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Heilige als lebensbegleitende Mystagogen - CLE NÖ - Christliche ...

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1<br />

<strong>Heilige</strong> <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong><br />

Vorankündigung: Wie ist das anspruchsvolle Bild der Kirche <strong>als</strong> „Leib CHRISTI“ in der<br />

je konkreten Gegenwart lebbar? Einige <strong>Heilige</strong> sollen <strong>als</strong> Modellfälle für die Konkretisierung<br />

christlicher Spiritualität vorgestellt werden für die Umsetzung des persönlichen<br />

GOTTESbezugs in unser Leben<br />

HEILIGE ALS LEBENSBEGLEITENDE MYSTAGOGEN............................................................................. 1<br />

0 HINFÜHRUNG ............................................................................................................................................ 1<br />

1 DAS ANSPRUCHSVOLLE BILD VOM LEIB CHRISTI UND HEILIGE ALS MYSTAGOGEN.............................. 2<br />

1.1 Die Kirche <strong>als</strong> Gründung des Auferstandenen......................................................................... 2<br />

1.2 Die Kirche <strong>als</strong> Kontrastgesellschaft (LOHFINK)....................................................................... 2<br />

1.3 Mögliche Aufgaben für Kirche und religiöse Gemeinschaften heute ................................... 3<br />

2 PAULUS, AUGUSTINUS UND DOMINICUS – DIE TRAUMMÄNNER VON RELIGIONSLEHRERNINNEN 3<br />

2.1 <strong>Heilige</strong> <strong>als</strong> Lebensmodelle .......................................................................................................... 4<br />

2.2 PAULUS und AUGUSTINUS <strong>als</strong> Verkündiger ......................................................................... 5<br />

3 DOMINICUS – VERKÜNDER UNTER EXTREMBEDINGUNGEN ................................................................. 8<br />

3.1 Die geschichtliche Situation des hl DOMINICUS..................................................................... 8<br />

3.2 Das Leben des hl. DOMINICUS (* nach 1170 - + 1221) ........................................................ 9<br />

3.3 Der OP - Ordenskonzept und Ordensspiritualität ................................................................. 10<br />

3.4 Die Konkretisierung des dominikan. Ordenskonzepts in geschichtlichen Persönlichkeiten12<br />

4 DIE REFLEXION DER JE EIGENEN BERUFUNG ........................................................................................ 14<br />

0 Hinführung<br />

Als wir, die wir <strong>als</strong> Referenten eingeladen wurden, unser Tagungsthema hörten: Im<br />

Geheimnis GOTTES leben lernen. RU <strong>als</strong> Brennpunkt geistiger Kultur, haben wir uns<br />

natürlich ein wenig abgesprochen – und weil ich eine so fromme Schwester bin, ist mir<br />

der spirituelle Aspekt des Themas zugefallen. Und dieses Thema gibt in der Tat spirituell<br />

viel her, so viel, dass mir bei der Vorbereitung eine Akzentsetzung schwer fiel -<br />

irgendwie erinnerte ich mich an meine Kindertage, wenn ich in der Vorweihnachtszeit<br />

vor einem Spielzeuggeschäft stand und von den geplagten Vertretern des Christkinds,<br />

<strong>als</strong>o meinen Eltern, aufgefordert wurde, einen konkreten Wunsch zu äußern, aber e-<br />

ben nur einen. Ich habe mich dann für das Thema <strong>Heilige</strong> <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong><br />

<strong>Mystagogen</strong> entschieden und hoffe, dass Sie mit der Wahl zufrieden sein werden –<br />

natürlich im Nachhinein. Denn <strong>Heilige</strong> bieten für unsere eigene Lebenspraxis und für<br />

unsere Unterrichtspraxis zwei positive Aspekte:<br />

‣ Sie konkretisieren, ja, individualisieren die positiven Aspekte der Kirchen-geschichte<br />

‣ Sie sind individuelle Modelle der Nachfolge CHRISTI – für uns und für unsere SchülerInnen<br />

Das drückt das Wort Mystagoge gut aus:<br />

‣ Mystik meint ja eine tiefe GOTTESerfahrung. Der Name kommt von zu mýein = Augen<br />

und Mund verschließen, weil man GOTTESerfahrungen leichter ohne Ablenkung<br />

durch die sich aufdrängende Sinnlichkeit machen und, wenn man sie gemacht<br />

hat, nicht adäquat mitteilen kann. Der Übergang von der Kontemplation, vom inhaltslosen<br />

Gebet, zur Mystik dauert meist viele Jahre, weil das Hinein-wachsen in<br />

eine echte GOTTES- und Nächstenliebe ein lebenslanger Prozess ist.<br />

‣ Agogein heißt i. G. „führen“.<br />

Ein Mystagoge ist <strong>als</strong>o ein Mensch, der uns zur GOTTESerfahrung und damit zur Vertiefung<br />

von GOTTES- und Nächstenliebe führt.<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


2<br />

1 Das anspruchsvolle Bild vom Leib CHRISTI und <strong>Heilige</strong> <strong>als</strong> <strong>Mystagogen</strong><br />

1 Kor 12, 12 – 27, gek.: (12) Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle<br />

Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: so ist es auch mit<br />

Christus. (13) Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen,<br />

Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist<br />

getränkt. (14) Auch der Leib besteht nicht nur aus einem Glied, sondern aus vielen Gliedern….<br />

(18) Nun aber hat Gott jedes einzelne Glied so in den Leib eingefügt, wie es seiner Absicht<br />

entsprach. (19) Wären alle zusammen nur ein Glied, wo bliebe dann der Leib? (20) So aber<br />

gibt es viele Glieder und doch nur einen Leib…. (27) Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder<br />

einzelne ist ein Glied an ihm.<br />

1.1 Die Kirche <strong>als</strong> Gründung des Auferstandenen<br />

Auch wenn es heute modern geworden ist, auf Kirche <strong>als</strong> Institution zu schimpfen,<br />

schließt der Glaube an eine geschichtliche Offenbarung zwingend die Bildung einer<br />

Gemeinschaft ein, die diese Offenbarung in Theorie und Praxis lebt und dadurch in<br />

der Geschichte am Leben erhält. Das wäre die Grundgemeinsamkeit nicht nur der<br />

christlichen Konfessionen, sondern auch der jüdischen kahal, der christlichen ekklesia<br />

und der islamischen umma. Der Unterschied liegt in der Menschwerdung GOTTES in<br />

JESUS von Nazaret:<br />

‣ dadurch bindet Sich GOTT in unüberbietbarer Weise an Seine Schöpfung,<br />

‣ dadurch macht Er den Menschen zum ausgezeichneten Adressaten und Träger<br />

göttlicher Offenbarung,<br />

‣ dadurch hebt Er die von Menschen gemachte Trennwand zwischen GOTT und<br />

Schöpfung, die sog. „Sünde der Welt“, auf - pointiert von formuliert von IGNATIUS<br />

von Antiochien: GOTT wurde Mensch, damit der Mensch (und mit ihm die ganze<br />

Schöpfung) göttlich werde.<br />

Die Verleiblichung GOTTES in JESUS kann daher nach JESU Tod und Auferstehung<br />

nur durch eine Gemeinschaft von Menschen konkretisiert werden, die <strong>als</strong> Leib CHRIS-<br />

TI zu leben versuchen (1 Kor 12 und Röm12), was zweierlei impliziert:<br />

‣ Erstens, dass man CHRISTUS ohne irgendeine Form von Kirche nicht haben kann,<br />

weil Er ohne eine solche in der Geschichte nicht präsent bleiben könnte – der beliebte<br />

Satz CHRISTUS ja, Kirche nein ist <strong>als</strong>o ein Unsinn.<br />

‣ Zweitens, dass jede Form von Kirche sich daran messen lassen muss, wie weit sie<br />

diesem Ideal, Leib CHRISTI zu sein, genügt. Leib CHRISTI zu sein, wird <strong>als</strong>o zum<br />

letztverbindlichen Maß für das, was Kirche sein soll.<br />

M.a.W.: Kirche hat daher die Grundaufgabe, CHRISTI Wirken in der Welt bis zu ihrem<br />

