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Einleitung Die Kinder- und Jugendzeit von Johann Beschulnig, die ...

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www.sunti.at Schattiger Frühling ISBN 978-3-9500252-1-7<br />

E i n le i t u n g<br />

<strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendzeit</strong> <strong>von</strong> <strong>Johann</strong> <strong>Beschulnig</strong>, <strong>die</strong> sich in den Siebziger Jahren <strong>die</strong>ses<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts zugetragen hat, wird hier geschildert. Einige Orte <strong>und</strong> vor allem <strong>die</strong> Namen der<br />

mitwirkenden Personen wurden geändert, weil Hans seine wahre Geschichte nur unter einem<br />

Pseudonym veröffentlicht sehen will. <strong>Die</strong> Privatsphäre der involvierten Personen soll nicht<br />

gestört werden.<br />

*<br />

Ende Juni 1957 erblickte <strong>Johann</strong> <strong>Beschulnig</strong> als Sohn des Ehepaares Gottfried <strong>und</strong> Anna im<br />

Landeskrankenhaus Klagenfurt das Licht <strong>die</strong>ser Welt.<br />

Seine Eltern stammten, was damals keine Seltenheit war, aus ärmlichen Verhältnissen.<br />

Vater, Jahrgang 1930, schlank, athletischer Körperbau, 170 cm groß, braunes, sehr kurz<br />

geschnittenes, aber volles Haar <strong>und</strong> stahlblaue Augen. Auf seine Mitmenschen machte er einen<br />

lebensbejahenden Eindruck. Ab seinem 13. Lebensjahr wurde er <strong>von</strong> seinen Eltern auf <strong>die</strong><br />

Straße oder - wie man es besser formulieren sollte - auf den Feldweg geworfen. Sie hatten<br />

während des 2. Weltkrieges noch weitere 12 Mäuler zu versorgen. Aber das Leben ging<br />

weiter, <strong>und</strong> so übertauchte Vater <strong>die</strong> schwierige Lage, indem er Bergbauern für etwas Essen<br />

<strong>und</strong> eine Schlafgelegenheit in den Stallungen ein billiger Knecht wurde. Daß seine weitere<br />

Ausbildung darunter litt, liegt auf der Hand. Und so begann sein offizieller Arbeitseinstieg nach<br />

dem Untergang des Hitlerregimes als Fünfzehnjähriger auf der untersten Sprosse.<br />

Mutter war in den Tagen des Jahres 1938 geboren, als Hitler <strong>die</strong> deutschen Truppen in<br />

Österreich einmarschieren ließ. Auch bei ihr war <strong>die</strong> Kindheit ähnlich trist verlaufen. Ihr Vater<br />

<strong>und</strong> zwei Brüder waren im 2. Weltkrieg gefallen. Ihre Mutter war damals in schweren<br />

seelischen sowie finanziellen Schwierigkeiten, <strong>und</strong> so kam es, daß <strong>die</strong> Familie aufgelöst wurde.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong> landeten in einem katholischen Klosterheim, was aber bestimmt nicht bedeutet, daß<br />

sie ihre Kindheit in christlicher Barmherzigkeit erlebten. Doch nun war sie eine hübsche junge<br />

Frau geworden, 162 cm groß, langes, dichtes, braunes Haar, braune Augen <strong>und</strong> vollschlank -<br />

was damals, in sozial schweren Zeiten, sehr attraktiv war.<br />

1957 ver<strong>die</strong>nten <strong>die</strong> Österreicher im Durchschnitt 1.700 Schilling. Ein Einkommen, <strong>von</strong><br />

dem <strong>die</strong> junge Familie <strong>Beschulnig</strong> nur träumen konnte. Hansis Vater kam auf satte 700<br />

Schilling. Ein „Puch 500“ kostete 23.800 <strong>und</strong> 1 Liter Normalbenzin 3,10 Schilling.<br />

Kraftfahrzeuge, Waschmaschinen <strong>und</strong> Kühlschränke hatten damals sowieso nur<br />

Seltenheitswert. Aber auch Plattenspieler oder gar ein Fernsehgerät waren für einfache<br />

Arbeiterfamilien unfinanzierbar.<br />

In der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt gab es noch sehr viele Schotterstraßen,<br />

eine Straßenbahn, Oberleitungsbusse <strong>und</strong> nur wenig Individualverkehr.<br />

Österreich wurde <strong>von</strong> der großen Koalition aus ÖVP <strong>und</strong> SPÖ regiert, <strong>die</strong> trotz<br />

Reparationsleistungen - <strong>und</strong> das muß auch erwähnt werden - das Staatsschiff auf<br />

günstigen Wirtschaftskurs brachte. Natürlich spielten auch andere wichtige Faktoren wie<br />

der Marshallplan (günstiger Wirtschaftskredit) <strong>und</strong> der Aufschwung in Westdeutschland<br />

eine gewichtige Rolle.<br />

Auf <strong>Johann</strong>, oder besser Hans, sollten <strong>die</strong> ersten 22 Lebensjahre noch gewaltigen Eindruck<br />

machen. Ja, er war belebt <strong>von</strong> einem äußerst sensiblen Geist, schon <strong>die</strong> Überquerung eines<br />

winzig kleinen Baches löste bei ihm im zarten Kindesalter Katastrophenstimmung aus.<br />

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www.sunti.at Schattiger Frühling ISBN 978-3-9500252-1-7<br />

1 9 6 1 : M ä rz<br />

D I E T R A U R I G E G E S C H I C H T E V O N B E L L O<br />

Schon im Alter <strong>von</strong> vier Jahren mußte Hansi erfahren, wie schwer einem das Leben zusetzen<br />

kann. Damals lebte er mit seinen Eltern in der schönen Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt.<br />

Vater besaß eine <strong>Die</strong>nstwohnung in einem großen, einstöckigen Wirtschaftsgebäude aus den<br />

Fünfziger Jahren, das auf dem Areal eines riesigen Landwirtschaftsbetriebes stand, in dem er<br />

als Hilfsarbeiter <strong>und</strong> Traktorfahrer arbeitete.<br />

Im Gr<strong>und</strong>e hatten sich <strong>die</strong> <strong>Beschulnig</strong>s über ihr karges Dasein nie beklagt. Von Not oder gar<br />

Armut zu sprechen, wäre ihnen nie in den Sinn gekommen, obgleich es zu essen meist nur<br />

Margarinebrote, Reis, Maisgrieß <strong>und</strong> sonstige Billigstgerichte gab. Auch der Anzug für <strong>die</strong><br />

Hochzeit vor vier Jahren sowie <strong>die</strong> anläßlich der Hochzeit gekauften Schuhe hielten für<br />

besondere Anlässe immer noch her. <strong>Die</strong> Garderobe für Hansi <strong>und</strong> seine jüngeren Geschwister<br />

Thekla <strong>und</strong> Heinzi wurde <strong>von</strong> Mutter selbst angefertigt.<br />

Zu Weihnachten 1960 hatten sie ein hölzernes Schaukelpferd vom B<strong>und</strong>esheer bekommen,<br />

welches <strong>von</strong> den <strong>Kinder</strong>n auch intensiv genutzt wurde. Viel mehr Spielzeug besaßen sie nicht.<br />

Und doch waren sie <strong>und</strong> ihre Eltern mit dem wenigen zufrieden. Vater meinte, „zwei starke<br />

Hände, ein ges<strong>und</strong>er Menschenverstand, gepaart mit dem Willen, es ohne Almosen, aber mit<br />

harter Arbeit im Leben zu etwas zu bringen“, wären seine Zukunftsvision.<br />

Der große Bernhardiner, ein Rüde im zweiten Lebensjahr, hörte auf den Namen Bello. Vater<br />

hatte Bello vor eineinhalb Jahren geschenkt bekommen, damals lebten sie noch auf dem Land.<br />

Aber auch <strong>die</strong> Stadt schien Bello nicht sonderlich zu stören, er war ein ausgesprochen<br />

zufriedener <strong>und</strong> gutmütiger H<strong>und</strong>, der sich mit dem zufrieden gab, was so nebenbei abfiel.<br />

Bello war auch <strong>Kinder</strong>mädchen; wenn Mutter kochte oder in der Waschküche zu tun hatte,<br />

paßte er auf Hansi, Thekla <strong>und</strong> den kleinen Heinzi, der <strong>die</strong> meiste Zeit noch im <strong>Kinder</strong>wagen<br />

verbringen mußte, sorgfältig auf. Oft <strong>die</strong>nte er dem kleinen Hans auch als Reitpferd.<br />

Auch Fritzi, der jüngste Sproß des Verwalters, spielte am liebsten mit Bello, was <strong>die</strong> Frau des<br />

Verwalters nicht gerne sah. „Laß den blöden H<strong>und</strong>!“, schrie sie meist verächtlich über den<br />

verluderten Hof. „Von dem kriegst nur Würmer!“ Es endete immer gleich, sie holte Fritzi, der<br />

nur zwei Monate jünger war als Hansi, <strong>und</strong> ging schimpfend mit ihm ins Haus.<br />

Eines Tages jedoch begann <strong>die</strong> Katastrophe, <strong>die</strong> schon lange wie ein Damoklesschwert über<br />

Bello hing.<br />

Hansi, Fritzi <strong>und</strong> Bello spielten auf dem großen Sandhaufen im Hof, der für Bauarbeiten<br />

herangeschafft worden war. Plötzlich kam unerwartet <strong>die</strong> Mutter <strong>von</strong> Fritzi mit schweren<br />

Einkaufstaschen nach Hause. Wieder einmal wurde Fritzi beim Sandspielen mit Bello <strong>und</strong><br />

Hansi erwischt. „Fritzi, geh sofort nach Hause!“, schrie sie. Fritzi, der ganz ins Spiel vertieft<br />

war, erstarrte vor Schreck. „Hast du nicht gehört, du sollst sofort nach Hause gehen!“, rief sie<br />

energisch, während sie <strong>die</strong> Tür zur Wohnung öffnete. Fritzi wollte jedoch noch ein wenig bei<br />

seinen Fre<strong>und</strong>en bleiben. „Mama, darf ich bitte noch ein wenig mit Hansi spielen?“, bettelte er,<br />

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wobei er <strong>die</strong> kleine, dreckige Sandschaufel unfachmännisch in der Linken hielt. Wütend stellte<br />

daraufhin <strong>die</strong> Frau des Verwalters ihre Einkaufstaschen im Vorraum ab. Ohne ein weiteres<br />

Wort zu verlieren, ging sie zielstrebig auf <strong>die</strong> Spielgemeinschaft zu. Fritzi, der noch immer auf<br />

dem Sandhaufen stand, begann heftig zu weinen. Doch Bello hatte <strong>die</strong> Bedrohung erkannt <strong>und</strong><br />

stellte sich schützend vor <strong>die</strong> kleinen <strong>Kinder</strong>. „Nimm den dreckigen Köter <strong>und</strong> verschwindet in<br />

eure Rattenburg!“, schrie sie Hansi an. Sie war dabei wie angewachsen stehen geblieben <strong>und</strong><br />

wagte weder einen Schritt vor noch zurück. Bellos Knurren mahnte sie, es nicht auf <strong>die</strong> Spitze<br />

zu treiben. Hansi selbst war <strong>von</strong> der jämmerlichen Haltung <strong>und</strong> dem angstvollen<br />

Gesichtsausdruck der ansonsten immer resoluten Verwalterin angenehm überrascht. Aus der<br />

Position der Stärke begann er nun, Bello, der sein Selbstbewußtsein mächtig aufpoliert hatte,<br />

zu streicheln. Fritzi hingegen stand noch immer heulend auf dem Sandhaufen. „Wenn du nicht<br />

sofort mit dem Köter verschwindest, lasse ich deinen Vater <strong>von</strong> der Arbeit holen!“ Hansi zog<br />

mit Bello ab, er wollte nicht, daß Vater in Schwierigkeiten kam.<br />

*<br />

Es passierte etwa eine Woche später. Hansi saß mit Mutter beim Mittagessen, während Vater,<br />

der gerade Mittagspause hatte, nervös in der einfachen Wohnküche auf <strong>und</strong> ab ging, um, so<br />

hatte es jedenfalls den Anschein, etwas Wichtiges zu suchen. Neben dem einfachen, weiß<br />

gestrichenen Küchentisch stand ein schäbiger alter Kleiderschrank, an dessen unterem Ende<br />

eine große Lade eingebaut war, in der vom Schuhputzzeug bis zum Werkzeug so einiges<br />

verstaut war. Plötzlich kniete Vater vor <strong>die</strong>ser Lade, zog sie zur Hälfte heraus <strong>und</strong> kramte in<br />

dem Werkzeug. Schließlich fand er den großen schweren Hammer <strong>und</strong> eilte damit in den Hof<br />

hinunter. Mutter war jetzt sehr bedacht, daß Hansi bei Tisch blieb. Hans wiederum gab sich<br />

<strong>von</strong> der bravsten Seite, schließlich wollte er nicht, daß seine Mutter <strong>die</strong> Schlauere bei <strong>die</strong>sem<br />

Spielchen sein sollte. Doch <strong>die</strong>smal ließ sie ihn keine Sek<strong>und</strong>e aus den Augen. Aufgeregt schob<br />

er seinen Suppenteller hin <strong>und</strong> her. Er mußte unbedingt Vater folgen, um ihm bei der Arbeit<br />

zusehen zu können. „Du brauchst dich gar nicht so stellen, du bleibst hier!“, mahnte sie ernst.<br />

„Aber ich möchte Vati bei der Arbeit zusehen!“, meinte er, stocherte dabei gekonnt in der<br />

Suppe <strong>und</strong> sah Mutter mit großen <strong>Kinder</strong>augen, <strong>die</strong> voll Neugier <strong>und</strong> Wissensdrang waren, an.<br />

„Vati fährt mit den Arbeitern weg“, sagte sie monoton <strong>und</strong> löffelte gelassen weiter. Noch<br />

mußte sich Hansi mit <strong>die</strong>ser Antwort zufrieden geben, doch zehn Minuten später nützte er<br />

einen Moment der Unachtsamkeit seiner Mutter <strong>und</strong> rannte aufgeregt lachend aus der<br />

Wohnküche. Mutter, <strong>die</strong> er <strong>die</strong>smal toll überlistet hatte, warf bei der Verfolgung einen Stuhl<br />

um. Er wußte, daß sie bis in den Hof hinunter versuchen würde, ihn aufzuhalten, doch <strong>die</strong>smal<br />

ließ er ihr keine Chance. Jauchzend vor Glück kletterte er flink <strong>die</strong> Holzstufen der<br />

Außentreppe in den Hof runter. Am unteren Ende lag Bello, Vater stand mit dem großen<br />

Hammer in der Rechten vor ihm. Was war geschehen? Hansi spürte instinktiv Schreckliches.<br />

Tränen kullerten über seine Wangen, er kniete vor dem toten H<strong>und</strong> <strong>und</strong> streichelte ihn zärtlich.<br />

Aus Bellos Ohren <strong>und</strong> Nase rann Blut. „Warum hast du ihn nicht zurückgehalten?“, fragte<br />

Vater grimmig. „Er - er ist mir ausgekommen!“, stotterte Mutter nervös. „Bello, steh auf,<br />

komm, wir gehen spielen, Bello!“ Hansi schluchzte <strong>und</strong> streichelte seinem toten Fre<strong>und</strong> sanft<br />

übers wollige Fell. „Bello ist tot, Hansi, laß ihn!“, sagte Mutter leise. „Was ist das - tot? So<br />

steh doch auf, Bello!“, schrie er nun verzweifelt <strong>und</strong> war sicher, daß sein Spielgefährte wieder<br />

aufstehen würde. Das Wort „tot“ war ihm noch gänzlich unbekannt. Hansi sah seinem Vater<br />

fassungslos zu, als <strong>die</strong>ser Bello einfach in eine Baugrube im Hof warf <strong>und</strong> mit Schutt begrub.<br />

„Bello kriegt doch keine Luft!“, rief er noch besorgt. „Bello braucht keine Luft!“, entgegnete<br />

Vater trocken.<br />

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Tage später bat Hansi einige Arbeiter, <strong>die</strong> im Hof standen, sie mögen seinen H<strong>und</strong> aus der<br />

Grube befreien. Bereitwillig waren ihm einige gefolgt, doch als sie vor der verschütteten<br />

Baugrube standen, sorgte <strong>die</strong>s für riesiges Gelächter. Nur Hansi schien nun <strong>die</strong> Welt nicht mehr<br />

zu verstehen. Bei ihm flossen Tränen der Trauer <strong>und</strong> des Unverständnisses.<br />

* * *<br />

1 9 6 1 : J u n i<br />

V O N D E R S T A D T I N E I N K L E I N E S , W I L D R O M A N T I S C H E S<br />

B E R G B A U E R N D O R F<br />

Im Frühsommer 1961, zwei Monate nach der traurigen Geschichte mit Bello, war es Vater<br />

doch gelungen, eine vom Arbeitgeber unabhängige Unterkunft für seine Familie zu besorgen.<br />

Oberndorf wird <strong>die</strong>se damals aus drei Kleinhäuslern <strong>und</strong> einem größeren Bauernhof bestehende<br />

Ortschaft genannt.<br />

<strong>Die</strong>ses liebliche Dörfchen, dessen Schönheit auch heute noch <strong>von</strong> Heimatdichtern beschrieben<br />

werden könnte, liegt in etwa 750 Metern Höhe auf der Südseite der Sattnitz, <strong>die</strong> sich <strong>von</strong><br />

Klopein im Osten bis nach Augsdorf im Westen zieht. Wenn man <strong>von</strong> der Sattnitz aus den<br />

Blick <strong>von</strong> Nordost nach Nordwest schweifen läßt, fesseln <strong>die</strong> bekanntesten Ferienpara<strong>die</strong>se<br />

Kärntens wie der Wörthersee, Velden, Krumpendorf <strong>und</strong> der Keutschacher See sowie <strong>die</strong><br />

Aussicht auf <strong>die</strong> w<strong>und</strong>erschöne Landschaft den Blick. Doch auch <strong>die</strong> Sicht in Richtung Süden,<br />

ins Rosental, ist beeindruckend. Dabei spürt man schon <strong>die</strong> verführerische Kraft der<br />

Hausberge, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Südgrenze des Rosentales bilden <strong>und</strong> nicht selten auf 1500 Meter <strong>und</strong> mehr<br />

anwachsen. <strong>Die</strong> Drau, <strong>die</strong> das Rosental in zwei Teile teilt, war 1961 noch nicht durch<br />

Wasserkraftwerke gezähmt <strong>und</strong> daher im Frühjahr bei der Schneeschmelze sehr gefürchtet.<br />

Als Hansi im Frühsommer 1961 zum erstenmal mit seinen Eltern <strong>von</strong> der Bushaltestelle Felsach<br />

nach Oberndorf aufstieg, war es für ihn ein unvergeßliches Erlebnis. Er war zwar erst im<br />

vierten Lebensjahr, doch <strong>die</strong>se bezaubernde Hügellandschaft faszinierte ihn, <strong>die</strong>se<br />

weitabliegenden Bauernhöfe, zufrieden grasende Kühe <strong>und</strong> Schafe, auf großen saftiggrünen<br />

Weideflächen, <strong>die</strong> noch mit wilden Sträuchern <strong>und</strong> Bäumen gespickt waren. <strong>Die</strong><br />

w<strong>und</strong>erschönen Mischwälder, <strong>die</strong> blühende Erika im Moosboden des Waldes eroberten auch<br />

sofort einen Platz in seinem <strong>Kinder</strong>herz. Freilich hatte <strong>die</strong>se Idylle auch ihre Nachteile. Zum<br />

nächsten Geschäft oder zur nächsten Verkehrsverbindung mußte man etwa 40 Minuten ins Tal<br />

hinunter <strong>und</strong> entlang wandern. Für seine Eltern <strong>und</strong> vor allem für Vater war <strong>die</strong>s ein hartes<br />

Los, das er aber gerne auf sich nahm, um seine Familie in ruhigen <strong>und</strong> geordneten<br />

Verhältnissen zu wissen.<br />

Bei schönem Wetter kamen an Wochenenden oft Wanderer, um <strong>die</strong> Schönheit der Natur <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Aussicht <strong>von</strong> Oberndorf <strong>und</strong> anderen Teilen der Sattnitz aus zu genießen.<br />

Was Hansi aber besonders freute, waren <strong>die</strong> neuen Nachbarn, <strong>die</strong> slowenischsprachigen Plautz.<br />

Sie waren ihm <strong>und</strong> seinen Geschwistern ein Großelternersatz, dem Alter nach hätten sie es ja<br />

leicht sein können. Obgleich es am Anfang zu leichten Sprachschwierigkeiten kam, genossen<br />

<strong>die</strong> beiden Plautz ihre neue Rolle sichtlich.<br />

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<strong>Die</strong> Plautz waren ein Ehepaar um <strong>die</strong> 50. Er war beinahe zwei Meter groß, sie eineinhalb<br />

Köpfe kleiner. Beide waren recht schlank <strong>und</strong> hatten stark ausgeprägte Gesichtszüge,<br />

unzählige Falten <strong>und</strong> Fältchen, <strong>die</strong> auf harte Arbeit <strong>und</strong> zahlreiche Schicksalschläge schließen<br />

ließen. Sie wohnten in einem länglichen, alten, aus Steinen gemauerten Haus, welches zugleich<br />

als Wirtschafts– <strong>und</strong> Wohngebäude <strong>die</strong>nte - in dem also Stall, Tenne <strong>und</strong> Wohnung<br />

untergebracht waren.<br />

50 Meter weiter westlich lag das <strong>von</strong> Hansis Eltern gemietete Haus. Es war auch länglich, aus<br />

Steinen gemauert <strong>und</strong> in den Südhang hinein gebaut. Es hatte keinen Keller, dafür aber<br />

genauso wie bei den Plautz einen schönen Holzdachbalkon, der ins Rosental zeigte, <strong>und</strong> ein<br />

separates Wirtschaftsgebäude, das noch kein Leben beinhaltete. Der Toilette schenkte man<br />

damals noch keine besondere Beachtung; es war ein einfaches, kleines Holzhäuschen, etwa 30<br />

Meter vom Wohnhaus entfernt, auch Plumpsklo genannt. Als Papier wurde einfach irgendeine<br />

Tageszeitung verwendet. Man war mit dem wenigen sehr zufrieden. <strong>Die</strong> <strong>Beschulnig</strong>s<br />

bewohnten jetzt ein altes Bauernhaus mit ca. 80m 2 Wohnfläche, <strong>und</strong> außerdem gehörten zu<br />

dem Mietobjekt 2 Hektar Weidegr<strong>und</strong> <strong>und</strong> etwas Wald. <strong>Die</strong>se in wirtschaftlich mageren Zeiten<br />

einmalige Gelegenheit ließen seine Eltern nicht ungenützt, sie schafften sofort eine Ziege an,<br />

<strong>die</strong> für Milch <strong>und</strong> Käse sorgen durfte. <strong>Die</strong> Plautz, deren Nebenerwerb mehr in der Kuhmilch<strong>und</strong><br />

Schweinefleischproduktion lag, beobachteten <strong>die</strong>s mit großem Interesse <strong>und</strong> unterstützten<br />

es sogar, indem sie Hansi ein Hasenpaar schenkten. So wurde der karge Anfang <strong>von</strong><br />

fre<strong>und</strong>lichen Nachbarn um manches erleichtert.<br />

Opa Plautz arbeitete in der Saison am Bau. Wenn er aber zu Hause war <strong>und</strong> seine Felder<br />

bewirtschaftete, half ihm aufgeregt der kleine Hansi. Sogar beim Mistladen war er dabei, es<br />

war ein alter Leiterwagen mit Holzrädern, der <strong>von</strong> einem Muli gezogen wurde. Besonders stolz<br />

war Hansi, wenn er den Muli, der den Mistwagen zog, führen durfte. Im Hintergr<strong>und</strong> ging<br />

zufrieden der Opa, denn nur er wußte, wer wen wirklich führte.<br />

Auch seine Eltern harmonierten ausgezeichnet mit den neuen Nachbarn. Wenn Mutter<br />

vormittags mit den Arbeiten im Stall <strong>und</strong> Haushalt fertig war, ging sie zur Oma Plautz, <strong>die</strong> sie<br />

schon mit dem Kaffeehäferl freudig erwartete.<br />

Zu Weihnachten bekam Hansi seine ersten Schi. Es waren einfache Holzschi, wie damals eben<br />

üblich, <strong>die</strong> weder einen Belag noch Stahlkanten aufwiesen, <strong>von</strong> einer Sicherheitsbindung war<br />

noch lang keine Rede. <strong>Die</strong> Unterseite wurde einfach lackiert <strong>und</strong> gewachst. Das waren damals<br />

für ihn sicher <strong>die</strong> schönsten Weihnachten seines Lebens. Seine jüngeren Geschwister mußten<br />

mit wesentlich weniger auskommen, da das Geld für mehr einfach nicht vorhanden war. Heinzi<br />

bekam einen selbstgefertigten Stoffteddybär, Schwesterchen eine gebrauchte<br />

Blechpuppenküche, <strong>und</strong> doch waren sie alle sehr glücklich. Der Christbaum, eine zwei Meter<br />

hohe Tanne, war mit einfachem Schmuck wie selbstgebackenen Keksen <strong>und</strong> billigen Kerzen<br />

verziert, was dem Fest sicher ein noch stärkeres Charisma verlieh. Nach der Bescherung<br />

folgten im Familienchor <strong>die</strong> Lieder „Stille Nacht“ <strong>und</strong> „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum“.<br />

Danach ging’s zu den Plautz, wo es noch einen kräftigen Nachschlag an selbstgebackenen<br />

Keksen <strong>und</strong> Kuchen gab. Um <strong>die</strong> Schi auch testen zu können, mußte <strong>die</strong> Piste erst präpariert<br />

werden. Schnee lag damals genug, <strong>und</strong> der Sohn eines großen Bauern, ein Slowene, sowie<br />

zwei andere, allesamt in der Altersklasse <strong>von</strong> Hans, arbeiteten begeistert mit. Es war ja immer<br />

wieder eine Belohnung, wenn man nach dem harten Hinaufbretteln endlich wieder recht flott<br />

nach unten fahren konnte.<br />

Ereignisse wie der Kennedy-Chruschtschow Besuch in Wien, der erste Mensch im Weltall<br />

- Juri Gagarin umkreiste in 89 Minuten <strong>die</strong> Erde - <strong>und</strong> der Bau der Berliner Mauer<br />

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sorgten in <strong>die</strong>sem Jahr für große Aufregung. Aber Hansi hatte für solche Dinge noch<br />

lange kein Ohr.<br />

* * *<br />

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D E R E R N S T D E S L E B E N S B E G A N N - U N D D A M I T A U C H D I E<br />

E R F U N D E N E S E X G E S C H I C H T E V O N S E I N E R S C H U L F R E U N D I N<br />

1963 war Hans sechs Jahre alt geworden, <strong>und</strong> so war auch für ihn der Ernst des Lebens<br />

angebrochen. Er mußte in <strong>die</strong> Volksschule Ludmannsdorf, <strong>die</strong> in einer St<strong>und</strong>e kräftigen<br />

Fußmarsches zu erreichen war. Der Schulweg führte dabei südlich ins Tal <strong>und</strong> danach durch<br />

einige kleine Ortschaften in Richtung Westen zur im typischen Monarchiestil erbauten Schule<br />

mitten im Dorf. Ludmannsdorf, eine kleine, damals <strong>von</strong> Slowenen dominierte Gemeinde im<br />

oberen Rosental, war noch extrem vom bäuerlichen Leben beherrscht. Alles in <strong>die</strong>ser kleinen<br />

Gemeinde, zu der natürlich auch Oberndorf zählt, schien fest eingesessen. Der slowenische<br />

Pfarrer war eine rechte Majorität. Man mußte, so schrieb es jedenfalls der gute Ton vor, bei<br />

jeder Begegnung mit ihm ein kleines Sprücherl in slowenischer Sprache aufsagen, obgleich<br />

Hans gar nicht wußte, was <strong>die</strong>s eigentlich bedeuten sollte. <strong>Die</strong> Bürgermeisterwahl schien auch<br />

nur reine Formsache zu sein, <strong>und</strong> der Bürgermeister wurde, was bei der bäuerlichen Mehrheit<br />

sowieso nicht zur Diskussion stand, <strong>von</strong> der ÖVP gestellt. Geschäfte <strong>und</strong> Wirtshäuser wurden<br />

<strong>von</strong> alteingesessenen Familien betrieben.<br />

Hansi war sehr stolz auf den Schulbesuch, wenngleich er in der Slowenischst<strong>und</strong>e oft recht ins<br />

Schwitzen kam. <strong>Die</strong>ser Unterricht war in bestimmten Regionen für alle Schüler üblich <strong>und</strong><br />

schadete natürlich auch Hansi nicht. Im Lesebuch war <strong>die</strong> linke Seite in slowenischer <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

rechte in deutscher Sprache gehalten.<br />

Doch eineinhalb Monate nach dem Schulbeginn kam im Oktober <strong>die</strong> schulärztliche<br />

Untersuchung <strong>und</strong> somit das „Aus“ für das Schuljahr 63/64: der Schulweg war einfach zu weit,<br />

so <strong>die</strong> Begründung.<br />

1963 wurde <strong>die</strong> Weltöffentlichkeit <strong>von</strong> dem Mord an John F. Kennedy schwer erschüttert.<br />

Nach dem Tod <strong>Johann</strong>es XXIII. wurde Giovanni Battista Montini zum neuen Papst<br />

gewählt. Er nannte sich Paul VI.<br />

*<br />

1964 war es dann doch soweit. Hansi begann im September mit dem Besuch der Volksschule.<br />

Der Pflichtbesuch des Slowenisch–Unterrichts für deutschsprachige Schüler war mittlerweile<br />

abgeschafft worden.<br />

Zuerst ging er den weiten Schulweg mit der um zwei Jahre älteren Nachbarstochter Elisabeth.<br />

Sie ging auch mit ihm in <strong>die</strong> erste Klasse, da sie es allem Anschein nach nicht für nötig befand,<br />

in <strong>die</strong> nächste aufzusteigen.<br />

Doch etwa drei Wochen nach Schulbeginn fand <strong>die</strong>se vorerst nette Schulfre<strong>und</strong>schaft ein jähes<br />

Ende. Ohne ersichtlichen Gr<strong>und</strong> hatte Elisabeths Mutter plötzlich <strong>die</strong> gesamte Familie<br />

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<strong>Beschulnig</strong> eingeladen. Für Hansi eine große Freude, konnte er doch gleich wieder mit seiner<br />

Fre<strong>und</strong>in weiterspielen. Doch plötzlich sagte sein Vater: „Geht hinaus, wir müssen etwas<br />

Wichtiges besprechen.“ Hansi, seine Geschwister <strong>und</strong> Elisabeth befolgten <strong>die</strong> Anweisung <strong>und</strong><br />

spielten mit dem alten Spielzeugtraktor aus Holz im Hof. Nach einiger Zeit hörte man seinen<br />

Vater rufen: „Hansi, komm herein, aber ein bißchen plötzlich!“ Hansi trat nichts Böses ahnend<br />

ein. „Los, erzähl deinem Vater, was du mit Elisabeth gemacht hast!“, fuhr ihn Elisabeths<br />

Mutter an. Hansi sah sie mit großen Augen fragend an, er wußte nicht, was sie damit meinte.<br />

„Du brauchst gar nicht so blöd dreinschauen, los, sag deinem Vater, was du mit Elisabeth auf<br />

dem Schulweg nach Hause gemacht hast!“ Hansi stand mit seinen <strong>von</strong> der Mutter kurz<br />

geschnittenen, blonden Haaren ruhig da <strong>und</strong> versuchte, den Gr<strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Frage zu verstehen.<br />

Doch da kam plötzlich sein Vater <strong>und</strong> gab ihm einige kräftige Ohrfeigen. Hansi weinte, denn er<br />

wußte nun erst recht nicht, weshalb er <strong>die</strong>se Befragung mitmachen mußte. „Warum schlägst du<br />

ihn?“, schimpfte Hansis Mutter sichtlich erregt. „Du weißt doch gar nicht, ob das Kind das<br />

getan hat.“ „Glauben Sie im Ernst, daß Elisabeth <strong>die</strong>se Geschichte erf<strong>und</strong>en hat?“, entgegnete<br />

<strong>die</strong> Nachbarin höhnisch. „Das glauben Sie wahrscheinlich selbst nicht!“ „Na los, sag, was du<br />

mit Elisabeth getan hast!“, schrie sein Vater außer sich vor Zorn. Hansi stand da, weinte <strong>und</strong><br />

verstand <strong>die</strong> Welt nicht mehr. „Ich habe nichts getan“, stammelte Hansi. „Sieben Jahre, <strong>und</strong><br />

schon so ein Lügner!“, schrie <strong>die</strong> Nachbarin. „Du hast Elisabeth unsittlich berührt!“ Hansi<br />

wußte jetzt erst recht nicht, was <strong>die</strong> Erwachsenen <strong>von</strong> ihm wollten. „Na, was ist!“, schrie<br />

Vater. „Gibst du es endlich zu, oder muß ich dir noch ein paar Ohrfeigen geben!“ Bitterlich<br />

weinend gab Hans schließlich eine Tat zu, <strong>von</strong> der er gar nicht wußte, wie er <strong>die</strong>se überhaupt<br />

ausgeführt haben sollte. „So, du gehst jetzt raus zu dem Birkenbaum <strong>und</strong> holst ein paar<br />

Ruten!“, sagte Vater, nachdem er das Geständnis endlich aus dem Buben gepreßt hatte.<br />

Hans mußte nun <strong>die</strong> Anweisung ausführen <strong>und</strong> Birkenruten holen, mit denen er vor den Augen<br />

der Nachbarin windelweich geschlagen wurde. <strong>Die</strong> Striemen konnte man noch nach Wochen<br />

begutachten.<br />

Nach <strong>die</strong>sem Ereignis hatte sich das Klima zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn verfinstert. Hans wurde<br />

jetzt immer öfter wegen irgendwelcher Kleinigkeiten mit der Birkenrute verdroschen.<br />

<strong>Die</strong>ses schreckliche Erlebnis änderte auch Hansis Einstellung zu seinen Mitschülerinnen<br />

gewaltig. <strong>Die</strong> gesamte Volksschulzeit hindurch gab er sich nicht mit ihnen ab. Seine<br />

Schulkollegin Franziska wollte ihn auf dem Nachhauseweg begleiten, sie wohnte etwa auf<br />

halbem Weg. „Schleich dich, sonst kannst was erleben!“, herrschte er sie an. „Aber wieso, ich<br />

habe dir doch nichts getan!“, entgegnete sie verw<strong>und</strong>ert. „Ich will nicht, daß mich ein Weib<br />

begleitet!“, sagte Hans <strong>und</strong> sah sie wütend an. Franziska ließ sich <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser<br />

Einschüchterungstaktik nicht abhalten. Danach bekam sie einige kräftige Ohrfeigen, <strong>und</strong> er<br />

jagte sie mit einem Holzprügel nach Hause. Den verdutzten Blick <strong>und</strong> ihre traurigen Augen<br />

vergaß er nicht so schnell, darüber dachte er oft nach <strong>und</strong> kam zu dem Ergebnis, daß er <strong>die</strong><br />

Falsche verprügelt hatte, doch <strong>die</strong> Taktik, sich <strong>von</strong> keinem Mädchen auf dem Schulweg<br />

begleiten zu lassen, behielt er konsequent bei.<br />

Elisabeth wurde <strong>von</strong> ihrer Mutter in eine andere Schule gesteckt, <strong>und</strong> Hansi änderte freiwillig<br />

den Schulweg. Gegen 5.45 Uhr mußte er an Schultagen aufstehen, sich waschen, frühstücken,<br />

<strong>und</strong> um 6.30 Uhr brach er auf in Richtung Schule. Nach 6.45 Uhr kam er in der<br />

Nachbarortschaft, <strong>die</strong> aus 2 Häusern <strong>und</strong> einem kleinen Bauernhof bestand, an, um seinen<br />

Schulfre<strong>und</strong> Leonhard abzuholen. Wenn Hansi bei ihm eintrat, saß <strong>die</strong>ser meist noch beim<br />

Kaffee <strong>und</strong> verschlang gierig ein Marmeladebrot. Gegen 6.50 Uhr machten sich <strong>die</strong> beiden auf<br />

den Weg. Natürlich verließ Leonhard sein Elternhaus nicht, ohne vorher den rechten<br />

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Zeigefinger in das Weihwassergefäß zu tauchen, das beim Ausgang der Wohnküche angebracht<br />

war, um drei Kreuze auf seine Stirn zu zeichnen, <strong>die</strong> den Vater, den Sohn <strong>und</strong> den Heiligen<br />

Geist gut stimmen sollten. Für Hansi war <strong>die</strong>se Zeremonie recht unverständlich, da seine Eltern<br />

der Kirche den Rücken gekehrt hatten <strong>und</strong> somit auf eine religiöse Erziehung keinen Wert<br />

legten. Auf ging’s, bloßfüßig, mit kurzer Hose <strong>und</strong> einem Leiberl bekleidet, durch Wiesen <strong>und</strong><br />

Wälder ins Tal.<br />

Anfangs nahmen <strong>die</strong> beiden interessiert am Unterricht teil, doch nach einem Monat wurde es<br />

ihnen zu langweilig. Sie spielten auf dem langen Schulweg, wobei ihnen nicht selten <strong>die</strong> Zeit<br />

da<strong>von</strong>lief. Meist gelang es ihnen, wenigstens bei der Verabschiedung im Schulhof zu<br />

erscheinen, ein Vorgang nach dem Unterricht, um den Schülern ein geordnetes Verabschieden<br />

beizubringen. Dabei konnte <strong>die</strong> ganze Klasse den verblüfften Blick der Frau Lehrerin<br />

Schellander beobachten. Sie wußte <strong>von</strong> dem weiten Anmarschweg der beiden <strong>und</strong> drückte<br />

beide Augen zu, wenn sie häufig dem Unterricht fernblieben. <strong>Die</strong> Noten litten darunter<br />

jedenfalls nicht sonderlich, sie lagen im Mittelfeld.<br />

In der zweiten Volksschulklasse sah <strong>die</strong> Welt nicht mehr so rosig aus. Hans <strong>und</strong> Leonhard<br />

wurden <strong>von</strong> der alten Frau Direktor, <strong>die</strong> <strong>die</strong> zweite Klasse unterrichtete, wegen<br />

Schulschwänzen mit einem Haselnußstecken verprügelt. Frau Direktor war überhaupt eine<br />

resolute Person. Wenn jemand auf seine Hausaufgabe vergaß, mußte er vor <strong>die</strong> Klasse treten.<br />

Sie nahm einen etwa 30 cm langen Haselnußstecken. „Hand auf!“, sagte sie im Befehlston. Der<br />

Delinquent wußte schon, was er zu tun hatte. Wie ein Bettler, der einen Schilling bekommt,<br />

streckte er ihr <strong>die</strong> Hand entgegen. Mit hoher Geschwindigkeit sauste der dünne Stecken auf <strong>die</strong><br />

Handinnenfläche. Der Betroffene machte danach ein Gesicht, als wäre er in eine<br />

Starkstromleitung geraten. Eines Tages wurde Karli zur Bestrafung gerufen. Karli fürchtete<br />

sich so sehr, er zog <strong>die</strong> Hand immer wieder zurück. Das war der Frau Direktor zuviel, sie<br />

nahm seine Hand, holte kräftig aus <strong>und</strong> drosch mit voller Kraft drauf, allein, es war nicht seine<br />

Hand, sondern <strong>die</strong> ihre. Bei der Ranglerei war ihr seine Hand entkommen. Der Stecken flog<br />

einige Meter in Richtung Holzkiste, in der das Holz für den Klassenofen untergebracht war.<br />

Sie beugte sich nach vor, rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht mit beiden Händen ihre Knie<br />

<strong>und</strong> sah dabei mit hochrotem Kopf ins Klassenzimmer. Es war mucksmäuschenstill, niemand<br />

wagte zu lachen. Danach gab es für Karli eine Sonderbehandlung mit dem Haselnußstecken.<br />

Im wohltuendem Gegensatz dazu befand sich <strong>die</strong> junge Lehrerin in der vierten Klasse, Frau<br />

Sommer. Sie gab den Schülern das Gefühl, nicht Herr der Klasse zu sein. Sie wurde ignoriert<br />

<strong>und</strong> während des Unterrichts mit Federschachteln, Spitzmaschinen <strong>und</strong> Kreidestücken<br />

beschossen <strong>und</strong> mit fürchterlichen Schimpfworten bedacht. Sie verlor dabei sichtlich <strong>die</strong><br />

Nerven <strong>und</strong> ließ sich versetzen. Frau Mohar, <strong>die</strong> junge fesche Lehrerin der dritten Klasse<br />

hingegen hatte alles auf lockere Art fest im Griff. Sie wurde nie handgreiflich, andererseits<br />

wußten <strong>die</strong> Schüler, wann mit dem Spaß Schluß sein mußte. <strong>Die</strong> dritte Klasse war auch<br />

zuständig für das zeitgerechte Be<strong>die</strong>nen der Handst<strong>und</strong>englocke, einer Glocke mit Holzstiel.<br />

Beim Beginn jeder Schulst<strong>und</strong>e sowie beim Ein- <strong>und</strong> Ausläuten der Pausen mußte der Schüler,<br />

der sich freiwillig gemeldet hatte, auf den Gang gehen <strong>und</strong> kräftig bimmeln.<br />

* * *<br />

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D I E G E S C H I C H T E M I T D E M K I T Z M A X I<br />

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Hans hatte schon 1962 beim ersten ungewollten Zusehen <strong>von</strong> Schlachtungen, <strong>die</strong> damals auf<br />

recht grausame Art durchgeführt wurden, den Glauben an Gott <strong>und</strong> den Menschen verloren.<br />

Zeitig in der Früh an einem w<strong>und</strong>erschönen, aber eisigkalten Tag im Jänner 1962 wurde Hansi<br />

durch das gequälte <strong>und</strong> hysterische Brüllen der in Todesangst zur Schlachtung geführten<br />

Hausschweine geweckt. Warum schreien <strong>die</strong> so, der Opa Plautz ist doch nie grausam gewesen<br />

zu den Tieren, dachte er voll Verw<strong>und</strong>erung <strong>und</strong> eilte zum Fenster. Er mußte dann mitansehen,<br />

wie <strong>die</strong> Schweine mit aufgesetztem Maulkorb einzeln <strong>von</strong> vier kräftigen Männern aus dem Stall<br />

in den Hof gezerrt wurden. Dort wurden sie in den hartgefrorenen Schneeboden gedrückt,<br />

wobei einer der Kerle dem Schwein bei vollem Bewußtsein mit einem Messer <strong>die</strong> Kehle<br />

durchschnitt, während <strong>die</strong> zwei anderen <strong>die</strong> bedauernswerte Kreatur, <strong>die</strong> sich dabei heftig zu<br />

wehren versuchte <strong>und</strong> in Todesangst brüllte, brutal festhielten. Der vierte hielt <strong>die</strong> Blutschüssel<br />

unter <strong>die</strong> Kehle des Schweines, um das ausfließende Blut für <strong>die</strong> spätere Verwendung<br />

aufzufangen. Hansi war <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem Schauspiel der Brutalität extrem geschockt. Und als er mit<br />

seiner Mutter darüber sprach, meinte <strong>die</strong>se: „Auch ein Löwe ißt andere Tiere!“ Für Hansi<br />

jedenfalls war <strong>die</strong>se Begründung, Tiere mittels Schächtung zu schlachten, keine<br />

zufriedenstellende Antwort.<br />

Ja, es war jetzt vielmehr so, daß er sich <strong>die</strong> Menschen, <strong>die</strong> sich für eine solche Tat hergaben,<br />

genau ansah, ihr Wesen stu<strong>die</strong>rte. Und er kam damals mit seinen fünf Jahren zu dem Schluß,<br />

daß <strong>die</strong>se Menschen zwar Mitgefühl mit ihresgleichen haben, nicht jedoch mit einem Tier. Ein<br />

Tier ist für sie nur ein Produktionsfaktor, kein Wesen, keine Seele - nur ein Gegenstand.<br />

Seine Eltern waren aus der Kirche ausgetreten, was er nun wirklich begrüßte, denn eine<br />

Kirche, <strong>die</strong> solche Brutalität an Lebewesen zuließ, wäre für ihn keine religiöse Zufluchtstätte<br />

geworden.<br />

Seit <strong>die</strong>sem Erlebnis ging er den Schlachtungen in weitem Bogen aus dem Weg.<br />

Seltsamerweise machte <strong>die</strong>ses grausame Ritual seine Geschwister <strong>und</strong> andere <strong>Kinder</strong> aus der<br />

Umgebung nicht so betroffen.<br />

Seit dem Tod <strong>von</strong> Bello war Hansi andauernd auf der Suche nach einem neuen vierbeinigen<br />

Fre<strong>und</strong>. Es kamen zwar des öfteren Nachbarn mit H<strong>und</strong>ewelpen zu den <strong>Beschulnig</strong>s, doch<br />

Vater schlug alle Angebote, selbst <strong>die</strong> kostenlosen, aus. Und so kam es, daß Hans sich<br />

besonders intensiv mit dem H<strong>und</strong> vom Opa Plautz sowie anderen Haustieren, wie Ziegen <strong>und</strong><br />

Hasen, befaßte. Er sah in ihnen zwar das Tier, aber auch das Individuum, das eine eigene<br />

Persönlichkeit besitzt. Er behandelte sie, als wären sie seine Kameraden. Da waren <strong>die</strong> Ziegen<br />

Susi, Mizi, Burgi <strong>und</strong> deren ungehörnter Ehemann, der Ziegenbock Klemens.<br />

Knapp vor Ostern 1966 fiel Hansi auf, daß sich besonders viele Menschen so plötzlich für <strong>die</strong><br />

Kitze der Ziegen interessierten. In der Osterwoche ging er, wie so oft, mit dem Kitz Maxi auf<br />

den Feldern spazieren. Später, als <strong>die</strong> beiden wieder nach Hause kamen, war Vater gerade<br />

dabei, zwei geschlachteten Kitzen <strong>die</strong> Eingeweide auszunehmen. Sie hingen mit dem Kopf nach<br />

unten auf einem Dreiständer. Das macht der sicher auch mit meinem Maxi, schoß es Hans<br />

durch den Kopf. Hansi war so erschüttert, daß er mit Maxi zurück auf <strong>die</strong> zum Teil mit Schnee<br />

bedeckten Felder lief. Er spürte plötzlich seine Ohnmacht gegenüber seinem Vater <strong>und</strong> <strong>die</strong>ser<br />

brutalen Welt.<br />

Am späten Abend kam er doch nach Hause, brachte Maxi in den Stall <strong>und</strong> umarmte ihn.<br />

Danach ging er weinend ins Haus. „Was hast denn, Hansi?“, fragte Mutter besorgt. „Der Vati<br />

hat <strong>die</strong> zwei Kitze <strong>von</strong> Mizi umgebracht, das macht er bestimmt auch mit Maxi!“, entgegnete<br />

Hans fürchterlich weinend <strong>und</strong> hielt sich an ihrem Rocksaum fest. „Nana, das mit dem Maxi hat<br />

noch Zeit“, meinte sie beruhigend. „Nein, nein, ich will nicht, Mutti, ich will nicht!“, schrie<br />

Hansi beinahe schon hysterisch. „Ich will nicht, daß Maxi stirbt!“ Mutter streichelte ihn<br />

zärtlich: „Aber was sollen wir denn tun, wir brauchen doch was zu essen!“ „Nein, nein, ich will<br />

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nicht, daß ihr Maxi tötet!“ Mutter wußte nun nicht, was sie ihm sagen sollte. Sie streichelte<br />

durch sein blondes Haar <strong>und</strong> schwieg.<br />

Nachdem Hans schlafen gegangen war, sprach sie mit Vater. „Du, Hansi ist heute total<br />

gebrochen nach Hause gekommen, er hat dich beim Schlachten beobachtet!“ Verw<strong>und</strong>ert sah<br />

er sie an: „Naja, was soll es, er muß ja schließlich einmal damit konfrontiert werden.“ Dabei<br />

griff er mit der Rechten auf sein Genick, wie immer, wenn es unangenehm war. „Wir haben ja<br />

schließlich auch damit leben müssen!“ „Ja, Vati, du weißt doch, wie gerne Hansi Maxi hat.“<br />

„Ach, alles Schmafu.“ Er zögerte: „Hast ein Bier im Haus?“ „Ja, in der Speis steht eine Kiste!“<br />

Wortlos ging er in das Zimmer, das in den Nordhang hineingebaut war <strong>und</strong> so einen guten<br />

Kühlschrank abgab, um ein Bier zu holen. „Er wird mir helfen!“, meinte er tonlos, als er in <strong>die</strong><br />

Wohnküche zurückkam. Dabei öffnete er das Bier <strong>und</strong> warf den Stöpsel <strong>von</strong> weitem in den<br />

Misteimer. „Was, du willst den Buben zusehen lassen?“, entgegnete sie erstaunt. „Ja, wieso<br />

nicht, wir mußten es ja auch tun, <strong>und</strong> es hat uns ganz sicher nicht geschadet.“ Er blickte zum<br />

Fenster, wo <strong>die</strong> vielen kleinen Lichtpunkte vom Tal emporschienen. „Nichts, er wird mir<br />

helfen, denn sonst wird er mir noch ganz verweichlicht.“ Sein Blick haftete noch immer an dem<br />

Lichterglanz vom Tal. „Aber!“ „Was aber?“, entgegnete er barsch. „Ach nichts, mach was du<br />

willst, aber ich weiß nicht, ob es richtig ist!“ Sie stellte ihm dabei eine Abendjause auf den<br />

Tisch.<br />

Hans konnte nicht mehr gut schlafen, immer wieder kamen ihm <strong>die</strong> Bilder <strong>von</strong> den<br />

geschlachteten Kitzen, <strong>die</strong> da so leblos, ohne Geist <strong>und</strong> Seele, in dem Gestell hingen, vor<br />

Augen. Und immer wieder versuchte er, sich in <strong>die</strong> Psyche seines Vater zu versetzen: Würde er<br />

es wirklich schaffen? Würde er bei Maxi wirklich so gnadenlos sein?<br />

Als Hans am nächsten Morgen früh aufstand, saß sein Vater gerade gemütlich im Vorhaus <strong>und</strong><br />

schliff <strong>die</strong> Schlachtmesser. Hans fuhr der Schreck so heftig in <strong>die</strong> Glieder, daß er einen<br />

Moment lang unfähig war, seinen Vater zu grüßen. „Kannst nicht grüßen?“, fragte Vater<br />

scharf. „Jaja, guten Morgen!“ „Morgen“, er zögerte kurz. „Du wirst mir heute bei den beiden<br />

Kitzen <strong>von</strong> Susi helfen.“ „Ich!“ Hans blieb <strong>die</strong> Sprache weg. „Ich, ich“, stotterte er. „Ja, du<br />

wirst mir helfen, <strong>und</strong> du wirst sehen, <strong>die</strong> spüren dabei nichts.“ „Nein, nein, ich will nicht!“,<br />

schrie Hansi, außer sich vor Abscheu. „Was ist denn!“, brüllte Vater <strong>und</strong> stieß <strong>die</strong> Messerspitze<br />

in ein großes Schneidbrett. „Wenn du nicht gleich mit deiner Trutzerei aufhörst, bekommst ein<br />

paar hinter <strong>die</strong> Löffel!“ „Mein Gott, muß das sein!“, sagte Mutter verärgert, sie kam gerade<br />

<strong>von</strong> der Waschküche. „Na klar, was denkst denn du, jetzt geht er in <strong>die</strong> 3. Volksschulklasse<br />

<strong>und</strong> würde am liebsten mit Kuscheltieren umherlaufen.“ „Na <strong>und</strong>, was erwartest du dir <strong>von</strong><br />

ihm?“, entgegnete sie gereizt. „Ja, hilf nur zu ihm, dann wirst eines Tages so einen<br />

verweichlichten Städter vor dir haben!“ „Ach was, deine Ansichten sind ja wirklich<br />

altmodisch!“ Sie ging, gefolgt <strong>von</strong> Hansi, in <strong>die</strong> Wohnküche <strong>und</strong> warf zwei Holzscheite in den<br />

alten Tirolerherd. „Na gut, dann mach ich es halt allein, aber spätestens in zwei Jahren wird er<br />

mir helfen!“ Grantelnd ging er mit dem Schlachtmesser <strong>und</strong> dem Fäustling (schwerer Hammer)<br />

in den Ziegenstall. Nachdem Hansi den Kakao getrunken hatte, sah er zufällig durchs Fenster<br />

in den Hof, da hingen schon <strong>die</strong> beiden Kitze leblos mit dem Kopf nach unten im Gestell.<br />

An <strong>die</strong>sem Tag tollte Hansi den ganzen Tag mit Maxi umher. <strong>Die</strong> beiden spielten fangen <strong>und</strong><br />

kamen erst spät am Abend nach Hause. „Morgen kommt Maxi dran!“, sagte Mutter beim<br />

Abendessen. Hansi brach in Tränen aus. „Hör auf!“, schrie Vater <strong>und</strong> schlug mit der Faust so<br />

heftig auf den Tisch, daß <strong>die</strong> kleine Traudi zu weinen begann. Heinzi saß mit seinem Kater in<br />

der Ecke, ihn schien das alles nicht sonderlich zu berühren. „<strong>Die</strong> Ziegen werden wieder Kitze<br />

bekommen, <strong>und</strong> du kannst dann wieder mit ihnen spielen.“ „Nein, aber ich will nicht, daß Maxi<br />

stirbt!“ Vater schüttelte den Kopf <strong>und</strong> trank einen kräftigen Schluck vom Bier.<br />

Hansi schlich in <strong>die</strong>ser Nacht in den Stall. Er wußte, daß nun für Maxi <strong>die</strong> letzte Nacht<br />

angebrochen war. Er streichelte ihn, wobei Tränen langsam über seine Wangen liefen. „Maxi,<br />

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ich hab dich so gern!“, gab er schluchzend <strong>von</strong> sich <strong>und</strong> umarmte ihn. „So eine blöde Welt,<br />

scheiß Ostern, scheiß Herrgott!“, schrie er bebend vor Zorn <strong>und</strong> Ohnmacht. „Ein bißchen<br />

kannst noch dableiben“, meinte Mutter durch <strong>die</strong> leichtgeöffnete Stalltür, <strong>die</strong> sie dann langsam<br />

schloß. Hansi hoffte innigst, daß sein Vater doch ein wenig Gnade walten lassen würde, doch<br />

bei dem Gedanken an <strong>die</strong> vier anderen Kitze <strong>und</strong> Bello fiel <strong>die</strong> Hoffnung wie ein Kartenhaus<br />

zusammen.<br />

Am Morgen saßen alle wortlos beim Frühstück. „Na, iß was!“, sagte Vater. „Nein, ich kann<br />

nicht!“, entgegnete Hansi ganz verstört. Mutter <strong>und</strong> Vater sahen sich ratlos an. „So, jetzt<br />

gehen wir, Hansi!“, sagte Vater <strong>und</strong> öffnete <strong>die</strong> Lade mit den Fleischmessern. „Könnten wir<br />

das nicht wenigstens auf nächstes Monat verschieben!“, flehte Hans. „Nein, dann haben wir nur<br />

einen unnötigen Fresser mehr im Stall!“ Er nahm ein scharfes Fleischmesser aus der Kredenz<br />

<strong>und</strong> einen Fäustling aus der Werkzeuglade. „Wenn du willst, darfst du mir dabei helfen!“<br />

Vielleicht kann ich es doch noch verhindern, dachte Hans <strong>und</strong> stimmte zu. Wortlos folgte er<br />

seinem Vater bis zum Stall. „Geh nur <strong>und</strong> hol ihn heraus.“ Hans ging in den Stall, wobei ihn<br />

Maxi freudig wie ein Hündchen begrüßte. „Servus, Maxi!“, sagte er, umarmte ihn <strong>und</strong> trug ihn<br />

schweren Herzens hinaus, wo Vater schon mit dem Fäustling in der Hand auf ihn wartete.<br />

Sachte stellte er Maxi auf den Boden, wo <strong>die</strong>ser auch brav stehenblieb. Hans kniete sich nieder,<br />

Tränen liefen über seine Wangen. Er streichelte dem Tier zärtlich über den Kopf, wobei Vater<br />

schon zum Schlage ausholte, doch Hans streichelte weiter. „Weg mit deinen Pratzen“, sagte<br />

Vater verärgert, „sonst passiert gleich was.“ Hans erschrak <strong>und</strong> im selben Moment sauste der<br />

Fäustling mit voller Wucht auf Maxis Schädel. Es gab einen dumpfen Knall, Maxi fiel mit<br />

einem kurzen Schrei zu Boden. Hansi sprang auf <strong>und</strong> rannte weg. Im selben Moment schnitt<br />

Vater dem Kitz <strong>die</strong> Kehle durch. Hans rannte zum Wohnhaus, drehte sich nochmals um <strong>und</strong><br />

sah, wie Maxi <strong>von</strong> Nervenkrämpfen geschüttelt wurde. „Ihr Schweine!“, schrie er tief<br />

erschüttert <strong>und</strong> lief anstatt ins Haus zu Opa Plautz.<br />

Zu Mittag gab es feinen Kitzbraten, eine Spezialität für viele Menschen - für Hans nur ein<br />

Beweis, zu welcher Brutalität Menschen zwecks der Gaumenfreude fähig sind. Nie hatte er es<br />

gewagt, das Mittagessen zu verweigern, doch <strong>die</strong>smal, <strong>die</strong>smal tat er es. „Na, was ist mit dem<br />

Essen?“, fragte Vater. „Nichts, nichts, ich esse nichts vom Maxi - freßt ihn doch, so freßt ihn<br />

doch!“, schrie er <strong>und</strong> rannte aus dem Haus.<br />

Eines Tages erfuhr Hans gemeinsam mit seiner Schwester Thekla, daß ein Fleischhauer aus<br />

Klagenfurt an zwei Ziegen interessiert sei, <strong>die</strong> er an einem Montag abholen wollte. Für <strong>die</strong><br />

beiden <strong>Kinder</strong> brach <strong>die</strong> Welt zusammen. Freilich waren sie immer gegen Schlachtungen<br />

gewesen, doch gegen <strong>die</strong>sen Tiertransport mußten sie energisch auftreten. Sehr viel<br />

Möglichkeiten blieben den beiden nicht. Es war ihnen auch rasch klar geworden, daß sie <strong>die</strong>sen<br />

einen Transport nicht verhindern konnten. Aber der Fleischer sollte eine kräftige Abfuhr<br />

erhalten. An gut getarnten Stellen der Serpentinen, rauf nach Oberndorf, legten sie wahre<br />

Steinlager an. Und trotzdem, der Gedanke, <strong>die</strong> Ziegen auf solche Weise einem ungewissen<br />

Schicksal zu überlassen, war deprimierend. Sie beobachteten <strong>die</strong> Tiere, sprachen ihnen Mut zu.<br />

<strong>Die</strong>se wiederum schienen ihr Ende schon zu erahnen.<br />

Der Fleischer kam mit einem Kleinlastkraftwagen. Vater kassierte zufrieden lächelnd das Geld.<br />

<strong>Die</strong> Tiere wurden recht unsanft auf <strong>die</strong> Ladefläche befördert, <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem Moment an waren sie<br />

juristisch gesehen nur noch 2 Stück Lebendfleisch <strong>und</strong> der völligen Willkür des Fleischers<br />

ausgeliefert. Hans <strong>und</strong> Thekla machten sich rasch auf den Weg. Sie rannten zur ersten gut mit<br />

Sträuchern getarnten Kurve. Als der Kleinlaster auftauchte, hagelten Steine auf seine hölzerne<br />

Ladebordwand. Unbeirrt <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Aktion setzte der Fleischer <strong>die</strong> Fahrt ins Tal hinunter fort.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des schlechten Weges kam er nur langsam voran, sodaß Hans <strong>und</strong> Thekla mit eiligen<br />

Schritten locker aufholen konnten. Bei den nächsten Kurven hagelte es wieder Steine. Plötzlich<br />

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hielt der Fleischer an, stieg aus <strong>und</strong> beobachtete <strong>die</strong> Umgebung. Ja, er machte sogar Anstalten<br />

umzukehren <strong>und</strong> wieder nach Oberndorf hinauf zu fahren. In <strong>die</strong>sem Moment brachen <strong>die</strong><br />

beiden <strong>die</strong> Aktion rasch ab <strong>und</strong> rannten nach Hause.<br />

Wäre der Fleischer vor ihnen zuhause gewesen, hätte <strong>die</strong> Birkenrute Regie geführt. Er war<br />

aber weiter gefahren. Tage später stellte der alte <strong>Beschulnig</strong> <strong>die</strong> beiden zur Rede. „Der<br />

Fleischer will <strong>von</strong> uns keine Ziegen mehr, weil er glaubt, daß ihr seinen Lastwagen mit Steinen<br />

beworfen habt!“ Thekla <strong>und</strong> Hans stellten sich vollkommen dumm <strong>und</strong> sahen Vater mit großen<br />

Augen an.<br />

Lebendtiertransport gab es <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem Tag an keinen mehr. <strong>Die</strong> Aktion hatte vollen Erfolg<br />

gehabt, <strong>und</strong> darauf sind <strong>die</strong> beiden Geschwister heute noch stolz!<br />

Weltgeschehen 1967: Dr. Barnard gelingt <strong>die</strong> erste Herzverpflanzung. Israel siegt im<br />

Sechstagekrieg. Österreich erhält zum ersten Mal in der Zweiten Republik (1966) eine<br />

Alleinregierung unter Führung <strong>von</strong> Dr. Klaus (ÖVP).<br />

* * *<br />

D I E R O D E L B A H N<br />

Im Winter waren Traktoren eher behäbig. Bei hohen Minusgraden mußten am Abend <strong>die</strong><br />

Batterien ausgebaut <strong>und</strong> über Nacht aufgeladen werden. Kaum einer der Bauern verwendete<br />

Frostschutzmittel, <strong>und</strong> so mußte auch das Kühlwasser abgelassen werden. Am Morgen erfolgte<br />

der umgekehrte Arbeitsvorgang, Batterie einbauen <strong>und</strong> heißes Wasser einfüllen. Danach folgte<br />

der Startvorgang, bei dem <strong>die</strong> Fahrer beteten, daß der Motor sich in Bewegung setzen möge.<br />

Grob gesagt, während des Startvorgangs hätte man eine Messe zelebrieren können.<br />

Wenn genug Schnee lag, brachten <strong>die</strong> Bauern das Holz <strong>von</strong> der Sattnitz ins Rosental. Dabei<br />

wurden Pferde für den winterlichen Holztransport eingesetzt. Für <strong>die</strong> Pferde sprach ihre<br />

Beweglichkeit, sie kannten kaum ein Steckenbleiben. Sie eigneten sich eben vortrefflich für den<br />

Transport der Blöcher (roh zugeschnittene Baumstämme). Auf einem einfachen Vorderteil<br />

eines ehemaligen Pferdeschlittens wurden <strong>die</strong> Blöcher befestigt, <strong>die</strong> Hinterseite der<br />

Holzstämme lag auf dem Erd-, oder besser, Schneeboden auf. Dadurch wurde während der<br />

Fahrt der Schnee festgedrückt. Mit der Zeit fraßen sich <strong>die</strong> Blöcher regelrecht ihre Bahnen in<br />

den festgepreßten Schneeweg. Mit etwas Geschick konnte man <strong>die</strong> Rodel in einer solchen Rille<br />

wie auf Schienen bis ins Tal laufen lassen. <strong>Die</strong> Mittagssonne sowie <strong>die</strong> Kälte in der Nacht<br />

schufen ein rasendschnelles Schnee-Eis-Gemisch. An manchen Stellen hatte man das Gefühl,<br />

<strong>die</strong> Rodel würde durch einen Turbo-Effekt angetrieben <strong>und</strong> wollte regelrecht unter dem Gesäß<br />

da<strong>von</strong>zischen. Das führte mitunter zu schweren Stürzen. Das konnte Hans <strong>und</strong> seine<br />

Volksschulkameraden nicht stören, denn der ist schließlich kein Rodelfahrer, der nicht einen<br />

schweren Stern gerissen hat. Sie fuhren in der Früh mit der Rodel hinunter. Auf dem<br />

Nachhauseweg wartete oft sogar ein Bauer mit seinem Pferd inklusive Schlitten. <strong>Die</strong> kleinen<br />

Rodler durften sich anhängen <strong>und</strong> wurden so kostengünstig auf <strong>die</strong> Sattnitz transportiert.<br />

Eines Tages mußte <strong>die</strong> Oma Plautz ins Tal zum Arzt. Hans bot ihr <strong>die</strong> Rodelfahrt an. Sie war<br />

schon weit über 50 Jahre alt, Hans gerade erst 9. Anfänglich wollte sie das Angebot<br />

ausschlagen, doch Hansi wollte ihr auch zeigen, wie gut er <strong>die</strong> Rodel beherrschte, <strong>und</strong> so war<br />

<strong>die</strong> alte Plautz doch einverstanden.<br />

Beim Rainer vorbei <strong>die</strong> Gerade hinunter zum Schaschl, <strong>und</strong> danach kam <strong>die</strong> Linkskurve, <strong>die</strong><br />

schon so manchen Gottesstern sehen ließ. Normalerweise fuhr Hansi <strong>die</strong>se Kurve langsam an.<br />

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Auch wußte er <strong>von</strong> der Eisplatte, <strong>die</strong> sich jedesmal aufs Neue durch das Schneewasser bildete.<br />

Doch <strong>die</strong>smal war er etwas schneller dran, schließlich sollte auch Oma Plautz wissen, wie gut<br />

er fahren konnte. Auf der Eisplatte angekommen, schaltete sich sofort der Turbo-Effekt ein,<br />

<strong>die</strong> Rodel zischte mit den beiden ab. Danach flogen <strong>die</strong> Leiber durch <strong>die</strong> Luft <strong>und</strong> rutschten den<br />

Schneeboden entlang. Nachdem <strong>die</strong> Fliehkraft aufgehört hatte zu wirken <strong>und</strong> Hans bemerkte,<br />

daß bei ihm alles in Ordnung war, stand er rasch auf <strong>und</strong> rannte zurück zur Oma Plautz, <strong>die</strong><br />

regungslos im Schnee neben dem Rodelweg lag. Er rechnete schon mit dem Schlimmsten, denn<br />

Oma Plautz bewegte sich nicht. Mein Gott, was habe ich nur getan, was wird der Opa Plautz<br />

sagen - solche <strong>und</strong> ähnliche Gedanken schossen durch seinen Kopf. „Plautz, ist dir was<br />

passiert?“, fragte er <strong>die</strong> regungslos am Schnee–Eis–Boden liegende Frau. Sie schlug <strong>die</strong> Augen<br />

auf. „Hilf mir auf!“ Mein Gott, sie lebt. Hans war ihr beim Aufstehen <strong>und</strong> Schneeabputzen<br />

behilflich. „Tut mir leid, Plautz, das hab’ ich nicht gewollt!“ Hans sah an ihrer Mimik <strong>und</strong> den<br />

Bewegungen, daß der Sturz sehr wohl blaue Flecken <strong>und</strong> Prellungen ausgelöst hatte, zum<br />

Glück war er nicht noch schlimmer ausgefallen. „Du bist ein Pilot!“, sagte sie, mischte ein paar<br />

slowenische Schimpfwörter bei <strong>und</strong> begann zu lachen. „Jetzt brauche ich wirklich einen Arzt!“<br />

Hans holte <strong>die</strong> Rodel, <strong>die</strong> verkehrt auf einem Schneehaufen lag, <strong>und</strong> fuhr Oma Plautz mit<br />

Schrittgeschwindigkeit ins Tal.<br />

Der Sturz mit der Rodel hatte keine Nachteile für Hans. Im Gegenteil, Oma Plautz zeigte nach<br />

Wochen auf ihre blauen Flecken <strong>und</strong> meinte nur lachend: „Lern erst einmal das Rodelfahren!“<br />

* * *<br />

D E R T O D U N D D A S L E B E N<br />

Der größte Bauer in Oberndorf hatte den Vulgonamen (Hofnamen) Schleicher. <strong>Die</strong>ser Hof<br />

gehörte der slowenischen Familie Kruhitz, <strong>die</strong> damals noch 50 Hektar land- <strong>und</strong><br />

forstwirtschaftlichen Gr<strong>und</strong> ihr eigen nennen durfte.<br />

Der Schleicher-Opa war etwa 75, ein fre<strong>und</strong>licher alter Herr, der für <strong>Kinder</strong>, <strong>die</strong> fre<strong>und</strong>lich<br />

grüßten, immer ein Pezzuckerl übrig hatte. Kaum im Blickfeld, eilten sie zu ihm. „Grüß Gott,<br />

