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Volltext Prokla 44

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nur noch schlimmer werden kann, stellt Senghaas das autozentrierte Entwicklungsmodell<br />

der entwickelten Industriegesellschaften mit ihren »lehens- und entwicklungsfahigen<br />

Strukruren« gegenuber, um dann daraus die absolute Notwendigkeit einer autozentrierten<br />

Entwicklungsstrategie zur Dberwindung de! Strukturdefekte des peripheren Kapitalismus<br />

abzuleiten: Nur die zeitweise Abkoppelung vom Weltmarkt (»Dissoziation«), interne<br />

Strukrurreformen (vor aHem im Agrarsektor) und die Etablierung eines in die Binnenwirtschaft<br />

integrierten moglichst kompletten Produktionsmittelsektors ermoglichen eine dynamische<br />

Entwicklung des Binnenmarktes, in den die Masse der Bevolkerung wegen def<br />

zunehmenden wechselseitigen Verflechtung von Industrie und Landwirtschaft produktiv eingegliedert<br />

werden kann. 1m Gegensatz zum 19. Jhdt. erfordert eine soIche autozenrrierte<br />

Entwicklung unter den gegenwartigen weltwirtschaftlichen Bedingungen mit ihrem »wachsenden<br />

internationalen Kompetenzgefalle« und der zunehmenden »Politisierung def Entwicklungsproblematik«<br />

einen nichtkapitalistischen Entwicklungsweg, def mit Elementen<br />

sozialistischer Planung die hauptsachlichen Strukturdefekte der Peripherie-Okonomien<br />

aufhebt und eine Strategie prioritarer Grundbedurfnisbefriedigung einleitet.<br />

Del Vorzug dieser einfachen Argumentationskette lag in der ersten Phase def Kritik an den<br />

herrschenden Entwicklungstheorien offensichtlich darin, auf einer allgemeinsten Ebene<br />

die wichtigsten Ursachen und Strukturdefekte unterentwickelter Gesellschaften sowie eine<br />

allgemeine Strategie zu ihref Dberwindung zu benennen und damit gleichzeitig die iUusionaren<br />

Modernisierungstheorien zu kritisieren. Insofern hat dieser Ansatz auch politisierend<br />

und erkenntnisfordernd im ProzeR def Ablosung von veralteten Erklarungsmustern<br />

gewirkt.<br />

Das Problem def Theorie des peripheren Kapitalismus ist nun allerdings, daB es ihr schwerfallt,<br />

tiber heuristische Merkmalsbeschreibungen, vereinfachende Typologien (Peripherie -<br />

Merropolen) und grobe konfigurative Kausalbeziehungen hinauszukommen. Es handelt<br />

sich bei dieser »Theorie« daher weniger urn eine empirisch gehaltvolle erklarende Theorie,<br />

sondern eher urn erste heuristische, d.h. die Erkenntnis fordernde Modelle mit stark deduktivem<br />

Charakter. Die ntitzliche Funktion dieser Modelle im ErkenntnisprozeR kann angesichts<br />

des allgemein desolaten Zustands def Theorie def Unterentwicklung zunachst tiberhaupt<br />

nicht bestritten werden.<br />

Die Redeweise von »der Theorie« erweckt aber einerseits bei dem mehr btirgerlichen Teil<br />

des wissenschaftlichen und politischen Publikums uneinlosbare Ansprnche auf theoretische<br />

Kobarenz und empirische Fundierung und fordert andererseits bei den Verfechtern<br />

dieser Theorie (vor aHem im linken Lager) schwerwiegende Erkenntnisblockierungen. Damit<br />

ist weniger die empirisch-induktive Arbeitsweise von D. Senghaas und seiner Forschungsgruppe<br />

selbst gemeint, die sicherlich auf beeindmckende Weise demonstriert haben,<br />

was »Lernflexibilitat« bedeuten kann.<br />

Die als entwickelte Theorie prasentierten Vereinfachungen def 1. Phase, die spater - oft<br />

unter der Hand - korrigiert und differenziert wurden, haben abet auf die allgemeine politisch-wissenschaftliche<br />

Diskussion vo! aHem im »linken Spektrum« entdifferenzierend und<br />

enthistorisierend gewirkt. Dem groben Klotz def burgerlichen Modernisierungtheorie und<br />

offiziellen Entwicklungspolitik konnte unbesorgt der grobe Keil oft zum Klischee herabgesunkener<br />

globaler Erklamngsmuster und unhistorischer Politikvorstellungen eingerammt<br />

werden. Ich glaube, daB die Popularitat von Versatzsrncken aus def Dependenztheorie<br />

und def Theorie des peripheren Kapitalismus (die ich im weiteren als identische Theorien<br />

behandeln weIde) gerade in def Einfachheit ihres eindimensionalen Weltbildes liegt.<br />

Zur Kritik von Dieter SenghaaJ 109

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