Ende fortzusetzen.<br />

1.2 Die Kirche <strong>als</strong> Kontrastgesellschaft (LOHFINK)<br />

Welches Kirchenbild den Absichten JESU entspricht, können wir an Seinem irdischen<br />

Wirken verbindlich ablesen. JESUS verkündigte in Wort und Tat die angebrochene<br />

GOTTESherrschaft – heute wohl besser: JESUS machte in Wort und Tat die liebende<br />

Nähe GOTTES in der Welt erlebbar, und zwar aus Seiner Verwurzelung im VATER.<br />

Das Vat II hat daher folgerichtig daraus die Grundfunktionen der Kirche abgeleitet: Li-<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


3<br />

turgie <strong>als</strong> Basis von Diakonie und Kerygma. Ferner zeigte JESUS zeigte, dass das<br />

vollendete GOTTESreich frei sein wird von den Grundnegativitäten menschlichen Daseins<br />

– von Schuld, Leid und Tod - und ferner, dass das GOTTESreich frei sein wird<br />

von gesellschaftlichen Schranken. Am dichtesten zusammengefasst finden wir diese<br />

beiden Eigentümlichkeiten in der Bergpredigt, die das neue GOTTESvolk <strong>als</strong> Kontrast-<br />

Gesellschaft (LOHFINK) konzipiert (bes. Mt 5, 13-16).<br />

Selbst wenn man nicht die idealisierte Darstellung der Urkirche durch LUKAS in der<br />

Apostelgeschichte zugrundelegt, sondern die realistischere der PAULUS-Briefe, zeigt<br />

sich, dass die frühe Kirche sich wirklich <strong>als</strong> Kontrastgesellschaft zu leben bemühte<br />

und dass gerade das ihre Anziehungskraft ausmachte: Denn weit mehr <strong>als</strong> die einzelnen<br />

Missionare trugen zur Ausbreitung des Christentums die von ihnen gegründeten<br />

Gemeinden bei, deren Leben in der Nachfolge CHRISTI die überzeugendste Predigt<br />

darstellte. Das Abweichen vom Ideal und Anpassen an die irdische Gesellschaft erfolgte<br />

in mehreren Schritten, am einschneidendsten war wohl das 4.Jh., in dem das Christentum<br />

zunächst erlaubte Religion, dann Staatreligion wurde. Damit bedeutete<br />

Christsein nicht mehr ein oft lebensgefährliches Leben aus Glaubensüberzeugung,<br />

sondern die Eintrittskarte für berufliche und gesellschaftliche Anerkennung: die Kontrastgesellschaft<br />

war zur Normalgesellschaft geworden. – Im Mittelalter gesellten sich<br />

feudale Gesellschaftsordnung und kirchliche Macht-Entfaltung zu dem veränderten Kirchenbild<br />

– die Kirche wurde zu einer pseudostaatlichen Institution, was den das ganze<br />

Mittelalter durchziehenden Streit zwischen Papst- und Kaisertum verständlich macht. –<br />

Erst seit dem 19.Jh. sind wir durch den realen Machtverlust der Kirche einerseits, durch<br />

sich ausbreitende Strömungen wie Aufklärung, Säkularismus, Materialismus und Pluralismus<br />

andererseits zu einem Umdenken gezwungen. Und dieses Umdenken steht<br />

nicht in menschlichem Be-lieben, da wir, sobald wir uns <strong>als</strong> Christen bezeichnen, in<br />

CHRISTUS ein verbindliches Maß haben. Nur wenn wir nach diesem Maß zu leben<br />

versuchen, wird Kirche wieder die Verleiblichung GOTTES in CHRISTUS in der Welt<br />

erlebbar machen.<br />

1.3 Mögliche Aufgaben für Kirche und religiöse Gemeinschaften heute<br />

Je weniger die Kirche <strong>als</strong> ganzes Kontrastgesellschaft und Heilsgesellschaft war, desto<br />

mehr übernahmen diese Funktion Einzelpersonen, die wir <strong>als</strong> <strong>Heilige</strong> verehren, und<br />

kleinere inner- und z.T. auch außerkirchliche Gruppen, die dieses Ideal weiterhin hochzuhalten<br />

und zu leben versuchten – besonders die Orden. Eine Öffnung dieser Gemeinschaften<br />

zur Gesamtkirche hin erfolgte m.E. schon durch die Aufnahme von Laien<br />

in Familie und Beruf, wie wir sie bei den Ritterorden einerseits, bei den sog. Bettelorden<br />

andererseits seit dem Mittelalter finden. Heute ist die Kirche, vielleicht nicht<br />

ganz freiwillig, aber sicher dem Grundkonzept JESU entsprechend, auf dem Rückweg<br />

zur Minderheiten- und Bekennerkirche, ja, Liebeskirche – religiös engagierte Menschen,<br />

gleichgültig in welcher Form von Gemeinschaft sie leben, erhalten damit eine<br />

klare neue Aufgabe: Wegweiser und Wegbegleiter zu sein auf dem (Rück)Weg zur<br />

Liebeskirche. Dass hier ReligionslehrernInnen eine ganz große Bedeutung zukommt,<br />

muss wohl nicht eigens erwähnt werden!<br />

2 PAULUS, AUGUSTINUS und DOMINICUS – die Traummänner von ReligionslehrernInnen<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


4<br />

2.1 <strong>Heilige</strong> <strong>als</strong> Lebensmodelle<br />

Gerade dem jetzigen Papst wird seine offenkundige Freude an Heilig- und Seligsprechungen<br />

vorgeworfen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass er damit gegen den zunehmendem<br />

Säkularismus gegenzusteuern versucht, indem er uns konkrete Vorbilder<br />

der Nachfolge CHRISTI schenken will. Was <strong>als</strong>o sind <strong>Heilige</strong>?<br />

Nach dem Alten Testament ist GOTT allein der <strong>Heilige</strong> (Ps. 71, 22; Jes 5, 24; Hab 3, 3;<br />

Jes 6, 1-7 u.ö. – gerade im 2. Teil des JES-Buches ist der Haupttitel GOTTES „der <strong>Heilige</strong><br />

Israels“). „Heilig“ meint hier aber nicht primär eine moralische Qualität, sondern das<br />

totale Anderssein GOTTES – etwa das, was die spätere Theologie <strong>als</strong> Transzendenz<br />

GOTTES bezeichnet hat. Auch im Neuen Testament ist GOTT allein heilig (Offb 15, 4)<br />

und hat seinen Sohn JESUS CHRISTUS geheiligt (Joh. 10,24), der von der Urgemeinde<br />

<strong>als</strong> <strong>Heilige</strong>r GOTTES erkannt wird (Mk 1,24; Lk 1,35; 4,34; Jo 6, 69) und mit GOTT<br />

VATER und dem Hl. GEIST die Liebesgemeinschaft der Dreifaltigkeit bildet (Mt 28, 19).<br />

Der Mensch soll sowohl nach dem AT <strong>als</strong> auch nach dem NT an dieser Heiligkeit<br />

GOTTES teilhaben: „Seid heilig, denn ich, der HERR, euer GOTT, bin heilig“ (Lev<br />

19,2) oder „Ihr sollt <strong>als</strong>o vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer VATER ist“<br />

(Mt 5,48). Ich glaube, jeder Mensch, der solch radikale Forderungen der Schrift auch<br />

nur ein Mal bewusst gehört oder gelesen hat, erschrickt und stellt sich die Frage: Wie<br />

kann ich einem solchen Anspruch genügen?<br />

Wer diesem Anspruch von sich aus zu genügen versucht, muss daran scheitern –<br />

und dieses Scheitern kann, aber muss nicht, heilsam sein. Negativ wäre es, entweder<br />

sich einzubilden, diesem Anspruch tatsächlich genügen zu können (die „Gerechten“ im<br />

