über solche Klagen in letzter Instanz zu entschei<strong>de</strong>n, wenn privilegia <strong>de</strong> non appellando vorhan<strong>de</strong>n sind, es sei <strong>de</strong>nn, darin wäre ein ausdrücklicher Vorbehalt zugunsten <strong>de</strong>r Reichsgerichtsbarkeit enthalten, o<strong>de</strong>r wenn „ein an<strong>de</strong>res durch Verträge mit <strong>de</strong>n Landschaften <strong>und</strong> Obrigkeiten ... bestimmet ...“ wäre. Gr<strong>und</strong>sätzlich ist zwar zunächst das Austrägalverfahren 141 zu beachten. Nach Artikel 19 § 7 sind jedoch an<strong>de</strong>re Fälle <strong>de</strong>nkbar: „Wo aber in Sachen, da <strong>Landstän<strong>de</strong></strong>, Untertanen o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Reichsstädten die Bürger, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ren Ausschüsse wi<strong>de</strong>r ihre Obrigkeit Klage führen, die Jurisdiktion f<strong>und</strong>ieret, dannoch, ehe <strong>und</strong> bevor die Mandate, Reskripte, o<strong>de</strong>r etwa in <strong>de</strong>ren Stelle treten<strong>de</strong> Ordinationen ergehen, die beklagte Obrigkeit je<strong>de</strong>s Mal <strong>und</strong> in allen Fällen mit ihrem Bericht <strong>und</strong> gegen Notdurft zufor<strong>de</strong>rst vernehmen, gestalten bei <strong>de</strong>ssen Hinterbleibung ihnen gestattet, <strong>und</strong> zugelassen sein sollen, solchen Mandaten o<strong>de</strong>r Reskripten ... keine Parition zu leisten, <strong>und</strong> wenn alsdann sich befin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, dass die Untertanen billige Ursache zu Klagen haben, <strong>de</strong>m Prozesse schleunig, jedoch mit Beobachtung <strong>de</strong>r substantialium abhelfen, inmittels sie gleichwohl zum schuldigen Gehorsam gegen ihre Obrigkeit anweisen“. Je nach <strong>de</strong>n politischen Machtverhältnissen konnten diese weit auslegbaren, unklaren Bestimmungen auf eine Schwächung <strong>de</strong>r Autorität <strong>und</strong> Legitimität <strong>de</strong>r 1356 in <strong>de</strong>r Gol<strong>de</strong>nen Bulle <strong>und</strong> später gewährten Appellationsprivilegien hinauslaufen, die bei Rechtsverweigerung ohnehin <strong>de</strong>m Kaiserlichen oberherrlichen Gerichtsanspruch zu weichen hatten. Fragen wir nach <strong>de</strong>m Ergebnis dieser Untersuchung zum Verhältnis von <strong>Reichsverfassung</strong> <strong>und</strong> <strong>Landstän<strong>de</strong></strong>n, so scheint mir festzustehen, dass das Heilige Römische Reich sich ungeachtet aller nach seinem Untergang erhobenen Vorwürfe <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts keineswegs im Sinne Pufendorfs lediglich als das einem Ungeheuer ähnliche Durcheinan<strong>de</strong>r von Herrschaftsformen darstellt, son<strong>de</strong>rn dass <strong>de</strong>r leiten<strong>de</strong> Gedanke <strong>de</strong>r Bindung von Macht an Recht seinen hohen Stellenwert seit <strong>de</strong>n Kapitularien <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Sachsenspiegel bis hin: zur letzten Wahlkapitulation Kaiser Franz II. behalten hat 142 . Der aus <strong>de</strong>m Lehnssystem sich ergeben<strong>de</strong> Gr<strong>und</strong>satz von auxilium et consilium, von Rat <strong>und</strong> Tat, die Einung als Zusammenschluss gleicher, aber auch unterschiedlicher Stän<strong>de</strong> <strong>und</strong> die Reihe <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>gesetze <strong>de</strong>s Reiches mit <strong>de</strong>n schließlich wichtigsten, <strong>de</strong>n