02.11.2013 Aufrufe

Revision Betäubungsmittelgesetz - Regierungsrat - Kanton Basel ...

Revision Betäubungsmittelgesetz - Regierungsrat - Kanton Basel ...

Revision Betäubungsmittelgesetz - Regierungsrat - Kanton Basel ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Regierungsrat</strong> des <strong>Kanton</strong>s <strong>Basel</strong>-Stadt<br />

St. Staatskanzlei Albanvorstadt 12, Postfach<br />

CH-4001 Marktplatz <strong>Basel</strong> 9<br />

CH-4001 <strong>Basel</strong><br />

Telefon +41 (0)61 267 95 30<br />

Telefax Telefon +41 (0)61 267 272 85 95 62 29<br />

E-Mail Telefax daniel.capone@bs.ch<br />

+41 (0)61 267 85 72<br />

Internet E-Mail staatskanzlei@bs.ch<br />

www.gesundheitsdienste.bs.ch<br />

Internet www.bs.ch<br />

Bundesamt für Gesundheit<br />

Direktionsbereich Öffentl. Gesundheit<br />

Abteilung NPP<br />

Sektion Grundlagen<br />

CH-3003 Bern<br />

Kopie: baggrundlagen@bag.admin.ch<br />

<strong>Basel</strong>, 25. Mai 2011<br />

<strong>Regierungsrat</strong>sbeschluss<br />

vom 24. Mai 2011<br />

04.439 Parlamentarische Initiative. <strong>Betäubungsmittelgesetz</strong>. <strong>Revision</strong>: Eröffnung des<br />

Vernehmlassungsverfahren<br />

Sehr geehrte Damen und Herren<br />

Mit Schreiben vom 28. Februar 2011 lädt die Präsidentin der Kommission für soziale Sicherheit<br />

und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR), Frau Thérèse Meyer-Kälin, die <strong>Kanton</strong>e<br />

sowie weitere Kreise zur Vernehmlassung des Vorentwurfs zur Änderung des <strong>Betäubungsmittelgesetz</strong>es<br />

ein. Dieser Vorentwurf wurde in Erfüllung der parlamentarischen Initiative<br />

04.439 (<strong>Betäubungsmittelgesetz</strong>. <strong>Revision</strong>) ausgearbeitet und sieht künftig die Möglichkeit<br />

der Ahndung des Konsums von Cannabis bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 16 Jahren<br />

im Ordnungsbussenverfahren vor. Wir danken für die uns eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme<br />

und äussern uns dazu wie folgt:<br />

1. Allgemeines zur vorgeschlagenen <strong>Revision</strong> des <strong>Betäubungsmittelgesetz</strong>es<br />

Der vorliegende Vorentwurf versteht sich als Vorhaben zur <strong>Revision</strong> des Bundesgesetzes<br />

über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (<strong>Betäubungsmittelgesetz</strong>, BetmG)<br />

vom 3. Oktober 1951 (SR 812.121). Das BetmG wurde in den letzten Jahren einer umfassenden<br />

<strong>Revision</strong> unterzogen, die schliesslich in der Volksabstimmung vom 30. November<br />

2008 gutgeheissen wurde. Eine Inkraftsetzung des revidierten BetmG ist – bis auf die Einführung<br />

zweier neuer Bestimmungen im Zusammenhang mit der betäubungsmittelgestützten<br />

Behandlung (Art. 3e und 3f BetmG, in Kraft seit 1. Januar 2010) – bis heute noch nicht erfolgt,<br />

weil die entsprechenden Ausführungsverordnungen noch nicht fertig gestellt sind. Dessen<br />

ungeachtet wird mit dem vorliegenden Vorentwurf beabsichtigt, in diesen ohnehin schon<br />

komplexen Gesetzgebungsprozess, der aufgrund vieler noch nicht gelöster Detailfragen<br />

schon seit über zwei Jahren andauert, ein weiteres <strong>Revision</strong>sbegehren einzubringen. Diese<br />

Vorgehensweise erscheint aus verschiedenen Gründen problematisch und wirft zusätzliche<br />

Fragen auf. So etwa, ob das heute (gemäss Information des Bundesamtes für Gesundheit