Sinne von die Selbstgerechten, die „<strong>Heilige</strong>n“ im Sinne von „Schein-<strong>Heilige</strong>n“), oder zu<br />

resignieren. Heilsam wird das Scheitern dann, wenn die eigene Unfähigkeit zu GOTT<br />

hin öffnet. Denn offenbar hat GOTT uns allein dadurch, dass Er uns geschaffen hat,<br />

auch auf Sich hin geschaffen („Du hast uns auf Dich hin geschaffen, und unruhig ist<br />

unser Herz, bis es ruht in Dir“: AUGUSTINUS). Im Hören auf diesen Ruf – im richtig<br />

verstandenen „Ge-hor-sam“ -, können wir diese Berufung immer mehr erkennen, in<br />

das Bild, das GOTT von jedem von uns hat, immer mehr hineinwachsen und dadurch<br />

heil, zufrieden und in einem gut verstandenen Sinn heilig werden. Dafür gibt die Schrift<br />

uns zahlreiche Beispiele: Weder im AT noch im NT beruft GOTT „Vollkommene“, sondern<br />

Er beruft unvollkommene Menschen, die aber durch das Annehmen der je individuellen<br />

Berufung von GOTT verwandelt werden. Dieses lebenslange Hineinwachsen in<br />

GOTTES Bild wäre das biblische und spirituelle Verständnis von „Heiligkeit“.<br />

Daneben gibt es aber auch eine kirchenrechtliche Präzisierung: Um Missbräuchen<br />

bei der Verehrung heiligmäßiger Menschen vorzubeugen, wurden Heiligsprechungen<br />

zunehmend kirchenrechtlich geregelt. Menschen, die sich in vorzüglicher Weise von<br />

GOTT verwandeln ließen, wurden schon im frühen Christentum <strong>als</strong> <strong>Heilige</strong> verehrt, zuerst<br />

die Märtyrer. Da ab dem 4. Jh. keine Christenverfolgungen mehr stattfanden, wurden<br />

zunehmend auch vorbildliche Menschen verehrt, die keine Märtyrer waren, besonders<br />

die großen Persönlichkeiten des Alten und Neuen Testaments - Patriarchen, Propheten,<br />

Apostel. Der „Ruf der Heiligkeit“ wurde in Verbindung gebracht mit dem Ruf,<br />

Wunder zu wirken. Dabei kam es auch zu Missbräuchen, so dass man die <strong>Heilige</strong>nverehrung<br />

kirchlich zu reglementieren begann und zunehmend den Papst <strong>als</strong> Autorität<br />

einschaltete. Die erste sicher überlieferte offizielle Kanonisation durch den Papst ist die<br />

des hl. ULRICH von Augsburg durch Papst JOHANNES XV. auf der Lateran-Synode<br />

993. Ab 1234 fiel die Kanonisation in die ausschließliche Zuständigkeit des Apostolischen<br />

Stuhles.<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


5<br />

Für uns <strong>als</strong> Religionslehrer ist natürlich das Kirchenrecht weniger interessant <strong>als</strong>, dass<br />

<strong>Heilige</strong> immer einen Aspekt von CHRISTUS repräsentieren und dadurch zur konkreten<br />

Nachfolge einladen. PAULUS, AUGUSTINUS und DOMINICUS <strong>als</strong> die großen<br />

Verkündiger<br />

2.2 PAULUS und AUGUSTINUS <strong>als</strong> Verkündiger<br />

(1 Kor 9, 16) Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen<br />

nicht rühmen; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht<br />

verkünde! (17) Wäre es mein freier Entschluss, so erhielte ich Lohn. Wenn es mir a-<br />

ber nicht freisteht, so ist es ein Auftrag, der mir anvertraut wurde.<br />

Für mich haben drei <strong>Heilige</strong> eine besondere Bedeutung für die Verkündigung, nämlich<br />

Paulus, Augustinus und Dominicus:<br />

‣ alle drei, weil sie ihr Leben in den Dienst der Verkündigung des Evangeliums stellten,<br />

‣ zwei, nämlich Paulus und Augustinus, weil sie eine totale Umkehr erlebten und dadurch<br />

auch völlig konträre Schwerpunkte in ihrer Theologie setzten,<br />

‣ und einer, nämlich Paulus, weil er für seine Überzeugung sogar sterben durfte.<br />

Ich möchte PAULUS und AUGUSTINUS nur in drei Punkten vergleichen, die alle drei<br />

auch unser Leben betreffen: 1. in ihrem Ringen nach Wahrheit – 2. in ihrer religiösen<br />

Erlebnisfähigkeit - und 3. in dem Wandel in ihrer Theologie, der sich aufgrund ihrer<br />

GOTTESerfahrungen einstellte.<br />

PAULUS AUGUSTINUS DOMINICUS<br />

Alle drei stellten ihr Leben in den Dienst der<br />

Verkündigung des Evangeliums<br />

Totale Umkehr Umakzentuierung der theologischen Schwerpunkte<br />

Martyrium<br />

für die Verkündigung<br />

Riskierte Martyrium für die Verkündigung<br />

2.2.1 Ringen nach Wahrheit<br />

Wir wissen von PAULUS, dass er Jude aus dem Stamm Benjamin und Pharisäer war –<br />

eben deshalb verfolgte er ja die Christen, die er für jüdische Häretiker halten musste - .<br />

Aber gerade <strong>als</strong> gesetzestreuer Jude erlebte er die Unmöglichkeit, das Gesetz aus eigener<br />

Kraft einzuhalten:<br />

(Röm 7,14 f. 22-25) Wir wissen, dass das Gesetz selbst vom Geist bestimmt ist; ich<br />

aber bin Fleisch, das heißt: verkauft an die Sünde. (15) Denn ich begreife mein Handeln<br />

nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse. …. (22) Denn in<br />

meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes, (23) ich sehe aber ein anderes Gesetz<br />

in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt und mich<br />

gefangen hält im Gesetz der Sünde, von dem meine Glieder beherrscht werden. (24)<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


6<br />

Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten?<br />

(25) Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! Es ergibt sich <strong>als</strong>o, dass<br />

ich mit meiner Vernunft dem Gesetz Gottes diene, mit dem Fleisch aber dem Gesetz<br />

der Sünde.<br />

AUGUSTINUS war ein geradezu fanatischer Wahrheitssucher, doch selbst nachdem er<br />

die Wahrheit des Christentums theoretisch erkannt hatte, brauchte er einige Zeit und<br />

vor allem die Gnade GOTTES, um sich zu den praktischen Konsequenzen durchzuringen.<br />

(Conf. 8/5) Vergebens hatte ich Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen;<br />

ich sah ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstritt dem Gesetze<br />

in meinem Gemüte, und nahm mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches war in<br />

meinen Gliedern, denn das Gesetz der Sünde besteht in der Macht der Gewohnheit,<br />

die den Geist auch wider seinen Willen lenkt und festhält, und zwar verdientermaßen,<br />

weil er mit Willen in die Macht der Gewohnheit fällt. Ich elender Mensch, wer wird mich<br />

erlösen von dem Leibe dieses Todes <strong>als</strong> nur deine Gnade durch unsern Herrn Jesus<br />

Christus?<br />

PAULUS und AUGUSTINUS machten <strong>als</strong>o die Erfahrung, dass ein religiöser Lebenswandel<br />

aus eigener Kraft unmöglich ist, was bei beiden zur Ausformung einer ausgeprägten<br />

Gnadenlehre führte.<br />

2.2.2 GOTTESerfahrungen<br />

Die Bekehrung / Berufung des PAULUS ist – nach der Auferstehung JESU – die am<br />

häufigsten erzählte Szene des NT. Die Bekehrungslegende der Apg (Apg 9,1-31; 22,4-<br />

