ein Ursprungsvolk in Schweden - Samer.se
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Zwischen zwei Identitäten<br />
Über s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Weg von Saarivuoma, <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
Samidorf <strong>in</strong> der Kommune Kiruna, über die<br />
Nomadenschule zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em Leben als Lehrer<br />
<strong>in</strong> der schwedischen Schule schreibt<br />
Johannes Mara<strong>in</strong>en. Er hat <strong>e<strong>in</strong></strong>en großen<br />
Teil s<strong>e<strong>in</strong></strong>es Lebens Vorlesungen über<br />
samische Identität und Kultur gewidmet.<br />
”<br />
Ich hatte als K<strong>in</strong>d das Glück, <strong>in</strong><br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em praktisch r<strong>e<strong>in</strong></strong> samischen<br />
Milieu zu wohnen und aufzuwach<strong>se</strong>n.<br />
Alle <strong>in</strong> m<strong>e<strong>in</strong></strong>em Samidorf waren<br />
abhängig von der Rentierzucht, und un<strong>se</strong>re<br />
Lebenswei<strong>se</strong> war immer noch völlig unbe<strong>e<strong>in</strong></strong>flusst<br />
von der schwedischen Großgem<strong>e<strong>in</strong></strong>schaft.<br />
Sprachlich und kulturell lebten<br />
wir un<strong>se</strong>r eigenes Leben.<br />
E<strong>in</strong> paar Monate im Jahr hatten wir<br />
jedoch Kontakt mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er anderen Kultur,<br />
aber es war nicht die schwedische, sondern<br />
die tornedalf<strong>in</strong>nische Kultur. Wir waren,<br />
könnte man sagen, <strong>e<strong>in</strong></strong>e M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
anderen M<strong>in</strong>derheit. Beide die<strong>se</strong> M<strong>in</strong>derheitskulturen<br />
durften zu der Zeit ziemlich<br />
unbe<strong>e<strong>in</strong></strong>flusst von der schwedischen Mehrheitskultur<br />
existieren.<br />
Der Schulbeg<strong>in</strong>n war für mich der erste<br />
Kontakt mit <strong>Schweden</strong>. Ich war mir nicht<br />
Foto: Jan Gustavsson<br />
Als Lásbietheaihkajohánas die<br />
Schule begann, wurde er zum ersten<br />
Mal Johannes Mara<strong>in</strong>en genannt.<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>mal bewusst, dass ich schwedischer<br />
Staatsangehöriger war, denn zu der Zeit<br />
wohnten wir nicht nur <strong>in</strong> <strong>Schweden</strong>. Die<br />
rentierzüchtenden Sami hatten auch Zugang<br />
zu Sommerweideland <strong>in</strong> Norwegen, und<br />
m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Familie hielt sich deshalb <strong>e<strong>in</strong></strong>en Teil<br />
des Jahres auf der norwegischen Seite auf.<br />
Wirft man <strong>e<strong>in</strong></strong>en Blick <strong>in</strong> die Kirchenbücher<br />
kann man leicht zu der Auffassung<br />
gelangen, dass samische Eltern k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Phantasie<br />
haben, wenn es darum geht <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Namen zu wählen. Wie kann man es sonst<br />
erklären, dass es <strong>in</strong> der<strong>se</strong>lben Familie bis zu<br />
fünf Per, Nils oder Lars geben kann? Die<br />
Pfarrer hatten nämlich Standardnamen für<br />
drei bis vier samische Namen. Biera, Bera,<br />
Biete und Beahkka mussten sich alle damit<br />
abf<strong>in</strong>den, dass sie ab Schulbeg<strong>in</strong>n <strong>e<strong>in</strong></strong> und<br />
den<strong>se</strong>lben Namen hatten, Per.<br />
Für mich war es ebenso fremd und<br />
unbegreiflich, dass Johannes Mara<strong>in</strong>en<br />
m<strong>e<strong>in</strong></strong> Name s<strong>e<strong>in</strong></strong> sollte, als ich zum ersten<br />
Mal <strong>in</strong> der Schule aufgerufen wurde, wie<br />
