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Nr. 243 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen

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ten wir von oben herab einen Russen<br />

schreiend und polternd herunterkommen.<br />

Das spielte sich noch<br />

während der ersten sechs Wochen<br />

ab, wo die Russen noch die Erlaubnis<br />

hatten, alle Deutschen zu erschießen,<br />

wenn sie wollten. Ich<br />

schob Annemarie geistesgegenwärtig<br />

in die kleine Vorratskammer, ließ<br />

die Tür aber offen stehen, damit der<br />

Russe nichts Verdächtiges bemerkte.<br />

Als meine Freundin dann vor<br />

Angst schreien wollte, hielt ich ihr<br />

den Mund zu, gerade in dem Moment,<br />

als der Russe die Küche<br />

betrat, in der wir uns befanden. So<br />

wurden wir nicht entdeckt und konnten<br />

zu den anderen in das Hinterhaus<br />

zurückkehren.<br />

Manchmal lagen auf den Kellertreppen<br />

auch Leichen herum, die wir<br />

achtlos zur Seite stießen, wenn wir<br />

auf Nahrungssuche waren. Man war<br />

ganz und gar abgestumpft und<br />

dachte nur an das eigene Überleben.<br />

An den Straßen in den Gräben<br />

lagen deutsche Soldaten, z. T. grausam<br />

ermordet, mit abgeschnittenen<br />

Gliedmaßen, ausgestochenen Augen<br />

usw. herum, auch das nahmen wir<br />

Kinder kaum noch wahr. Ja, ich habe<br />

viel Schlimmes und Fürchterliches als<br />

Kind erlebt, und doch waren manche<br />

noch viel schlimmer dran und<br />

wurden grausam zu Tode gequält.<br />

Als es nicht mehr so gefährlich war,<br />

auf den Hinterhöfen zu spielen, entdeckten<br />

wir in einem Keller eine riesengroße<br />

Holzkiste, die noch verschlossen<br />

war. Wir Kinder öffneten<br />

sie und entdeckten die herrlichsten<br />

Kristallvasen, -schüsseln, -gläser<br />

usw. Wir spielten mit den Kostbarkeiten,<br />

füllten sie mit Sand oder<br />

Wasser So manches schöne Ding<br />

ging dabei entzwei. Aber so konnten<br />

es die Russen auch nicht mehr in<br />

Beschlag nehmen. Als Annemarie<br />

und ich wieder einmal auf Nahrungssuche<br />

waren in einer Wohnung<br />

im dritten Stock, hörten wir plötzlich<br />

vor dem Haus Lkws halten. Einige<br />

Russen kamen schnell in das Haus<br />

gelaufen woraufhin wir uns hinter<br />

einem Sofa versteckten. Vor dem<br />

Sofa standen noch einige Schränke,<br />

Tische und Stühle. Wir beobachteten<br />

von unserem Versteck aus, wie<br />

die Russen alle Möbel hinunterschleppten<br />

und verluden. Nach einer<br />

Weise stand nur noch das Sofa in<br />

dem Raum. In dem wir uns versteckt<br />

hielten. Als gerade niemand im<br />

Zimmer war, liefen wir schnell eine<br />

Etage höher, um uns ein sichereres<br />

Versteck zu suchen. Kaum waren<br />

wir in Sicherheit, trugen die Russen<br />

auch das Sofa hinunter. Die Möbel<br />

wurden sicherlich alle nach Russland<br />

abtransportiert.<br />

Nach einigen Wochen mussten alle<br />

Deutschen, die sich nicht zu Polen<br />

bekannten, aus der Stadt heraus in<br />

eine abseits gelegene Siedlung. Die<br />

Besitzer dieser Siedlungshäuser waren<br />

entweder geflüchtet, gestorben<br />

o. ä. Wir bezogen also ein leeres<br />

Haus, das zum Teil noch möbliert<br />

war. Frau Dresp und Frau Rauna<br />

hatten sicherlich auch noch einige<br />

Sachen aus der Hohensteiner Straße<br />

mitgenommen, aber genau weiß ich<br />

das nicht mehr. Richtige Ruhe fanden<br />

wir hier aber nicht. Immer wenn<br />

es nachts gegen die Tür polterte und<br />

Russen herein wollten, weil sie Frauen<br />

suchten, musste der 12-jährige<br />

Rudi Rauna, der etwas in der Entwicklung<br />

zurückgeblieben war und<br />

etwas stotterte, die Tür öffnen. Er<br />

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