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Reichsverfassung und Landstände - obere-meerbach.de

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gegnen uns in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahrh<strong>und</strong>erten immer wie<strong>de</strong>r <strong>und</strong> sind letztlich auch Gr<strong>und</strong>lage <strong>de</strong>s ganzen<br />

Lehnswesens gewor<strong>de</strong>n – an die Zustimmung ihrer aus Freien bestehen<strong>de</strong>n Gefolgschaft geb<strong>und</strong>en.<br />

Schon Tacitus beschreibt die öffentlichen Zusammenkünfte, auf <strong>de</strong>nen gr<strong>und</strong>sätzlich die wichtigen<br />

Angelegenheiten vom gesamten Volke <strong>und</strong> nur die unwichtigeren von <strong>de</strong>n Fürsten entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

31 . Diese Bindung <strong>de</strong>s Herrschers an die Zustimmung seiner Gefolgschaft setzt sich in <strong>de</strong>r Bindung<br />

<strong>de</strong>s Gesetzgebers an die Zustimmung <strong>de</strong>r Betroffenen fort, jene Zustimmung, die das ungeschriebenen<br />

Gesetz germanisch-mittelalterlicher Herrschaftskontrolle <strong>und</strong> <strong>de</strong>n eigentlich Geltungsgr<strong>und</strong> von Recht<br />

darstellt; bereits in <strong>de</strong>n Kapitularien fin<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r formelhafte Gr<strong>und</strong>satz „(quoniam) lex consensu<br />

populi et constitutione regis fit“ 32 . Diese Formel strahlt auch auf das Lehnswesen aus, das in seinem<br />

Kern die Verpflichtung <strong>de</strong>s Lehnsherrn zu Schutz <strong>und</strong> Schirm, die <strong>de</strong>s Lehnsmannes zu Rat <strong>und</strong> Tat<br />

enthält.<br />

Rat <strong>und</strong> Tat sind aber nicht allein Pflicht, son<strong>de</strong>rn können wegen <strong>de</strong>s erwähnten Gegenseitigkeitsprinzips<br />

auch zum Recht wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> dass „Recht“ als tragen<strong>de</strong>s Element <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Staatslebens angesehen<br />

wer<strong>de</strong>n muß, zeigt sich vielerorts in <strong>de</strong>n Kapitularien 33 , aber nirgendwo klarer als in <strong>de</strong>m be<strong>de</strong>utendsten<br />

Rechtsbuch <strong>de</strong>s Mittelalters, <strong>de</strong>m Sachsenspiegel, wo Rechtswahrung die wichtigste<br />

Pflicht überhaupt <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Königs ist 34 : „Sobald man <strong>de</strong>n König kürt, soll er <strong>de</strong>m Reiche Hul<strong>de</strong><br />

tun <strong>und</strong> schwören, dass er das Recht stärken <strong>und</strong> das Unrecht schwächen <strong>und</strong> das Reich vertreten wer<strong>de</strong><br />

in seinem Rechte, wie er könne <strong>und</strong> vermöge“. Dem entspricht die weitere Vorschrift <strong>de</strong>s Sachsenspiegels,<br />

wonach <strong>de</strong>r Lehnsmann <strong>de</strong>r unrechten Tat seines Königs <strong>und</strong> seines Richters sich wi<strong>de</strong>rsetzen<br />

<strong>und</strong> helfen darf, sie abzuwehren, ohne damit wi<strong>de</strong>r seine Treupflicht zu han<strong>de</strong>ln <strong>und</strong> seinen Treueid<br />

zu verletzen 35 . Und dass dies wirkliches Reichsrecht war, zeigt sich in <strong>de</strong>n Beschlüssen <strong>de</strong>s Nürnberger<br />

Reichstages vom 19. Nov. 1274 36 , <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m König gr<strong>und</strong>sätzlich allumfassen<strong>de</strong>s Jurisdiktionsrecht<br />

einräumte.<br />

Fast zeitgleich mit <strong>de</strong>m Sachsenspiegel wer<strong>de</strong>n im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert die Gr<strong>und</strong>lagen für die künftige<br />

Verfassungsentwicklung im Reich gelegt. Während <strong>de</strong>r Reichsspruch gegen die Genossenschaften <strong>de</strong>r<br />

Städte 37 noch die Verbindungen von Städten ohne Zustimmung <strong>de</strong>s jeweiligen Stadtherrn verbietet <strong>und</strong><br />

damit für die Städte genossenschaftliche Zusammenschlüsse als reichsverfassungswidrig erklärt, legt<br />

<strong>de</strong>r wenige Monate später von Heinrich mit Zustimmung <strong>de</strong>r Fürsten getroffene Reichsspruch vom 1.<br />

Mai 1231 38 die Gr<strong>und</strong>lage für die Einrichtung von Landtagen: „Super qua re requisito consensu<br />

principum fuit taliter diffinitum: ut neque principes neque alii quilibet constitutiones vel nova iura<br />

facere possunt, nisi meliorum et maiorum terre consensus primitus habeatur“.<br />

Diese Vorschrift, wonach keine Rechtsetzung erlaubt sei ohne die Zustimmung <strong>de</strong>r Vornehmen <strong>und</strong><br />

Großen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s, schränkte die neuentstehen<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>sherrschaft – von <strong>de</strong>n domini terrae ist 1232<br />

die Re<strong>de</strong> – empfindlich ein, <strong>und</strong> es ist zu vermuten, dass die bereits angesprochene Verpflichtung von<br />

31 Tacitus, Germania 11.1.<br />

32 MGH CAP. II, Nr. 273 C.6 (Edictum Pistense vom 25. Juni 864).<br />

33<br />

Vgl. z. B. das Kap. von 802 (MGH LL S.2 Bd. 1, S. 91 ff.(abgedruckt bei Wilhelm Altmann <strong>und</strong> Ernst Bernheim,<br />

Ausgewählte Urk<strong>und</strong>en zur Erläuterung <strong>de</strong>r Verfassungsgeschichte Deutschlands im Mittelalter, 4.A.<br />

Berlin 1909, S.3 ff.): „Ut judices sec<strong>und</strong>um scriptam legem judicent, non sec<strong>und</strong>um suum arbitrium.“(Zf.26)<br />

34 Landrecht III, 54,2.<br />

35 Sachsenspiegel, Landrecht III, 78.<br />

36 Altmann-Bernheim Nr. 16, S. 31 ff.(MGH LL S. 4 Bd.3 S.59 ff.), Zf. 3<br />

37<br />

Vom 23. Januar 1231 in MGH Constitutiones 2 Nr. 299, S. 413f., auch Karl Zeumer, Quellensammlung zur<br />

Geschichte <strong>de</strong>r <strong>Reichsverfassung</strong> in Mittelalter <strong>und</strong> Neuzeit, 2 B<strong>de</strong>. 2. A. Tübingen 1913, hier Bd.1, S. 50;<br />

<strong>und</strong> Lorenz Weinrich, Quellen z. dt. Verfassungs-, Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialgesch. bis 1250 (= Frhr. v. Stein<br />

Gedächtnisausg. Bd. 32), Darmstadt 1977, Nr. 108, S. 422f.<br />

38 MGH Constitutiones 2 Nr. 305, S. 420, Zeumer (Anm. 37), Bd. 1, S. 52.<br />

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