BAG-Report 02-2012 - BAG Bau Holz Farbe
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Werner Kuhlmeier<br />
Interkulturalität auf <strong>Bau</strong>stellen als Herausforderung für die berufliche Bildung<br />
Im folgenden Beitrag wird zunächst<br />
die Relevanz der interkulturellen Kooperation<br />
im <strong>Bau</strong>gewerbe anhand einschlägiger<br />
Strukturdaten untersucht.<br />
Anschließend wird kurz der aktuelle<br />
Diskurs zum Begriff der „Interkulturalität“<br />
analysiert, um daraus schließlich<br />
didaktische Hinweise zum Erwerb interkultureller<br />
Kompetenz in den Bildungsprozessen<br />
der <strong>Bau</strong>wirtschaft<br />
abzuleiten.<br />
1 Die Bedeutung der interkulturellen<br />
Kooperation in der <strong>Bau</strong>wirtschaft<br />
Der <strong>Bau</strong>arbeitsmarkt als internationaler<br />
Arbeitsmarkt<br />
Auch wenn die Nationalität oder die<br />
nationale Herkunft eines Menschen<br />
nur einen Faktor seiner kulturellen<br />
Identität neben anderen Faktoren (wie<br />
Geschlecht, Religion etc.) ausmachen,<br />
werden doch im Zusammenhang mit<br />
der Interkulturalität vorwiegend die sozialen<br />
Kontakte zwischen Menschen<br />
aus verschiedenen Herkunftsländern<br />
thematisiert. Aus diesem Grund werden<br />
zunächst die Multinationalität der<br />
<strong>Bau</strong>arbeit, ihre Ursachen und Ausprägungsformen<br />
dargestellt.<br />
Eine Besonderheit des <strong>Bau</strong>prozesses<br />
besteht darin, dass – im Unterschied<br />
zu anderen verarbeitenden Gewerben<br />
– die Produktion standortgebunden<br />
stattfindet. <strong>Bau</strong>werke werden am Ort<br />
ihrer späteren Nutzung errichtet; daher<br />
können die in der <strong>Bau</strong>wirtschaft produzierten<br />
Güter auch nicht exportiert werden.<br />
Die zur Produktion erforderlichen<br />
Arbeitskräfte können jedoch auch über<br />
die nationalen Grenzen hinweg „entsandt“<br />
werden. Aus diesem Grund ist<br />
der <strong>Bau</strong>arbeitsmarkt mehr als in anderen<br />
Branchen ein internationaler Markt.<br />
Zum Verständnis der Bedeutung ausländischer<br />
Beschäftigung in der deutschen<br />
<strong>Bau</strong>wirtschaft ist es wichtig, die<br />
unterschiedlichen Epochen der Beschäftigung<br />
ausländischer Arbeitnehmer<br />
zu unterscheiden.<br />
Die Beschäftigung von Arbeitsmigranten<br />
hat in der <strong>Bau</strong>wirtschaft eine lange<br />
Tradition. Viele der seit Beginn der<br />
1960er Jahre angeworbenen „Gastarbeiter“<br />
haben hier eine Anstellung<br />
gefunden. 1976 war die Quote der<br />
ausländischen Arbeitskräfte auf dem<br />
<strong>Bau</strong> um 50% höher als im Durchschnitt<br />
der gesamten Wirtschaft. Diese ausländischen<br />
Beschäftigten waren – im<br />
Unterschied zur heute üblichen Praxis<br />
– zu deutschen Tarifen und Arbeitsbedingungen<br />
beschäftigt (vgl. BOSCH;<br />
ZÜHLKE-ROBINET 2000, S. 62).<br />
Seit Ende der 1980er Jahre kam es<br />
zu einer starken Ausweitung der sogenannten<br />
„Entsendearbeit“. Mit dem<br />
EU-Beitritt von Ländern mit einem<br />
geringeren Lohnniveau, wie Portugal<br />
und Spanien (1986), konnten die dort<br />
ansässigen <strong>Bau</strong>unternehmen mit ihrem<br />
