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Juli2013_Ephebe Westmacott - Skulpturhalle

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Skulptur des Monats Juli 2013<br />

sh 90; 1232; 1232a; 1233; 1527; 1528; 1536<br />

Statue eines nackten Jungen<br />

sog. <strong>Ephebe</strong> <strong>Westmacott</strong><br />

Original<br />

Datierung:<br />

Material:<br />

Fundorte:<br />

Standorte:<br />

Höhe:<br />

Römische Kopien nach einem<br />

Bronzewerk des Polyklet (?)<br />

um 420 v. Chr.<br />

Marmor<br />

alle aus Rom und Umgebung<br />

London, British Museum; Rom, Vatikan<br />

(Braccio Nuovo 96 (; Rom, Museo<br />

Barracco (Sala IV 99); Split,<br />

Archäologisches Museum; St. Petersburg,<br />

Ermitage (Inv. A.952); Dresden,<br />

Staatliche Skulpturensammlung (Inv. Hm<br />

84)<br />

der vollständigen Statue (Fusssohle bis<br />

Scheitel): 148 cm<br />

Abgüsse<br />

Hersteller: Dresden, Werkstatt der<br />

Skulpturensammlung (SH 90 und 1536);<br />

Rom, Mercatali (SH 1232f.);<br />

Abgusswerkstatt der <strong>Skulpturhalle</strong><br />

1232a); Restaurierungsatelier des<br />

Antikenmuseums Basel (SH 1527f.)<br />

Inv.-Nr. : SH 90/1911-2; SH 1232/78-131; SH<br />

1232a/79-180; SH 1233/78-132; SH<br />

1527/91-4; SH 1528/91-5; SH 1536 91-13<br />

Material: Gips, patiniert bzw. bronziert (SH 90)<br />

Abb. 1: <strong>Ephebe</strong> <strong>Westmacott</strong>, Gipsrekonstruktion sh 90: Statue in<br />

London mit nach der Replik im Museo Barracco ergänzten rechten<br />

Arm und abgenommener Stütze, bronzierter Gips<br />

Die in römischer Zeit häufig kopierte Statue eines<br />

nackten Knaben wird gemeinhin nach dem<br />

ehemaligen Besitzer der Londoner Kopie (Abb. 2),<br />

Richard <strong>Westmacott</strong>, als ‹<strong>Ephebe</strong> <strong>Westmacott</strong>›<br />

bezeichnet.<br />

Die in Marmor gearbeiteten Kopien gehen auf ein<br />

griechisches Bronzeoriginal aus der hochklassischen Zeit<br />

zurück, das entweder der berühmte Bildhauer Polyklet<br />

oder aber einer seiner Nachfolger geschaffen haben<br />

dürfte.<br />

Meisterzuweisung, Datierungs- und Deutungsversuche<br />

sind umstritten. Rekonstruktionsversuche (Abb. 1 und<br />

Abb. 3) zeigen den Knaben als sich mit der rechten<br />

Hand bekränzend, mit Schabeisen in der linken Hand<br />

oder aber als Knöchelspieler, der einen Knöchel in der<br />

erhobenen rechten Hand hält. Ein antiker Gipsabguss<br />

von einer rechten Hand ist – fragmentarisch – in einer<br />

antiken Kopistenwerkstatt in Baiae am Golf von Neapel<br />

gefunden worden. Dieses Fragment konnte dem Typus<br />

des ‹<strong>Ephebe</strong>n <strong>Westmacott</strong>› zugewiesen werden; da<br />

aber die Fingerspitzen fehlen, kann daraus nicht<br />

erschlossen werden, was der Knabe in der rechten<br />

Hand hielt. Aufgrund von Ansätzen von<br />

Verbindungsstegen an mehreren Kopfkopien und<br />

einigen Eigentümlichkeiten in der Haargestaltung wird<br />

heute allgemein vermutet, dass der Knabe einen Kranz<br />

von seinem Haupt abnimmt, wohl um ihn einer Gottheit<br />

als Dank für einen Sieg in einem Wettkampf zu opfern.<br />

Dies bleibt jedoch eine – wenn auch gut<br />

nachvollziehbare – Theorie.<br />

Der ‹<strong>Ephebe</strong> <strong>Westmacott</strong>› wurde früher mit der<br />