16; 26,9-18) lässt eher an eine CHRISTUSvision / - audition denken, die Selbstzeugnisse<br />

des PAULUS in den Briefen stellen diese Erfahrung unterschiedlich dar:<br />

Gal 1,15 f. wie eine Prophetenberufung: (15) Als aber Gott, der mich schon im Mutterleib<br />

auserwählt und durch seine Gnade berufen hat, mir in seiner Güte (16) seinen<br />

Sohn offenbarte, damit ich ihn unter den Heiden verkündige, da zog ich keinen Menschen<br />

zu Rate, …<br />

1 Kor 15, 4-8 wie eine Ostererscheinung: (4) …und ist begraben worden. Er ist am<br />

dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, (5) und erschien dem Kephas, dann<br />

den Zwölf. (6) Danach erschien er mehr <strong>als</strong> fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten<br />

von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. (7) Danach erschien er dem<br />

Jakobus, dann allen Aposteln. (8) Als letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten,<br />

der «Missgeburt».<br />

Phil 3,7-9 (u.ä. 2 Kor 4,6) wie eine innere Erleuchtung: (7) Doch was mir dam<strong>als</strong> ein<br />

Gewinn war, das habe ich um Christi Willen <strong>als</strong> Verlust erkannt. (8) Ja noch mehr: ich<br />

sehe alles <strong>als</strong> Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles übertrifft.<br />

Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen<br />

(9) und in ihm zu sein. Nicht meine eigene Gerechtigkeit suche ich, die aus dem<br />

Gesetz hervorgeht, sondern jene, die durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit,<br />

die Gott aufgrund des Glaubens schenkt.<br />

Die Verschiedenheit der Darstellung spricht natürlich nicht gegen die Echtheit seines<br />

Erlebens, sondern dafür, dass tief greifende Erfahrungen schwer in Worte zu kleiden<br />

sind. Vermutlich dürfte es sich aber um eine Vision, <strong>als</strong>o um eine inhaltliche religiöse<br />

Erfahrung, gehandelt haben.<br />

Etwas anders bei AUGUSTINUS. Die eigentliche Bekehrungserfahrung wird durch<br />

ein äußeres Ereignis ausgelöst:<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


7<br />

(Conf. 8 /12) So sprach ich und weinte bitterlich in der Zerknirschung meines Herzens<br />

. …Und siehe, da hörte<br />

ich eine Stimme aus einem benachbarten Hause in singendem Tone sagen, ein<br />

Knabe oder ein Mädchen war es: Nimm und lies! Nimm und lies! Da drängte ich meine<br />

Tränen zurück, stand auf und legte die gehörten Worte nicht anders, <strong>als</strong> dass ein göttlicher<br />

Befehl mir die heilige Schrift zu öffnen heiße und dass ich das erste Kapitel, auf<br />

welches mein Auge fallen würde, lesen sollte… Ich ergriff das Buch, öffnete es und las<br />

still für mich den Abschnitt, der mir zuerst in die Augen fiel: Nicht in Fressen und Saufen,<br />

nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern ziehet an den<br />

Herrn Jesum Christum und wartet des Leibes, doch <strong>als</strong>o, dass er nicht geil werde. Ich<br />

las nicht weiter, es war wahrlich nicht nötig, denn <strong>als</strong>bald am Ende dieser Worte kam<br />

das Licht des Friedens über mein Herz und die Nacht des Zweifels entfloh….<br />

Dieses scheinbar ganz banale Erlebnis löste <strong>als</strong>o in dem schon lange mit sich ringenden<br />

AUGUSTINUS die Bekehrung aus. Aber er erzählt auch von einer mystischen<br />

GOTTESerfahrung, die er gemeinsam mit seiner Mutter in Ostia erlebte.<br />

(Conf. 9 /10) Als aber der Tag nahte, an dem sie aus diesem Leben scheiden sollte,<br />

…… da begab es sich durch dein geheimes Walten, dass wir, die Mutter und ich, allein<br />

an ein Fenster gelehnt standen,… ein trautes liebliches Gespräch …und<br />

forschten unter uns bei der Wahrheit, die da gegenwärtig ist und die du bist, nach der<br />

zukünftigen Herrlichkeit deiner <strong>Heilige</strong>n, die kein Auge geschaut und kein Ohr gehört<br />

und in keines Menschen Herz gedrungen ist…. Und während wir so redeten und uns<br />

nach ihr sehnten, da berührten wir sie leise mit dem vollen<br />

Schlage des Herzens, seufzten und ließen dort gebunden die Erstlinge unseres Geistes<br />

zurück und kehrten uns wieder zum Laut unseres Mundes, wo das Wort beginnt<br />

und endet. Und was gleicht deinem Worte, unserem Gebieter, das ohne zu altern in<br />

sich bleibt und alles erneut?<br />

2.2.3 Änderung der theologischen Schwerpunkte<br />

Für PAULUS waren vor allem zwei Gründe maßgeblich für seine Ablehnung der Christen:<br />

‣ Als Pharisäer erhoffte PAULUS den Anbruch des GOTTESREICHES durch genaue<br />

Gesetzeseinhaltung - die (hellenistischen) Christen stellten das in Frage;<br />

‣ <strong>als</strong> frommer Jude konnte er unmöglich einen Gekreuzigten <strong>als</strong> MESSIAS akzeptieren.<br />

Nach seiner Bekehrung sind eben das die Hauptakzente seiner Theologie:<br />

‣ Erlösung nicht durch die Einhaltung der Tora, sondern durch den Glauben an das<br />

Evangelium,<br />

‣ und zwar durch das Evangelium von CHRISTUS, dem Gekreuzigten.<br />

Damit erweist sich aber die totale Gegenüberstellung von Gesetz / Evangelium, wie sie<br />

vor allem von den Reformatoren betont wurde, <strong>als</strong> allzu plakativ: PAULUS hat dem Gesetz<br />

nur den Erlösungscharakter abgesprochen, keineswegs aber seinen Wegweisungscharakter<br />

für das menschliche Zusammenleben.<br />

Differenzierter, weil stärker auf philosophischer Ebene liegend, ist das Umdenken des<br />

AUGUSTINUS zu sehen.<br />

Durch sein Selbstzeugnis (vor allem Conf. III-IV) wissen wir, dass er auf dem Weg seiner<br />

Wahrheitssuche zunächst den Manichäern verfiel. Der Manichäismus war eine<br />

synkretistische Religionsgemeinschaft, d.h. mischte verschiedene Religionsvorstellungen.<br />

Sie ist benannt nach ihrem Gründer, dem Perser MANI (216 - 276), der<br />

zoroastrische, gnostische, buddhistische und christliche Elemente mischt: Aus dem<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


8<br />

Zoroastrimus und der Gnosis stammen die dualistischen Vorstellungen, die bis ins<br />

MA weiterwirkten (Katharer!), aus Gnosis und Buddhismus der Gedanke der Selbsterlösung.<br />

Durch den Einbezug christlicher Elemente trat der Manichäismus <strong>als</strong> "Kirche<br />

des heiligen Geistes" auf und galt der Prophet MANI <strong>als</strong> der von CHRISTUS verheißene<br />

PARAKLET galt<br />

Wenn man Dualismus einerseits, Selbsterlösung andererseits <strong>als</strong> Brennpunkte des<br />

Manichäismus betrachtet, hat AUGUSTINUS sich nach seiner Bekehrung zum Christentum<br />

nur vom Selbsterlösungsgedanken total befreit und die Heilsnotwendigkeit<br />

der Gnade stark betont. Vom Dualismus befreite er sich nicht so recht, was damit zusammenhängen<br />

dürfte, dass er zwischen seiner manichäischen und seiner christlichen<br />

Lebensperiode Neuplatoniker war, und das platonische Denksystem ebenfalls dualistisch<br />

geprägt ist. Von hier her dürfte manches an Leibfeindlichkeit in die kirchliche Lehre<br />

gerutscht sein.<br />

Der etwas mühsame Lebensweg der beiden großen <strong>Heilige</strong>n kann uns ermutigen: je<br />

mehr wir uns von GOTT verwandeln lassen, desto authentischer wird unsere Verkündigung.<br />