<strong>Regierungsrat</strong> des <strong>Kanton</strong>s <strong>Basel</strong>-Stadt Seite 2<br />

voraussichtlich noch bis Mitte 2011) geltende Gesetz oder die bereits beschlossene <strong>Revision</strong>svorlage<br />

revidiert werden soll oder wie die beiden <strong>Revision</strong>en koordiniert sind, um sich<br />

gegebenenfalls nicht unbeabsichtigt zu beeinträchtigen. Die vorliegende <strong>Revision</strong> sieht z.B.<br />

vor, neu die Art. 28a – 28j ins BetmG einzufügen, obschon die jüngste BetmG-<strong>Revision</strong> bereits<br />

einen Art. 28a als neue Bestimmung (allerdings mit anderem Regelungsinhalt) enthält.<br />

Angesichts dieser Problematik und der herrschenden Unsicherheit, wie die bereits beschlossene<br />

BetmG-<strong>Revision</strong> umgesetzt werden soll und kann, wäre im heutigen Zeitpunkt ein Absehen<br />

von weiteren Veränderungen zu begrüssen, zumindest bis die beschlossene jüngste<br />

<strong>Revision</strong> in Kraft gesetzt ist und sich die Neuerungen etabliert haben.<br />

2. Stellungnahme<br />

2.1 Grundsätzliches zur vorliegenden <strong>Revision</strong><br />

Mit dem Vorhaben, Cannabiskonsum inskünftig im Ordnungsbussenverfahren zu sanktionieren,<br />

stellt sich eine grundsätzliche Frage. Ausgehend vom Gewaltenteilungsgrundsatz gilt,<br />

dass die Exekutive bestehende Rechtsnormen vollzieht und umsetzt, während es der Judikative<br />

zusteht, Widerhandlungen zu beurteilen und zu sanktionieren. Den Organen der Judikative<br />

gewährt die geltende Rechtsordnung regelmässig einen Ermessensspielraum, um im<br />

Einzelfall angemessene Entscheide treffen und verschuldensadäquate Sanktionen verhängen<br />

zu können. Ein solches Ermessen ist gemäss bisher geltender <strong>Betäubungsmittelgesetz</strong>gebung<br />

den Untersuchungsbehörden (Staatsanwaltschaften) und Gerichten vorbehalten,<br />

während die Polizei als Verwaltungsbehörde grundsätzlich über keinen solchen Beurteilungsspielraum<br />

verfügte. Diese Lösung ist nicht einfach nur historische Realität, sondern<br />

auch sachlich gerechtfertigt. Der Polizei als Teil der Exekutive obliegt es, deliktisches Verhalten<br />

objektiv festzustellen und gegebenenfalls der Justiz zu rapportieren. Weder nach dem<br />

Gewaltenteilungsgrundsatz noch ganz allgemein gehört es zu den Aufgaben der Polizei, deliktisches<br />

Verhalten zu gewichten, zu würdigen und schliesslich analog einer Justizbehörde<br />

über verschiedene mögliche Konsequenzen (einschliesslich Sanktionen) zu entscheiden.<br />

Wie die nachfolgenden Darlegungen aufzeigen, sieht das vorliegende <strong>Revision</strong>svorhaben<br />

aber genau dies vor, wenn es für die Verfolgung des Cannabiskonsums ein Ordnungsbussenmodell<br />

in der vorliegenden Form einführen möchte.<br />

Art. 19a Ziff. 1 BetmG (der unverändert auch ins neue Betäubungsmittelrecht Eingang gefunden<br />

hat) stellt einerseits den vorsätzlichen Betäubungsmittelkonsum unter Strafe, andererseits<br />

aber auch sämtliche Handlungen gemäss Art. 19 BetmG, sofern sie "zum eigenen<br />

Konsum" vorgenommen worden sind. Darüber hinaus sieht Art. 19a Ziff. 2 BetmG vor, dass<br />

in leichten Fällen das Verfahren eingestellt oder von einer Strafe abgesehen werden kann.<br />

Schliesslich enthält Ziff. 3 dieser Bestimmung eine analoge Regelung für Konsumierende,<br />

die sich einer ärztlich beaufsichtigten Betreuung unterziehen und Ziff. 4 verleiht dem Gericht<br />

die Möglichkeit, abhängige Konsumierende in eine Heilanstalt einzuweisen. Die ganze "Konsumnorm"<br />

(Art. 19a BetmG) wurde vom Gesetzgeber bewusst als Übertretungsstrafnorm<br />

ausgestaltet und somit gegenüber den übrigen Delikten privilegiert.