Statuenbasis des Knabensiegers Kyniskos aus Olympia<br />

in Verbindung gebracht, da die Beinstellung der<br />

erhaltenen Kopien in etwa der Fusseinbettung in der<br />

Basis entspricht. Demnach sollte er die Siegesstatue<br />

eines sich bekränzenden Knaben darstellen. Der<br />

Reiseschriftsteller Pausanias erwähnt besagte Basis, als<br />

er im 2. Jh. n. Chr. die in Olympia aufgestellten<br />

Siegerstatuen beschrieb, wie folgt: «Für Kyniskos, den<br />

Sieger im Knabenfaustkampf aus Mantineia, hat<br />

Polyklet die Statue gemacht.» (Beschreibung<br />

Griechenlands VI 4-11). Die Schriftform der auf der Basis<br />

erhaltenen Inschrift datiert man einheitlich um 450 v.<br />

Chr. Die Formsprache des ‹<strong>Ephebe</strong>n <strong>Westmacott</strong>› passt<br />

jedoch nicht zu Polyklets früher Schaffenszeit und<br />

weicht erheblich vom Kanon des Doryphoros ab,<br />

einem um 440 v. Chr. entstandenen Frühwerk des<br />

Meisters. Am augenfälligsten ist die Abweichung zum<br />

Doryphoros an der Wendung des Kopfes zur Spiel- und


nicht zur Standbeinseite hin. Darum wird der <strong>Ephebe</strong> oft<br />

als Werk eines Polykletnachfolgers aus der Zeit um 420<br />

v. Chr. angesehen.<br />

Abb. 2 und 3: Die Statue in London (links) und die Gipsrekonstruktion<br />

sh 1232a (Körper und linker Arm: Rom, Vatikan; rechter Arm: Rom,<br />

Museo Barracco; rechte Hand, Teile der Oberschenkel und des<br />

Gesässes: antike Gipsfragmente aus Baiae)<br />

Heute wird das Urbild des <strong>Westmacott</strong>schen <strong>Ephebe</strong>n<br />

zwar nicht mehr mit dem spezifischen Kyniskos in<br />

Verbindung gebracht aber dennoch als eine sonstige<br />

Ehrenstatue für einen nicht weiter bekannten jungen<br />

Athleten interpretiert, wie sie im antiken Olympia in<br />

hoher Anzahl zu sehen waren. Das gleiche wird für die<br />

stilistisch und kompositorisch sehr eng verwandte Statue<br />

des sog. Dresdner Knaben vorausgesetzt, die ebenfalls<br />

ein Spätwerk des Polyklet bzw. dessen Nachfolge sein<br />

muss. Es bleibt aber nach wie vor eine unbeantwortete<br />

Frage, warum dann nur wenige bestimmte solcher<br />

Siegerstatuen kopiert worden wären und diese so oft<br />

und die übrigen gar nicht. Ausserdem ist es generell<br />

fraglich, ob römische Kopisten überhaupt Statuen von<br />

sterblichen Athleten, also zeitgebundene Werke,<br />

kopiert hätten, wo ansonsten in der Regel nur<br />

berühmte Meisterwerke von mythischen Helden bzw.<br />

Göttern verbreitet wurden.<br />

Darum bleibt nach wie vor ein früherer<br />

Deutungsvorschlag von Ernst Berger<br />

überlegungswürdig: Berger vermutete, dass der<br />

<strong>Westmacott</strong>sche <strong>Ephebe</strong> und der Dresdner Knabe<br />