eigenen Personal auch Aufträge<br />
in Deutschland ausführen. Dieses Personal<br />
arbeitete zu wesentlich schlechteren<br />
Konditionen als die heimischen<br />
<strong>Bau</strong>arbeiter. Dadurch traten die unterschiedlichen<br />
Sozialsysteme der Länder<br />
in direkte Konkurrenz. Es setzte eine<br />
Abwärtsspirale der Arbeitsbedingungen<br />
und –löhne ein („Sozialdumping“).<br />
„Mit der Entsendung ausländischer<br />
Arbeitskräfte wird der wichtigste Stützpfeiler<br />
des gesamten Regulierungssystems<br />
in der <strong>Bau</strong>wirtschaft, das durch<br />
die Allgemeinverbindlichkeitserklärung<br />
der Tarifverträge begründete Territorialprinzip,<br />
bei der Festlegung der Beschäftigungsbedingungen<br />
unterhöhlt<br />
und durch das Herkunftsprinzip ergänzt“<br />
(a.a.O., S. 255).<br />
Eine weitere Stufe der ausländischen<br />
Beschäftigung auf deutschen <strong>Bau</strong>stellen<br />
wurde Mitte der 1990er Jahre<br />
durch die sogenannten „Werkvertragsabkommen“<br />
mit Ländern aus Mittel-<br />
und Osteuropa beschritten. Es wurden<br />
im Rahmen von „Werkverträgen“<br />
größere Kontingente aus diesen Ländern<br />
als Entsendearbeit zugelassen,<br />
„offiziell alles zum Tariflohn und unter<br />
hiesigen Arbeitsbedingungen, tatsächlich<br />
aber fand dort massenhaft<br />
eine Unterschreitung der hier üblichen<br />
Löhne statt“ (Frank Schmidt-<br />
Hullmann, IG BAU im Film: AUSBEU-<br />
TUNG EINKALKULIERT 2009).<br />
Mit dem EU-Beitritt der mittel- und<br />
osteuropäischen Länder wie Polen,<br />
Ungarn und der baltischen Staaten<br />
2004 sowie von Rumänien und Bulgarien<br />
im Jahr 2007 wurde ein weiterer<br />
Schub zur Beschäftigung ausländischer<br />
Unternehmen auf deutschen<br />
<strong>Bau</strong>stellen eingeleitet. Um die einheimischen<br />
Arbeitsmärkte zu schützen,<br />
wurden zunächst Übergangsfristen<br />
bis zur vollen Freizügigkeit vereinbart.<br />
Diese Übergangsfristen endeten am<br />
30. April 2011 für Lettland, Polen,<br />
Slowakei, Slowenien und Tschechien.<br />
Im Zuge der Dienstleistungsfreiheit<br />
in der EU können Unternehmen<br />
aus diesen Ländern ohne Kontingentierung<br />
zur Auftragserbringung nach<br />
Deutschland kommen, in der Regel<br />
werden sie als Subunternehmen beauftragt.<br />
Das extrem niedrige Lohnniveau<br />
in diesen Ländern verschärft<br />
den Druck auf die Arbeitsplätze in<br />
der deutschen <strong>Bau</strong>wirtschaft weiter.<br />
Ein weiteres Problem stellt die<br />
„Scheinselbstständigkeit“ dar. In illegaler<br />
Weise wurden und werden<br />
viele Arbeitskräfte aus Niedriglohn-<br />
Staaten als selbstständige Subunternehmer<br />
beschäftigt. So arbeiten z.B.<br />
viele Arbeitnehmer aus Rumänien<br />
auf deutschen <strong>Bau</strong>stellen, die oftmals<br />
ohne es zu wissen, Dokumente<br />
zur Anmeldung eines Gewerbes<br />
in Deutschland unterzeichnet haben<br />
(vgl. Film: AUSBEUTUNG EINKAL-<br />
KULIERT 2009). Sie arbeiten dann<br />
auf eigenes unternehmerisches Ri-<br />
<strong>BAG</strong>-<strong>Report</strong> <strong>02</strong>/<strong>2012</strong><br />
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