Volltext Prokla 44
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vorangegangenen Epoche. In def Lanclwirtschaft,die mit den Einfuhren aus Uberseezu<br />
konkurrieren hatte, waren die Auswirkungen def Krisen viel schaefer spurbar.<br />
Die grundlichsten und wichtigsten Veranderungen hatten jedoch mit def Rolle zu tun, die<br />
def Staat fUr die Wirtschaft zu spielen begann. Mit def einzigen Ausnahme Grofibritanniens,<br />
das als Welthandelszentrum den Freihandel beibehielt und nur mit einigen Sozialgesetzen<br />
in die industriellen Beziehungen eingriff, trafen aIle anderen Industrielander<br />
poIitische Mafinahmen, die schon damals von allen Fraktionen des Liberalismus als chafakteristisch<br />
fUr einen »kollektivistischen Protektionismus« gefahrlicher Art beklagt wurden.<br />
Urn das nationale Kapital und die Landwirtschaft zu schutzen, urn die »sozialen Kosten«<br />
def ka'pitalistischen Krise zu lindem und urn auf diese Weise eine soziale Revolution zu<br />
verhindem, wie man sie am Beispiel der Pariser Kommune von 1871 kennengelemt hatte,<br />
begannen die Staaten, neue Funktionen zu tibernehmen, die Ihnen vorher nicht zugefallen<br />
waren. Von nun an garantierten sie nicht mehr nUf die allgemeinen Bedingungen der<br />
Reproduktion des Kapitals, sondern bestimmtenauch tiber die konkreten Bedingungen.<br />
Die Staaten waren noch weit davon entfemt, in bezug auf Investitionen, direkte Forderung<br />
und eigene Unternehmen das Ausmafi an Aktivitat zu entfalten, das wir heute kennen,<br />
wohl aber wurden sie tatig auf den Gebieten des Zollschutzes, der Errichrung grofier<br />
offendicher lnfrastrukturanlagen, def Organisation def Sozialversicherung und des Arbeitsschutzes<br />
in Bergwerken und Fabriken. Und man darf auch die Auswirkungen nicht<br />
vergessen, die eine Politik beschleunigter Rustung und die Eroberung von Kolonien auf die<br />
Wirtschaft def Mehrheit der Industrielander hatten.<br />
Die Wirtschaftspolitik wurde damals eine der Hauptangelegenheiten des Staates. Wie aber<br />
die Politik immer mehr zur Wirtschaftspolitik wurde, so wurde auch die Wiri:schaft und<br />
mit iht die gesamte Gesellschaft politisiert. In dem Mafie, in dem der Staat in def Wirtschaft<br />
intervenierte, sahen sich die Vertreter der verschiedenen Wirtschaftsinteressen und<br />
gesellschaftlichen Gruppen gezwungen, sich immer mehr zu organisieren, urn auf den<br />
Staat Einflufi nehmen zu konnen, damit er zu ihren Gunsten oder wenigstens nicht gegen<br />
ihre Interessen interveniere. So entstanden oderwuchsen in dieser Zeit die groEen Verbande<br />
der Industrie, def Landwirtschaft, des Bergbaus, des Bankwesens, der Arbeitgeber, def<br />
Hersteller bestirnmter Waren, des Handels, die starken Gewerkschaften, die organisierten<br />
Massenbewegungen, die modernen politischen Parteien. Es war def Beginn eines gesellschaftlichen<br />
Prozesses, den die neue Wissenschaft def Soziologie dann als »Fundamentaldemokratisierung«<br />
bezeichnen sollte, def aber von Anfang an mit einer starken Tendenz<br />
zur Burokratisierung verknupft war, die notwendig erschien, damit die Organisation ihre<br />
Aufgaben gegentiber dem kapitalistischen Staat und gegentiber den Organisationen anderer<br />
soziale! Klassen erfUllen konnten.<br />
Diese grundsatzliche Veranderung der Rolle des Staates bedeutete auch, daB der Nationalstaat<br />
zum narurlichen Raum nlcht nur fUr die politischen Entscheidungen im engeren Sinne,<br />
sondeen auch fUr die kapitalistische Entwicklung wurde, zum Raum, von clem aus das<br />
national organisierte Kapital den Teil des Weltmarktes zu erobern suchte, der ihm gerecht<br />
und nQtwendig etschien. Wenn wit zu dieser Tatsache der nationalen Organisation des Kapitals<br />