<strong>Regierungsrat</strong> des <strong>Kanton</strong>s <strong>Basel</strong>-Stadt Seite 3<br />

Wenn nun mit der beabsichtigten neuen Regelung Widerhandlungen gemäss Art. 19a Ziff. 1<br />

BetmG in ein Ordnungsbussenverfahren verwiesen und der Polizei zur selbstständigen Erledigung<br />

zugeteilt werden, werden entweder einfach nur die drei weiteren Ziffern von Art.19a<br />

BetmG ignoriert und diese Verfahrenserledigungsmöglichkeiten schlicht nicht in Betracht gezogen<br />

oder aber die Entscheidung über die Erledigungsart wird auf die Stufe der Uniformpolizei<br />

delegiert. Die Polizeibeamten vor Ort hätten dann zu beurteilen, welche Art der Verfahrenserledigung<br />

die im Einzelfall angemessenste sei, was zum einen nicht ihre Aufgabe ist<br />

und zum andern in die Kompetenz der Justiz eingreift. Das Argument, dies geschehe bereits<br />

heute schon häufig, z.B. bei der Vielzahl von durch die Polizei direkt erledigten Delikten gemäss<br />

Strassenverkehrsgesetz (SVG; SR 741.01), verfängt in diesem Zusammenhang nicht,<br />

denn in diesen Fällen wird von den Polizeibeamten nicht verlangt, dass sie zwischen verschiedenen<br />

Vorgehensweisen auszuwählen bzw. mit quasi richterlichem Ermessen zu entscheiden<br />

haben. Die Ordnungsbussendelikte des SVG (z.B. Überschreiten der Parkdauer)<br />

sind klar definiert und ziehen nur eine einzige mögliche, ebenfalls eindeutig gesetzlich bestimmte<br />

Konsequenz nach sich.<br />

In den Erläuterungen des Vorentwurfs wird darauf hingewiesen, dass das Ordnungsbussenmodell<br />

zu einer Entlastung der Behörden und zu einer schweizweit einheitlichen Sanktionierung<br />

des Cannabiskonsums führen werde. Letzteres ist zutreffend, wenn man davon<br />

ausgeht, jeglicher Cannabiskonsum werde stets mit einer Ordnungsbusse in der vorgeschlagenen<br />

Höhe von CHF 100 bestraft. Eine Berücksichtigung der besonderen Umstände<br />

im Einzelfall ist damit aber gleichzeitig ausgeschlossen. Demzufolge muss ausser Acht bleiben,<br />

ob es sich um eine Neukonsumentin oder einen Neukonsumenten handelt, ob sie bzw.<br />

er schon verschiedentlich z.B. mit Konsum im öffentlichen Raum aufgefallen ist, woher die<br />

konsumierende Person die Betäubungsmittel bezogen hat, ob die konsumierende Person<br />

zur Finanzierung des Eigenkonsums auch Handel betreibt oder ob eine andere Reaktion als<br />

eine Busse auf deren Verhalten adäquater wäre. Indem der nunmehr auch wissenschaftlich<br />

als problematisch anerkannte Cannabiskonsum als blosse Ordnungswidrigkeit qualifiziert<br />

bzw. bagatellisiert wird, werden unter den Titeln Effizienzsteigerung und „Entkriminalisierung“<br />

letztlich falsche Signale gesetzt, welche nicht zuletzt in einem gewissen Widerspruch<br />

zu den Bemühungen im Nichtraucherschutz stehen. Zudem hält auch das Argument der Entlastung<br />

der Behörden einer näheren Überprüfung nicht stand. Zwar kann das blosse Ausstellen<br />

einer Ordnungsbusse die Polizistinnen und Polizisten vor Ort etwas entlasten, die polizeiliche<br />

Infrastruktur wird jedoch durch die Asservierung der sichergestellten Betäubungsmittel,<br />

die Organisation der Vernichtung der Betäubungsmittel und die Administration von<br />

Fällen, in welchen eine Bedenkfrist ausbedungen wird oder schliesslich keine Zahlung der<br />

Busse erfolgt, belastet. In diesen Fällen muss nachträglich dennoch Bericht erstattet und<br />

das ordentliche Verfahren eingeleitet werden.<br />

Nach der heute geltenden Regelung rapportieren die kontrollierenden Polizistinnen und Polizisten<br />

zwar in jedem Fall kurz und geben den Fall einschliesslich der sichergestellten Betäubungsmittel<br />

an die Staatsanwaltschaft weiter, womit der Fall jedoch für sie erledigt ist. Die<br />

Staatsanwaltschaft übernimmt dann die Beurteilung nach Massgabe der gesetzlichen Bestimmungen<br />

und schliesst das Verfahren nach den nunmehr einheitlichen Vorgaben der<br />

schweizerischen Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) durch Einstellung (Art. 19a Ziff. 2<br />

oder 3 BetmG) oder durch Strafbefehl (Art. 19a Ziff. 1 BetmG) ab. Die Konsumdelikte wer-


