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takt - VDS

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Zur Diskussion<br />

„Musik im Brennpunkt“ - sinniger<br />

hätte man das Motto der diesjährigen<br />

Bundesschulmusikwoche in<br />

Frankfurt am Main kaum wählen<br />

können. Wer konnte im voraus erahnen,<br />

dass wenige Häuserblocks<br />

weiter ein prominenter Staatsbanker<br />

dem Thema „Integration“<br />

zu solcher Medienpräsens verhelfen<br />

würde, wenn dieser Tage die<br />

Musikpädagogik in Deutschland<br />

einmal wieder zur Nabelschau zusammen<br />

kommt. Musik im Brennpunkt?<br />

Na klar, das ist genau das<br />

Thema: Musik und Musikunterricht<br />

können doch ganz wertvolle<br />

Beiträge leisten zur Integration im<br />

sozialen Brennpunkt, und nicht<br />

nur bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund.<br />

Punktlandung.<br />

Wird sich also die diesjährige Bundesschulmusikwoche<br />

als fruchtbarer<br />

Jungbrunnen des Musikunterrichts<br />

erweisen? Werden<br />

die Bildungspolitiker jetzt endlich<br />

begreifen, dass sie den Musikunterricht<br />

nicht nur brauchen, wenn<br />

ein Abiturjahrgang mit einem netten<br />

Lied verabschiedet werden<br />

soll? Werden sie jetzt verstehen,<br />

dass wir unverzichtbare Arbeit<br />

dabei leisten, eine multikulturelle<br />

Gesellschaft an ihren Bruchstellen<br />

wieder mühsam zusammenzukitten,<br />

oder im Idealfall: die in<br />

Deutschland lebende (also nicht<br />

nur die deutsche) Gesellschaft zusammenzuschweißen?<br />

Frankfurt<br />

2010 könnte zum Startschuss einer<br />

neuen musikalischen Bildungsoffensive<br />

werden.<br />

Szenenwechsel: Mai 2010, Oberstufenkursfahrt,<br />

Nachtfähre von<br />

Helsinki nach Stockholm, 16 Elftklässler,<br />

ein Geschichtslehrer (der<br />

zufällig auch Musiklehrer ist). Bereits<br />

wenige Minuten nach der<br />

Zur Diskussion<br />

Musikunterricht und Integration<br />

Ausfahrt aus dem Hafen wird klar,<br />

dass sich die allerwenigsten Passagiere<br />

an Bord auf Studien- oder<br />

Bildungsreise befinden. Familienfeiern<br />

und Betriebsausflüge<br />

beherrschen die Szenerie. Eine<br />

Art skandinavisches Pendant zum<br />

Kegelklubsausflug. Das Boot verwandelt<br />

sich zusehends in eine<br />

Partymeile. Auf hoher See herrschen<br />

eigene Gesetze, und diese<br />

sind offenbar weit weniger streng<br />

als die an Land. „Oho“ denkt der<br />

besorgte Pädagoge, „wie soll<br />

ich hier meine Schäfchen bewachen?“<br />

Zum Glück gibt es an Bord<br />

noch die Teenie-Disco: Kein Alkoholausschank,<br />

professionelles<br />

Entertainment mit Karaoke. Die<br />

Begeisterung der Schäfchen hält<br />

sich zunächst in Grenzen, aber<br />

es stellt sich heraus, dass der Zutritt<br />

zu den Bars und Casinos doch<br />

nicht so einfach ist wie gehofft.<br />

Erstaunlicher Weise füllt sich die<br />

Teenie-Disco rasch, obwohl doch<br />

die allermeisten Passagiere längst<br />

erwachsen sind. Was wollen sie<br />

denn da? Sie wollen singen! Der<br />

DJ nimmt bereitwillig Zettel mit<br />

Wünschen entgegen. nach wenigen<br />

Minuten ist bereits Schluss,<br />

denn das Abendprogramm ist<br />

voll. Die „Stars“, die im Minuten<strong>takt</strong><br />

die Bühne betreten sind<br />

zwischen 10 und 80. Auf den<br />

mitlaufenden Text schauen sie<br />

nicht, denn sie können ihre Songs<br />

auswendig. Und was singen sie?<br />

Finnische Volkslieder. Richtig: Finnische<br />

Volkslieder. Die Playbacks<br />

kommen ganz unterschiedlich<br />

daher, mal urig volkstümlich, mal<br />

leicht verpoppt, mal schlagermäßig,<br />

ab und an auch im Hardrock-Kostüm.<br />

An der Decke dreht<br />

sich geduldig die Discokugel und<br />

wirft ein zwielichtiges Licht in den<br />

Raum, während eine unbekümmerte<br />

Stimme etwas von dunklen<br />

Wäldern und blauen Seen singt.<br />

Gigantisch die Menuauswahl des<br />

DJ, die zwischen den Songs auf<br />

der Leinwand immer mal wieder<br />

kurz sichtbar wird. Dass es überhaupt<br />

so viele finnische Lieder<br />

gibt! Die „Stars“ geben alle ihr<br />

bestes und erhalten Applaus, das<br />

Publikum singt selbst kräftig mit,<br />

die Stimmung ist bestens (auch<br />

ohne Alkohol).<br />

Obwohl der ein oder andere Moment<br />

nicht arm an Situationskomik<br />

ist und obwohl sich der musikalisch<br />

geschulte Geschmack<br />

immer wieder mal gegen einen<br />

billigen Keyboardsound empören<br />

will, so bin ich doch auch<br />

fasziniert von dem „Konzert“.<br />

Hier kommen Menschen der<br />

verschiedensten Generationen,<br />

Schichten und Bildungshintergründe<br />

zufällig zusammen und<br />

finden eine Art Einklang in ihrer<br />

eigenen Volksmusik, einer Volksmusik,<br />

die lebendig geblieben ist<br />

über die Zeiten hinweg, die keine<br />

Berührungsängste zu Rock, Pop<br />

und Schlager zeigt, die sich nicht<br />

in ihrer eigenen Tradition einigelt,<br />

sondern zeitgenössische Stile in<br />

sich aufsaugt und weiter verarbeitet.<br />

Ist das nicht Volksmusik<br />

im besten Sinne des Wortes? Musik<br />

als Kitt der Gesellschaft! Auf<br />

einmal geht mir eine Assoziation<br />

durch den Kopf: Da war doch<br />

was... PISA...Finnland....Gibt es da<br />

einen Zusammenhang, oder bilde<br />

ich es mir nur ein?<br />

Ich stelle mir vor, wie meine Elftklässler<br />

gleich auf die Bühne<br />

gehen und „Horch, was kommt<br />

von draußen rein“ singen. Im<br />

selben Moment schon verknotet<br />

sich mein Gehirn. Es klappt nicht,<br />

4 con.<strong>takt</strong> 2/2010

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