Herr Schleicher!“, grüßten sie freudestrahlend <strong>und</strong> hatten schon das Pezzuckerl im Auge. Er<br />

lächelte glücklich, griff in seine Jackentasche <strong>und</strong> holte das Pezmanderl heraus, eine Figur, <strong>die</strong><br />

er immer mit kleinen rechteckigen Zuckerln vollgefüllt bei sich trug. „Da schau, wie der kleine<br />

Otti sich freut!“, sagte er belustigt lächelnd <strong>und</strong> meinte den Kopf des Pezmanderls. Er drückte<br />

<strong>die</strong>sen nach hinten, dabei kam ein Pezzuckerl zum Vorschein. Und jedesmal, wenn er jedem<br />

der anwesenden <strong>Kinder</strong> eine solche Köstlichkeit verabreicht hatte, genehmigte er sich einen<br />

Stärkungstrunk aus seiner Brustflasche, <strong>die</strong> mit hochprozentigem Obstler (Schnaps) gefüllt<br />

war, <strong>und</strong> ging zufrieden mit dem Spazierstock des Weges.<br />

Eines Tages im Winter 1967, es war über Nacht etwas mehr als ein halber Meter Schnee<br />

gefallen, erzählte Thekla ganz aufgeregt beim Frühstück, sie hätte geträumt, der Pezopa wäre<br />

gestorben. „Das Dirndl hat schon wieder einen Blödsinn geträumt!“, raunte Vater. „Wird schon<br />

so sein!“, entgegnete Mutter, während sie <strong>die</strong> selbstgemachte Marmelade auf <strong>die</strong><br />

Margerinebrote aufstrich. „So einen Stuß hab ich schon lange nicht mehr gehört!“, warf Vater<br />

wieder mürrisch im ärgsten Dialekt ein <strong>und</strong> biß in das Marmeladebrot. Im Hintergr<strong>und</strong> tönte<br />

aus dem Kofferradio der musikalische Frühschoppen. „Ich muß aufs Klo gehen!“, sagte Heinzi<br />

recht nervös. „Benütze den Nachttopf, aufs Klo raus kannst jetzt nicht gehen, sonst finden wir<br />

dich erst im Frühjahr wieder, ich muß erst den Schnee wegräumen!“<br />

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Als am Vormittag der Opa Plautz kam <strong>und</strong> erzählte, daß der alte Schleicher am frühen Morgen<br />

verstorben war, rätselte man, wie Thekla seinen Tod im Traum wohl wahrnehmen hatte<br />

können.<br />

Der alte Schleicher wurde in einem Raum seines Wohnhauses im offenen Sarg aufgebahrt.<br />

Kerzen wurden aufgestellt. Tag <strong>und</strong> Nacht wurde <strong>die</strong> Totenwache gehalten - es mußten immer<br />

Leute in dem Zimmer anwesend sein. <strong>Die</strong> in Schwarz gekleideten alten Weiber beteten den<br />

Rosenkranz wie am Fließband in slowenischer Sprache. Wenn Trauergäste kamen - <strong>die</strong> Männer<br />

nahmen ihren Hut beim Eintreten ab -, so betraten <strong>die</strong>se betroffen den Raum, tauchten <strong>die</strong><br />

Finger in das kleine Weihwassergefäß <strong>und</strong> zeichneten damit symbolisch das Kreuz zwischen<br />

Stirn <strong>und</strong> Brust, dabei murmelten sie in deutscher oder slowenischer Sprache: „Im Namen des<br />

Vater, des Sohnes <strong>und</strong> des Heiligen Geistes!“ Es war schon eine sehr feierliche<br />

Verabschiedung. Man spürte, daß <strong>die</strong> Menschen den Tod als einen Teil des Lebens<br />

betrachteten. Hans wurde das Gefühl nicht los, daß <strong>die</strong> Menschen ihren toten Angehörigen den<br />

Übertritt in eine andere Daseinsebene erleichtern wollten. Am dritten Tag wurde der<br />

Sargdeckel unter den Tränen der Angehörigen geschlossen <strong>und</strong> zugenagelt. Der Leichnam<br />

wurde mit einem Pferdefuhrwerk ins Tal zum Begräbnis geführt. Hinter dem Sarg ging der<br />

Kreuzträger, dem <strong>die</strong> betenden Trauergäste zu Fuß folgten.<br />

Als im Sommer darauf der Knecht Lorenz, der bei den Schleichers als Tagelöhner gearbeitet<br />

hatte, starb, machte man kein Federlesen um <strong>die</strong> Totenwache. Er wurde zwar auch in einem<br />

Kammerl bei den Schleichers aufgebahrt, doch der Deckel wurde sofort geschlossen. Auch<br />

wurde er nicht mit dem Pferdefuhrwerk nach Ludmannsdorf gebracht, sondern mit einem<br />

Traktor mit Anhänger. Offiziell hatte der Knecht Lorenz einen Schilling pro Monat ver<strong>die</strong>nt,<br />

inoffiziell hatte er nichts ver<strong>die</strong>nt außer Unterkunft, Essen, Trinken <strong>und</strong> ein paar alte<br />

abgetragene Kleidungsstücke.<br />

Hans saß bei w<strong>und</strong>erschönem Wetter gerade auf einem Steilhang, in dem <strong>die</strong> Ziegen friedlich<br />

grasten, während unten am Weg sich der winzige Trauerzug vorbeibewegte. Dabei fiel ihm<br />

<strong>die</strong>smal das lange dünne Kreuz auf, das ein Mann hinter dem Anhänger trug. Der Zug wirkte<br />

feierlich trauernd <strong>und</strong> das Kreuz schauerlich drohend. Vielleicht war es auch, weil es der<br />

Kreuzträger so drohend hinter dem Sargwagen hochhielt, daß Hans <strong>die</strong> Gänsehaut über den<br />

Körper lief.<br />

Mit den hygienischen Zuständen bei der Aufbahrung der Toten nahmen es damals nicht alle so<br />

genau. Hans war einmal zufällig mit seiner Tante zu Besuch bei einer fremden Familie. Bei<br />

denen war eine alte Frau gestorben, <strong>die</strong> im offenen Sarg in der Wohnküche aufgebahrt war.<br />

Neben dem Sarg saßen <strong>die</strong> Trauergäste <strong>und</strong> beteten, wenige Meter entfernt saß Hans mit seiner<br />

Tante bei Tisch. Man speiste neben der Toten. Hans brachte keinen Bissen runter <strong>und</strong><br />

beobachtete eine Fliege auf der Nasenspitze der Toten. <strong>Die</strong>selbe Fliege spazierte wenig später<br />

auf dem Gebäck. Das störte <strong>die</strong> Menschen wenig, sie ließen sich den Appetit nicht verderben.<br />

In einem anderen Fall wiederum tropfte das Wasser aus dem Sarg, man behalf sich einfach,<br />

indem man Schüsseln darunter aufstellte <strong>und</strong> <strong>die</strong>se <strong>von</strong> Zeit zu Zeit entleerte.<br />

Ein Hausarzt mußte schon ein medizinisches Talent sein, kein leichtfertiger<br />

Tablettenverschreiber <strong>und</strong> Krankenhauseinweiser. Und wenn man Medikamente benötigte,<br />

bekam man <strong>die</strong>se <strong>von</strong> ihm <strong>und</strong> mußte nicht in eine weit entfernte Apotheke pilgern. Hans <strong>und</strong><br />

seiner Schwester Thekla hatte er je 7 Milchzähne in der Ordination gezogen. Vater fuhr <strong>die</strong><br />

beiden <strong>Kinder</strong> mit dem Moped zwölf Kilometer nach Hause. Hans stand links <strong>und</strong> Thekla<br />

rechts auf dem Trittbrett, sie weinten während der Fahrt, weil <strong>die</strong> W<strong>und</strong>en schmerzten.<br />

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Bei Geburten stand <strong>die</strong> Hebamme zur Verfügung. Es war eine kinderreiche Zeit. Jede Familie<br />

hatte im Schnitt fünf <strong>Kinder</strong>, obwohl der Staat keine besondere Förderung, ausgenommen <strong>die</strong><br />

geringfügige <strong>Kinder</strong>beihilfe, ausstreute. Es kam auch vor, daß eine Mutter ihr Kind bei der<br />

Feldarbeit unerwartet früh gebar.<br />

<strong>Die</strong>se Lebensverhältnisse mögen vielleicht rauh <strong>und</strong> hart klingen, sie waren es aber nicht. Man<br />

war nichts anderes gewohnt, es war halt so. Insgesamt kann man sagen, daß <strong>die</strong> Menschen<br />

fester zueinander gehalten haben als heute.<br />

Freilich hat es auch mehr als genug lustige Geschichten gegeben. So z. B. <strong>von</strong> dem<br />

Großbauern, der einfach nicht hart <strong>und</strong> fest arbeiten wollte, sondern sich täglich dem Suff -<br />

anstatt seiner fleißigen jungen Frau - hingab. Eines Tages kamen junge Kroaten, <strong>die</strong> ihr Geld<br />

als Holzknechte für einige Monate bei dem Faulpelz ver<strong>die</strong>nten. Am Abend spielten <strong>die</strong><br />

Kroaten mit der Ziehharmonika auf, sie feierten mit dem Bauer. Während er mit der<br />

Vernichtung einer Flasche Weiße Gams (Schnaps) beschäftigt war, beschäftigte sich ein<br />

Holzknecht mit seiner Frau im Schlafzimmer.<br />

Es mußte jeder einer geregelten Arbeit nachgehen, <strong>die</strong>s wurde im Arbeitsbuch<br />

festgehalten. Wollte jemand <strong>die</strong>s nicht, so wurde er einfach einer Firma oder dem<br />

Arbeitshaus zugeteilt. Streunertum wurde bestraft. Für den Staat hatte <strong>die</strong>se<br />

Vorgangsweise den Vorteil, daß es kaum absichtliche Arbeitslose gab. Viele Betroffene<br />

mußten jedoch so das Los eines Knechtes Lorenz in Anspruch nehmen <strong>und</strong> bei Bauern als<br />

kostenlose Tagelöhner ohne Pensions- <strong>und</strong> Arbeitslosenversicherung leben.<br />

* * *<br />

1 9 6 8<br />

W E G E N D E S V E R H I N D E R T E N G Y M N A S I U M B E S U C H S E I N<br />

M I S E R A B L E R H A U P T S C H Ü L E R ( H u rra , e n d li c h e i n e n H u n d )<br />

Hansis Schulerfolg lag eher im unteren Durchschnitt. Er stieg <strong>von</strong> einer Klasse zur nächsten<br />

nur mit mäßigem Erfolg auf. <strong>Die</strong> tieferen Gründe dafür lagen in seiner Sensibilität <strong>und</strong> den<br />

rauhen Erlebnissen, <strong>die</strong> er nicht mochte.<br />

Nie hatte er es verstanden, wie sich das herrschsüchtige Verhalten <strong>von</strong> Vater, das er auch bei<br />

vielen anderen Familienvätern beobachten konnte, mit der christlichen Religion, <strong>die</strong> besagt,<br />

„liebe deine Nächsten wie dich selbst“, vereinbaren ließ. Wenn er in <strong>die</strong> Kirche ging, um<br />

vielleicht Neues über Gott <strong>und</strong> den Sinn des Lebens zu erfahren, so betrachtete er <strong>die</strong> vielen<br />

Gemälde im Kircheninneren. Gemälde, <strong>die</strong> Tiere <strong>und</strong> Menschen in Engelsgestalt so anmutig<br />

sanft im Zusammenspiel zeigten, wie er es auch in der realen Welt gerne gesehen hätte. Doch<br />

<strong>die</strong> reale Welt war ganz anders. Nichts war zu merken vom Einklang des Menschen mit der<br />

Natur <strong>und</strong> seinen Brudergeschöpfen, den Tieren. <strong>Die</strong> Zeitungen waren voll mit Bildern aus<br />

dem grausamen Vietnamkrieg. In den meisten Familien gab es keine Partnerschaft zwischen<br />

<strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> Eltern, sondern ein streng hierarchisches System, bei dem der Mann das<br />

Familienoberhaupt darstellte. Er hatte sozusagen das Oberkommando über seine Frau <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Kinder</strong>, das er aufgr<strong>und</strong> seiner Funktion als Ernährer <strong>und</strong> Beschützer der Familie für sich<br />

beanspruchen zu können glaubte. Das Tier war kein Bruder der Evolution, sondern nur eine<br />

nette Draufgabe für den zu Höherem bestimmten Menschen. Und besonders zu bestimmten<br />

Jahreszeiten, zu Ostern oder gegen Weihnachten, wenn <strong>die</strong> großen Schlachtungen<br />

durchgeführt wurden, begann er sich intensiv mit dem Sinn, aber auch Unsinn des Lebens zu<br />

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beschäftigen. Nie hatte er es verstehen können, daß der sogenannte moderne Mensch den recht<br />

intelligenten Hausschweinen bei vollem Bewußtsein <strong>die</strong> Kehle durchschnitt. <strong>Die</strong>ses grausame<br />

Ritual wird als Schächtung bezeichnet, <strong>die</strong> natürlich auch bei Ziegen, Schafen <strong>und</strong> Rindern<br />

durchgeführt wurde. Mit Grauen hatte Hansi anfangs <strong>die</strong>se Szenen beobachtet, das<br />

fürchterliche Brüllen der <strong>von</strong> Todesangst befallenen Tiere vernommen. Und nie hatte er es<br />

verstanden, wie Menschen, <strong>die</strong> auch oft tief religiös waren oder es zumindest vorgaben, sich zu<br />

solcher Tat an wehrlosem Leben hergeben konnten. Und niemand tat etwas dagegen, niemand,<br />

auch nicht der Herr Pfarrer oder der Lehrer.<br />

Aber auch für das Klima innerhalb der eigenen Familie konnte er kein Verständnis aufbringen.<br />

Wenn Vater bei geringfügigen Vergehen Schläge für Mutter <strong>und</strong> <strong>Kinder</strong> austeilte, wurde <strong>die</strong>s<br />

ohne größere Kritik <strong>von</strong> den Beteiligten hingenommen. Es gab auch kein Gesetz, das<br />

Kindesmißhandlungen verbat, zumindest kein wirkungsvolles, <strong>und</strong> auch keines, das wenigstens<br />

das Tier vor Quälereien schützen sollte. Nach der Schule mußte man zu Hause in der<br />

Nebenerwerbswirtschaft mithelfen, <strong>und</strong> wenn <strong>die</strong> Arbeit ordentlich durchgeführt wurde, gab es<br />

zur Belohnung mal keine Prügel. Einige Schulkollegen bekamen nicht nur Prügel, sondern<br />

mußten ab <strong>und</strong> zu auf einem Holzscheitel knien.<br />

In der vierten Volksschulklasse, als es darum ging, wer nun das Gymnasium besuchen durfte<br />

<strong>und</strong> wer in <strong>die</strong> Hauptschule übersiedeln mußte, strengte sich Hansi am Ende des Schuljahres<br />

besonders an. Doch <strong>die</strong> beiden Dreier konnte er nicht mehr ausbessern. Er bat sogar seinen<br />

Klassenlehrer in einem persönlichen Gespräch, er möge ihn doch in das Gymnasium aufsteigen<br />

lassen, doch <strong>die</strong>ser entschied anders. Hansi wurde, wie <strong>die</strong> meisten seiner Kollegen, in <strong>die</strong><br />

Hauptschule Viktring überstellt. Nun, es war zu spät, er hätte eifriger <strong>von</strong> Anfang an in der<br />

Klasse mitarbeiten müssen, das war ihm nun klar geworden, nun war auch <strong>die</strong> berufliche<br />

Zukunft nur noch zweitrangig. Das war eine extreme Niederlage.<br />

In den Schulferien, bevor Hansi in <strong>die</strong> Hauptschule überwechselte, wurde er neu eingekleidet.<br />

Nun durfte er nicht mehr mit den alten, geflickten Sachen <strong>und</strong> meist ohne Schuhe in <strong>die</strong> Schule<br />

gehen. Und es war auch bei den anderen so, scheinbar hatte ein neuer Lebensabschnitt<br />

begonnen.<br />

Mutter hatte in <strong>die</strong>sen Tagen einen kleinen Zwergschäferwelpen besorgt, was Vater mit<br />

Mißfallen beobachtete. <strong>Die</strong>ses kleine H<strong>und</strong>ebaby, kaum 9 Wochen alt, mußte vom ersten Tag<br />

an bei den <strong>Beschulnig</strong>s einsam <strong>und</strong> allein <strong>die</strong> Nächte in einer H<strong>und</strong>ehütte im Hof verbringen.<br />

Natürlich begann es dabei vor Angst <strong>und</strong> um seine Mutter fürchterlich zu weinen <strong>und</strong> jaulen.<br />

<strong>Die</strong>sen Umstand versuchte Vater zu nützen. Er war es, der unbedingt darauf bestand, daß das<br />

Hündchen allein <strong>die</strong> Nächte im Hof verbrachte. „Wenn der Krüppel bis Freitag nicht aufhört, in<br />

der Nacht zu jammern, dann werde ich ihn erschlagen!“, meinte er trocken an einem<br />

Montagabend. Hansi, Thekla <strong>und</strong> Heinzi beteten innigst unter der Tuchent zu Gott, er möge<br />

doch bei Luxi, so wurde der Welpe genannt, das Jaulen abstellen. Seltsamerweise wurde <strong>die</strong>se<br />

Bitte erhört, denn Luxi stellte seinen Nachtgesang ein.<br />

In der Hauptschule gab es zwei Leistungsgruppen, den ersten <strong>und</strong> den zweiten Klassenzug.<br />

Hansi wurde in den ersten Klassenzug eingeteilt. Doch da es kein Gymnasium war, hielt er es<br />

für unnötig, am Unterricht auch wirklich intensiv teilzunehmen. Schon nach einem Monat<br />

wurde er mangels Mitarbeit in den zweiten Klassenzug überstellt. Zuhause merkte niemand<br />

etwas <strong>von</strong> seinen Wünschen <strong>und</strong> Vorstellungen, auch nicht <strong>von</strong> den Schwierigkeiten in der<br />

Schule. Geschickt überspielte er alle anfänglichen Mißerfolge, <strong>die</strong> er durch Laschieren<br />

absichtlich herbeigeführt hatte. Bis eines Tages der Elternsprechtag kam.<br />

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Zirka zwei Monate vor dem ersten Semesterzeugnis wurde seine Mutter zum Elternsprechtag<br />

in <strong>die</strong> Hauptschule Viktring geladen. Hansi wußte, was <strong>die</strong>s zu bedeuten hatte. An <strong>die</strong>sem Tag<br />

entfiel der Unterricht. Seine Mutter überlegte noch am Vortag, ob sie überhaupt in <strong>die</strong> Schule<br />

gehen sollte, da sie doch felsenfest überzeugt war, daß Hansi einen ausgezeichneten Schüler<br />

abgab.<br />

Der Klassenvorstand atmete tief durch, als Frau <strong>Beschulnig</strong> das Klassenzimmer betrat. „Also,<br />

Frau <strong>Beschulnig</strong>“, er unterbrach, um im Notenbüchlein <strong>die</strong> richtige Seite zu finden, „mit Ihrem<br />

Sohn gibt es arge Probleme!“ Hansis Mutter wurde kreidebleich. „Um es kurz<br />

zusammenzufassen, Ihr Sohn ist ein ausgesprochener Faulpelz <strong>und</strong> dem Benehmen nach der<br />

zweitbösartigste Charakter in der gesamten Hauptschule Viktring, <strong>und</strong> das schon im ersten<br />

Semester.“ Frau <strong>Beschulnig</strong> stand fassungslos da, nicht fähig, ein Wort zu sagen. „Der<br />

Notendurchschnitt <strong>von</strong> 4,3 ist nicht ermutigend. Beinahe in allen Gegenständen tanzt Ihr Sohn<br />

um ein Nichtgenügend!“ „Mein Gott, <strong>und</strong> was soll ich jetzt machen?“, entgegnete sie stockend<br />

<strong>und</strong> tief enttäuscht. „Ja“, meinte der Klassenvorstand, „für das Semesterzeugnis ist es zu spät,<br />

nicht jedoch für das entscheidende Jahreszeugnis.“<br />

Hansi war an <strong>die</strong>sem Vormittag mit Luxi in den Wald gegangen. Er wußte, was nun auf ihn<br />

zukommen würde. Am liebsten wäre er auch da<strong>von</strong>gerannt, nur wohin? Gegen Mittag sah er<br />

Mutter vom Elternsprechtag nach Hause kommen. Vom Waldrand aus beobachtete er sie. In<br />

der Linken hatte sie <strong>die</strong> Tasche, in der Rechten ein Bündel mit Birkenruten, <strong>und</strong> was das zu<br />

bedeuten hatte, wußte er auch...<br />

In der Schule ging es nun mit Ach <strong>und</strong> Krach weiter, er bemühte sich trotz der Schläge am<br />

Elternsprechtag nicht sonderlich. Zu erwähnen wäre noch, daß der Unterricht der Burschen<br />

<strong>und</strong> Mädchen in getrennten Klassen stattfand. Im Gr<strong>und</strong>e ein Glück für <strong>die</strong> Mädels, denn das<br />

Elisabethsyndrom saß noch immer fest in ihm.<br />

Im Jänner 1969 bekam er eine Strafarbeit, vier A4-Seiten in Schönschrift sollte er schreiben.<br />

Der Fachlehrer hatte noch eine Spezialität auf Lager, sollte jemand auf <strong>die</strong> Wahnidee kommen<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Strafarbeit nicht schreiben, so verdoppelte er einfach <strong>die</strong> Seitenanzahl. Binnen vier<br />

Tagen hatte es Hansi daher geschafft, auf 32 A4-Seiten zu kommen. Außerdem schrieb ihm<br />

sein Lehrer noch einige Zeilen in das Mitteilungsheftchen, um Mutter <strong>und</strong> Vater zu<br />

informieren. Hansi wiederum setzte sich an <strong>die</strong>sem Freitag zu dem Aufgabentisch im<br />

Schlafzimmer, welchen er natürlich mit seinen Geschwistern teilte, <strong>und</strong> begann, Vaters<br />

Unterschrift zu üben. Nach einigen Versuchen konnte er <strong>die</strong> Unterschrift halbwegs fälschen. Er<br />

schlug <strong>die</strong> Seite des Mitteilungsheftes auf <strong>und</strong> begann Vaters Unterschrift. Doch plötzlich<br />

wurde <strong>die</strong> Schlafzimmertür aufgerissen, <strong>und</strong> Mutter stand neben ihm. Zwar hatte er noch<br />

versucht, alles rasch zu verdecken, doch es war zu spät. „Was hast denn da weggeräumt?“<br />

„Nichts, nichts!“, entgegnete er stotternd. Mutter nahm das Heft vom Tisch, dabei fiel das<br />

Mitteilungsheft zu Boden. „Ach, da sieh her!“, sagte sie <strong>und</strong> deutete mit dem Zeigefinger auf<br />

das Heftchen am Boden. „Heb auf <strong>und</strong> gib es mir!“ Wortlos übergab er es ihr. Schließlich las<br />

sie <strong>die</strong> informierenden Zeilen seines Fachlehrers, <strong>und</strong> darunter erkannte sie <strong>die</strong> gefälschte<br />

Unterschrift, <strong>die</strong> eigentlich <strong>die</strong> Handschrift <strong>von</strong> Vater hätte darstellen sollen. „Was das<br />

bedeutet, weißt du ja“, sagte sie zornig. Hansi saß da, er wußte nicht, sollte er weinen,<br />

da<strong>von</strong>laufen oder sich einfach umbringen. Wortlos nahm er das Heft <strong>und</strong> ging zu Vater, der<br />

gerade am Balkon <strong>die</strong> Fernsehantenne montierte, <strong>die</strong> <strong>Beschulnig</strong>s hatten jetzt auch endlich ein<br />

Fernsehgerät. „Du, Vati, ich muß dir was sagen“, meinte er stockend vor Angst. „So, was<br />

denn?“ Jetzt muß ich es sagen, jetzt muß ich es sagen, na los raus, sag es schon -! So <strong>und</strong><br />

ähnlich arbeiteten <strong>die</strong> Gedanken in seinem Kopf. „Ich habe deine Unterschrift nachgemacht!“<br />

Hansi begann dabei fürchterlich zu weinen, wobei er das Mitteilungsheftchen in der Rechten<br />

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hielt, um es Vater zu zeigen. Vater entgegnete nichts, so als hätte er nichts gehört. Hansi stand<br />

am Fuße der Leiter <strong>und</strong> wagte nicht einmal, sich zu bewegen. „Geh rein, ich muß mir erst<br />

überlegen, was ich mit dir machen soll!“, sagte Vater gelassen <strong>und</strong> arbeitete weiter. Etwa eine<br />

halbe St<strong>und</strong>e später kam Vater in <strong>die</strong> Wohnküche nach, er brachte ein altes Bergsteigerseil mit.<br />

„So, <strong>Kinder</strong>, geht in das Schlafzimmer, ich habe mit Hansi etwas zu besprechen!“ Thekla,<br />

Traudi - der jüngste Familienzuwachs - <strong>und</strong> Heinzi folgten lautlos seiner Aufforderung. Mutter<br />

fütterte <strong>die</strong> Tiere im Stall. Was nun kam, fällt ganz sicher in <strong>die</strong> Rubrik der schweren<br />

Kindesmißhandlung. Er schlug, oder besser, er peitschte wie <strong>von</strong> Sinnen auf Hansis nackten<br />

Körper ein. Und niemand <strong>von</strong> den Nachbarn wollte oder konnte <strong>die</strong> Schmerzensschreie des<br />

Gepeinigten hören. Als er endlich abließ, war Hansis Körper übersät <strong>von</strong> den schweren<br />

Striemen <strong>und</strong> Blutergüssen, <strong>die</strong> teilweise aufgeplatzt waren. Außerdem mußte er am<br />

Wochenende am Tisch knien <strong>und</strong> <strong>die</strong> 32 A4-Seiten schreiben. Sitzen konnte er wegen der<br />

W<strong>und</strong>en nicht.<br />

Trotzdem ging Hansi am Montag in <strong>die</strong> Schule. Einer seiner Fre<strong>und</strong>e schlug ihn auf den<br />

Rücken. Hansi schrie vor Schmerz. „Was ist denn?“, fragte <strong>die</strong>ser besorgt, er hatte ihn nur<br />

fre<strong>und</strong>schaftlich grüßen wollen. Hansi holte tief Luft. „Bist schon einmal mit einem<br />

Bergsteigerseil verdroschen worden?“ „Was, mit einem richtigen, starken Seil?“, entgegnete<br />

der Klassenfre<strong>und</strong> erstaunt. „Ja, kannst ja meine Striemen am Körper ansehen, wenn du willst!“<br />

Hansi machte seinen Oberkörper frei. In der Tat, solche Spuren <strong>von</strong> Mißhandlungen hatte er<br />

noch nie da<strong>von</strong>getragen. Obwohl auch <strong>die</strong> Birkenrute kräftige Spuren hinterlassen konnte, <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> wurde ja wegen jeder Kleinigkeit eingesetzt, war es <strong>die</strong>smal besonders schlimm. „Sag, das<br />

hat dein eigener Vater gemacht?“, fragte sein Schulkollege. Mittlerweile begutachtete schon<br />

<strong>die</strong> ganze Klasse <strong>die</strong> W<strong>und</strong>en, <strong>die</strong> zum Teil aufgesprungen waren <strong>und</strong> <strong>von</strong> Rot ins Tiefblaue<br />

übergingen. „Das sag ich dem Fachlehrer“, meinte plötzlich jemand. „Nein, tut das nicht!“,<br />

entgegnete Hansi ängstlich. Doch da stand schon der Lehrer zwischen Tür <strong>und</strong> Angel. „Was<br />

habt ihr mir zu sagen?“, murrte er <strong>und</strong> schloß <strong>die</strong> Tür. „Oder wollt ihr mir sagen, der<br />

<strong>Beschulnig</strong> hat schon wieder keine Strafarbeit geschrieben!“ Alle waren aufgestanden. „Nein,<br />

schauen Sie sich <strong>die</strong> Striemen an dem Oberkörper vom <strong>Beschulnig</strong> an!“, rief einer der Schüler.<br />

„Welche Striemen?“ „Na <strong>die</strong>, <strong>die</strong> ihm sein Vater zugefügt hat, weil er keine Strafaufgabe<br />

geschrieben hat <strong>und</strong> weil er <strong>die</strong> Unterschrift nachgemacht hat!“ „Setzt euch!“, sagte der Lehrer<br />

<strong>und</strong> ging zu Hansi. Hansi stand sofort auf. Der Fachlehrer zog sein Hemd hoch <strong>und</strong> sah <strong>die</strong><br />

Spuren der letzten Sitzung mit Vater. In seinem Gesicht stand reines Entsetzen, <strong>und</strong> ohne ein<br />

Wort zu sagen, verließ er das Klassenzimmer. Hansi wurde in <strong>die</strong> Direktion gebeten, wo der<br />

Direktor <strong>und</strong> einige Lehrer sowie Lehrerinnen <strong>die</strong> Mißhandlungsspuren an Hansis Körper<br />

begutachteten, <strong>die</strong> ihren Anfang unter den Knien nahmen <strong>und</strong> bis zu den Schultern reichten,<br />

wobei der Körper <strong>von</strong> hinten bis vorne reichlich mit Striemen übersät war. Nach der<br />

Begutachtung beriet <strong>die</strong> Schulleitung mit den Klassenlehrern. Das war alles. An <strong>die</strong><br />

Öffentlichkeit kam nichts, was hätten sie auch tun sollen, es gab ja keine wirkungsvollen<br />

Gesetze, <strong>die</strong> das Schlagen <strong>von</strong> <strong>Kinder</strong>n verboten. Am Ende des Schuljahres kündigten sich<br />

zwei Nichtgenügend in Deutsch <strong>und</strong> Mathematik an. Nichts schien nun das fürchterliche Ende,<br />

das er ja schließlich wieder absichtlich herbeigeführt hatte, aufzuhalten. Mit <strong>die</strong>sen zwei<br />

Nichtgenügend hätte er auf jeden Fall <strong>die</strong> Klasse wiederholen müssen, <strong>und</strong> <strong>die</strong>s wäre für seine<br />

Eltern eine Schmach gewesen. Er hatte Angst vor den Schlägen, doch seine Eltern hätten nun<br />

keinen Gr<strong>und</strong> zur Freude, <strong>und</strong> das war ihm einfach wichtiger.<br />

Doch es sollte anders kommen. Im Juni 1969 kam Hansi, wie üblich, mit dem Schulbus bis<br />

nach Felsach, <strong>von</strong> dort ging’s zu Fuß hinauf nach Oberndorf. Auf halbem Wege konnte er<br />

schon <strong>die</strong>sen eigenartigen naßbrandigen Geruch aufnehmen, der nichts Gutes ankündigte. Und<br />

je näher er zu seinem Elternhof kam, desto stärker wurde <strong>die</strong>ser Geruch. Neugier <strong>und</strong> eine<br />

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gewisse Ahnung trieben ihn immer schneller vorwärts. Er dachte an seine Eltern, an Heinzi,<br />

Thekla, Traudi <strong>und</strong> den H<strong>und</strong> Luxi. In Oberndorf angekommen, mußte er feststellen, daß sich<br />

seine Ahnung bewahrheitet hatte. Sein Elternhaus lag in Schutt <strong>und</strong> Asche, beißender Geruch<br />

<strong>von</strong> feuchtheißer Asche umhüllte das Anwesen. Feuerwehrmänner rollten gerade <strong>die</strong> C- <strong>und</strong> B-<br />

Schläuche zusammen. Nur eine Brandwache blieb am Ort, um <strong>die</strong> restlichen Glutnester zu<br />

kontrollieren. Für Hansis Eltern war eine Welt eingestürzt. Sie standen vor dem Nichts. Das<br />

ganze Anwesen nur gepachtet, <strong>und</strong> doch war es eine schöne Heimat geworden. Und jetzt, jetzt<br />

kamen <strong>die</strong> Fragen, wie es weitergehen sollte.<br />

Noch am selben Tag lief eine Hilfsaktion ungeahnten Ausmaßes an. Möbel, Kleider <strong>und</strong> alles<br />

Mögliche wurden gespendet. Gespendet <strong>von</strong> Nachbarn <strong>und</strong> <strong>von</strong> Menschen, <strong>die</strong> man gar nicht<br />

kannte. Auch eine vorläufige Wohngelegenheit in einer alten Keusche in Felsach, also im Tal,<br />

wurde gef<strong>und</strong>en. Hans nahm, nach Rücksprache mit seinen Eltern, das Angebot der Familie<br />

Kropiunig aus Wellersdorf, einige Monate wie ihr eigenes Kind bei ihnen wohnen zu dürfen,<br />

um so das Budget der <strong>Beschulnig</strong>s zu entlasten, an. Geendet hat der Aufenthalt bei den<br />

Kropiunigs mit Bettnässen. Obwohl ihm <strong>die</strong>se nette Familie keinen Vorwurf machte, ging er<br />

nie wieder auf Besuch hin, da er sich so sehr genierte.<br />

Für Hansi selbst hatte <strong>die</strong>ses Ereignis alle Pläne zunichte gemacht, denn er spürte, daß <strong>die</strong><br />

Fachlehrer mit ihm <strong>und</strong> seinen Eltern große Anteilnahme wegen des Unglücks hatten. <strong>Die</strong> zwei<br />

Nichtgenügend wurden in Genügend umgewandelt. Der Aufstieg in <strong>die</strong> zweite<br />

Hauptschulklasse war unver<strong>die</strong>nt gesichert.<br />

1968 bewegten der Mord an dem 43jährigen Senator <strong>und</strong> Präsidentschaftskandidaten<br />

Robert Kennedy sowie der Einmarsch der Warschauer Paktstaaten in <strong>die</strong> CSSR (Prager<br />

Frühling) <strong>und</strong> <strong>die</strong> bürgerkriegsähnlichen Studentenunruhen in ganz Europa <strong>die</strong> Welt.<br />

In Österreich begann der Wohlstand seine Wurzeln zu schlagen. In den Greißlerläden<br />

gab es schon längst keine Mehlladen mehr, aus denen das Mehl noch offen ausgegeben<br />

wurde. Danach mußten <strong>die</strong> Hausfrauen, vor der Verarbeitung, erst <strong>die</strong> Mehlwürmer<br />

entfernen. Dafür begann nun mit Verpackungsmaterial eine erste Wohlstandskrankheit<br />

langsam Einzug zu halten. <strong>Die</strong> Wirtschaft suchte nach Arbeitskräften. Und <strong>die</strong> Eltern<br />

sprachen bei den Fans bestimmter Musikrichtungen <strong>von</strong> Hippies <strong>und</strong> Gammlern.<br />

* * *<br />

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D E R N E U A N F A N G I M T A L U N D D E R G E W A L T S A M E T O D V O N<br />

L U X I<br />

Allem Unglück zum Trotz zeigte sich das Schicksal bei der Familie <strong>Beschulnig</strong> doch noch <strong>von</strong><br />

der guten Seite. Es war zwar ihre Unterkunft durch Feuer zerstört worden, doch <strong>die</strong> rasche<br />

Hilfe der einheimischen Bevölkerung hatte wahre W<strong>und</strong>er vollbracht, außerdem konnten sie so<br />

<strong>die</strong> Inventarversicherung widmungsfremd nutzen. <strong>Die</strong> Versicherung war, nachdem auch eine<br />

Küchenmöbelfirma kostenlos eine einfache Küche zur Verfügung gestellt hatte, damit<br />

einverstanden, daß das Geld als Anzahlung für den Hauskauf in Föndach verwendet wurde.<br />

Hansi <strong>und</strong> seine Geschwister waren mit Freude <strong>und</strong> Wehmut ins Rosental übersiedelt. Zwar<br />

konnten sie jetzt endlich das Zuhause auch als ihr Eigen betrachten, doch Oberndorf war eine<br />

w<strong>und</strong>erschöne Heimat gewesen. Nur der tägliche Fußmarsch frühmorgens hinunter <strong>und</strong><br />

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nachmittags oder abends wieder hinauf war einem manchmal zuviel gewesen, besonders bei<br />

schlechtem Wetter. <strong>Die</strong>ser eine Minuspunkt war der Ortschaft Föndach nicht anzukreiden.<br />

Föndach, eine ländliche Ortschaft mit ca. 300 Einwohnern, liegt genau auf der<br />

gegenüberliegenden Seite der Drau, dort, wo <strong>die</strong> Hausberge <strong>die</strong> Rosentaler Südgrenze ziehen.<br />

Föndach ist auch nicht so abgeschieden wie Oberndorf. <strong>Die</strong> Möglichkeit, mit mehr<br />

Nachbarskindern in Kontakt zu kommen, war dadurch wesentlich größer. Der Ortskern war<br />

damals beim Tscheppe, der mit seinem Mariatheresiengewerbe, das noch <strong>die</strong> Gelegenheit gab,<br />

mit allem zu handeln, faktisch <strong>die</strong> ganze Versorgung des Ortes in den Händen hielt, <strong>von</strong> der<br />

Greißlerei bis zur Eisenhandlung. Übrigens - <strong>die</strong> Eisenhandlung war in einem kleinen<br />

Kämmerlein im Wirtshaus untergebracht. <strong>Die</strong> kleine, verlassene Kapelle, <strong>die</strong> nur zu<br />

Maiandachten <strong>von</strong> den alten Weibern genutzt wurde, darf nicht unerwähnt bleiben.<br />

Für <strong>die</strong> <strong>Beschulnig</strong>s begann nun wahrlich ein neuer Lebensabschnitt, ein Neuanfang mit all<br />

seinen Vor- <strong>und</strong> Nachteilen.<br />

Hans wurde zum Schulbesuch nach Ferlach überstellt <strong>und</strong> besuchte <strong>die</strong> zweite Klasse der<br />

Hauptschule, seine gleichaltrigen Fre<strong>und</strong>e Heino <strong>und</strong> George aus der Ortschaft mußten im<br />

Schuljahr 1969/70 <strong>die</strong> erste Klasse der Hauptschule in Ferlach wiederholen.<br />

In <strong>die</strong>ser Hauptschule gab es wieder gemeinsamen Unterricht für Burschen <strong>und</strong> Mädchen, ein<br />

rotes Tuch für Hans, in dem noch immer das Elisabethsyndrom festsaß. Er ging nicht gr<strong>und</strong>los<br />

auf <strong>die</strong> Mädchen los, doch wenn ihn eine dumm ansprach oder sonst eine blöde Bemerkung<br />

schob, wurde <strong>die</strong>s mit kräftigen Ohrfeigen geahndet. Es gab nur eine, bei der er nicht<br />

handgreiflich wurde, Christine Egger. Zu ihr empfand er eine fre<strong>und</strong>schaftliche Zuneigung.<br />

Christine hatte öfter beobachtet, wie er <strong>die</strong> Mädchen, aus anscheinend nichtigen Gründen,<br />

kräftig ohrfeigte. Eines Tages war Ursula dran, sie sah ihn nicht fre<strong>und</strong>lich genug an, dafür<br />

verprügelte er sie in der Pause ganz fürchterlich. Ursula weinte <strong>und</strong> verstand <strong>die</strong> Welt nicht<br />

mehr. Christine stellte ihn zur Rede. „Warum verprügelst du sie?“ Sie sah ihn dabei fragend an.<br />

„Weil sie mich blöd ansieht, mich braucht kein Weib blöd anzusehen!“, entgegnete er trotzig.<br />

„Hast was gegen Mädchen?“ „Klar!“ „Kann Ursula etwas dafür, daß sie ein Mädchen ist?“<br />

„Klar, <strong>die</strong> sind alle <strong>von</strong> der Erbsünde behaftet, <strong>die</strong> haben alle den Apfel gefressen!“ Er lächelte<br />

dabei belustigt. Sie sah ihn ernst an <strong>und</strong> meinte: „Laß <strong>die</strong> Mädels in Ruhe, sie tun dir nichts.<br />

Wenn du noch eine unbegründet schlägst, brauchst auch mit mir nichts mehr zu reden!“ Hans<br />

dachte über <strong>die</strong>se Rüge seiner Klassenfre<strong>und</strong>in nach. Er wußte, daß <strong>die</strong>se Zornesausbrüche<br />

gegenüber Mädchen <strong>von</strong> der erf<strong>und</strong>enen Sexgeschichte aus der ersten Volksschulklasse<br />

herrührten. Es wurde ihm aber auch bewußt, daß Christine völlig recht hatte, was konnten<br />

<strong>die</strong>se Mädels dafür. Er pflegte <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>schaft mit Christine, zog sich aber gegenüber den<br />

anderen Mädels in sein Schneckenhaus zurück.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Beschulnig</strong>s begannen wenige Wochen nach der Übersiedlung mit dem Bau des neuen<br />

Wohnhauses. Vorübergehend wohnten sie noch in der alten Keusche, <strong>die</strong> auch auf dem<br />

Gr<strong>und</strong>stück stand, welches sie angekauft hatten. Hansi half, oder besser, er mußte nach den<br />

Schulaufgaben am Nachmittag beim Hausbau kräftig mitanfassen. Ziegelklopfen <strong>und</strong> den<br />

Schutt <strong>von</strong> dem alten schäbigen Wirtschaftsgebäude, das nun abgerissen wurde, wegführen<br />

gehörte natürlich auch zum kostenlosen Hilfs<strong>die</strong>nst. Und wenn Hansi mal keine Lust dazu<br />

hatte, so zeigte ihm Vater, wo Gott wohnte, wie es damals halt so hieß, wenn es wieder einmal<br />

eine Tracht Prügel gab. Denn schließlich hat der freche Rotzbube zu gehorchen, es wird ja<br />

sowieso alles für <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong> gemacht...<br />

*<br />

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Themen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Welt 1969 bewegten: Der erste Mensch betrat am 21. Juli 1969 den<br />

Mond. In Amerika gab es Großdemonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Der <strong>Kinder</strong>star<br />

Heintje, <strong>die</strong> Superstars Jimmy Hendrix, Janis Joplin <strong>und</strong> <strong>die</strong> Rolling Stones ließen<br />

aufhorchen.<br />

*<br />

Knapp nach dem Jahreswechsel 1969/70 kam es zu einem für Hansi <strong>und</strong> seine Geschwister<br />

schrecklichen Ereignis.<br />

An einem w<strong>und</strong>erschönen Sonntag im Jänner machte Vater den <strong>Kinder</strong>n plötzlich <strong>und</strong> ohne<br />

erkennbaren Gr<strong>und</strong> das Angebot, den w<strong>und</strong>erbaren Nachmittag doch beim Eisschießen zu<br />

verbringen. Thekla, Heinzi <strong>und</strong> Traudi waren hellauf begeistert. Hansi war es schnuppe, denn<br />

schließlich hätte er den Tag schon mit seinen Fre<strong>und</strong>en über <strong>die</strong> R<strong>und</strong>en gebracht. Nur, wenn<br />

der Alte schon so gut gelaunt ist, so sollte man <strong>die</strong>s schon ausnützen, dachte er noch. „Ja, aber<br />

den Luxi möchte ich schon mitnehmen!“ Dem stimmten auch seine Geschwister zu. „Nein, der<br />

bleibt da“, entgegnete Vater mürrisch, „den Köter müßt ihr nicht überall mitnehmen, <strong>und</strong> heute<br />

bleibt der H<strong>und</strong> da!“ <strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong> sahen ihn an, nun, man wollte ihm auf keinen Fall <strong>die</strong> gute<br />

Laune verderben <strong>und</strong> war einverstanden.<br />

Am späten Nachmittag ging Hansi mit seinen Geschwistern vom Eisstockschießen beim<br />

Tscheppe nach Hause. Da kam ihnen der Nachbarjunge Felix aufgeregt entgegen. „Der Jäger<br />

Valentin hat euren Luxi erschossen!“, rief er immer wieder erschüttert. Hansi <strong>und</strong> seine<br />

Geschwister schenkten ihm keinen Glauben, <strong>und</strong> doch gingen sie nun rascher in Richtung<br />

Elternhaus. Felix folgte ihnen <strong>und</strong> schilderte den genauen Tathergang. „Der alte Valentin, <strong>die</strong><br />

Sau!“, meinte er mit tränenerstickter Stimme. „Als der Valentin das erste Mal anlegte <strong>und</strong><br />

schoß, traf er Luxi ganz schlecht. Luxi winselte <strong>und</strong> flüchtete laut jaulend in seine Hütte. Doch<br />

euer Vater hat ihn mit der Kette herausgezerrt, <strong>und</strong> der Valentin hat gleich wieder auf ihn<br />

geschossen. Schwer getroffen <strong>und</strong> verrückt vor Schmerz ist er dann auf euren Vater<br />

losgegangen. Doch der hat ihm nur einen kräftigen Fußtritt verabreicht <strong>und</strong> ist selbst außer<br />

Reichweite geflüchtet. Nochmals flüchtete Luxi in <strong>die</strong> H<strong>und</strong>ehütte, während der Valentin sein<br />

Gewehr nachlud. Euer Vater hat zum Schluß auch Angst gehabt, ich habe ja gesehen, wie er<br />

den heulenden H<strong>und</strong>, natürlich mit einem Sicherheitsabstand, mit der Kette aus der H<strong>und</strong>ehütte<br />

zerrte, <strong>und</strong> ich habe Luxi gesehen, der war vor dem dritten Schuß schon irre vor Schmerz <strong>und</strong><br />

Todesangst. Der dritte Schuß war dann wirklich ein Fangschuß!“ Nun begannen alle fünf zu<br />

laufen. „Bei der neuen Senkgrube liegt er!“ Dort angekommen, sahen Hansi <strong>und</strong> seine<br />

Geschwister ihren toten Fre<strong>und</strong> an, sie knieten in den Schnee <strong>und</strong> streichelten ihn. Alle drei<br />

begannen, bestürzt <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem Ereignis, heftig zu schluchzen. Wenn Hansi <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

gehabt hätte, seinen Vater zu erschießen, er hätte es getan.<br />

„<strong>Kinder</strong>, kommt, es gibt Kaffee <strong>und</strong> Kuchen!“, rief Mutter aus dem Wohnzimmerfenster. „Den<br />

Kuchen kannst in den Abfall werfen, ich esse keinen Bissen <strong>von</strong> eurem gut vorbereiteten<br />

Leichenschmaus!“, schrie Hansi außer sich vor Zorn. Das wird Folgen haben, ihr <strong>Beschulnig</strong>-<br />

Schweine, schoß es in seinen Kopf. Das sind nicht meine Eltern, das ist nicht mein Fleisch <strong>und</strong><br />

Blut. Das sind Bestien, Bestien <strong>und</strong> Arschlöcher. Zuerst den Liebling der eigenen <strong>Kinder</strong><br />

schlachten <strong>und</strong> dann zu Kaffee <strong>und</strong> Kuchen laden. Da das gute Zureden der Mutter nichts<br />

fruchtete, wurden eben <strong>die</strong> altbewährten Methoden wie: „An den Tisch, sonst gibt’s Prügel“<br />

eingesetzt. Doch <strong>die</strong>smal saß <strong>und</strong> nagte der Haß besonders stark, man nahm sogar Ohrfeigen,<br />

ohne den Trotz abzulegen, in Kauf. Gedanken, sich <strong>von</strong> den Eltern loszusagen, wurden<br />

ernstlich gehegt. Doch wohin, es war einfach eine Einbahn, <strong>und</strong> so kam es, daß der seelische<br />

Pl<strong>und</strong>er in den Schulnoten seinen weiteren Ausdruck fand.<br />

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Hansi fiel im Schuljahr 1969/70 durch, er blieb mit Pauken <strong>und</strong> Trompeten in der 2.<br />

Hauptschulklasse hängen. Christine meinte: „Mach dir nichts draus, wir kommen wieder<br />

zusammen, wirst sehen!“ Jetzt rückten wenigstens seine gleichaltrigen Fre<strong>und</strong>e Heino <strong>und</strong><br />

George nach.<br />

1970: Der erfolgreiche österreichische Formel-I-Weltmeister Jochen Rindt verunglückte<br />

tödlich in Monza.<br />

Zum erstenmal eine sozialistische Alleinregierung in Österreich. <strong>Die</strong> Kreisky-SP löst <strong>die</strong><br />

Klaus-VP ab. Es sei dazu noch zu bemerken, daß bis zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt in Österreich<br />

ein recht ausgewogenes Verhältnis zwischen Budgeteinnahmen <strong>und</strong> -ausgaben herrschte.<br />

<strong>Die</strong> Eltern mußten für <strong>die</strong> Schulfahrt ihrer <strong>Kinder</strong> zahlen. Es gab auch keine<br />

Schulbuchaktion, dafür bekam man Leihbücher <strong>von</strong> den Schulen, <strong>die</strong> auch ihren Zweck<br />

erfüllten <strong>und</strong> für <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong> verantwortlich waren. Und damals konnte der Mann<br />

allein für den Unterhalt aufkommen, sogar der Hilfsarbeiter <strong>Beschulnig</strong>. Es war sicher<br />

kein luxuriöses Dasein, denn bei Bekleidung <strong>und</strong> teurem Essen wurde extrem gespart,<br />

auch <strong>von</strong> einem Auto war bei den <strong>Beschulnig</strong>s keine Rede. Doch durch Fleiß <strong>und</strong><br />

besonderen Einsatz hatten sie, <strong>und</strong> nicht nur sie, es geschafft, ein eigenes Haus zu bauen.<br />

* * *<br />

1 9 7 0 / 7 1<br />

S C H U L A L L T A G<br />

Im Hauptschulalltag, egal ob in Viktring oder Ferlach, herrschten unter den Schülern schon<br />

recht harte Sitten. Wenn bei jemandem <strong>die</strong> schwächliche Natur erkannt wurde, wurde <strong>die</strong>s<br />

sofort <strong>und</strong> brutal ausgenützt, man stellte denjenigen aufs Abstellgleis <strong>und</strong> nannte ihn Stinki.<br />

Selbst <strong>die</strong> Spezialität mit den Reißnägeln wurde allmonatlich wiederholt. Dabei ging man ganz<br />

einfach so vor: bevor sich der Sitznachbar niedersetzte, legte man einen Reißnagel mit der<br />

Spitze nach oben auf den Sessel. <strong>Die</strong> Reaktion war phänomenal, der Betroffene sprang auf, wie<br />

<strong>von</strong> einer Hummel gestochen. Zwischendurch beschoß man wieder Schulkolleginnen mit U-<br />

Hackerln. Das sind Drähte, <strong>die</strong> zu einem U gebogen sind <strong>und</strong> zum Annageln <strong>von</strong> Drahtgittern<br />

<strong>die</strong>nen. Freilich blieb <strong>die</strong>s alles den Fachlehrern <strong>und</strong> Fachlehrerinnen nicht verborgen. Als<br />

besonderen Erfolg empfand man, wenn ein Opfer vom Lehrpersonal als Täter entlarvt wurde,<br />

der Fachlehrer sein Notenbüchlein zog <strong>und</strong> dem Betroffenen einige Prüfungsfragen stellte.<br />

Was das Lehrpersonal betrifft, so kann nur festgestellt werden, daß man als Schüler einen<br />

Führungsstil, der geradlinig ins Ziel führte, eher akzeptierte als einen zu lockeren, der schon bei<br />

kleineren Problemen überfordert war. Lehrer, <strong>die</strong> Schüler lärmen ließen, ohne Maßnahmen zu<br />

setzen wie: „Ah, der Doujak weiß heute viel, er wird uns gleich etwas über . . . erzählen!“ <strong>und</strong><br />

dabei das Notenbüchlein zogen, nahm man nicht ernst.<br />

„Das sind <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>, <strong>die</strong> in der Klasse revoltieren <strong>und</strong> den Lehrer hinaustreiben. Aber<br />

auch der Jubel <strong>die</strong>ser <strong>Kinder</strong> wird ein Ende finden: sie werden zuletzt merken, daß sie,<br />

mögen sie auch Rebellen sein, doch nur schwächliche Rebellen sind, <strong>die</strong> ihre eigene<br />

Rebellion nicht aushalten.“ (Dostojewski, 1865)<br />

<strong>Die</strong> Erzieher, <strong>die</strong> mit der Jugend zu fühlen glauben, sind Schwärmer - Jugend will gar<br />

nicht verstanden sein. Der Erwachsene, der sich ihr aufdringlich nähert, wird ihr ebenso<br />

lächerlich, als wenn er <strong>Kinder</strong>kleider anzöge.“ (Remarque, 1931)<br />

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Man akzeptierte Lehrpersonal, das durch Wissen <strong>und</strong> Psychologie <strong>die</strong> Mehrheit der Klasse<br />

begeisterte. Lehrpersonal, das schwächlich reagierte, war verloren. Bei autoritär vorgehenden<br />

Lehrern war der Lernerfolg mit Sicherheit höher als bei Lehrpersonal, das sich auf <strong>die</strong> Stufe<br />

der Schüler begab. Am liebsten hatten sie Lehrer, <strong>die</strong> „psychologisch“ vorgingen. Von <strong>die</strong>sen<br />

gab es Plankenauer, Wolf, Krainer <strong>und</strong> Götzhaber.<br />

Plankenauer: Eine Schularbeit wurde negativ geschrieben. <strong>Die</strong> Schüler hatten Gelegenheit,<br />

mittels Hausarbeit ihre Fehler zu korrigieren, was aber nicht heißt, das <strong>die</strong> Note ra<strong>die</strong>rt wurde.<br />

Heino hatte eine Fünf. Am Tag darauf ließ sich Fachlehrer Plankenauer <strong>die</strong> Korrektur (mittels<br />

Hausaufgaben) vorlegen. Heino hatte sich nicht darum gekümmert. „Warum hast keine<br />

Korrekturübung?“ „Hab ich vergessen!“ Darauf gab es einige kräftige Ohrfeigen. Heino nahm<br />

<strong>die</strong>s gelassen <strong>und</strong> kämmte sich noch vor dem Fachlehrer <strong>die</strong> zerstörte Frisur.<br />

Wolf: Eine junge, schwarzhaarige, fesche Lehrerin. <strong>Die</strong> Schultafel wurde unsichtbar<br />

niedergeb<strong>und</strong>en, der Lehrersessel am Stuhlbein festgeb<strong>und</strong>en, <strong>die</strong> Schnur nach hinten zu den<br />

letzten Sitzreihen verlegt. Frau Fachlehrerin kam ins Klassenzimmer, zog den Lehrerstuhl<br />

etwas zurück, um ihre Tasche darauf plazieren zu können, der Stuhl fuhr wie <strong>von</strong> Geisterhand<br />

geschoben wieder zurück zum Lehrertisch. Sie zog nochmals, der Stuhl fuhr wieder zurück.<br />

Frau Fachlehrerin Wolf begab sich zu den zwei Schülern in der ersten Reihe <strong>und</strong> gab ihnen<br />

ohne Vorwarnung zwei kräftige Ohrfeigen. Danach versuchte sie es nochmals, der Stuhl fuhr<br />

wieder in seine Gr<strong>und</strong>stellung. Frau Fachlehrerin ohrfeigte <strong>die</strong> zweite Reihe, während <strong>die</strong> in der<br />

dritten Reihe schon <strong>die</strong> Schnur nach hinten mit einem Taschenmesser durchschnitten.<br />

Götzhaber brachte <strong>die</strong> Schüler mit seinen Funkgeräten immer wieder zum Staunen, <strong>und</strong><br />

Krainer zog es vor, beim Unterricht öfter vom Thema abzuweichen <strong>und</strong> interessantere<br />

Diskussionen über Geschichte <strong>und</strong> Weltpolitik mit der Klasse abzuhalten. Solche Lehrer<br />

wurden <strong>von</strong> den Schülern geschätzt. Wie gesagt, Laschieren (Arbeit vortäuschen) war nicht<br />

gefragt. Wenn <strong>die</strong> Leistung nachließ, wurde ohne Vorwarnung das Notenbüchlein<br />

herausgeholt.<br />

Ein Unikum an der Hauptschule in Ferlach war der Schuldirektor Zinfti. Er war kleinwüchsig<br />

<strong>und</strong> erinnerte mit seinem Benehmen an den Filmkomödianten Louis de Funès. Jeden Tag, wenn<br />

er mit seinem NSU Prinz auf dem Schulparkplatz vorfuhr, spöttelten <strong>die</strong> Schüler schon mit<br />

diversen Sprüchen. Wenn der Direktor einen Fachlehrer vertrat <strong>und</strong> ein Schüler im<br />

Klassenzimmer ungut auffiel, erledigte Zinfti <strong>die</strong>s mit List <strong>und</strong> Tücke. Er ging zu dem Schüler,<br />

drehte ihm den Rücken zu, schimpfte anscheinend gr<strong>und</strong>los mit dem Schüler, dem er ins<br />

Angesicht sah. Der wahre Missetäter lachte währenddessen hinter seinem Rücken schadenfroh<br />

hervor, Zinfti drehte sich blitzschnell um 180 Grad <strong>und</strong> ohrfeigte den Missetäter, der in <strong>die</strong>sem<br />

Augenblick nicht damit rechnete <strong>und</strong> so schutzlos in den Watschenbaum geriet.<br />

*<br />

D i e e rs t e n M ä d c h e n b e ka n n t s c h a f t e n<br />

<strong>Die</strong> ersten Versuche der meisten Burschen, mit Mädchen näher in Kontakt zu kommen, könnte<br />

man mit dem Erlernen einer Fremdsprache vergleichen. In der Hauptschule, mit 12 oder 13<br />

Jahren, wußten Hans <strong>und</strong> seine Klassengemeinschaft schon längst genau, was den kleinen<br />

Unterschied ausmachte. Nun, <strong>die</strong>ses Wissen war eher theoretisch <strong>und</strong> wurde bei diversen<br />

Raufereien mit Mädchen mittels Abtasten, im damaligen Jargon Ausgreifen genannt, noch<br />

genauer erk<strong>und</strong>et.<br />

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Es war halt in der Ferlacher Hauptschule auch schon so wie später im Leben, <strong>die</strong>, auf <strong>die</strong> man<br />

ein Auge geworfen hatte, war meist platonisch in einen anderen verliebt, <strong>und</strong> <strong>die</strong>, <strong>die</strong> einem<br />

nachlief, hatte einen Fehler. Entweder war der Busen zu klein, <strong>die</strong> Beine zu kurz, <strong>die</strong> Figur<br />

nicht so tadellos, wie man sich <strong>die</strong> Traumfrau vorstellte, oder das Gebiß glich dem eines<br />

Pferdes, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Nase war so lang, daß sie auf einem Baumast hängend hätte freihändig<br />

schlafen können.<br />

Für Hans gab es eine, <strong>die</strong> dabei eine Sonderstellung einnahm. Christine Egger besuchte mit ihm<br />

gemeinsam <strong>die</strong> zweite Hauptschulklasse <strong>und</strong> im Schuljahr 1971/72 (als Vierzehnjährige) den<br />

Polytechnischen Lehrgang, der auch im Gebäude der Ferlacher Hauptschule untergebracht<br />

war. Es war <strong>die</strong> Zeit, als <strong>die</strong> kleinen tragbaren batteriebetriebenen Kassettenrecorder, <strong>die</strong> man<br />

mit einem Hebel be<strong>die</strong>nen konnte, auf den Markt kamen. Als Aufklärungslektüre <strong>die</strong>nte <strong>die</strong><br />

<strong>Jugendzeit</strong>schrift Bravo.<br />

Eines Tages sah Christine Hansis Vater mit dem Moped <strong>von</strong> der Schule wegfahren. Hansis<br />

Vater war an <strong>die</strong>sem Tag <strong>von</strong> der Direktion vorgeladen worden, weil Hans vor Tagen<br />

weibliche Geschlechtsteile auf einem Zettel skizziert <strong>und</strong> sein Sitznachbar nichts Besseres zu<br />

tun gehabt hatte, als das der gerade vortragenden Lehrerin k<strong>und</strong>zutun. „War das dein Vater?“,<br />

fragte sie Hans am nächsten Tag im Klassenzimmer. „Ja!“, entgegnete er. „Wie alt ist er denn?“<br />

Sie sah ihn dabei neugierig lächelnd an. „Über vierzig!“ „Da schau her, ganz gut erhalten, der<br />

alte <strong>Beschulnig</strong>!“ Sie lächelte dabei <strong>und</strong> meinte dann etwas zynisch: „Ich mag nämlich keine<br />

glatzerten Männer. Dein Vater hat noch volles, kräftiges Kopfhaar.“ „Volles Haar hat auch<br />

noch mein Großvater!“ „Meiner auch!“, entgegnete sie erfreut. „Der Vater <strong>von</strong> Heino hat<br />

schon eine Glatze!“, meinte Hans spöttisch <strong>und</strong> mußte rasch das Weite suchen, da Heino, der<br />

dem Gespräch aufmerksam gefolgt war, hinter ihm her war. Tage später meinte sie im<br />

Klassenzimmer zu Hans: „Wir beide werden etwas gemeinsam machen!“ „So, was denn?“,<br />

entgegnete er neugierig. „Laß dich überraschen!“, entgegnete sie <strong>und</strong> schrieb relativ gelassen<br />

im Schulheft weiter.<br />

Christine war gertenschlank, schön, hatte langes, dichtes blondes Haar, <strong>und</strong> auch bei der Figur<br />

<strong>und</strong> den langen Beinen hatte Gott nicht gespart. Einzig, sie war um wenige Zentimeter größer<br />

als Hans. Jeder andere Bursche wäre glücklich gewesen, wenn ihn Christine nur in ihre Nähe<br />

hätte kommen lassen. Hans hatte in den Jahren so eine Art Schwester-Bruder-Beziehung mit<br />

ihr aufgebaut. Vieles, was seine Volksschulkollegin Elisabeth vor Jahren durch <strong>die</strong> Sexlüge in<br />

seiner Beziehung zu Mädchen in ihm zerstört hatte, bügelte Christine durch ihre lockere,<br />

lebenslustige <strong>und</strong> ehrliche Art aus. Damals schon war zwar in seinem Gemüt festgeschrieben,<br />

niemals eine Familie zu gründen, <strong>und</strong> doch war sie das Mädchen, das ihn bewog, <strong>die</strong><br />

Einstellung zu den Mädels gr<strong>und</strong>legend zu ändern.<br />

Hans ahnte noch nicht, daß sich in wenigen Jahren ihre Wege wieder kreuzen würden <strong>und</strong><br />

Christine mit einem seltenen, aber sehr interessanten Angebot an ihn herantreten würde.<br />

* * *<br />

1 9 7 2<br />

L E H R J A H R E S I N D K E I N E H E R R E N J A H R E<br />

Um einen halbwegs geordneten Einstieg ins Berufsleben zu schaffen, wechselten Hans, Heino<br />

<strong>und</strong> George 1971 <strong>von</strong> der zweiten Hauptschulklasse in den polytechnischen Lehrgang, den sie<br />

1972 mit Erfolg abschlossen. So konnten sie mit einem positiven Abschlußzeugnis auf<br />

Lehrstellensuche gehen.<br />

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Alle drei beschlossen, den Beruf des Automechanikers zu erlernen. Hans begann seine Lehre<br />

im August in einem großen Privatbetrieb, der beinahe alle Kfz-Reparaturen durchführte. <strong>Die</strong>ser<br />

Betrieb konnte auch eine Kurbelwellenschleiferei, ein Zylinderbohrwerk, eine Schmiede <strong>und</strong><br />

eine große LKW- <strong>und</strong> PKW-Reparaturhalle mit Service- <strong>und</strong> Waschboxen aufweisen. Alles in<br />

allem hatte er etwa 75 Beschäftigte. George <strong>und</strong> Heino begannen ihre Lehre in anderen<br />

Privatbetrieben, aber auch, wie Hans, in Klagenfurt.<br />

„Und merke dir, Hans“, sagte sein Vater, „Lehrjahre sind keine Herrenjahre, aber dafür bist du<br />

dann was!“ Hans war gerade 15 geworden, er sah <strong>die</strong> Zukunft jedenfalls in rosaroten Farben.<br />

Im Polytechnischen Lehrgang wurde er auch über <strong>die</strong> Rechte des Lehrlings aufgeklärt. Und<br />

außerdem, so dachte er, wir sind ja nicht im Mittelalter oder in den 30er Jahren <strong>die</strong>ses<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Schon einige Tage nach dem Lehrbeginn machte ihn Vater darauf aufmerksam, daß er <strong>die</strong><br />

gesamte Lehrlingsentschädigung bei ihm abzuliefern hätte, als Kostgeld sozusagen. Doch Hans<br />

war da anderer Ansicht, weil er zu Hause beim Bau des neuen Hauses in seiner Freizeit<br />

mitanpacken mußte. Seine Geschwister waren immer noch zu klein, um zu helfen, so sagte es<br />

jedenfalls sein Vater. Freiwillig hätte Hans sicher nicht so oft mitgeholfen, es war ganz einfach<br />

der Druck <strong>von</strong> Vater, dem er sich beugen mußte, ansonsten gab es Schläge oder andere<br />

Repressalien, <strong>die</strong> ihre Wirkung nicht verfehlten. Das Lehrlingsgeld auch noch abgeben, das war<br />

zuviel. „Ich sage dir, Mutter, wenn Vater darauf besteht, dann breche ich <strong>die</strong> Lehre ab!“,<br />

meinte er, sein Gesichtsausdruck verriet ihr den Ernst der Lage. „Ja, aber wie sollen wir mit<br />

dem Geld auskommen, wir müssen deine Fahrkarte kaufen, wir haben auch noch andere<br />

Ausgaben für dich“, entgegnete sie tief betrübt. „Und der Hausbau, wir wissen nicht, wo wir<br />

das Geld hernehmen sollen.“ „Der Hausbau geht mich nichts an, <strong>und</strong> er ist auch nicht für mich,<br />

so wie es Vater immer wieder betont!“, schrie Hans verärgert. Er war wütend über sein<br />

sklavenhaftes Dasein, denn seine Eltern konnten über ihn schalten <strong>und</strong> walten, wie sie wollten.<br />

„Ich pfeif’ auf euer Haus, ich bin nur euer Sklave, der billige Arbeiten verrichten muß, <strong>und</strong><br />

dann wollt ihr noch <strong>die</strong> paar H<strong>und</strong>erter, <strong>die</strong> ich ver<strong>die</strong>ne! Nein, nein, so nicht!“ Nach einer<br />

längeren Zeit der Stille zwischen den beiden meinte sie: „Ja gut, ich werde mit Vater darüber<br />

sprechen.“ Man fand einen Kompromiß, Hans durfte <strong>die</strong> 740 Schilling der<br />

Lehrlingsentschädigung behalten. Dafür mußte er für <strong>die</strong> Fahrkarte <strong>und</strong> seine Kleidung selbst<br />

aufkommen. Hans war einverstanden, obgleich er dabei sicher nicht günstig fuhr.<br />

Aber auch im Lehrbetrieb begann er sich nach dem ersten halben Jahr so seine Gedanken zu<br />

machen. Im polytechnischen Lehrgang wurde er über <strong>die</strong> Rechte <strong>und</strong> Pflichten des Lehrlings<br />

<strong>und</strong> des Lehrherrn aufgeklärt. Doch im Berufsalltag war da<strong>von</strong> nichts zu spüren. <strong>Die</strong><br />

Arbeitszeit war <strong>von</strong> Montag bis Freitag <strong>von</strong> 7.30 bis 12.00 <strong>und</strong> <strong>von</strong> 13.00 bis 17.00 Uhr, also<br />

ein 8 1/2 St<strong>und</strong>en-Tag bei Gesellen. Bei Lehrlingen hingegen gab es in <strong>die</strong>sem Betrieb zeitlich<br />

nach oben hin beinahe keine Grenzen. Sie mußten nach 17.00 Uhr mit der Reinigung des<br />

Betriebes beginnen. Und wenn sie einmal <strong>die</strong> Firma schon gegen 18.00 Uhr verlassen durften,<br />

so war das ein Jubeltag.<br />

Der Putz<strong>die</strong>nst der Lehrlinge war militärisch aufgebaut. <strong>Die</strong> im vierten Lehrjahr hatten <strong>die</strong><br />

Aufsicht, wobei der Obercapo täglich wechselte. Und wenn der Obercapo meinte, <strong>die</strong><br />

Werkstätte sei rein, so ging er ins Büro, um <strong>die</strong>s dem Chef zu melden. Dabei mußte <strong>die</strong><br />

Meldung genau so durchgeführt werden: „Herr Chef, Korporal vom Tag . . . meldet: Der<br />