<strong>Regierungsrat</strong> des <strong>Kanton</strong>s <strong>Basel</strong>-Stadt Seite 4<br />

den somit im gleichen straffen Verfahren erledigt, wie alle anderen Übertretungsstraftaten,<br />

d.h. es ist keine zusätzliche Administration auf Stufe Polizei erforderlich und die Staatsanwaltschaften<br />

sind als Justizbehörden in der Lage und berufen, eine umfassende Würdigung<br />

des Einzelfalls vorzunehmen, was dem Gewaltenteilungsprinzip entspricht. Die Annahme,<br />

dass ein Ordnungsbussenmodell im Gegensatz zum heutigen System eine nennenswerte<br />

Entlastung zur Folge haben würde, ist als nicht zutreffend zu qualifizieren, was sich auch mit<br />

der Einschätzung des Verbands der Schweizerischen Polizei-Beamten (VSPB) deckt.<br />

Wir weisen darauf hin, dass im <strong>Kanton</strong> <strong>Basel</strong>-Stadt der Cannabiskonsum bei Personen, welche<br />

das 18. Alterjahr erreicht haben, nur dann gezielt strafrechtlich verfolgt wird, wenn sich<br />

auf Grund besonderer Umstände eine Notwendigkeit dafür ergibt (z.B. Belästigung der Öffentlichkeit).<br />

Mit dem vorgeschlagenen Ordnungsbussenmodell dürfte die Polizei bei Beobachtung<br />

von Konsumhandlungen nicht auf eine Busse verzichten (sofern der Minderheitsantrag<br />

zu Art. 28a Abs. 1 bis BetmG nicht angenommen wird; knapper Entscheid der SGK-NR<br />

mit 10:9, bei 2 Enthaltungen). Im Verhältnis zur heutigen Praxis im <strong>Kanton</strong> <strong>Basel</strong>-Stadt würde<br />

die Anwendung des Ordnungsbussenverfahrens bei Cannabiskonsum zu einer unerwünschten<br />

repressiveren Cannabispolitik führen. In der Vergangenheit hat sich der <strong>Regierungsrat</strong><br />

wiederholt für eine Liberalisierung des Cannabiskonsums ausgesprochen. Er befürwortet<br />

grundsätzlich eine Entkriminalisierung des Cannabiskonsums bei Erwachsenen, da<br />

eine Kriminalisierung weder notwendig noch sinnvoll ist. Zudem erscheint es unglaubwürdig,<br />

Cannabiskonsum anders zu behandeln als der Konsum von Alkohol oder Tabak, deren Risikopotenzial<br />

nicht geringer und deren risikoreicher Konsum nicht minder schädlich ist. Mit der<br />

Einführung des Ordnungsbussenmodells würde dieser gesundheitspolitischen Widerspruch<br />

noch akzentuierter, wenn man sich vor Augen führt, dass Alkoholkonsum, der zu vergleichbaren<br />

schädlichen Folgen wie Cannabiskonsum führen kann, im Gegensatz zum Konsum<br />

von Cannabis straflos ist.<br />

Der erläuternde Bericht der SGK-NR zum vorliegenden Vorentwurf hebt den Jugendschutz<br />

hervor, und führt aus, dass diesem im Umgang mit Cannabiskonsum eine zentrale Bedeutung<br />

zukommt. Er verweist dazu auf das wichtige Element der Meldebefugnis nach Art. 3c<br />

des revidierten BetmG in der Fassung vom 20. März 2008, der notabene aber noch gar nicht<br />

in Kraft gesetzt wurde (vgl. oben, Ziff. 1). Gemäss gängiger Praxis im <strong>Kanton</strong> <strong>Basel</strong>-Stadt<br />

wird bei jugendlichen Cannabiskonsumierenden (unter 18-Jahren) ein Strafverfahren durchgeführt,<br />

in welchem jedoch keine Bussen ausgesprochen werden. Im Vordergrund steht<br />

vielmehr die Thematisierung des Konsumverhaltens der Jugendlichen betreffend Cannabis.<br />

Dazu werden Sie beispielsweise zur obligatorischen Teilnahme an Kursen verpflichtet, um<br />

sich dort mit ihrem Konsum und ihrer Lebensweise auseinanderzusetzen. Wie diese gut besuchten<br />

Kurse zeigen, verfängt diese Massnahme. Jugendliche, welche mit einem problematischen<br />

