Graf Tassilo – gibt Svetislav Stojanovic mit<br />
beeindrucken<strong>de</strong>r darstellerischer Eleganz. Er singt auch gut textverständlich mit<br />
klarem, hellem Tenor. Lei<strong>de</strong>r bewältigt er die Höhen nur mit Kraftanstrengung; über<br />
die extreme Höhe, die noch dazu teilweise ein Piano verlangt, muss er sich<br />
hinwegmogeln. Speziell im ersten Akt hätte <strong>de</strong>r Dirigent da durch raschere Tempi<br />
helfen können.<br />
Das “zweite Paar” (Zsupán und Lisa) ist mit Luis Lay und Evelyn Czesla besetzt. Lay<br />
bringt für <strong>de</strong>n Tenor-Buffo alles Wünschenswerte mit: Er singt mit schönem Timbre,<br />
im allgemeinen auch mit genügend Volumen; wenn er in <strong>de</strong>r Tiefe an seine Grenzen<br />
stößt, bleibt er angenehm locker. Hinzu kommt ein spritziges und witziges Spiel eines<br />
charmanten Spaßvogels, <strong>de</strong>r doch auch als schüchterner Verliebter berührt. Frau<br />
Czesla befriedigt sängerisch eingeschränkt: Sie liefert zwar alle Töne richtig ab, hätte<br />
aber für die Rolle <strong>de</strong>s jungen Mädchens ihren reifen Sopran eher <strong>zur</strong>ücknehmen und<br />
nicht quasi <strong>de</strong>r Diva Konkurrenz machen sollen.<br />
Kleinere Rollen sind bei Michael Höhler, Lászlo Lukácz und Ferry Seidl in guten<br />
Hän<strong>de</strong>n. Von <strong>de</strong>r Regie wird Lukácz Gelegenheit zu (gekonnter) Komödiantik<br />
gegeben. Beson<strong>de</strong>res musikalisches Vergnügen bereitet <strong>de</strong>r Geiger Jakub Hanisz<br />
als Zigeunerprimas auf <strong>de</strong>r Bühne. Dass er und nicht die Alternativbesetzung spielt,<br />
erfährt man (wie übrigens auch für <strong>de</strong>n vergessenen Museumsbesucher) aus <strong>de</strong>m<br />
Programmheft allerdings nicht. Es wür<strong>de</strong> doch kaum etwas kosten, wenn das <strong>Trier</strong>er<br />
<strong>Theater</strong> das Publikum mit einem Einlagezettel informieren wür<strong>de</strong>.<br />
Chor und Extrachor mit ihren bei Kálmán großen Aufgaben wur<strong>de</strong>n von Angela<br />
Hän<strong>de</strong>l musikalisch erstklassig einstudiert. Lei<strong>de</strong>r ist aber vom Text – wie auch<br />
manchmal bei <strong>de</strong>n Solisten – wenig zu verstehen. Man sollte überlegen, auch bei<br />
einer Aufführung in <strong>de</strong>utscher Sprache bei <strong>de</strong>n Musiknummern eine Übertitelung zu<br />
geben (bei Wagner-Opern ist diese Praxis auf <strong>de</strong>m Vormarsch).<br />
Da neben <strong>de</strong>r Statisterie auch das Tanztheater (Choreographie: Jean-Pierre<br />
Lamberti) und das Schauspiel (in Gestalt von Angelika Schmid) vorzüglich zum<br />
Abend beitragen, soll wie<strong>de</strong>r einmal ein Plädoyer für das Drei-Sparten-<strong>Theater</strong><br />
abgegeben wer<strong>de</strong>n. <strong>Trier</strong> sollte trotz Sparzwängen alle drei Sparten aufrechterhalten.
Dieter Rückle<br />
Am 26. Januar hatte “Gräfin Mariza” Premiere in <strong>Trier</strong>. Besucht wur<strong>de</strong> die Aufführung<br />
am 3. Februar, auf die sich die berichteten Eindrücke beziehen. Weitere<br />
Aufführungen im Februar: Heute, 16 Uhr (mit Kin<strong>de</strong>rbetreuung); Samstag, 16.<br />
Februar, 19.30 Uhr; Mittwoch, 20 Februar, 20 Uhr; Samstag, 23. Februar, 19.30 Uhr.<br />
2 Leserbriefe | RSS-Abo<br />
1.Klauspeter Bungert schreibt:<br />
10. Februar 2013 (01:30 Uhr)<br />
Hier hat ein “<strong>Theater</strong>verrückter” keine Mühe gescheut, nahezu je<strong>de</strong> Einzelleistung<br />
beson<strong>de</strong>rs zu charakterisieren und konstruktiv zu begleiten. Dieses Niveau <strong>de</strong>r Kritik<br />
ist in <strong>de</strong>r Tagespresse schwerlich durchzuhalten. Umso schöner, wenn <strong>16vor</strong> solche<br />
Höhepunkte <strong>de</strong>r Kulturberichterstattung an Land ziehen kann.<br />
2.Kathy Kreuzberg schreibt:<br />
12. Februar 2013 (09:36 Uhr)<br />
@ Klauspeter Bungert: Da kann ich Ihnen nur beipflichten.