ursprünglich eine Gruppe sich entsprechender<br />

jugendlicher Götter bildeten, was bereits die<br />

spiegelbildliche Entsprechung dieser beiden<br />

Jünglingsstatuen nahe legt. Er verband beide mit einer<br />

von Plinius (naturalis historia 34,55) erwähnten Gruppe<br />

nackter knöchelspielender Knaben, die (zu seiner Zeit)<br />

im Atrium des Kaisers Titus stand und als<br />

«vollkommenstes» Werk dieses Meisters angesehen<br />

wurden. Diese beiden Knaben interpretierte Berger<br />

vorsichtig als Hermes Enagonios (Gott des<br />

Wettkampfglücks) und als Kairos (Gott des günstigen<br />

Augenblicks): Beide Götter besassen nämlich in<br />

Olympia in unmittelbarer Nähe zum Stadioneingang<br />

einen Altar. An diesen dürfte die vorbeiziehenden<br />

Athleten geopfert haben, um die göttliche Gunst und<br />

damit das nötige Wettkampfglück bzw. günstiges<br />

Momentum zu erwirken. Es ist gut möglich, dass hier in<br />

klassischer Zeit von beiden Göttern auch Standbilder<br />

aufgestellt waren, und zwar links vom Torbogen Hermes<br />

Enagonios im Typus des Dresdner Knaben und rechts<br />

davon der jüngere Bruder Kairos im Typus des<br />

<strong>Westmacott</strong>schen <strong>Ephebe</strong>n. In der Nähe des<br />

Stadioneingangs wurde nämlich eine Statuenbasis in<br />

Form eines Astragals gefunden, deren Fussspuren sich<br />

gut mit dem Standmotiv des <strong>Westmacott</strong>schen Knaben<br />

verbinden lassen. Das knabenhafte Alter dieser beiden<br />

Götter würde bestens zu den jungen Sportlern passen<br />

(in Olympia wurde neben Wettkämpfen für<br />

erwachsene Männer auch solche für Knaben<br />

ausgetragen).<br />

Aufgrund all dieser Annahmen könnte man unserem<br />

„<strong>Ephebe</strong>n“ in der erhobenen Hand einen Knöchel<br />

ergänzen und die Handlung nicht als Bekränzung,<br />

sondern als einen Zielwurf mit einem Knöchel, auf den<br />

es bei einer Knöchelspiel-Variante, dem sog. Tropa-<br />

Spiel, ankam. Bei diesem Glückspiel spielt natürlich<br />

auch der günstige Moment eine wesentliche Rolle,<br />

weshalb der Astragal ein sinnvolles Attribut einer<br />

solchen Statue wäre.<br />

Anna Laschinger – Tomas Lochman<br />

Auswahl an Literatur:<br />

• Ernst Berger, Zum von Plinius (N.H. 34,55) überlieferten «nudus talo incessens» des Polyklet, Antike Kunst 21, 1978, 55-62.<br />

• Christa Landwehr, Die antiken Gipsabgüsse aus Baiae (Berlin 1985) Nr. 54-58, 94-100.<br />

• Andreas Linfert, Die Schule des Polyklet, in: Herbert Beck – Peter C. Bol (Hg.), Polyklet. Der Bildhauer der griechischen<br />

Klassik (Ausstellungskatalog Frankfurt am Main 1990)<br />

• Ernst Berger, Antike Kunstwerke aus der Sammlung Ludwig III. Skulpturen (1990) 145-154<br />

• Ernst Berger – Brigitte Müller-Huber – Lukas Thommen, Der Entwurf des Künstlers. Bildhauerkanon in der Antike und<br />

Neuezit (Ausstellungskatalog Basel 1992) 168-182 Nr. 34. 35, Abb. 206-235; Beiheft 299-325 Abb. 456-514<br />

• Andreas Linfert, Aus Anlass neuer Repliken des <strong>Westmacott</strong>schen <strong>Ephebe</strong>n und des Dresdner Knaben, in: Herbert Beck<br />

– Peter C. Bol (Hg.), Polykletforschung (Berlin 1993) 141-168.<br />

• Detlef Kreikenbom, in: Peter C. Bol (Hg.), Die Geschichte der antiken Bildhauerkunst II. Klassische Plastik (2004) 243-247<br />

Abb. 180-1871c<br />

• Sascha Kansteiner et al. (Hg.), Text und Skulptur. Berühmte Bildhauer und Bronzegiesser der Antike in Wort und Bild<br />

(Ausstellungskatalog Berlin 2007) 62-64.

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