Putz<strong>die</strong>nst ist mit den Arbeiten fertig!“ Das mußte natürlich in militärisch strammer Haltung<br />

gemacht werden. Auch eine gewisse Unterwürfigkeit sollte dabei an den Tag gelegt werden,<br />

denn jetzt kam es auf den Chef an, ob <strong>die</strong> Lehrlinge „schon“ eine St<strong>und</strong>e nach Betriebsschluß<br />

das Firmengelände verlassen durften oder nicht. Und in der Tat, <strong>die</strong> Lehrlinge waren den<br />

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Launen des Chefs oder seiner Vetreter ausgeliefert. In der Zwischenzeit nahmen <strong>die</strong> anderen<br />

Lehrlinge, aufgereiht nach dem Lehrjahr, in der LKW-Halle Aufstellung. Meist kam der Chef<br />

mit dem Capo vom Tag <strong>und</strong> warf einen mürrisch-stechenden Blick auf <strong>die</strong> 25 Mann. Der Capo<br />

mußte vor den anderen Lehrlingen nochmals Meldung erstatten. „Alles steht!“ Wendung zum<br />

Chef, „Herr Chef, Korporal vom Tag . . . meldet: <strong>Die</strong> Werkstätte wurde ordnungsgemäß<br />

gereinigt!“ Nun kam es auf ihn an, meist ging er mit den Lehrlingen durch den gesamten<br />

Betrieb, kontrollierte Abteilung für Abteilung, <strong>und</strong> es kam des öfteren vor, daß sie nochmals in<br />

der LKW-Halle Aufstellung nehmen mußten. „Maier“, sagte er in barschem Tonfall, „zieh<br />

deinen linken Schuh <strong>und</strong> Socken aus.“ Maier aus dem zweiten Lehrjahr mußte vortreten <strong>und</strong><br />

den Befehl durchführen. „Wie schaust denn du aus, du Ferkel!“ Maier mußte natürlich sofort<br />

seine unsauberen Füße reinigen. Oder: „Okulnig, was ist das für ein Schuhputz, bist ein<br />

Zigeuner, was!“ Ein anderes Mal wurde der Haarschnitt kontrolliert, <strong>die</strong>ser hatte laut<br />

Vereinbarung im Lehrvertrag kurz zu sein, wobei natürlich der Herr Chef <strong>die</strong> Kürze festlegte.<br />

Wie gesagt, wenn man Glück hatte, kam man gegen 18.00 Uhr aus dem Betrieb. Doch es kam<br />

auch vor, daß der Zeiger schon <strong>die</strong> Kurve nach 20.00 Uhr kratzte.<br />

Hans war wegen <strong>die</strong>ser Entwürdigung des Lehrlings enttäuscht. Er verstand nicht, daß ein<br />

Lehrherr mit den Lehrlingen umspringen konnte, als wären sie seine Leibeigenen. Plötzlich<br />

verstand er den Ausspruch seines Vaters: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“.<br />

Natürlich gab es welche, <strong>die</strong> sich <strong>die</strong>ser Ausbeutung entgegenstellten. Und Hans beobachtete<br />

genau, was <strong>die</strong>se zu erwarten hatten. Es war immer dasselbe, sie gingen mit einem Sozi-<br />

Gewerkschafter in das Büro, nach 20 Minuten kam der Lehrling zurück, um seiner Arbeit<br />

nachzugehen. Einige St<strong>und</strong>en später verließ der Gewerkschafter mit roter Schnapsnase das<br />

Büro <strong>und</strong> tat sich mit dem Alkoholgehalt im Blut sichtlich schwer beim Gehen. Übrigens, <strong>die</strong>se<br />

Lehrlinge konnten es sich dann meist nicht mehr selbst aussuchen, ob sie den Betrieb fristlos<br />

oder mit Kündigungszeit verlassen mußten. Außerdem hatten sie es nun doppelt schwer, denn<br />

wenige Werkstättenbosse in Klagenfurt waren bereit, einen Aufmüpfigen aufzunehmen.<br />

Im Winter trieb es <strong>die</strong> Firmenleitung am schlimmsten, da mußten <strong>die</strong> Lehrlinge, Bürolehrlinge<br />

ausgenommen, unentgeltlich an ihren freien Samstagen Schnee schaufeln. Hans war über <strong>die</strong>se<br />

unhaltbare Situation sehr verärgert. Er verglich sie mit einem modernen Sklaventum,<br />

anscheinend hatte sich seit der Antike nicht sehr viel verändert. In der Öffentlichkeit sprachen<br />

<strong>die</strong> Firmenchefs <strong>und</strong> manche Politiker immer vom teuren Lehrling. Doch in Wirklichkeit sah<br />

<strong>die</strong> Rechnung ganz anders aus. Lehrlinge wurden in manchen Betrieben schamlos ausgenützt.<br />

<strong>Die</strong> Angst um den Lehrplatz zwang den Lehrling, sich solchen Situationen zu beugen.<br />

Außerdem arbeiteten gute Lehrlinge schon im zweiten Lehrjahr teilweise selbständig. Welches<br />

Plus das für den Chef bedeutete, braucht wohl hier nicht extra erwähnt zu werden.<br />

Bei den Olympischen Sommerspielen in München überfallen arabische Terroristen eine<br />

israelische Mannschaft <strong>und</strong> töten 17 Menschen.<br />

*<br />

1 9 7 3 B e g i n n d e s 2 . L e h rj a h re s<br />

Hans hatte schon lange mit großer Spannung auf <strong>die</strong>sen Tag im August, an dem <strong>die</strong> neuen<br />

Lehrlinge in den Betrieb eintraten, gewartet. Endlich zählten er <strong>und</strong> seine Kollegen, mit denen<br />

er vor einem Jahr begonnen hatte, zu den älteren. Endlich zählte man nicht mehr zu den<br />

Anfängern.<br />

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„Acht neue Grünschnäbel!“, sagte Vitory, der Facharbeiter, dem Hans zugeteilt war,<br />

schelmisch grinsend. Vitory war etwa 33, kleinwüchsig, <strong>und</strong> hatte ein stark verlebtes Gesicht,<br />

eigentlich sah er wesentlich älter aus, war sehr schlank <strong>und</strong> hatte im Hinterkopf noch immer<br />

Lausbubenstücke auf Lager. Gegen 9 Uhr kamen <strong>die</strong> Neulinge mit dem Chef in <strong>die</strong> PKW-<br />

Halle. Der Chef ging mit mürrischem, ernstem Gesichtsausdruck vor den verstohlen neugierig<br />

schauenden Lehrlingen, <strong>die</strong>, wie im Lehrvertrag verlangt, einen extrem kurzen Haarschnitt<br />

aufwiesen, hin <strong>und</strong> her. Nach <strong>und</strong> nach wurden sie den verschiedenen Abteilungen zugeteilt,<br />

<strong>und</strong> es begann ein Katz- <strong>und</strong> Mausspiel, bei dem ihre Naivität ausgetestet wurde, so jedenfalls<br />

meinte es Vitory. „Geh, bring mir <strong>die</strong> Kompressionsflüssigkeit vom Lager.“ Der Neuling eilte<br />

sofort mit Sauseschritten ins Lager <strong>und</strong> verlangte nach der Ware. Der Lagerarbeiter, auch nicht<br />

minder gemein, füllte einen 30-Liter Kanister mit Wasser. <strong>Die</strong>sen mußte der „Frischgeflachte“<br />

über den Hof zur PKW-Halle tragen. Unter dem höhnischen Gelächter der Belegschaft<br />

entnahm der ihm zugeteilte Facharbeiter 1/16 Liter aus dem Kanister <strong>und</strong> schickte ihn mit dem<br />

beinahe vollen Kanister zurück ins Lager. Oder: „Bitte bring mir rasch den<br />

Gebärmutterschlüssel vom Lager!“ Wieder hastete ein Neuling in das Lager. „Geh bitte zur<br />

Frau Margit ins Büro!“, meinte der Lagerarbeiter. Daraufhin eilte der Lehrling ins Büro, fragte<br />

nach einer Frau Margit <strong>und</strong> trug ihr sein Anliegen vor. Frau Margit fühlte sich in ihrer Ehre<br />

gekränkt <strong>und</strong> schickte den armen Genarrten zum Chef, wo der Lehrling belehrt wurde.<br />

Heino, George <strong>und</strong> sogar Fritz besaßen je ein Moped, das ihnen ihre Eltern angeschafft hatten.<br />

<strong>Die</strong>se Situation ließ Hans keine Ruhe. Bald gelang es ihm, Vater zu einer<br />

Bürgschaftsunterschrift für den Kauf eines Mopeds zu überreden. Es schien, als käme auch<br />

familiär alles wieder ins rechte Lot. Hans ging brav in <strong>die</strong> Lehre, trank <strong>und</strong> rauchte nicht. Und<br />

nach Betriebsschluß mußte er nun auch weniger am Hausbau mitanpacken, konnte so <strong>die</strong><br />

neugewonnene Freizeit nützen <strong>und</strong> mit seinen Fre<strong>und</strong>en per Moped das Rosental erk<strong>und</strong>en.<br />

<strong>Die</strong> Späße <strong>und</strong> Blödheiten kamen dabei <strong>von</strong> selbst.<br />

In Kärnten begann der Ortstafelkonflikt, über den der SPÖ-Landeshauptmann Sima<br />

stürzte. Zuvor hatten slowenisch- <strong>und</strong> deutschsprechende Kärntner friedlich<br />

zusammengelebt. Durch den <strong>von</strong> der Regierung entfachten Konflikt wurden Emotionen<br />

aus der Vergangenheit belebt <strong>und</strong> auch heftig geschürt. Für Hans <strong>und</strong> seine Kumpels war<br />

es ein Riesenspaß, so eine slowenische Ortstafel zu demontieren. Plötzlich waren<br />

slowenischsprechende Ex-Schulkollegen zu Gegnern geworden. Und sogar Pensionisten<br />

bedrohten sich gegenseitig. Gottseidank, <strong>die</strong> Extreme beider Seiten konnten nicht richtig<br />

zum Zug kommen, es siegte doch <strong>die</strong> Vernunft. Doch Hans machte sich noch oft über<br />

<strong>die</strong>sen Konflikt so seine Gedanken.<br />

* * *<br />

M O P E D , M Ä D C H E N U N D D I E E R S T E L I E B E<br />

Ab Februar 1974 half Hans, um nebenbei zu der lächerlichen Lehrlingsentschädigung etwas<br />

dazuver<strong>die</strong>nen zu können, an Wochenenden bei einer Tankstelle in Ferlach aus. So ein<br />

Aushilfstankwart-Job dauerte am Samstag <strong>von</strong> 13 bis 20 Uhr <strong>und</strong> am Sonntag <strong>von</strong> 8 bis 19<br />

Uhr. In <strong>die</strong>sem Zeitraum war er für <strong>die</strong> Zapfsäulen <strong>und</strong> den Kiosk voll verantwortlich. Wenn<br />

etwas fehlte, mußte der <strong>Die</strong>nsthabende mit seinem eigenen Geld dafür aufkommen. Ein<br />

Wochenende arbeitete Hans, das nächste gehörte George. Der Tankstellen- <strong>und</strong> Kfz-<br />

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Werkstättenbesitzer Veratschnig <strong>und</strong> seine Frau waren, was <strong>die</strong> Abrechnung betraf, penibel<br />

genau. Andererseits bekam man zu den paar h<strong>und</strong>ert Schilling plus dem Trinkgeld auch noch<br />

das Essen serviert. <strong>Die</strong>ser Aushilfsjob hatte auf beide einen erzieherischen Wert. „Zuerst<br />

Leistung, dann Geld, sei fre<strong>und</strong>lich, das fördert den Ver<strong>die</strong>nst (Trinkgeld), paß auf den Kiosk<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Zapfsäulen auf, sonst bezahlst du aus eigener Tasche.“<br />

Fritz hatte eine MC 50, George eine DS 50, Hans eine M 50 Cross, all <strong>die</strong>se Fabrikate waren<br />

<strong>von</strong> Puch. Nur Heino <strong>und</strong> der gleichaltrige Sonnwender machten mit ihrer Vespa <strong>und</strong> der<br />

Yamaha eine Ausnahme. <strong>Die</strong>se Mopeds waren an Geschwindigkeit <strong>und</strong> Kraft den Puchs<br />

haushoch überlegen. In ihrem heimatlichen Radius zwischen Ludmannsdorf, Komannsdorf,<br />

Ferlach <strong>und</strong> Feistritz machten <strong>die</strong> Burschen <strong>die</strong> Menschen mit dem Lärm der Mopeds oft<br />

verrückt.<br />

Das Leben <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gedankenwelt der Burschen drehte sich jetzt nicht nur um ihre Mopeds<br />

oder <strong>die</strong> Autoträume, sondern auch um Mädchen. <strong>Die</strong> erste, <strong>die</strong> Hans ernstlich ansprach, war<br />

<strong>die</strong> fesche, zwei Jahre ältere Nachbarstochter Liliane. Zur Antwort bekam er zwar keine<br />

Ohrfeige, doch: „Ich denk, du hast wohl einen Vogel!“, war genauso wirkungsvoll. <strong>Die</strong> nächste<br />

Damenbekanntschaft mit einer schönen Blonden aus Unterloibl verlief zunächst hoffnungsvoll,<br />

doch als das Mädchen das Rendezvous nicht einhielt, war sie für Hans nur noch Luft. Laß mich<br />

doch nicht pflanzen <strong>von</strong> den Mädels, war sein Wahlspruch.<br />

An einem Samstagabend in einem Gasthaus in Unterloibl, Hans <strong>und</strong> Sonnwender blödelten an<br />

der Bar mit einer recht gutaussehenden Kellnerin. „Was wollt denn ihr Bürscherln!“, meinte sie<br />

nach einer Bemerkung <strong>von</strong> Sonnwender. Daraufhin machte ihr Hans ein unmoralisches<br />

Angebot, in das er auch Sonnwender einbaute. „Was wollt ihr mit mir?“, sagte sie <strong>und</strong> tat so,<br />

als hätte sie schlecht gehört. „Du hat schon richtig gehört, wir wollen dir zeigen, was <strong>die</strong><br />

Bürscherln können!“, entgegnete Hans spitzbübisch lächelnd. „Ist in Ordnung, das will ich<br />

sehen!“, sagte <strong>die</strong> Kellnerin schlagfertig. Hans <strong>und</strong> Sonnwender waren baff, sie hatten mit einer<br />

ganz anderen Antwort gerechnet. „Kommt nach der Sperrst<strong>und</strong>e, kurz nach 22 Uhr!“ In der<br />

Zwischenzeit fuhren sie mit den Mopeds nach Föndach zu Sigi in <strong>die</strong> Disco. Sie besprachen <strong>die</strong><br />

Sache auch. Ganz geheuer war den beiden <strong>die</strong> Angelegenheit nicht, es war einfach nicht<br />

logisch, daß <strong>die</strong> Kellnerin so rasch auf <strong>die</strong>ses Angebot einstieg. Doch jetzt kalte Füße kriegen?<br />

Und wer weiß, vielleicht ist das das Abenteuer der Abenteuer? Gegen 22.10 stellten sie ihre<br />

Mopeds vor dem Gasthaus ab. Hans klopfte ans Gastzimmerfenster. Maria sperrte <strong>die</strong><br />

Eingangstür auf, Hans <strong>und</strong> Sonnwender betraten das Gasthaus. Maria sperrte <strong>die</strong> Eingangstür<br />

ab <strong>und</strong> steckte den Schlüsselb<strong>und</strong> in ihre Schürzentasche, was Hans stutzig machte. „Geht nur<br />

in das Gastzimmer!“ Während Hans <strong>und</strong> Sonnwender das Gastzimmer betraten, rief Maria:<br />

„Peppe, kannst schon kommen!“ Den beiden dämmerte jetzt, wieviel es geschlagen hatte.<br />

Maria, <strong>die</strong> Kellnerin, hatte einen Berserker, der <strong>die</strong> beiden jetzt windelweich prügeln sollte.<br />

Da<strong>von</strong>laufen, nein, dazu war es zu spät, außerdem war <strong>die</strong> Eingangstür zugesperrt. Auf <strong>die</strong><br />

Knie fallen <strong>und</strong> betteln, nein, das kam auch nicht in Frage. Wie schnell <strong>und</strong> überlegt in einer<br />

solchen Lage das Gehirn nach Auswegen sucht, möchte man kaum für möglich halten. „Peppe,<br />

komm schon!“ „Na, jetzt werden wir abräumen!“, meinte Sonnwender. Hans war auch<br />

kalkweiß geworden. Beide standen mitten im Gastzimmer <strong>und</strong> fixierten den Eingang. Da kam<br />

er schon. Von der Körpergröße <strong>und</strong> Statur her müßten wir ihn abwehren können, waren Hans’<br />

letzte unfre<strong>und</strong>lichen Gedanken. Doch plötzlich wurde ihm klar, daß <strong>die</strong>ser Peppe nicht ein<br />

grausamer Berserker oder Henker war, sondern der Rinder-Peppi. „Rinder, was machst denn<br />

du da!“, rief Hans belustigt lachend. Rinder sah Hans erstaunt an <strong>und</strong> sagte: „Dasselbe wollte<br />

ich euch auch fragen.“ <strong>Die</strong> Kellnerin, <strong>die</strong> schon voller Vorfreude ihre Pfötchen rieb, meinte<br />

jetzt enttäuscht: „Was, ihr kennt euch?“ „Klar, uns kennt doch das halbe Rosental!“,<br />

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entgegnete Hans. „Schleichts euch, ihr Rotzbippna!“, meinte Maria nun verärgert, eilte zum<br />

Eingang <strong>und</strong> warf <strong>die</strong> beiden raus. Das Schicksal hatte es <strong>die</strong>smal gut gemeint. Rinder war<br />

nämlich verheiratet <strong>und</strong> hätte im Gr<strong>und</strong>e nichts bei der Kellnerin zu suchen gehabt. <strong>Die</strong>se<br />

Tatsache war Hans bekannt. Ja, das nennt man ein Schweineglück.<br />

Hans war eben siebzehn geworden, ein Alter, in dem andere schon mit mehreren Abenteuern<br />

prahlten. Es war an der Zeit, <strong>die</strong> siebzehnjährige Rosi, eine fesche Nachbarstochter, ins Visier<br />

zu nehmen. Von ihr war bekannt, daß man als Bursch ziemlich leichtes Spiel hätte. <strong>Die</strong>ser<br />

Umstand war Hans ganz recht, denn an Heirat dachte er ja dabei nicht.<br />

Es war ein Sonntag im Juli 1974. Hans hatte mit Heino, George <strong>und</strong> Rosi <strong>die</strong> Föndacher Disco<br />

aufgesucht. Eigentlich war es nichts Besonderes, deswegen war er gegen 22 Uhr nach Hause<br />

gegangen. Sein Bruder schlief schon fest <strong>und</strong> tief. Einige Minuten später klopfte jemand an sein<br />

Schlafzimmerfenster. Das wird Heino sein, dachte er <strong>und</strong> sah zum Fenster hinaus. Zu seinem<br />

Erstaunen war es nicht Heino, sondern Rosi. Sie war schon ziemlich angeheitert. „Hansi,<br />

komm heraus, ich muß dir was sagen!“, lallte sie. Heute ist sie fällig, dachte er <strong>und</strong> eilte hinaus.<br />

Sie erwiderte seine Zärtlichkeiten vor der Haustüre so heftig, daß zum Übersiedeln ins<br />

Schlafzimmer keine Zeit mehr übrig blieb. Erst als ein Autoscheinwerfer sein Hinterteil<br />

ausleuchtete, schien ihm ein Platzwechsel angebracht.<br />

Für ihn war <strong>die</strong>se erste Liebesnacht eher enttäuschend, er hatte sich viel mehr erwartet. Für sie<br />

wiederum war es genau das Gegenteil. <strong>Die</strong> beiden gingen zwar nie eine Partnerschaft ein,<br />

gingen ihre eigenen Wege, doch wenn das Schicksal es wollte, wurde auch nach Jahren<br />

gemeinsam eine Nacht ausgekostet.<br />

Etwa einen Monat später lernte Rosi einen neuen Fre<strong>und</strong> kennen. Hans <strong>und</strong> dem Rest der<br />

Föndacher-Burschenclique war es eigentlich schnuppe. Wenn ein Mädel aus Föndach einen<br />

Fre<strong>und</strong> aus einer anderen Ortschaft haben wollte, so war <strong>die</strong>s kein Problem. In Föndach wurde<br />

<strong>die</strong> Damenwahl akzeptiert. Nicht akzeptiert wurde, wenn sich ein Fremdgraser<br />

danebenbenahm. Erich aus der Nachbarortschaft ging schon einige Zeit mit Rosi. In der<br />

Föndacher Disco schrie er eines Tages im Beisein <strong>von</strong> Rosi über einige Tische zu Hans,<br />

George <strong>und</strong> Günter, einem guten Bekannten aus Suetschach: „Ihr Föndacher seid lauter<br />

Schlappschwänze, ihr könnt ja nicht einmal eure Mädels befriedigen!“ Günter, der auch schon<br />

einmal mit Rosi liiert gewesen war, sprang auf. Hans hielt ihn zurück: „Laß den Narren, wir<br />

schlagen ihn draußen!“ So war es dann auch. Man verlegte <strong>die</strong> Bestrafung auf den Folgetag.<br />

Auf dem Weg zum Nachbarort wurde ein kleines Lager mit alkoholischen Getränken <strong>und</strong><br />

Wurstsemmeln eingerichtet. Gegen 22.30 Uhr erwartete man Erich, der auf dem Weg <strong>von</strong> Rosi<br />

sein sollte. Erich kam schon einige Minuten vor Plan des Weges <strong>und</strong> pfiff gut gelaunt ein<br />

Liedchen. Hans, George <strong>und</strong> Günter versteckten sich hinter einem Gebüsch. „Na, was ist denn<br />

jetzt mit dem Schlappschwanz!“, schrie Günter, sprang hinter dem Gebüsch hervor <strong>und</strong><br />

versetzte Erich einige kräftige Boxhiebe. Erich war so verstört, daß er sich nur noch schützend<br />

<strong>die</strong> Hände vor den Kopf hielt. „Kommts raus, gebt ihm auch ein paar!“, schrie Günter. George<br />

ging hin <strong>und</strong> versetzte Erich einige kräftige Ohrfeigen. „Du auch, Hans!“, rief Günter. Hans<br />

ging zu Erich, sah das Häuflein Elend <strong>und</strong> verzichtete auf <strong>die</strong> Bestrafung. Für Günter war es<br />

noch nicht genug, er versetzte Erich noch einige kräftige Fußtritte aufs Hinterteil <strong>und</strong> ließ ihn<br />

ohne Schuhe, unter dem Gelächter <strong>von</strong> George, über einen frisch umgepflügten Acker gehen.<br />

Resultat: Erich bekam zwei blaue Lichter <strong>und</strong> nützte hinterfotzig noch weitere Wehwehchen<br />

für einige Wochen Krankenstand. Günter, George <strong>und</strong> Hans wurden auf freiem Fuß beim<br />

Jugendgericht wegen ‘Nächtlichem Überfall mit schwerer Körperverletzung’ angezeigt;<br />

Strafandrohung einige Jährchen. <strong>Die</strong> Verhandlung fand in Klagenfurt vor einem Jugend-<br />

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Schöffengericht statt. Günter erhielt eine Geldstrafe <strong>und</strong> einige Monate bedingt auf 3 Jahre.<br />

Hans <strong>und</strong> George wurden freigesprochen.<br />

* * *<br />

1 9 7 5 : 4 . L E H R J A H R<br />

C H R I S T I N E E . U N D H E I N O S F R E U N D I N<br />

An einem Frühsommertag nach <strong>Die</strong>nstschluß an der Tankstelle suchten Hans <strong>und</strong> George ein<br />

Gasthaus in Ferlach auf. Als Hans ins Lokal eintrat, traute er seinen Augen nicht, Ex–<br />

Schulkollegin Christine Egger saß scherzend mit einigen Burschen <strong>und</strong> Mädels zusammen an<br />

der Bar. <strong>Die</strong> Überraschung schien bei beiden toll einzuschlagen. Nach einer heiteren<br />

Unterhaltung fuhr er sie mit dem Moped nach Hause, George begleitete sie mit seinem 50-<br />

qcm-Schrotthaufen. Bei einem Genossenschaftsbau hielt er an. „Kommst wieder?“, fragte sie<br />

fre<strong>und</strong>lich lächelnd. „Ja!“ Im selben Moment kamen einige jüngere Männer, sie waren schon<br />

etwas älter als Hans, also keine Kücken mehr, außerdem in Körperbau <strong>und</strong> Kraft Hans ganz<br />

sicher überlegen. „Hans, das sind meine Fre<strong>und</strong>e!“ „Ah, grüß euch!“, meinte Hans recht<br />

fre<strong>und</strong>lich. „Dein Fre<strong>und</strong>?“, fragte einer da<strong>von</strong> Christine. „Ja, wir kennen uns schon <strong>von</strong> der<br />

Schule!“ „Na, dann ist es ja gut!“, meinte wieder ein anderer zufrieden lächelnd. „Hans, hol<br />

mich wieder einmal ab, jetzt weißt du ja, wo ich wohne!“ „Ist gut!“, entgegnete er. Christine<br />

verschwand im Bau. So schnell, wie Christine im Haus verschwand, so schnell änderte sich <strong>die</strong><br />

Stimmung der Burschen. „Na Bürscherl, bist schon recht frech <strong>und</strong> willst uns unsere Mädels<br />

ausspannen!“ „Ein schönes Moped hat er auch noch, fragt sich nur noch, wie lange!“, sagte<br />

wieder der zweite. „Wenn du noch einmal hier bei Christine aufkreuzt, sind du <strong>und</strong> dein Moped<br />

reif für den Misthaufen, verstanden!“ Hans sah an ihrer Mimik, daß sie es ernst meinten. Er<br />

startete sein Moped. „Was wollt ihr?“, sagte George recht gelassen. Im gleichen Moment<br />

bekam er <strong>von</strong> einem eine recht kräftige Ohrfeige. „Wollt ihr mehr?“, fragte wieder ein anderer.<br />

Hans <strong>und</strong> George fuhren ab.<br />

Während der Heimfahrt ließ Hans <strong>die</strong>ses Erlebnis keine Ruhe. Daß Christine mir nicht<br />

abgeneigt ist, überlegte er, ist mir klar. Daß <strong>die</strong> Meute vom Genossenschaftsgrätzl mich in der<br />

Luft zerreißen will, ist <strong>die</strong> zweite Seite. Bei Menschen ist es eben nicht anders als bei Tieren.<br />

Jeder verteidigt sein Revier. Vielleicht ist sie aber mit einem der Typen enger befre<strong>und</strong>et.<br />

Komisch, wie bei Hirschen, <strong>die</strong> Geweihe krachen aufeinander, bis einer am Boden liegen bleibt<br />

oder das Weite sucht. Primitiv. Wenn sie mich haben will, dann soll sie es deutlich k<strong>und</strong>tun.<br />

Hiebe einstecken <strong>und</strong> vielleicht eine noch größere Rauferei anzetteln, nur um eine Trutschn mit<br />

dem Moped spazieren zu führen, zahlt sich nicht aus, schloß er. Er rief bei ihr zuhause an, doch<br />

ihre Mutter war nicht bereit, <strong>die</strong> Nachricht an Christine weiterzuleiten. Ich helfe an der<br />

Tankstelle aus, sie weiß das. Wenn ich für sie interessant bin, dann wird sie schon kommen,<br />

sagte er sich.<br />

Nach etwa zwei Monaten, Hans hatte <strong>Die</strong>nst an der Tankstelle, kam Christine mit einer<br />

Fre<strong>und</strong>in so ganz zufällig zur Tankstelle <strong>und</strong> kaufte ein Eis. „Hast keine Lust, mit mir<br />

auszugehen?“, sagte sie gleich ohne Umschweife, während ihr Hans das Restgeld übergab. „Ich<br />

schon, aber deine Stierwäscher vom Genossenschaftsbau sind damit nicht so recht<br />

einverstanden!“ Sie sah ihn ganz groß <strong>und</strong> verdutzt an. „Wieso, wer?“ „Na, deine lieben<br />

Fre<strong>und</strong>e, <strong>die</strong> du mir vorgestellt hast. Den George haben sie gleich geohrfeigt!“ „Da<strong>von</strong> weiß<br />

ich ja nichts!“ Sie war betroffen <strong>und</strong> meinte fragend: „Und jetzt?“ „Ganz einfach, Ferlach den<br />

Ferlachern <strong>und</strong> der Rest des Rosentales den Föndachern!“ Er lächelte dabei belustigt. Sie ließ<br />

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sich nachdenklich das Eis schmecken. „Treffen wir uns einmal wieder?“, fragte sie recht<br />

emotionslos. „Ja, aber auf neutralem Boden, wenn sie sich da einmischen, dann muß ich mir<br />

einen Elefantentöter besorgen. Ferlach ist eh’ eine Büchsenmacher-Stadt.“ Christine lachte<br />

amüsiert auf. „Wenn du nächsten Samstag gegen 20 Uhr Zeit hast, sehen wir uns in dem<br />

Gasthaus in Unterloibl!“ „Einverstanden!“, entgegnete sie, zwinkerte kollegial-spitzbübisch mit<br />

ihren Augen <strong>und</strong> entfernte sich gut gelaunt.<br />

An dem besagten Samstag mußte Hans tagsüber Vater beim Verputzen eines Kellerraumes<br />

helfen. <strong>Die</strong> Vorfreude auf das Rendezvous war schon riesig. Pünktlich gegen 20 Uhr kamen er<br />

<strong>und</strong> Sonnwender mit ihren Mopeds bei dem Gasthaus in Unterloibl an. Das Lokal war halbvoll.<br />

Christine saß mit einer Clique <strong>von</strong> jungen Leuten aus Ferlach an einem großen Tisch <strong>und</strong><br />

unterhielt sich köstlich. Hans ging zu ihr an den Tisch <strong>und</strong> begrüßte sie fre<strong>und</strong>lich, dabei fiel<br />

ihm der junge, große Bursche neben Christine auf, ihn schien das Auftauchen <strong>von</strong> Hans nicht<br />

sonderlich zu freuen. „Setz dich doch zu uns!“, meinte sie fre<strong>und</strong>lich. „Nein, danke, ich gehe an<br />

<strong>die</strong> Bar. Wenn du Lust hast, komm auch hin, ich lade dich ein!“ „Später!“, entgegnete sie. Ich<br />

brauch mich bei den Ferlacher Feifalan nicht anbiedern, dachte Hans, ging zu Sonnwender an<br />

<strong>die</strong> Theke <strong>und</strong> bestellte ein Cola. Hans war bewußt geworden, daß er sich <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem<br />

Rendezvous zuviel erwartet hatte. Es war auch kein Problem für ihn. So ist es eben im Leben,<br />

dachte er <strong>und</strong> gab sich scheinbar gut gelaunt. „Ist doch nichts geworden!“, meinte Sonnwender<br />

<strong>und</strong> lächelte. „Macht nichts, <strong>die</strong> ist mir eh zu groß, weißt eh’, ein hoher Wasserfall halt!“,<br />

entgegnete Hans trocken. Christine <strong>und</strong> ihr scheinbarer Fre<strong>und</strong> lachten laut auf. Hans war <strong>die</strong>s<br />

egal, doch Sonnwender sagte plötzlich: „Lachen <strong>die</strong> über dich?“ Hans drehte sich zu ihnen,<br />

sah, wie sich der Bursche neben ihr in der Witzkiste suhlte <strong>und</strong> andauernd vor Lachen brüllend<br />

abwertend in Hans’ Richtung gestikulierte. Christine war da<strong>von</strong> sehr angetan, sie lachte mit<br />

hochrotem Kopf <strong>und</strong> klopfte genüßlich mit den Händen auf den Tisch. Hans empfand <strong>die</strong>s als<br />

schwere Erniedrigung <strong>und</strong> Demütigung. All das, was seit der Hauptschule zwischen den beiden<br />

an Zuneigung aufgebaut worden war, fiel in weniger als einer Minute in sich zusammen.<br />

„Zahlen!“ „Willst nicht zuerst austrinken?“, fragte Sonnwender. „Nein, denn sonst gehe ich<br />

noch zu ihr an den Tisch <strong>und</strong> verabreich’ ihr ein paar kräftige Ohrfeigen!“ Wutentbrannt eilte<br />

Hans, gefolgt <strong>von</strong> Sonnwender, zum Parkplatz raus, setzte sich auf sein Moped <strong>und</strong> startete es.<br />

Christine war ihm gänzlich unerwartet nachgeeilt. „Warum gehst denn schon!“, fragte sie<br />

fre<strong>und</strong>lich. „Glaubst du, ich lasse mich <strong>von</strong> den Ferlacher Feifalan verarschen?“, entgegnete<br />

Hans gereizt. „Geh, sei nicht so kindisch <strong>und</strong> komm rein!“ „Mit <strong>die</strong> Ferlacher kannst dich übern<br />

Loibl hauen! Aber ich mach’ dir einen Vorschlag, du fährst mit mir zur Disco nach Föndach!“<br />

„Das kann ich nicht, ich bin mit meinem Bruder da, ich geh’ auch wieder mit meinem Bruder<br />

gemeinsam nach Hause!“, entgegnete sie konsequent. „Seit wann fällt denn ein Bruder in <strong>die</strong>se<br />

Sittenregel?“ Hans lachte erheitert auf. „Das habe ich noch nie gehört!“ Das wird wohl nicht<br />

ihr Bruder sein, dachte er, ein Bruder hat doch in <strong>die</strong>sem Alter andere Interessen als mit seiner<br />

Schwester auszugehen. Hans gab ein paar Mal kräftig Gas <strong>und</strong> meinte: „Fährst mit?“ „Ich kann<br />

nicht, ich hab es dir doch schon gesagt!“ „Gut, das war es dann, tschüs!“, sagte Hans<br />

emotionslos, legte den Gang ein <strong>und</strong> fuhr gefolgt <strong>von</strong> Sonnwender in Richtung Föndach.<br />

In den folgenden Tagen erlebte er das erste Mal das Gefühl des Liebeskummers. Christine war<br />

<strong>von</strong> <strong>die</strong>sem Zeitpunkt an für ihn tabu. Wo immer sie bei einem Fest aufkreuzte, Hans wandte<br />

sich ab <strong>und</strong> verlegte das Gelage mit seinen Fre<strong>und</strong>en um einige Kilometer.<br />

Doch mit dem Liebeskummer sollte <strong>die</strong> Angelegenheit noch nicht ihr Ende haben. Als Hans<br />

wieder seinen Aushilfs<strong>die</strong>nst an der Tankstelle versah, kam plötzlich ein Bursch in seinem Alter<br />

zu ihm an <strong>die</strong> Zapfsäule <strong>und</strong> meinte: „Ich möchte dir nur raten, laß dich hier nicht mehr blicken,<br />

sonst kannst was erleben. Mein Fre<strong>und</strong>“, er zeigte auf den gleichaltrigen Burschen auf der<br />

anderen Straßenseite, „wird sonst mit härteren Bandagen auffahren!“ „Wenn du willst, kannst<br />

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gleich eine kräftige Watschen haben!“, entgegnete Hans. „Ich habe es dir gesagt!“, meinte der<br />

Bursch <strong>und</strong> ging. Am darauffolgenden Tag hielt ein alter, aufgemotzter VW-Käfer an der<br />

Zapfsäule. Hans ging ahnungslos vom Kiosk hinaus. Im Auto saßen drei ungepflegte Männer<br />

Mitte zwanzig, sie machten einen primitiven, kraftvollen <strong>und</strong> klobigen Eindruck. Einer <strong>von</strong><br />

ihnen sah sich um. Der andere öffnete hinten <strong>die</strong> Motorhaube. „Guten Tag!“, grüßte Hans<br />

fre<strong>und</strong>lich. „Bist noch immer da, hast noch immer nicht kapiert, willst auf gute Ratschläge<br />

nicht hören!“, sagte der, der bei der offenen Motorhaube stand, in aggressivem Tonfall. Einer<br />

verabreichte Hans unerwartet zwei kräftige Ohrfeigen. Hans fiel zum Mistkübel hin. „Merke<br />

dir: Aus den Augen, aus dem Sinn! Wenn wir dich nochmals hier auf der Tankstelle sehen,<br />

brechen wir dir sämtliche Knochen!“ <strong>Die</strong> Motorhaube flog zu, <strong>die</strong> drei sprangen in den VW<br />

<strong>und</strong> rasten eilig da<strong>von</strong>. Hans war derart perplex, daß er nicht einmal das Kennzeichen<br />

wahrnehmen konnte. Er überlegte sich ernsthaft, <strong>die</strong> Gendarmerie zu verständigen. Kein<br />

Kennzeichen, keine Zeugen. Den Job weitermachen? Wenn <strong>die</strong> zwei Burschen gekommen<br />

wären, hätte ich mir sicher nichts gefallen lassen <strong>und</strong> wäre vorgewarnt gewesen, überlegte er.<br />

Doch <strong>die</strong>se Aktion, das sind ja Mafiamethoden. Es wurde ihm plötzlich bewußt, wie<br />

ungeschützt <strong>und</strong> ausgeliefert er jetzt <strong>Die</strong>nst versehen sollte. Außerdem, setzte er bei sich fort,<br />

hat sich Christine sowieso nicht für mich entscheiden können. Wenn <strong>die</strong> mich wirklich in den<br />

Boden treten <strong>und</strong> mir sämtliche Knochen brechen, dann erfährt auch noch <strong>die</strong> Lehrfirma durch<br />

<strong>die</strong> Zeitung, daß ich nicht nur Opfer <strong>die</strong>ser Fleischhauer, sondern über<strong>die</strong>s tief in <strong>die</strong> Schlägerei<br />

mit Rosemaries Fre<strong>und</strong> verwickelt war, welche mir ein schweres Gerichtsverfahren einbrachte.<br />

Das würde ganz sicher schwere Konsequenzen nach sich ziehen, <strong>und</strong> das wollte er nicht. Am<br />

Abend, nach der Abrechnung, setzte Hans <strong>die</strong> Chefin da<strong>von</strong> in Kenntnis, daß <strong>die</strong>s der letzte<br />

Aushilfsarbeitstag gewesen sei.<br />

Hans dachte über <strong>die</strong>se Episode oft nach. Er kam zu dem Schluß, daß er wie ein Torpedo in<br />

das Leben <strong>von</strong> Christine eingedrungen sein <strong>und</strong> ihren Fre<strong>und</strong> radikal ausgebremst haben mußte.<br />

Es konnte aber auch sein, daß sie Hans nur als Köder benutzt hatte, um ihren Fre<strong>und</strong><br />

eifersüchtig zu machen. Daß ihr Exfre<strong>und</strong> <strong>die</strong>se Angelegenheit nicht mit ihm aushandelte <strong>und</strong><br />

stattdessen wesentlich ältere Burschen, eigentlich Männer, als Schlägertruppe aussandte, Hans<br />

deshalb sogar den Aushilfsjob aufgeben mußte, fand er nicht fair. Beim nächsten Mädel werde<br />

ich vorsichtig agieren, beschloß er, ich muß diplomatischer vorgehen <strong>und</strong> einen Fuß in ihren<br />

Fre<strong>und</strong>eskreis stellen. Ferlach besuchte er trotzdem, schließlich ging ja Fritz dort in <strong>die</strong> Lehre,<br />

<strong>und</strong> George versah weiterhin Aushilfs<strong>die</strong>nst bei der Tankstelle.<br />

Vater wollte oder konnte dem angeblich luderhaften Treiben seines ältesten Sohnes nicht mehr<br />

zusehen. Zu oft ging Hans, seiner Meinung nach, nach der Arbeit mit seinem gleichaltrigen<br />

Bekanntenkreis zigeunern. Damit meinte er <strong>die</strong> abendlichen Treffs in Gasthäusern <strong>und</strong><br />

selbsternannten Discos, <strong>die</strong> eher einer umgebauten Garage glichen. Zuhause beim Hausbau<br />

wollte Hans auf keinen Fall anpacken, <strong>und</strong> mit dem Aushilfsjob in Ferlach war es vorbei. Doch<br />

der Vater-Sohn-Konflikt verschärfte sich unaufhaltsam. Wenn <strong>die</strong> beiden einander begegneten,<br />

lag Spannung in der Luft. Vater wollte Hans unbedingt in dessen Freizeit beschäftigen. Hans<br />

wiederum war der Meinung, daß eine 40- bis 50-St<strong>und</strong>en-Woche genug waren. Der Kredit für<br />

sein Moped war mittlerweile auch schon abgezahlt.<br />

Hans legte im September <strong>die</strong> Führerscheinprüfung erfolgreich ab, für <strong>die</strong> Kosten war er freilich<br />

selbst aufgekommen. Nun spielte er mit dem Gedanken an einen Autokauf. Er mußte seinen<br />

Vater wieder gut stimmen. Danach überredete er Mutter, sie möge doch Vater zur<br />

Zustimmung zum Kreditkauf des Autos bewegen. Nun, es war gar nicht so einfach. Der Alte<br />

stimmte erst nach wochenlangem Beknien zu. Hans verkaufte sein Moped, 28.000 Schilling<br />

mußten an Kredit aufgenommen werden, <strong>und</strong> dann stand er zu Hause, ein w<strong>und</strong>erschöner,<br />

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roter BMW 2002 ti mit Frontspoiler. Endlich ein fahrbarer Untersatz mit Dach, dachte Hans<br />

mit Stolz, endlich ein Mensch; ich bin trocken geworden hinter den Ohren.<br />

Es war im Herbst. Heino hatte bei der Heimfahrt mit dem Zug <strong>von</strong> Klagenfurt nach Föndach<br />

ein nettes Mädchen namens Deborah kennengelernt. Hans setzte sich im Zugabteil meist auch<br />

zu ihnen. Man spaßte oder man sprach eben über <strong>die</strong> alltäglichen Dinge des Lebens. Deborah<br />

hatte erfahren, daß Hans 18 geworden war <strong>und</strong> mittlerweile den Führerschein sowie ein Auto<br />

besaß.<br />

An einem Samstag nachmittag kamen Heino <strong>und</strong> George zu Hans nach Hause. „Du Hanse,<br />

Deborah hat uns heute zu sich eingeladen!“, sagte Heino. Hans ging da<strong>von</strong> aus, daß Deborah<br />

Heinos Fre<strong>und</strong>in war. Somit sah er kein Problem, der BMW wurde gestartet, <strong>und</strong> <strong>die</strong> drei<br />

fuhren in Richtung Heinos Liebe.<br />

Es war ein kleiner, alter Bauernhof, <strong>die</strong> Zufahrt für den Pkw eine Katastrophe. „Wir hätten<br />

lieber euren Traktor nehmen sollen!“, sagte Hans. „Ach was, das geht schon, mußt halt<br />

langsam fahren!“, entgegnete Heino. Sie wollten gerade in den Hof einfahren, da kam ihnen ein<br />

junger, großer Mann wild gestikulierend entgegen gerannt. „Verschwindet, ihr Zigeuner, bei<br />

uns habt ihr nichts zu suchen!“ Hans hielt sofort an, <strong>die</strong> drei sahen sich verw<strong>und</strong>ert an.<br />

„Schleichts euch, sonst hole ich das Gewehr für euch Banditen!“, schrie er, nahm eine<br />

Zaunlatte <strong>und</strong> wollte ernstlich auf das Auto losschlagen. „Blasius, laß <strong>die</strong> in Ruhe, das sind<br />

meine Fre<strong>und</strong>e!“, rief plötzlich Deborah, sie kam aus dem alten Haus gerannt. „Geh nur ins<br />

Haus, ich werde mit den Bürscherln schon fertig!“, schrie er voll Wut zurück. „Was ist denn<br />

das schon wieder für ein Gesindel!“, schrie plötzlich ein alte Frau mit Kopftuch. Hans legte den<br />

Retourgang ein <strong>und</strong> wendete. Mit dem Riesen wollte er sich nicht einlassen, das schien der<br />

Besuch gar nicht wert. „Bleibt stehen!“, rief Deborah. Hans hielt an. „Los, rein ins Haus mit<br />

euch!“, schrie sie den Riesen <strong>und</strong> <strong>die</strong> alte Frau an. Mit großem Protest verließen <strong>die</strong> beiden <strong>die</strong><br />

Szene. „Kommt schon, war nur meine Mutter <strong>und</strong> mein Bruder!“, meinte Deborah lächelnd.<br />

„Ich hätte ihm eh eine betoniert!“, entgegnete Heino recht ernst. „Brauchst nicht, <strong>die</strong> sind doch<br />

recht zahm.“ Sie lachte auf <strong>und</strong> meinte: „Kommt ins Haus, ich lade euch zu einer kräftigen<br />

Jause ein!“ „<strong>Die</strong>ses Haus betrete ich nicht!“, entgegnete Hans. „Hast vielleicht vor dem Tillo<br />

Angst?“, meinte wiederum Heino. „Es geht nicht um <strong>die</strong> Angst, es geht mir darum, daß wir<br />

hier nicht gerne gesehen sind!“ „Na gut, dann betreiben wir halt ein kleines Versteckspiel!“,<br />

antwortete wieder Deborah. „Versteckspiel?“, sagten <strong>die</strong> drei <strong>und</strong> sahen sich verdutzt an. „Ja,<br />

r<strong>und</strong> um unseren Hof ist Wald <strong>und</strong> Gebüsch. Ich bin neugierig, wer <strong>von</strong> euch Meister ist!“<br />

„Geht schon, Deborah!“, sagte Heino <strong>und</strong> verschwand im Gebüsch. Hans wollte kein<br />

Spielverderber sein <strong>und</strong> versteckte sich etwa h<strong>und</strong>ert Meter vom Haus entfernt in einem<br />

Strauch. Das ist eine seltsame Angelegenheit heute, dachte er <strong>und</strong> rauchte eine Zigarette an.<br />

„Hallo Hans, hab’ ich dich doch gef<strong>und</strong>en!“, rief Deborah erfreut. „Such besser <strong>die</strong> anderen!“,<br />

entgegnete er fre<strong>und</strong>lich. „Nein, laß <strong>die</strong> anderen, wo sie sind.“ Sie setzte sich zu ihm <strong>und</strong> küßte<br />

ihn. „Bist blöd, ich habe gedacht, du seist <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>in <strong>von</strong> Heino?“ „Was du denkst, ist mir<br />

egal, ich will dich haben!“, entgegnete sie <strong>und</strong> machte Anstalten, das Gesagte in <strong>die</strong> Tat<br />

umzusetzen. „Aus, hör auf!“, sagte Hans verärgert <strong>und</strong> wehrte sie ab. „Wieso, bist vielleicht<br />

vom anderen Ufer?“ Sie lachte dabei belustigt auf. „Nein, aber du bist <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>in <strong>von</strong><br />

Heino!“ „Sei dir nicht so sicher. Heute kommst dran!“ Sie steckte ihre rechte Hand in seine<br />

rechte Hosentasche. Verärgert riß sich Hans los <strong>und</strong> ging in Begleitung <strong>von</strong> Deborah, der ihr<br />

Verhalten jetzt selbst peinlich schien, in Richtung seines Autos. „Komm, sei kein<br />

Spielverderber, ich mach alles, was du willst!“ „Mit der Fre<strong>und</strong>in meines Fre<strong>und</strong>es gehe ich<br />

nicht ins Bett!“ „Heino ist doch nicht mein Fre<strong>und</strong>, wir haben doch nicht miteinander<br />

geschlafen!“ „Aber Heino denkt, du bist seine Fre<strong>und</strong>in, das genügt!“<br />

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Hans setzte sich ins Auto, startete den Motor <strong>und</strong> drückte ein paarmal kräftig auf <strong>die</strong> Hupe.<br />

Heino <strong>und</strong> George tauchten aus dem Unterholz auf. „Willst schon fahren?“, fragte Heino.<br />

„Klar, in <strong>die</strong>ser Gegend haben wir nichts verloren!“, entgegnete Hans. „Spielverderber!“, sagte<br />

Deborah <strong>und</strong> ging bedrückt ins Haus.<br />

Heino <strong>und</strong> George erfuhren <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Geschichte nie etwas. Hans hat Deborah später wieder<br />

einmal getroffen. „Ich ziehe <strong>von</strong> zu Hause weg, ich halte <strong>die</strong>ses Irrenhaus nicht mehr aus <strong>und</strong><br />

gehe nach Vorarlberg!“, meinte sie.<br />

Im Dezember kam das dicke Ende im Lehrberuf. Hans erkrankte an einer leichten<br />

Mandelentzündung. An <strong>und</strong> für sich nichts Besonderes. Er war in seiner ganzen Lehrzeit nicht<br />

oft im Krankenstand gewesen, <strong>und</strong> so kam es, daß er es <strong>die</strong>smal doch ausnützen wollte. Mit<br />

seinem Auto fuhr er nach Ferlach, ließ sich vom Arzt untersuchen <strong>und</strong> krankschreiben. <strong>Die</strong><br />

Lehrfirma in Klagenfurt verständigte er telefonisch. Dazu muß noch bemerkt werden, daß er<br />

auch beim Chef in letzter Zeit angeeckt war, wie man es so schön sagt. Er sah nicht ein, daß<br />

der Chef andauernd mit mürrischem Gesicht durch den Betrieb wanderte <strong>und</strong> dem fre<strong>und</strong>lichen<br />

Gruß seiner Arbeiter <strong>und</strong> Lehrlinge nicht erwiderte. Hans tat es ihm gleich <strong>und</strong> grüßte längere<br />

Zeit seinen Chef nicht. Das hatte natürlich Folgen. Der Werkmeister stellte ihn zur Rede, Hans<br />

meinte dazu: „Wenn der Chef meinen Gruß nicht erwidert, werde ich auch weiterhin so<br />

verfahren!“ „Gut, dann wirst du mit Konsequenzen zu rechnen haben, auch du mußt dich als<br />

Lehrling beugen.“ „Wirklich nicht!“, entgegnete Hans <strong>und</strong> ging seiner Arbeit nach. Also, Hans<br />

hatte sich krankschreiben lassen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Lehrfirma telefonisch verständigt. Danach fuhr er zu<br />

Eva auf einen kleinen Braunen. So gegen 10 Uhr kam er nach Hause, stellte das Auto vor <strong>die</strong><br />

Haustür. Es war ein milder Dezembertag, <strong>und</strong> so holte er einen Kübel <strong>und</strong> begann das Auto zu<br />

waschen. Doch plötzlich erstarrte er, hinter ihm stand <strong>die</strong> Limousine seines Chefs. Mit doofem<br />

Blick <strong>und</strong> der Genugtuung, endlich einem Aufsässigen kräftig eines auswischen zu können,<br />

sprach er <strong>die</strong> folgenden Worte: „<strong>Beschulnig</strong>, am Montag holst deine Papiere!“ „In Ordnung!“,<br />

entgegnete Hans scheinbar gelassen <strong>und</strong> setzte seine Arbeit betont lässig fort. Der Chef gab<br />

dem Werkmeister ein Handzeichen, worauf sie abfuhren. Nach getaner Arbeit stellte er sein<br />

Auto vor dem Rohbau der Garage ab. Wild <strong>und</strong> irr liefen <strong>die</strong> Gedanken durch seinen Kopf. Er<br />

konnte es noch nicht fassen. Das gibt es doch nicht, dachte er verzweifelt, zwei Monate vor<br />

Beendigung meiner Lehrzeit setzt mich der Typ vor <strong>die</strong> Tür. Wie komme ich jetzt zu meiner<br />

Facharbeiterprüfung? Nun, nur nicht aufgeben, vielleicht komme ich in einem anderen Betrieb<br />

wenigstens für <strong>die</strong> zwei Monate unter, damit ich <strong>die</strong> Lehre beenden kann. Er sah <strong>die</strong> Dinge<br />

schon zuversichtlicher, aber er sparte auch nicht mit Selbstkritik. Ich wußte doch, wie der Chef<br />

reagiert, er hat es ja schon des öfteren vorexerziert, <strong>und</strong> nun bin ich in <strong>die</strong> Falle getappt, warf<br />

er sich vor. Ach, wenn ich doch im Haus gewesen wäre, nicht Auto gewaschen hätte.<br />

Vater nahm <strong>die</strong>se Nachricht gelassen entgegen. Er setzte alle Hebel in Bewegung, um Hans<br />

doch noch den Verbleib für <strong>die</strong> restlichen 2 Monate Lehrzeit in der Firma zu garantieren. Über<br />

seine Vorgesetzten, <strong>die</strong> gute Kontakte hatten, arrangierte er eine Aussprache mit dem Chef.<br />

Nur Hans war dazu nicht mehr bereit, er wollte keineswegs wie ein Abtrünniger zu Kreuze<br />

kriechen, noch dazu einem Boß, der seine Lehrlinge nur gewaltig ausnützte. Nein, war er sich<br />

sicher, nein, ich werde vor dir nicht knien.<br />

Am Montag holte Hans seine Papiere ab, wobei er auch noch feststellen mußte, daß man<br />

Lügen im Betrieb über ihn verbreitet hatte. Er sollte angeblich firmeneigenes Werkzeug<br />

gestohlen haben, was natürlich nicht stimmte, denn <strong>die</strong>s hätte der Boß mit Genuß vor Gericht<br />

gebracht, um so neuerlich ein Exempel vor der Belegschaft statuieren zu können.<br />

Zum Jahreswechsel 1975/76 war Hans somit in einer mißlichen Lage. Alles schien sich nun<br />

gegen ihn verschworen zu haben, zumindest in beruflicher Hinsicht. Keine Arbeit, keine<br />

Lehrstelle, keine Aufklärung durch soziale Institutionen wie Gewerkschaft <strong>und</strong><br />

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Arbeiterkammer. Eine Lehrstelle war in ganz Klagenfurt nicht aufzutreiben, entweder wegen<br />

der Wirtschaftsflaute, oder aber <strong>die</strong> Kfz-Betriebe waren mit dem erlogenen Gerücht des<br />

Werkzeug<strong>die</strong>bstahls konfrontiert worden.<br />

Mit Mutter, <strong>die</strong> mittlerweile einer Teilzeitbeschäftigung nachging, hatte er in <strong>die</strong>sen Tagen ein<br />

Abkommen geschlossen. Sie übernahm <strong>die</strong> Ratenzahlung für sein Auto. Und er versprach ihr,<br />

seine neugewonnene Freizeit verstärkt zur Arbeitssuche zu verwenden, das Geld für <strong>die</strong><br />

Ratenzahlung werde sie auf jeden Fall zurückbekommen.<br />

Der fahrbare Untersatz hatte aber auch seine guten Seiten, denn so fungierte er nun als Taxi.<br />

Seine Fre<strong>und</strong>e hatten noch kein Auto <strong>und</strong> kamen für Benzin <strong>und</strong> Getränke auf.<br />

1975, der blutige Krieg in Vietnam ist beendet. In Spanien wird König Juan Carlos<br />

Nachfolger des verstorbenen Generals Franco als Staatsoberhaupt. Der Österreicher<br />

Niki Lauda wird zum erstenmal Formel-1-Weltmeister.<br />

* * *<br />

1 9 7 6<br />

M O N I K A<br />

Im Jänner 76 hatte der Winter wie üblich eine dicke weiße Schneedecke übers Land gezogen.<br />

So romantisch das auch klingen mag, <strong>die</strong> Situation <strong>von</strong> Hans hatte sich dabei eher<br />

verschlechtert. Jahrelang war er Lehrling gewesen, dadurch hatte er keinen Anspruch auf<br />

Arbeitslosengeld. Hätte er gewußt, wie dramatisch sich <strong>die</strong>se Arbeitslosigkeit bei ihm<br />

auswirken würde, er wäre doch zur Aussprache in <strong>die</strong> Lehrfirma gegangen. Wie gehabt, kein<br />

Arbeitslosengeld, keine Hilfe seitens der Arbeiterkammer <strong>und</strong> der Gewerkschaft. Und vorerst,<br />

wegen der hohen Winterarbeitslosigkeit, keine Arbeitsmöglichkeit.<br />

<strong>Die</strong>s tat jedoch seiner Zuversicht keinen Abbruch. Es wird schon werden, dachte er, ich werde<br />

meine Lehrabschlußprüfung auf jeden Fall nachholen, <strong>und</strong> je näher der Frühling rückt, desto<br />

näher der nächste Arbeitsplatz.<br />

Hans war nun im 19. Lebensjahr, hatte ein gepflegtes Äußeres. Seine fre<strong>und</strong>liche Art kam gut<br />

an. Er zählte mit seinen 172 cm sicher nicht zu den Riesen, hatte blondes, sehr dichtes,<br />

mittellanges Haar <strong>und</strong> eine sportliche Figur. Oft wurden, wie bei Pferden, seine weißen Zähne<br />

bew<strong>und</strong>ert.<br />

Heino <strong>und</strong> George waren mit Hans gleichaltrig, auch sie erlernten den Beruf des Kfz-<br />

Mechanikers. Heino gab schon damals den Bud-Spencer-Typ nach außen ab, also so um <strong>die</strong><br />

1,80 Meter, schwarzes Haar <strong>und</strong> <strong>von</strong> kräftiger Statur, wie ein Schmied halt.<br />

George hingegen hatte ein pockennarbiges, breites Gesicht, mittlere Statur, war 175 cm groß,<br />

hatte schütteres braunes Haar <strong>und</strong> wollte es immer jedem recht machen.<br />

Fritz war der vierte <strong>und</strong> jüngste im B<strong>und</strong>. Er war erst im 18. Lebensjahr, ging in einem Hotel in<br />

Ferlach der Koch-Kellner-Lehre nach. Doch der Größe nach überragte er alle, sein Körper<br />

wuchs schon über <strong>die</strong> 185-cm-Marke hinaus. Er hatte braunes, kurz gehaltenes Haar <strong>und</strong> eine<br />

recht schlanke Figur.<br />

<strong>Die</strong> einzig wahre Ablenkung in <strong>die</strong>sen Tagen waren <strong>die</strong> Tanzveranstaltungen, <strong>die</strong> jetzt Saison<br />

hatten. Hans ließ sich seine Ängste <strong>und</strong> Sorgen keineswegs anmerken. Und er war<br />

zuversichtlich, seine Probleme schon in naher Zukunft lösen zu können.<br />

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Am zweiten Samstag im Jänner beschlossen Hans <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>e Heino <strong>und</strong> Fritz, an dem<br />

Feuerwehrfest in Kerschen teilzunehmen. Während er sich zu Hause auf Hochglanz brachte,<br />

teilte ihm Schwester Traudi mit, daß auch in Komannsdorf ein Fest stattfände. Komannsdorf<br />

liegt jedoch an der anderen Seite der Drau, am Fuße der Sattnitz, <strong>und</strong> war somit<br />

entfernungsmäßig nur noch zweite Wahl. Sollte sich in Kerschen wirklich nichts tun, damit<br />

waren natürlich Mädchen oder Spaß gemeint, so würden sie halt für einen Augenblick nach<br />

Komannsdorf fahren. <strong>Die</strong> Luxuskörper herausgeputzt <strong>und</strong> fesch gekleidet, fuhren sie gegen 19<br />

Uhr zum nur einige Kilometer entfernten Feuerwehrfest in Kerschen. In einem riesigen Zelt,<br />

geliehen <strong>von</strong> einer Brauerei, spielte schon <strong>die</strong> Blasmusikkapelle kräftig auf. <strong>Die</strong> drei gingen zur<br />

Bierausschank, um mit Hilfe des Hopfenblütentees rascher in Schwung zu kommen. Man traf<br />

sich mit Bekannten <strong>und</strong> deren Fre<strong>und</strong>innen, hatte einiges zu erzählen, <strong>und</strong> so nach dem zweiten<br />

Bier wurde auch heftig gescherzt. Nur beim Scherzen sollte der angebrochene Abend nicht<br />

bleiben, <strong>und</strong> so fuhren sie gegen 22 Uhr zur zweiten Auswahl, nach Komannsdorf.<br />

Der Wirt in Komannsdorf war jedenfalls vif. Für <strong>die</strong> reiferen Gäste gab es <strong>die</strong> Band im großen<br />

Saal des Parterre, <strong>und</strong> für <strong>die</strong> Teenager war ein großer Kellerraum provisorisch mit Musikbox<br />

<strong>und</strong> Ausschank eingerichtet worden. Nachdem <strong>die</strong> drei erfolglos im Parterre Ausschau gehalten<br />

hatten, zogen sie es vor, ein Getränk im Keller zu konsumieren. Schon beim Hinuntergehen<br />

schallten ihnen <strong>die</strong> fetzigen Rock’n–Roll–Klänge aus der Musikbox entgegen. Der einfache<br />

Discokeller war voll mit jungen, lachenden, tanzenden <strong>und</strong> sich köstlich amüsierenden<br />

Menschen aus der nahen Umgebung. An der Wand links gegenüber dem Eingang stand <strong>die</strong> alte<br />

Musikbox, <strong>die</strong> man zwischen den Tanzenden nur schemenhaft erkennen konnte. Daneben<br />

befand sich eine Holzbank. Rechts vom Eingang begann <strong>die</strong> einfach aus Brettern<br />

zusammengenagelte Bar, <strong>die</strong> mit Blumen <strong>und</strong> weißen Tischtüchern gekonnt gestylt worden<br />

war. Dahinter bemühte sich ein junges Paar redlich, den Wünschen der Gäste nachzukommen.<br />

<strong>Die</strong>ses Fest, das für sie nur zweite Wahl war, schien nun das Nonplusultra zu werden. Am<br />

häufigsten wurden Schallplatten <strong>von</strong> den Beach Boys, Elvis, Fats Domino <strong>und</strong> den Beatles<br />

gespielt. Während Heino <strong>und</strong> Fritz mit einigen Mädchen kokettierten, hatte Hans nur ein<br />

Mädchen im Auge. Sie tanzte einen Twist. Ihre ungezwungenen <strong>und</strong> doch gekonnten<br />

Bewegungen sprühten wahre Eleganz in den Raum. Auch andere Burschen standen am Rand<br />

der Tanzfläche <strong>und</strong> musterten sie begeistert. Sie war eine rassige, sehr schlanke Schönheit,<br />

Hochnäsigkeit schien ihr fremd, obgleich sie Gr<strong>und</strong> genug dazu gehabt hätte. Ein Mädchen, mit<br />

dem man ganz bestimmt Pferde stehlen kann, dachte Hans <strong>und</strong> besah lächelnd ihre Tanzkünste.<br />

Sie genoß <strong>die</strong> ungezwungene Atmosphäre <strong>und</strong> begann, mit heiterem Blick den Raum<br />

abzusuchen. Als sie Hansis Blick fand, erstarrte er. Es war ihm, als stünde er nur mit ihr in<br />

<strong>die</strong>sem Raum <strong>und</strong> wüßte über<strong>die</strong>s alles über sie. Er atmete kräftig durch, blinzelte mit den<br />

Augenlidern, dabei konnte er bemerken, daß es ihr auch so ergangen sein dürfte. Sie faßte sich<br />

rasch <strong>und</strong> flüsterte ihrem Tanzpartner etwas ins Ohr. Danach ging sie mit einer unbeschreiblich<br />

fre<strong>und</strong>lichen Offenheit auf Hans zu, so als wären sie wirklich längst alte Bekannte. „Kennen<br />

wir uns?“, meinte sie fre<strong>und</strong>lich lächelnd. „Leider nein, aber ich denke, wir könnten es ja noch<br />

nachholen!“ Er war <strong>von</strong> ihrer Initiative angenehm überrascht. Sie sahen sich in <strong>die</strong> Augen <strong>und</strong><br />

lachten. „Gut, tanzt du mit mir?“ „Ja, mit dir jederzeit“, entgegnete er <strong>und</strong> lächelte glücklich.<br />

Sie nahm seine Hand <strong>und</strong> führte ihn auf <strong>die</strong> Tanzfläche. Sie tanzten zu der Single „Heißer<br />

Sand“, danach folgte „Hey Jude“. Jetzt erst konnte er ihre Schönheit wirklich erkennen. Das<br />

schulterlange, sehr dichte, tiefschwarze Haar schimmerte leicht bläulich. Der Mittelscheitel ließ<br />

ihn Spuren indianischen Blutes vermuten. Große, rehbraune Augen, <strong>die</strong> einen so liebevoll,<br />

glücklich <strong>und</strong> lebhaft ansehen konnten. <strong>Die</strong> schöne, fein gezeichnete kleine Nase war an ihrer<br />

Spitze ganz leicht gekrümmt. Ja, bei der Vergabe <strong>von</strong> Schönheit <strong>und</strong> Eleganz schien Gott bei<br />

ihr nicht gespart zu haben. Beim Sprechen <strong>und</strong> Lachen blitzten <strong>die</strong> w<strong>und</strong>erschönen weißen<br />

Zähne aus ihrem süßen Schmollm<strong>und</strong>. Von den langen Beinen, der tollen Figur <strong>und</strong> dem<br />

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großen Busen erst gar nicht zu reden. Bekleidet war sie mit einer engen Blue jeans, einer hellen<br />

Bluse, gemusterten, braunen Stiefletten <strong>und</strong> einer bunten Wollweste. Hans war gerade dabei,<br />

sich so einiges in Gedanken auszumalen, da klopfte ihr plötzlich ein junger Bursch auf <strong>die</strong><br />

Schultern. „Tanzen wir wieder, Monika?“, sagte er fre<strong>und</strong>lich lächelnd. „Ja, Andy“, <strong>und</strong> weiter,<br />

„entschuldige, Hansi!“, meinte sie lächelnd <strong>und</strong> verschwand mit dem anderen unter den<br />

Tanzenden.<br />

So, jetzt stand er da, all seine Illusionen waren wie eine Seifenblase zerplatzt. Ist doch klar,<br />

dachte er sich, ich Narr, so ein tolles Mädchen wird vielleicht auf mich warten. <strong>Die</strong> soll keinen<br />

Fre<strong>und</strong> haben, da habe ich vom Schicksal wirklich zuviel verlangt. Hans sah suchend auf <strong>die</strong><br />

Tanzfläche, um Heino <strong>und</strong> Fritz zu finden, doch <strong>die</strong> beiden waren spurlos verschw<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong><br />

waren oben im Parterre bei den Ol<strong>die</strong>s. Wortlos <strong>und</strong> ohne sich nochmals umzudrehen ging er<br />

zum Ausgang. Doch plötzlich hielt ihn jemand <strong>von</strong> hinten fest. Er vermutete Heino <strong>und</strong> drehte<br />

sich um, da stand sie, er war riesig überrascht, damit hatte er nicht gerechnet. Er mußte sie<br />

wohl recht verblüfft angesehen haben. „Du wirst doch nicht schon gehen wollen!“, sagte sie.<br />

<strong>Die</strong> beiden lachten <strong>und</strong> gingen auf <strong>die</strong> Tanzfläche. Bei der Gelegenheit fragte er sie um ihren<br />

Namen. „Ich heiße Monika Glaser, bin am 03.12.1959 im LKH Klagenfurt geboren <strong>und</strong><br />

wohnhaft in, oder besser, leicht abgelegen <strong>von</strong> Komannsdorf.“ Er fragte sie nach ihrem Namen<br />

<strong>und</strong> sie erzählte munter drauflos ihren halben Lebenslauf. „Ich denke, weitere Fragen wirst du<br />

doch derzeit nicht haben. Ach so ja, das hätte ich beinahe vergessen“, fuhr sie fort, „ich bin<br />

einen Meter <strong>und</strong> 68 cm groß <strong>und</strong> wiege 50 Kilogramm. So, aber jetzt bist du dran!“ „Ja also“,<br />

sagte Hans <strong>und</strong> schnitt eine Stan-Laurel-Grimasse, „ich bin ca. 4 cm höher, zweieinhalb Jahre<br />

älter <strong>und</strong> schleppe, obwohl ich eigentlich schlank bin, ca 19 Kilo mehr durch <strong>die</strong> Gegend als<br />

du.“ Beide lächelten begeistert <strong>und</strong> schmiegten sich beim Tanzen eng aneinander. <strong>Die</strong> Single<br />

„Blueberry Hill“ <strong>von</strong> Fats Domino unterstrich ihre innigen Gefühle.<br />

Schon oft hatte Hans <strong>von</strong> der Liebe auf den ersten Blick gehört, doch daran glauben vermochte<br />

er nie so recht, er hielt es vielmehr für eine kitschige TV- <strong>und</strong> Romanente. Daß es so etwas im<br />

gewöhnlichen Leben wirklich gab <strong>und</strong> er es nun selbst erfahren durfte, stimmte ihn glücklich.<br />

Im Gr<strong>und</strong>e war Hans ein ruhiger, aber auch recht schlauer Bursche. Mit einer Ausnahme, <strong>die</strong> in<br />

Unterloibl ein jähes Ende fand, hatten ihn <strong>die</strong> Mädchen vor dem Kennenlernen <strong>von</strong> Monika<br />

eigentlich nur wegen der Aussicht auf Sex <strong>und</strong> der Selbstbestätigung interessiert, wenn man<br />