3 DOMINICUS – Verkünder unter Extrembedingungen<br />

Von den drei großen Glaubensverkündigern scheint mir DOMINICUS für die heutige<br />

Verkündigungstätigkeit das beste Modell abzugeben, deshalb möchte ich ihn am<br />

ausführlichsten darstellen.<br />

3.1 Die geschichtliche Situation des hl DOMINICUS<br />

Um die Wende vom 12. zum 13. Jh. herrschten in Europa, leider auch innerhalb der<br />

Kirche (Differenz zwischen hohem und niederem Klerus), ähnliche soziale Spannungen<br />

wie heute in der Dritten Welt. Abgesehen von den sozialen Spannungen war diese<br />

Zeit auch sonst von starken Gegensätzen geprägt: die Kreuzzüge waren zwar kein<br />

politischer Erfolg – das Hl. Land konnte nicht gewonnen werden, die Macht von Byzanz<br />

<strong>als</strong> Bollwerk gegen den Islam wurde gerade von den Kreuzfahrern gebrochen (!) - ,<br />

doch ein wirtschaftlicher und wissenschaftlicher (Araber <strong>als</strong> Kulturmittler der antiken<br />

Kultur in unser MA) – der Blick weitete sich über den europäischen Tellerrand hinaus,<br />

die Basis der Neuzeit wurde gelegt. Kreuzzüge und Pestzeiten diente leider <strong>als</strong> Vorwand<br />

für Judenverfolgungen – ein sehr dunkles Kapitel der Kirchengeschichte. - Aus<br />

der Auseinandersetzung zwischen Papst- und Kaisertum ging zunächst (13.Jh.) das<br />

Papsttum <strong>als</strong> Sieger hervor – Höhepunkt: INNOZENZ III (+1216) -, auf lange Sicht<br />

schwächte sie beide Institutionen. Gerade im 13.Jh. schuf das Interregnum im Reich<br />

(Untergang der HOHENSTAUFEN) und in Österreich (Untergang der BABENBERGER)<br />

soziale und politische Unsicherheit.<br />

In dieser politisch und vor allem sozial so spannungsreichen Zeit bildeten sich Laien-<br />

Armuts-Bewegungen z.T. mit christlichem, z.T. mit dualistischem Background (GOTT<br />

schuf das Geistige = Gute, der Teufel das Materielle = Schlechte), hier besonders die<br />

Katharer (die „Reinen“, zu griech. katharos = rein), wovon sich die Bezeichnung „Ketzer“<br />

ableitet; im Westen wurden sie nach ihrem südfranz. Zentrum Albi auch Albigenser<br />

genannt. Um diese Häresie einzudämmen, wurde die Inquisition geändert: bis ins<br />

12.Jh. verhängte sie nur Klosterhaft, nach Einführung der päpstlichen (1231) Inquisiti-<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


9<br />

on auch die Todesstrafe. Schon von diesen Daten her ist klar (1221: Tod des DOMINI-<br />

CUS, ab 1231: päpstliche Inquisition, die verschiedenen Orden, u.a. den Dominikanern,<br />

übertragen wurde), dass DOMINICUS kein Inquisitor gewesen sein kann.<br />

Gegen die gewaltsame Bekämpfung der Häretiker lag die Idee von Bettelorden<br />

gleichsam in der Luft, um innerkirchlich einen Raum für eine zeichenhaft gelebte Armut<br />

zu bieten.<br />

Zwei bedeutende Männer entwarfen etwa gleichzeitig die Idee von Bettelorden (oder<br />

Mendikantenorden zu lat. mendicare = betteln) für Brüder & Schwestern & Laien – die<br />

genaue Ausformung erfolgte erst 1274 - , doch mit etwas verschiedener Akzentsetzung:<br />

FRANCISCUS legte den Hauptakzent auf die zeichenhaft gelebte Armut und war daher<br />

zunächst gegen eine wissenschaftlich-theologische Ausbildung und die Weihe seiner<br />

Brüder; das theologische Moment kam erst später durch ANTONIUS von Padua u.a.<br />

hinzu, gehörte aber nicht genuin zum Ordenskonzept. Dies dürfte auch damit zusammenhängen,<br />

dass FRANCISCUS vorwiegend im friedlichen Italien wirkte, <strong>als</strong>o keiner<br />

fundierten Argumentation gegen Gegner bedurfte.<br />

DOMINICUS hingegen entwickelte sein Konzept in Südfrankreich, dem Zentrum der<br />

Katharer / Albigenser. Daher verband er von vornherein zeichenhaft gelebte Armut mit<br />

wissenschaftlich fundierter Verkündigung – wohl in bewusster Nachfolge CHRISTI,<br />

der ja auch gewirkt und gelehrt hatte. Es ist seltsam, dass DOMINICUS im Laufe der<br />

kirchlichen Tradition <strong>als</strong> Person viel mehr hinter seinem Werk zurücktrat <strong>als</strong> FRANCIS-<br />

CUS – denn eigentlich verlief sein Leben spannender. Südfrankreich wurde durch die<br />

religiösen Streitigkeiten zunehmend zum Kriegsgebiet, bis leider auf päpstlichen Befehl<br />

Albigenserkreuzzüge geführt wurden. DOMINICUS hielt an seiner Idee einer<br />

friedlichen Verkündigung durch Argumente fest und riskierte täglich sein Leben, indem<br />

er waffenlos mitten in den Kriegswirren predigte – ein „schneidiger“ <strong>Heilige</strong>r, der die<br />

ohnmächtige Liebe GOTTES gut symbolisierte – darin sicher GANDHI vergleichbar.<br />

Es ist eine kirchengeschichtliche Ironie, dass gerade der Predigerorden, dessen Gründer<br />

so oft sein Leben für eine gewaltlose Verkündigung riskiert hatte, bald nach seinem<br />

Tod von den Päpsten mit der Inquisition betraut wurde, weil der Orden aufgrund<br />

seiner wissenschaftlichen Ausrichtung gute Kirchenjuristen besaß.<br />

3.2 Das Leben des hl. DOMINICUS (* nach 1170 - + 1221)<br />

Über das Leben des hl. DOMINICUS sind wir vor allem durch das „Büchlein von den<br />

Anfängen des Predigerordens“ seines Freundes und Nachfolgers JORDAN von Sachsen<br />

unterrichtet (zit. <strong>als</strong> Libellus).<br />

Der hl. DOMINICUS wurde nach 1170 in Caleruega, einem Dorf in der kargen kastilischen<br />

Hochebene, geboren. Vor seiner Geburt hatte seine <strong>als</strong> wohltätig geltende Mutter<br />

JOHANNA die Vision, sie gebäre einen Hund mit einer brennenden Fackel im Maul,<br />

der damit die ganze Welt in Brand setze – gedeutet <strong>als</strong> Bild, dass der Predigteifer des<br />

DOMINICUS und seiner Brüder die ganze Welt erleuchte. Und seine Taufpatin hatte<br />

die Vision, sie sähe ihn mit einem achtzackigen Stern auf der Stirn. Nun – wie immer<br />

das mit den Visionen gewesen sein mag, sie sind schöne Bilder für die Erleuchtung<br />

und das andere erleuchtende Wirken des <strong>Heilige</strong>n. Von seinen beiden Brüdern wurde<br />

einer Dominikaner, der andere Weltpriester.<br />

DOMINICUS wurde zunächst von einem priesterlichen Onkel, dann an der Domschule<br />

von Palencia in den septem artes, schließlich an der Universität in Theologie unterwie-<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


