Nr. 243 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen
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Prämien für erlegte Kreuzottern<br />
ausgesetzt. Je Stück fünfzig Pfennig,<br />
das war damals immerhin Geld,<br />
ein kleines Silberstück; man musste<br />
dazu die Schlangenköpfe einsenden.<br />
Gefahr – Aufregung – Heldentum –<br />
und Geld dazu! Das war ein Anreiz!<br />
Wir kannten mehrere Kreuzotter-<br />
Reviere, das ergiebigste befand sich<br />
nördlich der Stadt beim Roten Krug,<br />
an dem feuchten Waldrand, wenn<br />
man links von der Chaussee abbog.<br />
Zwischen den alten Kiefern und Buchen<br />
gedieh viel Buschwerk, Hasel<br />
vor allem, Farnkraut, Maiglöckchen,<br />
Waldmeister und Pilze. Und da, wo<br />
der mulmige Waldboden ins festere<br />
Wiesenland überging, durch einen<br />
schmalen Graben nur andeutungsweise<br />
davon getrennt, wuchs auch<br />
Heidekraut, das die Kreuzottern besonders<br />
mögen.<br />
Es war in den letzten Maitagen oder<br />
Anfang Juni, es gab noch Maiglöckchen,<br />
der Waldmeister blühte noch<br />
nicht überall, aber die Sonne brannte<br />
schon heiß, nachdem es vier Tage<br />
geregnet hatte – ein rechtes Schlangenwetter.<br />
Walter, ein romantischer<br />
Blondkopf, pflückte Maiglöckchen<br />
für seine Pensionsmutter, Otto suchte<br />
Waldmeister für die anstehende<br />
Geburtstagsbowle seines Vaters, wobei<br />
er sich über die Theorie der Kreuzotterjagd<br />
verbreitete und der Hoffnung<br />
Ausdruck gab, es möge doch<br />
einer von uns gebissen werden, weil<br />
man dann – als einziges Rettungsmittel<br />
– im Roten Krug beliebig viel<br />
Cognac trinken könne. Nur ich war<br />
voll Jagdeifer, hatte mir eine zähe<br />
Haselgerte geschnitten und spähte<br />
nach Schlangen aus. Denn Ende<br />
Juni, am 23., hatte Alice Geburtstag,<br />
und die Schlangenprämie sollte mein<br />
Geburtstagsgeschenk für sie finanzieren<br />
helfen.<br />
Wir sahen eine ganze Menge Ringelnattern,<br />
die ich laufen ließ, aber auch<br />
zahlreiche Kreuzottern, von denen einige<br />
entkamen; drei erwischte ich<br />
durch je einen Schlag mit der Haselrute,<br />
der den Reptilien das Rückgrat<br />
brach. Es herrschte bei uns der Aberglaube,<br />
eine Schlange könne nur mit<br />
sinkender Sonne sterben. Es waren<br />
drei Prachtexemplare: eine hellgraue<br />
mit dunkelbraunem Zickzackstreifen,<br />
eine Höllennatter, die kohlschwarze<br />
Spielart ohne erkennbare Zeichnung,<br />
und eine dicke, wohl meterlange<br />
Kupfernatter, die rötliche Spielart der<br />
Kreuzotter. Sie ringelte sich wütend<br />
nach dem ersten Schlag, der ihr<br />
nichts Ernstliches getan hatte, und<br />
reizte mich zu dem alten Bravourstück:<br />
Ich ergriff sie schnell bei der<br />
Schwanzspitze und ließ sie am ausgestreckten<br />
Arm baumeln. Sie züngelte<br />
und hob den Kopf nach meiner<br />
haltenden Hand, aber immer nur bis<br />
zur halben Höhe: die Kreuzotter ist zu<br />
schwerfällig, um sich empor schnellen<br />
zu können, es ist ganz ungefährlich<br />
und sieht doch beängstigend<br />
aus: aber mit keiner anderen Giftschlange<br />
wäre es zu wagen.<br />
Erschrocken vielleicht, vielleicht auch<br />
angewidert oder auch aus Übermut<br />
schlug Otto mir das Reptil mit seinem<br />
Spazierstock aus der Hand – es fiel<br />
Walter, der leichte Halbschuhe aus<br />
Segeltuch anhatte, unmittelbar vor die<br />
Füße. Ich war geistesgegenwärtig genug,<br />
sofort zweimal zuzuschlagen: die<br />
Otter ringelte sich wütend und zischte,<br />
konnte aber nicht mehr kriechen, nur<br />
Kopf und Hals erhob sie noch höchst<br />
angriffslustig.<br />
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