<strong>von</strong> Selbstbestätigung bei den vielen Fehlschlägen überhaupt reden konnte. Natürlich hatte er<br />

nach dem Feierabend öfter mit seinen Fre<strong>und</strong>en ein, zwei - oder waren es doch mehr - Bier<br />

konsumiert. Dabei sah man auch <strong>die</strong> Welt aus einer anderen Perspektive, außerdem sprudelten<br />

dabei <strong>die</strong> Witze nur so aus einem heraus, wodurch <strong>die</strong> Mädchenherzen wesentlich leichter zu<br />

erobern waren. Doch jetzt, jetzt begann für ihn das Leben. Er fühlte <strong>die</strong>ses seltsam wohlige<br />

Gefühl, das einen so glücklich machen konnte.<br />

Gerade als <strong>die</strong> beiden zu der Single „Stand by me“ tanzten, kreuzten Heino <strong>und</strong> Fritz auf. „Na<br />

Hanse, heute ist es aber recht schnell gegangen!“, sagte Fritz, wobei er Monika interessiert<br />

musterte. Hans <strong>und</strong> Monika lachten belustigt. „Hanse, kannst uns zur Hollenburg fahren?“<br />

Hans kam <strong>die</strong>se Bitte nicht gelegen. Monika <strong>und</strong> Hans lehnten sich an <strong>die</strong> Musikbox. Daß<br />

Heino noch keinen Führerschein hatte, war ihm bekannt, auch Hans war früher ohne<br />

Führerschein mit Autos <strong>von</strong> Fre<strong>und</strong>en gefahren. „Heino, wie du siehst, bin ich schwer<br />

beschäftigt“, sagte er verschmitzt lächelnd, „aber du kannst mit meinem Auto zur Hollenburg<br />

fahren.“ Er überließ ihm Fahrzeugpapiere <strong>und</strong> -schlüssel. „So, <strong>und</strong> nun zu dir, kleine Monika!“,<br />

meinte er zufrieden lächelnd. <strong>Die</strong> beiden tanzten zu der Single „Save the last dance for me“ <strong>und</strong><br />

vielen anderen mehr. Danach gingen sie bestens gelaunt zur Bar, tranken an der einfachen<br />

Bretterbude einen Likör <strong>und</strong> erzählten Episoden aus ihrer jüngsten Vergangenheit. Immer<br />

wieder bestaunte Hans Monika, sie war sein Typ. „Ja, Monika, ich denke, wir werden uns doch<br />

noch näher kennenlernen, treffen wir uns morgen wieder?“ Sie dachte einen kurzen Moment<br />

nach. „Ja, ich komme so gegen 16 Uhr in das Lokal <strong>von</strong> Martin.“ „Gut, Monika, ich bin gegen<br />

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16 Uhr im Lokal <strong>von</strong> Martin.“ „Ich auch, <strong>und</strong> wehe, du bist nicht da“, meinte sie schnippisch,<br />

wobei sie gekonnt gestikulierte. Hans drückte sie zärtlich an sich <strong>und</strong> küßte sie. Seine<br />

Liebkosungen wurden <strong>von</strong> ihr leidenschaftlich erwidert, es war für beide einfach w<strong>und</strong>erschön.<br />

Doch da rief jemand: „Monika, komm, wir fahren nach Hause!“ Monika sah Hans kurz fragend<br />

an, bevor sie meinte: „Hansi, komm, ich muß dir meinen Bruder Werner vorstellen!“ <strong>Die</strong><br />

beiden gingen zum Ausgang, wo ihr Bruder auf sie wartete. Er war etwa zwei Jahre älter als<br />

Hans <strong>und</strong> auch <strong>von</strong> ähnlicher Statur, ein heiterer <strong>und</strong> geselliger Typ. „Werner, darf ich dir Hans<br />

<strong>Beschulnig</strong> vorstellen. Hansi, das ist mein Bruder Werner.“ Beide grüßten mit einem<br />

fre<strong>und</strong>lichen „Hallo“. Der Weg zur Schwester führt über den Bruder, dachte Hans schelmisch.<br />

„Werner, darf ich dich <strong>und</strong> deine Schwester auf einen Ramazotti einladen?“ Dagegen hatte<br />

Werner anscheinend nichts einzuwenden. Und während <strong>die</strong> junge Kellnerin <strong>die</strong> Gläser füllte,<br />

rief jemand: „Na, Monika, hast du einen neuen Fre<strong>und</strong>?“ „Ja, Andy, darf ich ihn dir<br />

vorstellen?“, rief sie freudig zurück. Hans begann vor sich hin zu lachen. „Monika, weißt du,<br />

daß ich auf Andy beinahe eifersüchtig war? Ich dachte, er sei dein Fre<strong>und</strong>, als er mit dir<br />

tanzte.“ Alle lachten belustigt auf, Andy war ihr Cousin. „Du, Monika, ich fahre zuerst meine<br />

Fre<strong>und</strong>in nach Hause, in einer St<strong>und</strong>e bin ich wieder da“, sagte Werner. Das ließen sich <strong>die</strong><br />

beiden nicht zweimal sagen <strong>und</strong> tanzten zu „Only you“ <strong>und</strong> vielen anderen sentimentalen<br />

Liebesklängen aus den 60er <strong>und</strong> 70er Jahren. Sie tanzten <strong>und</strong> küßten sich, ohne zu bemerken,<br />

daß sie <strong>von</strong> Heino <strong>und</strong> Fritz schon längere Zeit beobachtet wurden. „Monika, das sind meine<br />

Leibwächter!“, meinte Hans <strong>und</strong> machte sie mit seinen Fre<strong>und</strong>en bekannt. Verw<strong>und</strong>ert sah sie<br />

ihn an, doch als sie <strong>die</strong> beiden sah, lächelte sie herzlich. Heino war ein richtiger Bud-Spencer-<br />

Typ <strong>und</strong> Fritz wie dessen Filmkollege Terence Hill, nur noch um einiges größer. Doch da kam<br />

auch schon Werner. „Monika, gehen wir?“ „Bis morgen, Hansi!“, sagte Monika, bevor sie mit<br />

Werner am Ausgang verschwand. „Wie hast denn <strong>die</strong> aufgerissen?“, fragte Fritz erstaunt.<br />

„Nun, das ist ganz einfach, du brauchst mich ja nur anzusehen!“, entgegnete Hans heiter<br />

lächelnd. Und da es schon 1 Uhr morgens geworden war, entschieden sich <strong>die</strong> drei für ihre<br />

Betten.<br />

Hans wachte an <strong>die</strong>sem Sonntag erst gegen 10 Uhr auf. <strong>Die</strong> Sonne schien, der Himmel war<br />

strahlend blau, eben ein w<strong>und</strong>erschöner, aber eisiger Wintertag.<br />

Bei <strong>die</strong>sem Kaiserwetter muß man ja aufstehen, dachte er <strong>und</strong> ging ins Badezimmer.<br />

Schließlich mußte er sich wegen Monika wieder auf Hochglanz bringen. Danach ging’s, wie<br />

üblich, in <strong>die</strong> Wohnküche, wo Mutter gerade beim Herd stand, um das Mittagessen zu kochen.<br />

„Morgen, Hans!“ „Morgen!“ „Na, so wie ich euch drei kenne, muß sich ja gestern wieder<br />

einiges getan haben!“ „Klar, außerdem habe ich wieder einen neuen Hasen aufgerissen!“,<br />

meinte er großspurig in Bezug auf Monika. „Hm, was kochst denn da, das riecht aber gut!“<br />

„Ach was, ist nichts Besonderes, nur ein Kartoffelgulasch“, entgegnete sie <strong>und</strong> rührte gelassen<br />

im großen Kochtopf. „Ich bin heute richtig hungrig, aber ich werde mir zuerst einen Kaffee<br />

machen!“, meinte er, nahm das Kaffeehäferl, das er als das seinige bezeichnete, aus der<br />

Kredenz, füllte es mit dem übriggebliebenen kalten Kaffee aus der Maschine, etwas Milch dazu<br />

<strong>und</strong> fertig. Natürlich mußte der billige Kassettenrecorder, mit Hits aus den 70ern, gestartet<br />

werden, denn der Blasmusikpl<strong>und</strong>er aus Ö-Regional war seiner Meinung nach eher für<br />

Pensionistenclubs gedacht. „Stellst mir deine neue Bekanntschaft vor, oder ist sie nur<br />

vorübergehend?“ „Warum habt es ihr Weiber mit dem Bekanntmachen so eilig!“, entgegnete er<br />

spaßig <strong>und</strong> setzte sich zu Tisch. „Außerdem, kommt Zeit, kommt Rat!“ Doch in Wirklichkeit<br />

dachte er, daß es bei Monika kein gutes Bild geben dürfte, wenn er sie gleich vor seine Eltern<br />

zerren würde. „Du mußt einen Vogel haben, oder kannst du nicht Auto fahren!“, schrie Heinzi,<br />

der wie ein Wilder in <strong>die</strong> Wohnküche gestürzt kam. „Dein Frontspoiler ist total abgerissen!“<br />

„Na <strong>und</strong>, sonst ist an dem Kübel nichts kaputt?“ „Ihr müßt aber gestern kräftig einge<strong>die</strong>selt<br />

gewesen sein!“, meinte er weiters <strong>und</strong> sah dabei sichtlich verw<strong>und</strong>ert zu Mutter. Heinz war<br />

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mittlerweile auch schon im 15. Lebensjahr <strong>und</strong> besuchte den polytechnischen Lehrgang. Der<br />

Kassettenrecorder spielte jetzt Singles aus ‘Tanzmusik auf Bestellung’, <strong>die</strong> Traudi gestern<br />

Nacht aufgenommen hatte. „Er ist halt ein super Rennfahrer!“, fügte Heinz noch hinzu <strong>und</strong><br />

ging schelmisch grinsend aus dem Haus. „Vater ist heute nicht anwesend?“, fragte Hans am<br />

Mittagstisch. „Nein, Vater hat heute wieder einmal seinen Wandertag, er kommt erst gegen<br />

Abend nach Hause.“ „Mit einem Wort, der H<strong>und</strong>ekiller ist außer Haus, das kann mir nur recht<br />

sein!“ „Wenn ihr euch nur besser vertragen würdet, wär das Leben halb so schwer!“, sagte<br />

Mutter vorwurfsvoll. „Was will der <strong>von</strong> mir, ich will <strong>die</strong>se Bevorm<strong>und</strong>ung nicht!“ „Er meint es<br />

ja nur gut!“ „Soll er doch versuchen, um <strong>die</strong>se Jahreszeit eine Arbeit zu finden. Ja, ich habe<br />

einen Fehler gemacht, aber was soll es, deshalb bin ich auch kein Verbrecher, oder?“ „Ach,<br />

guten Morgen, der Herr, haben der Herr gut geschlafen!“ Der überaus schnippische Gruß kam<br />

<strong>von</strong> seiner 11jährigen Schwester Traudi, <strong>die</strong> gerade <strong>die</strong> Wohnküche betrat. „Eines kann ich dir<br />

versichern, Hans, wenn du mein Fre<strong>und</strong> wärst, ich würde dir schon zeigen, wo’s lang geht!“ So<br />

ein Blödsinn, <strong>die</strong> wird schon noch drauf kommen, ach was, dachte er. „Hans, kannst schon<br />

wieder aufstehen, deine Fre<strong>und</strong>e kommen!“, sagte Mutter, als sie gegen 15 Uhr durch’s<br />

Fenster den Weg, der zum Ortsmittelpunkt führte, beobachtete. Wortlos brach er seine<br />

Verdauungsstellung auf der Couch ab. „Guten Tag, Frau <strong>Beschulnig</strong>!“, grüßten beide beim<br />

Eintreten recht fre<strong>und</strong>lich. „Na, wie geht’s Ihnen, Frau <strong>Beschulnig</strong>?“ „Mir gut, Fritz, nur der<br />

Faulpelz da bewegt seinen Arsch heute nur vom Tisch zur Couch <strong>und</strong> zurück!“ Alle lachten.<br />

„Setzt euch zu Tisch, ich mache euch einen Kaffee.“ „Na, Heino, wie war das gestern, als du<br />

den Frontspoiler <strong>von</strong> meinem Auto während der Fahrt gratis abmontiert hast?“, fragte Hans<br />

spöttisch, nachdem sich alle zu Tisch gesetzt hatten. „Den Frontspoiler abgerissen?“,<br />

entgegnete er überrascht. „Ja, kann sein“, gab er dann doch zu. „Also, ich fuhr mit Fritz <strong>von</strong><br />

Komannsdorf zur Hollenburg, wir nahmen eine ungewollte Abkürzung durch <strong>die</strong><br />

schneebedeckte Wiese in der Waldlichtung, na, du weißt schon. Ich wollte ja nicht, aber dein<br />

BMW hat einfach nicht mehr meine Anweisung befolgt!“ „Was heißt“, warf Fritz dazwischen,<br />

„ich bin froh, daß nicht mehr passiert ist. Ich hab’ den Heino noch gewarnt, doch der will es<br />

immer genau wissen. Nach den Drehern auf der Straße <strong>und</strong> in der schneebedeckten Wiese war<br />

mir direkt schlecht!“ „Gott sei dank ist uns kein Baum vor’s Auto gesprungen!“, gab Heino<br />

dazwischen.<br />

Auf der Fahrt nach Komannsdorf, durch <strong>die</strong> w<strong>und</strong>erschöne Winterlandschaft, eingerahmt <strong>von</strong><br />

den tiefverschneiten Rosentaler Hausbergen, spielten sie Rock’n-Roll-Singles vom<br />

Kassettenrecorder. Zwischendurch wurde laut <strong>und</strong> falsch mitgesungen, das trug enorm zur<br />

Stimmung bei. Der Parkplatz vor Martins Gasthaus war bedeckt <strong>von</strong> eisig gewalztem Schnee.<br />

Bei der Einfahrt drückte Hans kräftig auf’s Gaspedal, schließlich sollte man auch seinen Spaß<br />

haben. Genau wie erwartet, drehte sich das Auto im Stand. „Ja, genauso ist es mir gestern<br />

nacht gegangen!“, meinte Heino lachend.<br />

<strong>Die</strong> drei gingen direkt zur Bar. Das <strong>von</strong> außen <strong>und</strong> innen recht gewöhnlich wirkende<br />

Landgasthaus war mit einfachen Holztischen, –sesseln <strong>und</strong> –bänken ausgestattet. <strong>Die</strong><br />

Holztheke war in Natur lackiert. „Ihr braucht nicht so schüchtern sein, kommt nur her!“, sagte<br />

Monika, <strong>die</strong> rechts am Tisch neben der Theke saß. „Ach, Madam ist auch schon hier, kommt,<br />

wir setzen uns zu ihr!“, sagte Hans. „Und wie geht es dir?“, fragte er. „Es muß, es muß, nur<br />

wenn ich euch drei so ansehe, vergeht’s mir!“, entgegnete sie schnippisch. Alle lachten, das Eis<br />

war gebrochen.<br />

Nach einiger Zeit bemerkte Hans, daß Monika ihn, aus welchen Gründen auch immer,<br />

absichtlich ignorierte. Sie sprach nur noch mit Heino, so, als ob Hans <strong>und</strong> Fritz nicht<br />

vorhanden wären. Ich denke, <strong>die</strong> will mich nur testen, sagte er sich amüsiert, na gut, wenn du<br />

willst! Hans begann nun ganz gezielt mit Fritz ein Gespräch. Er beachtete <strong>die</strong> beiden nicht<br />

mehr. Nach einiger Zeit bemerkte er den Erfolg, sie war unruhig geworden, sah ihn häufig<br />

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fragend <strong>von</strong> der Seite an. Und als Hans <strong>und</strong> Fritz auch noch <strong>von</strong> den Mädchen am<br />

Feuerwehrfest sprachen, <strong>die</strong> es gar nicht gegeben hatte, stand Monika auf <strong>und</strong> ging wortlos zur<br />

Garderobe. Dabei zuckte Hans innerlich zusammen, jetzt hatte er scheinbar zuviel auf eine<br />

Karte gesetzt. So ein Käse, fluchte er innerlich, aber was soll es, nachlaufen tu’ ich ihr nicht.<br />

Hans blieb gelassen sitzen. Monika nahm ihren Mantel <strong>und</strong> kam eigentlich unerwartet zu den<br />

drei an den Tisch <strong>und</strong> verabschiedete sich <strong>von</strong> Heino <strong>und</strong> Fritz. „Hans, begleitest du mich, oder<br />

hast du doch noch etwas Wichtiges vor?“, meinte sie so ganz nebenbei. „Ich begleite dich!“<br />

Dabei war ihm ein Stein vom Herzen gefallen.<br />

Bei der Fahrt zur ihrem Elternhaus bestimmte sie den Kurs. Es lag außerhalb des Ortes, Hans<br />

mußte dabei auf <strong>die</strong> extremen winterlichen Wegverhältnisse besonders achten. „Du, Monika,<br />

ich muß mit dir sprechen!“ Er sah sie dabei forschend an. „Wenn du mich schon nicht als<br />

Fre<strong>und</strong> haben willst, dann sag es doch. Aber unterlaß bitte <strong>die</strong>se doofen Spiele!“ „Ja, aber du<br />

warst dabei auch nicht der Schlechteste!“, meinte sie <strong>und</strong> sah ihn berechnend an. Beide lachten,<br />

sie hatten einfach <strong>die</strong>selbe Wellenlänge. „Was ist, drehen wir um <strong>und</strong> nützen wir doch den<br />

angefangenen Abend!“ „Nein“, sie lächelte <strong>und</strong> verneinte dabei fre<strong>und</strong>lich mit dem Kopf, „ich<br />

habe meinen Eltern versprochen, daß ich gegen 18 Uhr zu Hause bin.“ Und kurz darauf: „Da,<br />

da mußt du links rein!“ „Was, bist du <strong>die</strong> Tochter <strong>von</strong> dem großen Bauern?“, fragte Hans<br />

erstaunt, während er <strong>die</strong> Wirtschaftsgebäude <strong>und</strong> das große Wohnhaus erblickte. „Hast was<br />

dagegen?“ „Nein, dann kommt wenigstens Geld ins Haus!“ <strong>Die</strong> beiden lachten. „Wenn du<br />

willst, kannst mich morgen gegen 17 Uhr beim Volkskino in Klagenfurt abholen, aber nur,<br />

wenn du willst!“ Sie gab Hans einen flüchtigen Kuß, öffnete <strong>die</strong> Tür. „Bis morgen, Hans!“ Sie<br />

stieg aus <strong>und</strong> rannte zu ihrem Elternhaus.<br />

Kurz danach betrat Hans wieder Martins Lokal. „Das hat aber heute nicht lange gedauert!“,<br />

rief Heino angeheitert. „Nur Geduld, Heino, es ist nicht aller Tage Abend!“, entgegnete Hans<br />

<strong>und</strong> bestellte ein großes Bier.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : J ä n n e r I I I . W o c h e<br />

D I E L I E B E ZU M O N I K A G I B T H A N S E I N E N E C H T E N<br />

L E B E N S S I N N<br />

An <strong>die</strong>sem erstem Montag nach dem Kennenlernen <strong>von</strong> Monika begann der Tagesablauf wie<br />

gewohnt: Um 7 Uhr aufstehen, frühstücken, diverse Tageszeitungen besorgen <strong>und</strong> deren<br />

Arbeitsannoncen mit viel Hoffnung stu<strong>die</strong>ren. Doch wie gehabt, es gab wieder einmal nur drei<br />

freie Stellen <strong>und</strong> <strong>die</strong> im Gastgewerbe. Er ging in <strong>die</strong> Küche, nahm noch etwas vom kalten<br />

Kaffee <strong>und</strong> versuchte gedanklich das Problem seiner Arbeitslosigkeit zu lösen. Dabei fiel ihm<br />

ein guter Bekannter ein, <strong>die</strong>ser arbeitete keine 10 Minuten <strong>von</strong> seinem Elternhaus entfernt in<br />

der Schottergrube. Hauptsächlich war Wester dort als Laderfahrer tätig, doch ab <strong>und</strong> zu<br />

be<strong>die</strong>nte er auch den Schrapper, ein Gerät, mit dem der Schotter aus dem Teich geholt wird.<br />

Hans sah aus dem Wohnküchenfenster <strong>die</strong> tief verschneite Winterlandschaft. Der weiße Schnee<br />

am südlichen Berggipfel glitzerte im zarten Sonnenlicht. Alle waren in der Arbeit oder in der<br />

Schule, das brachte ihn in Verlegenheit, vielleicht bin ich doch so ein Sozialschmarotzer, wie es<br />

Vater immer sagt. Aber der kann leicht mit dem Finger auf mich zeigen, sitzt auf einem fixen<br />

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Posten. Ich bekomme nicht einmal eine Arbeitslosenunterstützung, nun ja, ein ehemaliger<br />

Lehrling ist eben nur ein Stück Dreck.<br />

Gegen 9.30 Uhr betrat Hans <strong>die</strong> Holzbaracke in der Schottergrube. Wester saß gerade bei der<br />

Vormittagsjause. „Hallo, Wester!“, grüßte Hans fre<strong>und</strong>lich. Wester sah ihn einen Moment lang<br />

verw<strong>und</strong>ert an. „Hast du mich jetzt aber erschreckt, Hanse, du kommst mich wieder einmal<br />

besuchen, komm, setz dich!“ Wester öffnete eine Bierflasche <strong>und</strong> drückte sie Hans in <strong>die</strong> Hand.<br />

„Prost, Hanse!“, meinte er gutgelaunt, nahm seine halbvolle Bierflasche <strong>und</strong> stieß mit ihm an.<br />

„Wie geht es dir?“, fragte er, während er sich zu dem einfachen Holztisch setzte. „Komm<br />

schon, setz dich!“ Hans machte einen kräftigen Zug <strong>von</strong> seiner Zigarette. „Ja, so weit ganz gut,<br />

nur derzeit bin ich arbeitslos!“ Wester zog <strong>von</strong> seiner Zigarette, <strong>die</strong> er lässig zwischen den<br />

Lippen festhielt. Wegen dem Zigarettenrauch blinzelte er mit dem rechten Augenlid <strong>und</strong> fuhr<br />

doch unablässig mit dem Speckaufschneiden fort. „Hm“, meinte er, schüttelte gedankenvoll<br />

den Kopf. „Um <strong>die</strong>se Jahreszeit eine Arbeit finden ist nicht leicht. Du siehst ja“, er zeigte dabei<br />

auf den Teich, den man vom Fenster aus überblicken konnte, „bei uns geht es im Frühjahr erst<br />

so richtig wieder los!“ „Jetzt gibt’s bei euch auch nichts, was?“ „Nein, aber Anfang März!“,<br />

meinte Wester zufrieden lächelnd. „Wester, glaubst habe ich eine Chance, bei euch eine Arbeit<br />

zu bekommen?“ Wester sah ihn erstaunt an, danach sah er nachdenklich zum Teich hinaus, wo<br />

der große Schrapper stand. „Ich muß zuerst mit meinem Chef sprechen. Einen Schrapperfahrer<br />

werden wir auf jeden Fall brauchen. Mechaniker bist du ja auch, du könntest nebenbei<br />

Servicearbeiten durchführen, ja, ich denke, das wär’ ein Gewinn für <strong>die</strong> Firma. Und wenn du<br />

einige Überst<strong>und</strong>en machst, ver<strong>die</strong>nst du auch ganz gut.“ „Das wär’ ein Wahnsinn, Wester!“,<br />

sagte Hans freudig <strong>und</strong> trank kräftig vom Bier. „Ich mach’ das schon, Hanse, Ende Februar,<br />

Anfang März kannst sicher bei uns anfangen!“, gab Wester selbstsicher <strong>von</strong> sich. „Du, einen<br />

neuen Hasen habe ich auch aufgerissen!“ „So, wo denn?“, fragte Wester interessiert <strong>und</strong> schob<br />

ein kleines Stück Brot mit Speck in den M<strong>und</strong>. „In Komannsdorf, aber ich muß dir sagen, eine<br />

tolle Biene, echt rassig!“ „Wau...!“, entgegnete Wester, wobei er es nicht unterließ, spaßhalber<br />

einige obszöne Sprüche einzuwerfen. „Aber eines sag ich dir, Hanse! Laß dich <strong>von</strong> den<br />

Weibern nicht unterkriegen, weißt du, Frauen sind wie der Teufel!“ Hans grinste beim Zuhören<br />

schelmisch. „Du brauchst gar nicht so grinsen, du bist jetzt 18, mein Gott, 18 - wirst erst 19!“<br />

Er machte eine kleine Pause, wobei er nachdenklich lächelte. „Weißt du, in deinem Alter glaubt<br />

man, es sei alles richtig, was man so macht. Wenn man älter wird, weiß man, daß man vieles<br />

falsch gemacht hat, <strong>und</strong> keiner kann es mehr ändern!“<br />

„Ist das dein BMW?“, fragte Wester, als sie vor <strong>die</strong> Baracke gingen. „Ja, aber nur ein<br />

gebrauchter <strong>und</strong> auf Kredit!“ „Na, dann zeig’ mir, was der kann, dreh mal mit mir eine R<strong>und</strong>e<br />

in der Schottergrube!“ Das ließ sich Hans nicht zweimal sagen, Wester klammerte sich am Sitz<br />

fest <strong>und</strong> lachte begeistert, wie ein Kind auf der Hochschaubahn. Wester war damals etwa 44,<br />

sehr schlank <strong>und</strong> groß, vom Typ her ein fescher Südländer mit noch immer vollem schwarzem<br />

Haar.<br />

Gegen 15 Uhr fuhr er nach Ferlach, das etwa 5 Kilometer südöstlich <strong>von</strong> Föndach entfernt<br />

liegt, um seinen Fre<strong>und</strong> Fritz, der damals der Koch–Kellner–Lehre nachging, abzuholen. Ein<br />

dreiviertel Jahr hatte Fritz noch bis zur Facharbeiterprüfung. Und um seine Nachmittagspause<br />

<strong>von</strong> 15 bis 18 Uhr nicht ungenützt verstreichen zu lassen, traf er sich mit Hans, wie auch an<br />

<strong>die</strong>sem Montag, meist im „Kleinen Cafe“. Hans setzte sich auf den Barhocker. „Ein Bier, Evi!“<br />

„Ja, <strong>und</strong> wie geht es dir so?“, fragte <strong>die</strong> Kellnerin. „Bei mir ist jedenfalls alles in Ordnung!“,<br />

erwiderte er lächelnd. Evi war um <strong>die</strong> 50, etwas r<strong>und</strong>lich <strong>und</strong>, was für eine richtige Serviererin<br />

wichtig ist, recht gesprächig. Freilich kam es dabei des öfteren vor, daß <strong>die</strong> K<strong>und</strong>schaft, egal<br />

welchen Alters, sich bei ihr ihre Probleme <strong>von</strong> der Seele redete. „Hallo, Hanse, bist schon lange<br />

da?“, fragte Fritz, der soeben das Lokal betrat. „Hallo! Nein, bin eben erst gekommen!“ „Hast<br />

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heute was Besonderes vor, bis 18 Uhr habe ich Zeit, dann muß ich wieder arbeiten!“ „Warum<br />

bist denn so hektisch, Fritz, trink ein Bier, damit sich deine Nerven entspannen!“, meinte Hans<br />

spöttisch lächelnd. „Du mit deiner Ruhe, ich möchte gerne etwas unternehmen, <strong>und</strong> du hast <strong>die</strong><br />

Ruhe schlechthin!“, sagte Fritz sichtlich genervt. „Fritz, Hanse hat doch nur so seine Ruhe,<br />

weil er heute wieder einmal so schwer gearbeitet hat!“, sagte Evi zynisch. Im Hintergr<strong>und</strong><br />

spielte <strong>die</strong> Musikbox „The End of the World“ <strong>von</strong> Skeeter Davis. „Ja, wenn ich auch so hart<br />

gearbeitet hätte, säße ich sicher auch so locker am Hocker!“, erwiderte Fritz mit überlegenem<br />

<strong>und</strong> schadenfrohem Blick. Damit hatten sie bei Hans ins Schwarze getroffen. Doch heute nicht,<br />

dachte Hans <strong>und</strong> spöttelte: „Du hast recht, Fritz, wenn ich Kochlöffel schwingen <strong>und</strong> vielleicht<br />

auch noch Kartoffel schälen müßte, vergingen auch mir <strong>die</strong> Lachfalten!“ „Ach was, Hans, wenn<br />

du meinen Kochlöffel tragen müßtest, du hättest bestimmt schon Plattfüße!“ „<strong>Die</strong> habe ich<br />

auch so!“ Alle lachten. „Hast heute was vor, oder sollen wir so weiter blödeln?“, fragte Fritz.<br />

„Gegen 17 Uhr muß ich meinen neuen Hasen beim Volkskino abholen!“ „Evi, was sagst du,<br />

unser kleiner Hansi ist verliebt!“, meinte Fritz wieder schadenfroh <strong>und</strong> lachte. „Da kannst aber<br />

froh sein, Fritz, hast eine Konkurrenz weniger!“, sagte Evi, wobei sie neckisch mit dem Kopf<br />

nickte. Hans ging zur Musikbox, versenkte einen Fünfer <strong>und</strong> wählte <strong>die</strong> Singles „Sea Cruise“,<br />

„Runaway“, <strong>und</strong> „Long Tall Sally“. Während er langsam zur Bar zurückging, zündete er sich<br />

eine Dames an. „Hans, du hast doch nichts dagegen, wenn ich mit dir nach Klagenfurt fahre?“,<br />

fragte Fritz <strong>und</strong> trank kräftig vom Bier.<br />

Hans hatte nichts dagegen, <strong>und</strong> so verließen <strong>die</strong> beiden gegen 16.30 das Cafe. „Du, Hanse,<br />

dreh <strong>die</strong> Heizung auf, es ist ja fürchterlich kalt!“, sagte Fritz, nachdem sie ins Auto gestiegen<br />

waren <strong>und</strong> rieb sich <strong>die</strong> Hände. „Ach was, es wird dir gleich warm werden, nur ein klein wenig<br />

Geduld, Fritz!“, entgegnete er <strong>und</strong> startete den Motor. Fritz schaltete das Radio ein, schob eine<br />

Blues-Kassette ein, <strong>und</strong> auf ging’s. Jetzt wird es dir gleich sehr warm werden, dachte Hans<br />

noch <strong>und</strong> beschleunigte sehr rasch. Bei ca. 80 km/h schaltete er auf den zweiten Gang <strong>und</strong><br />

drückte voll auf’s Gaspedal, das Heck scherte aus, der BMW drehte sich einmal um <strong>die</strong> Achse,<br />

wobei der Wagen nicht <strong>von</strong> der Fahrbahn wich. Er hatte das Auto unter Kontrolle, obgleich es<br />

einige Momente nicht danach aussah. Danach fuhr er wie ein Waisenknabe weiter, nur Fritz<br />

saß am Beifahrersitz mit dem Blick eines Geistesgestörten. „Du bist ja verrückt, du bist ja<br />

betrunken, mit dem ist nicht zu spaßen!“, stotterte er. „Ich bin weder das eine noch das andere,<br />

lieber Fritz. Ich wollte nur, daß du nicht frierst!“ „Weißt du was, das nächste Mal zeigst du mir<br />

deine Kunststücke, wenn ich nicht im Auto sitze, ich möchte noch etwas länger leben!“ Er<br />

wußte, daß Fritz sicher nicht unrecht hatte, vielleicht hätte es wirklich ins Auge gehen können.<br />

Er paßte <strong>die</strong> Fahrgeschwindigkeit nun den örtlichen Straßen- <strong>und</strong> Sichtverhältnissen an.<br />

Knapp vor 17 Uhr kamen sie beim Volkskino in Klagenfurt an. Hans parkte so vor dem Kino,<br />

daß sie mit dem Vorderteil zur Straße standen <strong>und</strong> <strong>die</strong> beiden somit alles, was wichtig schien,<br />

im Blickfeld hatten. Er stellte den Motor ab. „Wir haben noch etwas Zeit!“ „Glaubst du<br />

wirklich, daß sie kommt?“, fragte Fritz etwas skeptisch. „Warum sollte sie nicht kommen, du<br />

ungläubiger Thomas. Und wenn schon“, Hans rauchte eine Dames an, „dann habe ich halt Pech<br />

gehabt!“ Doch hoffte er in Wahrheit innig, daß Monika <strong>die</strong> Verabredung einhalten würde. Und<br />

wirklich, keine Minute später sahen sie sie <strong>die</strong> Straße entlang kommen. Ihr dichtes schwarzes<br />

Haar, das bläulich schimmerte, ihre stolze Körperhaltung, <strong>die</strong>ser lockere <strong>und</strong> doch edle Gang<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong>ses ungezwungene glückliche Lächeln, als sie Hans sah, faszinierten Hans. „Ich denke,<br />

ich werde jetzt den Platz hinten einnehmen, damit du dich besser mit ihr unterhalten kannst“,<br />

sagte Fritz, öffnete <strong>die</strong> Beifahrertür, klappte <strong>die</strong> Lehne des Beifahrersitzes nach vor <strong>und</strong> setzte<br />

sich auf den Rücksitz. <strong>Die</strong> Autotür ließ er geöffnet, denn Monika kam schon. „Hallo, Hans,<br />

<strong>und</strong> du bist, glaube ich, Fritz, oder nicht?“, sagte sie fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> nahm auf dem Beifahrersitz<br />

Platz. „Grüß dich, Fräulein Monika!“, sagten <strong>die</strong> beiden beinahe im Chor. „Wie geht’s euch?“<br />

„Uns geht es gut, nur ob es dir auch so gut gehen wird, wenn wir mit dir jetzt in den Wald<br />

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fahren, ist eine andere Frage!“, meinte Hans schelmisch grinsend. „Ja, probiert es nur, mit euch<br />

werde ich auch noch fertig!“, entgegnete sie trocken. „Hans, bei der hast dich auf was<br />

eingelassen, <strong>die</strong> hat ja Haare auf den Zähnen!“, sagte Fritz lachend. Hans startete den Motor<br />

<strong>und</strong> fuhr los. „Wann mußt zu Hause sein, Monika?“, fragte er <strong>und</strong> drehte <strong>die</strong> Musikkassette<br />

um. „Heute, nun ja, etwa gegen 19.30 Uhr!“ „Gut, ich bringe Fritz nach Ferlach, dort trinken<br />

wir noch etwas <strong>und</strong> fahren dann zu dir nach Hause.“ „Zu spät darf ich auf keinen Fall zu Hause<br />

ankommen, sonst kann ich mir was <strong>von</strong> meiner Mutter anhören!“, meinte sie nun etwas ernster.<br />

<strong>Die</strong> drei betraten das „Kleine Cafe“. Evi lächelte <strong>und</strong> meinte: „Hat aber nicht sehr lange<br />

gedauert - was darf ich euch bringen?“ Fritz bestellte einen Kaffee, Monika ein Cola <strong>und</strong> Hans<br />

ein Bier. „Dich hätte ich ja nicht fragen brauchen. Eines Tages wird dir <strong>die</strong> Polizei noch den<br />

Führerschein abnehmen! So, jetzt habe ich es aber deinem Mädchen gesagt!“, meinte sie <strong>und</strong><br />

ging hinter <strong>die</strong> Bar. Hans bot Monika eine Zigarette an. „Danke, aber ich habe selbst welche.<br />

Aber du darfst eine <strong>von</strong> mir haben!“, sagte sie, nahm ihre Zigarettenpackung der Marke „HB“<br />

aus der Handtasche <strong>und</strong> reichte <strong>die</strong>se <strong>von</strong> Fritz zu Hans. „Heute rauchen wir Zigaretten <strong>von</strong><br />

Madame“, sagte Fritz, während er Monika Feuer gab. „Wenn <strong>die</strong> Buchstabenfolge bei deiner<br />

Zigarettenmarke verdreht wäre, würden <strong>die</strong> dann auch so gut schmecken?“ „Ach, du bist ein<br />

Idiot!“, meinte sie belustigt. „Du bist doch <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>in <strong>von</strong> Hans, oder?“, sagte Evi, während<br />

sie <strong>die</strong> Getränke an den Tisch brachte. „Naja“, entgegnete Monika ein wenig zögernd, „so gut<br />

kennen wir uns noch nicht, aber er ist mir zur Zeit recht sympathisch!“ Evi musterte Monika<br />

mit festem Blick. „Hans braucht einen Menschen, auf den er hört, ich denke, man könnte aus<br />

ihm noch einen recht passablen Menschen machen!“ „Nichts, ist er schon!“, warf Hans<br />

spöttisch dazwischen. „Frau Evi, ich denke, es ist eine recht gemütliche Atmosphäre hier in<br />

<strong>die</strong>sem Lokal!“ „Ja, Monika, wir können doch per Du sein, oder?“ „Natürlich, Evi!“, stimmte<br />

sie fre<strong>und</strong>lich zu. Evi lächelte zufrieden <strong>und</strong> ging zur Bar. „Monika, du brauchst ihr nicht alles<br />

zu glauben, sie ist ein sehr sensibles altes Weiblein!“, meinte Hans <strong>und</strong> trank einen kräftigen<br />

Schluck vom Bier. Monika zog genauso kräftig an ihrer HB <strong>und</strong> musterte Hans tiefernst. Fritz<br />

ging zur Musikbox, um ein paar schwungvolle Singles aus den Sechziger <strong>und</strong> Siebziger Jahren<br />

zu wählen. „Hans“, sagte Monika plötzlich, „mußt du immer einen Fre<strong>und</strong> um dich haben? Ich<br />

möchte, daß du mich heute allein nach Hause fährst!“ Na, <strong>die</strong> geht es aber scharf an, dachte er<br />

<strong>und</strong> entgegnete: „Daß ich dich heute allein nach Hause bringe, war bei mir schon eingeplant.<br />

Fritz muß jetzt wieder arbeiten gehen. Er arbeitet dort in dem Hotel als Kochlehrling!“ Hans<br />

zeigte dabei zur Wand, womit er natürlich <strong>die</strong> Richtung andeuten wollte. „Aber wenn du es<br />

möchtest, können wir gleich aufbrechen!“ Monika nahm seine Hand: „So habe ich es doch<br />

nicht gemeint!“ Fritz kam zum Tisch <strong>und</strong> trank seinen Kaffee aus. „So, Hans, ich gehe, sonst<br />

störe ich euch zwei noch!“, meinte er verständnisvoll, wobei er Hans zweideutig zublinzelte<br />

<strong>und</strong> zur Bar ging. „Ach was, wir gehen, Monika!“ Hans bezahlte <strong>und</strong> ging mit ihr aus dem<br />

Lokal.<br />

Sie fuhren in Richtung Ludmannsdorf. Hans wechselte <strong>die</strong> Musikkassette, denn schließlich<br />

mußte man <strong>die</strong> knisternde Stimmung mit „Ramblin Rose“ <strong>von</strong> Louis Armstrong antörnen.<br />

„Monika, ich muß dir sagen, Evi ist mir zwar recht sympathisch, doch ab <strong>und</strong> zu tötet sie mir<br />

den Nerv!“, sagte er ernst. Er war überzeugt, daß Evi ihm da einen Minuspunkt eingebracht<br />

hatte. „Aber Hans, sie meint es doch gar nicht so, du verstehst sie falsch. Glaube mir, du bist<br />

ihr sehr sympathisch, das habe ich doch bemerkt!“, entgegnete sie überzeugt. „Sie braucht mir<br />

keinen Oberlehrer zu spielen, den habe ich schon zu Hause, mein Vater, ach was!“ „Hast<br />

Probleme mit deinem Vater?“ „<strong>Die</strong> habe ich schon, seit ich auf <strong>die</strong>ser Welt bin. Weißt du,<br />

zeitweise geht mir das Leben auf <strong>die</strong> Nerven. Ich finde einfach keinen Sinn, <strong>und</strong> zur Zeit bin ich<br />

auch noch arbeitslos!“ „Na <strong>und</strong>, mein Bruder ist es auch, der macht sich darüber aber keine<br />

Sorgen!“ Sie lächelte dabei. „Der hat wahrscheinlich auch nicht so einen doofen Vater wie<br />

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ich!“ Hans nahm jetzt seine Packung Dames <strong>und</strong> bot ihr eine an. „Nein, danke!“ „Welchen<br />

Beruf hat dein Bruder erlernt?“, fragte er, während er seine Zigarette anrauchte.<br />

„Landmaschinenmechaniker!“ „Da haben wir ja denselben Geschmack, ich habe Kfz-<br />

Mechaniker gelernt! Nur, seit einem Monat bin ich arbeitslos!“ „So, <strong>und</strong> weshalb, wenn <strong>die</strong>se<br />

Frage erlaubt ist?“ „Um es kurz zu sagen, ich sehe meine Vorgesetzten nicht als Obrigkeit an.<br />

Für mich sind sie wie ich. Ich respektiere <strong>und</strong> befolge strikt ihre Anweisungen. Doch<br />

demütigen oder beleidigen lasse ich mich keineswegs, selbst wenn ich dabei meinen Job<br />

verliere!“ „Der stolze Siegfried!“, warf sie lachend dazwischen. „Ja, ich möchte nur wissen,<br />

was du sagen würdest, wenn du in deiner Lehrfirma nach dem <strong>Die</strong>nstschluß noch<br />

Reinigungsarbeiten erledigen müßtest. Wenn anstatt des 8-St<strong>und</strong>en-Tages, noch zwei St<strong>und</strong>en<br />

unbezahlt draufgehen. Nebenbei kontrolliert der Chef noch deinen Haarschnitt, deine Schuhe<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Sauberkeit deiner Füße!“ „Hast schon was <strong>von</strong> der Gewerkschaft gehört?“ „Habe ich,<br />

nur du kannst mir glauben, <strong>von</strong> den Lehrlingen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> sozialdemokratischen Gewerkschafter<br />

vertreten haben, habe ich nichts mehr gehört. <strong>Die</strong> waren innerhalb <strong>von</strong> 14 Tagen ihren Job los.<br />

Na, <strong>und</strong> dann ignoriert der Boss noch <strong>die</strong> fre<strong>und</strong>lichen Grüße seiner sogenannten<br />

Untergebenen, das war für mich zuviel!“ „Und dann hast gekündigt!“ „Nein, ich habe ihn auch<br />

ignoriert, ihn nicht mehr gegrüßt! Natürlich darf so etwas in einem Obrigkeitsstaat wie<br />

Österreich nicht vorkommen. Ich wurde vom Werkmeister ermahnt!“ Er nahm dabei einen<br />

kräftigen Lungenzug. „Zu guter Letzt schaffte er Ordnung, indem er einen geeigneten<br />

Kündigungsgr<strong>und</strong> fand!“ „So, <strong>und</strong> welchen?“ „Autowaschen im Krankenstand!“ <strong>Die</strong> beiden<br />

sahen sich an <strong>und</strong> lachten. Sie fuhren bei Feistritz über <strong>die</strong> Draubrücke, doch anstatt in<br />

Richtung Komannsdorf, ging’s über Felsach zu einer gut getarnten Waldlichtung für Verliebte,<br />

<strong>die</strong> um <strong>die</strong>se Jahreszeit nur mit besonderer Vorsicht angefahren werden konnte. Hans kannte<br />

<strong>die</strong>sen Platz schon seit seiner Volksschulzeit, er war <strong>von</strong> der Schule in Ludmannsdorf durch<br />

Wegabschneiden über <strong>die</strong>se Waldlichtung nach Felsach gegangen, <strong>von</strong> wo er dann nach<br />

Oberndorf hinauf mußte. Doch nun versuchte er, <strong>die</strong>se wildromantische Winterlandschaft für<br />

<strong>die</strong> schönen Dinge des Lebens zu nutzen. „Und was wird das, wenn du fertig bist!“, meinte sie<br />

schnippisch, als sie den Zusammenhang erkannte. „Jetzt bist du dran!“, entgegnete er trocken,<br />

aber schelmisch lächelnd. „Ttth..., wer‘s glaubt, wird selig!“, meinte sie gelangweilt. Er mußte<br />

auf <strong>die</strong>sem Feldweg mit festgewalztem Schnee höllisch aufpassen. Es wäre bestimmt kein<br />

Honiglecken gewesen, das Auto <strong>von</strong> der mit 30 cm Schnee bedeckten Wiese wieder auf den<br />

Feldweg zu karren. Beim Waldrand hielt er an, stellte den Motor ab, dämpfte seine Zigarette<br />

im Aschenbecher ab. „So, auf geht’s, Mausi!“ Beide lächelten belustigt <strong>und</strong> küßten einander.<br />

Zuerst mit Vorsicht, <strong>die</strong> sich <strong>von</strong> Minute zu Minute <strong>und</strong> <strong>von</strong> Sek<strong>und</strong>e zu Sek<strong>und</strong>e in enorme<br />

Leidenschaft verwandelte. Im Hintergr<strong>und</strong> spielte <strong>die</strong> Single „A Chi“ <strong>von</strong> Fausto Leali <strong>und</strong><br />

andere, <strong>die</strong> <strong>die</strong> beiden in eine verzauberte Welt versinken ließen. Und als <strong>die</strong> Musikkassette zu<br />

Ende war, tastete Hans ganz vorsichtig zum Radio, doch Monika kuschelte sich so geschickt<br />

an ihn, daß es unmöglich war, das Radio zu erreichen, ohne <strong>die</strong> zärtlichen Bande zu lösen. Er<br />

versuchte sie sanft wegzuschieben, doch genauso sanft hielt sie ihn fest. „So, das hast du nun<br />

da<strong>von</strong>, du kleiner Playboy. Junge Mädchen verführen, <strong>und</strong> jetzt kannst nicht einmal <strong>die</strong><br />

Kassette umdrehen!“ Sie lachte dabei aus vollem Herzen. „Das wird sich gleich herausstellen!“,<br />

entgegnete er. <strong>Die</strong> beiden begannen zu raufen <strong>und</strong> lachten vergnügt. Mit sehr viel Mühe<br />

schaffte er es dann doch, <strong>die</strong> Kassette zu wenden. „Also, Mausi“, sagte er <strong>und</strong> lächelte<br />

verschmitzt, „wenn du schon so keck bist, dann zieh doch deine Bluse aus, oder bist du dazu<br />

zu feige!“ Jetzt oder nie, das war seine Devise. Sie richtete sich zurecht, so als müsse alles<br />

seine Ordnung haben in <strong>die</strong>sem großen Welttheater. Wortlos öffnete sie <strong>die</strong> Knöpfe <strong>und</strong> streifte<br />

<strong>die</strong> Bluse ab. Dabei sah sie ihn erwartungsvoll an. „Ach so, ja, das hätte ich ja beinahe<br />

vergessen.“ Sie lächelte selbstbewußt, öffnete den BH <strong>und</strong> legte <strong>die</strong>sen mit überwältigender<br />

Sinnlichkeit ab. Hans sah sie fasziniert an, ihr w<strong>und</strong>erschöner voller Busen zählte sicher zu den<br />

großen. Im Hintergr<strong>und</strong> erklang <strong>die</strong> Single „Stand by me“. Hans war <strong>von</strong> ihrem Körper schwer<br />

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beeindruckt, das schwarze Haar fiel wie das eines Engels über ihre w<strong>und</strong>erschönen, r<strong>und</strong>en<br />

Schultern. „Na, auf was wartest du, zieh dein Hemd aus, oder bist zu feige!“ <strong>Die</strong> geht’s aber<br />

an, dachte er <strong>und</strong> kam ihrer Aufforderung nach. Daß ich dich so schnell bekomme, hätte ich<br />

mir nie träumen lassen, schoß es Hans hocherfreut in den Kopf. Sie ließen ihrer Leidenschaft<br />

freien Lauf, küßten <strong>und</strong> streichelten einander. Hans wollte den nächsten Schritt einleiten.<br />

Langsam tasteten seine Finger zu dem Reißverschluß ihrer Jeans, doch bevor er ihn öffnen<br />

konnte, schob sie seine Hand sanft, aber bestimmt weg. Langsam wurde ihm bewußt, daß sie<br />

auf <strong>die</strong>sen Moment wie eine Katze gelauert hatte. „Monika, du bist wie eine Wildkatze, <strong>die</strong><br />

ihrem Opfer keine Chance läßt!“, sagte er liebevoll. Sie setzte sich auf seinen Schoß, küßte <strong>und</strong><br />

streichelte ihn. Hans versuchte den zweiten Anlauf, er setzte seine ganze Leidenschaft sowie<br />

sämtliche Tricks ein, um endlich <strong>die</strong> Wende herbeizuführen. Doch so gut er sein Spiel auch zu<br />

beherrschen meinte, sie ließ ihn einfach nicht über <strong>die</strong> nächste Bastion. „Wieso willst du<br />

nicht?“, fragte er resigniert <strong>und</strong> startete den Motor, es war kühl geworden. „Ich will nicht<br />

gleich mit dir ins Bett gehen. Wenn es andere vielleicht tun, ich nicht! Und wenn du mich<br />

haben willst, dann mußt du warten!“, meinte sie ernst. Hans sah sie verw<strong>und</strong>ert an, mit <strong>die</strong>ser<br />

Haltung hatte er nicht gerechnet. „Wie spät ist es, Hans?“ Sie nahm seine linke Hand <strong>und</strong> sah<br />

auf <strong>die</strong> Armbanduhr. „Bitte bring mich nach Hause, ich darf nicht zu spät kommen, sonst kann<br />

ich etwas hören <strong>von</strong> meinen Eltern.“<br />

Rasch zogen sie sich an, <strong>und</strong> als Hans das Licht einschaltete, stellten sie mit Verw<strong>und</strong>erung<br />

fest, daß es kräftig zu schneien begonnen hatte. Er stieg aus <strong>und</strong> putzte den Schnee <strong>von</strong> den<br />

Scheiben <strong>und</strong> dem Dach. Langsam <strong>und</strong> mit viel Gefühl fuhr er rückwärts, denn um umzudrehen<br />

war <strong>die</strong> Gefahr, im Schnee hängenzubleiben, zu groß. Doch auf halbem Wege drehten <strong>die</strong><br />

Antriebsräder durch. „So, jetzt haben wir den Salat, jetzt hängen wir!“, sagte er verärgert.<br />

„Hoffentlich komm’ ich nicht zu spät nach Hause“, erwiderte Monika ängstlich. Hans<br />

versuchte es mit Schneewalzen <strong>und</strong> fuhr kurz vor <strong>und</strong> zurück, doch es klappte nicht. „Ich habe<br />

noch ein altbewährtes Hausmittel, hoffen wir, daß es auch <strong>die</strong>smal hilft!“ Er stieg aus, nahm<br />

eine alte Decke aus dem Kofferraum <strong>und</strong> schob sie unter <strong>die</strong> Hinterräder. <strong>Die</strong> Antriebsräder<br />

griffen, <strong>und</strong> als sie endlich auf der Straße waren, meinte Monika: „Gott sei Dank!“ „Es gibt<br />

keinen Gott!“, entgegnete Hans überzeugt. „Doch, ich glaube an Gott, <strong>und</strong> du kannst mir ganz<br />

sicher nicht das Gegenteil beweisen“, meinte sie bestimmt. „Du mir auch nicht. . .“<br />

Dichter Schneefall beeinträchtigte <strong>die</strong> Sicht. „In welche Lehre gehst du, Monika?“ „Ich bin ein<br />

Schneiderlehrling im ersten Lehrjahr“, entgegnete sie heiter. „Das ist aber seltsam, <strong>die</strong> meisten<br />

Mädchen sind in der Friseur- oder Verkaufsbranche tätig, <strong>und</strong> du möchtest unbedingt ein<br />

tapferes Schneiderlein werden. Das paßt doch gar nicht zu deinem Wesen. Außerdem habe ich<br />

gedacht, <strong>die</strong>ser Beruf sei schon ausgestorben.“ „Ach was, du verstehst doch nichts <strong>von</strong><br />

unserem Beruf. Mir gefällt er, man braucht dazu Kreativität, es ist immer wieder was Neues.<br />

Aber sag, was hast du mit deinem Vater?“ „Ach, wir können uns gegenseitig nicht ausstehen,<br />

jetzt, wo ich <strong>die</strong> Lehre nicht ganz abgeschlossen habe <strong>und</strong> keiner geregelten Arbeit nachgehe,<br />

hat er natürlich einen w<strong>und</strong>erbaren Angriffspunkt gef<strong>und</strong>en. Er spricht <strong>von</strong> Schmarotzer <strong>und</strong><br />

Tachinierer, dabei war er, ja, das ist lange her, auch schon arbeitslos.“ „Meine Eltern sind da<br />

nicht so hart. Werner kann ein recht bequemes Leben in der Wintersaison führen. Nun, ich<br />

denke, <strong>die</strong> ältere Generation lebt, um zu arbeiten, während wir arbeiten, um zu leben!“ „Ja,<br />

aber was soll das, ich koste den Steuerzahler keinen Groschen, wenn ich ein wenig<br />

Taschengeld brauche, steckt es mir Mutter zu. Mein Gott, ich werde es ihr ja auch wieder<br />

zurückzahlen!“ Er zog jetzt kräftig <strong>von</strong> seiner Zigarette, <strong>die</strong>ses Gespräch hatte ihn aufgewühlt.<br />

„Der Druck <strong>von</strong> Vater wird auch immer stärker, ich halte es keine 10 Minuten mit ihm unter<br />

einem Dach aus!“ „Hans, du wirst eine Arbeit finden <strong>und</strong> es wird sich alles wieder beruhigen!<br />

Nicht vorbeifahren, da hättest du einbiegen sollen!“, warf sie noch rasch dazwischen <strong>und</strong> zeigte<br />

auf den Weg, der rechts durch Komannsdorf führt. „Sollen ist gut, aber zu spät!“, entgegnete<br />

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er lächelnd, fuhr zurück <strong>und</strong> nahm Kurs zu ihrem Elternhaus. „Morgen nicht, aber am<br />

Mittwoch, wenn du willst!“, sagte Monika, als sie ausstieg. „Ja, am Mittwoch um <strong>die</strong>selbe Zeit<br />

beim Volkskino!“ Noch ein flüchtiger Kuß, <strong>und</strong> ab ging’s in <strong>die</strong> elterliche Heia.<br />

Hans fuhr noch auf einen Moment nach Ferlach, um das „Kleine Cafe“ aufzusuchen. In <strong>die</strong>sem<br />

herrschte mittlerweile Hochbetrieb. „Hey Hanse, seit du den neuen Hasen hast, läßt dich<br />

überhaupt nicht mehr blicken!“, rief Heino. „Ach, du mit deinem Schmäh!“, entgegnete Hans<br />

schelmisch <strong>und</strong> ging zu ihm an <strong>die</strong> Bar. „Ich denke, <strong>die</strong> ist viel zu schade für dich!“, meinte<br />

wiederum Evi. „Wenn du denkst, ich kann ihr ja morgen den Laufpaß geben!“, entgegnete er<br />

verärgert. „Mußt du immer so schnell in <strong>die</strong> Luft gehen?“, sagte sie, sah ihn vorwurfsvoll an<br />

<strong>und</strong> schenkte ein Bier für ihn ein. „Wie geht es dir? Läßt Karin fragen!“, meinte Heino recht<br />

spöttisch. „Sie kann mir gestohlen bleiben!“ Karin war <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>in <strong>von</strong> Hans gewesen. Sie<br />

war 16, bildhübsch, schlank, ein dunkler Typ <strong>und</strong> besuchte das Gymnasium. „Mich geht es ja<br />

nichts an, aber warum bist du nicht mehr mit ihr zusammen?“, fragte Evi neugierig. „Weil sie<br />

mit mir nicht ins Bett geht, alles klar?“ Es folgte schallendes Gelächter. „Hahaha, zwei Monate,<br />

<strong>und</strong> wenn sie dann nicht liegt, dann ist es aus!“, warf Heino dazwischen. „Genau, du hast es<br />

erfaßt, Heino, ich brauch doch keine Heilige!“ Evi stellte Hans das Bier vor <strong>die</strong> Nase. „Das<br />

muß ich Monika sagen, wär doch schade, wenn <strong>die</strong> fesche Braut <strong>von</strong> unserer Seite<br />

verschwände!“, meinte Heino belustigt <strong>und</strong> doch ernst.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : J ä n n e r I I I . W o c h e<br />

S I E H I E L T E N B E N ZI N D I E B S T Ä H L E F Ü R L A U S B U B E N S T R E I C H E<br />

Der Mittwoch verlief wie gewohnt, natürlich stu<strong>die</strong>rte Hans sämtliche Arbeitsannoncen, doch<br />

wie schon bisher - wieder nichts.<br />

Für 17 Uhr hatte er ein Treffen mit Monika vor dem Volkskino in Klagenfurt vereinbart. <strong>Die</strong><br />

beiden fuhren zum „Kleinen Cafe“ nach Ferlach. „Ach, <strong>die</strong> Familie <strong>Beschulnig</strong>, ich begrüße!“,<br />

sagte Heino lächelnd, als sie eintraten. <strong>Die</strong> beiden grüßten ebenso fre<strong>und</strong>lich. „Heino dürft ihr<br />

heute nicht so ernst nehmen, er hat euch beide in Abwesenheit vermählt!“, meinte Evi. Und in<br />

der Tat, er tanzte vor der Bar einen Schritt vor <strong>und</strong> einen zurück, dabei gestikulierte er weich<br />

zu der Single „Blaues Meer“ <strong>von</strong> Lale Andersen. „Daß du schon unter <strong>die</strong> Pfaffen gegangen<br />

bist, ist mir neu!“ „Heute ist der Tag, an dem ich mich dazu berufen fühle!“ Hans <strong>und</strong> Monika<br />

setzten sich an den ersten Tisch neben der Bar. „Einen Kaffee, bitte, Evi!“ „Setz dich doch zu<br />

uns, Heino, deine Beine werden immer kürzer!“ Heino tat so, als würde er entsetzt zu seinen<br />

Beinen schauen. „Ach was, der Hanse nützt schon wieder meine ausgesprochen schlechte<br />

körperliche Konstitution, - eh, oder wie der Käse heißt, für seine Späße!“, entgegnete er <strong>und</strong><br />

setzte sich zu den beiden an den Tisch. „Heino, heute müssen wir wieder dringend tanken!“<br />

„Ja, ich bin ja voll dabei, oder?“ „Ja, aber bei der Nachtzapfsäule!“ „Na klar, mir ist heute<br />

sowieso danach, wird ein Mordsspaß, wirst sehen!“, sagte Heino <strong>und</strong> trank einen kräftigen<br />

Schluck vom Bier. „Aber der George geht schon mit, der ist ein ausgesprochener Spezialist!“<br />

„Ja, Heino, ruf ihn gegen 21 Uhr an, wir holen ihn ab.“ „Wieso so spät?“ „Weil ich Monika<br />

nach Hause bringen muß!“ Er hatte <strong>die</strong>sen Satz noch gar nicht zu Ende gesprochen, da kam<br />

Karin an den Tisch. „Servus Hansi, wie geht’s?“ „Danke der werten Nachfrage, darf ich dir<br />

meine Fre<strong>und</strong>in Monika vorstellen!“, entgegnete Hans schlagfertig. „Hallo“, sagte sie zu<br />

Monika. „Wußte gar nicht, daß du eine neue Fre<strong>und</strong>in hast, Hansi!“, meinte sie überrascht.<br />

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„Tja, das ist Schicksal!“, sagte er trocken. Karin sah Monika mit stechendbösem Blick an.<br />

„Ciao, Hansi, aber überleg es dir!“, sagte sie ein wenig außer sich <strong>und</strong> verließ das Lokal.<br />

„Warum ist <strong>die</strong> so böse auf mich?“ „Du hast ihren Platz an der Seite <strong>von</strong> Hanse<br />

eingenommen!“, warf Heino belustigt grinsend dazwischen. „<strong>Die</strong> ist aber eifersüchtig, möchte<br />

nur wissen, worauf!“, meinte sie spöttelnd. „Haha“, lachte Heino, „das hast schon richtig<br />

gemacht. <strong>Die</strong> ist doch nur ein eingebildeter Trampel. Glaubt, daß sie etwas besseres sei, nur<br />

weil sie das Gymnasium besucht. Monika ist H<strong>und</strong>ert zu Eins gegen sie!“ „Oh, danke für <strong>die</strong><br />

Blumen, lieber Heino!“, warf Monika keck ein, während sie mit dem Kopf eine höfliche<br />

Verbeugung andeutete. „Nichts zu danken, das nächste Mal gibt’s einen Lastwagen voll!“<br />

Es war so gegen 21.30 Uhr, als George gerade ein Auto vor seinem Elternhaus anhalten sah.<br />

Er wußte, es konnte sich nur um Hans <strong>und</strong> Heino handeln <strong>und</strong> eilte ihnen sofort entgegen.<br />

Heino öffnete <strong>die</strong> Beifahrertür. „George, was hast denn heute, hat dich eine Tarantel<br />

gestochen?“ Er stieg aus <strong>und</strong> klappte <strong>die</strong> Lehne vor. „Grüß euch“, gab George keuchend <strong>von</strong><br />

sich, während er auf dem Rücksitz Platz nahm.<br />

George, der wie <strong>die</strong> beiden den Beruf des Kfz-Mechanikers erlernt hatte, war arbeitslos. Und<br />

er hatte mit seinen Eltern deswegen ebenfalls große Probleme. Heute war der Tag, an dem<br />

wieder einmal der Treibstoff für das Auto illegal besorgt werden mußte. Es war wirklich so,<br />

daß <strong>die</strong> drei <strong>die</strong>se Straftat als Abenteuer, Mutprobe betrachteten. Nichts anderes als ein<br />

Lausbubenstreich, beschädigt wurde dabei natürlich kein Auto, nur eine Menge Benzin mußte<br />

daran glauben.<br />

George saß stumm auf dem Rücksitz, der hat heute wieder einen Vogel, dachte Hans. Sie<br />

fuhren in Richtung Kerschen, zu dem großen Gasthaus, dessen Besitzer auch ein großes<br />

Schotterwerk (Baggersee) sein Eigen nennen durfte. „Wenn Fritz jetzt wüßte, daß wir<br />

demnächst auch bei seiner Arbeitsstätte Benzin zapfen werden, könnte er mit seinen Plattfüßen<br />

nicht mehr ruhig beim Herd stehen!“, sagte Hans etwas trocken. Alle drei lachten. „Wie<br />

werden wir es dort machen?“, fragte George. „George, du wirst das Benzin abzapfen, während<br />

Heino einen Betrunkenen mimt, nun, ich denke, heute brauchst dich ja nicht sehr anstrengen,<br />

Heino!“ „Sei still, sonst kriegst gleich eine Genickschelle!“, gab Heino <strong>von</strong> sich. „Nun, er wird<br />

torkeln <strong>und</strong> singen, nur wenn Heino zu jodeln <strong>und</strong> jauchzen beginnt, ist was faul! Ich werde<br />

den Parkplatz überwachen, sollte irgenwo dicke Luft eintreten, werde auch ich jodeln <strong>und</strong><br />

jauchzen!“ „Ja, Heino, wirst dir auch wirklich nicht schwer tun!“, gab nun auch George ätzend<br />

<strong>von</strong> sich. „Halt doch deine blöde Froschgosch’n!“, schimpfte Heino verärgert. Heino wechselte<br />

<strong>die</strong> Musikkassette. „So eine Scheiß-Kassette, wenn du <strong>die</strong> noch einmal spielst, werf ich sie<br />

beim Fenster raus!“ „Heino, weißt du, was ich vergessen habe?“ „Sag bloß, <strong>die</strong> Kanister?“<br />

Hans verringerte <strong>die</strong> Geschwindigkeit, schaltete auf den ersten Gang zurück, zog <strong>die</strong><br />

Handbremse <strong>und</strong> drückte kräftig auf das Gaspedal, der BMW drehte sich um 180 Grad, auf<br />

ging’s zurück in Richtung Föndach. „Wenn du so weitermachst, bist du bald unser zweiter<br />

George!“, meinte Heino. „Kein gutes Omen, nein, das ist kein gutes Omen! Wir sollten es<br />

heute besser lassen!“, sagte George verunsichert. „Du Idiot, bist vielleicht auch noch<br />

abergläubisch. Wie soll uns denn der Hans zu den Wirten transportieren, mit Ziegenmilch etwa,<br />

was?“ „Ach was, wird schon schiefgehen, beruhigt euch wieder“, warf Hans dazwischen.<br />

Zuhause angekommen, holte er drei 20–Liter–Kanister <strong>und</strong> etwa eineinhalb Meter vom<br />

Gartenschlauch. „Also, was ist, machen wir es heute oder nicht?“ „Was du heute kannst<br />

besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!“, sagte Heino grinsend. „Ja, ich bin auch dabei,<br />

aber ich übernehme keine Verantwortung, Hans!“ „Also gut, auf geht’s!“ Mit röhrendem<br />

Spruch zog der BMW aus Föndach ab.<br />

Sie parkten an einer unauffälligen Stelle vor dem Hotelparkplatz in Ferlach. Ein günstiger Ort,<br />

um sich jederzeit unbemerkt zurückziehen zu können. Heino bezog Position vor dem<br />

Hoteleingang <strong>und</strong> lallte: „Ein Männlein steht im Walde, ganz still <strong>und</strong> stumm!“ Hans<br />

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überwachte <strong>die</strong> Rückseite der Anlage, <strong>und</strong> George ging mit Kanister <strong>und</strong> Gartenschlauch zum<br />

ersten Auto. Beim ersten Kanister verlief alles nach Plan. George verstaute <strong>die</strong>sen im<br />

Kofferraum <strong>und</strong> begann den zweiten zu füllen. Doch plötzlich kamen einige Gäste aus dem<br />

Hoteleingang. Heino hätte spätestens jetzt Alarm in Form <strong>von</strong> Jauchzen oder Jodeln schlagen<br />

müssen. Doch er lehnte lässig an einem Baum <strong>und</strong> blieb bei: „Ein Männlein steht. . .“ . Ist der<br />

verrückt, warum schlägt er nicht Alarm, dachte Hans <strong>und</strong> rannte rasch zu George. „George,<br />

schnell hinter das Gebüsch, da kommen Gäste“, sagte er nervös keuchend. Sie versteckten sich<br />

mit Benzinkanister <strong>und</strong> Schlauch hinter dem Gebüsch. Doch <strong>die</strong> Gäste, zwei Frauen <strong>und</strong> zwei<br />

Männer, kamen ausgerechnet zu dem Auto, an dem sie gerade gezapft hatten. Nur ruhig Blut,<br />

dachten sie. Drei <strong>von</strong> denen setzten sich ins Auto, doch der vierte kam unerwartet nahe zu dem<br />

Gebüsch, hinter dem Hans <strong>und</strong> George saßen. Sein Blick schweifte suchend über den<br />

Parkplatz, dabei pinkelte er gelassen <strong>und</strong> ausgiebig in das Gebüsch. Danach setzte er sich auch<br />

zu den Wartenden ins Auto, <strong>und</strong> ab ging’s. „Jetzt ist es aus, da mache ich nicht mehr mit, der<br />

hat uns ja beinahe angepinkelt, Hans!“, meinte George sichtlich geschockt. „Wirst doch<br />

deswegen keinen Schüttelfrost haben!“ „Nein, aber <strong>die</strong> kommen nicht weit, ich habe ihnen fast<br />

das ganzen Benzin abgezapft!“ „Na ja, haben sie halt einen schlechten Tag erwischt, so etwas<br />

soll schon mal vorkommen!“ George ging mit dem Kanister zum Auto, Hans eilte zu Heino,<br />

der noch immer laut <strong>und</strong> falsch den Song vom „Männlein im Walde“ vor sich hin lallte.<br />

Anscheinend hatte er <strong>von</strong> dem ganzen Geschehen auf dem Parkplatz nichts mitbekommen.<br />

„Hör auf zu singen, du betrunkener Blödel!“, schrie plötzlich <strong>die</strong> Köchin, <strong>die</strong> <strong>die</strong>nstfrei hatte,<br />

vom Fenster des ersten Stockes. Dabei konnte sie gerade noch erkennen, wie George mit<br />

einem Kanister in der Dunkelheit verschwand. „Halt dein dickgefräßiges Maul!“, schrie Heino<br />

aus Leibeskräften hinauf zu ihr. „Komm Heino, laß doch, gehen wir!“, sagte Hans, nur jetzt<br />

keinen Blödsinn machen. „Ach, jetzt erkenne ich euch, ihr seid doch aus Föndach. Wußte<br />

nicht, daß ihr auch schon Benzin stehlt!“, schrie sie zornig runter. „Was sagst du da, du blöde<br />