Wahlkapitulationen, sie sind es, die ebenso Ursache für die Entstehung landständischer Verfassung wie Voraussetzung für ihren Fortbestand waren 143 . Mit ihrer reichsverfassungsrechtlichen Absicherung stellen sich die landständischen Rechtsverhältnisse im alten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Sinne <strong>de</strong>s eingangs Gesagten durchaus in mancherlei Hinsicht als echte Vorläufer <strong>de</strong>s heutigen b<strong>und</strong>esstaatlichen Systems dar, in <strong>de</strong>m sich seit <strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Artikels 23 GG mit <strong>de</strong>r Einführung europarechtlicher Zuständigkeiten <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r ja sogar wie<strong>de</strong>r Anklänge an 1648 gewährte Rechte fin<strong>de</strong>n 144 . So wird verständlich, was im Umfeld <strong>de</strong>r Französischen Revolution im Kurtrierischen Intelligenzblatt 145 in Zusammenhang mit <strong>de</strong>n Wirren <strong>de</strong>r so genannten Lütticher Revolution <strong>de</strong>r dortigen <strong>Landstän<strong>de</strong></strong> gegen ihren fürstbischöflichen Lan<strong>de</strong>sherrn geschrieben wur<strong>de</strong>: „... hoffentlich wird jetzt die 141 Als Schlichtungsverfahren zwischen Reichsstän<strong>de</strong>n durch § 28 <strong>de</strong>r Reichskammergerichtsordnung vom 7.8.1495 eingeführt (Sammlung (Anm. 64) Teil II, S. 10). 142 Die zentrale Rolle <strong>de</strong>s Rechts in <strong>de</strong>r <strong>Reichsverfassung</strong> ist für Moser entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Rechtsgr<strong>und</strong>satz bei <strong>de</strong>r Entscheidung, wer im Streitfalle die Beweislast zu tragen hat. Seiner Ansicht nach hat <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sherr nur bei <strong>de</strong>r Regierung <strong>de</strong>s Staates in <strong>de</strong>n das Gemeinwohl betreffen<strong>de</strong>n Angelegenheiten entsprechend <strong>de</strong>m allgemeinen Reichsherkommen die Rechtsvermutung für sich, wenn kein an<strong>de</strong>rer Regierungsrechte nachweisen kann; dagegen heißt es für die <strong>Landstän<strong>de</strong></strong>: „<strong>Landstän<strong>de</strong></strong> <strong>und</strong> Untertanen haben die Vermutung für sich bei allem, was zum Nachteil <strong>und</strong> Einschränkung ihrer althergebrachten Freiheiten <strong>und</strong> Gerechtsamen gereichet“. (Staatsverfassung S. 521). 143 Vgl. hierzu auch Karl Otmar Freiherr von Aretin, Heiliges Römisches Reich 1776 bis 1806. <strong>Reichsverfassung</strong> <strong>und</strong> Staatssouveränität (= Veröffentlichungen <strong>de</strong>s Instituts für Europäische Geschichte Mainz Bd. 38), Wiesba<strong>de</strong>n 1967, S. 26f. mit weiterer Literatur. 144 S. o. Anm. 87. 22
Ruhe bald wie<strong>de</strong>r eintreten <strong>und</strong> unter Deutschlands glücklichem Himmel <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong> dauerhaft bleiben, <strong>de</strong>n es seiner <strong>Reichsverfassung</strong> zu verdanken hat, die von <strong>de</strong>m Geiste wahrer Freiheit durchweht ist, weil durch sie auch <strong>de</strong>r Geringste Schutz gegen wirkliche Unterdrückung fin<strong>de</strong>t“. 145 Vom 11. September 1789, Nr. 73 Beilage (gedruckt bei Joseph Hansen, Quellen zur Geschichte <strong>de</strong>s Rheinlan<strong>de</strong>s im Zeitalter <strong>de</strong>r Französischen Revolution 1780-1807 (= Publikationen <strong>de</strong>r Gesellschaft für rheinische Geschichtsk<strong>und</strong>e Bd. 42) S. 435. 23