10<br />

sen. Bei einer Hungersnot verkaufte er aber alle seine geliebten Bücher, um den Hungernden<br />

zu helfen.<br />

1196 wurde DOMINICUS Augustiner-Chorherr in Osma. Auf einer Reise mit seinem<br />

Bischof DIEGO lernte DOMINICUS in Toulouse die Sekte der Katharer = Albigenser<br />

kennen, die – <strong>als</strong> späte Nachfahren der Gnosis und des Manichäismus – nicht nur den<br />

Lebenswandel und Reichtum der Kleriker berechtigt kritisierten, sondern auch in einem<br />

extremen Materie-Geist-Dualismus alles Materielle ablehnten und diese schöpfungsfeindliche<br />

Spiritualität z.T. auch gewaltsam durchsetzten. Davon betroffen, beginnen<br />

DIEGO und DOMINICUS ab 1206 eine Wanderpredigt in apostolischer Armut und<br />

wirken mehr oder minder erfolgreich in Toulouse, Carcassone, Fanjeaux, Montreal und<br />

Prouilhe (wo später das 1. Frauenkloster der OP entstand).<br />

Durch den Tod von Bischof DIEGO und die Ermordung des päpstlichen Legaten PET-<br />

RUS von Castelnau änderte sich die Situation: Papst INNOZENZ III ruft zum Albigenserkreuzzug<br />

auf – entgegen der Intention des hl. DOMINICUS werden die Ketzer nun<br />

gewaltsam bekämpft statt argumentativ überzeugt. Doch DOMINICUS gibt nicht auf –<br />

er predigt am Tag, betet bei Nacht, lehnt das angebotene Bischofsamt mehrm<strong>als</strong> ab –<br />

sein Bischof wird schließlich der ihm wohlgesonnene FULKO – und will mit Gleichgesinnten<br />

einen Predigerorden gründen, zunächst <strong>als</strong> Diözesanorden in Toulouse.<br />

Schwierigkeiten macht die ambivalente Haltung des Lateranense IV zur Ordensfrage:<br />

einerseits sieht man die Notwendigkeit organisierter Predigt, andererseits werden neue<br />

Ordensgründungen verboten. Daher entscheidet sich DOMINICUS auf dem Ordenskapitel<br />

von Toulouse 1216 für einen Kompromiss: er nimmt die – approbierte – Kanoniker-Regel<br />

des hl. AUGUSTINUS an und ergänzt sie durch strengere Consuetudines<br />

des OCist(die Predigerbrüder sind <strong>als</strong>o ein Mittelding zwischen Kanonikern und<br />

Mönchen, ähnlich den OPraem) - was von HONORIUS III in der Bulle Religiosam vitam<br />

1216 bestätigt wird, 1217 gesondert der von der bischöflichen Sendung unabhängige<br />

Predigerauftrag, 1218 ergänzt durch Anerkennung der OP <strong>als</strong> eigener Ordenstyp<br />

– unser Orden heißt seither nicht Ordo praedicationis, sondern Ordo praedicatorum<br />

- , 1219 durch Einführung der Bettelarmut. Der neue Orden breitete sich rasch aus,<br />

und es kam zu zahlreichen Klostergründungen. Dadurch wurde eine straffere Organisation<br />

nötig - die ersten beiden Generalkapitel in Bologna (1220, 1221) legten Satzungen<br />

und Organisation fest: der einzelne Konvent steht unter einem Prior, die Konvente<br />

einer Provinz unter einem Provinzprior( später Provinzial), alle Provinzen unter dem<br />

Ordensmeister, der aber vom Generalkapitel kontrolliert wird, so dass von Anfang an<br />

ein demokratisches Moment eingebaut war. Ferner wurden die Ämter gewählt und<br />

bald auch zeitlich beschränkt<br />

Erschöpft von einem gebets- und arbeitsreichen Leben starb DOMINICUS am 6.8.1221<br />

in Bologna. Sein Fest wird doppelt gefeiert – am 8.8. (Verschiebung wegen des Festes<br />

der Verklärung CHRISTI am 6.8. nötig) und am 23.5. (Übertragung seiner Gebeine<br />

wegen Bauarbeiten 1233). Bereits 1234 wurde er von GREGOR IX heilig gesprochen.<br />

3.3 Der OP - Ordenskonzept und Ordensspiritualität<br />

Der Orden des hl. DOMINICUS stellt in mehrfacher Hinsicht ein gelungenes und originelles<br />

Konzept dar.<br />

Selbstverständlich zeichnen unseren Orden die Charakteristika jedes Ordens aus:<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


11<br />

‣ Gebet und Arbeit: Der bekannte Ausspruch "Bete und arbeite" (Ora et labora), der<br />

zwar BENEDIKT zugeschrieben wird, aber auf AUGUSTINUS zurückgeht, will die<br />

Nachfolge CHRISTI in einer Verbindung von Aktion und Kontemplation verwirklichen<br />

– im Bewusstsein, dass auch JESUS selbst betete und arbeitete, wobei Seine<br />

Arbeit sowohl kerygmatisch <strong>als</strong> auch diakonisch akzentuiert war. Die von SC (1/9)<br />

genannten Grundfunktionen der Kirche – Liturgie, Kerygma und Diakonie – sind <strong>als</strong>o<br />

im Leben CHRISTI verwurzelt und daher Vorbild für christliches Leben im Allgemeinen<br />

und für die Verdichtung der Nachfolge CHRISTI in Orden im Besonderen.<br />

Die Akzentsetzung zwischen diesen Grundfunktionen ist von Orden zu Orden verschieden.<br />

‣ Gemeinschaftsleben: Sowohl die Bibel (Mensch im "PARADIES", d.h.: in heilen<br />

Beziehungen zu GOTT, zum Mitmenschen, zur Natur und zu sich selbst) <strong>als</strong> auch<br />

die Philosophie (ARISTOTELES: Mensch <strong>als</strong> zóon politikón) sehen den Menschen<br />

in der Spannung von Individualwesen und Gemeinschaftswesen. Ordensgemeinschaften<br />

verstehen sich daher <strong>als</strong> Pendant zu natürlichen Familien, die naturhafte<br />

Basis (Sexual- und Brutpflegetrieb) wird durch einen gemeinsamen geistiggeistlichen<br />

Nenner ersetzt: "Wer den Willen GOTTES erfüllt, der ist für mich Bruder<br />

und Schwester und Mutter" (Mk 3,35)<br />

‣ Gelübde: Gelübde werden von allen Charakteristika der Orden wohl am ehesten<br />

missverstanden – <strong>als</strong> „Opfer“, die einfachen Menschen gleichsam eine „Eintrittskarte“<br />

in den Himmel sichern sollen. Daher erscheint es gerade in unserer Zeit wichtig<br />

zu überlegen, dass diese Gelübde nur vordergründig unsere Grund-bedürfnisse<br />

hemmen, uns aber in Wahrheit für neue und größere Lebensdimensionen öffnen.<br />

Die Versuchungsperikope (Mt 4,1-11 et//) kann daher auch <strong>als</strong> Bild für unsere Versuchungen<br />

verstanden – denn die Sicherung unseren materiellen Lebens, die Anerkennung<br />

durch andere, verdichtet in allen Formen der Liebe, und das Durchsetzen<br />

der eigenen Vorstellungen sind die wesentlichen Grundbedürfnisse des Menschen.<br />

Die Einschränkung dieser Grundbedürfnisse durch die Gelübde soll aber nicht beengen,<br />

sondern dafür offen halten, dass unsere Sehnsucht nach Geborgenheit, Liebe<br />

und Freiheit viel zu groß für diese Welt ist, dass sie letztlich unendlich, weil auf<br />

den Unendlichen ausgerichtet, ist.<br />

‣ Zu diesen allgemeinen Ordenscharakteristika kommen einige Spezifika des OP:<br />

- Wie bereits erwähnt, mühen sich alle Orden um eine Verbindung von Gebet und<br />