Ziege! Meh, meh!“, meckerte Heino nun auch noch hinauf, <strong>und</strong> weiter: „Eure Gaststube<br />

betrete ich, wenn du <strong>Die</strong>nst hast, nicht mehr!“ Hans zerrte Heino in Richtung Auto. „Daß ihr<br />

es gleich wißt, ich werde euch anzeigen!“ „Tu, was du nicht lassen kannst, du Trampel! Es<br />

wird sich schon noch bei der Verhandlung herausstellen!“, schrie Heino <strong>und</strong> wollte schon<br />

wieder zurücklaufen, doch Hans hielt ihn zurück.<br />

„Na, ich habe doch schon vorher gesagt, daß es heute nicht klappt!“, meinte George, als <strong>die</strong><br />

beiden zum Auto kamen. <strong>Die</strong> drei fuhren rasch ab, erst auf der Hauptstraße drehte Hans das<br />

Licht an. Und um nicht einer Polizeistreife, <strong>die</strong> vielleicht schon <strong>von</strong> der Köchin alarmiert<br />

worden war, in <strong>die</strong> Hände zu fallen, verließen sie <strong>die</strong> Hauptstraße <strong>und</strong> fuhren über Feldwege<br />

<strong>und</strong> Seitenstraßen in Richtung Föndach. „Von dem Benzinzapfen müssen wir in Zukunft unsere<br />

Finger lassen, <strong>die</strong> werden auf uns jetzt lauern!“ „Ja, aber da hinten wartet noch ein leerer 20–<br />

Liter–Kanister auf Füllung!“, meinte Hans grinsend. „Nein, ich nicht mehr!“, warf George<br />

wiederum dazwischen. „Wenn wir schon künftig unsere Finger da<strong>von</strong> lassen, so wär’ es doch<br />

ratsam, wenn wir heute noch einen anzapfen!“, sagte Heino, er machte dabei einen nüchternen<br />

Eindruck. „So, <strong>und</strong> wen?“, fragte Hans. „Bei unserem ehemaligen Schulkollegen, sein<br />

Elternhaus ist gleich da vorne, er spürt es doch nicht, wenn wir uns ein wenig ausleihen, ohne<br />

ihn zu fragen!“ Beim Vorbeifahren konnten sie feststellen, daß <strong>die</strong> Doppelgarage noch nicht<br />

fertiggestellt war, es fehlten noch Fenster <strong>und</strong> Tore. Zwei Autos standen drin. „Hoffentlich hat<br />

unser Fre<strong>und</strong> sein Auto vollgetankt!“, meinte Hans <strong>und</strong> hielt etwa zweih<strong>und</strong>ert Meter nach<br />

dem Haus an. „Wenn nicht, das Auto <strong>von</strong> seinem Vater ist ja auch noch da!“, meinte Heino,<br />

<strong>die</strong>se Aktion schien ihn erst recht zu fordern. „Ich mach nicht mehr mit!“, sagte George nervös.<br />

„Brauchst auch nicht, bleib im Auto, sonst machst dich noch an“, entgegnete Heino<br />

verächtlich. „Ach da, <strong>die</strong> Herrschaften sind noch auf!“, meinte er weiters in Bezug auf den<br />

Lichtschein aus dem vorderen Fenster. Doch zuerst füllten sie 20 Liter Benzin in den BMW,<br />

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um beim letzten Mal wenigstens kräftig zuschlagen zu können. Danach ging es recht rasch, <strong>die</strong><br />

Autos <strong>von</strong> Vater <strong>und</strong> Sohn mußten je 20 Liter Benzin spenden.<br />

„Na lieber George, hast dich vom Schrecken schon erholt?“, fragte Heino zufrieden lachend.<br />

„Gott sei Dank war es das letzte Mal!“ „Du bist ein abergläubischer Mensch!“, meinte Hans.<br />

„<strong>Die</strong> Kanister kannst nicht bei dir verstauen, Hans!“, sagte Heino nachdenklich. „Ja, <strong>die</strong><br />

Gendarmerie könnte auf <strong>die</strong> dumme Idee kommen <strong>und</strong> bei mir danach suchen!“ Sie verstauten<br />

<strong>die</strong> 3 vollen Kanister bei Fritz in der Garage, bei ihm würde man es am wenigsten vermuten.<br />

Den Gartenschlauch zum Abzapfen warfen sie einfach weg, es durfte kein Beweismaterial<br />

vorhanden sein.<br />

Tags darauf, Donnerstag, der übliche Tagesablauf. Nur als Hans sich mit Fritz nach 15 Uhr im<br />

„Kleinen Cafe“ traf, erzählte er ihm <strong>von</strong> dem Vorfall <strong>und</strong> daß sie das abgezapfte Benzin bei ihm<br />

in der Garage versteckt hätten. „Ich weiß, es wird dir nicht recht sein. Aber deine Eltern<br />

schauen in der Garage sowieso nicht nach!“ „Ja, du hast schon recht!“, sagte Fritz <strong>und</strong> nickte.<br />

„Und du glaubst nicht, daß sie doch auch bei mir suchen?“ „Ich leg’ <strong>die</strong> Hand ins Feuer, dazu<br />

kommt es nicht!“ Hans zog jetzt nachdenklich <strong>von</strong> der Zigarette. „<strong>Die</strong> Köchin hat George zwar<br />

mit dem Kanister gesehen, doch in der Dunkelheit nicht erkannt, sie vermutet nur einen<br />

gewissen Zusammenhang. Doch daß du in unserer Clique bist, das ist ihr fremd. Im Gegenteil,<br />

du solltest dich umhören, um den aktuellen Stand zu erfahren!“ „Ja, daß ich zur Clique <strong>von</strong><br />

Föndach gehöre, da<strong>von</strong> weiß sie nichts, doch <strong>die</strong> Evi weiß es!“ „Ja schon, aber glaubst du<br />

wirklich, daß sie der Gerüchtebörse alles abnimmt?“ „Ja, du hast recht, aber ich werde zu<br />

Hause nachsehen, ob ihr <strong>die</strong> Kanister wohl gut verstaut habt!“ „Hallo Fritz, na, Hans, wie geht<br />

es dir? Du hast es dir schon überlegt!“, sagte Karin, <strong>die</strong> eben ins Cafe gekommen war, <strong>und</strong><br />

setzte sich zu den beiden an den Tisch. „<strong>Die</strong> Schule ist aus, was!“, meinte Hans schelmisch.<br />

„Karin, was bekommst du?“, rief Evi <strong>von</strong> der Bar aus. „Ein Cola!“ Sie wandte ihren Blick zu<br />

Fritz: „Und wie geht es dir, habt ihr viel zu tun?“ „Fritz kommt schon am Zahnfleisch daher, du<br />

siehst doch, wie weiß er im Gesicht ist!“, meinte Hans amüsiert <strong>und</strong> trank einen kräftigen<br />

Schluck vom Bier. „Mir geht’s gut, Karin, nur dein Exfre<strong>und</strong> geht mir auf den Leim!“ Hans<br />

ging mit einem Fünfer spielend zur Musikbox, warf ihn ein <strong>und</strong> wählte „Maybelline“, „Yakety<br />

Yak“ <strong>und</strong> „Keep On Knockin“. „N 26, bitte!“, rief ihm Karin zu. „Zu spät, meine Liebe, ich<br />

habe schon gewählt!“ „Zu spät meine Liebe, ich habe schon gewählt, das klingt so<br />

zweideutig!“, meinte sie ernst, während Hans zu ihnen an den Tisch kam. Sie zog lässig an der<br />

Zigarette. „Er spricht doch andauernd <strong>von</strong> dir!“, warf Fritz hinterfotzig ein. „Das ist nicht<br />

wahr, Karin. Ich erwähne dich nicht mehr. Aber ich denke, wir bleiben trotzdem gute<br />

Fre<strong>und</strong>e!“ „Du hast Gefallen an ihr gef<strong>und</strong>en, Hans, doch ich denke, sie ist ein leichtes<br />

Mädchen. Und intelligent ist sie ja auch nicht gerade, oder?“, meinte sie zynisch. „So, Karin,<br />

dein Cola!“, sagte Evi <strong>und</strong> stellte eines auf den Tisch. „Evi, was sagst du zu seiner neuen<br />

Liebe?“ „Also - ich finde, sie ist genauso nett wie du, Karin!“, entgegnete sie trocken <strong>und</strong> ging<br />

zur Bar. „Jetzt möchte ich wissen, was ich falsch gemacht habe, Hansi!“ Sie sah ihn dabei<br />

traurig an. „Nichts, wirklich nichts, ich will halt nicht mehr mit dir gehen!“ „Ich habe doch<br />

meinen Eltern erzählt, daß wir beide zusammen sind, Hans!“ „Ach, deine Eltern sind mir egal,<br />

besonders dein Vater, <strong>die</strong>ser eingebildete Zöllner. Ist auch einer, der um 50 Jahre zu spät auf<br />

<strong>die</strong>sen Planeten gekommen ist!“, entgegnete er zynisch. Es gab nun eine längere Pause<br />

zwischen den beiden. „Warum sagst du nichts mehr, Hans?“ „Ich denke, es gibt nichts mehr zu<br />

sagen.“ Karin sprang auf. „Sie hat dich verhext!“, schrie sie voll Zorn. „Sie ist eine Hexe, ja,<br />

eine Hexe, <strong>und</strong> ich hasse sie!“ Sie eilte zur Garderobe, nahm ihren Mantel <strong>und</strong> verließ das<br />

Cafe. Hans trank vom Bier <strong>und</strong> dachte: Warum bin ich so, sie liebt mich, doch ich habe<br />

keinerlei Gefühle für sie. Na ja, dann war <strong>die</strong>se Fre<strong>und</strong>schaft doch nur einseitig, wäre auf<br />

Dauer nicht gutgegangen. „Komm, wir gehen an <strong>die</strong> Bar!“, sagte Fritz, um <strong>die</strong> nachdenkliche<br />

Stimmung zu unterbrechen. Hans war einverstanden. „Gib mir noch ein Bier, Evi!“ Er nahm<br />

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seine Packung Dames <strong>und</strong> klopfte eine Zigarette mit einer für Raucher typischen Bewegung zu<br />

einem Drittel aus der Packung. Zuvorkommend gab ihm Evi <strong>die</strong>smal Feuer. „Na, was sagt ihr<br />

zu Karin?“ „Ach was, sie wird es überstehen!“, meinte Evi <strong>und</strong> stellte ein Bier auf <strong>die</strong> Bar.<br />

„Was mich stört, ist, daß du wohl gar nichts ernst nimmst, was!“ „Warum auch, Evi, über alles<br />

kann man lachen, sogar über den Tod. <strong>Die</strong> Menschen bewerten einfach vieles falsch. Es gibt<br />

Völker auf <strong>die</strong>ser Welt, <strong>die</strong> feiern den Tod eines Menschen wie einen Geburtstag!“ „Karin mag<br />

dich sehr, <strong>und</strong> du redest so einen Blödsinn daher!“ „Na <strong>und</strong>!“, warf er jetzt zornig dazwischen.<br />

„Eines möchte ich dir noch zu <strong>die</strong>sem Thema sagen, Hans. Wenn bei einem Menschen <strong>die</strong><br />

Liebe eingeschlagen hat, dann steht er im Licht, <strong>die</strong> ganze Welt, das Leben wird plötzlich so<br />

schön. Man lebt <strong>und</strong> weiß, wofür!“ Sie hielt kurz inne, hielt das Glas, das sie polierte, gegen<br />

das Licht <strong>und</strong> meinte weiters: „Doch wehe dem, dem das Licht der Liebe abgedreht wird. Dem<br />

wird auch der Glaube an <strong>die</strong>se Welt, <strong>die</strong>ses Leben genommen - der steht im Dunkeln!“ Sie<br />

sprach auf ihn ein, wie eine Mutter auf ihren Sohn. „Ach was, ich werde ihr halt eine<br />

Taschenlampe kaufen!“, war Hans’ Antwort.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : J ä n n e r I I I . W o c h e<br />

D I E K O N F L I K T E M I T V A T E R W E G E N S E I N E R<br />

A R B E I T S L O S I G K E I T<br />

Es war ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt an <strong>die</strong>sem Donnerstagabend, <strong>die</strong> elterliche<br />

Wohnküche gerade während der Anwesenheit des Vaters zu betreten. <strong>Die</strong>ser saß in der blauen<br />

Arbeitsmontur beim Abendessen. Gierig löffelte er mit finsterem, mürrischem Blick <strong>die</strong> Suppe.<br />

„Guten Abend!“, grüßte Hans fre<strong>und</strong>lich. „Guten Abend“, erwiderte Vater mit einem Blick der<br />

Verachtung. Hans ging zu Mutter, <strong>die</strong> beim Herd stand. „Hallo, wie geht es dir?“ „Hans, ich<br />

muß dir etwas sagen!“, meinte sie ernst. „Na, hast du noch immer keine Arbeit, du<br />

Schmarotzer!“, sagte Vater mit enormer Lautstärke. „Ja, das ist es, was ich dir sagen wollte,<br />

du mußt unbedingt eine Arbeit aufnehmen. Es wird langsam unerträglich. Immer wenn du nicht<br />

da bist, muß ich den Kopf für dich hinhalten. Wie komme ich dazu, ich habe doch genug<br />

Sorgen. Hansi, bleib wenigstens ein paar Tage zu Hause. Den ganzen Tag herumstreunen, das<br />

bringt doch nichts!“, meinte sie resigniert. Hans setzte sich wortlos zu Vater an den Tisch.<br />

„Na, kannst nicht einmal dein Maul aufmachen, du Zigeuner! Den ganzen Tag nichts arbeiten,<br />

<strong>von</strong> der Mutter leben, wie ein Känguruhbaby!“, schrie er <strong>und</strong> schob den leeren Suppenteller<br />

weg. „Solche Menschen wie du sind unterm Hitler zum Arbeits<strong>die</strong>nst gekommen. Ja, <strong>die</strong> haben<br />

wenigstens gewußt, wie man Faulpelze behandelt, <strong>die</strong> hätten auch dich kleingekriegt!“ In Hans<br />

begannen <strong>die</strong> Gedanken zu kreisen. Der stellt sich das so einfach vor, dachte er. Warum geht er<br />

andauernd auf Mutter los, wenn ich nicht zu Hause bin. Hitler, so ein Blödsinn, mein Vater ist<br />

schon total verkalkt, am liebsten wär mir, wenn er endlich seinen M<strong>und</strong> halten würde. Mutter<br />

kam mit einem Teller Fleischknödel, stellte ihn vor Vater auf den Tisch. „Mahlzeit, ich hoffe<br />

sie schmecken dir!“, sagte sie sichtbar ängstlich <strong>und</strong> frustriert. „Mahlzeit, ja, Prost Mahlzeit,<br />

das ist der wahre Ausdruck für so einen Taugenichts!“, schrie er <strong>und</strong> schlug mit der Faust so<br />

auf den Tisch, daß <strong>die</strong> Teller beinahe zerbrachen. Jetzt dreht er schon komplett durch, dachte<br />

Hans. „Ich beginne Anfang März in der Schottergrube!“, sagte Hans, er wollte endlich Ruhe<br />

haben. „So, in der Schottergrube, <strong>und</strong> was machst du in der Zwischenzeit? Jetzt arbeitest du<br />

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schon über einen Monat nichts. In der Zwischenzeit sollen wir dich wohl aushalten, was!“<br />

Scheinbar belustigt <strong>und</strong> doch verärgert schüttelte er den Kopf. Dabei kaute er genüßlich einige<br />

Stücke <strong>von</strong> den Fleischknödeln, um Mutter zu zeigen, daß sie ausgezeichnet schmecken. Ja, so<br />

einfach stelle ich es mir vor, dachte Hans. „Ich warne dich, Hans, wenn du nicht bald einer<br />

Arbeit nachgehst, werde ich andere Seiten aufziehen!“, meinte Vater nun scheinbar ruhig <strong>und</strong><br />

beherrscht. „Ja, er wird gleich wieder zu arbeiten beginnen, dafür werde ich schon sorgen!“,<br />

sagte Mutter <strong>und</strong> trug den leeren Suppenteller <strong>von</strong> Vater zur Abwasch. „Sorgen sagst du, du<br />

sorgst für ihn <strong>und</strong> willst dafür sorgen!“, schrie er sie an. „Jetzt ist es aus mit dem Sorgen, er ist<br />

alt genug, <strong>und</strong> du stellst mir über <strong>die</strong> Monatsausgaben eine genaue Aufstellung auf!“ Dabei sah<br />

er Hans mit haßerfülltem Blick an. „Wir werden ja sehen, wie weit er kommt!“, schrie er<br />

Mutter an. Er nickte mit dem Kopf, so, als wäre das der Weisheit letzter Schluß. „So muß ich<br />

es mit dir machen, Hans! Vielleicht sind deine Fre<strong>und</strong>e so blöd <strong>und</strong> bezahlen Benzin <strong>und</strong><br />

Sauferei. Ich jedenfalls bin nicht bereit, deine Faulheit auch noch zu unterstützen!“, meinte er<br />

nun wieder ruhig <strong>und</strong> gelassen. „Ihr bekommt doch <strong>die</strong> Unkosten wieder rückerstattet, wenn<br />

ich demnächst einer Arbeit nachgehen werde!“ „Hm, hm, <strong>die</strong> Unkosten, das ist gut, aber daran<br />

glaubst du wohl selbst nicht, was? Ich sage dir, du bist zu faul, du willst gar nicht arbeiten!“,<br />

schrie er <strong>und</strong> schlug wie ein Verrückter mit der Faust auf den Tisch, so daß dabei <strong>die</strong><br />

Fleischknödel einen Salto schlugen. Doch er beherrschte sich wieder, seine Stirn legte sich in<br />

nachdenkliche Falten. Er stocherte in seinen durch den Salto schwer beschädigten<br />

Fleischknödeln <strong>und</strong> meinte in ruhigem Tonfall: „Weißt du Hans, als ich <strong>und</strong> deine Mutter<br />

geheiratet haben, hatten wir nichts, dann bist du auf <strong>die</strong> Welt gekommen, <strong>und</strong> glaube mir, wir<br />

haben alles getan, daß es euch nicht so ergeht wie uns. Ich konnte es mir nicht leisten, einmal<br />

nicht am Arbeitsplatz zu erscheinen. Ich mußte eine Familie mit dem Wenigen, das wir hatten,<br />

über <strong>die</strong> R<strong>und</strong>en bringen. Das waren damals noch härtere Zeiten, nicht so wie heute, der Alte<br />

wird schon zahlen. Ich konnte es mir jedenfalls nicht leisten. Und wenn ich es gemacht hätte,<br />

würden wir heute noch immer in einem Untermietzimmer leben. Du siehst doch, Hans, was ich<br />

<strong>und</strong> deine Mutter geleistet haben, wir haben es für euch <strong>Kinder</strong> getan. Das Haus <strong>und</strong> der<br />

Gr<strong>und</strong>, das ist doch alles für euch. Man darf doch wenigstens verlangen, daß du arbeitest. Du<br />

bist aus der Lehre geflogen, nun, <strong>die</strong> Prüfung kannst du ja trotzdem machen, aber du mußt<br />

endlich selbständig handeln. Deine eigene Existenz aufbauen. Wenn du so weitermachst, wirst<br />

du niemals selbständig!“ „Das ist mir schon klar, aber eines muß ich dabei auch festhalten. Auf<br />

das Haus <strong>und</strong> auf euren Gr<strong>und</strong> pfeife ich. Ich nehme es nicht. Du sagst ja immer, es ist für uns,<br />

ihr macht alles nur für uns <strong>Kinder</strong>. Wer, so frage ich, hat denn beim Bau des Hauses geholfen,<br />

während meine kleinen Geschwister noch Sand gespielt haben? Wer hat denn nach der Schule<br />

beim Hausbau <strong>und</strong> auch bei anderen Arbeiten unter Androhung <strong>von</strong> Schlägen helfen müssen,<br />

während meine Schulfre<strong>und</strong>e baden gingen? Das Haus ist für euch, für euer Prestige. Ihr könnt<br />

es damit kräftig aufpolieren. Ich war es, der euch helfen mußte wie ein Sklave. Wenn ich nicht<br />

wollte, weil ich als Kind schon wußte, daß es nie für mich sein wird, bekam ich Ohrfeigen oder<br />

wurde sogar mit Ruten gezüchtigt. Damals begann es in meinem Hinterkopf zu arbeiten,<br />

weshalb <strong>und</strong> warum!“, sagte Hans. Endlich war es einmal draußen, denn <strong>die</strong>ses andauernde<br />

„Für euch“ <strong>und</strong> so weiter machte ihn schon krank. Er wollte nichts geschenkt bekommen, <strong>und</strong><br />

schon gar nicht <strong>von</strong> seinem Vater. „Über das Was <strong>und</strong> Warum, darüber denkst du nach. Der<br />

Mensch muß etwas leisten. Jedes Tier leistet etwas, jede Ameise, jede Biene, <strong>und</strong> auch der<br />

Mensch muß seinen Beitrag leisten. Und wenn er nichts tut, so ist er eine Kreatur, wie du. Ein<br />

Taugenichts, ein Schädling der Gesellschaft. Über deinen Ausspruch, daß du auf das Haus<br />

pfeifst, kann ich nur sagen, du sprichst im jugendlichen Leichtsinn, sei vorsichtig mit deinen<br />

lockeren Sprüchen!“, entgegnete er recht ruhig <strong>und</strong> stand auf. „Mutter, ich gehe in den Keller,<br />

ich muß das Werkzeug wegräumen!“<br />

„Der kommt mir vor wie ein Schimpanse nach einem Elektroschock!“, sagte Hans, nachdem<br />

Vater gegangen war. „Menschen mit Tieren zu vergleichen!“ „Du mußt eine Arbeit annehmen,<br />

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Vater ist wegen dir schon unerträglich geworden!“ „Ja, wenn es so einfach wär, ich würde im<br />

Versandhaus eine Arbeit bestellen! Aber mach dir keine Sorgen, ich werde tun, was ich kann!“<br />

„Möchtest du auch Fleischknödel?“ „Nein danke, mir schmeckt heute nichts mehr!“<br />

*<br />

D e r K e lln e r S i e g f ri e d<br />

Hans ging bis Samstag nicht mit Monika <strong>und</strong> seinen Fre<strong>und</strong>en aus. Arbeitsplatz fand er trotz<br />

intensiver Bemühungen keinen. Und so dachte er in den zwei Tagen besonders über sich <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Lebenseinstellung seines Vaters nach. <strong>Die</strong>se dumme materialistische <strong>und</strong> nur auf Leistung<br />

sowie Fortpflanzung bezogene Sinngebung war für ihn einfach nicht tragbar. Außerdem, Hans<br />

mit einem Tier in der freien Wildbahn zu vergleichen, das für sich selbst zu sorgen habe, war<br />

unlogisch. Wie sollte denn der besitzlose Mensch für sich sorgen? Er darf ja nicht einfach auf<br />

<strong>die</strong> Felder gehen, um dort Früchte für den Eigenbedarf anzupflanzen. <strong>Die</strong> Ausgangsposition<br />

eines solchen Menschen ist eher mit der eines Haustieres zu vergleichen. Man ist in <strong>die</strong>ser Welt<br />

nur ein Produktionsfaktor, man sitzt in einem Käfig. <strong>Die</strong>s wird sich in Zukunft bei <strong>die</strong>ser<br />

Bevölkerungsexplosion extrem verstärken.<br />

Nach dem Mittagessen ging Hans zu Mutter, sie stand gerade bei der Abwasch, „Mutter,<br />

kannst mir bitte ein wenig Geld borgen? Ich gehe heute aus!“ „Ja, fünfzig Schilling, aber<br />

versprich mir, daß du bald wieder einer Arbeit nachgehst, du weißt ja, Vater will jetzt sogar<br />

mein Geld überprüfen. Ich kann dir nicht andauernd Geld zuschieben!“ Sie nahm ihre<br />

Geldbörse <strong>und</strong> gab ihm einen Fünfziger. „Danke, du wirst sehen, nächste Woche werde ich<br />

arbeiten“, meinte er, obgleich ihm bewußt war, daß <strong>die</strong>ses Versprechen nicht leicht umzusetzen<br />

war.<br />

Hans fuhr mit dem Auto zum Wirt, der keine zweih<strong>und</strong>ert Meter <strong>von</strong> seinem Elternhaus<br />

entfernt war. Es war wieder ein w<strong>und</strong>erschöner, aber kalter Wintertag, <strong>die</strong> Straße trocken <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Felder mit einer dicken Schneematte überzogen. <strong>Die</strong> liebe Sonne leistet heute wieder tolle<br />

Arbeit, dachte er, als er ins Gastzimmer eintrat. „Hallo, Siegfried, wie geht es dir?“, fragte er<br />

den jungen Kellner <strong>und</strong> setzte sich auf einen Barhocker. „Grüß dich, <strong>Beschulnig</strong>, bist schon<br />

auf, was trinkst?“, fragte Siegfried mit einem verschlafenen Gesichtsausdruck. „Wie immer!“<br />

„Das war vielleicht ein Freitag, Hanse. Sei froh, daß du nicht in <strong>die</strong>ser Branche tätig bist!“,<br />

sagte er <strong>und</strong> füllte ein Bierglas. „Ich glaube es dir, denn wenn ich dein Gesicht so ansehe, so<br />

muß ich sagen, es spricht wieder einmal Bände!“ Hans nahm eine Zigarette. Siegfried stellte<br />

das Bier auf <strong>die</strong> Bar, ging zur Musikbox, schaltete sie ein, worauf <strong>die</strong>se zu spielen begann.<br />

„Siehst, Hanse, <strong>die</strong> Betrunkenen haben wieder so viele Singles gewählt. Aber das macht nichts,<br />

dafür haben wir einen Ohrenschmaus, <strong>und</strong> noch dazu gratis!“ Er lachte dabei in seinen dichten<br />

Schnurrbart <strong>und</strong> ging betont langsam hinter <strong>die</strong> Bar. „Was machen deine Hasen, Siegfried?“,<br />

fragte Hans schelmisch lächelnd. „Na sowas, das mußt gerade du mich fragen“, entgegnete<br />

<strong>die</strong>ser <strong>und</strong> nahm feierlich einen Zug <strong>von</strong> seiner Marlboro. „Na, mit Karin ist es aus, habe ich<br />

gehört!“ Dabei ließ er den Zigarettenrauch ringförmig in <strong>die</strong> Höhe steigen. „Ach, das macht<br />

nichts, Siegfried, außerdem habe ich einen neuen Hasen!“ „Ja, habe ich gehört, ich hoffe, du<br />

kommst mit ihr heute in <strong>die</strong> Disco!“ „Ja, aber nimm sie mir nicht gleich weg, <strong>die</strong> ist ziemlich<br />

fesch!“, meinte Hans fre<strong>und</strong>lich. „Dir kann man doch keine Mädchen wegnehmen, Hansi!“<br />

„Na, bei dir wär’ ich mir nicht so sicher!“, entgegnete Hans <strong>und</strong> dämpfte seine Zigarette aus.<br />

„Wo warst denn gestern?“ „Ach weißt du, Sigi, ich hatte wieder einmal Ausgangssperre <strong>von</strong><br />

meinem Papi!“ „Ach, <strong>die</strong> berühmten Tobsuchtsanfälle vom alten <strong>Beschulnig</strong>!“ „<strong>Die</strong> Platte<br />

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hängt, Sigi, <strong>die</strong> Platte hängt!“ Siegfried ging langsam zur Musikbox, so, als ob er ihr nochmals<br />

eine Chance geben wollte, doch <strong>die</strong> Nadel blieb in der Rille. Einen Meter vor der Box hielt er<br />

an <strong>und</strong> sagte: „Na, willst du nicht?“ Er drosch mit dem rechten Fuß in <strong>die</strong> Musikbox, machte<br />

eine Kehrtwendung <strong>und</strong> schlug mit dem linken nach, oder besser, aus wie ein Pferd. Es<br />

krachte, <strong>die</strong> Musikbox gab irre Geräusche <strong>von</strong> sich, der Tonkopf übersprang dabei sämtliche<br />

Rillen. „Warum nicht gleich so?“, meinte er trotzig, <strong>die</strong> Single spielte weiter, als wäre nichts<br />

geschehen. „Hallo, grüß euch!“, sagte George, der soeben ins Lokal kam. „Oh, der liebe<br />

George, schon ausgeschlafen!“, sagte Sigi. „Ja gestern, das war wieder ein schwarzer Tag, wie<br />

kann sich ein Mensch nur so betrinken! Sei froh, Hanse, daß du nicht dabei gewesen bist!“<br />

George setzte sich rechts neben Hans auf den Barhocker. „Weißt du schon das Neueste,<br />

Hanse?“ Hans zuckte zusammen, er dachte an das Benzinzapfen. „Brauchst dich nicht so<br />

erschrecken, der Föndacher Discokeller hat seit gestern wieder seinen Betrieb aufgenommen!“<br />

„Ja, das hat mir schon Sigi erzählt, ich dachte schon - naja, du weißt schon!“, sagte er etwas<br />

unsicher <strong>und</strong> trank einen großen Schluck vom Bier. „Nein, da<strong>von</strong> gibt’s nichts Neues, ich<br />

denke, <strong>die</strong> Geschichte wird im Sande verlaufen!“ „Was bekommst du, George?“ „Ein Cola, ich<br />

trinke heute nur Cola, der Mensch muß sich ja regenerieren!“ „George, halt deine Ohren offen,<br />

sie werden bald eine andere Taktik einschlagen.“ „Von was redet ihr denn, oder darf ich es<br />

nicht wissen?“, fragte Sigi neugierig. „Vom Benzinzapfen!“, sagte George <strong>und</strong> zog genüßlich<br />

an seiner Zigarette. So ein Idiot, dachte Hans, jetzt spricht er auch schon bei Sigi offen da<strong>von</strong>.<br />

„Wieso, ist etwas schiefgelaufen?“, fragte Sigi <strong>und</strong> stellte das Cola auf <strong>die</strong> Bar. Hoffentlich hält<br />

Sigi zu uns, dachte Hans, schließlich müssen es ja nicht alle wissen.<br />

Siegfried, meist Sigi genannt, wurde in <strong>die</strong>se Geschichte eingeweiht. Als Kellner des neuen<br />

Dorfgasthauses <strong>und</strong> des Discokellers, übrigens auch eine umgebaute Garage, doch schon<br />

wesentlich extravaganter als <strong>die</strong> in Komannsdorf, war er so etwas wie der magische<br />

Mittelpunkt für <strong>die</strong> Jugend aus Föndach <strong>und</strong> der weiteren Umgebung geworden. Er war zirka<br />

32 Jahre alt, recht schlank, 175 cm groß, hatte langes, dichtes schwarzes Haar, ein Italo-Typ<br />

halt mit Schnurrbart.<br />

Der Discokeller <strong>von</strong> Föndach - im weiten Umkreis gab es damals für <strong>die</strong> Jugend nur <strong>die</strong>sen<br />

eleganten Treff. Zwar hatte Hans Monika in dem Discokeller <strong>von</strong> Komannsdorf kennengelernt,<br />

doch <strong>die</strong>ser wurde nur für besondere Anlässe geöffnet. Der in Föndach hingegen hatte jetzt<br />

täglich geöffnet. Er war etwa 80 m 2 groß <strong>und</strong> hatte schon <strong>die</strong> übliche Einrichtung, wie Bar <strong>und</strong><br />

Barhocker. In der Mitte war <strong>die</strong> Tanzfläche <strong>und</strong> um <strong>die</strong>se U-förmig <strong>die</strong> Sitzplätze angeordnet.<br />

Rechts vor der Bar stand <strong>die</strong> Musikbox.<br />

Bei einer „gewöhnlichen“ Fahrzeugkontrolle entdeckten <strong>die</strong> Gendarmen einen kurzen, zum<br />

Benzinzapfen zu kurzen, Gartenschlauch <strong>und</strong> nahmen Hans mit auf den Posten in Feistritz.<br />

„Wir werden den Gartenschlauch in ein Labor nach Wien einschicken. So können wir deine<br />

Benzin<strong>die</strong>bstähle beweisen!“ Hans ließ sich <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Drohung nicht beirren, spielte das<br />

unschuldige Schäflein <strong>und</strong> unterschrieb erst das Protokoll, nachdem seine Aussage exakt<br />

festgehalten worden war.<br />

*<br />

M a rt i n , d e r W i rt s s o h n a u s K o m a n n s d o rf<br />

Gegen 15 Uhr betrat Hans mit George das Gasthaus <strong>von</strong> Martins Eltern in Komannsdorf. Hans<br />

hatte mit Monika eine Verabredung. Sie gingen zur Bar. „Wirtshaus!“, schrie George. „Bist<br />

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verrückt, willst uns gleich unbeliebt machen!“, sagte Hans verärgert. „Ich will mich nicht<br />

unbeliebt machen, aber ein Wirtshaus ohne Kellnerin, wo gibt’s denn so was?“ „Seid ihr<br />

betrunken, oder was?“, sagte plötzlich der junge Bursch, der <strong>von</strong> der Küche kam. Er hieß<br />

Martin, war etwa 17 Jahre alt <strong>und</strong> schon 180 cm groß, <strong>von</strong> kräftiger, aber doch sportlicher<br />

Figur <strong>und</strong> gab nach außen einen recht feschen Eindruck ab. „Halt dein Maul, oder bist du der<br />

Chef, was!“, konterte George. „Der Chef nicht, aber sein Sohn!“, meinte der Angesproche<br />

gelassen <strong>und</strong> ging hinter <strong>die</strong> Theke. „Und du bist der Fre<strong>und</strong> <strong>von</strong> Monika, oder?“ „Wieso weißt<br />

du das?“, entgegnete Hans erstaunt. „Man weiß. Was bekommt ihr?“ „Gib uns zwei Bier!“,<br />

sagte Hans <strong>und</strong> zog an seiner Dames. „Normalerweise müßtest du ja meinem Kollegen wegen<br />

seinem kecken Mündchen eine Limonade servieren! Aber das macht nichts, er heißt nämlich<br />

George, <strong>und</strong> ich bin der Hanse!“ „Hallo, <strong>und</strong> ich bin der Martin, ich denke, wir werden uns<br />

jetzt des öfteren sehen!“ Martin schien sich dabei sichtlich zu freuen. „Das glaube ich auch,<br />

wenn wir nicht vorher Lokalverbot bekommen.“ „Na ja, wenn das so ist, dann können wir ja<br />

Hans aus unserer Clique streichen. Monika ist wirklich ein Typ, mit dem man Pferde stehlen<br />

kann!“, meinte George. „Das ist sie, ja, das ist sie!“, meinte wiederum Martin zustimmend<br />

nickend. „Jaja, das ist für euch drei typisch!“, sagte Monika schelmisch lächelnd, sie war eben<br />

ins Lokal gekommen <strong>und</strong> hängte ihren Mantel auf <strong>die</strong> Garderobe. „Einen Kaffee, bitte, Martin!<br />

Na, heute bist aber wieder gut gelaunt, was, Hansi?“ „Sag bloß, daß das seine neue Fre<strong>und</strong>in<br />

ist, Martin!“ „Wieso, kennst sie nicht, ich dachte, sie wär ein Typ mit dem man Pferde stehlen<br />

kann!“ „Nur vom Hören, Martin!“, flüsterte George, als Monika zu ihnen an <strong>die</strong> Theke kam.<br />

„Was gibt’s denn da für ein Gefasel!“, sagte sie keck. „Hanse, ich glaube, <strong>die</strong> hat Haare auf den<br />

Zähnen!“, meinte George <strong>und</strong> grinste ihr dabei breit ins Gesicht. „Martin, gib mir noch ein<br />

Bier!“ „Gleich, George, ich gebe nur schnell Monika den Kaffee!“ Monika gab zwei Stück<br />

Würfelzucker hinein. „Hansi, ist das der Vogel George, den ich das letzte Mal im Fernsehen<br />

gesehen habe?“ Sie sah dabei George abwartend an. „Ja, genau, bei der ‘Gute-Nacht-Sendung’<br />

habe ich ihn gesehen!“ Martin füllte belustigt grinsend ein Glas mit Bier für George. Hans zog<br />

genußvoll <strong>von</strong> seiner Zigarette, alles wartete gespannt auf Georges Reaktion. Und tatsächlich,<br />

in seinem Kopf begann es zu arbeiten, er mußte jetzt schnell zurückschießen. „Nein, liebe<br />

Monika, das stimmt nicht, ich spiele nicht im Fernsehen für <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>. Ich spiele Kasperl in<br />

der Schlucht, <strong>und</strong> du bist, soviel ich mich erinnern kann, <strong>die</strong> Gretl, oder?“ „Daß es so etwas<br />

gibt, ich wußte ja, daß ich dich <strong>von</strong> irgendwo kenne!“ „Deine Haare auf den Zähnen würde ich<br />

gerne putzen!“, meinte nun George selbstsicher. „Ich würde mir lieber <strong>die</strong> eigenen putzen,<br />

ansonsten fallen sie dir noch eines Tages aus!“, entgegnete sie schelmisch. „Hanse, <strong>die</strong> mußt du<br />

zähmen, es wird nicht leicht sein, aber es wird dir nicht erspart bleiben.“ „Wer wen zähmen<br />

wird, das, lieber George, wird <strong>die</strong> Zukunft noch weisen!“, meinte sie selbstbewußt. Alle lachten<br />

<strong>und</strong> sahen Hans an, <strong>die</strong>ser nickte nachdenklich. „Und sonst hast du nichts mehr zu sagen!“,<br />

meinte George <strong>und</strong> brüllte wie ein Verrückter vor Lachen.<br />

*<br />

D e r A u s f lu g zu m B e rg w i rt n a c h O b e rn d o rf<br />

Wenig später beschlossen sie, einen kleinen Ausflug hinauf nach Oberndorf zu veranstalten.<br />

Das Lachen wird dem Blirtz schon noch vergehen, dachte Hans, er startete den BMW, <strong>die</strong>ser<br />

schnurrte tief <strong>und</strong> behaglich. „Ist der Spruch toll, was!“, meinte er nicht ohne Stolz. „Mit <strong>die</strong>ser<br />

Auspuffanlage kann man einen Esel zum Elefanten machen!“, meinte George noch überlegen<br />

grinsend. Hans spielte zwischendurch mit dem Gaspedal, <strong>und</strong> wenn der Motor vom<br />

behaglichen Schnurren einer Hauskatze zu dem wilden Gebrüll eines Löwen überging, glänzten<br />

seine Augen. Monika startete den Kassettenrecorder mit der Single „Save The Last Dance For<br />

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Me“ <strong>von</strong> den Drifters, sie schien sich über <strong>die</strong> beiden sichtlich zu amüsieren, man konnte es an<br />

ihrem Gesichtsausdruck ablesen. „Wußte gar nicht, daß wir denselben Geschmack haben!“,<br />

meinte Hans <strong>und</strong> fuhr langsam los. „Wieso nicht, sind recht schwungvoll, deine<br />

Musikkassetten.“ „Es wär aber besser, du würdest etwas Beruhigendes spielen, du wirst es<br />

nämlich gleich brauchen!“, sagte George belustigt grinsend. Hans hielt vor der Hauptstraße an,<br />

überzeugte sich, ob er in <strong>die</strong>se einfahren konnte. Danach gab es kräftiges Gaspedaldrücken, der<br />

120 PS starke Motor heulte auf, das Heck scherte etwas nach rechts aus. Hans stieg vom<br />

Gaspedal, er wußte, <strong>die</strong>smal durfte er nicht zum äußersten gehen. <strong>Die</strong> Straße war stellenweise<br />

wieder glatt. Doch <strong>die</strong>ser Nervenkitzel, <strong>die</strong>ses Ziehen in den Fingerspitzen, das auch ein<br />

Vibrieren sein konnte, ließ ihn nicht los. Er kannte <strong>die</strong> Strecke in- <strong>und</strong> auswendig. „Fahr doch<br />

nicht so schnell!“, sagte Monika, <strong>die</strong> ihn dabei ängstlich ansah. „Dreh <strong>die</strong> Musik lauter, das<br />

beruhigt!“, sagte George grinsend. „Du brauchst keine Angst zu haben, Monika. Das sind doch<br />

nur Kleinigkeiten!“, sagte Hans. Er hatte erreicht, was er wollte. Doch <strong>die</strong>smal wollte er genau<br />

wissen, wie weit er mit seinen Fahrkünsten gehen durfte. Er gab dem BMW <strong>die</strong> Sporen, als ob<br />

es um viel Geld ginge. <strong>Die</strong> kurvenreiche Strecke schaffte er mühelos, dann kam <strong>die</strong> lange<br />

Gerade, der Geschwindigkeitsmesser stieg kontinuierlich an. Er wußte, daß danach eine sehr<br />

gefährliche Rechtskurve folgte, <strong>die</strong> kein Ende zu nehmen schien <strong>und</strong> deswegen schon einige<br />

das Leben gekostet hatte. Doch bei der langen Geraden stieg ihm anscheinend der<br />

Geschwindigkeitsrausch zu Kopf. Mit enormem Tempo rasten sie auf <strong>die</strong> gefährliche<br />

Rechtskurve zu. George, der schon einiges <strong>von</strong> Hans gewohnt war, schrie plötzlich: „Hanse,<br />

bist du verrückt!“ Wie auf Kommando stieg <strong>die</strong>ser vom Gaspedal, schaltete auf den dritten<br />

Gang zurück, bremste vorsichtig, doch <strong>die</strong> Geschwindigkeit war viel zu hoch, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Kurve<br />

kam rasch näher. Scheiß Kurve, dachte er, aber ich muß es schaffen, sonst können wir uns<br />

abschreiben. Doch schon spürte er, wie der Wagen außer Kontrolle geriet. Ich könnte ja<br />

versuchen, in <strong>die</strong> schneebedeckte Wiese zu fahren, dachte er. Doch er fuhr <strong>die</strong> Kurve schon an,<br />

für <strong>die</strong> Wiese war es zu spät. Der BMW begann zu schleudern, er versuchte, ihn mit viel<br />

Fingerspitzengefühl <strong>und</strong> Tricks wenigstens auf der Straße zu halten. „Hanse, paß auf!“, schrie<br />

George <strong>und</strong> hielt sich am Sitz fest. Hans antwortete nicht, zu sehr war er mit dem Kampf um<br />

Sein <strong>und</strong> Nichtsein beschäftigt. Es ist aus, fühlte er, jetzt reißt <strong>die</strong> Bodenhaftung gleich völlig<br />

ab, <strong>die</strong>se Kurve schaffe ich nicht mehr. Doch genau in <strong>die</strong>sem Moment, als wenn es eine<br />

höhere Gewalt gäbe, bekam er den BMW wieder völlig unter seine Kontrolle. Ohne ein Wort<br />

darüber zu verlieren, fuhr er weiter. Ich glaube an keinen Gott, doch <strong>die</strong>smal hat uns etwas<br />

Unbekanntes gerettet. „Jetzt hatten wir aber Glück, was, Hanse?“ „Ach was, George, war<br />

nicht weiter schlimm, sind doch nur Kleinigkeiten!“, gab er abschwächend zur Antwort. Doch<br />

es war ihm bewußt geworden, daß derartige Spielereien - im besonderen mit Fahrgästen - in<br />

Zukunft zu unterlassen waren. <strong>Die</strong>se blöde Angeberei hätte beinahe ihn <strong>und</strong> zwei unschuldige<br />

junge Menschen das Leben gekostet.<br />

Immer wenn er in Zeitungen <strong>von</strong> schweren Verkehrsunfällen las, zog er den Schluß, daß <strong>die</strong>se<br />

Fahrer nicht qualifiziert genug gewesen wären <strong>und</strong> deshalb <strong>die</strong> Situation falsch eingeschätzt<br />

hätten. Doch nun wäre es ihm um ein Haar genauso ergangen!<br />

„Hoffentlich haben <strong>die</strong> nach Oberndorf rauf Sand gestreut!“, meinte er, um auf andere<br />

Gedanken zu kommen. „Warum sollten sie nicht gestreut haben?“, entgegnete George.<br />

Bei der Ankunft in Oberndorf stand <strong>die</strong> Wirtin mit einem Eimer Asche vor der Tür <strong>und</strong> begann,<br />

den Parkplatz zu bestreuen. Sie griff mit der Rechten in den Kübel <strong>und</strong> streute, um <strong>die</strong><br />

Rutschgefahr zu verringern. „Geht ins Gastzimmer, ich habe den Ofen schon eingeheizt!“,<br />

meinte sie erfreut lächelnd. „Da ist es aber schön!“, sagte Monika <strong>und</strong> sah mit strahlenden<br />

Augen auf <strong>die</strong> schneebedeckten Hausberge des südlichen Rosentals.<br />

Oberndorf war auch um <strong>die</strong>se Jahreszeit ein herrlich romantischer Ort, <strong>die</strong> Baumäste bogen<br />

sich unter der Last der weißen Pracht, der Himmel schien hier ein noch tieferes Blau zu haben<br />

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als anderswo. „Da unten“, Hans zeigte mit der Rechten südwestlich ins Tal, „bin ich in <strong>die</strong><br />

Schule gegangen. Ich bin da zu jeder Jahreszeit zu Fuß runter“, er lächelte schelmisch, „<strong>und</strong><br />

wieder raufgegangen!“<br />

Sie setzten sich zu der Eckbank beim Ofen. „Was macht denn Paul?“, fragte er <strong>die</strong> Wirtin,<br />

während sie <strong>die</strong> Getränke servierte - er meinte ihren Sohn. „Paul ist schon beim Militär“, sagte<br />

sie nicht ohne Stolz. „Ach, bei dem Scheißverein“, entgegnete er mürrisch. „Was hast denn<br />

gegen das Militär?“, fragte Monika lächelnd. „Ach, das sind doch alles Zivilversager, <strong>und</strong><br />

außerdem, eine völlig unnötige Einrichtung, wer braucht denn heutzutage schon ein Militär!“<br />

George war mittlerweile zur alten Musikbox gegangen <strong>und</strong> wählte ein paar uralte Singles,<br />

Seemannslieder halt. „Aber was ist, wenn uns ein Nachbar angreift?“, sagte plötzlich <strong>die</strong><br />

Wirtin. „Na, dann kriegt er ein paar hinter <strong>die</strong> Löffel!“, entgegnete Hans grinsend. „Siehst du,<br />

<strong>und</strong> dafür brauchen wir ein B<strong>und</strong>esheer!“ Sie machte eine kurze Pause. „Ohne Militär keine<br />

Selbstverteidigung. Und ohne Selbstverteidigung kann sich ein Staatsgebilde auf Dauer nicht<br />

halten!“ „Ja, weil <strong>die</strong> Menschen so blöd sind, sind ja nichts anderes als Tiere, <strong>die</strong> ihr Revier<br />

verteidigen!“, meinte er. . .<br />

Gegen 19.30 Uhr suchten sie Sigi in der Disco <strong>von</strong> Föndach auf. Er stand hinter der Bar <strong>und</strong><br />

polierte andächtig ein Glas. „Das ist <strong>die</strong> richtige Arbeit für dich!“, sagte Hans. „Denn beim<br />

Glaspolieren kann man sich so richtig entspannen.“ „Das mußt du ja am besten wissen!“,<br />

entgegnete Siegfried verächtlich. „Setzt euch zu dem Tisch in der Ecke, da kann ich euch<br />

besser überwachen!“, sprach er <strong>und</strong> zeigte in gespielter Oberlehrermanier, welchen er meinte.<br />

„Ach Gnädigste“, sagte er noch hingebungsvoll, wobei er Monika mit erfreut strahlenden<br />

Augen ansah, „darf ich Ihnen aus dem Mantel helfen, der Bauerntölpel ist dazu ja nicht in der<br />

Lage!“ Auch <strong>die</strong> wenigen Gäste an der Bar lachten herzhaft auf. <strong>Die</strong> Retourkutsche ist dir<br />

sicher, dachte Hans <strong>und</strong> ging, gefolgt <strong>von</strong> Monika <strong>und</strong> George, an den Tisch. „Was darf ich<br />

den Herrschaften servieren?“ „Meinen Wunsch kennst du ja!“, sagte Hans. Sigi nickte lässig.<br />

„Für mich ein Cola, bitte!“, bestellte Monika. „Für mich dasselbe wie für Hanse!“ „Aber<br />

natürlich, Herr George!“ In der Zwischenzeit kamen immer mehr Gäste in <strong>die</strong> Disco, das<br />

Nachtleben hatte begonnen. „Hans, komm’ <strong>und</strong> hol <strong>die</strong> Getränke!“, rief Sigi. Er wollte so rasch<br />

wie möglich auch <strong>die</strong> ankommenden Gäste zufriedenstellend be<strong>die</strong>nen. „<strong>Die</strong> Biergläser kannst<br />

stehen lassen, wir sind doch schließlich mit der Flasche großgezogen worden!“, sagte Hans<br />

scherzend <strong>und</strong> packte <strong>die</strong> Bierflaschen mit der Linken <strong>und</strong> das Cola mit der Rechten. „Deine<br />

neue Flamme?“, meinte Sigi so nebenbei, während er einige Gläser füllte. „Ja, was sagst zu<br />

ihr!“ „Ich frage mich nur, wie du zu solch einem Hasen kommst!“ Er schüttelte ungläubig den<br />

Kopf. „Naja, <strong>die</strong> Dummen haben immer das Glück!“ Dabei lachte er belustigt in seinen Bart.<br />

„Bist heute wieder vorlaut!“, meinte Hans <strong>und</strong> ging zu seinem Tisch. Er saß noch keine Minute<br />

bei Monika <strong>und</strong> George, als ihm plötzlich jemand auf <strong>die</strong> Schultern klopfte <strong>und</strong> meinte: „Hallo,<br />

Hanse, wie geht’s dir?“ „Hallo, Heino, komm setz dich zu uns!“, erwiderte Hans freudig<br />

überrascht. „Was bekommst du, Heino?“, rief Sigi <strong>von</strong> der Bar aus. „Ein Bier!“, erwiderte er<br />

<strong>und</strong> begrüßte Monika <strong>und</strong> George. „Aber bring gleich zwei, eines zum Löschen, das zweite<br />

zum Trinken!“, rief Heino nochmals lautstark zu Sigi hinüber. Es begann eine angeregte<br />

Unterhaltung. Im Hintergr<strong>und</strong> spielte <strong>die</strong> Musikbox Singles wie: „Teen Beat“, „Pretty Little<br />

Angel Eyes“, „The Locomotion“, „Tonight“ <strong>und</strong> viele andere.<br />

Es war etwa gegen 20.30 Uhr, da kam Karin ins Tanzlokal <strong>und</strong> setzte sich auf einen<br />

Barhocker. Sie begann sofort ein intensives Gespräch mit Siegfried. Heino ging halt so zufällig<br />

zur Musikbox, um einige flotte Singles zu wählen. In Wirklichkeit war es eine günstige<br />

Gelegenheit, um Karin etwas näher zu kommen. „Hey, Heino!“, rief Karin mit begeistertem<br />

Gesicht <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lich gestikulierend. „Hey, Fan!“, entgegnete Heino, während er scheinbar<br />

mehr als gelassen einige Nummern wählte. „Mit dem kannst heute nichts anfangen!“, meinte<br />

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Sigi, um gleich wieder höhnisch in seinen Bart zu lachen. Heino, der eben noch andächtig nach<br />

Singles, <strong>die</strong> für ihn noch in Frage kämen, suchte, zuckte kurz zusammen <strong>und</strong> sah Sigi forsch<br />

an. „Brauchst mich nicht so wild anzusehen!“ „Ja, du wirst es ja wissen!“, meinte Heino <strong>und</strong><br />

drückte noch einige Tasten. Er setzte sich zu Karin an <strong>die</strong> Bar. „Na, was ist mit dir, hast dich<br />

schon erholt?“ Er meinte den Bruch mit Hans. „Ich schon, aber du siehst so zerknirscht aus!“<br />

Sigi, der dem Gespräch aufmerksam gefolgt war, lachte schadenfroh <strong>und</strong> zog genüßlich an<br />

seiner Marlboro. „Du halt deinen Fotz, dich hat keiner gefragt!“, sagte Heino verärgert. „Thha,<br />

th-ha, ich mein’ ja nur, man wird doch wohl noch dürfen, th-ha!“ „In <strong>die</strong>sem Drecksnest<br />

darf man wirklich nichts machen, ohne dabei ungut aufzufallen!“, meinte Heino. „Da, hast<br />

dafür eine Zigarette!“, meinte nun Sigi in seinem unkopierbaren Stil, der einen einfach<br />

entwaffnete. „<strong>Die</strong> bist du mir auch schuldig!“, meinte Heino <strong>und</strong> griff zu. „Daß du <strong>die</strong> gestrige<br />

Nacht so gut überstanden hast, grenzt an ein W<strong>und</strong>er!“ „Ach was, Sigi, du kennst uns<br />

Föndacher noch nicht!“, entgegnete Heino grinsend. „Habt ihr mit Hansi gefeiert?“, fragte<br />

Karin. „Hans!“, sagte Heino <strong>und</strong> sah sie belustigt an. „Hanse konnte an unserem Gelage nicht<br />

teilnehmen, da er wieder einmal Ausgangsverbot hatte.“ „Th-ha, th-ha“, lachte Sigi wiederum<br />

in seinen Bart, wobei seine Augäpfel dem Zigarettenrauch folgten, den er lässig in Ringen aus<br />

dem M<strong>und</strong> blies. „Ach so, spielt sein Alter noch immer verrückt?“, fragte Karin; sie meinte<br />

natürlich Hans’ Vater. „Naja, wenn er nichts arbeitet!“, entgegnete Sigi, neigte seinen Kopf<br />

seitlich <strong>und</strong> schloß recht unschuldig <strong>die</strong> Augenlider. Es bedeutete soviel wie: Ihr wißt ja, was<br />

ich meine. . .<br />

Am Tisch neben Hans saßen drei junge Pärchen, <strong>die</strong> sich ausgezeichnet amüsierten. Darunter<br />

waren auch Karli <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>in Susi. Karli ging noch in <strong>die</strong> Tischlerlehre in Föndach. Er<br />

war 18 <strong>und</strong> stand ein halbes Jahr vor der Facharbeiterprüfung. Ein schlanker, hochgewachsener<br />

Typ mit dunklen, lebhaften Augen <strong>und</strong> schwarzem kurzen Haar. Susi war Friseurlehrling, 17,<br />

hatte blondes mittellanges Haar <strong>und</strong> besaß eine ausgesprochen atemberaubende Figur. Hans<br />

entdeckte sie <strong>und</strong> prostete ihnen sitzend zu, was <strong>die</strong>se auch erwiderten. Und als <strong>die</strong> Single<br />

„Let’s Dance“ zu spielen begann, forderte Hans Monika zum Tanz auf. Obgleich <strong>die</strong><br />

Tanzfläche schon hoffnungslos überfüllt war, folgten ihnen <strong>die</strong> drei Paare vom Nebentisch<br />

sowie Heino <strong>und</strong> Karin. Singles wie „La Bamba“, „Brazil“, „Sirfin Safari“ ließen <strong>die</strong> Jugend in<br />

eine andere, aber sehr schöne <strong>und</strong> schwungvolle Welt eintauchen. Dabei wurden auch neue<br />

Tänze mit Partnertausch kreiert. Freilich blieb es Hans nicht verborgen, wie begehrt Monika<br />

bei den Burschen war. Er war mächtig stolz auf sie, aber es wurde ihm auch bewußt, daß er in<br />

Zukunft um sie geistig <strong>und</strong> taktisch würde kämpfen müssen.<br />

Zu später St<strong>und</strong>e wechselte <strong>die</strong> Musik <strong>von</strong> den wilden Sechziger <strong>und</strong> Siebziger Jahren zu<br />

weichen, sanften Liedern, <strong>die</strong> den verliebten Pärchen sehr entgegenkamen. „Geh nicht vorbei,<br />

als wär nichts geschehen!“, ertönte es aus den Lautsprechern. Hans streichelte mit den Fingern<br />

seiner Rechten sanft durch Monikas schwarzblaues Haar. „Eine tolle Single, was?“, meinte er<br />

lächelnd. <strong>Die</strong> beiden tanzten, wie bei Verliebten eben üblich, eng <strong>und</strong> langsam. Ja, sie schienen<br />

sich dabei fast nicht zu bewegen. Monika sah ihm in <strong>die</strong> Augen <strong>und</strong> lächelte glücklich: „Weißt<br />

du, Hansi, ich schwebe jetzt mit dir in einer sehr schönen Welt!“ „Du bist ja eine richtige kleine<br />

Philosophin!“ <strong>Die</strong> beiden lachten <strong>und</strong> küßten einander leidenschaftlich. „Hey, was macht ihr<br />

da!“, rief Karli, der an der Bar stand. Susi saß auf einem Barhocker neben ihm. „Kommt doch<br />

zu uns an <strong>die</strong> Bar, der Serviertraktor ist gerade dabei, für uns ein paar heiße Getränke zu<br />

mixen, natürlich auf meine Kosten!“, meinte Karli lässig, wobei er seinen Arm um <strong>die</strong> Schultern<br />

<strong>von</strong> Susi legte. <strong>Die</strong> beiden folgten der Einladung. Sigi stellte ihnen zwei Cola-Rum auf <strong>die</strong> Bar.<br />

„Sigi, noch einen Bacardi!“, rief ungeduldig einer der Gäste. „Ja, ich komm ja schon!“,<br />

entgegnete er gestreßt, „solche Arschlöcher, aber was soll man machen, <strong>Die</strong>nst ist <strong>Die</strong>nst!“<br />

„Hast du schon eine Arbeit gef<strong>und</strong>en?“, fragte Karli interessiert. „Nein, leider nicht!“ „Ja, im<br />

Winter ist es schwer, mein Bruder ist schon seit zwei Monaten arbeitslos. Aber du wirst sehen,<br />

wenn der Schnee schmilzt, gibt es Arbeit genug!“ „Hört auf mit der blöden Arbeit!“, fuhr Susi<br />

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dazwischen. „Ich habe ein besseres Gesprächsthema. Was sagt ihr, wenn wir öfter zusammen<br />

ausgehen. Ich meine, wir treffen uns am nächsten Samstag wieder hier!“ Ihre Augen funkelten<br />

dabei freudig. Hans <strong>und</strong> Monika waren mit dem Vorschlag einverstanden.<br />

Gegen 1 Uhr nachts verließen sie <strong>die</strong> Disco. Hans startete den Motor <strong>und</strong> stieg mit dem<br />

Eissschaber, der in der Mittelkonsole lag, aus, um das Eis <strong>von</strong> den Scheiben zu entfernen.<br />

Monika sorgte unterdessen für Musik.<br />

Auf halber Fahrt in Richtung Komannsdorf fiel ihnen plötzlich ein Streifenwagen der<br />

Gendarmerie auf, der ganz unauffällig am Straßenrand stand, doch der Gendarm machte<br />

<strong>die</strong>smal keine Anstalten, ihn zu stoppen. „Wohin soll ich denn das schreiben?“, sagte er<br />

erstaunt. „Was meinst du damit?“ „Na, daß mich <strong>die</strong>se Briefträger nicht aufgehalten haben!“<br />

Monika lachte, <strong>und</strong> ihm war es schon recht so, denn das letzte Cola-mit, wer weiß! „Bleib dort<br />

bei dem Gasthof stehen!“ „Wieso, was willst denn dort?“, entgegnete er entgeistert. „Ich<br />

möchte kurz reinschauen, vielleicht ist mein Bruder Werner noch da.“ Während sie in den<br />

Parkplatz einfuhren, entdeckte Monika schon den alten VW Käfer. Sie zeigte lächelnd auf<br />

<strong>die</strong>sen: „Ja, da steht ja noch sein Auto!“<br />

Werner war mit der Tochter des Wirtes liiert <strong>und</strong> deswegen noch zu so später St<strong>und</strong>e hier<br />

anzutreffen. „Wo wart ihr, ich dachte, ich treffe euch irgendwo in <strong>die</strong>ser Gegend. Doch ihr<br />

habt euch auf <strong>die</strong> andere Seite der Drau abgesetzt!“, rief Werner, der bei einem Bier an der Bar<br />

saß; dahinter stand seine Fre<strong>und</strong>in Erika. „Wir waren bei Sigi in der Disco!“, entgegnete Hans<br />

<strong>und</strong> zündete sich eine Zigarette an. „Wer ist Sigi?“, fragte Werner erstaunt. „Der Kellner <strong>von</strong><br />

der Disco in Föndach!“ „Ach so, gehört habe ich schon da<strong>von</strong>!“, sagte er, trank einen kräftigen<br />

Schluck vom Bier. „Du bist Mechaniker, bei welcher Firma hast du gelernt?“ „Beim Kohl in<br />

Klagenfurt!“ „Ach, beim Kohl!“ Werner machte eine kurze Pause, „ich habe bei Raiffeisen in<br />

Klagenfurt gelernt!“ Werner lachte vor sich hin, er machte dabei auch sicher keinen nüchternen<br />

Eindruck. „Ein Bauer eben - Landmaschinenmechaniker!“ „Besser als arbeitslos!“, entgegnete<br />

Hans <strong>und</strong> sah nachdenklich zum Fenster. „Was ist, wollt ihr eure Mäntel nicht ablegen?“, fragte<br />

Erika. „Nein, wir sind schon unterwegs!“, entgegnete Monika fre<strong>und</strong>lich. „Ja, ist schon gut!“<br />

Erika lächelte dabei recht zweideutig. „Ich bin auch arbeitslos!“, sagte plötzlich Werner. „Aber<br />

mir ist es egal, ist doch ganz nett, wenn man zu Hause bleiben kann, oder?“ Er lachte belustigt.<br />

Einige h<strong>und</strong>ert Meter vor Monikas Elternhaus hielt Hans an. „So, Moni, jetzt haben wir Zeit,<br />

um Zärtlichkeiten auszutauschen!“ Er nahm <strong>die</strong> Kassette mit „Schlager für Verliebte“ <strong>und</strong><br />

schob sie in den Kassettenrecorder. „Was ist mit dir, Moni, bist plötzlich so schüchtern<br />

geworden?“, fragte er zärtlich. Sie saß ruhig <strong>und</strong> nachdenklich neben ihm. „Weshalb sollte ich<br />

schüchtern sein?“, sagte sie, wobei ihre Gesichtszüge blitzschnell auf betont lässig wechselten.<br />

„Weil du schon lange nichts mehr gesagt hast!“ „Nichts, Hansi, ich dachte mir nur!“ „So, was<br />

dachtest du dir?“ „Ach nichts!“ Sie lächelte <strong>und</strong> kuschelte sich an ihn. <strong>Die</strong> beiden küßten<br />

einander leidenschaftlich. „Komm, sag, was hast du dir vorher gedacht?“, fragte Hans nach<br />

kurzer Zeit neugierig. Sie sah ihn an. „Weißt du, Hans, ich dachte mir, weshalb ich eigentlich<br />

<strong>die</strong>ses Gefühl der tiefen Zuneigung zu dir habe.“ Sie streichelte durch sein Haar <strong>und</strong> sah ihn<br />

glücklich an. „Weißt du“, fuhr sie fort, „ich hatte schon ein paar nette Fre<strong>und</strong>e, <strong>die</strong> mich haben<br />

wollten. Ich werde sie dir noch bei Gelegenheit zeigen!“ Sie lachte. „Ich habe mit keinem <strong>von</strong><br />

ihnen geschlafen. Ja, wir haben geküßt <strong>und</strong> geflirtet. Da ist doch nichts dabei, oder?“ Sie sah<br />

ihm dabei tief in <strong>die</strong> Augen. „Sie haben mich mit Blumen <strong>und</strong> allen möglichen Geschenken<br />

umworben. Das machst du nicht. Du bringst mir keine Blumen, keine Geschenke, <strong>und</strong> doch,<br />

oder vielleicht gerade deswegen, gefällst du mir so, ist das nicht verrückt!“ Sie kuschelte sich<br />

noch enger an ihn <strong>und</strong> sah fragend in seine Augen. „Na ja, Moni, ich denke, ich bin nicht der<br />

heiße Italo-Typ, der gleich auf Kniescheiben <strong>und</strong> mit Blumen vor dir steht. Außerdem halte ich<br />

nichts <strong>von</strong> <strong>die</strong>sen Bräuchen <strong>und</strong> habe auch kein Geld dafür!“ „Ja, du bist eben anders als <strong>die</strong><br />

anderen!“ „Wie meinst du das, Monika?“ „Na ja, <strong>die</strong> anderen haben auf mich aufgepaßt wie auf<br />

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ein Juwel, du bist da nicht so. Wenn jemand mit mir tanzen wollte, gab es meist<br />

Eifersüchteleien. Ja, <strong>die</strong> wollten mich regelmäßig einsperren!“ „Bei mir kannst tanzen, mit wem<br />

du willst, <strong>und</strong> sollte es mir wirklich zuviel werden, so kriegst du <strong>von</strong> mir den Laufpaß!“ „Na,<br />

bei dir muß ich noch aufpassen, daß dich nicht ein Mädchen wegschnappt!“ Sie lachte<br />

glücklich. „Also, ich muß dir auch sagen, daß ich mich zu dir hingezogen fühle, ja, wirklich!“<br />

Er sah in <strong>die</strong> sternenklare Nacht. „Aber wenn ich so nachdenke, so erscheint es für mich<br />

fraglich, ob wir beide <strong>die</strong> Beziehung in Zukunft aufrecht erhalten sollen!“ „Was ist denn los mit<br />

dir, was hast denn plötzlich?“, fragte sie erstaunt. „Ich denke, ich bin für dich nicht gut genug.<br />

Meine berufliche Situation ist katastrophal. Doch das wär ja das wenigste. Auch meine innere<br />

Einstellung zur Familie ist gestört. Ich denke, ich bin ein Einzelgänger <strong>und</strong> werde das ein<br />

Leben lang bleiben!“ Er hatte es ihr sagen müssen, er wollte nicht, daß sie nach einiger Zeit<br />

<strong>von</strong> selbst zu dem gleichen Ergebnis gekommen wäre. „Und, das ist doch für mich kein<br />

Problem!“, entgegnete sie lächelnd <strong>und</strong> streichelte durch sein blondes Haar. „So, was ist denn<br />

für dich dann ein Problem?“ „Na, wenn du zum Beispiel mit anderen Mädchen in meiner<br />

Gegenwart flirten würdest!“ Sie nahm ihre Zigarettenpackung aus der Handtasche. „Willst<br />

auch eine?“ „Ja, jetzt brauch’ ich wirklich eine HB!“, sagte er <strong>und</strong> zog eine aus der Packung.<br />

„Was sagst zu Erika?“, fragte sie <strong>und</strong> zog genüßlich an der Zigarette. „Was soll ich sagen, sie<br />

ist hübsch!“ Monika lachte erheitert auf. „Weißt du, daß ich als kleines Mädchen in meinen<br />

Bruder verliebt war!“ „Das glaube ich dir, er sieht ja nicht schlecht aus!“ Beide lachten. Wieder<br />

sah er in <strong>die</strong> sternenklare Nacht hinaus. „Was hast denn jetzt, siehst schon wieder ein großes<br />

Tier da draußen!“, meinte sie schelmisch lächelnd. „Nein, aber <strong>die</strong> Sterne, <strong>die</strong> Menschen<br />

glauben, sie seien der Mittelpunkt des Universums. Ich glaube es nicht, denn schließlich sind<br />

wir nur in einem äußeren Spiralarm der Milchstraße, <strong>die</strong> eine <strong>von</strong> h<strong>und</strong>erten Galaxien<br />

darstellt.“ „Mich wiederum verführt so eine schöne sternklare Nacht zu romantischen<br />

Phantasien, <strong>und</strong> sie festigt meinen Glauben an Gott!“, sagte sie aus tiefer Überzeugung. „Es<br />

gibt keinen Gott, zumindest keinen, wie er uns suggeriert wird!“ Er sah sie dabei fragend an.<br />

„Vielleicht hast du recht, Hansi, doch ich möchte dir auch mein erstes Zusammentreffen mit dir<br />

in der Disco <strong>von</strong> Komannsdorf schildern!“ Hans spitzte seine Ohren, war es ihr vielleicht auch<br />

so ergangen wie ihm? „Ich habe dich plötzlich <strong>von</strong> der Tanzfläche aus erblickt <strong>und</strong> war wie<br />

hypnotisiert. Ich sah nur noch dich, Hans! Ja, es war sogar so, als wären wir beide allein in<br />

<strong>die</strong>sem Raum, als würde ich dich schon eine Ewigkeit lang kennen, alles über dich wissen!“<br />

„Weißt du, Monika, daß es mir genauso ergangen ist? Ich war vom ersten Moment an in dich<br />

verliebt. Und, es war wirklich so, als stünden wir alleine in <strong>die</strong>sem Raum <strong>und</strong> würden uns<br />

schon seit Tausenden <strong>von</strong> Jahren kennen!“ Er sah sie beeindruckt an, zog kräftig an der<br />

Zigarette <strong>und</strong> meinte: „Es ist schon etwas Tolles, als gewöhnlicher Sterbender solch eine<br />