Cannabiskonsum auffallen, werden mit weiteren Massnahmen wie beispielsweise<br />

Behandlungen unterstützt. Mit der Einführung des vorgeschlagenen Ordnungsbussenmodells<br />

wird der Jugendschutz jedoch eher gefährdet als gestärkt, da es den Polizeibeamten<br />

vor Ort überlassen bleibt, ob sie jugendliche Cannabis Konsumierende über 16 Jahren dem<br />

ordentlichen Strafverfahren zuführen oder deren Konsumverhalten lediglich mit einer Ordnungsbusse<br />

belegt wird. Der Entscheid vor Ort für das Ordnungsbussenverfahren kann wiederum<br />

dazu führen, dass diese Konsumierenden nicht mehr von der Jugendanwaltschaft


<strong>Regierungsrat</strong> des <strong>Kanton</strong>s <strong>Basel</strong>-Stadt Seite 5<br />

angesprochen werden können. Verhaltensänderungen bei Jugendlichen werden weniger<br />

über das Aussprechen von Bussen erreicht, als durch Einsicht und Prävention.<br />

2.2 Zu den einzelnen Bestimmungen<br />

Art. 19b Abs. 2 (neu)<br />

Die Normierung einer als geringfügig geltenden Menge mag zwar als Voraussetzung für die<br />

Realisierung eines Ordnungsbussenmodells angesehen werden, sie verhindert aber nicht,<br />

dass das kontrollierende Polizeiorgan vor Ort, d.h. auf der Strasse, die Menge bestimmen<br />

muss. Jede uniformierte Polizeipatrouille hätte folglich eine Waage mitzuführen und müsste<br />

anlässlich einer Kontrolle eine Messung durchführen, das Nettogewicht ermitteln und gleichzeitig<br />

die kontrollierte Person beaufsichtigen. Die Umsetzbarkeit dieses theoretischen Denkmodells<br />

in der Praxis ist daher äusserst fraglich.<br />

Weiter kommt es bei der Wirkungsentfaltung von Cannabis v.a. auf die aufgenommene<br />

Wirkstoffmenge, also den THC-Gehalt des Cannabisprodukts an. Dieser kann in Marihuana<br />

oder Haschisch stark schwanken und dadurch zu verschiedenen Wirkungen führen. So ist<br />

heute weithin Marihuana mit einem THC-Gehalt zwischen 2% und 20% Gesamt-THC auf<br />

dem Markt. Dass sich der mittlere THC-Gehalt gemäss erläuterndem Bericht (S. 13) zwischen<br />

9% und 11% THC bewegt und Spitzenwerte von über 30% nur noch selten vorkommen,<br />

bewahrt nicht davor, dem THC-Gehalt Bedeutung beizumessen und nicht alleine auf<br />

die Menge in Gramm abzustellen. Allerdings dürfte die Berücksichtigung des THC-Gehalts in<br />

der Praxis von der Polizei vor Ort kaum feststellbar sein.<br />

Art. 28a (neu) Grundsatz<br />

Wie bereits oben erwähnt ist diese Artikelbezeichnung bereits durch die jüngste BetmG-<br />

<strong>Revision</strong> (Änderungen vom 20. März 2008) belegt. Darüber hinaus vermag die getroffene<br />

Regelung in mehreren Punkten nicht zu überzeugen. Die Formulierung "Widerhandlungen<br />

nach Art. 19a Ziff. 1, begangen durch den Konsum von Betäubungsmitteln des Wirkungstyps<br />

Cannabis,..." beschränkt das Ordnungsbussenverfahren auf den Fall, wo ein uniformiertes<br />

Polizeiorgan eine Person in flagranti beim Cannabiskonsum beobachtet. Alle anderen<br />

denkbaren Konstellationen von Art. 19a Ziff. 1 BetmG (z.B. Kauf, Besitz, Einfuhr und Ausfuhr<br />

einer geringfügigen Menge zum Eigenkonsum) werden durch diese Formulierung nicht<br />

erfasst, wenn nicht auch eine Konsumhandlung festgestellt wird. Entsprechend erfasst das<br />

Ordnungsbussenmodell nur einen Bruchteil der Widerhandlungen gegen Art. 19a BetmG,<br />

was zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung der Rechtsunterworfenen führt und die<br />

beabsichtigte, hier aber als unrealistisch eingestufte Entlastungswirkung zusätzlich schmälert.<br />

Ebenso sind alle Fälle von Art. 19b BetmG (Vorbereitung des Eigenkonsums bei geringfügigen<br />