Arbeit. Der OP betont besonders, dass die Arbeit, besonders die Verkündigung,<br />

aus dem (kontemplativen) Gebet herauswachsen muss: contemplari et contemplata<br />

aliis tradere ist einer der Wahlsprüche unseres Ordens, und nicht zufällig<br />

waren die größten Mystiker des MA, ECKEHART, SEUSE und TAULER, und<br />

eine der größten Visionärinnen, KATHARINA von Siena, Dominikaner.<br />

- Der OP ist, wie der OFM u.a., ein Bettelorden: das meinte ursprünglich, dass<br />

nicht nur der einzelne Ordensangehörige, sondern auch der Orden in seiner Gesamtheit<br />

arm sein sollte – was in dieser Radikalität päpstlich nicht genehmigt<br />

wurde, wohl in der richtigen Einschätzung, dass ein Orden der Gesellschaft nicht<br />

zur Last fallen dürfe. Dennoch setzen Bettelorden dam<strong>als</strong> wie heute den Akzent<br />

des einfachen Lebens, um „arm dem armen CHRISTUS nachzufolgen“. Und der<br />

Zeichencharakter der Armut gilt dam<strong>als</strong> wie heute – dam<strong>als</strong> gegen eine reiche<br />

Kirche, heute gegen eine konsumbesessene Gesellschaft.<br />

- Während DOMINICUS diese Akzentuierung der Armut mit FRANCISCUS teilte,<br />

ist seine Betonung der friedlichen Glaubensverkündigung, basierend auf gediegener<br />

Bildung, ein, vielleicht sogar „das“, Charakteristikum des OP. Gerade<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


12<br />

dieser Akzent scheint mir hochaktuell – im Gegensatz zur Zeit des DOMINICUS<br />

hat die Kirche kaum mehr reale Macht, ist <strong>als</strong>o zum Verkündungsweg des DO-<br />

MINICUS fast gezwungen!<br />

- Auch die Ergänzung der bisher üblichen zwei Zweige (1.: männlich: aktiv + kontemplativ,<br />

2.: weiblich, kontemplativ) durch einen 3. Zweig ist <strong>als</strong> wesentliche<br />

Neuerung anzusehen: damit wollte man den in der Kirche so verhängnisvollen<br />

Gegensatz zwischen „Geistlichen“ „Laien“ überbrücken, indem man einen<br />

Laienorden schuf, der Menschen in Beruf und Familie in ihrem Bemühen um<br />

christliche Lebensführung unterstützen sollte. Fromme Laiengemeinschaften<br />

gab es schon früher, neu war die Angliederung an einen Orden. Zugleich wurde<br />

damit die Basis für die erst neuzeitlich sich durchsetzenden aktiven Frauenorden<br />

geschaffen – <strong>als</strong>o Frauenorden, die nicht dem 2., sondern dem 1. Zweig<br />

nachempfunden sind – für Frauen, die, wie die Männer, eine Verbindung von Aktion<br />

und Kontemplation leben wollen. - Heute besteht die Familia Dominicana<br />

aus 1. Männern – 2. beschaulichen Frauen („Moniales“) - 3a aktiven Frauen<br />

(„Schwestern“), 3b Laien – und sollte nach dem Ideal des hl. DOMINICUS wirklich<br />

eine geistliche Familie sein.<br />

- Ein weiteres Spezifikum mag eher ordensgeschichtlich bzw. kirchenrechtlich interessant<br />

sein: DOMINICUS verbindet augustinisches Kanonikertum (Regula) mit<br />

zisterziensischem Mönchtum (Consuetudines). AUGUSTINUS hatte ein Klerikerkloster<br />

geschaffen, d.h. Kleriker lebten in Armut, Ehelosigkeit, zum gemeinsamen<br />

Stundengebet und zur Arbeit, besonders zur Seelsorge, zusammen; später<br />

wurde die Armutsverpflichtung der Klerikergemeinschaften gelockert (Synode<br />

von Aachen 816), so dass der Privatbesitz zum Hauptunterscheidungsmerkmal<br />

zu den Mönchen wurde. Die Zisterzienser sind der wichtigste Reformorden der<br />

Benediktiner und betonen Armut, Askese, Gehorsam.<br />

Wären diese Grundanliegen – Verkündigung ohne Zwang und in zeichenhafter Einfachheit<br />

und Harmonie von Gebet und Arbeit, Individuum und Gemeinschaft – nicht<br />

aktueller denn je, in einer Zeit, in der Atheismus und blinder Aktivismus, Egoismus und<br />

Vermassung ständig überhandnehmen?<br />

3.4 Die Konkretisierung des dominikan. Ordenskonzepts in geschichtlichen Persönlichkeiten<br />

DOMINICUS, der trotz seines aufregenden Lebens und seines noch immer hochaktuellen<br />

Ordenskonzepts <strong>als</strong> Person stark hinter seinem Werk zurücktrat, hat aber NachfolgerInnen<br />

gefunden, die dieses Konzept gleichsam personifizierten:<br />

‣ THOMAS v.A. war „der“ große Theologe des MA, verwirklichte <strong>als</strong>o die wissenschaftlich<br />

fundierte Verkündigung.<br />

‣ ECKHART, SEUSE und TAULER gelten <strong>als</strong> das große mystische Dreigestirn.<br />

‣ Und KATHARINA v. S. wurde, geleitet durch ihre Visionen, zur Kirchenreformerin,<br />

obwohl sei eine einfache Frau war.<br />

2.2.4 3.3.1 Der hl. THOMAS v. Aquin (1224/1227- 1274)<br />

Aus gräflichem Geschlecht stammend und in dem feudal organisierten Benediktinerkloster Monte Cassino<br />

erzogen, trat er dennoch <strong>als</strong> junger Mann in den Dominikanerorden ein und studierte in Paris und<br />

Köln, wo ALBERTUS MAGNUS sein Lehrer war. Später lehrte er selbst in Paris, Köln, Rom, nochm<strong>als</strong> in<br />

Paris und Neapel und starb auf dem Weg zum 2.Konzil von Lyon am 7.3.1274.<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>


13<br />

Die Summa theologiae, sein Hauptwerk, spiegelt besonders im ersten Teil das theologische Konzept des<br />

THOMAS wider.<br />

Der Satz "GOTT ist" ist evident, da in GOTT Wesen (essentia) und Existenz (existentia) identisch sind -<br />

GOTT ist <strong>als</strong>o das einzig notwendige Wesen und <strong>als</strong> solches reine Wirklichkeit, reine Form, reine Substanz;<br />

Er ist daher einfach und unveränderlich - Er ist so, wie Er sein soll.<br />

Alles, was existiert, ohne GOTT zu sein, ist nur verwirklichte Möglichkeit, ist kontingent, ist Geschöpf,<br />

und bedarf der absoluten Wirklichkeit GOTT <strong>als</strong> Verwirklichungsprinzip, um ins Dasein gerufen und im<br />

Dasein erhalten zu werden. Innerhalb der Geschöpfe gibt es eine Stufenordnung ("Ordo"):<br />

Die Intelligenzen (Engel und Menschen) können sich mit Materie verbinden, aber auch <strong>als</strong> "getrennte<br />

Formen" existieren.<br />

Sinnendinge können nur <strong>als</strong> mit Materie verbundene Formen existieren; sie sind gestuft in Tier, Pflanze<br />

und tote Materie.<br />

2.2.5 3.3.2 Meister ECKEHART (um 1260 - zwischen 1327 und 1329)<br />

ECKEHART, in Thüringen aus ritterlichem Geschlecht geboren, trat in den OP ein und wurde zunächst<br />

für höhere Ordensämter und für die Betreuung zahlreicher Nonnenklöster eingesetzt; seine mystischen<br />