Erfahrung machen zu dürfen!“ „Na, siehst du, es gibt etwas, ansonsten hätten wir nicht <strong>die</strong>ses<br />

schöne Erlebnis gehabt!“, sagte sie gänzlich überzeugt. „Aber vielleicht war es so eine Art<br />

gegenseitige Hypnose?“, meinte er nun. „Nein, Hansi, daran glaube ich nicht, ich sage dir, daß<br />

wir uns schon aus einem anderen Leben, vielleicht aber sogar aus einer anderen Welt kennen!“<br />

Hans sah sie nachdenklich an. <strong>Die</strong>se Erklärung war recht gewagt, doch sie lief wieder auf ein<br />

religiöses F<strong>und</strong>ament hinaus. Sie sah ihn an <strong>und</strong> wußte, daß er ihr keineswegs zustimmen<br />

würde. „Gut, Hansi, ich werde dir beweisen, daß es noch eine andere Welt gibt, nicht nur<br />

<strong>die</strong>se!“ „Tu das!“, sagte er lachend, denn er wollte auf keinen Fall seine Unsicherheit zeigen.<br />

„Ich bin schon gespannt auf deine Welt!“ Sie sah ihn ernst an. „Ich kenne dich, Hans, ich kenne<br />

dich, <strong>und</strong> eines Tages wirst du feststellen müssen, daß ich recht behalten habe. Ich kenne dich<br />

besser als du selbst!“ „Ach was, ich denke, es ist so etwas wie Liebe auf den ersten Blick, ja, so<br />

muß es ja wohl sein. Darüber wird doch schon in den billigsten Romanen geschrieben!“<br />

Plötzlich näherte sich das Scheinwerferlicht eines Autos. „Es ist Werner, ich muß mit ihm nach<br />

Hause. Wann sehen wir uns wieder?“ „Morgen 15 Uhr bei Martin!“ „Du meinst heute!“ Sie<br />

lächelte glücklich, gab ihm einen flüchtigen Kuß <strong>und</strong> fuhr mit ihrem Bruder nach Hause.<br />

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1 9 7 6 : J ä n n e r I V . W o c h e<br />

T U R B U L E N T E E R E I G N I S S E<br />

<strong>Die</strong> vierte Woche im Jänner begann eigentlich noch frustrierender als gewohnt. <strong>Die</strong>smal gab es<br />

einige Angebote für Hilfsarbeiter, <strong>und</strong> Hans hätte viel dafür gegeben, wenn man ihn wenigstens<br />

um wenig Lohn genommen hätte. Der Druck vom Elternhaus, im besonderen <strong>von</strong> Vater, war<br />

einfach nicht mehr auszuhalten. Schon bei der ersten Firma war er gleich zwischen Tür <strong>und</strong><br />

Angel bei dem Einstellungsgespräch durchgefallen. „Sie sind zu schön, Sie sind kein harter<br />

Arbeiter!“, war <strong>die</strong> ablehnende Begründung. Gut, dachte Hans, bei der nächsten werde ich<br />

mich mit abgerissenen Lumpen vorstellen. Und tatsächlich, in etwas schäbiger Kleidung wurde<br />

er probeweise mit fünf anderen Mitbewerbern in dem Sägewerk seiner Heimatgemeinde<br />

aufgenommen. Aber schon vor dem Ende des ersten Arbeitstages war <strong>die</strong> Entscheidung für<br />

zwei andere Burschen gefallen. „Wir haben gesehen, daß Sie sich redlich bemüht haben, bitte,<br />

seien Sie uns nicht böse, aber wir wissen, daß <strong>die</strong>se Arbeit auf Dauer nichts für Sie ist. Sie<br />

würden uns in Zukunft sicher verlassen, da Sie <strong>die</strong>sen einfachen Arbeiten geistig weit überlegen<br />

sind <strong>und</strong> wir dann wieder ohne Arbeiter dastünden!“ War eine super Absage. Und ich muß<br />

sagen, <strong>die</strong> haben nicht unrecht, dachte Hans. In der Tat, <strong>die</strong> beiden Burschen, <strong>die</strong> das Rennen<br />

gemacht hatten, waren ihm <strong>und</strong> den anderen weit unterlegen. Nur, was mache ich, wenn alle so<br />

<strong>von</strong> mir denken? Für seinen Vater war das natürlich eine Bestätigung - Hans, der Taugenichts.<br />

Abends, wenn er Monika <strong>von</strong> der Lehrfirma abholte, besprachen sie alles. Es frustrierte ihn<br />

sehr, daß man ihn bei den Firmen sogar <strong>von</strong> den einfachsten Tätigkeiten ausschloß. „Mach dir<br />

nichts draus, Hans! Du weißt, mein Bruder ist auch arbeitslos, <strong>und</strong> er versucht im Winter erst<br />

gar nicht, eine Stelle zu finden!“, versuchte sie ihn zu beruhigen. „Ja, aber er bekommt<br />

Arbeitslosengeld <strong>und</strong> ich nicht, obwohl ich beinahe dreieinhalb Jahre in einem 45- bis 50-<br />

Wochenst<strong>und</strong>en-Betrieb gearbeitet habe. Wöchentlich da<strong>von</strong> fünf bis 10 St<strong>und</strong>en gratis für den<br />

Putz<strong>die</strong>nst. Das habe ich jetzt da<strong>von</strong>, hätte ich irgendwo als Hilfsarbeiter gearbeitet, ich könnte<br />

wenigstens in den Genuß der Arbeitslosenversicherung kommen <strong>und</strong> hätte außerdem um<br />

Häuser mehr ver<strong>die</strong>nt. Ich kann nicht einmal das Kostgeld <strong>von</strong> 1.000 Schilling bezahlen,<br />

außerdem muß meine Mutter <strong>die</strong> Rate für das Auto berappen. Du kannst dir ja vorstellen, daß<br />

mein Alter beinahe durchdreht!“ „Glaubst du vielleicht, daß Werner auch nur einen Schilling<br />

für Verpflegung zahlt?“ „Mein Gott, ich wär’ froh, wenn mir meine Eltern eine Chance geben<br />

würden. Ich habe meinem Vater ja auch schon gesagt, daß ich ihnen alles zurückbezahlen<br />

werde, doch anscheinend glaubt er mir nicht! Er reagiert <strong>von</strong> Tag zu Tag aggressiver auf meine<br />

Arbeitslosigkeit!“ „So, aber beim Hausbau durftest du unentgeltlich in deiner Freizeit<br />

mitschuften, was!“, meinte sie verärgert. „Klar, <strong>Kinder</strong> sind doch Sklaven, <strong>und</strong> wehe, sie<br />

bringen kein Geld nach Hause, wehe, sie können nicht für sich selbst sorgen!“<br />

Am Donnerstag traf er mit Monika nur kurz zusammen. Auf keinen Fall wollte er seinen Vater<br />

noch mehr herausfordern. Und als er gegen 19.15 Uhr in der Wohnküche eintrat, saß seine<br />

Mutter weinend bei Tisch. „Das geht nicht mehr so weiter, Hans, das geht nicht so weiter!“,<br />

gab sie schluchzend <strong>von</strong> sich. „Da bist du ja, du Schmarotzer, du Taugenichts, den ganzen Tag<br />

nur herumzigeunern!“, schrie Vater mit kräftiger Stimme. Er stand bei der Kredenz <strong>und</strong><br />

bereitete sich ein Speckbrot. „Was machst du eigentlich den ganzen Tag, außer nichts, meine<br />

ich!“ Er mampfte dabei ziemlich unzivilisiert, um den Speck so mit den dritten Zähnen perfekt<br />

zerkauen zu können. Hans, der durch seine nun schon zweimonatige Arbeitslosigkeit sowie <strong>die</strong><br />

frustrierende Jobsuche total genervt war, geriet in Rage. Am liebsten hätte er seinen Vater<br />

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geohrfeigt. Doch er wußte nur zu gut, daß er sich keineswegs dazu verleiten lassen durfte. Es<br />

würde seine Lage nur noch verschlimmern. „Ich gehe, ich ziehe aus!“, sagte er plötzlich, es war<br />

einfach so aus ihm herausgerutscht. „So, wohin willst du denn, du Taugenichts!“, entgegnete<br />

Vater höhnisch grinsend. „Das geht dich nichts an!“ Hans rannte ins Schlafzimmer, das er mit<br />

Bruder Heinzi teilte <strong>und</strong> nahm Unterwäsche, Socken <strong>und</strong> Hemden aus dem Kasten. „Wohin<br />

willst denn?“, fragte Mutter, <strong>die</strong> ihm besorgt gefolgt war. „Ich weiß nicht, ich denke, ich<br />

schlafe heute nacht im Auto!“, entgegnete er zornig. Er packte <strong>die</strong> Sachen in eine Tasche <strong>und</strong><br />

ging wortlos.<br />

Es war bitter kalt in <strong>die</strong>ser Jännernacht, so um <strong>die</strong> 12 Grad minus. Hans übernachtete in dem<br />

Wald unweit seines Elternhauses. Um das Wageninnere aufzuheizen, mußte er den Motor<br />

lange laufen lassen. Er rauchte einige Zigaretten <strong>und</strong> dachte nach, um einen Ausweg zu finden.<br />

Nach einiger Zeit stellte er den Motor ab <strong>und</strong> schlief ein. Es dauerte keine zwei St<strong>und</strong>en, als er<br />

durch <strong>die</strong> klirrende Kälte aufgeweckt wurde. Neuerlich mußte der Motor gestartet werden,<br />

damit es wieder warm wurde.<br />

Täglich gegen 7 Uhr morgens verließ der alte <strong>Beschulnig</strong> das Haus, um zur Arbeit zu fahren.<br />

Hans hatte in <strong>die</strong>ser Nacht nicht gut schlafen können <strong>und</strong> schon fieberhaft vor dem Tscheppe<br />

auf <strong>die</strong> Zeitung gewartet. Doch es war wie verhext, es gab einfach keine Arbeit!<br />

Gegen halb acht Uhr fuhr er nach Hause, um sich frisch zu machen. Vater erfuhr da<strong>von</strong><br />

natürlich nichts. Außerdem nahm er eine dicke Decke mit, denn so eine Nacht wollte er nicht<br />

mehr erleben. Er hätte mit dem Benzingeld zum Aufheizen gleich ein Pensionszimmer bezahlen<br />

können.<br />

„Komm doch zu uns!“, sagte Monika, nachdem er ihr auf der Fahrt zu Evi im Auto alles<br />

erzählt hatte. „Meine Eltern geben dir ganz bestimmt ein Zimmer!“ Hans hatte mit <strong>die</strong>sem<br />

Angebot schon gerechnet <strong>und</strong> sich deshalb <strong>die</strong> Sache gründlich durch den Kopf gehen lassen.<br />

„Dein Angebot in Ehren, Monika, aber ich kann es nicht annehmen!“ Er nahm eine Zigarette,<br />

Monika gab ihm Feuer <strong>und</strong> nahm ihm spielerisch <strong>die</strong> Zigarette aus dem M<strong>und</strong>. Hans nahm eine<br />

neue, Monika gab ihm wieder Feuer. „Na endlich, bei dir kann man nicht einmal sprechen!“,<br />

meinte er lachend. „Na, was sind deine Gegenargumente, Herr Nachdenker?“, sagte sie<br />

spöttisch <strong>und</strong> nahm lässig einen kräftigen Zug <strong>von</strong> der Zigarette. Hans sah sie lächelnd an, sie<br />

ermutigte ihn sehr. „Erstens kenne ich deine Eltern nicht. Zweitens habe ich keine Arbeit, kann<br />

euer Zimmer nicht bezahlen. Ich denke, unsere Beziehung würde unter <strong>die</strong>sen<br />

Voraussetzungen sehr schnell zugr<strong>und</strong>e gehen!“ „Aber Hansi, das sind doch keine handfesten<br />

Gründe, du kennst meine Eltern nicht!“ Sie machte eine kurze Pause. „Es sind nicht deine<br />

Eltern. Und wegen dem Geld, das könnte man auch noch regeln. Aber ich denke, sie würden<br />

bei dir nicht viel verlangen!“ „Nein, Monika, ich will dich nicht in meine Geschichte<br />

hineinziehen!“ „Aber ich bin doch schon mitten drin - oder?“, entgegnete sie lächelnd <strong>und</strong> sah<br />

ihn mit ihren lebhaften Rehaugen fragend an. „Ja, du schon, aber ich möchte nicht deine Eltern<br />

reinziehen. Ich finde, ich habe es mir selbst eingebrockt <strong>und</strong> muß auch aus eigener Kraft wieder<br />

aus <strong>die</strong>ser Misere kommen!“ „So ein sturer Bock!“, meinte sie leicht verärgert. „Wieso ist dein<br />

Vater so ein radikaler Mensch?“ Sie streichelte ihm dabei zärtlich über sein halblanges, blondes<br />

Haar. „Ich habe mir auch schon Gedanken darüber gemacht. Ich denke, es findet zwischen uns<br />

beiden ein Generationskonflikt statt!“ „Ach so, du meinst Vater gegen Sohn, so wie bei den<br />

alten Heimatfilmen!“ Sie lachte belustigt.<br />

Freitags hatte Monika früh Schluß. Auch <strong>die</strong>smal holte Hans sie <strong>von</strong> der Arbeit ab <strong>und</strong> fuhr sie<br />

nach Hause. Wie immer, so hielt er auch <strong>die</strong>smal auf dem Feldweg vor ihrem elterlichen Hof<br />

an, um sie aussteigen zu lassen. Monika wollte gerade aussteigen, als überraschend eine etwa<br />

vierzigjährige Frau mit einem Kübel in der Hand herbeieilte. „Tag, Herr <strong>Beschulnig</strong>!“, meinte<br />

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<strong>die</strong>se fre<strong>und</strong>lich lächelnd. „Guten Tag!“, meinte Hans völlig entgeistert. „Na, mach schon<br />

fröhliche Nasenlöcher, das ist meine Mutter!“, sagte Monika lachend. <strong>Die</strong> beiden hatten ihn mit<br />

ihrer Aktion total überrascht. Er riß sich zusammen, öffnete <strong>die</strong> Autotür, stieg aus <strong>und</strong> reichte<br />

ihrer Mutter <strong>die</strong> Hand. „Guten Tag, Frau Glaser!“ „Wenn du dich nicht bei mir vorstellen<br />

willst, dann muß ich halt <strong>die</strong> Rolle tauschen!“, meinte sie amüsiert. Monika hatte <strong>die</strong>se Szene<br />

mit gewissem Genuß beobachtet. „Siehst du, bei uns geht es auch anders!“, sagte sie, wobei sie<br />

mächtig stolz zu ihrer Mutter sah.<br />

Kurz darauf fuhr Hans zum „Kleinen Cafe“. Seine Fre<strong>und</strong>e standen an der Bar <strong>und</strong> feierten<br />

feuchtfröhlich ihren Arbeitsschluß. „Ist aber schnell gegangen mit deiner Fre<strong>und</strong>in!“, bemerkte<br />

Heino schelmisch grinsend. „Nein, ich muß heute Schicht arbeiten!“, konterte er. „Ach - haha,<br />

feiertags muß er Schicht arbeiten!“, spöttelte George. „Du mußt gerade deinen Senf<br />

dazugeben!“ Evi stellte ihm wortlos ein Bier auf <strong>die</strong> Bar. Im Hintergr<strong>und</strong> spielte <strong>die</strong> Single<br />

„Mama Loo“. „Heute hat sich Monikas Mutter bei mir vorgestellt!“ „Ach, da sieh her!“, meinte<br />

Heino mit süffisantem Grinsen. „Der Weg zur Tochter führt wohl über <strong>die</strong> Mutter!“ Alle<br />

lachten erheitert auf. „Blöder Kerl“, gab Evi mürrisch <strong>von</strong> sich. „Wie geht es dem Rübezahl im<br />

finsteren Wald?“, fragte George spöttelnd. „Och, da ist es recht kalt, aber romantisch,<br />

George!“ „Hast keine Angst vor den bösen Waldgeistern?“, fragte wiederum Heino. „Nein, nur<br />

wenn ich dir begegnen würde, wäre mir sicher kein Baum zu hoch!“<br />

Gegen 19 Uhr fuhr Hans mit Heino <strong>und</strong> George zu Monika, um mit ihr gemeinsam in der<br />

Föndacher Disco einzukehren. Heino war sichtlich gut gelaunt, er wisperte vom Rücksitz<br />

immer wieder: „Fahr ruhig schneller, fahr ruhig schneller, ich bin’s, dein Schutzengelchen!“<br />

Der Rummel in der Disco hatte schon begonnen, <strong>und</strong> Siegfried war im ärgsten Streß. Sie<br />

setzten sich an den letzten freien Tisch neben der Musikbox. Den Singles nach mußte ein Fats–<br />

Domino–Fan im Lokal gewesen sein. Heino setzte dem ein rasches Ende <strong>und</strong> wählte einige<br />

Singles aus dem Plattenmenü der Musikbox, darunter auch „Then I Kissed Her“ <strong>und</strong><br />

„Norman“. Kurz darauf tauchten Karli <strong>und</strong> Susi auf. Sie rutschten enger aneinander, um ihnen<br />

eine Sitzmöglichkeit zu geben. „Wußte gar nicht, daß ihr heute auch hier anzutreffen sein<br />

werdet!“, sagte Monika angenehm überrascht zu Susi. „Tja, <strong>die</strong> Welt ist eben voller<br />

Überraschungen!“, meinte Karli schelmisch. Sigi nahm <strong>die</strong> Getränkebestellung im Vorbeigehen<br />

auf.<br />

<strong>Die</strong>ser Discoabend wäre auch völlig normal verlaufen, wenn nicht gegen 21 Uhr <strong>die</strong>se absurde<br />

Wende eingetreten wäre. „Jetzt geben wir uns <strong>die</strong> Janis Choplin!“, meinte Karli. „<strong>Die</strong>se<br />

eingerauchte Hure!“, sagte plötzlich jemand stark verärgert vom Nebentisch. „Wieso, was hast<br />

denn, ist doch ein Klasseweib, oder?“, entgegnete Heino herausfordernd. „Wahrscheinlich bist<br />

auch du so ein Haschischfresser!“, sagte der junge große Mann vom Nebentisch. Er war um<br />

<strong>die</strong> 20, <strong>und</strong> wie Heino, <strong>von</strong> kräftiger Statur. „Ich würde an deiner Stelle etwas vorsichtiger<br />

sein!“, meinte Heino gelassen. Doch plötzlich wurde auch sein Fre<strong>und</strong> aktiv <strong>und</strong> schrie: „So<br />

Idioten wie euch sollte man pausenlos in <strong>die</strong> Fresse schlagen!“ „Jetzt wird’s gleich lustig!“,<br />

sagte Hans zu Monika. Sie griff nach seiner Hand. „Halt dich da raus, Hansi!“ „Du Rotznase,<br />

halt dein Maul, dich hat niemand gefragt!“, schrie George dem zweiten zu, er war jetzt<br />

aufgestanden. Doch Heino drückte ihn sanft in Sitzposition. „Von wo seid ihr überhaupt?“,<br />

fragte Karli ruhig, er wollte <strong>die</strong> aufgebrachten Emotionen beruhigen. „Das geht dich einen<br />

Scheiß an!“, bekam er vom Großen zur Antwort. Jetzt wurde es Heino zu viel. „Dann werden<br />

wir es euch herausschlagen müssen!“ Er rieb seine Fäuste genüßlich <strong>und</strong> schüttelte ungläubig<br />

den Kopf. „Tja, es wird uns leider nichts übrig bleiben!“ Seine Stimme klang, als täte ihm der<br />

nächste Schritt unendlich leid. „Was wollt ihr denn, ihr Langhaaraffen?“, meinte der Kleinere<br />

spöttisch. „So, ihr Bauerntölpel, dann gehen wir halt an <strong>die</strong> frische Luft!“, sagte Heino etwas<br />

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lauter, obgleich er selbst <strong>von</strong> Bauern stammte. „Was ist los, seid ihr verrückt geworden!“, rief<br />

Sigi besorgt <strong>von</strong> der Bar aus. „Serviertraktor, halt dein Mündchen!“, schrie der Kleinere<br />

zynisch. „Ihr habt ab sofort Lokalverbot!“, erwiderte Siegfried <strong>und</strong> ging zu den beiden an den<br />

Tisch, um abzuservieren. „Wer hier Lokalverbot hat, bestimmst nicht du!“, sagte der Größere<br />

<strong>und</strong> hielt sein Getränk fest in der rechten Hand. „Okay, es geht auch anders“, entgegnete Sigi<br />

ruhig. „Wenn ihr in fünf Minuten nicht draußen seid, rufe ich <strong>die</strong> Gendarmerie!“ „Wen willst du<br />

rufen, du Arsch?“, meinte wiederum der Kleinere belustigt. Doch plötzlich <strong>und</strong> völlig<br />

unerwartet, schlug der Große auf Siegfried ein. Er traf ihn am Rücken <strong>und</strong> in der Kopfgegend.<br />

Sigi stürzte zu Boden, sein Gegner wollte in <strong>die</strong>sem Moment mit den Füßen nach ihm treten,<br />

doch Heino war schon zur Stelle <strong>und</strong> schlug wie <strong>von</strong> Sinnen auf den Gewalttäter ein, bis <strong>die</strong>ser<br />

blutüberströmt am Boden liegenblieb. Der Kleinere saß nun zitternd am Tisch <strong>und</strong> wagte nicht,<br />

sich zu bewegen. Heino ging langsam <strong>und</strong> händereibend auf ihn zu. „Na, was ist denn jetzt mit<br />

dir, du kleiner Tölpel!“, meinte er spöttelnd <strong>und</strong> doch voll Zorn zu ihm. „Nichts, nichts, bitte<br />

entschuldige!“, stammelte <strong>die</strong>ser vor Angst. „Jetzt ist es zu spät, zu spät!“, sagte Heino<br />

mitleidig grinsend. „Laß ihn in Ruhe“, meinte Sigi, der sich vom Sturz recht gut erholt hatte.<br />

„Er soll sofort das Lokal verlassen <strong>und</strong> sich hier nie wieder blicken lassen!“ Er machte dabei<br />

einige Bewegungsversuche mit seiner rechten Schulter. „Hast gehört, du sollst verschwinden!“,<br />

schrie ihn Heino an. Der Kleine stand auf <strong>und</strong> wollte mit raschen Schritten das Lokal verlassen,<br />

doch Heino packte ihn am Hemdkragen <strong>und</strong> ohrfeigte ihn wie besessen. „Hör auf, Heino!“,<br />

schrie Sigi <strong>und</strong> fuhr dazwischen. „Es ist genug!“ Heino hielt ihn noch immer am Hemdkragen<br />

<strong>und</strong> hob ihn leicht an. „So, du Tölpel, das war nur ein kleiner Denkzettel aus Föndach, nur,<br />

falls dich jemand danach fragt! Deinen Fre<strong>und</strong> da“, Heino zeigte auf den am Boden Liegenden,<br />

„nimmst du mit, der versaut uns noch den ganzen Abend mit seinem Gestank!“ Der Größere<br />

versuchte nun aufzustehen. Heino sah es <strong>und</strong> ließ <strong>von</strong> seinem Opfer ab. „Da hilf ihm, sonst<br />

gibt’s Hiebe!“, meinte er noch <strong>und</strong> ging zu Hans an den Tisch. „Das hast du gut gemacht, ich<br />

wußte ja, auf euch ist Verlaß!“ meinte Sigi zufrieden lächelnd. „<strong>Die</strong> nächste R<strong>und</strong>e geht auf<br />

mich!“ „Aber Sigi, daß sind doch nur Kleinigkeiten. Und du weißt doch, solchen Tölpeln kann<br />

man nur mit Fäusten Manieren beibringen!“, entgegnete Heino selbstsicher, er rieb sich dabei<br />

freudig <strong>die</strong> Hände. „Sigi, was ist denn mit den Getränken, wir haben doch schwer gearbeitet!“,<br />

sagte George grinsend. Im Hintergr<strong>und</strong> brachte <strong>die</strong> Single „Ride On“ <strong>die</strong> Gäste in Schwung.<br />

Nach einiger Zeit, den Raufhandel hatte man inzwischen schon vergessen, meinte Sigi: „Seid<br />

doch nicht so langweilig!“ Er zog sein bekannt verschmitztes Lächeln auf <strong>und</strong> eilte zur<br />

Musikbox. Es war noch nicht Mitternacht, <strong>und</strong> somit mußte <strong>die</strong> Stimmung seiner Meinung<br />

nach nochmals kräftig mit recht schwungvollen Singles wie „Rag Doll“, „Yellow River“, „Do<br />

You Love Me?“ <strong>und</strong> vielen anderen angeheizt werden. Karli <strong>und</strong> Susi begaben sich mit vielen<br />

anderen Tanzpaaren aufs Parkett. „Na, jetzt könnt ihr gemeinsam wieder eure Turnst<strong>und</strong>e<br />

abhalten!“, meinte Sigi <strong>und</strong> wählte noch einige Singles. Und in der Tat, Karli <strong>und</strong> Susi waren<br />

wahre Tanzmeister. „Hey, was ist denn mit euch!“, rief Susi zu Monika. „Wir kommen!“,<br />

entgegnete Monika, zwinkerte Hans kollegial zu, so daß <strong>die</strong>s einer Aufforderung gleichkam,<br />

<strong>und</strong> auf ging’s. „Ha-, haa-, haa-, beautyful S<strong>und</strong>ay!“, dröhnte es aus den Lautsprechern. Es war<br />

wieder einmal soweit, Sigi hatte wirklich Talent, <strong>die</strong> Stimmung in der Disco immer wieder<br />

anzuheizen. Lässig blickte er in <strong>die</strong> Tanzr<strong>und</strong>e, so als wollte er damit sagen, na, das habe ich<br />

wieder mal gut gemacht. Sein Gesicht verzog sich zu dem gewohnt verschmitzten, zufriedenen<br />

Lächeln.<br />

„Denen haben wir es gegeben, was?“, lallte George, als Sigi wieder eine Getränker<strong>und</strong>e auf<br />

den Tisch stellte. „Jaja“, meinte Sigi, „dafür hast du ja schon genug getrunken!“ „Wir<br />

Föndacher!“, lallte George <strong>und</strong> klopfte, um dem Gesagten Nachdruck zu verleihen, mit der<br />

rechten Handfläche mehrmals kräftig auf den Tisch. „Wir Föndacher werden uns <strong>von</strong><br />

niemandem etwas sagen lassen - jawohl!“ „<strong>Die</strong> beiden passen auch als Tanzpartner ganz gut<br />

zusammen, was!“, meinte Sigi <strong>und</strong> sah dabei zu Monika <strong>und</strong> Hans auf <strong>die</strong> Tanzfläche. „Möchte<br />

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nur wissen, wie der zu so einem feschen Mädchen kommt!“, meinte Heino <strong>und</strong> trank einen<br />

kräftigen Schluck vom Bier. „<strong>Die</strong> wird ihm schon noch zeigen, wo’s lang geht!“, warf George<br />

lallend ein. „Ach, was ich sagen wollte, Sigi“, meinte Heino, „wie alt schätzt du Monika?“<br />

„Wieso, wir sind doch nicht am Pferdemarkt!“, entgegnete Siegfried <strong>und</strong> grinste in seinen Bart.<br />

Doch er beobachtete sie jetzt genau <strong>und</strong> meinte nach einer längeren Pause trocken: „Sieht<br />

reifer aus als er - aber ich denke nicht, daß sie älter ist!“ Er verneinte mit dem Kopf <strong>und</strong> zog<br />

kräftig <strong>von</strong> der Zigarette. „Aber ich gebe zu, daß ihr Alter ungemein schwer zu schätzen ist.<br />

Sie ist eine rassige Schönheit - ach was!“, meinte er lachend <strong>und</strong> sah Heino fragend an. „Ich<br />

schätze, sie ist so alt wie er, so achtzehn, aber vielleicht auch schon neunzehn!“ „Eingefahren“,<br />

entgegnete Heino schadenfroh. „Sie ist erst sechzehn!“ Wortlos schüttelte daraufhin Sigi den<br />

Kopf, ließ den Zigarettenrauch lässig durch <strong>die</strong> Nasenlöcher ausströmen <strong>und</strong> ging zur Bar.<br />

Gegen Mitternacht fuhr Hans mit Monika in Richtung Komannsdorf. „Du darfst mich gleich<br />

nach Hause bringen, Hansi!“ „Wieso, ich dachte, wir unterhalten uns noch irgendwo!“, meinte<br />

er entgeistert. „Ja, das können wir auch bei mir zu Hause machen!“ „Du meinst bei euch im<br />

Haus?“ „Ja, im Haus!“ „Nein, was mache ich in eurem Haus, dann können wir ja gleich zu mir<br />

gehen!“ „Zu dir?“, sagte sie <strong>und</strong> lachte erheitert auf. „Zu dir können wir nicht, denn du lebst ja<br />

als Waldschrat im Wald, falls du es schon vergessen hast!“ „Ach ja“, sagte er grinsend, „aber<br />

zu dir möchte ich auf keinen Fall. Ich habe dir doch schon meine Meinung gesagt!“ „Sturkopf“,<br />

entgegnete sie zornig. Es trat Funkstille zwischen den beiden ein. Der Kassettenrecorder<br />

spielte Hits aus den Siebziger Jahren. Hans pfiff dazu, um das Eis zu brechen. „Also gut, dann<br />

fahren wir zu uns in den Hof, damit meine Eltern wenigstens wissen, wo ich bin!“ „Also, das ist<br />

ein annehmbarer Kompromiß!“, entgegnete er zufrieden.<br />

In <strong>die</strong>ser Nacht <strong>und</strong> in der Nacht auf Sonntag durfte Hans in dem Hotel in Ferlach, in dem Fritz<br />

als Kochlehrling arbeitete, übernachten. Der Lehrlingskollege <strong>von</strong> Fritz war über das<br />

Wochenende nach Hause gefahren, <strong>und</strong> somit konnte Hans <strong>die</strong> Gelegenheit, zwei angenehme<br />

Nächte in einem warmen Zimmer zu verbringen, nicht ausschlagen.<br />

*<br />

1 9 7 6 : J ä n n e r V . W o c h e<br />

D E R B A N K Ü B E R F A L L<br />

Am Freitag, den 30. Jänner 1976, trat ein Ereignis ein, das ihn ganz schön ins Schwitzen<br />

brachte.<br />

Es war ein schöner, aber auch sehr kalter Wintertag. Arbeit hatte er trotz intensiver Suche<br />

noch immer keine, <strong>und</strong> auch der Streit mit Vater war noch nicht beigelegt, daher lebte er schon<br />

seit über einer Woche im Auto, was ganz sicher, noch dazu bei <strong>die</strong>ser enormen Kälte, nicht<br />

angenehm war.<br />

Gegen 11.40 Uhr holte er Karli <strong>von</strong> dem Tischlerbetrieb in Föndach ab. Wie schon öfter, so<br />

hatten sie auch <strong>die</strong>smal vor, Karlis Mittagspause im „Kleinen Cafe“ zu verbringen. Aber<br />

gerade, als sie <strong>die</strong> Straßengabelung, <strong>die</strong> Föndach, Ferlach <strong>und</strong> Hollenburg verbindet, passiert<br />

hatten, hörten sie das Alarmhorn eines Einsatzwagens. Hans fuhr sofort rechts ran, um ihn<br />

nicht zu behindern. Der Streifenwagen der Gendarmerie - ein alter VW Käfer - wurde <strong>von</strong><br />

einem extrem dicken, pausbäckigen Gendarmen mit überhöhter Geschwindigkeit gelenkt. Beim<br />

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Überholvorgang hatte er sichtlich Schwierigkeiten <strong>und</strong> fuhr wie ein Anfänger im Zickzack.<br />

„Haha-ha-!“, lachte Karli erheitert auf. „Hast du das gesehen, wenn der um 5 km/h schneller<br />

wäre, läge er im Schneehaufen!“ „Jaja, das ist der Fettsack, der Mopedschreck. Wahrscheinlich<br />

hat er um sein warmes Mittagessen Angst!“, entgegnete Hans ebenso belustigt.<br />

Bei Evi, im „Kleinen Cafe“, wurde über <strong>die</strong>ses Ereignis kräftig gelästert. „Der Mopedschreck<br />

war tatsächlich im Glauben, er könne bei eingeschaltetem Blaulicht <strong>und</strong> Folgetonhorn mit dem<br />

Käfer fliegen!“, meinte Karli <strong>und</strong> wischte sich <strong>die</strong> Tränen vor Lachen. „Dabei hätte er beinahe<br />

den Schneehaufen umgebaut!“, warf Hans dazwischen. <strong>Die</strong>smal schmeckte das Bier besonders<br />

gut, außerdem bekamen sie <strong>von</strong> anderen Gästen noch eine Draufgabe, wegen der lustigen<br />

Unterhaltung. Unter <strong>die</strong>sen Voraussetzungen, <strong>die</strong> nicht gerade für <strong>die</strong> Fahrtüchtigkeit <strong>von</strong><br />

Hans sprachen, nahmen sie gegen 12.30 Uhr <strong>die</strong> Fahrt in Richtung Föndach auf, Karli mußte<br />

pünktlich in den Betrieb.<br />

Schon seit Tagen machte sich der zweite Auspufftopf <strong>von</strong> Hansis BMW bemerkbar. Der Rost<br />

hatte einige Löcher hineinmontiert <strong>und</strong> so dem Fahrzeug einen rauheren Spruch zugestanden.<br />

Beim hochtourigen Schalten auf kleinere Untersetzungen röhrte er wie bei einer Rallye. Hans<br />

wußte <strong>die</strong>s natürlich gekonnt zu nutzen. Er zog damit öfter mal interessierte wie entgeisterte<br />

Blicke auf seinen fahrbaren Untersatz.<br />

„Und jetzt <strong>die</strong> Haarnadel-Kurve!“, sagte er ernst, nachdem sie nach der langen Geraden auf <strong>die</strong><br />

scharfe, unübersichtliche Rechtskurve zuschossen. Beim Zurückschalten röhrte der Spruch wie<br />

wild auf. Hansis Augen begannen zu glitzern, es hatte genauso funktioniert wie vorgesehen.<br />

Doch als er nach der Kurve einen Gang zulegen wollte, wich <strong>die</strong> Farbe aus seinem Gesicht. Da<br />

war eine Straßensperre mit schwerbewaffneten Gendarmen aufgebaut worden. Verdattert<br />

befolgte Hans <strong>die</strong> gestikulierenden Anweisungen des Gendarms mit der roten Kelle <strong>und</strong> fuhr<br />

rechts ran. „Wohin geht <strong>die</strong> Rallye?“, fragte der Beamte, der zur Fahrertür geeilt war. „Wir<br />

fahren nach Föndach, muß meinen Fre<strong>und</strong> zur Arbeit bringen!“ „Papiere <strong>und</strong> Führerschein!“,<br />

meinte er nun argwöhnisch. „Trotzdem waren Sie viel zu schnell unterwegs!“, meinte der<br />

Gendarm, ohne seinen Blick <strong>von</strong> den Fahrzeugpapieren zu nehmen. „Nein, das war der<br />

Auspuff, den muß ich demnächst reparieren!“, entgegnete Hans in Bezug auf <strong>die</strong> Lautstärke,<br />

um zu retten, was noch zu retten war. „So, so, dann steigen Sie mal aus <strong>und</strong> zeigen Sie mir den<br />

kaputten Topf!“, meinte der Beamte trocken. Mein Gott, dachte Hans, wenn der bemerkt, daß<br />

ich drei Flaschen Bier getrunken habe, dann bin ich auch noch den Führerschein los. Hans<br />

befolgte <strong>die</strong> Anweisung des Gendarmen. Danach mußte er ihm allerdings scheinbar gr<strong>und</strong>los<br />

den Inhalt des Kofferraumes zeigen. „Was, soviel Werkzeug führen Sie mit?“, meinte der<br />

Gendarm überrascht. „Was machen Sie mit dem?“ „Ich bin Mechaniker, ich brauch es!“,<br />

entgegnete Hans selbstsicher. „Auch den Hammer?“ Dabei zeigte er mit lauerndem Blick auf<br />

den Hammer in der Werkzeugkiste. „Ja, mit Wattebäuschen erreichen wir nichts!“ Hans<br />

lächelte fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> wollte damit <strong>die</strong> Situation etwas entkrampfen. „Und wo arbeiten Sie?“<br />

Hans holte kurz Luft, schließlich hatte er ihn nun am w<strong>und</strong>en Punkt getroffen. „Ich bin seit<br />

zwei Monaten arbeitslos!“ Es war ihm sehr peinlich. „Na, das ist ja recht interessant. Und<br />

woher kommt ihr gerade?“ „Wir waren in Ferlach Mittag essen!“ „Jetzt speisen <strong>die</strong><br />

Arbeitslosen schon in der Gastronomie! Sowas, weit sind wir gekommen!“ Kopfschüttelnd<br />

nahm er <strong>die</strong> Daten auf. Hans erwähnte absichtlich nicht das „Kleine Cafe“, sonst wäre dem<br />

Gendarm vielleicht auch noch <strong>die</strong> Alkoprobe eingefallen. „Und als Arbeitsloser hat man so viel<br />

Geld zum Ausgeben?“ „Nein, er!“ Hans zeigte auf Karli. „Weil ich vorige Woche sein Moped<br />

repariert habe!“ So ganz nahm er ihnen <strong>die</strong> Geschichte nicht ab, doch sie konnten ungehindert<br />

weiterfahren.<br />

Karli setzte er bei der Tischlerei ab. Zuhause erzählte er sichtlich belustigt Mutter <strong>von</strong> dem<br />

Ereignis. „Du wirst sehen, eines Tages werden sie dir noch den Führerschein abnehmen!“,<br />

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meinte sie besorgt. Das Mittagessen schlang er schnell hinunter, Vater konnte jeden Moment<br />

<strong>von</strong> der Arbeit heimkommen. „Kannst mir noch fünfzig Schilling borgen?“, fragte er gespielt<br />

nervös. Mutter ließ ihre Augenlider <strong>und</strong> Schultern sinken, atmete tief durch <strong>und</strong> griff zögernd,<br />

aber doch zur Brieftasche, <strong>die</strong> recht mager gefüllt in der Kredenzschublade lag. „Fünfzig? Das<br />

geht nicht - vierzig kannst haben!“ „Ja, das geht schon, muß halt <strong>die</strong> Monika ihr Cola selber<br />

zahlen!“, entgegnete er mehr als zufrieden, nahm das Geld <strong>und</strong> verließ eilig sein Elternhaus. Er<br />

startete den Motor <strong>und</strong> nahm Kurs in Richtung Klagenfurt, um Monika <strong>von</strong> der Firma<br />

abzuholen. Einige Momente danach konnte er im Autoradio <strong>die</strong> Landesnachrichten vernehmen.<br />

Dabei wurde auch der Banküberfall in Ferlach erwähnt, <strong>und</strong> als der Sprecher nochmals <strong>die</strong><br />

Fahndungsmeldung <strong>von</strong> einem roten BMW 2002 ti wiederholte, wußte er, wieviel es<br />

geschlagen hatte. So ein Topfen, dachte er, drei Bier in der Blutbahn <strong>und</strong> <strong>die</strong> Fahndung am<br />

Hals, das hat mir noch gefehlt. Ich muß mich im Gelände verstecken, bis sich der<br />

Alkoholspiegel gesenkt hat, sonst bin ich doch noch den Führerschein los. Am besten, ich fahr’<br />

in <strong>die</strong> Au. Vor der ersten, den winterlichen Wegeverhältnissen möglichen Zufahrt warf er einen<br />

raschen Blick in den Rückspiegel. <strong>Die</strong> Blaulichter, <strong>die</strong> sich darin spiegelten, hielten ihn vom<br />

Vorhaben, den linken Blinker zu betätigen, ab. Verdammt, fluchte er in sich hinein, wie hat es<br />

<strong>die</strong> Gendarmerie geschafft, trotz meiner Vorsicht so nahe <strong>und</strong> völlig unbemerkt an mich<br />

heranzukommen? Soll ich abhauen? Es wär mit meinem Fahrzeug <strong>und</strong> den Ortskenntnissen<br />

kein Problem. Doch es würde <strong>die</strong> Situation verschlimmern, ich würde <strong>die</strong> Indizien nur noch<br />

erhärten. Hans hielt sich an <strong>die</strong> Geschwindigkeit, gefolgt <strong>von</strong> dem Einsatzwagen der<br />

Gendarmerie, der ihm nicht <strong>von</strong> den Fersen wich <strong>und</strong> doch keine Anstalten machte, ihn zu<br />

stoppen. Und kurz darauf wußte er auch, warum, man hatte ihn in eine Falle in Form einer<br />

Straßensperre gelockt. Jetzt erst schaltete auch das Einsatzfahrzeug hinter ihm <strong>die</strong> Blaulichter<br />

ein. Hans hielt knapp vor der Sperre an, ein Beamter rannte mit einer Maschinenpistole im<br />

Anschlag auf ihn zu. „Aussteigen! Los, los, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Pratzen auf’s Autodach! Beine spreizen!“<br />

Einer bedrohte ihn mit der Waffe, während ihn der andere mit den Händen nach Waffen<br />

abklopfte. „Nichts!“, meinte <strong>die</strong>ser. „Na, dann gib <strong>die</strong> Pfoten runter <strong>und</strong> deine Papiere samt<br />

Autoschlüssel raus!“, meinte der andere. <strong>Die</strong>, <strong>die</strong> ihm gefolgt waren, beobachteten ihn mit<br />

Argusaugen aus ihrem VW-Käfer. „Am besten, wir nehmen ihn zum Posten mit!“, meinte ein<br />

anderer. <strong>Die</strong> übrigen stimmten zu. Im Konvoi, vor <strong>und</strong> hinter seinem BMW je ein<br />

Einsatzfahrzeug mit eingeschaltenem Blaulicht, ging’s zuerst zum Tatort nach Ferlach. <strong>Die</strong><br />

Menschenmenge vor der überfallenen Bank diskutierte angeregt über den Tathergang <strong>und</strong><br />

darüber, was man so alles tun sollte mit den Verbrechern. Hans stieg angesichts dessen mit<br />

einem mulmigen Gefühl in der Magengegend aus seinem Auto. Er besah <strong>die</strong> Gesichtsausdrücke<br />

der Schaulustigen <strong>und</strong> war erstaunt, denn er fand keine haßerfüllten Blicke, nein, im Gegenteil,<br />

ihre Gesichter sagten, daß er es nicht gewesen sein konnte. Dabei löste sich seine innere<br />

Verkrampfung, <strong>und</strong> als er den aufgepäppelten Mopedschreck sah, überkam ihn ein belustigtes<br />

Lächeln. Dem dicken Gendarm war <strong>die</strong>s natürlich nicht entgangen. „Das ist er, ich bin mir<br />

sicher, das ist er! Der lacht schon so blöd!“, schrie er mit Argwohn. Hans verging dabei<br />

wirklich das Lachen. „Los, steigen Sie ein!“, meinte ein Gendarm. „Wir fahren zum Posten!“ In<br />

derselben Zusammenstellung wie vorhin fuhr der Konvoi zum Posten.<br />

Es mußte wohl einer der größeren Banküberfälle in dem Bezirk seit Jahren gewesen sein, denn<br />

so viele Gendarmen auf einem Fleck hatte er noch nie gesehen. Sogar auf dem Weg ins<br />

Verhörzimmer, in das er in Begleitung <strong>von</strong> drei Beamten gebracht wurde, schien <strong>die</strong><br />

Gendarmerie eine Uniformparade <strong>von</strong> niedrigen zu hohen Rängen abzuhalten. Der Gendarm,<br />

der das Protokoll aufnahm, stu<strong>die</strong>rte interessiert Hansis Führerschein, zwischendurch musterte<br />

er ihn mit einem durchdringenden Blick. „Von was lebt man so als Arbeitsloser, <strong>Beschulnig</strong>?“,<br />

fragte er so ganz nebenbei <strong>und</strong> spannte ein neues Blatt Papier in <strong>die</strong> alte Schreibmaschine.<br />

„Also, also“, stotterte Hans äußerst nervös. Er riß sich zusammen. „Ich lebe zu Hause <strong>und</strong><br />

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bekomme ab <strong>und</strong> zu etwas Taschengeld <strong>von</strong> meinen Eltern!“ „Solche Eltern möchte ich auch<br />

haben, dann bräuchte ich nicht hier sitzen <strong>und</strong> mir deinen Blödsinn anhören!“, entgegnete der<br />

Beamte zynisch. „Wo waren Sie zwischen 11.35 <strong>und</strong> 12.00 Uhr?“ Er sah Hans fragend an.<br />

Hans wußte, daß an <strong>die</strong>ser Frage sein Alibi hing. Er mußte ihm nun <strong>die</strong> ganze Wahrheit sagen.<br />

„Ich habe meinen Fre<strong>und</strong> Karli <strong>von</strong> der Tischlerei in Föndach abgeholt. Wir sind nach Ferlach<br />

gefahren <strong>und</strong> haben bei Evi, im ‘Kleinen Cafe’, <strong>die</strong> Mittagspause verbracht. Gegen 12.30 sind<br />

wir dann wieder <strong>von</strong> Ferlach in Richtung Föndach gefahren, dabei wurden wir auch <strong>von</strong> eurem<br />

Einsatzfahrzeug kontrolliert!“ Wortlos tippte der Beamte <strong>die</strong> Angaben auf Papier. Ab <strong>und</strong> zu<br />

sah er Hans forsch an. „Und weshalb hast du bei meinen Kollegen gelogen? Da habt ihr<br />

angegeben, ihr wart im Hotel speisen!“ „Ja, entschuldigen Sie, aber wir hatten ein Bier<br />

getrunken <strong>und</strong>, <strong>und</strong>...!“, stotterte er nervös. „Paß auf, <strong>Beschulnig</strong>, was du sagst, denn wir<br />

werden der Sache nachgehen!“ Verärgert ging der Beamte ins Nebenzimmer. Hans blickte<br />

nervös um sich, der Raum war recht einfach eingerichtet. Schon nach kurzer Zeit kam der<br />

Gendarm zurück, setzte sich zur Schreibmaschine <strong>und</strong> tippte wortlos das Protokoll zu Ende.<br />

„Hauch mich an!“ Hans folgte seiner Anweisung <strong>und</strong> versuchte dabei, um seinen Führerschein<br />

zu retten, einiges <strong>von</strong> seinem Alkoatem zu verbergen. „Was ist denn das, <strong>Beschulnig</strong>? Hast<br />

keine Luft! Los, nochmal, aber etwas kräftiger!“ Hans hauchte rasch <strong>und</strong> kräftig, um ihn ja<br />

nicht noch mehr zu verärgern. „Na ja!“, meinte er mürrisch, riß das Protokoll aus der<br />

Maschine, legte es Hans vor. „Da unterschreiben!“ Er zeigte dabei auf <strong>die</strong> Stelle, wo <strong>die</strong><br />

Unterschrift zu erfolgen hatte. „Das war mehr als ein Bier!“, meinte er noch, während Hans<br />

flüchtig das Protokoll durchlas. Der Beamte stu<strong>die</strong>rte nochmals interessiert den Führerschein.<br />

„Sechs Monate den Führerschein haben <strong>und</strong> schon betrunken durch <strong>die</strong> Gegend fahren, was!“,<br />

sagte er wütend <strong>und</strong> knallte den Führerschein vor Hans auf den Tisch. „Nehmen Sie den<br />

Führerschein <strong>und</strong> verschwinden Sie!“ „Danke, Herr Inspektor - danke!“, entgegnete Hans<br />

überrascht. Er war überglücklich, daß <strong>die</strong> Angelegenheit so geendet hatte. „Nichts zu danken,<br />

<strong>Beschulnig</strong>, wenn ich dich das nächste Mal angeheitert bei einer Verkehrskontrolle erwische,<br />

kriegst ordentliche Ohrfeigen, nur damit wir uns verstehen!“<br />

Hans war heilfroh, daß er sich schadlos aus der Affäre ziehen hatte können, <strong>und</strong> fuhr sofort zu<br />

Evi. Doch <strong>die</strong>smal bestellte er nicht wie gewohnt ein Bier, sondern ein Cola. „Wo haben sie<br />

denn dich katholisch gemacht?“, fragte Evi erstaunt. „Am Gendarmerieposten!“, entgegnete<br />

Hans nicht ohne Stolz. „So, <strong>und</strong> wie haben sie das geschafft?“ „Ganz einfach, <strong>die</strong> haben mich<br />

wegen dem Banküberfall verhaftet!“ „Was, <strong>und</strong> ich wollte dir eben <strong>die</strong>se Neuigkeit erzählen!“,<br />

meinte Evi entgeistert.<br />

Hans erzählte ihr <strong>und</strong> allen interessierten Gästen <strong>die</strong> Geschichte mit seiner Verhaftung. „Ja, der<br />

Brunner!“ sagte Evi, sie meinte den Gendarm, der Hans verhört hatte. „Mit dem hast Glück<br />

gehabt, aber fordere ihn nicht heraus, <strong>von</strong> dem kannst bei der nächsten Kontrolle wirklich eine<br />

Alkoprobe haben.“<br />

Danach fuhr Hans zu Monika, wegen dem Ereignis hatte er sie <strong>die</strong>smal nicht <strong>von</strong> der Firma<br />

abholen können. Als er im Hof anhielt, kam sie ihm schon freudig entgegengerannt. Hans<br />

öffnete <strong>die</strong> Beifahrertür, denn draußen war es eisig kalt, Monika setzte sich rasch ins Auto.<br />

„Hallo, hast heute ganz auf mich vergessen, was?“, meinte sie keineswegs verärgert. „Wie<br />

könnte ich dich vergessen!“, sagte er schelmisch lächelnd. „Naja!“ warf sie neckisch<br />

dazwischen. „Sagen wir, ich war verhindert!“ „So, hast schon eine Arbeit bekommen?“ „Nein,<br />

aber <strong>die</strong> Bullen haben mich verhaftet!“ „Was, warum?“, entgegnete sie entsetzt <strong>und</strong> griff hastig<br />

nach seiner Hand. „In Ferlach haben sie eine Bank überfallen <strong>und</strong> einen Bankangestellten <strong>von</strong><br />

der slowenischen Bank mit dem Hammer niedergeschlagen! Na ja, ich bin halt ein verdächtiges<br />

Subjekt!“ Beide begannen herzlich zu lachen.<br />

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Hans übernachtete <strong>die</strong>smal auch nicht zu Hause. Und als am nächsten Tag, einem Samstag, <strong>die</strong><br />

Zeitungen <strong>von</strong> dem Banküberfall berichteten, war in seiner Heimatgegend <strong>die</strong> Hölle los. Da<br />

gab es in einem Printmedium eine Meldung mit folgendem Wortlaut: „Der beschäftigungslose<br />

Hans B. aus Föndach wurde im Zusammenhang mit dem Raubmord in Ferlach mangels<br />

Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt.“ Sogar Menschen, <strong>die</strong> ihn des öfteren argwöhnisch<br />

beobachtet hatten, standen ihm nun bei. Man schimpfte über <strong>die</strong> Presse <strong>und</strong> <strong>die</strong> noch flüchtigen<br />

Täter. Sogar Vater, mit dem er nun schon über eine Woche keinen Kontakt pflegte, war zu<br />

dem Gendarmerieposten nach Ferlach gefahren, um sich persönlich über <strong>die</strong> Affäre zu<br />

erk<strong>und</strong>igen. Nach Ansicht <strong>von</strong> Hans war das Vorgehen der Gendarmerie äußerst korrekt<br />

gewesen. Er war nicht einmal den Printme<strong>die</strong>n böse, schließlich hatten sie ihn über Nacht zum<br />

Gesprächsthema gemacht. Gekonnt nützte er den Rummel, um <strong>die</strong>ses Ereignis für sich zu<br />

verwerten. Er wußte, daß nun <strong>die</strong> Zeit für ihn arbeitete <strong>und</strong> Vater das Zigeunerleben seines<br />

Sohnes den Nachbarn nicht mehr gut verkaufen konnte, zu sehr stand nun <strong>die</strong> Volksseele auf<br />

Hansis Seite.<br />

Hans fuhr so ganz zufällig durch Föndach. Dabei begegnete er seiner Schwester Traudi. Nach<br />

einigem harmlosen Herumblödeln wegen dem Vorfall meinte sie: „Vater ist besorgt um dich, er<br />

möchte den Streit mit dir beenden, du kannst wieder zu Hause schlafen!“ „Morgen,<br />

Schwesterlein, morgen werde ich kommen! Der darf doch nicht glauben, daß ich auf ihn<br />

angewiesen bin. Tja, <strong>die</strong> Zeiten sind vorbei!“, entgegnete er selbstsicher, für ihn war <strong>die</strong><br />

Schlacht gewonnen. „Hast schon recht, Hansi!“, meinte Traudi nicht ohne Stolz. „Gib’s ihm<br />

nur, dem gebührt es!“ „Ciao, bis morgen!“, sagte er <strong>und</strong> fuhr los.<br />

„Hallo, Räuberhauptmann, wie geht es dir?“, sagte Monika, als er sie an <strong>die</strong>sem<br />

Samstagnachmittag abholte. „Sehr gut, meine Gangsterbraut!“, entgegnete er lächelnd. „Also,<br />

ich möchte, daß wir beide heute mit meinem Bruder ausgehen, hast was dagegen?“, sagte sie<br />

spontan. „So, gehst ihm schon ab!“, entgegnete er trocken. „Nun ja, er hat mich gefragt, ob ich<br />

schon nach Föndach ausgewandert sei!“ Hans machte einen Seufzer. „Gut, aber in der<br />

Zwischenzeit fahren wir zu Evi!“<br />

Gerade, als Hans <strong>und</strong> Monika das Lokal betraten, rief einer der Gäste: „Alles in Deckung,<br />

Capone ist eingetroffen!“ Alle lachten auf. Heino <strong>und</strong> George saßen schelmisch grinsend auf<br />

dem Barhocker. Evi freute sich besonders wegen Monika. „Na, wie geht’s dir, Monika?“ „Wie<br />

immer, Evi!“, entgegnete sie äußerst gut gelaunt. „Trinkst auch einen Kaffee, Hansi?“ „Ja<br />

sicher, ist ja ein Kaffeehaus, oder?“, meinte er mit Humor. „Aber daß du, um endlich<br />

draufzukommen, einen Gendarmen brauchst, beunruhigt mich!“, sagte Evi mitleidvoll <strong>und</strong><br />

kopfschüttelnd. „Früher hast uns immer mit einer Brauerei verwechselt!“ Es gab großes<br />

Gelächter. „Jetzt hast mich schön reingelegt, das ist dir wieder einmal gelungen, Evi!“ Er<br />

mußte dabei selbst lachen. „Wie sagst du immer, das sind doch nur Kleinigkeiten, oder?“, sagte<br />

sie <strong>und</strong> stellte ihm den Kaffee auf <strong>die</strong> Bar. „Jöö, kannst mir noch einmal verzeihen, Monika,<br />

jetzt habe ich auf dich ganz vergessen! Was darf ich dir geben?“ „Einen Kaffee, Evi, nur mich<br />

hat ein anderer Inspektor umgestellt!“, meinte sie keck. „Na, dir werd’ ich auch noch den<br />

Inspektor geben!“, sagte Hans ernst. „Auf den bin ich schon neugierig!“, entgegnete sie <strong>und</strong><br />

lachte mit den anderen im Chor. <strong>Die</strong> ist ganz schön vorlaut, dachte er <strong>und</strong> ging zur Musikbox,<br />

um <strong>die</strong> Stimmung im Lokal noch mehr anzuheizen. Einsam <strong>und</strong> metallisch klang der Fünfer, als<br />

er in dem Münzschlitz verschwand. Hans wählte einige Singles aus den 70er Jahren. „Na, wie<br />

geht es unserem Casanova?“, meinte Karin gelangweilt, sie saß neben der Musikbox <strong>und</strong> löste<br />

Kreuzworträtsel, zwischendurch knabberte sie lässig am Kopf des Kugelschreibers. „Mir geht<br />

es gut, Karin!“ „Bist mit deiner neuen Flamme hier?“ „Ja, warum?“ „Ach, ich dachte nur. Was<br />

macht ihr heute?“ „Wir sind mit ihrem Bruder unterwegs!“, sagte er <strong>und</strong> wählte noch eine<br />

Single. Sie sah ihn verführerisch an. „Schade!“, meinte sie <strong>und</strong> wandte ihren Blick dem<br />

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Kreuzworträtsel zu. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging Hans an <strong>die</strong> Bar zurück. „Was<br />

hat denn Karin gesagt?“, fragte Evi betont neugierig. „Nichts für dich!“, entgegnete er spitz.<br />

„Hoffentlich passiert dir nicht dasselbe, ich meine, daß er dich einfach sitzen läßt!“, sagte Evi<br />

sehr ernst zu Monika. „Ach was, Evi, das darf man nicht so tragisch nehmen. Und außerdem,<br />

andere Mütter haben auch schöne Söhne!“, meinte sie darauf lächelnd. „Deinen Galgenhumor<br />

möchte ich haben!“, sagte Evi bew<strong>und</strong>ernd, während sie ein Glas polierte.<br />

Das riesige Tanzlokal bei der Hollenburg, in welches sie <strong>von</strong> ihrem Bruder Wolfgang<br />

eingeladen worden waren, war im ersten Stock eines großen Gastbetriebes, der neben dem<br />

alten Schloß steht, untergebracht. Das Schloß Hollenburg selbst strotzt stolz <strong>und</strong> mächtig<br />

nördlich der Drau auf einer Anhöhe <strong>und</strong> hat trotzdem mit dem Prunk vergangener Tage nichts<br />

mehr gemein. Es wurde nicht einmal als Touristenattraktion genützt, obwohl man <strong>die</strong> Aussicht<br />

über das halbe Rosental herrlich genießen kann.<br />

Es war etwa so gegen 20.15 Uhr, Hans <strong>und</strong> Monika sahen sich gerade in dem Tanzsaal um, in<br />

dem eine fünfköpfigen Band kräftig aufspielte. Ja, da war schon einiges los. „Hoffentlich haben<br />

<strong>die</strong> uns einen Platz reserviert!“, meinte Monika besorgt. „Monika, hier!“, rief plötzlich jemand<br />

aus der Menge. <strong>Die</strong> beiden sahen suchend in den Saal. „Ach da!“, sagte sie freudig <strong>und</strong> packte<br />

Hans bei der Hand. „Komm, mein Bruder - dort, siehst du!“, sagte sie <strong>und</strong> ging mit ihm zu der<br />

wild in der Menschenmenge gestikulierenden Hand. Werner hatte für <strong>die</strong> beiden zwei Plätze an<br />

dem Tisch seiner Fre<strong>und</strong>e, <strong>die</strong> auch <strong>die</strong> ihren waren, besetzt. „Darf ich euch Hansi vorstellen?“,<br />

sagte Monika mit strahlenden Augen. Da war Gerd, er war beinahe um einen Kopf größer als<br />

Hans <strong>und</strong> war laut Monika in ihrer Gegend als Frauenheld bekannt. Für Hans war <strong>die</strong>se<br />

Aussage glaubwürdig, da er wirklich einen feschen, großen <strong>und</strong> charakterstark wirkenden<br />

jungen Mann <strong>von</strong> 21 Jahren mit braunen Augen <strong>und</strong> schwarzen, halblangen Haaren vor sich<br />

sah. Außerdem hatte er Geschmack, das konnte man an dem Aussehen seiner tollen Fre<strong>und</strong>in<br />

erkennen. Sie war um <strong>die</strong> 20, hatte braunes, langes Haar <strong>und</strong> war ausgesprochen schlank. <strong>Die</strong><br />

nächsten Bekannten aus der Clique ihres Bruders kannte er schon, Martin mit seiner Fre<strong>und</strong>in.<br />

Dann gab’s noch Harry, er war auch um <strong>die</strong> 20, ein dunkler Typ, etwa so groß wie Hans <strong>und</strong><br />

als Schläger verschrien. Doch im Gr<strong>und</strong>e schien er ein recht sympathischer <strong>und</strong> geselliger Typ<br />

zu sein. Natürlich war auch <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>in <strong>von</strong> Werner, Erika, anwesend, auch sie war ihm<br />

mittlerweile nicht mehr unbekannt. „Hey, wißt ihr schon das Neueste!“, rief Werner aufgeregt<br />

über den ganzen Tisch. Alle sahen ihn erstaunt fragend an. „Hans wurde gestern im<br />

Zusammenhang mit dem Raubmord bei dem Banküberfall in Ferlach verhaftet!“ „Nein - das<br />

gibt es doch nicht!“, entgegnete Harry lachend, als ob es ein gut gemeinter Scherz wäre. Und<br />

wieder mußte Hans <strong>die</strong> ganze Story erzählen, doch es war gut so, denn damit hatte er auf<br />

Anhieb Anschluß im Bekanntenkreis <strong>von</strong> Monika <strong>und</strong> Wolfgang gef<strong>und</strong>en.<br />

„Damenwahl!“, ertönte es aus den Lautsprechern, nachdem <strong>die</strong> fröhliche R<strong>und</strong>e zum zweiten<br />

Mal angestoßen hatte. „Na los, Herr <strong>Beschulnig</strong>!“, sagte Monika. <strong>Die</strong> Band spielte „Hippy<br />

Hippy Shake“. Sie griff nach seiner Hand, <strong>und</strong> auf ging’s. „Schon wieder verhaftet!“, meinte er<br />

lakonisch <strong>und</strong> folgte ihr unter Gelächter widerstandslos auf das Tanzparkett. Auch Martin,<br />

Gerd <strong>und</strong> Werner folgten der Aufforderung ihrer Fre<strong>und</strong>innen. Nur Harry ging an <strong>die</strong> Bar, um<br />

einige Gläser Cola-Rum in <strong>die</strong> traurige Seele zu kippen. „Alle Achtung, Hans, ich muß sagen,<br />

du bist bei meinen Fre<strong>und</strong>en sehr gut angekommen, ich bin stolz auf dich!“ Ihre Augen sagten<br />

ihm, daß sie <strong>die</strong>sen Augenblick sehr genoß. „So“, entgegnete er ungläubig, obgleich er wußte,<br />

daß sie den Tag der Bekanntmachung sorgfältig ausgewählt hatte. „<strong>Die</strong> Fre<strong>und</strong>e meines<br />

Bruders sind auch <strong>die</strong> meinen!“, sagte sie noch rasch vor dem schnellen Dreher, der in das<br />

Tanzprogramm paßte. „Und ich weiß, ob sie wen sympathisch finden oder nicht!“ „Ach so“,<br />

entgegnete er verdutzt. „Aber noch lieber wäre mir, wenn ich dir sehr am Herzen läge!“ „Ach<br />

geh!“, meinte sie lachend. „Herz Schmerz, sonst wärst du nicht mit mir hier!“, meinte sie keck<br />

<strong>und</strong> tippte neckisch mit dem rechten Zeigefinger auf seine Nasenspitze.<br />

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Gegen Mitternacht parkten sie im Hofe ihres Elternhauses. „Du, mir war es wirklich lieber, daß<br />

wir hierher gefahren sind!“, meinte sie zufrieden. „<strong>Die</strong> feiern jetzt bei Erika <strong>und</strong> kommen erst<br />

gegen 4 Uhr stark angeheitert nach Hause!“ „Das habe ich früher auch mit meinen Fre<strong>und</strong>en<br />

gemacht, das heißt, ich mache es heute gelegentlich auch!“, entgegnete er, als ob er schon so<br />

seine Jährchen am Buckel hätte. Monika kuschelte sich an ihn <strong>und</strong> hörte interessiert zu. „Aber<br />

in letzter Zeit, seit ich dich kenne, werden solche Nächte immer seltener!“ Er streichelte ihr<br />

zärtlich durchs volle, tiefschwarze Haar. „Ts, ts, was halt so ein Mädchen alles bewirken<br />

kann!“, meinte sie schelmisch. <strong>Die</strong> beiden küßten sich leidenschaftlich <strong>und</strong> zärtlich.<br />

„Hallo, Hansi, wo warst denn heute?“, fragte Sigi, der gegen 3 Uhr am Morgen hinter der Bar<br />

stand <strong>und</strong> gelangweilt eine Marlboro rauchte. „Hallo!“ sagte Hans recht fre<strong>und</strong>lich. „Tut mir<br />

leid, aber ich war heute mit Monika <strong>und</strong> ihren Fre<strong>und</strong>en aus Komannsdorf unterwegs!“ Er<br />

setzte sich auf einen Barhocker. „Hab’ ich mir doch gleich gedacht, daß sie dich schon<br />

einkassiert haben!“, meinte Sigi, wobei er hinterfotzig in seinen Bart kicherte. „Aber was<br />

anderes, komm her“, sagte er geheimnisvoll gestikulierend <strong>und</strong> flüsterte Hans ins Ohr, „was<br />

sagst zu meiner neuen Fre<strong>und</strong>in dort bei der Musikbox?“ Hans musterte sie genau, ohne sich<br />

dabei etwas anmerken zu lassen. „Na ja, aber so schön ist sie auch nicht, Sigi!“ „Ach was,<br />

Hans, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul!“, sagte Sigi, lächelte dabei seine<br />

neue Flamme betont lässig an <strong>und</strong> ließ den Zigarettenrauch ringförmig aus seinem M<strong>und</strong> in<br />

Richtung oben strömen.<br />

Hans war eigentlich nur wegen Fritz in <strong>die</strong> Disco gekommen. Da <strong>die</strong>ser nicht kam, entschloß er<br />

sich, doch zu Hause zu übernachten. Denn <strong>die</strong> Nacht war saukalt.<br />

Am folgenden Sonntagvormittag sprach er sich mit Vater aus. Es war ein ernstes, recht<br />

klärendes Gespräch, wobei Vater <strong>die</strong> Beschimpfungen zurücknahm. Für Hans war nun<br />

vorübergehend der Waffenstillstand eingetreten. Das nächste Gefecht würde ganz bestimmt<br />

folgen, dachte er, zuviel Porzellan war zwischen den beiden schon zerschlagen worden.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 F e b ru a r<br />

D E R U N G E W O L L T E S P R U N G M I T D E M A U T O B E I D E R<br />

H E I M F A H R T V O M A U S H I L F S J O B<br />

„Tankstelle sucht aushilfsweise Autowäscher“, <strong>die</strong>ses Stellenangebot stach Hans sofort ins<br />

Auge, als er Anfang Februar den Annoncenteil einer Tageszeitung aufschlug. Darunter <strong>die</strong><br />

Adresse: Klagenfurt, Rosentaler Straße... Gierig trank er den Kaffee aus <strong>und</strong> fuhr sofort zur<br />

besagten Tankstelle nach Klagenfurt. <strong>Die</strong> Uhr zeigte zwar erst 7 Uhr am Morgen, doch er<br />

durfte keine Minute verlieren, schließlich stand ein Job auf dem Spiel. Autowäscher, ging es<br />

durch seinen Kopf. Nun ja, Onassis war auch einmal Tellerwäscher gewesen.<br />

Hans betrat den Verkaufs- <strong>und</strong> Kassenraum der Tankstelle. „Guten Tag, der Herr - Sie<br />

wünschen?“, sagte der Tankwart mit jugoslawischem Akzent. „Guten Morgen, ich möchte<br />

gerne mit dem Chef wegen der Arbeitsannonce sprechen!“ Wortlos ging der Tankwart zur Tür,<br />

auf der in Großbuchstaben Büro geschrieben stand. „Chefe, da is’ eine neue Arbeiter!“, rief er<br />

leicht untertänig ins Büro. Einige Atemzüge später kam ein etwa 35jähriger, nach Art der<br />

moderneren Managergeneration gestylter Typ <strong>und</strong> meinte fre<strong>und</strong>lich, ohne jedoch zu grüßen:<br />

„Sie kommen wegen der Stelle?“ „Ja, guten Tag! Ich hoffe, sie ist noch nicht vergeben!“<br />

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„Noch nicht, aber ich muß Sie aufmerksam machen, <strong>die</strong>se Stelle können Sie nur 3 Wochen<br />

besetzen, <strong>und</strong> da nur nach Bedarf!“ „Nur für drei Wochen!“, entgegnete Hans bestürzt. „Ja,<br />

mein jugoslawischer Arbeiter kommt dann vom Urlaub zurück!“ „Ja, ich nehme <strong>die</strong> Stelle!“<br />

Hans blieb ja auch nichts anderes übrig. So hatte er wenigstens Gelegenheit, einige Schillinge<br />

für seine Ausgaben zu ver<strong>die</strong>nen. „Wie sieht es mit der Bezahlung aus?“ „Gr<strong>und</strong>lohn plus<br />

Trinkgeld <strong>und</strong>, das muß ich natürlich erwähnen, Sie bekommen nur <strong>die</strong> St<strong>und</strong>en, <strong>die</strong> Sie<br />

anwesend sind, bezahlt. Bei schlechtem Wetter scheint um <strong>die</strong>se Jahreszeit kein Bedarf zu<br />

sein!“ Kurz nach dem Einstellungsgespräch bekam er Gummistiefel, Arbeitsmantel, eine rasche<br />