Mengen bzw. unentgeltliche Abgabe geringfügiger Mengen Betäubungsmittel zur<br />

Ermöglichung des gleichzeitigen und gemeinsamen Konsums) immer durch Rapportierung<br />

an die Staatsanwaltschaften zu erledigen, was zur Konsequenz hätte, dass der Betroffene<br />

einen Einstellungsbeschluss (mit Kostenauflage) im ordentlichen Verfahren erhalten würde<br />

und damit gegenüber dem kontrollierten Konsumenten schlechter gestellt wäre, obwohl seine<br />

Widerhandlung geringfügiger ist und vom Gesetz für straflos erklärt wird. Eine weitere<br />

Ungleichbehandlung wird im erläuternden Bericht (S. 13) selbst erwähnt: Betäubungsmittelkonsum<br />

kann in leichten Fällen straflos sein, während mit Einführung des Ordnungsbussen-


<strong>Regierungsrat</strong> des <strong>Kanton</strong>s <strong>Basel</strong>-Stadt Seite 6<br />

verfahrens der Cannabiskonsum, falls dieser nicht in einem ordentlichen Verfahren beurteilt<br />

wird, nicht straffrei bleibt. Für die Bevölkerung dürfte es schwierig zu verstehen sein, dass<br />

der Konsum von Heroin, Kokain oder weiteren Betäubungsmitteln unter Umständen straffrei<br />

bleiben kann, während der Konsum von Cannabis mit CHF 100 gebüsst werden soll.<br />

Die Anträge der Kommissionsminderheit zielen darauf ab, der Polizei einen weiten Beurteilungsspielraum<br />

(Art. 28a Abs. 1 bis ) zu geben, was dem Gewaltenteilungsgrundsatz widerspricht<br />

und daher nicht befürwortet werden kann. Weiter würde dies wiederum zu einer ungerechtfertigten<br />

Ungleichbehandlung von Personen führen, da es davon abhinge, welche<br />

Polizistin bzw. welcher Polizist den Konsum in flagranti beobachtet hat. Einige dürften eher<br />

von einer Ordnungsbusse absehen als andere. Dies läuft nicht nur dem beabsichtigten Ziel<br />

einer einheitlichen Sanktionierung des Cannabiskonsums zuwider, sondern schafft neu –<br />

insbesondere in Bezug auf das Ermessen der Polizei – gar die Möglichkeit einer innerkantonalen<br />

Ungleichbehandlung.<br />

In Abs. 4 schliesslich wird statuiert, dass cannabishaltige Produkte beschlagnahmt werden.<br />

Diese Formulierung ist insofern missglückt, als eine Beschlagnahme eine strafprozessuale<br />

Zwangsmassnahme ist (vgl. Art. 263 ff. StPO), immer die Untersuchung eröffnet und nur<br />

durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden darf. Der Polizei steht nur das Mittel der<br />

Sicherstellung zur Verfügung (vgl. Art. 306 Abs. 2 lit. a StPO).<br />

Art. 28b (neu) Ausnahmen<br />

Das Ordnungsbussenverfahren kommt bei Jugendlichen, die das 16. Altersjahr erreicht haben,<br />

zur Anwendung. Damit werden 16 bis 18-jährige jugendliche Cannabis Konsumierende<br />

mit einer Ordnungsbusse gebüsst und können nicht mehr durch die Jugendanwaltschaft angesprochen<br />

werden. Diese Bestimmung greift aus Sicht des Jugendschutzes zu kurz. Beginnende<br />

Drogenprobleme werden damit nicht frühzeitig erkannt und es wird verhindert,<br />

dass Jugendliche Präventions- und/oder Behandlungsprogrammen zugeführt werden können.<br />

Art. 28c (neu) Zuständige Polizeiorgane<br />

Diese Bestimmung übernimmt im Wesentlichen die Regelung von Art. 4 Ordnungsbussengesetz<br />

(OBG; SR 741.03). Wenn das Polizeiwesen aber in der Kompetenz der <strong>Kanton</strong>e<br />

liegt, wie die Erläuterungen zum Entwurf ausführen, ist nicht einsichtig, weshalb diese Bestimmung<br />