Erfahrungen, die er in deutscher Sprache predigte, brachten ihm ein Inquisitions-Verfahren ein; die Verurteilung<br />

einiger seiner Thesen durch JOHANNES XXII erlebte er nicht mehr.<br />

THOMAS und viele andere großen Theologen hatten die Unbegreiflichkeit GOTTES erkannt: alles, was<br />

wir denken können, kann nicht GOTT sein. Wenn wir <strong>als</strong>o nicht "Etwas" vor GOTT hintragen wollen - so<br />

die üblichen Gebetsformen - , sondern GOTT selbst zum "Inhalt" des Gebets machen wollen, müssen<br />

wir alle Denkinhalte fallen lassen. Da wir die Wirklichkeit nicht im Denken schaffen, sondern bloß <strong>als</strong> eine<br />

vorgegebene nachdenken, müssen wir nicht fürchten, dass nach dem Fallenlassen aller Denkinhalte<br />

das totale Nichts übrigbleibt - es bleibt das begriffliche Nichts, das in Wahrheit Alles - <strong>als</strong>o GOTT Selbst -<br />

ist. Diese Gebetsart bezeichnet man <strong>als</strong> Kontemplation. Nur, wer so leer geworden ist, darf hoffen, dass<br />

GOTT ihn erfüllen, dass GOTT in ihm geboren wird - eine Erfahrung, die man <strong>als</strong> Mystik bezeichnet.<br />

Dieser Begriff leitet sich vom griech. Wort mýein ab, das meint, "Augen und Mund verschließen". Wer<br />

diese Erfahrung macht, wird nicht nur seine Einheit mit GOTT, sondern auch mit sich selbst und mit<br />

allen Geschöpfen erleben und zu einer neuen Sichtweise der Wirklichkeit und einem sinnvolleren praktischen<br />

Umgang mit ihr verwandelt werden.<br />

ECKEHARTS Mystik wurde durch seine Schüler SEUSE und TAULER fortgesetzt.<br />

2.2.6 3.3.3 KATHARINA von Siena (*1347 in Siena - + 1380 in Rom)<br />

KATHARINA wurde <strong>als</strong> 25. Kind einer Färberfamilie geboren. Früh zur Ehe bestimmt, widersetzte sich<br />

KATHARINA und trat in den 3.Orden des OP ein. Dort gelang ihr eine Verbindung von Aktion & Kontemplation,<br />

wie sie dam<strong>als</strong> nur Männer leben konnten (es gab ja über viele Jahrhunderte nur beschauliche<br />

Frauenorden!). In ihrer caritativen Tätigkeit pflegte sie besonders Pestkranke. Berühmt wurde sie<br />

durch ihre Bemühungen, den Papst von Avignon nach Rom zurückzuholen - zuerst brieflich, dann persönlich,<br />

wobei sie mitunter recht kräftige Worte fand: "Ich bekenne furchtlos, ... dass die Sünden des<br />

päpstlichen Hofes bis nach Siena stinken". KATHARINA erreichte zwar die Rückkehr des Papstes, aber<br />

nicht die Erneuerung der Kirche - sie starb, erst 33 Jahre alt, in Rom.<br />

Es grenzt ans Wunderbare, dass eine Frau, noch dazu eine eher ungebildete, im Mittelalter so großen<br />

kirchenpolitischen Einfluss gewinnen konnte - offenbar müssen ihre Zeitgenossen, sogar Päpste, gespürt<br />

haben, dass sie nicht aus eigener Kraft, sondern in der Kraft CHRISTI handelte. Diese Führung durch<br />

CHRISTUS erlebte sie in zahlreichen Visionen, d.h. durch bildhafte religiöse Erfahrungen, deren wohl<br />

aktuellste die Aufopferung KATHARINAs für die Heilung der Kirche ist: „So nimm denn mein Herz und<br />

presse es aus über das Antlitz dieser Braut". In einer Vision antwortet CHRISTUS: ... Stelle Dein Leben,<br />

Dein Herz und Deine Liebe einzig in den Dienst dieser Braut, für Mich, ohne Rücksicht auf Dich..."<br />

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14<br />

4 Die Reflexion der je eigenen Berufung<br />

Es ist seltsam: alle Menschen wollen glücklich werden – doch die meisten verbauen<br />

sich diese Chance selbst, indem sie ihr Glück auf der f<strong>als</strong>chen Ebene suchen, und die<br />

wenigsten merken, dass Glück mit dem Herausfinden der je eigenen Berufung zu tun<br />

hat. Dabei gäbe es zwei einfache Indizien dafür, wo oder besser bei wem dieses Glück<br />

zu suchen und zu finden ist:<br />

‣ Erstens: Der Mensch spürt in sich eine unendliche Sehnsucht nach Glück und Liebe<br />

– und eine unendliche Sehnsucht kann nicht auf endlicher Ebene gestillt werden.<br />

Will er glücklich werden, muss er auf einer anderen <strong>als</strong> der irdischen und daher<br />

endlichen Ebene suchen.<br />

‣ Zweitens: Der Mensch erfährt immer wieder, dass es für ihn ein Glück ist, nicht alle<br />

Ziele zu erreichen und nicht alle Wünsche erfüllt zu bekommen, weil ihm oft der Ü-<br />

berblick fehlt, was ihm wirklich gut tut. Will der Mensch <strong>als</strong>o glücklich werden, muss<br />

er auf jemanden hören lernen, der sein Leben ganz überblickt und der ihn mehr<br />

liebt, <strong>als</strong> er sich selbst lieben kann – er muss lernen, auf GOTT zu hören.<br />

Wenn nun jeder Mensch, sofern er von GOTT geschaffen ist, auch auf GOTT hin geschaffen<br />

ist, dann ist es nicht nur die Grundaufgabe jedes Menschen, diese Berufung<br />

immer mehr herauszufinden und zu leben, sondern dann ist das auch seine Grunderfüllung<br />

– es ist unmöglich, gegen den Willen GOTTES, d.h. gegen diese Grundprogrammierung,<br />

glücklich zu werden. Oder, wie AUGUSTINUS es poetischer in dem bekannten<br />

Satz ausdrückt: Du hast uns auf Dich hin geschaffen und unruhig ist unser<br />

Herz, bis es ruht in Dir. Wir dürfen vertrauen, dass GOTT von jedem Menschen ein individuelles<br />

Idealbild hat und dass es Lebensaufgabe des Menschen ist, sich diesem<br />

nähern. Je mehr ich mich diesem Bild nähere, desto mehr werde ich ich selbst, desto<br />

mehr finde ich meine Identität – und werde dadurch umso harmonischer und glücklicher.<br />

Denn erst der Mensch, der diesen Weg geht, wird Person im eigentlichen Sinn –<br />

ein Mensch, durch den GOTT "hindurchtönt" (per--sonare) und der dadurch das von<br />

JESUS verheißene „das Leben in Fülle“ hat (Joh 10,10)<br />

Wenn auch jeder Mensch ein von GOTT Berufener ist, erhält christliche Berufung<br />

durch das Hineingenommen-Werden in CHRISTUS einen besonderen Akzent:<br />

‣ Jeder Mensch soll seinen Lebensweg <strong>als</strong> Weg zu GOTT verstehen und leben,<br />

‣ jeder Christ soll CHRISTUS <strong>als</strong> „den“ Wegweiser dazu annehmen,<br />

‣ wobei das je individuelle Bild, das GOTT von jedem von uns hat, nur im GEISTE zu<br />

erkennen und zu leben ist.<br />

‣ Für Menschen, die in der Verkündigung tätig sind, kommt hinzu, dass sie gemäß<br />

der Zeitanforderungen verkündigen müssen, weil ihre Verkündigung sonst nicht ankommt:<br />

Wäre da nicht DOMINICUS ein Leitbild für unsere Zeit, durch gediegene<br />

Verkündigung und einem entsprechenden Leben Menschen das Christentum wieder<br />

schmackhaft zu machen?<br />

Dr. Deifel-Hl. <strong>als</strong> <strong>lebensbegleitende</strong> <strong>Mystagogen</strong>

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