Einführung in <strong>die</strong> Be<strong>die</strong>nung der automatischen Waschanlage, <strong>die</strong> damals schon veraltet war,<br />

<strong>und</strong> los ging’s mit dem neuen Job. Kassieren, eventuell <strong>die</strong> für Waschwalzen schwer<br />

zugänglichen Teile händisch vorwaschen, Antennen einschieben <strong>und</strong> Waschanlage einschalten,<br />

so verlief der Arbeitsgang. Hans lernte dabei, daß so ein Hilfsarbeiterdasein ganz schön<br />

deprimierend sein konnte, <strong>und</strong> doch war er froh, wenigstens <strong>die</strong>se Arbeit ausführen zu dürfen.<br />

Wenn er wegen Schlechtwetters frei bekam <strong>und</strong> sein Vater da<strong>von</strong> erfuhr gab es recht wilde,<br />

verbale Auseinandersetzungen.<br />

*<br />

D e r A u t o s p ru n g<br />

Es war ein trüber Wintertag Mitte Februar. Schneewolken kündigten schon am frühen Morgen<br />

starke Schneefälle an. Trotz <strong>die</strong>ser sicheren Vorzeichen für einen freien Tag fuhr Hans zur<br />

Tankstelle, in der Hoffnung, daß es doch etwas zu tun gäbe. Doch wie es halt der Teufel so<br />

haben will, noch bevor er bei der Tankstelle in Klagenfurt ankam, begann es heftig zu schneien.<br />

Den Chef aufzusuchen, war nur noch zur Formalität geworden. „Heute brauchen wir dich<br />

nicht, <strong>Beschulnig</strong>!“, bekam er erwartungsgemäß zu hören. <strong>Die</strong>smal war es ihm sogar recht,<br />

denn <strong>die</strong> Lust zu arbeiten war ihm bei dem Wetter vergangen. Bei der Heimfahrt rauchte er<br />

gelassen eine Zigarette <strong>und</strong> hörte Hits aus den Siebziger Jahren. Es schneite stark, <strong>die</strong> Straße<br />

war schon mit einigen Zentimetern Schnee bedeckt. Leichtsinnig wegen dem freien Tag, den<br />

flotten Hits <strong>und</strong> dem angenehmen Geschmack der Zigarette, begann er, <strong>die</strong> Grenzen seines<br />

Fahrkönnens auszuloten. Es gab keinen starken Verkehr <strong>und</strong> keinen Fahrgast, den er hätte<br />

gefährden können. Auf der langen Geraden in Richtung Ferlach steigerte er <strong>die</strong><br />

Geschwindigkeit <strong>von</strong> Schleudervorgang zu Schleudervorgang. Immer wieder schaffte er es<br />

locker, den BMW unter Kontrolle zu bringen. So ein frischer Neuschneebelag ist doch was<br />

Tolles, dachte er noch. <strong>Die</strong> Tachonadel bewegte sich stetig <strong>und</strong> rasch auf <strong>die</strong> H<strong>und</strong>ertermarke<br />

zu. Doch zu unerfahren <strong>und</strong> das Schicksal herausfordernd, schaltete er auf den dritten Gang<br />

zurück <strong>und</strong> drückte kräftig auf <strong>die</strong> Tube. <strong>Die</strong> Antriebsräder drehten sofort durch, worauf das<br />

Heck ruckartig ausscherte. Nichts Ungewöhnliches für Hans, nur <strong>die</strong>smal spielte sein Fahrzeug<br />

nicht mehr mit, er stieg sofort vom Gaspedal <strong>und</strong> lenkte dagegen, aber es zog das Vorderteil<br />

rechts <strong>von</strong> der Straße. Alle seine Versuche, doch wieder auf <strong>die</strong> Straße zu kommen, schlugen<br />

kläglich fehl, <strong>und</strong> dann kam auch noch der fünf Meter breite Hoferbach. Zum Bremsen war es<br />

zu spät, hätte auch wenig genützt. Jetzt ist es aus, jetzt stürze ich in den Bach runter, dachte er<br />

noch <strong>und</strong> hielt sich krampfhaft am Lenkrad fest. Doch der BMW schoß wider Erwarten über<br />

das Bachbett hinaus <strong>und</strong> setzte cirka 2 bis 3 Meter nach der anderen Seite mit allen vier Rädern<br />

gleichzeitig auf. <strong>Die</strong> noch recht hohe Geschwindigkeit bewußt ausnützend, fuhr er <strong>von</strong> der mit<br />

Alt- <strong>und</strong> Neuschnee bedeckten Wiese auf <strong>die</strong> Straße, wo er sichtlich geschockt anhielt. Das ist<br />

doch ein W<strong>und</strong>er, sowas kann es doch nicht geben, dachte er <strong>und</strong> stieg aus dem Wagen, um<br />

sich umzuschauen. Doch nichts, alles war noch dran <strong>und</strong> nichts kaputt gegangen. Langsam, mit<br />

einem ungläubigen Staunen ging er zum Bachbett, um seinen Sprung zu rekonstruieren. „Ist<br />

Ihnen was passiert, ich rufe <strong>die</strong> Rettung!“, rief <strong>die</strong> alte Frau, <strong>die</strong> im Haus neben dem Bach<br />

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wohnte <strong>und</strong> nun zu ihm eilte. „Es muß Ihnen etwas passiert sein, Sie haben sich überschlagen,<br />

das habe ich mit eigenen Augen gesehen!“, keuchte sie vor Aufregung. Ich habe zwar dem<br />

Bach ins Angesicht gesehen, doch ich denke, es war nur Einbildung, dachte Hans. „Ist Ihnen<br />

wirklich nichts passiert?“, fragte <strong>die</strong> Alte nochmals besorgt. „Nein, Gnädigste, mir ist nichts<br />

geschehen!“, entgegnete Hans fre<strong>und</strong>lich lächelnd.<br />

Hans fuhr sofort zu Evi. „Weißt du, was mir heute passiert ist?“ „Nein, was denn?“ „Den<br />

Hoferbach auf der langen Geraden vor Kerschen, den kennst du doch, oder?“ „Ja sicher!“ „Den<br />

habe ich heute rallyemäßig überquert, <strong>und</strong> ich muß sagen, Hut ab vor meinem Auto, brav hat<br />

der Bayrische den Sprung absolviert!“ Er lächelte dabei spitzbübisch. „Jaja, das ist schon<br />

wieder so eine blöde Einlage <strong>von</strong> dir, du hälst mich wohl für sehr dumm!“, entgegnete sie<br />

grantelnd, während sie seinen Kaffee zubereitete. Hans lachte noch trunken <strong>von</strong> dem Erlebnis<br />

vor sich hin. Er selbst konnte es auch nicht wirklich fassen, doch da waren <strong>die</strong> Spuren im<br />

Schnee gewesen. Im Hintergr<strong>und</strong> spielten Singles <strong>von</strong> Elvis, gewählt <strong>von</strong> den<br />

Schulschwänzern, <strong>die</strong> zu viert neben der Musikbox saßen <strong>und</strong> sich über Gott <strong>und</strong> <strong>die</strong> Welt<br />

lustig machten. „Hey, Semmelführer!“, grüßte Hans freudig den Gast, der eben ins Lokal<br />

gekommen war. „Grüß dich, Hansi, hallo Evi!“, gab der genauso fre<strong>und</strong>lich zurück <strong>und</strong> klopfte<br />

den Schnee <strong>von</strong> Schuhen <strong>und</strong> Kleidung, bevor er zu ihnen an <strong>die</strong> Bar ging. „Wißt ihr schon das<br />

Neueste, den Hoferbach hat jemand mit dem Auto übersprungen!“, sagte der Bäckereifahrer<br />

mit strahlenden Augen. Evi horchte auf <strong>und</strong> sah Hans erstaunt an. „Das ist doch nichts<br />

Neues!“, meinte Hans grinsend. „Wieso, das mußt du dir erst ansehen, Hansi!“ „Warum sollte<br />

ich, Semmelführer. Ich war derjenige, der den Hoferbach vor einer halben St<strong>und</strong>e überquert<br />

hat!“, sagte er nicht ohne Stolz. „Was, du?“, entgegnete der Semmelführer erstaunt. „Das mußt<br />

du mir schildern!“ Auch <strong>die</strong>ses Ereignis ging wie ein Lauffeuer durch <strong>die</strong> benachbarten Dörfer.<br />

Autofahrer hielten an der Stelle beim Hoferbach an <strong>und</strong> rekonstruierten an Hand der<br />

Schneespuren den Sprung. Für <strong>die</strong> meisten war es Glück, ein W<strong>und</strong>er.<br />

Ende Februar waren <strong>die</strong> drei Wochen abgelaufen, <strong>und</strong> Hans mußte den Arbeitsplatz einem<br />

Ausländer überlassen, was ihn zwar sehr ärgerte; doch beim genaueren Nachdenken kam er zu<br />

dem Schluß: Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst. Der Jugoslawe war ins Land gekommen,<br />

hatte sich auf eigene Kosten <strong>die</strong>sen Job, den er jetzt schon über zwei Jahre ausübte, zugelegt.<br />

Also sollte er ihn auch behalten. Schließlich bin ich für meine Situation zum Teil oder<br />

überhaupt selbst verantwortlich, man kann es drehen <strong>und</strong> wenden, wie man will, so sagte Hans<br />

zu sich.<br />

*<br />

1 9 7 6 M ä rz I - A rb e i t i n d e r S c h o t t e rg ru b e<br />

Am Montag, dem 1. März, ging Hans schon am frühen Vormittag zu Wester in <strong>die</strong><br />

Schottergrube. Seit Tagen hatte es wieder extreme verbale Auseinandersetzungen mit Vater<br />

gegeben. Wie immer, so war auch bei <strong>die</strong>sen Streitereien <strong>die</strong> neuerliche Arbeitslosigkeit <strong>von</strong><br />

Hans der zentrale Punkt gewesen.<br />

Wester war gerade dabei, einen LKW-Zug mit Schotter zu beladen. Der Motor des 220 PS<br />

starken Radladers heulte einsam auf, während er den nächsten Kubikmeter Schotter holte.<br />

Hans ging in <strong>die</strong> Baracke, setzte sich zum Tisch, auf dem Westers Jausensackerl lag, <strong>und</strong><br />

rauchte genußvoll eine Zigarette. „Ach, servus, Hanse!“, sagte Wester fre<strong>und</strong>lich, als er nach<br />

getaner Arbeit in <strong>die</strong> Baracke kam. „Hallo, Wester!“ „Trinkst ein Bier mit mir?“, meinte<br />

Wester gutgelaunt. Er wartete erst gar nicht auf <strong>die</strong> Antwort, stellte zwei Bier auf den Tisch<br />

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<strong>und</strong> öffnete zufrieden lächelnd sein Jausensackerl. „Das müssen wir feiern, Hanse!“, meinte er.<br />

„Was müssen wir feiern?“, entgegnete Hans überrascht, obgleich er schon fühlte, daß es nur<br />

um den Job gehen konnte. „Du bist ab heute mein neuer Arbeitskollege!“, sagte Wester erfreut,<br />

hob seine Bierflasche <strong>und</strong> stieß mit Hans begeistert an. Hans trank einen kräftigen Zug vom<br />

Bier, stellte <strong>die</strong> halbleere Flasche auf den Tisch <strong>und</strong> konnte sein Glück noch nicht fassen. Er<br />

saß einen Moment lang sprachlos da, beobachtete Westers strahlende Miene <strong>und</strong> warf einen<br />

raschen Blick durch’s Fenster zu den Sandpyramiden, wo <strong>die</strong> Sonne den Überresten des<br />

Winters heftig zusetzte. „Ist das wirklich wahr, Wester?“ „Ja, Hanse, der Chef wird gleich<br />

kommen!“ Wester nahm einen kräftigen Schluck vom Bier. „Übrigens“, fuhr er fort, „es haben<br />

sich noch zwei andere um den Job beworben - enttäusch mich nicht!“ Hans freute sich wie ein<br />

kleines Kind. Endlich eine Arbeit, nach drei Monaten intensiver Suche eine geregelte Arbeit,<br />

noch dazu vor der Haustür, in der Föndacher Schottergrube. Freudig sprang er auf <strong>und</strong> bot<br />

Wester eine Zigarette an. „Danke!“ Er gab ihm Feuer <strong>und</strong> sagte: „Wester, ich danke dir! Du<br />

weißt gar nicht, wie sehr du mir damit geholfen hast, danke!“ „Hans, du brauchst dich nicht zu<br />

bedanken, du mußt nur fest arbeiten! Aber ich denke, wir beide werden schon ein<br />

hervorragendes Team abgeben!“ Beide lachten begeistert. „Ach ja, Hanse, du bist ein feiner<br />

Mensch!“, murmelte Wester vor sich hin, um dann genußvoll <strong>von</strong> der Zigarette zu ziehen. Da<br />

hielt plötzlich ein Mercedes vor der Baracke an. „Das ist er schon, der Chefe!“, sagte Wester.<br />

<strong>Die</strong> beiden tranken rasch ihr Bier aus <strong>und</strong> stellten <strong>die</strong> Flaschen in <strong>die</strong> halbleere Bierkiste, <strong>die</strong> in<br />

der Ecke stand. Danach gingen sie raus. „Also Sie sind der Neue!“, meinte der Chef, wobei er<br />

Hans <strong>von</strong> oben bis unten musterte. „Was haben Sie vorher gemacht?“ „Ich habe Kfz-<br />

Mechaniker bei der Firma Kohl in Klagenfurt gelernt!“ „Das ist gut, haben Sie den<br />

Gesellenbrief?“ „Nein, den habe ich noch nicht!“, entgegnete Hans aufrichtig. „Na ja!“, meinte<br />

der Boß, runzelte <strong>die</strong> Stirn <strong>und</strong> sah nachdenklich zu Boden. Wieder musterte er ihn, doch<br />

<strong>die</strong>smal <strong>von</strong> den Füßen bis zum Haarscheitel. „Na ja“, er blickte zum Schrapper, „bei Motoren<br />

kennen Sie sich ja hoffentlich aus?“ „Aber natürlich, Herr Chef!“, entgegnete Hans rasch.<br />

„Können Sie auch mit dem Radlader fahren?“ „Kann ich auch“, meinte er selbsicher. „Und<br />

Feinheiten werde ich schon noch lernen.“ „Über den Ver<strong>die</strong>nst sprechen wir noch, <strong>die</strong><br />

Arbeitszeit hat Ihnen ja vermutlich schon Wester bekanntgegeben!“ „Ja, ich weiß Bescheid,<br />

auch über den Ver<strong>die</strong>nst!“ „Auch über den Ver<strong>die</strong>nst?“, entgegnete der Boss überrascht. „Ja,<br />

auch über den Ver<strong>die</strong>nst!“ „Gut, das ist der Ver<strong>die</strong>nst <strong>von</strong> Wester. Sie werden am Anfang noch<br />

nicht so viel ver<strong>die</strong>nen, ich hoffe, Sie sind damit einverstanden!“ „Ja!“ Was hätte er ihm wohl<br />

sonst entgegnen sollen? „Na, dann ist es ja gut, Sie können mit der Arbeit sofort beginnen.<br />

Wester wird Sie einschulen!“<br />

Wester erklärte Hans zuerst, wie man <strong>die</strong> gesamte Förderband- <strong>und</strong> Sortieranlage in Betrieb<br />

nahm <strong>und</strong> worauf dabei besonders zu achten sei, wie Verstopfungen zu lösen <strong>und</strong> Wartungen<br />

vorzunehmen seien. Anschließend gingen sie zum Schrapper, einem Gerät, das mit Hilfe eines<br />

über 160 PS starken LKW-Motors eine Seilwinde betätigt, um so den Schotter <strong>und</strong> Sand aus<br />

dem Gr<strong>und</strong> des Teiches auf <strong>die</strong> Förderanlage zu bringen. Wester steckte den Startschlüssel in<br />

der Be<strong>die</strong>nungskabine an, stellte den Gashebel auf volle Kraft. Danach preßte er den<br />

Startschlüssel solange nach rechts, bis der Glutfaden blutrot wurde. Rasch auf den schwarzen<br />

Startknopf gedrückt, schon begann der <strong>Die</strong>selmotor wie wild zu schnauben <strong>und</strong> steigerte sich<br />

langsam auf volle Touren, wobei der Auspuff schwarze Rußwolken ausstieß. Nach einer<br />

kurzen Warmlaufperiode stellte Wester den Gashebel auf <strong>die</strong> Stellung halb, griff zum großen<br />

Schalthebel, der nur drei Schaltmöglichkeiten aufwies, vorwärts, neutral <strong>und</strong> rückwärts.<br />

Wester stellte auf „Vorwärts“, <strong>die</strong> Seilwinde begann sich zu drehen <strong>und</strong> zog den großen<br />

Behälter in den Teich. An dem Seil konnte man ungefähr abschätzen, wo sich der Behälter im<br />

Teich befand. Plötzlich peitschte das Seil auf der anderen Seite des Teiches. „Hast das<br />

gesehen?“ „Ja!“ „Wenn das Seil dort aufpeitscht, mußt du anhalten <strong>und</strong> den Schamott an Land<br />

bringen!“, sagte Wester ganz trocken, stellte den Hebel auf „Rückwärts“ <strong>und</strong> volle Kraft. „Und<br />

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was ist, wenn ich dort nicht anhalte?“, fragte Hans schelmisch grinsend. „Na, dann kannst <strong>die</strong><br />

Papiere abholen!“ Es dauerte nicht lange, <strong>und</strong> der Behälter kam mit voller schwerer Ladung<br />

quietschend aus dem Teich. Etwa einen Meter nach dem Verlassen des Wasserspiegels stellte<br />

er den Motor auf Standgas <strong>und</strong> den Hebel auf „Neutral“. „So, jetzt mußt du warten, bis der<br />

größte Teil des Wassers abgeronnen ist, ansonsten verschmierst <strong>die</strong> Förderanlage. Aber jetzt<br />

mußt besonders aufpassen!“ Er schob den Hebel auf „Rückwärts“ <strong>und</strong> stellte den Gashebel auf<br />

volle Kraft. Doch jetzt ließ er <strong>die</strong> beiden Be<strong>die</strong>nungshebel nicht aus der Hand. Der bullige<br />

Motor begann kraftvoll zu arbeiten, das Ungetüm kroch quietschend <strong>und</strong> kreischend <strong>die</strong><br />

Rampe am Schrapper empor. Plötzlich machte es einen höllischen Lärm, <strong>und</strong> da riß Wester<br />

sofort beide Hebel zurück. „So, jetzt fällt der ganze Dreck in den Sammler, <strong>von</strong> wo er auf das<br />

Förderband abläuft!“ Danach zeigte ihm Wester den genauen Lauf des Materials auf den<br />

Förderbändern.<br />

Obgleich Wester um gute 25 Jahre älter war als Hans, herrschte zwischen den beiden ein recht<br />

angenehmes Arbeitsklima. Wester sprach vor allem gerne über seine erlebten oder erdachten<br />

Erlebnisse in den Freudenhäusern zwischen Villach <strong>und</strong> Klagenfurt. Er steigerte sich dabei in<br />

selbstgefertigte frivole Sprüche hinein wie: „Das ist der Mann, der mit 15 Hühnern kann, <strong>und</strong><br />

unsereiner - nicht einmal mit einer!“<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : M ä rz I . W o c h e<br />

D A S F A H R S C H U L E - S P I E L<br />

Der alte VW-Käfer <strong>von</strong> Monikas Bruder Werner hatte einen Defekt, <strong>und</strong> so kam es, daß sich<br />

Hans mit ihm oft nach Feierabend bei Martin im Gasthaus traf. Hans kam <strong>die</strong>s nicht ungelegen,<br />

so konnte er <strong>die</strong> Gelegenheit nutzen, um seinen Beliebtheitsgrad in der Clique <strong>von</strong><br />

Komannsdorf, also dem Bekanntenkreis <strong>von</strong> Monika <strong>und</strong> Werner, enorm zu steigern. Dabei<br />

ging er, wie bei einem Krebsgeborenen üblich, mit sehr viel Geschick <strong>und</strong> Diplomatie vor.<br />

Keineswegs sollte es den Anschein haben, er wolle sich mit Ellenbogentechnik hineinpressen.<br />

Ob Werner <strong>die</strong>ses Spiel durchschaute oder Hans nur für naiv hielt, ist nicht bekannt. Jedenfalls<br />

nützte er <strong>die</strong> Gelegenheit <strong>und</strong> ließ sich jeden Tag nach Feierabend <strong>von</strong> Hans zu seiner Fre<strong>und</strong>in<br />

Erika chauffieren.<br />

Es war der erste Freitag im März. Nach der Arbeit traf er sich mit Monika, <strong>und</strong> <strong>die</strong> beiden<br />

fuhren gemeinsam zu Evi, wo Heino schon recht angeheitert an der Bar saß. „Hallo Fans, daß<br />

man euch auch wieder sieht! Ich dachte schon, ihr seid nach Komannsdorf übersiedelt!“,<br />

meinte er abwertend gestikulierend. Evi lachte erheitert auf. <strong>Die</strong> beiden setzten sich zu Heino<br />

an <strong>die</strong> Bar. Sie begannen eine angeregte Unterhaltung, gespickt mit lustigen Einlagen <strong>und</strong><br />

untermalt <strong>von</strong> den üblichen Singles aus der Musikbox, <strong>die</strong> man schon in- <strong>und</strong> auswendig<br />

kannte.<br />

Doch als Hans <strong>die</strong> Toilette aufsuchte, wurde Heino vertraulich. „Sag, Monika, ich meine, du<br />

darfst <strong>die</strong> Frage nicht todernst nehmen. Aber hast du schon mit Hansi geschlafen?“ Er sah sie<br />

nun an, als sei ihm <strong>die</strong>se blöde Frage nur so aus Versehen herausgerutscht. „Und wenn ich mit<br />

ihm geschlafen habe, so geht es dich einen feuchten Dreck an!“, entgegnete sie mit zornig<br />

stechendem Blick. „So habe ich es nicht gemeint“, sagte er fast tonlos <strong>und</strong> um Entschuldigung<br />

heischend. „Ich wollte dir nur einen guten Rat geben, Monika! Aber wenn du nicht willst - na<br />

gut!“, sagte er <strong>und</strong> spielte den Beleidigten. Monika war neugierig geworden. „Was für einen<br />

Rat wolltest du mir geben?“ „Wie lange seid ihr beide jetzt zusammen?“ „Etwa eineinhalb<br />

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Monate!“ „Na, siehst du!“, meinte er lachend. „Dann hast du noch ganze vierzehn Tage Zeit!“<br />

„Du sprichst in Rätseln, was meinst du mit vierzehn Tage?“ „Ganz einfach, wenn Hans mit<br />

einem Mädchen geht, so gibt er ihr genau zwei Monate. Hat er sie bis dahin nicht in <strong>die</strong> Heia<br />

gebracht, ist ihn <strong>die</strong> Holde los, <strong>und</strong> das ist so sicher wie das Amen im Gebet!“ Monika war<br />

bestürzt <strong>und</strong> saß wortlos mit kalkweißem Gesicht da. „Du brauchst nicht so erschüttert sein, es<br />

war nur ein gut gemeinter Rat. Ich hoffe, <strong>die</strong>ses Gespräch bleibt unter uns!“ „Na, was ist denn<br />

mit euch, ist euch das Gesicht eingeschlafen?“, fragte Hans gut gelaunt, er kam gerade an den<br />

Tisch zurück. „Ach, wir hatten nur ein ernstes Gespräch!“, entgegnete Heino trocken <strong>und</strong><br />

trank vom Bier, so, als wäre nichts Besonderes geschehen. „Und warum fehlt dir <strong>die</strong> Farbe im<br />

Gesicht?“, fragte Hans interessiert. „Mir ist im Moment nicht gut!“, entgegnete Monika<br />

gelangweilt. „Das kann ich mir bei Heino vorstellen!“, gab Hans <strong>von</strong> sich <strong>und</strong> lachte erheitert<br />

auf. „Aber ich bringe gleich Schwung in <strong>die</strong> rostige Bude, ihr kommt mir ja vor wie bei einem<br />

Begräbnis!“, sagte Hans <strong>und</strong> ging zur Musikbox. „Bist jetzt böse auf mich?“, fragte Heino.<br />

Monika zog ihr bekannt sorgloses Lächeln auf. „Warum sollte ich böse sein, wenn du mir<br />

schon so nette Ratschläge erteilst. Du siehst ja so lieb aus, wenn du einmal wirklich ernst<br />

wirst!“, meinte sie nun lachend <strong>und</strong> packte mit beiden Händen seinen rechten Oberarm. „Ich<br />

war nur einen Moment lang schockiert!“ „Dann ist ja gut!“, sagte Heino zufrieden. „Und<br />

vergessen wir das Gespräch!“<br />

*<br />

Am folgenden Freitag, dem 12. März, feierten Gerd, Werner, Hans <strong>und</strong> Monika - nur trank sie,<br />

wie üblich, keinen Alkohol - ausgiebig in dem Lokal <strong>von</strong> Erikas Eltern. Gegen Mitternacht<br />

beschlossen sie, das Lokal zu wechseln, da Erikas Eltern auf <strong>die</strong> Sperrst<strong>und</strong>e drängten. „Nach<br />

Viktring in <strong>die</strong> Orchidee!“, rief Werner immer wieder belustigt in <strong>die</strong> feuchtfröhliche R<strong>und</strong>e.<br />

„Jawohl!“, kam es beinahe einstimmig zurück. „Ich auch!“, sagte Erika <strong>und</strong> sah ihre Mutter<br />

fragend an. „Du nicht, du bist noch zu jung!“, entgegnete <strong>die</strong>se barsch. „Ach was, ich werde<br />

doch schon sechzehn!“ „Du wirst sechzehn <strong>und</strong> bist schon ein ganz schlimmer Tutu, du!“,<br />

sagte Gerd, wobei er scherzhaft mit dem Zeigefinger, unter dem Gelächter der R<strong>und</strong>e, drohte.<br />

Zutiefst beleidigt verließ daraufhin Erika <strong>die</strong> Gaststube <strong>und</strong> lief in ihr Zimmer.<br />

So fuhr man ohne Erika in Richtung Orchidee. Hans spielte, wie in letzter Zeit üblich, den<br />

Taxifahrer. Gerd <strong>und</strong> Werner genossen <strong>die</strong>s sicht- <strong>und</strong> hörbar, konnten sie doch so<br />

hemmungslos Alkohol in sich hineinschütten.<br />

<strong>Die</strong> Straße war zwar schneefrei, doch dafür stiegen <strong>die</strong> Schneewechten, <strong>die</strong> <strong>von</strong> den Pflügen in<br />

<strong>die</strong>sem extremen Winter aufgebaut worden waren, an den Rändern bis zu eineinhalb Metern<br />

an.<br />

Hans nahm <strong>die</strong> Abkürzung über eine schmale Seitenstraße, <strong>und</strong> als er zur Hauptstraße kam,<br />

blieb er stehen, denn ihm war eine glorreiche Idee gekommen. „So, Fre<strong>und</strong>e, jetzt zeige ich<br />

euch, wie der Hödl mit mir gemeinsam <strong>die</strong> erste Fahrst<strong>und</strong>e absolviert hat!“ Hans nahm dabei<br />

<strong>die</strong> verkrampfte Haltung eines in Schweiß gebadeten Fahrschülers ein. Das Gesicht knapp vor<br />

der Windschutzscheibe, beide Hände um das Lenkrad verkrampft <strong>und</strong> kräftiges Vollgas am<br />

Stand, sorgte er für eine Lachsalve nach der anderen. Beim Einlegen des ersten Ganges <strong>und</strong><br />

der holprigen unkontrollierten Fahrt nach hinten statt nach vorne, waren <strong>die</strong> beiden männlichen<br />

Fahrgäste vor Lachen den Tränen nahe. Monika hingegen beobachtete <strong>die</strong>s alles mit<br />

nüchternem Blick. So, nun hatte er es endlich geschafft, den ersten Gang einzulegen. Mit<br />

verhärmtem Gesichtsausdruck stieg er auf’s Gaspedal. Der Umdrehungsmesser zeigte 4000,<br />

Hans ließ ruckartig <strong>die</strong> Kupplung aus. Der BMW ruckte bösartig, wobei Hans <strong>die</strong> Haltung<br />

eines schweißgebadeten Fahrschülers beibehielt. <strong>Die</strong> männlichen Fahrgäste lachten <strong>und</strong><br />

klatschten, doch plötzlich ließen sie <strong>die</strong> seltsamen Geräusche des Differenzials aufhorchen. <strong>Die</strong><br />

Kraftübertragung war gelähmt, da half auch das Schalten auf andere Gänge nichts. „So ein<br />

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Topfen, jetzt ist das Differenzial im Eimer!“, meinte er kleinlaut. „Jetzt mach aber keinen<br />

Spaß!“, erwiderte Werner ungläubig, er dachte, auch <strong>die</strong>s gehöre zum Spiel. Monika mußte<br />

sich ans Steuer setzen, <strong>und</strong> <strong>die</strong> drei schoben mit langen Gesichtern den kaputten Wagen zu<br />

einem geeigneten Abstellplatz. Danach gingen sie zu Fuß in <strong>die</strong> Discothek Orchidee. Hans war<br />

über <strong>die</strong>sen Schnitzer verärgert, doch einige Cola-Rum <strong>und</strong> <strong>die</strong> Überzeugung, den BMW am<br />

Folgetag wieder in Gang zu bringen, retteten <strong>die</strong> Stimmung doch noch. Nur, wie sollte man<br />

jetzt nach Hause kommen? Noch dazu in solch einer extrem kalten Winternacht? „Kannst heute<br />

bei mir übernachten, ich habe noch ein Bett frei in dem Lachkabinett meiner Tante!“, meinte<br />

Werner. Er schlief seit längerem abwechselnd zu Hause oder bei der Erbtante. „Ja, <strong>und</strong> wie<br />

kommen wir zu dir?“, fragte Hans besorgt. „Ach, irgend ein Vogel wird schon noch<br />

aufkreuzen, der uns nach Komannsdorf transportiert!“, meinte wiederum Gerd. Im Hintergr<strong>und</strong><br />

spielten Platten <strong>von</strong> Elvis, Fats Domino <strong>und</strong> vielen anderen Stars. „Hallo, Paul, dich hat der<br />

Himmel geschickt!“, rief plötzlich Gerd nach einer längeren, aber köstlichen Unterhaltung.<br />

„Ach, hast schon wieder Probleme!“, entgegnete der schlaksige, hochgewachsene junge Mann.<br />

„Kannst uns vier nach Komannsdorf bringen? Unser Auto hat nämlich kapituliert!“ „So,<br />

welcher Baum war es denn?“ „Kein Baum, nur das Differenzial!“, gab Gerd nervös <strong>von</strong> sich.<br />

Paul zählte alle, <strong>die</strong> mitfahren sollten, ab, wobei er auf jeden, auch auf sich <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>in<br />

mit dem Zeigefinger zeigte. „Sechs Mann, ach, entschuldige. Vier Mann <strong>und</strong> zwei Mädels,<br />

macht trotzdem sechs. Und <strong>die</strong> sollen alle in meinem Mini Platz haben?“ „Tu nicht so, wir<br />

zahlen dir ein Getränk!“, meinte Gerd lachend. „Nein, danke, ich trinke nichts. Aber ihr müßt<br />

gleich mitfahren, denn ich bin schon weg!“ „Ja, super!“, kam es aus der R<strong>und</strong>e.<br />

Es war eine recht abenteuerliche Fahrt, zu sechst mit dem kleinen Austin Mini nach<br />

Komannsdorf. Hans fielen dabei auch <strong>die</strong> Annäherungsversuche <strong>von</strong> Gerd in Richtung Monika<br />

auf. „So, da dort bleib stehen!“, sagte Werner <strong>und</strong> deutete auf das alte Haus, das unauffällig im<br />

Ortskern <strong>von</strong> Komannsdorf stand. Hans, Monika <strong>und</strong> Werner verließen den Go-cart, wie der<br />

Mini nun liebevoll <strong>von</strong> ihnen genannt wurde. „Ihr könnt zum Martin rüberfahren, ich komme<br />

gleich nach. Ich muß den beiden Spaßvögeln das Schlafgemach zeigen!“, meinte Werner<br />

belustigt lachend. „Ciao, ihr beiden!“, rief Gerd, wobei er Monika erwartungsvoll nachsah.<br />

Werner lotste Hans <strong>und</strong> Monika in sein einfaches Schlafzimmer im ersten Stock, eigentlich ein<br />

gelungener Dachbodenausbau. Auf leisen Sohlen mußten sie sich über <strong>die</strong> alte, knarrende<br />

Holztreppe raufbewegen, um <strong>die</strong> Erbtante um <strong>die</strong>se Nachtzeit - es war sicher gegen 2 Uhr<br />

morgens - nicht mißtrauisch zu machen. Doch im kleinen Schlafzimmer war es vorbei mit dem<br />

rücksichtsvollen Verhalten. Werner zeigte Hans seine neue Stereoanlage. „Toll was!“ „Prack -<br />

was hat denn das Gerät gekostet?“, fragte Hans erstaunt. „Ach was, über Geld spricht man<br />

nicht, das hat man!“, entgegnete Werner trocken, während er eine Single auflegte. „Kannst<br />

leicht großspurig reden, wenn <strong>die</strong> Tante dir alles kauft!“, sagte Monika mit einem spöttischen<br />

Lächeln. „Verräterin!“, entgegnete Werner verächtlich <strong>und</strong> mußte dabei selbst lachen. „Du<br />

mußt auch immer alles verraten!“, meinte er noch <strong>und</strong> drehte <strong>die</strong> Lautstärke der Stereoanlage<br />

kräftig nach oben. „Lady Pum, Lady Pum!“, dröhnte es regelrecht aus den beiden<br />

Lautsprechern. Werner war so richtig angeturnt, seine Augen strahlten volle Begeisterung aus.<br />

„Du bist ja verrückt!“, sagte Monika <strong>und</strong> drehte <strong>die</strong> Lautstärke rasch zurück. „Ach was,<br />

dumme Gans, ich gehe zu Martin. Bleibst du hier?“ „Ein bißchen!“, entgegnete Monika<br />

gelassen. „Du kannst ruhig hierbleiben heute nacht!“, sagte er <strong>und</strong> ging.<br />

Das Zimmer war recht einfach eingerichtet. An der Ostseite ein kleines Fenster, davor <strong>die</strong><br />

Stereoanlage. Links <strong>und</strong> rechts, jeweils an den Längswänden, <strong>die</strong> zwei <strong>von</strong>einander getrennten<br />

Betten, wobei Werner das nördliche zustand <strong>und</strong> Hans sich mit dem südlichen zufrieden gab.<br />

An der Ostseite stand neben der Eingangstür ein kleiner alter Kleiderkasten.<br />

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„So, was ist mit dir, kommst zu mir in <strong>die</strong> Heia!“, sagte Hans schelmisch lächelnd. „Das wär<br />

dir wohl so recht, was! Aber so spielt es nun mal nicht im Leben!“, entgegnete sie schnippisch,<br />

während sie eine LP auflegte. „Wenn du nicht willst, ist doch egal, zwingen werde ich dich<br />

nicht!“, meinte er nun leicht resigniert. Sie ging zu ihm ans Bett, küßte <strong>und</strong> streichelte ihn<br />

zärtlich. Er erwiderte <strong>die</strong>s heftig <strong>und</strong> gekonnt. Er war zwar betrunken, doch sein Geist war<br />

klar. Liebevoll knöpfte er ihre Bluse auf <strong>und</strong> war sich sicher, daß es nun endlich so weit wäre.<br />

Doch wie schon geradezu üblich in den zwei Monaten ihrer innigen Liebe, wußte sie es auch<br />

<strong>die</strong>smal, mit ihren lieblichen Fingern - denen er am liebsten eine geklopft hätte - sein<br />

Unternehmen spielerisch zu verhindern. Zuerst hatte ihn der Defekt des Autos geärgert, <strong>und</strong><br />

nun <strong>die</strong>se einmalige Gelegenheit. . . Es war an <strong>die</strong>sem Tage einfach alles zusammengekommen,<br />

<strong>und</strong> es ärgerte ihn alles ungemein. Er drehte sich zur Seite. „Bist jetzt böse auf mich?“ Ihre<br />

Stimme klang sehr traurig. Hans sah sie wortlos <strong>und</strong> ohne Gefühlsregung an. „Du, Hansi, ich<br />

hab dich was gefragt?“ „Ich dachte, du seist schon nach Hause gegangen!“ In seiner Stimme<br />

lag tiefe Resignation. Er konnte <strong>und</strong> wollte ihr <strong>die</strong>s auch nicht verbergen. „Nein, wie du siehst,<br />

bin ich noch hier!“, sagte sie lächelnd. „Na, dann wird es ja Zeit, daß du nach Hause gehst, <strong>und</strong><br />

laß mich bitte in Ruhe!“ Er legte sich auf den Bauch, um einzuschlafen. Monika nahm ihre<br />

Handtasche, den Wintermantel <strong>und</strong> ging wortlos zur Tür. Jetzt ist es aus, jetzt kann sie mich<br />

vergessen. Ich habe genug <strong>von</strong> ihr, was glaubt denn <strong>die</strong>se blöde Göre, dachte er <strong>und</strong> zog <strong>die</strong><br />

Bettdecke über den Kopf. Sie öffnete <strong>die</strong> Zimmertür, um zu gehen, hielt jedoch plötzlich <strong>und</strong><br />

völlig unerwartet inne. Es mußte wohl intuitiv gewesen sein, denn sie stand zwischen Tür <strong>und</strong><br />

Angel <strong>und</strong> überlegte. Nach ca. zwei Minuten ging sie wortlos zurück ins Schlafzimmer <strong>und</strong><br />

verschloß <strong>die</strong> Tür. Hans drehte sich nicht um, er tat so, als schliefe er schon. Wortlos zog sie<br />

sich aus <strong>und</strong> legte sich zu ihm ins Bett. „So was, hast es dir doch noch überlegt!“, sagte er<br />

überrascht. „Ja, ich habe es mir überlegt!“, entgegnete sie lächelnd.<br />

Es war ihre erste gemeinsame Liebesnacht. Hans versuchte dabei wirklich, sehr zärtlich <strong>und</strong><br />

einfühlsam zu sein. Und zunächst hatte es den Anschein, als ginge <strong>die</strong>se Rechnung voll auf.<br />

Doch plötzlich begann Monika zu weinen. „Gut, wenn du nicht mehr willst!“, sagte er, drehte<br />

sich um <strong>und</strong> schlief ein.<br />

Kurz nachdem Hans eingeschlafen war, kam ihr Bruder Werner stark angeheitert zurück. „Hast<br />

doch umdisponiert!“, sagte er lallend. „Ja!“, entgegnete sie <strong>und</strong> tat so, als wär nichts<br />

Besonderes geschehen.<br />

*<br />

Am folgenden Morgen gegen 7 Uhr wurden <strong>die</strong> drei jäh aus dem Schlaf gerissen. „Werner,<br />

aufstehen!“, schrie, oder besser, krächzte eine alte Frauenstimme. Sie schlug dabei mit einem<br />

Besen auf das Geländer der Holztreppe, um ihrem Geschrei Nachdruck zu verleihen. Werner,<br />

der mit einem fürchterlichen Kater im Bett lag, schrie zurück: „Hör auf mit dem Lärm, sonst<br />

werfe ich dir einen Sessel runter!“ Hans war <strong>die</strong>se Situation äußerst peinlich. „Was ist, wenn<br />

<strong>die</strong> jetzt rauf kommt <strong>und</strong> mich mit Monika im Bett erwischt?“, fragte er kleinlaut. „Ach was,<br />

der alte Schragen - ist doch zu blöd zum Stiegensteigen!“, entgegnete er, trotz des Katers<br />

belustigt lachend. Doch im selben Moment öffnete sich <strong>die</strong> Zimmertür, <strong>und</strong> <strong>die</strong> alte, dicke<br />

Erbtante sah mit verstohlen neugierigem Blick ins Schlafzimmer. Hans zog rasch <strong>die</strong> Bettdecke<br />

über seinen Kopf, doch am anderen Ende ragten der Tante vier Füße entgegen - es war zu<br />

spät. „Werner, steh auf, du sollst aufstehen. Du mußt in den Stall <strong>die</strong> Kühe füttern gehen!“,<br />

sagte <strong>die</strong> alte Dame. Sie war sehr taktvoll, denn sie tat so, als hätte sie Monika <strong>und</strong> Hans erst<br />

gar nicht bemerkt. „Scheiß Kühe, <strong>die</strong> sollen sich selbst was zum Fressen holen!“, schrie Werner<br />

wutentbrannt <strong>und</strong> warf seinen Schuh, der <strong>die</strong> Alte nur knapp verfehlte, gegen <strong>die</strong> Tür. Sie<br />

schloß <strong>die</strong> Tür <strong>und</strong> verschwand so schnell, wie sie gekommen war. „So eine alte Hexe, <strong>die</strong> war<br />

noch nie hier oben, seit ich das Zimmer bewohne. Ausgerechnet heute, wo du mit Monika in<br />

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der Heia liegst!“, sagte Werner verärgert <strong>und</strong> zog sich an. „Glaubst, daß sie euren Eltern was<br />

erzählt?“ „Nein, sie ist zwar verkalkt - <strong>die</strong> alte Kuh, aber erzählen wird sie sicher nichts!“<br />

Werner ging hinunter, man konnte oben noch ein hitziges Wortgefecht vernehmen, doch kurz<br />

darauf trat gespenstische Stille ein. Obgleich Monika <strong>und</strong> Hans sich sicher waren, daß <strong>die</strong><br />

Tante sie gesehen hatte, verschwanden sie genauso lautlos aus dem Hause, wie sie gekommen<br />

waren.<br />

Noch am gleichen Samstag beschaffte ihm George ein gebrauchtes Ausgleichgetriebe für das<br />

kaputte Auto <strong>und</strong> half ihm bei der Montage.<br />

Am Abend fuhr <strong>die</strong> gesamte Clique aus Komannsdorf zur Hollenburg, zu einer<br />

Tanzveranstaltung. Auch Martin <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>in waren <strong>die</strong>smal dabei. „Ihr hättet das<br />

Gesicht meiner Tante sehen müssen, als sie <strong>die</strong> vierfüßige Monika im Bett liegen sah!“, sagte<br />

Werner mit Humor zur R<strong>und</strong>e. <strong>Die</strong> ganze Clique lachte erheitert auf.<br />

Der vorige Abend war <strong>von</strong> unvorhergesehenen Pannen gepflastert gewesen. Doch <strong>die</strong>ser<br />

Samstag machte aus den Pannen vom Freitag eine Tugend. Was gestern ärgerlich gewesen<br />

war, war nun ein Abenteuer, eben eine schöne Episode geworden, oder?<br />

Bei einem einschmeichelnden Lovesong, den <strong>die</strong> Band hervorragend spielte, lenkte Hans beim<br />

Tanz mit Monika das Gespräch auf <strong>die</strong> erste gemeinsame Nacht. „Ist schon nett, so ein<br />

Autodefekt?“, meinte er selbstbewußt lächelnd. „Wenn du denkst“, entgegnete sie nicht gerade<br />

erfreut. „Für mich war es jedenfalls nicht so nett!“ „Wieso, hat es dir vielleicht nicht gefallen?“<br />

„Darüber sprechen wir besser später!“, meinte sie lächelnd.<br />

Gegen Mitternacht fuhren sie auf einem mit festgewalztem Schnee bedeckten Feldweg zu einer<br />

Waldlichtung in der Nähe ihres Elternhauses, <strong>die</strong> nur Insidern bekannt war. Hans schob <strong>die</strong><br />

Kassette mit Liebesschlagern in den Rekorder, um zu gebotener St<strong>und</strong>e ihrer Beziehung <strong>die</strong><br />

rechte musikalische Untermalung geben zu können. „Du warst gestern richtig brutal, Hans!“,<br />

sagte sie, nachdem er den Motor abgestellt hatte. „Ich brutal?“, entgegnete er erstaunt. „Ja,<br />

dein ganzes Benehmen, wie ein Revolverheld, <strong>die</strong> man so oft in den dummen amerikanischen<br />

Filmen betrachten kann!“ Hans versuchte, gedanklich den Freitagabend vor seinem geistigen<br />

Auge ablaufen zu lassen. Er stieß dabei auf kein besonderes Fehlverhalten. Doch er wußte, daß<br />

schon geringe Mengen an Schnaps oder Rum sein Verhalten ins Aggressive wandeln konnten,<br />

ohne daß er sich am Tag danach daran zu erinnern vermochte - war das wieder passiert? Er<br />

fand keine Antwort auf <strong>die</strong>se Frage <strong>und</strong> war doch sehr betroffen. Daß er gerade bei ihr so ein<br />

unentschuldbares Verhalten an den Tag gelegt haben sollte, stimmte ihn traurig. „Ich kann<br />

mich daran nicht erinnern, Monika, aber sollte ich tatsächlich so ein Verhalten dir gegenüber an<br />

den Tag gelegt haben, so möchte ich mich hiermit aufrichtig bei dir entschuldigen!“, sagte er<br />

leise <strong>und</strong> beinahe stotternd zu ihr. „Ist schon gut, du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen!“,<br />

entgegnete sie glücklich lächelnd <strong>und</strong> kuschelte sich an ihn. Sie küßten <strong>und</strong> streichelten<br />

einander, wobei sie in eine Woge <strong>von</strong> Zärtlichkeiten fielen, wie sie nur Menschen mit<br />

besonders inniger Zuneigung erleben können.<br />

Etwas später machten sie sich über ihre jüngste Vergangenheit lustig <strong>und</strong> lachten gelöst in <strong>die</strong><br />

Winternacht. „Na, Moni“, sagte er liebevoll zu ihr, „was sagst du jetzt zu der Autopanne?“<br />

„Oh-lala!“, erwiderte sie neckisch. Sie lachten. „Jetzt habe ich es seit zwei Monaten bei dir<br />

versucht, <strong>und</strong> nur <strong>die</strong> Autopanne hat mich ans Ziel geführt!“ „Sag, Hansi, was wäre gewesen,<br />

wenn ich gestern nicht bei dir geschlafen hätte?“ Sie sah ihn dabei interessiert fragend an. Hans<br />

nahm eine Zigarette <strong>und</strong> rauchte sie an. Er bot ihr auch eine an. „Nein, danke! Warum<br />

beantwortest du meine Frage nicht?“ „Also, wenn ich ehrlich sein soll, Monika!“ Er zog<br />

nochmals genußvoll an der Zigarette. „Du sollst!“, warf sie lächelnd ein. „Ich hätte mich<br />

wahrscheinlich langsam <strong>von</strong> dir losgesagt!“ „Das habe ich mir gedacht“, entgegnete sie leise,<br />

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wobei sie mit dem Kopf nickte, um sich zu bestätigen. „Ich wollte es <strong>von</strong> dir selbst hören!“ „Ja,<br />

Monika, wenn du mich schon so fragst, dann mußt du auch wissen, daß ich nicht gerne<br />

verliere. Ich mußte eine rasche Entscheidung herbeiführen!“ „Wieso, weshalb?“, entgegnete sie<br />

überrascht. „Glaubst du wirklich, ich hätte nicht bemerkt, wie scharf Gerd auf dich ist?“ Er<br />

wechselte rasch <strong>die</strong> Musikkassette. „Außerdem habe ich festgestellt, daß du ihn auch nicht<br />

gerade unsympathisch findest - was natürlich dein Recht ist!“ Eine kurze Zeit verging, ohne<br />

daß einer der beiden ein Wort sprach. Monika sah abwechselnd aus dem Fenster <strong>und</strong> zu Hans.<br />

„Ich muß dir recht geben, Hans, Gerd ist mir auch sympathisch, doch ich habe gewählt!“ „Na,<br />

dann ist es ja gut, daß du mich auserkoren hast!“, meinte er schelmisch, um <strong>die</strong> Stimmung zu<br />

entspannen. „Der Schritt letzte Nacht war wohlüberlegt!“, sagte sie ernst. „Überlegt hast es dir<br />

auch noch?“, entgegnete er trocken <strong>und</strong> zog an seiner Zigarette. „Ja, ich fühlte, daß es mit uns<br />

beiden zu Ende gegangen wäre, wenn ich das Zimmer verlassen hätte!“ „Ich auch!“, warf er<br />

belustigt dazwischen. „Zwischen Tür <strong>und</strong> Angel habe ich <strong>die</strong> Entscheidung getroffen - ich<br />

wollte nämlich schon gehen!“ Sie nahm eine Zigarette der Marke HB aus ihrer Handtasche,<br />

Hans gab ihr Feuer. „Ich dachte jedenfalls schon, daß es mit uns beiden aus ist, in meiner<br />

Trunkenheit!“ „Ja, ich weiß, aber ich hatte vor dir Angst, du warst so betrunken! Schon in der<br />

Disco habe ich Überlegungen über dich <strong>und</strong> Gerd angestellt. Beim Nachhausefahren habe ich<br />

mir ernsthaft überlegt, ob ich überhaupt mit dir <strong>und</strong> Werner ins Schlafzimmer gehen sollte!“<br />

Ihre Worte versetzten Hans einen Stich. War ihre Beziehung am gestrigen Tag wirklich so an<br />

der Kippe gestanden, oder sagte sie <strong>die</strong>s nur, um ihn fester an sich zu binden? „Weißt du, als<br />

Mädchen mit 13 hatte ich mir immer Gerd zum Fre<strong>und</strong> gewünscht. Auch vor kurzem noch, nur<br />

hat er es anscheinend nicht bemerkt. Doch plötzlich warst du da! Ich hatte gestern noch<br />

Zweifel, aber heute weiß ich, daß ich richtig entschieden habe!“ Sie lächelte <strong>und</strong> küßte ihn.<br />

Mein Gott, ich danke dem Schicksal, sie hat sich für mich entschieden, dachte Hans kurz vor<br />

dem Schlafengehen.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : M ä rz I V W o c h e<br />

M O N I K A S E R S T E V O R A H N U N G<br />

Am letzten Samstag im März gab es bei Martin eine Tanzveranstaltung. Gegen 19.30 Uhr holte<br />

Hans Monika wie vereinbart mit dem Auto <strong>von</strong> zu Hause ab. Gleich beim Einsteigen ins Auto<br />

meinte sie besorgt: „Ich habe heute so ein seltsames Gefühl! Ich denke, es wäre besser, wenn<br />

wir nicht an der Veranstaltung teilnehmen!“ Sie gab sich dabei nach außen recht gelassen, doch<br />

Hans spürte ihre innere Unruhe. „So, was gibt es denn für Bedenken?“, fragte er interessiert<br />

<strong>und</strong> fuhr los. „Irgend etwas ist schon im Gange - ich spüre es. Es betrifft uns beide!“ Sie war<br />

kalkweiß geworden <strong>und</strong> sah ihn ängstlich an. „Ach, Unsinn, was soll denn schon geschehen!“,<br />

entgegnete er trocken. „Du wirst sehen, daß ich recht behalten werde. Fahr’n wir doch zu<br />

Siegfried in <strong>die</strong> Disco!“ Doch das kam jetzt für Hans nicht in Frage, er wollte wissen, was da<br />

wirklich dahintersteckte. „Weißt du was, wir gehen zu Martin, <strong>und</strong> sollte sich da wirklich<br />

einiges ungünstig entwickeln, dann gehen wir! Aber du hast mich jetzt neugierig gemacht! Bist<br />

du Hellseherin?“, meinte er noch belustigt.<br />

Erwartungsvoll ging Hans mit ihr in den Discokeller <strong>von</strong> Komannsdorf. Seit er Monika im<br />

Jänner kennengelernt hatte, war noch alles beim Alten geblieben. Doch welch Zufall, auch<br />

Karin war mit einigen Fre<strong>und</strong>innen erschienen. Was machen <strong>die</strong> hier, wo doch in deren<br />

Ortschaft ein Feuerwehrfest veranstaltet wird, dachte Hans. Doch lassen wir das Denken,<br />

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beschloß er dann <strong>und</strong> bestellte ein Bier, Monika ein Cola. <strong>Die</strong> Musikbox spielte eine bunte<br />

Mischung aus Rock’n-Roll <strong>und</strong> Hits aus den Sechziger <strong>und</strong> Siebziger Jahren, darunter auch<br />

Singles wie „Yesterday Man“, „Ay no digas“ „Fun, Fun, Fun“ <strong>und</strong> vielen anderen. Sie setzten<br />

sich auf <strong>die</strong> Holzbank <strong>und</strong> beobachteten noch gelangweilt <strong>die</strong> jungen Tanzpaare. „Darf ich<br />

bitten?“, sagte plötzlich der junge Mann zu Monika, der aus der Menge vor ihnen aufgetaucht<br />

war. Monika sah Hans fragend an. „Geh nur!“, sagte er gelassen. Auf <strong>die</strong>sen Augenblick hatte<br />

Karin gewartet. „Hallo, Hansi, wie geht’s dir?“, sagte sie begeistert <strong>und</strong> setzte sich zu ihm.<br />

„Daß man dich auch wieder einmal bei einer Tanzveranstaltung antrifft!“ „Warum nicht,<br />

Karin!“ „Ich dachte schon, du seist häuslich geworden. Hast doch nichts dagegen, wenn ich ein<br />

wenig bei dir sitze, oder?“ „Aber nein!“ „Was macht denn deine hübsche Fre<strong>und</strong>in?“ „Sie<br />

schwingt das Tanzbein!“, antwortete er trocken, jedoch nicht unfre<strong>und</strong>lich. „Tanzen wir auch<br />

einmal?“ „Ja, später, Karin! Ich muß mich nämlich konzentrieren!“, fügte er noch belustigt<br />

hinzu. „Gut, aber siehst du auch, wie <strong>die</strong> beiden über dich lachen?“, meinte Karin, wobei ihr<br />

Blick nicht <strong>von</strong> Monika wich. „Und? Das macht doch nichts!“, entgegnete er selbstsicher.<br />

Doch er war neugierig geworden. Unauffällig beobachtete er Monika <strong>und</strong> ihren Tanzpartner,<br />

dabei bemerkte er, daß er <strong>von</strong> ihm tatsächlich andauernd beobachtet wurde. Noch dazu mit<br />

einem Blick, der ihn neugierig machte. Hans lächelte ihn an, innerlich jedoch bebte er vor Zorn.<br />

Dich spiele ich auf lockere Art aus, du Kasperl, dachte er. Monika sah Hans an, flüsterte ihrem<br />

Tanzpartner irgend etwas ins Ohr, worauf <strong>die</strong> beiden erheitert auflachten. „Karin, wir tanzen!“<br />

„Na endlich!“, entgegnete sie zufrieden. Für Hans hatte ein Spiel begonnen, <strong>von</strong> dem er sicher<br />

wußte, daß er es gewinnen würde. Und wenn nicht - Schicksal. Karin schmiegte sich bei der<br />

Single „Stand By Me“ ganz eng an ihn. Doch als sie ihn aufforderte: „Küß mich, Hans, oder<br />

bist du dazu zu feige!“, verlangte sie zuviel <strong>von</strong> ihm. „Warum sollte ich zu feige sein, ich<br />

denke, es ist nicht angebracht!“ „Oh, das ist ja ganz was Neues, so kenne ich dich gar nicht!“,<br />

meinte sie, streichelte durch sein dichtes blondes Haar <strong>und</strong> küßte ihn vorsichtig auf <strong>die</strong> rechte<br />

Wange, <strong>von</strong> wo aus ihre Lippen sich vorsichtig - im wahrsten Sinne des Wortes - zum M<strong>und</strong><br />

tasteten. Er war dabei passiv, ja versuchte sogar, sie fre<strong>und</strong>lich abzuwehren. Sie wiederum<br />

wollte jedem zeigen, zu wem Hans gehöre, <strong>und</strong> überfiel ihn plötzlich mit ihrer<br />

Küsserleidenschaft. „Hör auf, Karin!“, sagte er, es wurde ihm selbst zu viel. Monika saß<br />

mittlerweile allein auf der Bank <strong>und</strong> sah argwöhnisch Karins plumpen Versuchen, Hans<br />

zurückzuerobern, zu. Hans blieb <strong>die</strong>s nicht verborgen. Doch ein innerer Drang bewog ihn, allen<br />

zu zeigen, daß er nicht auf Monika angewiesen sei. Er gab dem Drängen <strong>von</strong> Karin nach, <strong>die</strong><br />

beiden küßten einander leidenschaftlich. Dabei gab’s natürlich auch, um <strong>die</strong> Sache zu<br />

perfektionieren, einige kräftige Zungenschläge. Das allerdings war für Monika zuviel, sie stand<br />

auf <strong>und</strong> verschwand. So, jetzt bin ich neugierig, was das alles gebracht hat, dachte er. „Geh’n<br />

wir an <strong>die</strong> Bar?“ „Klar, Hansi!“, entgegnete Karin begeistert. Auf den wenigen Metern zur Bar<br />

mußte er noch einige Fre<strong>und</strong>innen <strong>von</strong> Karin begrüßen. „Hey, wie geht es dir, Hansi?“, fragte<br />

Manuela fre<strong>und</strong>lich. „Wenn ich dich sehe, Manuela, kann es mir nur gut gehen!“, entgegnete er<br />

mit Charme. Sie wurde <strong>von</strong> Christine <strong>und</strong> Helga begleitet. „Hallo, Fans, wie geht’s euch? Habt<br />

ihr ein neues Eldorado kennengelernt?“, sagte er schelmisch lächelnd. „Der Trampel aus<br />

Komannsdorf paßt doch gar nicht zu dir!“, sagte plötzlich Helga verärgert. Doch nun kam<br />

Erika, <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>in <strong>von</strong> Werner, begleitet <strong>von</strong> zwei Mädels. „Hansi, bitte geh zu Monika rauf,<br />

sie möchte dir etwas sagen!“ „Nichts da, bleib hier!“, sagte Manuela, sie schien zu allem<br />

entschlossen, was Hans in Staunen versetzte. „Was geht das dich an!“, meinte Erika betont<br />

gelassen. „Hansi gehört zu uns <strong>und</strong> nicht zu dem Trampel!“, sagte wiederum Helga wütend.<br />

„Das wird er doch noch selbst entscheiden können!“, warf Erika betont ruhig in <strong>die</strong> R<strong>und</strong>e.<br />

Plötzlich gab Manuela Erika eine kräftige Ohrfeige. Einige Sek<strong>und</strong>en später lagen sich etwa<br />

sechs Mädchen in den Haaren. Das war vielleicht eine Rauferei, Feistritz gegen Komannsdorf,<br />

<strong>und</strong> Hans stand hilflos da, unfähig, etwas dagegen zu unternehmen. Er war mit Karin zwar<br />

einmal befre<strong>und</strong>et gewesen, doch war <strong>die</strong>se Beziehung eher platonisch geblieben. Daß sie jetzt<br />

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so eine Mädchenschlägertruppe aufgestellt hatte, stimmte ihn nachdenklich. Und es ging ihm<br />

ein Licht auf, er wußte nun, weshalb Karin mit der ganzen Mädchenclique angereist war. Harry<br />

kam zu den noch immer raufenden Mädels geeilt. „Wenn ihr nicht gleich aufhört, gibt es einige<br />

Ohrfeigen!“, schrie er <strong>die</strong> Kämpferinnen an. „Hansi, bitte bring mich nach Hause!“, sagte<br />

Monika, sie stand nun mit Tränen in den Augen vor ihm. Eilig ging er mit ihr in Richtung<br />

Ausgang. Er hörte noch, wie Harry mit Ohrfeigen <strong>die</strong> Ruhe <strong>und</strong> Ordnung wieder herstellte.<br />

„Bleib hier, du dreckige Hexe!“, schrie eines der Mädchen, das ihnen auf den Parkplatz<br />

nachgerannt war, um <strong>die</strong> Verfolgung aufzunehmen. Gott sei Dank saßen <strong>die</strong> beiden schon<br />

startklar im Auto. Hans legte den ersten Gang ein, mittlerweile sah er auch schon im<br />

Rückspiegel <strong>die</strong> anderen Mädchen wie wild aus dem Ausgang zum Parkplatz laufen. Einige der<br />

Mädchen schlugen aufgebracht <strong>und</strong> vor Zorn fluchend auf den Kofferraumdeckel des<br />

fluchtartig wegfahrenden BMWs ein. Gibt es denn so etwas, dachte Hans. <strong>Die</strong> haben doch<br />

wirklich keinen Gr<strong>und</strong>, so zu handeln. „Bring mich nach Hause!“, sagte Monika beinahe tonlos.<br />

Hans kam ihrem Wunsch nach, doch unterwegs hielt er an, er mußte einfach mit ihr sprechen.<br />

Er nahm eine Zigarette. „Willst auch eine?“ Sie verneinte kopfschüttelnd. Dabei bemerkte er,<br />

wie sie weinte, Tränen rannen über ihre bezaubernd schönen Wangen. „Es tut mir leid,<br />

Monika!“ Er meinte <strong>die</strong>s wirklich ernst. „Aber ich war auf deinen Tanzpartner derart<br />

eifersüchtig!“ Er umarmte sie, drückte sie zärtlich an sich. Sie weinte still an seiner Brust, sie<br />

war durch <strong>die</strong>se Attacke <strong>von</strong> Karin <strong>und</strong> ihrer Bande seelisch angegriffen. Sie kuschelte sich an<br />

ihn, ihr Körper bebte. Langsam begann er zu fühlen, wie dreckig es ihr ging. Er streichelte <strong>und</strong><br />

küßte sie zärtlich, dabei bemerkte er gar nicht, daß er selbst zu weinen begonnen hatte. Tränen<br />

liefen über seine Wangen. Überrascht sah sie ihn an. „Du weinst ja!“ Sie lächelte glücklich. „Ja,<br />

Moni!“, sagte er <strong>und</strong> wischte seine Tränen mit der Hand aus dem Gesicht. „Das ist mir noch<br />

nie passiert, aber ich muß dir sagen, was ich noch keinem Mädel gesagt habe, ich liebe dich, ja,<br />

ich mag dich sehr!“ Sie sah ihn glücklich an, lachte herzlich <strong>und</strong> weinte dabei. „Hansi, ich<br />

werde dich niemals hergeben!“<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : A p ri l I . W o c h e<br />

D I E U N E R W A R T E T E I N T R I G E<br />

Welch starken Lebenssinn einem das schöne Gefühl der Liebe, Zuneigung <strong>und</strong> Vertrauen geben<br />

kann, durften <strong>und</strong> hatten <strong>die</strong> beiden auch erfahren. Täglich freuten sie sich aufs Neue darüber.<br />

Ja, eigentlich fieberten sie den gemeinsamen Rendezvous gedanklich schon entgegen. Selbst<br />

seine Position im Fre<strong>und</strong>eskreis <strong>von</strong> Monika <strong>und</strong> ihrem Bruder Werner schien mehr als nur<br />

gefestigt. Daß <strong>die</strong>ses Vertrauen eines Tages recht arg in Bedrängnis kommen könnte, kam ihm<br />

nie in den Sinn.<br />

Am ersten Mittwoch im April hatte er gegen 17.30 Uhr mit Monika ein Rendezvous bei Martin<br />

vereinbart. Der Arbeitstag in der Schottergrube war bei frühlingshaft schönem Wetter völlig<br />

normal verlaufen. Gegen 16.30 fuhr er nach Hause, um sich frisch zu machen. „Hansi, Hansi!“,<br />

rief plötzlich seine Mutter aufgeregt ins Bad. „Geh schnell hinaus, dein Chef wartet draußen<br />

auf dich!“ Nanu, was will denn der? dachte Hans <strong>und</strong> eilte hinaus. „Grüß dich, <strong>Beschulnig</strong>!“,<br />

grüßte der Chef fre<strong>und</strong>lich, bei heruntergekurbelter Seitenscheibe, aus dem Mercedes. „Hallo,<br />

Herr Chef!“ „Du bist doch Kfz-Mechaniker, ich hätte da eine Frage. Kannst du<br />

Elektroschweißen?“ „Klar!“, entgegnete Hans stolz. Sein Chef schien bei der positiven<br />

Antwort sehr erleichtert zu sein, er atmete tief durch. „Hoffentlich hast heute Zeit, es ist<br />

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nämlich sehr wichtig für den Betrieb!“ Ich habe eine Verabredung mit Monika, schoß es durch<br />

Hans’ Kopf. Ach was, zuerst <strong>die</strong> Arbeit, dann das Spiel, sie wird es schon verstehen. „Klar<br />

habe ich Zeit!“, sagte er. Er mußte <strong>die</strong> Risse an dem Auslegearm <strong>und</strong> an den zwei Schaufeln<br />

eines Greifbaggers schweißen. Damit war er beinahe bis 24 Uhr beschäftigt. Gerne hätte er<br />

Monika informiert, doch das Telefonnetz war damals noch nicht so gut ausgebaut.<br />

Monika war an <strong>die</strong>sem Mittwoch, wie verabredet, pünktlich gegen 17.30 bei Martin im Lokal<br />

erschienen. Auch <strong>die</strong> Clique <strong>von</strong> Komannsdorf war zufällig bei Martin versammelt. Gegen 19<br />

Uhr wurde Monika sichtlich nervös, sie blickte des öfteren ungeduldig auf ihre Armbanduhr.<br />

„Na, kommt dein Prinz heute nicht?“, fragte Gerd lässig, dem das aufgefallen war. „Hans sollte<br />

längst hier sein, aber wahrscheinlich wird er wieder etwas länger arbeiten!“, entgegnete sie<br />

selbstsicher. Harry sah sie schadenfroh grinsend an. „Das glaubst wohl selber nicht!“ Er trank<br />

einen kräftigen Schluck vom Bier. „Der ist ganz sicher mit der Karin unterwegs!“ Monika<br />

schenkte dem keinen Glauben. „Wenn, dann macht er Überst<strong>und</strong>en, oder es ist tatsächlich<br />

etwas dazwischen gekommen!“, meinte Monika. „Ja, das Weib vom Weiberkampf!“, warf<br />

Werner grinsend ein. Monika sah ihren Bruder erstaunt an. „Ich dachte, ihr seid Fre<strong>und</strong>e!“ „Ja,<br />

er ist ja ganz nett!“, entgegnete er dabei leicht überfahren. „Aber meine Fre<strong>und</strong>e sitzen hier!“<br />

Werner zeigte auf Gerd, Harry <strong>und</strong> Martin. „So, <strong>und</strong> Hans bedeutet euch nichts, was?“ Sie war<br />

wütend geworden. „Nein, nein!“, entgegnete Werner. „Aber ich muß doch auf meine<br />

Schwester aufpassen, ich möchte nicht, daß sie betrogen wird!“, meinte er nun<br />

beschwichtigend. „So, du hast Angst, daß er mich betrügt! Gerade du!“ Sie lachte belustigt<br />

auf. „Ja, das wissen wir!“, warf Harry ein. „Er hat doch den Mädchenkampf herausgefordert,<br />

außerdem haben wir erfahren, daß eine da<strong>von</strong> seine Fre<strong>und</strong>in ist!“, meinte er weiters. „War!“,<br />

entgegnete Monika sehr bestimmt. „Aber er hat doch eine Fre<strong>und</strong>in, Karin oder so soll sie<br />

heißen!“, sagte nun Gerd. Auch er hatte in <strong>die</strong>ses Hasardspiel eingegriffen. „Ach, nein, ich<br />

würde es besser formulieren. Er hatte vor Monaten eine Fre<strong>und</strong>in, er hat mir ja auch <strong>von</strong> ihr<br />

erzählt!“, sagte sie nun gelassen. „Aber du bist doch naiv, Monika. Du bist blind vor Liebe.<br />

Aber mach, was du willst!“, meinte wiederum Werner verärgert. „Ich <strong>und</strong> naiv, tse, tse, tse!“,<br />

gab sie ihm zynisch zurück. „Bei <strong>die</strong>sem Bruder habe ich einiges gelernt. Ich habe so manche<br />

Erfahrungswerte bei deinen dummen Weibergeschichten gesammelt!“ Sie lachte erheitert auf.<br />

„Nun gut, aber ich bin mir sicher, daß Hansi in irgendeinem Lokal mit den Mädels feiert!<br />

Vielleicht lachen sie sogar über dich?“, sagte nun Harry spöttelnd. Monikas Vertrauen zu Hans<br />

wurde einer gewaltig harten Probe ausgesetzt. „So, <strong>und</strong> was sagst du, Martin?“, fragte sie.<br />

„Ich?“, entgegnete er erstaunt. „Ich kann nichts Schlechtes über Hansi sagen. Ich denke, er<br />

kommt nur wegen dir zu uns!“ „Na, seht ihr!“ „Und was war mit den Mädchen <strong>von</strong> der<br />