als ich 1993 bei <strong>e<strong>in</strong></strong>em Urvolkstreffen von<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em A<strong>in</strong>u <strong>in</strong> Sapporo <strong>in</strong> Japan abgeholt<br />
werden sollte und nicht verstand, dass es<br />
m<strong>e<strong>in</strong></strong> Name war, der auf <strong>e<strong>in</strong></strong>em Plakat<br />
geschrieben stand. Johannes Mara<strong>in</strong>en,<br />
geschrieben mit japanischen Zeichen, war<br />
ebenso weit entfernt von m<strong>e<strong>in</strong></strong>em samischen<br />
Namen, Lásbietheaihkajohánas, wie<br />
der offizielle schwedische Name, den ich<br />
zum ersten Mal <strong>in</strong> der Schule hörte.<br />
Die ersten Schuljahre waren äußerlich<br />
un<strong>se</strong>rer Lebenswei<strong>se</strong> angepasst. Wir g<strong>in</strong>gen<br />
<strong>in</strong> die Schule von Juni bis August und von<br />
Anfang Januar bis April, d.h. während der<br />
Perioden, wo wir stationär waren. Im Sommer<br />
glich die eigentliche Schule auch un<strong>se</strong>rer<br />
eigenen Wohnung, <strong>e<strong>in</strong></strong>er gewöhnlichen<br />
Goahti (Erdhütte). Aber das war auch das<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>zige von un<strong>se</strong>rer Kultur, worauf man<br />
Rücksicht genommen hatte.<br />
Kulturell und sprachlich wurde die<br />
Schule deshalb <strong>e<strong>in</strong></strong> schockartiges Erlebnis<br />
für mich. „Muttersprache“ war das völlig<br />
dom<strong>in</strong>ierende Fach <strong>in</strong> der Schule während<br />
der ersten Schuljahre, aber es war nicht<br />
m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Muttersprache, es war Schwedisch.<br />
Ich verstand nicht <strong>e<strong>in</strong></strong> Wort von dem was<br />
gesagt wurde. Später habe ich erfahren,<br />
dass es <strong>e<strong>in</strong></strong>e Bestimmung <strong>in</strong> der Verordnung<br />
über Nomadenschulen gab, dass<br />
Samik<strong>in</strong>der bestraft werden sollten, wenn<br />
sie ihre eigene Sprache während der Schulzeit<br />
benutzten, und dass galt auch <strong>in</strong> den<br />
Pau<strong>se</strong>n. Die<strong>se</strong> Bestimmung galt bis 1956.<br />
Von m<strong>e<strong>in</strong></strong>em vierten Schuljahr an durfte<br />
ich nicht mehr im Sommer <strong>in</strong> die Goahti-<br />
Schule gehen, sondern im August war ich<br />
anstatt des<strong>se</strong>n gezwungen, m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Eltern zu<br />
verlas<strong>se</strong>n und <strong>in</strong> der Nomadenschule anzufangen,<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em Internat, das <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em Dorf<br />
<strong>in</strong> der Nähe un<strong>se</strong>res W<strong>in</strong>terwohnplatzes<br />
lag. M<strong>e<strong>in</strong></strong>e Eltern und Geschwister traf ich<br />
erst wieder, als sie um die Weihnachtszeit<br />
mit den Rentieren zum W<strong>in</strong>terwohnplatz<br />
zogen.<br />
Wenn die ersten drei Jahre vor allem<br />
benutzt wurden um uns Kenntnis<strong>se</strong> <strong>in</strong> „un<strong>se</strong>rer<br />
Muttersprache“ zu vermitteln, schien es,<br />
als ob die folgenden drei Jahre dazu benutzt<br />
werden sollten, uns als <strong>Schweden</strong> zu fühlen<br />
oder jedenfalls uns wie <strong>Schweden</strong> zu benehmen<br />
oder „wie gewöhnliche Menschen<br />
zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>“, wie Gunnar Kieri es von s<strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
tornedalf<strong>in</strong>nischen Gesichtspunkt her ausdrückte.<br />
Wie fühlen sich K<strong>in</strong>der, wenn ihre eigene<br />
Kultur nicht als Kultur anerkannt wird,<br />
sondern wenn alles was mit ihrer eigenen<br />
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