überhaupt aufgenommen wurde, zumal die Bestimmung von Abs. 2 in die Kompetenz<br />

der <strong>Kanton</strong>e zur Regelung des Polizeiwesens eingreift.<br />

Art. 28d (neu) Bezahlung<br />

In Abs. 4 dieser neuen Bestimmung wird wiederum fälschlicherweise von Beschlagnahme<br />

gesprochen (vgl. dazu oben zu Art. 28a Abs. 4). In den Erläuterungen wird auf die Problematik<br />

der verschiedenen möglichen Fallkonstellationen hingewiesen und damit gleichzeitig<br />

bestätigt, dass das angestrebte Ordnungsbussenmodell nur in sehr begrenzten Fällen überhaupt<br />

zum Tragen kommen könnte. Zudem wird aus den Ausführungen deutlich, dass der<br />

zu erwartende Nutzen des Ordnungsbussenmodells in keinem günstigen Verhältnis zu den<br />

Schwierigkeiten und Aufwendungen steht, die mit dessen praktischer Umsetzung verbunden<br />

sein dürften (vgl. oben Ziff. 2.1).


<strong>Regierungsrat</strong> des <strong>Kanton</strong>s <strong>Basel</strong>-Stadt Seite 7<br />

Art. 28g (neu) Rechtskraft<br />

An welchen Fall bei dieser Bestimmung gedacht worden ist, erschliesst sich nicht unbedingt.<br />

Zunächst ist festzustellen, dass gemäss dieser Bestimmung bei Bezahlung der Busse der<br />

Ordnungsbussenentscheid rechtskräftig werden soll. Die Rechtskraft ist entweder formeller<br />

oder materieller Natur, aber nicht bedingt. Wenn Art. 28g nun Rechtskraft – trotz Bezahlung<br />

der Busse – nur eintreten lassen will, wenn später vor Gericht nicht doch noch eine Rüge<br />

vorgebracht wird, kreiert der Vorentwurf ein dem Wesen der Rechtskraft zuwiderlaufendes<br />

System, das die Vorzüge des Ordnungsbussenverfahrens (Raschheit der Sanktion, Entlastung<br />

des Justizapparats) mindestens teilweise in Frage stellt.<br />

Zudem stellt sich die Frage, wie vor Gericht eine Rüge vorgebracht werden soll, wenn das<br />

Verfahren durch Ordnungsbusse (die notabene bezahlt worden ist) abgeschlossen worden<br />

ist und eben gerade kein gerichtliches Verfahren stattfindet. Sollte die gebüsste Konsumentin<br />

bzw. der gebüsste Konsument in weitere parallele Verfahren involviert sein, ist nicht einzusehen,<br />

weshalb sie bzw. er sich nach Zustimmung zum Ordnungsbussenverfahren im gerichtlichen<br />

Verfahren gegen eben dieses beschweren können soll. Eröffnet man ihr bzw. ihm<br />

dieses Recht, verleiht man u.U. nicht schützenswertem, widersprüchlichem Verhalten kraft<br />

Gesetzesbestimmung Rechtsschutz. In Frage steht überdies, wie das Gericht die Behauptung<br />

der gebüssten Konsumentin bzw. des gebüssten Konsumenten, es sei in einem Ordnungsbussenverfahren,<br />

über welches es natürlich keine Aufzeichnungen gibt, regelwidrig<br />

vorgegangen worden, überprüfen soll. Es wird deutlich, dass Art. 28g in Verbindung mit<br />

Art. 28j Abs. 2 wenig Sinn macht. An dieser Einschätzung vermag auch die Tatsache wenig<br />

zu ändern, dass Art. 28g wörtlich mit Art. 8 OBG übereinstimmt bzw. ohne weiteres aus diesem<br />

Gesetz übernommen worden ist, wie sich aus den nachfolgenden Bemerkungen zu<br />

Art. 28j ergibt.<br />

Art. 28j (neu) Ordnungsbussen und ordentliches Verfahren<br />

Die Regelung von Absatz 1 dieser Bestimmung, dass eine Ordnungsbusse auch im ordentlichen<br />

Strafverfahren erhoben werden kann, ist aus sich selber heraus nicht verständlich und<br />

wird in den Erläuterungen nicht näher erklärt. Das ordentliche Verfahren wird von Staatsanwaltschaften<br />

und Gerichten geführt. Für eine Norm wie Art. 28j Abs. 1 ist daher kaum Raum,<br />

zumal auch nicht zu erkennen ist, wie diese Bestimmung praktisch, z.B. im heute geltenden<br />

Strafbefehlsverfahren, umgesetzt werden soll.<br />

Absatz 2 von Art. 28j übernimmt in weiten Teilen die Regelung von Art. 11 Abs. 2 OBG. Dort<br />

wird jedoch vor allem auf den Fall fokussiert, wo ein Dritter gegen die Täterschaft mittels Anzeige<br />

vorgeht und dadurch ein Verfahren initiiert. So wird in der entsprechenden Botschaft<br />

des Bundesrates vom 14. Mai 1969 (BBl 1969 I 1097) ausgeführt: "Die vollen Vorteile des<br />

Ordnungsbussenverfahrens treten nur ein, wenn die Bussen mit der Bezahlung rechtskräftig<br />

werden. Nachher soll die Angelegenheit grundsätzlich weder von amtlicher Seite noch vom<br />

Betroffenen neu aufgegriffen werden können. Doch es lässt sich nicht absolut jede Überprüfung<br />

oder neue Diskussion der Sache ausschliessen. Es ist z. B. denkbar, dass ein Fussgänger<br />

sich durch die Widerhandlung eines Radfahrers, die von einem Polizeibeamten<br />

durch eine Ordnungsbusse geahndet wurde, derart gefährdet fühlte, dass er selber gegen<br />

den Radfahrer eine Anzeige einreicht und Bestrafung wegen Verkehrsgefährdung, also wegen<br />

eines Tatbestandes beantragt, für den die Ordnungsbusse grundsätzlich ausgeschlos-


<strong>Regierungsrat</strong> des <strong>Kanton</strong>s <strong>Basel</strong>-Stadt Seite 8<br />

sen ist." Bei einer Cannabiskonsumhandlung ist ein solcher Fall schwer vorstellbar und sollte<br />

dieser Fall dennoch eintreten, nützt die Bestimmung von Art. 28j wenig, da sie (entgegen<br />

dem Wortlaut von Art. 11 OBG) Drittpersonen nicht erwähnt.<br />

3. Schlussbemerkung<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der vorliegende Vorentwurf zwar versucht, der Forderung<br />

nach einer Verfahrensvereinfachung bei Konsumdelikten im Cannabisbereich durch<br />

Ausdehnung des Ordnungsbussenkonzepts auf Sachverhalte des Betäubungsmittelrechts<br />

nachzukommen. Eine Überprüfung des Konzepts auf dessen Vereinbarkeit mit den anerkannten<br />

Prinzipien und Grundsätzen des schweizerischen Rechts sowie auf dessen Umsetzbarkeit<br />

in der Praxis zeigt jedoch, dass mit dem <strong>Revision</strong>svorhaben mehr Probleme geschaffen<br />

als gelöst werden und der praktische Nutzen (Entlastung der Behörden), wenn<br />

überhaupt, dann nur marginal sein dürfte. Ebenso wird auch das Ziel eines schweizweit einheitlichen<br />

Vorgehens bei der Ahndung des Konsums geringer Mengen von Cannabis aufgrund<br />

der Kann-Bestimmung in der Grundsatznorm von Art. 28a Abs. 1 sowie der konkreten,<br />

gegebenenfalls individuell unterschiedlichen Umsetzung durch die einzelnen Polizistinnen<br />

und Polizisten vor Ort mit dem vorliegenden <strong>Revision</strong>svorschlag voraussichtlich nicht im gewünschten<br />

Mass erreicht werden können. Zudem muss aufgrund des zur Diskussion stehenden<br />

Vorentwurfs bei dessen Umsetzung u.U. von einer negativen Beeinträchtigung der<br />

Präventions- und Jugendschutzarbeit, z.B. jener der Jugendanwaltschaft des <strong>Kanton</strong>s <strong>Basel</strong>-<br />

Stadt, ausgegangen werden. Angesichts dieser Tatsachen lehnt der <strong>Regierungsrat</strong> des <strong>Kanton</strong>s<br />

<strong>Basel</strong>-Stadt den vorliegenden Vorentwurf eines revidierten BetmG ab und beantragt,<br />

von einer Umsetzung des vorgeschlagenen Ordnungsbussenmodells abzusehen, solange<br />

die offenen Fragen dazu nicht geklärt sind.<br />

Wir danken Ihnen nochmals für die Gelegenheit zur Stellungnahme und hoffen gerne, dass<br />

unsere Anregungen und Bemerkungen Ihre Zustimmung finden werden.<br />

Freundliche Grüsse<br />

Im Namen des <strong>Regierungsrat</strong>es des <strong>Kanton</strong>s <strong>Basel</strong>-Stadt<br />

Dr. Guy Morin<br />

Präsident<br />

Barbara Schüpbach-Guggenbühl<br />

Staatsschreiberin<br />

Beilage:<br />

Fragenkatalog

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!