Rauferei, er hat sie nach Hause gefahren! Ich sage dir, er ist ein Frauenheld!“, sagte Gerd.<br />

Doch genau <strong>die</strong>se Aussage ließ sie aufhorchen. Sie wußte, daß <strong>die</strong>s gemein erlogen war, denn<br />

Hans hatte damals <strong>die</strong> Nacht mit ihr zugebracht. Sie hatte <strong>die</strong> hinterlistige Intrige erkannt <strong>und</strong><br />

genoß <strong>die</strong> weiteren aussichtslosen Versuche, Hans auf’s Abstellgleis zu führen.<br />

*<br />

Am folgenden Tag fuhr Hans sofort nach der Arbeit zu Martin, wo er sich mit Monika traf.<br />

„Wo waren wir denn gestern?“, sagte sie provokant. „Tut mir leid, aber ich mußte bis<br />

Mitternacht Schweißarbeiten im Betrieb verrichten. <strong>Die</strong> haben den Bagger heute früh schon<br />

dringend gebraucht“ „Habe ich’s mir doch gedacht!“, meinte sie zufrieden <strong>und</strong> lachte still vor<br />

sich hin. „Was ist daran so lustig?“, fragte er interessiert. „Mein Bruder Werner, Gerd <strong>und</strong><br />

Harry wollten mir gestern abend weismachen, du seist mit anderen Mädels unterwegs!“ „Mein<br />

Gott!“, entgegnete er entsetzt. „Du wirst doch <strong>die</strong>sen Unsinn nicht geglaubt haben!“ „Anfangs<br />

waren mir schon leichte Zweifel gekommen, doch Gerd hat sich verraten. Danach haben mir<br />

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ihre komischen Versuche, mich <strong>von</strong> dir loszureißen, recht gut amüsiert!“, meinte sie mit ihrem<br />

typisch ungezwungenen Lächeln. „Du kannst mit mir sofort zur Firma fahren!“ „Aber hör doch<br />

auf, ich sagte doch, Gerd hat sich verraten!“, fuhr sie dazwischen. „Aber warum macht da dein<br />

Bruder Werner mit, er hat doch keinen Gr<strong>und</strong> dazu?“, sagte Hans sichtlich deprimiert. „Er will<br />

halt, daß ich <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>in seines besten Fre<strong>und</strong>es werde!“ „Hätte ich mir auch denken können!“<br />

Hans war <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Intrige tief betroffen, nachdenklich zog er an seiner Zigarette. Er wußte,<br />

daß Gerd Monika unter allen Umständen haben wollte. Und er fürchtete <strong>die</strong> starke Opposition<br />

<strong>von</strong> Werner, <strong>die</strong> spät, aber doch zum Vorschein gekommen war. <strong>Die</strong>se beiden Faktoren waren<br />

an sich schon für <strong>die</strong> Beziehung mit Monika bedrohlich. Aber es gab noch einen dritten Faktor,<br />

Monika war Gerd nicht gerade abgeneigt. Bei Hans heulten <strong>die</strong> Alarmsirenen. Um neuerlichen<br />

Intrigen auszuweichen, verlegte er <strong>die</strong> Rendezvous mit Monika auf <strong>die</strong> südliche Seite der Drau,<br />

nach Ferlach <strong>und</strong> Föndach. Natürlich ging er auch zwischendurch mit der Clique aus<br />

Komannsdorf aus. Es sollte ja keineswegs den Anschein haben, daß er in ihnen eine Gefahr sah.<br />

Durch <strong>die</strong>se Episode begriff er, daß er, um Monika nicht zu verlieren, noch einiges an<br />

Bauernschläue würde investieren müssen.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : M a i<br />

T R A N S ZE N D E N T A L E E R F A H R U N G E N V O N U N D M I T M O N I K A<br />

D e r T ra u m<br />

Es war an einem w<strong>und</strong>erschönen Sonntagnachmittag Anfang Mai. <strong>Die</strong> Sonne hatte schon<br />

ganze Arbeit geleistet <strong>und</strong> den Schnee aus den Tälern sowie <strong>von</strong> den Sonnenhängen der Berge<br />

vertrieben. Der Frühling hatte nun endlich in dem Wonnemonat Einzug gehalten.<br />

Wie so oft, so rannte ihm Monika auch <strong>die</strong>smal freudestrahlend entgegen, als er mit dem Auto<br />

im elterlichen Hofe vorfuhr. Sie öffnete <strong>die</strong> Beifahrertür, setzte sich rasch ins Auto. „Hallo,<br />

Fan!“, sagte er strahlend, wobei seine weißen Zähne aufblitzten, <strong>und</strong> ab ging <strong>die</strong> Fahrt. „Du,<br />

ich muß dir etwas erzählen!“, meinte sie während der Fahrt zu Evi. „Ich hatte einen seltsamen<br />

Traum heute nacht!“ „So, hast vom Lotto geträumt?“ „Nein, ich habe geträumt, ich sei bei der<br />

Geburt meines Kindes gestorben. Ich durfte auch bei meinem Begräbnis zusehen!“ Hans sah sie<br />

erstaunt an. Er spürte <strong>die</strong> Ängste, <strong>die</strong> der Traum in ihr geweckt hatte. „So, <strong>und</strong> wie war das<br />

Wetter bei deinem Begräbnis?“, fragte er neckisch, um ihre Betroffenheit zu entschärfen. „Ein<br />

w<strong>und</strong>erschöner Tag, so wie heute!“, antwortete sie, ohne zu zögern. „Du bist links neben dem<br />

Kirchentor gestanden. Deinen Blick werde ich nicht vergessen, ich hätte dich beinahe nicht<br />

erkannt. Dem Sarg folgten als erstes meine Eltern. Mutter wurde dabei <strong>von</strong> Werner <strong>und</strong> Gerd<br />

gestützt!“ Hans wurde kalkweiß, bestürzt sah er sie an. Ein mulmiges, unangenehmes Gefühl<br />

hatte nun beide erfaßt. Er wechselte <strong>die</strong> Musikkassette <strong>und</strong> griff zur Zigarettenpackung. „Laß<br />

nur, ich mach schon!“, sagte sie <strong>und</strong> rauchte eine an. Auch sie nahm jetzt eine Zigarette. „Hat<br />

dich betroffen gemacht, mein Traum - was?“, meinte sie <strong>und</strong> sah ihn fragend an. „Ja, obgleich<br />

ich nicht an Gott glaube, so bin ich doch ein wenig abergläubisch. Ich will solche Vorzeichen<br />

nicht verharmlosen! Wegen was bist gestorben?“ „Ich habe ein Kind bekommen!“ „So, <strong>und</strong> <strong>von</strong><br />

wem, <strong>von</strong> mir bestimmt nicht!“, hängte er noch rasch an. „Ich weiß es nicht!“, meinte sie<br />

resigniert. Und Gerd, kam es ihm plötzlich in den Sinn, was hatte Gerd an der Seite ihrer<br />

Mutter zu suchen? Warum bin ich abseits gestanden? „Wahrscheinlich Gerd“, sagte er<br />

spaßhalber, „denn was hätte er sonst an der Seite deiner Mutter zu suchen!“ „Ja, <strong>die</strong>se<br />

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Aufstellung hat mich auch nachdenklich gestimmt! Doch es war so echt, daß ich es dir erzählen<br />

mußte!“ „Und wie, ich meine in welcher physischen Gestalt, hast du an deinem Begräbnis<br />

teilgenommen?“, fragte er neugierig. „Ich hatte keinen Körper, ich konnte trotzdem alles <strong>und</strong><br />

alle sehen. Konnte mich überall hinbewegen, mußte keine Schwerkraft überwinden, <strong>und</strong> doch<br />

war alles seltsam. Ein Gefühl, einfach unbeschreiblich!“ Ihre Augen leuchteten dabei begeistert.<br />

Sie sprachen auch mit ihrer Mutter über <strong>die</strong>sen Traum, doch auch sie konnte ihn nicht recht<br />

deuten. Andere wiederum lachten, machten sich darüber lustig.<br />

*<br />

D i e m y s t i s c h e B e g e g n u n g m i t d e n M ä n n e rn i m W a ld<br />

Es war in der zweiten Maiwoche. Wie so oft, so machten sie auch an <strong>die</strong>sem Samstag nach<br />

dem Discobesuch <strong>von</strong> Föndach spätnachts mit dem Auto einen Abstecher in den Wald. Um<br />

sich vor unangenehmen Überraschungen, wie Spannern <strong>und</strong> dergleichen, zu schützen, hielten<br />

sie nie mehrmals hintereinander an dem gleichen Platz, sondern übten eine unregelmäßige<br />

Rotation aus, <strong>die</strong> eher dem Zufall preisgegeben war. Eines muß dabei auch noch erwähnt<br />

werden: <strong>Die</strong> Benzinpumpe hatte einen Defekt <strong>und</strong> streikte, wenn der Motor zu lange abgestellt<br />

war. Damit Hans <strong>die</strong>sen Fehler rasch <strong>und</strong> provisorisch beheben konnte, lag ein Dreizehner-<br />

Schraubenschlüssel in der Mittelkonsole bereit.<br />

Nach den Freuden <strong>die</strong>ser Welt küßten <strong>und</strong> turtelten sie genüßlich. Der Kassettenrecorder<br />

spielte „Schlager für Verliebte“, <strong>und</strong> nichts in <strong>die</strong>ser Nacht schien <strong>die</strong> tolle Atmosphäre zu<br />

stören. Plötzlich, aus unerklärlichen Gründen, fuhr Monika erschrocken in sich zusammen.<br />

Ängstlich sahen ihn ihre großen w<strong>und</strong>erschönen Rehaugen an. Sie klammerte sich schockiert<br />

an ihn. Ihre Pupillen öffneten sich weit, <strong>und</strong> das Gesicht schimmerte kreidebleich. Er spürte<br />

ihre große Angst. „Hans, schnell, fahr weg, da ist jemand!“, sagte sie mit zittriger Stimme.<br />

„Ach, was, da ist niemand!“, entgegnete er beruhigend. „Nein, ich höre es, es ist jemand hier in<br />

der Nähe! Bitte, bitte, fahr rasch weg!“ Jetzt konnte auch er es vernehmen, <strong>die</strong>ses typische<br />

Knacken der am Waldboden liegenden Äste. „Das wird ein Reh oder ein Hase sein, Monika!“,<br />

sagte er lächelnd. Doch so sicher war er sich nicht mehr. „Fahr rasch weg!“, flüsterte sie<br />

bettelnd. Ihr Blick durchdrang ihn, er fühlte ihre große Furcht. Sie hielt sich dabei an seinem<br />

rechten Oberarm fest. Wortlos setzte er den Starter in Bewegung. Doch der Motor sprang<br />

nicht an. Gerade jetzt, dachte er, gerade jetzt muß <strong>die</strong> Benzinpumpe streiken. Er mußte sich<br />

überwinden, denn <strong>die</strong> Furcht hatte nun auch <strong>von</strong> ihm Besitz ergriffen. Nach außen hin<br />

selbstsicher wirkend, nach innen jedoch eine zittrige Memme, so stieg er mit dem<br />

Schraubenschlüssel aus dem Auto <strong>und</strong> schraubte bei Dunkelheit <strong>die</strong> Benzinpumpe ab. „Ich muß<br />

bei dir sein!“, sagte Monika, stieg aus <strong>und</strong> hielt sich schutzsuchend an ihm fest. Mit dem Stößel<br />

pumpte er händisch das Benzin in <strong>die</strong> Vergaser. „Warum bleibst nicht im Auto?“ „Weil ich<br />

solche Angst habe!“, entgegnete sie beinahe tonlos. Hans war mit der Reparatur endlich fertig<br />

geworden, als sie ihn stupste. „Da sieh mal, da vorne zwischen den Bäumen!“, sagte sie <strong>und</strong><br />

zeigte mit der Linken geradewegs vor sich hin. Und tatsächlich, ihnen genau gegenüber<br />

standen zwei große, kräftige Männer. Von der Zwei-Meter-Marke fehlte ihnen sicher nicht<br />

viel. Ihre Kleidung konnten <strong>die</strong> beiden nicht genau erkennen. Nur <strong>die</strong> Stiefel waren recht<br />

sonderbar um <strong>die</strong>se Jahreszeit. Außerdem paßten sie nicht zur Mode <strong>die</strong>ser Zeit <strong>und</strong> reichten<br />

bis zu den Oberschenkeln, wo sie gestulpt waren. <strong>Die</strong> beiden Männer sprachen miteinander,<br />

Hans <strong>und</strong> Monika hörten aufmerksam zu. Doch plötzlich waren sie so schnell verschw<strong>und</strong>en,<br />

wie sie gekommen waren. Jetzt wurde es Hans selbst unheimlich. „Komm, Hans, fahren wir!“,<br />

flehte Monika ihn an. Rasch stiegen <strong>die</strong> beiden ein. Hans startete den Motor, der Gott sei Dank<br />

sofort ansprang. Während der Fahrt konzentrierte er sich sehr, es wollte ihm einfach nicht aus<br />

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dem Hirn, daß irgendwo in <strong>die</strong>ser Waldgegend noch eine Überraschung lauern könnte. Und als<br />

sie endlich aus dem Wald fuhren, atmeten beide erleichtert auf. „Jetzt brauch ich eine<br />

Zigarette!“, sagte er. „Ich auch“, entgegnete sie zittrig. „Was hast du da gesehen, Monika?“<br />

„Zwei Männer, <strong>die</strong> miteinander sprachen!“ „Konntest du verstehen, was sie miteinander<br />

besprachen?“ „Ja!“ „So, was denn?“, fragte er neugierig. Sie sah ihn verw<strong>und</strong>ert an. „Ich weiß<br />

es nicht mehr!“ Kopfschüttelnd bestätigte er ihre Aussage. „Mir geht es genauso, ich habe<br />

jedes einzelne Wort verstehen können, <strong>und</strong> jetzt fällt mir nicht einmal ein Buchstabe da<strong>von</strong><br />

ein!“<br />

<strong>Die</strong>ses Erlebnis erzählten sie niemandem, schließlich hätte der Eindruck entstehen können, daß<br />

es im Kopf der beiden nicht mit rechten Dingen zuginge.<br />

*<br />

D e r M ö n c h a u s d e m J e n s e i t s , d e r M o n i ka i n d i e Zu ku n f t v o n H a n s<br />

s e h e n li e ß<br />

In der dritten Maiwoche gab es zwischen dem Unternehmen <strong>und</strong> dem Besitzer der<br />

Schottergrube rechtliche Probleme, <strong>und</strong> so wurden <strong>die</strong> Arbeiten in <strong>die</strong>ser vorläufig eingestellt.<br />

Hans wurde in <strong>die</strong> Firmenwerkstätte versetzt, was ihm nicht sonderlich gefiel, da er viel lieber<br />

in freier Natur arbeitete. Er stand nun einem erfahrenen Baumaschinen-Mechaniker zur Seite,<br />

<strong>von</strong> dem er noch so manches lernen konnte.<br />

Mit Monika hatte er, wenn es <strong>die</strong> Arbeit zuließ, beinahe jeden Tag ein Rendezvous. Es war, als<br />

müßten <strong>die</strong> beiden jede Minute der noch vorhandenen, kostbaren gemeinsamen Freizeit<br />

gründlich nützen. Nach den meist geselligen Besuchen bei Martin, Evi <strong>und</strong> Siegfried parkten<br />

sie unweit ihres elterlichen Hofes bei dem einsamen Marterl. Neben dem Marterl stand ein<br />

großer, alter Lindenbaum, der den beiden das tolle Gefühl <strong>von</strong> Schutz, Geborgenheit <strong>und</strong> Ruhe<br />

vermittelte. Sie sprachen dort über alle möglichen Dinge, doch am meisten über das Thema<br />

Religion. Hans vertrat dabei meist <strong>die</strong> Thesen <strong>von</strong> Darwin - Artenvielfalt durch Mutation.<br />

Monika besuchte zwar selten <strong>die</strong> Sonntagsmessen, doch im Herzen war sie tief gläubig.<br />

Außerdem vertrat sie <strong>die</strong> Meinung, daß man Gott im Wald näher sei als in der Kirche.<br />

„Ach geh!“, sagte er einmal bei einem <strong>die</strong>ser vielen Gespräche verächtlich. „Ich glaube an keine<br />

Religion <strong>die</strong>ser Welt. Alle Kirchengemeinschaften, Glaubenslehren sind <strong>von</strong> Menschen gebildet<br />

<strong>und</strong> nach deren Vorstellungen geformt worden!“ „Ja, Hans, ich stimme dir zu, alle <strong>die</strong>se<br />

Religionsgemeinschaften wurden <strong>von</strong> den Menschen selbst geformt. Das hat aber mit der<br />

Tatsache nichts zu tun, daß es ein Jenseits, eine oder mehrere Daseinsebenen gibt!“ Er nahm<br />

eine Zigarette <strong>und</strong> rauchte sie hastig an. „Da sind wir ja schon wieder bei unserer Religion, da<br />

gibt es eine hohe Daseinsebene - den Himmel -, dann eine tiefere - das Fegefeuer -, <strong>und</strong> den<br />

Keller für schlimme Menschen - <strong>die</strong> Hölle!“ Er lächelte belustigt. „Mach dich nur lustig, Hans.<br />

Ich weiß genau, daß man im Leben vom Schicksal hart geprüft wird <strong>und</strong> am Ende Zeugnis <strong>von</strong><br />

sich selbst ablegen muß!“ „Jaja, vor dem großen Himmelpapa!“, warf er zynisch ein. „Nein, es<br />

muß keine Gestalt. . . !“ Sie hielt inne, sah ihn fragend an <strong>und</strong> meinte: „Versprich mir, daß du<br />

an meinem Begräbnis teilnehmen wirst!“ „Du kommst vielleicht auf Sachen!“, entgegnete er<br />

verdutzt <strong>und</strong> schüttelte den Kopf. „Versprich es mir, Hans, bitte!“ „Wieso sollte ich?“ „Weil<br />

ich sterben werde, <strong>und</strong> ich möchte, daß du an meinem Begräbnis teilnimmst!“ Sie sah ihn dabei<br />

mit bettelnden Augen an. Jetzt ist sie verrückt geworden, dachte er. Monika wandte den Blick<br />

<strong>von</strong> ihm ab, um <strong>die</strong> Musikkassette zu wechseln. „Hey Jude“ <strong>von</strong> den Beatles in Langversion,<br />

<strong>die</strong> sie so oft schon gehört hatten, spielte erneut auf. „Jetzt beginnst du schon zu fantasieren!“,<br />

sagte er leise, sie hatte ihn mit <strong>die</strong>sem seltsamen Ersuchen beunruhigt. „Bitte, Hansi, was auch<br />

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immer zwischen uns beiden geschehen mag, versprich mir bitte, daß du an meinem Begräbnis<br />

teilnehmen wirst!“ „Also gut, ich verspreche es dir!“, warf er zornig ein. Sie atmete erleichtert<br />

auf. „Danke, Hans, ich weiß, daß du dem Versprechen nachkommen wirst!“, meinte sie<br />

sichtlich beruhigt. Er zog nun einige Male kräftig an seiner Zigarette <strong>und</strong> sah nachdenklich zum<br />

Lindenbaum hinaus. Er machte sich sichtlich Sorgen um ihren geistigen Zustand. „Weißt du,<br />

welche Haarfarbe deine nächste Fre<strong>und</strong>in haben wird?“, sagte sie ernst, sah ihn jedoch<br />

fre<strong>und</strong>lich lächelnd an. „Nein, aber du wirst es mir sicher gleich sagen!“, meinte er spöttisch.<br />

„Sie ist blond <strong>und</strong> schön!“ „Da bin ich aber froh!“ „Nach meinem Tod wirst du sie<br />

kennenlernen!“ Sie sah ihn an, lächelte zufrieden, so, als ob es ausgesprochen toll wäre, ihn an<br />

ihrem Wissen teilhaben zu lassen. „So ein Blödsinn, kein Mensch weiß über seinen Tod<br />

Bescheid, <strong>und</strong> du sprichst schon <strong>von</strong> der Zeit danach!“, sagte er verärgert, er fühlte sich auf<br />

den Arm genommen. „Wie kommst denn überhaupt auf den Blödsinn, <strong>und</strong> wenn schon, warum<br />

weißt du darüber Bescheid?“ „Ja, ich weiß, daß du mich nicht ernst nimmst!“ Sie nahm eine<br />

Zigarette. „Du wirst fortgehen. Ja, du wirst fortgehen <strong>und</strong> nicht wiederkommen. Ich werde<br />

dann sterben!“ Hans gab ihr Feuer. „Du wirst auch in einem schönen Haus unter lauter<br />

Männern leben!“ „Jetzt bist aber schon ganz verrückt, oder glaubst du, daß ich homosexuell<br />

bin?“, warf er etwas lauter dazwischen. „Aber nein, aber ich sage dir nur, was ich gesehen<br />

habe!“ „So, <strong>und</strong> wo kann man solche Dinge sehen?“, fragte er interessiert. „Er zeigt sie mir!“,<br />

entgegnete sie <strong>und</strong> tat so, als wär ihr das jetzt nur so herausgerutscht. „Wer ist das?“ „Der alte<br />

Mönch aus dem Jenseits!“, sagte sie nun stockend. „Soso, <strong>und</strong> der kommt so zum Spaß<br />

tagtäglich zur Frau Glaser!“, sagte er höhnisch. Sie packte ihn mit beiden Händen am rechten<br />

Arm. „Bitte glaub mir, du wirst sehen, es wird so kommen!“, sagte sie eindringlich. <strong>Die</strong>ses<br />

Weib halte ich jetzt bald nicht mehr aus, dachte er. „Ich möchte mit <strong>die</strong>sem Mönch<br />

zusammentreffen!“, sagte er, um eine gute Absprungbasis <strong>von</strong> dem recht seltsamen Thema zu<br />

finden.<br />

Drei Tage später war es soweit. Der alte Mönch hatte einem Rendezvous in ihrem<br />

Schlafzimmer, das im westlichen Teil des ersten Stockes im Elternhaus lag, zugesagt.<br />

Gegen 22 Uhr betraten sie den Treffpunkt, genau wie es Monika mit dem Mönch vereinbart<br />

hatte. Hans vergewisserte sich, ob sie auch wirklich allein im Zimmer waren. Danach ließ er<br />

sich zufrieden, aber erwartungsvoll in den Fauteuil fallen. Monika schaltete das Radio ein <strong>und</strong><br />

setzte sich ihm gegenüber - ähnlich wie ein Schachspieler. Da sie mit dem Rücken zur Ecke<br />

saß, überblickte sie das ganze Schlafzimmer. „Und der wird heute wirklich aufkreuzen?“,<br />

fragte er interessiert. „Sicher!“, entgegnete sie lächelnd. „Und hat der so eine braune Kutte<br />

an?“ „Ja!“ „Und wie zeigt er dir <strong>die</strong> Zukunft?“ „Deine Zukunft, meine wird in absehbarer Zeit<br />

abgelaufen sein!“, sagte sie ernst <strong>und</strong> bestimmt. „Oh, natürlich!“ Eigentlich war ihm <strong>die</strong>se<br />

Situation peinlich. Außerdem war er sicher, daß sich nichts tun würde. „Wenn er kommt, kann<br />

ich in <strong>die</strong> Zukunft sehen. Ich bin dabei hellwach, er sitzt neben mir <strong>und</strong> führt mich geistig durch<br />

deine Zukunft!“ Hans schüttelte ungläubig lachend den Kopf. „Ich weiß, daß du mir nicht<br />

glaubst. Doch du wirst dir eines Tages noch sehr viel Kopfzerbrechen darüber machen!“ Sie<br />

hatte noch nicht ausgesprochen, da spürte Hans, daß ihn jemand <strong>von</strong> hinten anstarrte. „Er ist<br />

da, Hans!“, sagte sie, wobei langsam <strong>die</strong> Farbe aus ihrem Gesicht wich. Hans spürte, daß da<br />

jemand oder etwas hinter ihm stand. Doch nur nicht <strong>die</strong> Nerven verlieren <strong>und</strong> vor allem keine<br />

Angst zeigen, war seine Devise. Sie hatte einen seltsamen Gesichtsausdruck <strong>und</strong> schien den<br />

Bewegungen des Mönchs zu folgen. Hans setzte sich selbst gewaltig unter Druck, um <strong>die</strong><br />

Angst zu überwinden <strong>und</strong> drehte sich langsam um. Doch da war nichts, <strong>und</strong> <strong>die</strong>ses seltsame<br />

Gefühl war auch verschw<strong>und</strong>en. „Na, wo ist er denn jetzt, der Bursche?“, gab er nun recht<br />

vorlaut <strong>von</strong> sich. „Er hat vor dir Angst, ich hab es ihm angesehen!“ „Er braucht <strong>von</strong> mir keine<br />

Angst haben, er soll sich zeigen!“ „Nein, er wird sich heute nicht mehr zeigen!“, entgegnete sie<br />

enttäuscht, während <strong>die</strong> Blässe aus ihrem schönen Gesicht schwand.<br />

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Von da an erzählte sie ihm täglich <strong>von</strong> seiner Zukunft. Und seltsamerweise fühlte er des<br />

öfteren, wenn er spät nachts <strong>von</strong> ihr mit dem Auto nach Hause fuhr, daß ihn jemand oder<br />

etwas anstarrte. Er spürte <strong>und</strong> fühlte es so stark, daß ihn manchmal <strong>die</strong> Gänsehaut überlief -<br />

doch es war niemand außer ihm im Auto. Er begann sich gedanklich intensiv mit dem<br />

Phänomen zu beschäftigen, aber es war gar nicht so einfach, denn sprechen konnte er darüber<br />

nur mit Monika - jeder andere hätte ihn für verrückt gehalten.<br />

*<br />

D a s m y s t i s c h s c h a u ri g e S c h a u s p i e l i m W a ld<br />

Es war in der letzten Freitagnacht im Monat Mai. Um nicht unangenehmen Überraschungen<br />

ausgeliefert zu sein, hatte er <strong>die</strong> Benzinpumpe rasch in Schuß gebracht. Nach dem Discobesuch<br />

fuhren sie gegen 22 Uhr durch einen alten Hohlweg in den Wald. Sie hielten an einem<br />

geeigneten Platz, plauderten <strong>und</strong> ließen sich <strong>von</strong> zärtlichen Liebesschlagern berieseln. Plötzlich<br />

hielt sie ihn krampfhaft fest. „Hansi, hast du das gesehen? Da ist jemand!“ Ängstlich wanderte<br />

ihr Blick in den dunklen, dichten Wald. Hans hatte zwar nichts bemerkt, doch saß ihm das<br />

letzte Erlebnis noch in den Knochen. „Fahr bitte!“, sagte sie äußerst nervös <strong>und</strong> hielt Umschau.<br />

„Dein Wunsch ist mir Befehl!“, entgegnete er <strong>und</strong> fuhr los. Als sie zu dem alten Hohlweg<br />

kamen, an dessen oberem Teil <strong>die</strong> Bäume <strong>von</strong> beiden Seiten beinahe zusammengewachsen<br />

waren, schien das Horrorkabinett perfekt. Riesige schreckenerregende Gesichter starrten links<br />

<strong>und</strong> rechts <strong>von</strong> den Bäumen. Ich werde verrückt, dachte Hans, was ist denn das schon wieder?<br />

Monika saß wortlos neben ihm, so als könnte sie <strong>die</strong>se fürchterlichen Fratzen, <strong>die</strong> extrem<br />

bedrohlich waren, nicht wahrnehmen. Hans war <strong>die</strong>smal heilfroh, als sie endlich den Wald<br />

hinter sich hatten <strong>und</strong> der Spuk sein Ende nahm. „Gib mir eine Zigarette, Moni!“, sagte er<br />

zärtlich <strong>und</strong> legte den zweiten Gang ein. Ohne etwas <strong>von</strong> dem Schauerspiel zu erwähnen,<br />

reichte sie ihm eine rauchfertige. „Hast du was gesehen?“, fragte er neugierig. „Ja, große<br />

gräßliche Fratzen auf den Bäumen, <strong>die</strong> uns nichts Gutes wollten!“, entgegnete sie trocken.<br />

„Jetzt möchte ich langsam wissen, was das alles zu bedeuten hat! Auch ich habe sie gesehen!“,<br />

sagte er erstaunt <strong>und</strong> nahm einen kräftigen Lungenzug. „Ja, es gibt eben Dinge zwischen<br />

Himmel <strong>und</strong> Erde, <strong>die</strong> kann auch <strong>die</strong> moderne Wissenschaft nicht erklären!“, meinte sie. „Ach<br />

was, ich muß sagen, es hat mich der Mut verlassen, denn sonst würde ich sofort nochmals<br />

zurückfahren! Aber ich komme noch dahinter, ich glaube an <strong>die</strong>sen Unsinn nicht!“ „Aber du<br />

hast es doch selber gesehen!“ „Ja, nur, man kann auch Augen täuschen!“<br />

Einige Tage später war er dem Spuk nach langem Überlegen auf <strong>die</strong> Spur gekommen. Seiner<br />

Meinung nach konnte der auslösende Faktor nur Monika gewesen sein. Sie hatte ihm ja auch<br />

<strong>von</strong> ihren parapsychologischen Fähigkeiten wie Hellsehen <strong>und</strong> Mönchsbesuchen erzählt. Sie<br />

mußte „Zigeunerblut“ in den Adern haben. Nun gut, dachte er, nur mich wird sie in Zukunft<br />

nicht mehr schrecken, das wird ihr demnächst vergehen. Aus Gesprächen mit ihr hatte er<br />

erfahren, daß es in der Nähe ihres elterlichen Bauernhofes eine bewaldete Hügelkuppe gab, <strong>die</strong><br />

- mystisch - der Hexenkogel genannt wird. Er nahm sich vor, <strong>die</strong>sen zu mitternächtlicher<br />

St<strong>und</strong>e mit ihr aufzusuchen.<br />

So kam es dann auch. Nach dem Discobesuch, wo es wieder einmal eine Riesenhetz mit der<br />

Föndacher Clique gab, fuhr er gegen Mitternacht in Richtung Komannsdorf. Er fuhr in den<br />

Wald, sie fragte erstaunt: „Wohin geht’s denn heute?“ „Direkt zum Hexenkogel, Mauserl!“,<br />

entgegnete er belustigt. Was darauf folgte, war reine <strong>und</strong> nackte Panik bei Monika, sie wäre<br />

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beinahe aus dem fahrenden Auto gesprungen. Er mußte sein Vorhaben abbrechen <strong>und</strong> sich bei<br />

ihr entschuldigen. „Warum wolltest du das machen?“, fragte sie mit Tränen in den Augen. „Ich<br />

wollte wissen, wer <strong>von</strong> uns beiden <strong>die</strong> besseren Nerven hat. Außerdem wollte ich dem Spuk<br />

der jüngsten Vergangenheit auf <strong>die</strong> Spur kommen!“ Sie schloß <strong>die</strong> Autotür <strong>und</strong> heulte<br />

fürchterlich. „Ich habe es gemacht, weil ich will, daß du mit dem Zauber aufhörst!“ „Aber ich<br />

bin es doch nicht!“, gab sie schluchzend <strong>von</strong> sich. „Außerdem will ich, daß du mit dem<br />

Hellsehen aufhörst, ich will <strong>von</strong> dem Unsinn nichts mehr hören, okay!“ Sie nickte.<br />

*<br />

D u w i rs t e i n B u c h s c h re i b e n<br />

An einem w<strong>und</strong>erschönen Samstag mitten im Monat Juni fuhr Hans gegen Mittag im Hofe<br />

ihres Elternhauses vor. Wie so oft, so kam sie auch <strong>die</strong>smal glücklich lächelnd aus dem Haus<br />

gerannt. „Hallo, Fan!“, sagte er fre<strong>und</strong>lich. „Hallo du!“, sagte sie, <strong>und</strong> er merkte, daß sie irgend<br />

etwas auf dem Herzen hatte. „Was hast denn heute, Moni?“, fragte er interessiert. Sie schlug<br />

<strong>die</strong> Autotür zu, <strong>und</strong> ab ging’s in Richtung Evi. „Du wirst ein Buch über dein Leben schreiben.<br />

Darin komme auch ich vor. Aber du mußt mir versprechen, daß du darin meinen richtigen<br />

Namen nicht erwähnst!“ „Ach, da schau her, <strong>Beschulnig</strong>, der Memoirenkritzler!“, entgegnete<br />

er lachend. „Bitte versprich es mir, du darfst meinen Namen nicht erwähnen!“, sprach sie nun<br />

eindringlich auf ihn ein. „Das brauch ich dir gar nicht versprechen, denn bei meinen<br />

Rechtschreibkenntnissen wird sich in <strong>die</strong>ser Richtung nicht viel tun. Außerdem, was soll ich<br />

denn schreiben? Daß ich mit dir jeden Tag ein Rendezvous habe, täglich meiner Arbeit<br />

nachgehe?“ Er lächelte kopfschüttelnd. „Wird es wenigstens ein Erfolg?“ „Das weiß ich nicht.<br />

Aber bitte versprich es mir!“ „Warum?“ „Das darf ich dir nicht sagen!“ Sie sah ihn dabei an, als<br />

wäre es ihr äußerst peinlich. „Gut, ich gebe dir mein Versprechen!“ Sie sah ihn glücklich<br />

lächelnd an, <strong>und</strong> sie wußte, daß er sein Versprechen auf jeden Fall halten würde.<br />

„Ja, <strong>und</strong> noch etwas!“, meinte sie noch so nebenbei. „Innerhalb weniger Monate nach meinem<br />

Tod wird etwas eintreten, das dein Leben gr<strong>und</strong>sätzlich verändern wird!“ „So, <strong>und</strong> was ist das<br />

wieder?“, fragte er scherzend. „Das darf ich dir auch nicht sagen!“ Sie lächelte dabei süffisant.<br />

„Nun gut, das wird ja wohl noch eine halbe Ewigkeit dauern!“, entgegnete er lässig. „Nein, das<br />

wird schon bald sein, wart ab!“<br />

* * *<br />

D I E F R E I W I L L I G E F E U E R W E H R F Ö N D A C H<br />

<strong>Die</strong> FF Föndach hatte, damals wie heute, <strong>die</strong> Funktion, in Katastrophenfällen rasch mit<br />

freiwilligen Helfern zur Stelle zu sein. Eine solche Gemeinschaft wird <strong>von</strong> ihren Mitgliedern<br />

aber auch gerne dazu benutzt, <strong>und</strong> so soll es ja auch sein, sich vom gewöhnlichen Arbeitsalltag<br />

zu entfernen. Beinahe jeden Sonntagvormittag traf sich Hans mit seinen Feuerwehrkameraden<br />

beim Feuerwehrhaus, <strong>von</strong> wo aus man dann übungsmäßig mit dem alten Jeep, auf dem neun<br />

Mann Platz nehmen konnten, zum fiktiven Übungsort brauste. <strong>Die</strong> Pumpe, <strong>die</strong> Schläuche <strong>und</strong><br />

Verteiler wurden mit dem Anhänger mitgeführt. Nach der Übung saß man gemütlich<br />

zusammen <strong>und</strong> trank einige Bier. Wenn <strong>die</strong> FF Föndach ausfuhr, war sie oft eine<br />

Touristenattraktion. Nicht, weil es mitunter vorkam, daß einer der wackeren Feuerwehrmänner<br />

zu tief ins Bierglas sah <strong>und</strong> unterwegs einfach das Zuviel auf <strong>die</strong> Straße spie, nein. Nicht, weil<br />

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das Material vielleicht zu den alten Klamotten gehörte, nein. Der Ex-Militärjeep der<br />

Amerikaner war <strong>von</strong> den Föndachern verlängert worden, konnte sich vielleicht nicht an<br />

Schnelligkeit mit den neueren Fahrzeugen messen, doch das war ja auf dem Land auch nicht<br />

gefragt, er war geländegängig, ein Allrad, <strong>und</strong> das zählte im Ernstfall doppelt. <strong>Die</strong> wahre<br />

Attraktion war also der feuerwehrrote Ami-Jeep <strong>und</strong> <strong>die</strong> alten, überlackierten<br />

Wehrmachtshelme, <strong>die</strong> <strong>die</strong> FF Föndach bei jedem Einsatz als Schutzhelme trug. Der Maschinist<br />

saß am Steuer, neben ihm der Kommandant, dahinter waren <strong>die</strong> Holzsitzbank mit Blick nach<br />

hinten <strong>und</strong> <strong>die</strong> Schlußsitzbank mit Blick in Fahrtrichtung. <strong>Die</strong> älteren Burschen hatten <strong>die</strong> FF<br />

Föndach hochleben lassen, indem sie sich vor einigen Jahren einen Meistertitel nach dem<br />

anderen bei Feuerwehrwettkämpfen holten. Hans tat es sehr leid, daß <strong>die</strong> Burschen seines<br />

Alters, darunter auch Heino <strong>und</strong> Fritz, dazu kein Animo hatten. Bei den Übungen <strong>und</strong> auch in<br />

Ernstfällen lief, wenn <strong>die</strong> richtigen Männer zum rechten Zeitpunkt beisammen waren, immer<br />

alles wie am Schnürchen. Nur einmal versagte <strong>die</strong> FF Föndach kurz, <strong>und</strong> das auch nur, weil<br />

man andauernd stur jeden Mann <strong>die</strong> ihm zugeteilte Funktion ausüben ließ: der Maschinist fuhr<br />

immer den Jeep usw. Eines Tages heulte <strong>die</strong> Sirene Alarm. Zum Spritzenhaus kamen jedoch<br />

nur einige Feuerwehrmänner, da alle anderen nicht zu Hause waren oder in anderen Orten dem<br />

Beruf nachgingen. Zufälligerweise war <strong>die</strong>smal kein Maschinist da, <strong>und</strong> der Motor des Jeep<br />

ließ sich nicht starten, <strong>die</strong> Batterie war leer. Der Mann am Steuer legte den ersten Gang ein,<br />

bei dem Jeep war <strong>die</strong>se Schaltstellung jedoch der Retourgang. Der Motor konnte so natürlich<br />

nicht anspringen, er ließ sich einige H<strong>und</strong>ert Meter weit schieben. In der Hektik kam er auf <strong>die</strong><br />

Idee, auf den zweiten Gang zu schalten, in <strong>die</strong> Schaltstellung, in welcher der Jeep den ersten<br />

Gang hatte. Der hat sich vielleicht Spott <strong>und</strong> Hohn anhören können. <strong>Die</strong>ses Ereignis war aber<br />

auch für <strong>die</strong> Feuerwehr ein Lehre.<br />

Der Kommandant der FF Föndach war ein älterer Herr, eine angesehene Persönlichkeit im Ort.<br />

Er trank nicht <strong>und</strong> war immer bestrebt, als gutes Vorbild zu wirken. Eines Tages gegen 19<br />

Uhr, Hans saß mit Heino gerade bei Karlo in der Disco, heulten plötzlich <strong>die</strong> Sirenen. Hans<br />

<strong>und</strong> Heino sprangen auf, eilten zum Auto <strong>und</strong> fuhren zum Spritzenhaus. Hektisches Treiben im<br />

<strong>und</strong> um das Spritzenhaus. Der Jeep wurde herausgefahren. Eilig wechselte man <strong>die</strong> Kleidung,<br />

Helm auf <strong>und</strong> . . . der Kommandant sternhagelbetrunken. Er lallte etwas <strong>von</strong> volles Rohr <strong>und</strong>:<br />

„Seid ihr vollzählig?“ Der Maschinist lächelte <strong>und</strong> half ihm auf den Beifahrersitz, wo er<br />

sichtlich erregt einige unvollständige Kommandos lallte. „Das ganze Jahr trinkt er nichts, <strong>und</strong><br />

wenn es brennt, ist ausgerechnet der Kopf der Kampftruppe betrunken!“, sagte Heino<br />

belustigt. Der Maschinist schaltete das Blaulicht <strong>und</strong> das Folgetonhorn ein. Der Einsatzwagen<br />

setzte sich vollbesetzt in Bewegung. Am Einsatzort mußten sie eine extrem lange<br />

Wasserförderleitung mit Schläuchen legen. Eine Feuerwehrpumpe mußte<br />

dazwischengeschalten werden. Der Kommandant schlief während des Einsatzes seinen Rausch<br />

aus.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : J u n i<br />

S C H O N W I E D E R S T R E I T M I T V A T E R<br />

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Temperaturen bis zu 28 Grad waren in der dritten Juniwoche keine Seltenheit. Nachmittags<br />

tummelten sich schon viele Menschen vergnügt an den Seen <strong>und</strong> aufgelassenen Schotterteichen<br />

- <strong>die</strong> Badesaison hatte begonnen.<br />

Nach außen gab <strong>die</strong> Familie <strong>Beschulnig</strong> - wie so viele Familien - eine glückliche Familie ab.<br />

Nach innen hin freilich sah <strong>die</strong> Sache schon ganz anders aus.<br />

Eines Tages kam Hans gegen 17 Uhr nach getaner Arbeit nach Hause, da saß sein Vater wie<br />

üblich im blauen Arbeitsgewand <strong>und</strong> festem Schuhwerk beim Abendessen in der Wohnküche.<br />

„Grüß dich!“ „Grüß dich!“, entgegnete er grantelnd <strong>und</strong> löffelte gierig aus dem Suppenteller.<br />

Spinnt schon wieder, der Idiot, dachte Hans <strong>und</strong> ging ins Bad, um sich für das Treffen mit<br />

Monika frisch zu machen. „Für den Ernst des Lebens hast wohl nicht viel übrig, was!“, rief ihm<br />

Vater mit kräftiger Stimme nach. Hans schwieg, um ihn nicht noch mehr herauszufordern.<br />

„Fährt schon wieder strolchen, <strong>die</strong>ser Rotzbube. Hat einfach nichts anderes im Kopf, als Huren<br />

<strong>und</strong> Alkohol!“, meinte er weiters verärgert zu Mutter, <strong>die</strong> gerade <strong>von</strong> den Gartenarbeiten ins<br />

Wohnzimmer kam. „Ist doch nicht wahr, er hat doch eine feste Fre<strong>und</strong>in, <strong>und</strong> außerdem, was<br />

trinkt er denn schon!“, entgegnete sie beruhigend. „Wir haben uns das nicht leisten können!“<br />

„Mein Gott, bist du der heutigen Jugend darum neidisch?“ „Nein, aber er könnte doch langsam<br />

versuchen, sich auf eigene Beine zu stellen, er wird immerhin nächste Woche neunzehn!“ Vater<br />

schlürfte wie ein Ferkel vom Löffel. „Schmeckt ganz gut, <strong>die</strong> Suppe! Wir waren in <strong>die</strong>sem<br />

Alter schon aus dem elterlichen Nest!“ „Das waren auch andere Zeiten, <strong>und</strong> wir stammen aus<br />

zerrütteten Familienverhältnissen!“ „Nimm ihn nur in Schutz, es wird sowieso nichts aus dem<br />

Zigeuner! <strong>Die</strong> Abschlußprüfung seiner Lehre hat er bis heute nicht geschafft. Na ja, wird er<br />

halt ein Leben lang den Hilfsarbeiter spielen, wie ich!“ „Er wird sie schon machen, außerdem<br />

ist es sein Leben!“, entgegnete sie resigniert. „Wir hatten nicht <strong>die</strong> Möglichkeit, <strong>und</strong> er<br />

wiederum ist einfach zu faul!“<br />

Im Bad hatte Hans das Gespräch seiner Eltern mitverfolgt. Er mochte Vater schon <strong>von</strong><br />

Kindheit an nicht, <strong>und</strong> jetzt schon wieder <strong>die</strong>se - seiner Meinung nach - unnötig kritische<br />

Beurteilung.<br />

„Was will denn dein Vater, du arbeitest <strong>und</strong> bist auch sonst ein recht passabler Kerl!“, meinte<br />

Monika erschüttert, nachdem er ihr den Vorfall geschildert hatte. <strong>Die</strong> beiden saßen im Auto,<br />

welches gegen 20 Uhr einsam beim Marterl parkte. „Nun, ich denke, er will aus mir so einen<br />

ruhigen Fritzen machen. Einen Menschen, der brav arbeitet, bei Obrigkeiten ein leichtes<br />

Hofknickserl macht <strong>und</strong> ein meinungsloses Mädel zur Fre<strong>und</strong>in hat!“ „Aber das geht ihn doch<br />

nichts an, es ist doch dein Leben!“ „Das sagst du! Er wiederum denkt, daß wir <strong>Kinder</strong> seine<br />

Anordnungen zu befolgen hätten - jedenfalls solange wir mit ihm unter einem Dach leben.“<br />

Hans nahm eine Zigarette, Monika gab ihm Feuer. „Aber ich werde mich <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem . . . nicht<br />

mehr bevorm<strong>und</strong>en lassen. <strong>Die</strong>se Zeiten müssen einfach ein für allemal vorbei sein!“ Hans war<br />

recht emotionell geworden, mit haßerfülltem Blick sah er durchs offene Seitenfenster zum<br />

Lindenbaum. „Mein Vater glaubt, der Mensch sei der Mittelpunkt, das Um <strong>und</strong> Auf in unserem<br />

Sonnensystem. Er hält das Tier für minderwertig <strong>und</strong> dazu ausersehen, dem Menschen in allen<br />

vorstell- <strong>und</strong> unvorstellbaren Variationen zu <strong>die</strong>nen. Ich bin sein größter Gegner in <strong>die</strong>ser<br />

Anschauung. Denn ich finde, wir sind mit den Tieren verwandt, ja, wir sind auch nur Tiere!“<br />

„Das meinst du aber jetzt nicht ernst, was!“, entgegnete sie schelmisch lächelnd. „Oh ja, der<br />

Aufbau der tierischen <strong>und</strong> menschlichen Zelle ist ident. Sogar <strong>die</strong> Zelle der Pflanzen, Gräser<br />

<strong>und</strong> Bäume ist unserer sehr ähnlich!“ „Ja, das stimmt schon, nur der Mensch hat ein<br />

Bewußtsein, kann logisch denken. Dem Tier fehlt <strong>die</strong>se Eigenschaft!“, entgegnete sie ernst.<br />

„Ja, der Unsinn wird in unseren Schulen verzapft. Aber ich bin mir sicher, daß der Übergang<br />

des Bewußtseins, oder genauer, der geistigen Leistungsfähigkeit fließend ist - so wie feuchte<br />

Luft zum riesigen Ozean! Ich habe mich als Kind mit Tieren sehr viel beschäftigt. Habe in ihnen<br />

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immer einen Kameraden, ja oft sogar eine Persönlichkeit, <strong>die</strong> auch ein Recht auf Freiheit <strong>und</strong><br />

Gleichheit hat, gesehen. Ich habe in ihnen, wie beim Menschen auch, viele verschiedene<br />

Charaktere erkannt!“ „Ein wahrer Tierschützer!“, meinte sie lächelnd. „Nur wirst du in unserer<br />

Welt damit nicht sehr weit kommen!“ „Ich weiß“, er zog kräftig an der Zigarette, „aber ich<br />

habe auch kein sonderliches Interesse, in <strong>die</strong>ser Gesellschaft, <strong>die</strong> nur auf Habsucht <strong>und</strong> Gier<br />

aufgebaut ist, etwas zu werden. Ja, ich denke, ich lehne zur Zeit sogar unsere Gesellschaft <strong>und</strong><br />

im besonderen unsere Religion ab!“ „So, was haben denn <strong>die</strong> Tiere mit unserer Religion zu<br />

tun?“, fragte sie erstaunt. „Zu Ostern oder vor Weihnachten finden <strong>die</strong> großen Schlachtungen,<br />

<strong>die</strong> eigentlich nichts anderes als Tiertragö<strong>die</strong>n <strong>und</strong> -massaker sind, statt! <strong>Die</strong> Menschen sollten<br />

einmal den Ursprung des tierischen Fleischproduktes verfolgen, sollten bei den Schlachtungen<br />

zusehen. Ich möchte wissen, wieviele <strong>von</strong> ihnen dann noch schmatzend ein Spanferkel vertilgen<br />

könnten. Unsere Religion achtet das Tier nicht. Ja, es geht sogar so weit, daß unsere Religion<br />

der westlichen Gesellschaftsform Narrenfreiheit in Sachen Tier- <strong>und</strong> Umweltpolitik läßt. Wir<br />

achten <strong>die</strong> Schöpfung nicht, wir sind nur darauf aus - <strong>und</strong> da spielt das Christentum kräftig mit<br />

-, uns <strong>die</strong> Erde untertan zu machen. Dabei rotten wir <strong>die</strong> Tier- <strong>und</strong> Pflanzenwelt aus.<br />

Außerdem explo<strong>die</strong>rt <strong>die</strong> Weltbevölkerung, ich sage dir, eine Bombe, <strong>die</strong> uns allen auf den<br />

Kopf fallen wird, es ist nur eine Frage der Zeit. Stell dir vor, alle Menschen <strong>die</strong>ser Welt hätten<br />

den Luxus <strong>und</strong> Energieverbrauch, den zur Zeit nur 15% der Weltbevölkerung haben. Man<br />

würde den Planeten sehr schnell in eine baum- <strong>und</strong> strauchlose Wüste verwandeln. Aber das<br />

macht nichts, der Mensch ist ein Frevler, <strong>und</strong> irgendwann wird es wieder eine Arche Noah<br />

geben!“ „Du hast ganz gut argumentiert, Hans! Doch jetzt hast du deine starke Religiosität, <strong>die</strong><br />

du immer vehement abgestritten hast, preisgegeben!“ „Nein, habe ich nicht! Ich glaube an<br />

keinen Gott. Aber ich glaube an strikte Gesetze in der Evolution <strong>und</strong> der Ökologie. Mit Arche<br />

Noah meine ich, daß es in Zukunft wegen der menschlichen Eingriffe in Natur <strong>und</strong> Umwelt zu<br />

großen Katastrophen kommen wird. Es könnte sogar geschehen, daß <strong>die</strong> Säugetiere - zu denen<br />

auch der Mensch zählt - <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Welt verschwinden werden, wie <strong>die</strong> Saurier vor Millionen<br />

<strong>von</strong> Jahren!“ Er lächelte vor sich hin, zog kräftig an der Zigarette <strong>und</strong> meinte weiters: „Mein<br />

eigener Tod wird mir noch früh genug <strong>die</strong> Möglichkeit geben, an ein Jenseits zu glauben oder<br />

auch nicht! <strong>Die</strong> Chancen dafür stehen fünfzig zu fünfzig, oder, wie bei einer Münzwette, Kopf<br />

oder Zahl!“ „Aber ich sage dir, Hansi, es gibt Dinge zwischen Himmel <strong>und</strong> Erde, <strong>die</strong> uns nur<br />

religiöse Philosophen erklären können!“ „Jaja, alles was man nicht versteht, verpflanzt man in<br />

den Bereich des Übersinnlichen!“ „Aber du hast doch gerade vorhin <strong>von</strong> dem W<strong>und</strong>er der<br />

Natur geschildert. Von dem ähnlichen Aufbau der pflanzlichen <strong>und</strong> tierischen Zelle. Und du<br />

hast gemeint, der Übergang des Bewußtseins sei fließend. Der Mensch sei quasi das<br />

Endprodukt in der biologischen Evolution. Und du meinst, <strong>die</strong>s alles sei einfach nur so ein<br />

biologisches Endprodukt in der viereinhalb Milliarden Jahre alten Erdgeschichte?“ Sie sah ihn<br />

fragend an. „Ja, das meine ich. Deswegen fühle ich mich auch mit den Tieren <strong>und</strong> Pflanzen<br />

<strong>die</strong>ser Welt verwandt! Wir sind alle Brüder, <strong>und</strong> deshalb verstehe ich nicht, wie ein Mensch<br />

derart brutal gegenüber einem Tier, das ihm nichts entgegenzusetzen hat, sein kann! Der<br />

Mensch ist eben eine verrückte Bestie!“ „Ach, du siehst alles so schwarz!“, meinte sie liebevoll<br />

<strong>und</strong> kuschelte sich an ihn. „Nun, <strong>und</strong> wie sieht es in deiner Götterwelt aus, du<br />

Dämonenschreck?“ „Ja, ich weiß, du nimmst mich nicht ernst. Aber ich glaube an ein Leben<br />

nach dem Tode. In irgendeiner Form, vielleicht in einer anderen Welt. Doch ich könnte mir<br />

auch vorstellen, daß wir einige Male verschiedene Stationen durchleben müssen, <strong>die</strong> dann<br />

bewertet werden. Ob es Gott gibt, so wie uns gelehrt wird, ist fraglich!“ „Weiterleben nach<br />

dem Tod, so ein Unsinn!“, entgegnete Hans kopfschüttelnd. „Ich möchte nur wissen, was du<br />

sagen wirst, wenn sich meine Prophezeiungen bewahrheiten werden?“ Sie sah ihn forschend an.<br />

„Du meinst deine komischen Mönchsgeschichten, dein Tod <strong>und</strong> meine weitere, recht absurde<br />

Zukunft?“ „Du wirst sehen, es wird alles eintreffen!“, warf sie energisch dazwischen <strong>und</strong> sah<br />

traurig zum Lindenbaum. „Nur leider werden wir beide uns dann nicht mehr gegenübersitzen<br />

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<strong>und</strong> interessante Gespräche führen können!“ „Na, dann mach dich halt irgendwie vom Jenseits<br />

aus bemerkbar, wenn du schon so überzeugt <strong>von</strong> der Reinkarnation bist! Machen wir uns doch<br />

eine Verständigungsform aus!“, meinte er ernst. „Nein, Hansi, das können wir nicht, denn ich<br />

weiß nicht, wie es im Jenseits mit mir weitergehen wird! Ich habe nur <strong>die</strong> Möglichkeit, dir jetzt<br />

alles <strong>von</strong> meinem Wissen zu erzählen. Doch du nimmst es zur Zeit leider nicht ernst. Du<br />

verbietest mir außerdem, noch weitere Details zu erzählen - schade!“ „Ja, hören wir auf mit<br />

dem Gespräch, der Käse bringt doch nichts!“, sagte er trocken <strong>und</strong> startete den Motor.<br />

*<br />

D e r 1 9 . G e b u rt s t a g<br />

Ende Juni 1976 feierte Hans seinen 19. Geburtstag. Vater zeigte sich <strong>von</strong> der despotischen<br />

Seite - <strong>die</strong> beiden konnten sich nicht sonderlich leiden, deswegen verlegte Hans <strong>die</strong> kleine Feier<br />

zu Monika.<br />

Monika freute sich sehr. Sie hatte selbst eine Torte gebacken <strong>und</strong> mit ihrer Mutter ein<br />

Geburtstagsgeschenk gekauft, eine goldene Halskette mit einer winzigen Hand als Anhänger.<br />

„Nimmst du <strong>die</strong> Torte mit nach Hause, oder verspeist du sie gleich hier?“, fragte Monika. Sie<br />

stellte <strong>die</strong> Torte in der Wohnküche auf den Tisch. „Nach Hause?“, entgegnete er empört.<br />

„Dann ißt mein Vater noch da<strong>von</strong>!“ „Was hast denn gegen deinen Vater?“, fragte ihre Mutter<br />

interessiert. Hans nahm ein Stück <strong>von</strong> der Torte <strong>und</strong> begann <strong>die</strong> traurigsten Geschichten aus<br />

seinem Leben mit Vater zu erzählen.<br />

„Warum ist dein Vater so?“, fragte Frau Glaser. „Ich weiß nicht“, entgegnete er, „er ist eben<br />

so!“ Monika, <strong>die</strong> mit ihrer Küchenarbeit fertig geworden war, setzte sich neben ihn an den<br />

Tisch <strong>und</strong> erzählte ihrer Mutter weitere Details aus seinem Leben. Sie kannte ja aus den<br />

zahlreichen Gesprächen seinen gesamten Lebenslauf, so wie er den ihren. „Als sie das neue<br />

Haus bauten“, fuhr sie fort, „mußte Hansi jeden Tag nach der Schule helfen. Wenn seine<br />

Fre<strong>und</strong>e baden gingen <strong>und</strong> er streiken wollte, gab’s Prügel, ein Sklavendasein!“ Monika<br />

steigerte sich beim Erzählen so hinein, daß er da<strong>von</strong> tief beeindruckt war. Er mußte seine<br />

Gefühle richtiggehend unterdrücken, um nicht zu weinen.<br />

Während der Fahrt zur Föndacher Disco, gegen 20 Uhr, sagte Monika: „Du, Hansi, heute habe<br />

ich bemerkt, daß dir <strong>die</strong> Zankereien mit Vater sehr auf <strong>die</strong> Nerven gehen. Du leidest sehr<br />

darunter, ich habe es besonders während des Gesprächs mit Mutter festgestellt!“ „Das ist nicht<br />

wahr! Ich streite für mein Leben gern - es bringt Abwechslung!“, entgegnete er locker. „Ja, ich<br />

weiß, Hansi, du möchtest es verniedlichen, du spielst den harten Typen. Doch in Wirklichkeit<br />

bist du gar nicht so!“ Hans wußte, daß sie recht hatte, er sah sie zufrieden lächelnd an. „Wie<br />

kommst du darauf?“ „Ganz einfach, ich kenne dich, ich weiß über dich mehr, als du glaubst.<br />

Außerdem habe ich dich beobachtet, deine Augen gesehen!“ Sie sah ihn nachdenklich an.<br />

„Mein Schamane!“, meinte er scherzend. <strong>Die</strong> beiden lachten erheitert auf.<br />

Bei Sigi feierten sie ausgelassen mit Heino, Fritz, George, Susi <strong>und</strong> Karli den Geburtstag.<br />

Gegen Mitternacht tanzten sie bei spärlicher Beleuchtung zu zärtlichen Liebessingles wie<br />

„When A Man Loves A Woman“ <strong>und</strong> vielen anderen, das war Sigis Werk. Dabei schmiegten<br />

sie sich, wie bei Verliebten üblich, eng aneinander. „Schade!“, meinte sie plötzlich, sah ihn<br />

verliebt <strong>und</strong> traurig lächelnd an. „Was ist schade, Monika?“, fragte er. „Was man liebt,<br />

bekommt man nicht!“ „Wußte gar nicht, daß du mich aufgeben möchtest!“, entgegnete er<br />

lächelnd. „Ich werde dich niemals aufgeben, Hansi. Im Gegenteil, am liebsten würde ich dich<br />

einsperren, damit du immer bei mir bist!“ Sie lächelte dabei schelmisch. „Ach so, <strong>und</strong> weshalb<br />

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sagst du dann, was man liebt, bekommt man nicht?“ „Weil ich es weiß!“ Ihre Stimme klang<br />

dabei verdammt resigniert. „Daß du mich täglich mit deinem Wahrsagetalent bombar<strong>die</strong>ren<br />

mußt!“<br />

Hans saß mit Monika an der Bar. Oberhauser <strong>und</strong> Maria tanzten mit gekonnt lustig gespielter<br />

Mimik zu der Platte „Der Pariser Tango“ <strong>von</strong> Mireille Mathieu. „Egger, was machst denn du<br />

da?“, rief plötzlich Heino, der am Nebentisch mit George <strong>und</strong> einige Burschen aus dem<br />

Nachbarort zusammen saß. Egger? Hans blickte sich um. „Rückt ein wenig zusammen, ich setz<br />

mich kurz zu euch!“, sagte Heino <strong>und</strong> drängte sich mit der Bierflasche zu dem großen Sitzplatz<br />

unter der Fototapete. „Bis jetzt habt ihr Föndacher nichts zusammen gebracht, mit der Disco<br />

ist wenigstens ein bisserl Leben in euer Dörflein gekommen!“, sagte Christine mit zynischem<br />

Humor. „Daß du ein freches Luder bist, war mir schon in der Schule klar!“, entgegnete Heino.<br />

Hans konnte gerade erkennen, wie Christine Heino ihren Fre<strong>und</strong>eskreis aus Ferlach vorstellte.<br />

„Da schau her, <strong>die</strong> Christine!“, sagte Hans. „Schon wieder eine Fre<strong>und</strong>in <strong>von</strong> früher?“, warf<br />

Siegfried provozierend ein. „Ja, eine Schulfre<strong>und</strong>in, oder wenn du es genau wissen möchtest,<br />

eine Schulkollegin!“ „Von der hast mir aber nichts erzählt!“, sagte Monika recht gelassen.<br />

„Hast du mir <strong>von</strong> jedem Schulkollegen erzählt?“ „Na, ich hätte es sicherheitshalber schon<br />

getan!“, meinte Siegfried. „Serviertraktor, schau, daß deine Esel was zum Trinken haben, sonst<br />

werden sie noch narrisch!“, entgegnete Hans lässig. „Herr Ober!“, schallte es aus trockener<br />

Kehle. „Wer ist denn das wirklich?“, fragt Monika. „Heinos <strong>und</strong> meine Schulkollegin, wir<br />

gingen zusammen in Ferlach in <strong>die</strong> Hauptschule <strong>und</strong> in den polytechnischen Lehrgang, den<br />

Ersatz für <strong>die</strong> neunte Schulstufe.“ „Sie oder der polytechnische Lehrgang?“, fragte Monika <strong>und</strong><br />

lachte belustigt. „Jetzt steh ich auf der Leitung!“ „Wer war der Ersatz für <strong>die</strong> neunte<br />

Schulstufe?“ Hans gab eine abwertende Handbewegung <strong>und</strong> meinte: „Daß ihr Frauenzimmer<br />

immer so hinterfotzig sein müßt!“ „Sieh da, Heino tanzt!“, rief Monika begeistert <strong>und</strong> zeigte<br />

auf den Tanzboden. „Was, der bringt seine Entenplattler auch auf den Tanzboden, das gibt es<br />

doch nicht!“, entgegnete Hans lächelnd <strong>und</strong> sah auf <strong>die</strong> Tanzfläche. „Das schöne Mädchen <strong>von</strong><br />

Seite 1“ <strong>von</strong> Howard Carpendale, <strong>und</strong> Christine als Tanzpartnerin. „Vielleicht wird das was!“,<br />

meinte Monika. „Vergönnen würde ich es ihm!“ „Wenn nicht, dann kann ja ich es einmal<br />

versuchen!“, warf Siegfried ein. „Du bringst ja nicht einmal mehr eine Kuh vom Jahrmarkt!“,<br />

sagte Hans trocken. Monika lachte erheitert auf. „Hast du eine Ahnung, gestern hat eine für<br />

mich auf Tisch drei gestrippt!“ „<strong>Die</strong> muß aber mit einem Blindenstock in <strong>die</strong> Disco gekommen<br />

sein!“, entgegnete Hans. „Ich muß dort hin, wo auch der Kaiser zu Fuß hingeht!“, meinte<br />

Monika <strong>und</strong> ging belustigt lächelnd auf <strong>die</strong> Toilette. Nach dem Tanz mit Heino war auch<br />

Christine auf dem Weg zur Toilette. „Hallo, wie geht es dir?“, fragte Hans <strong>und</strong> unterbrach so<br />

ihren Weg. „Der Hansi!“ Sie lächelte erfreut <strong>und</strong> ging zu ihm an <strong>die</strong> Bar. „Wie geht es dir?“<br />

„Mir geht es gut, <strong>und</strong> dir, Hans?“ „Kann mich nicht beschweren!“ „Ja, das glaube ich dir, allein<br />

schon, wenn ich seh, was für eine fesche Fre<strong>und</strong>in du hast!“, sagte sie fre<strong>und</strong>schaftlich<br />

lächelnd. „Na, du hast dich ja auch ganz gut entwickelt!“, entgegnete er fre<strong>und</strong>lich. Christine<br />

lächelte, gab ihm <strong>die</strong> Hand <strong>und</strong> ging.<br />

Hans dachte an das Rendezvous in Unterloibl <strong>und</strong> war froh, daß sich Christine damals für ihre<br />

Ferlacher Clique entschieden hatte, sonst wäre er vermutlich niemals auf Monika gestoßen.<br />

Christine kam jetzt immer öfter mit ihrem Bekanntenkreis in <strong>die</strong> Disco nach Föndach. <strong>Die</strong><br />

Schlägertypen, <strong>die</strong> ihn damals an der Tankstelle bedroht hatten, waren nie dabei.<br />

Beim Nachhausefahren fragte Monika: „Warum bist du in Gegenwart meines Bruders <strong>und</strong><br />

seiner Fre<strong>und</strong>e nicht so nett zu mir wie bei deinen Fre<strong>und</strong>en? Warum zeigst du ihnen nicht, daß<br />

du mich magst, daß ich zu dir gehöre?“ „Weil sie mich hintergangen haben. Sie wollten uns<br />

beide auseinanderbringen, <strong>und</strong> ich weiß, daß sie das auch in Zukunft vorhaben!“, entgegnete er<br />

ruhig, doch innerlich kochte er. „Ach was, das ist doch alter Kaffee. Außerdem halte ich doch<br />

zu dir, oder hast du das noch nicht bemerkt?“ „Ja, ich weiß, <strong>und</strong> wenn nicht, dann wär’s halt<br />

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Pech! Denn ich lasse mich <strong>von</strong> denen nicht zum Blödel stempeln!“ „Mein Gott, daß du immer<br />

so radikal reagieren mußt!“ Das Autoradio spielte „Children Of The World“ <strong>von</strong> den<br />

Blumenkindern, ein schöner Song, der für einen Guru warb. „Kannst dich gleich bei denen<br />

melden!“, meinte er grinsend <strong>und</strong> zeigte auf das Radio, um das Gespräch auf ein anderes<br />

Thema zu lenken.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : J u li<br />

D I E E N T S C H E I D U N G<br />

Der Sommer 76 war heiß, beinahe so heiß, wie <strong>die</strong> Liebe <strong>von</strong> Hans <strong>und</strong> Monika. <strong>Die</strong> beiden<br />

waren <strong>von</strong> ihrer tiefen Zuneigung zueinander geradezu abhängig geworden <strong>und</strong> freuten sich<br />

sogar im Arbeitsalltag auf das tägliche Treffen. Ja, sie konnten es gar nicht erwarten, einander<br />

zu sehen, zu berühren, miteinander zu sprechen <strong>und</strong> zu lachen. <strong>Die</strong> Frage nach dem Lebenssinn<br />

war für sie nur noch sek<strong>und</strong>är.<br />

Nur sein Vater wollte oder konnte <strong>die</strong>s nicht verstehen. Krampfhaft versuchte er, Hans auf eine<br />

seiner Meinung nach geordnetere Bahn zu dirigieren - vergeblich. Der alte <strong>Beschulnig</strong> wollte<br />

einfach nicht akzeptieren, daß <strong>die</strong> junge „Rotzpipen“ - mit ihren 19 Jahren - nur arbeitete, um<br />

zu leben, <strong>und</strong> nicht, wie er, lebte, um zu arbeiten. Es hatte in den letzten Tagen häufig<br />

Spannungen gegeben, deswegen wich Hans ihm aus, wo er nur konnte. Mutter war dabei <strong>die</strong><br />

Leidtragende, sie hatte keine Möglichkeit auszuweichen <strong>und</strong> mußte so für seine Standpredigten<br />

herhalten.<br />

Es war in der dritten Juliwoche, an einem Donnerstag. Hans kam wie so oft gegen 22 Uhr <strong>von</strong><br />

Monika nach Hause. Da er überzeugt war, daß sein Vater schon schlief, ging er noch rasch in<br />

<strong>die</strong> Wohnküche, um etwas zu essen. Plötzlich öffnete sich <strong>die</strong> Schlafzimmertür seiner Eltern,<br />

Vater ging wortlos mit einem mürrisch-verschlafenen Gesichtsausdruck <strong>und</strong> nur mit Unterhose<br />

sowie Hemd bekleidet in <strong>die</strong> Toilette. Hoffentlich hält er sein dreckiges . . ., dachte Hans. Er<br />

setzte sich zum Tisch <strong>und</strong> begann zu essen. „Grüß dich!“, sagte Hans fre<strong>und</strong>lich, als sein Vater<br />

wenig später <strong>von</strong> der Toilette kam. Vater erwiderte nichts. Wortlos ging er in <strong>die</strong> Küche, nahm<br />

eine Flasche Wein aus dem Schrank <strong>und</strong> füllte sein Stammglas. Jetzt muß er sich auch noch vor<br />

dem Streiten Mut antrinken, <strong>die</strong>ses . . ., dachte Hans. Wie zu erwarten, nahm Vater<br />

griesgrämig Hans gegenüber am Tisch Platz. Er nahm einen kräftigen Schluck vom Wein. „Wo<br />

treibst dich denn den ganzen Tag rum?“, fragte er im mürrischen Ton eines Befehlshabers. In<br />

seinen Augen funkelte Haß. „Bei Monika war ich!“, entgegnete Hans betont fre<strong>und</strong>lich, um ihn<br />

ja nicht noch mehr zu reizen. „Du hältst wohl nichts vom geregelten Leben, was!“, schrie Vater<br />

ihn an. „Wieso, in meinem Leben ist doch alles in Ordnung. Ich arbeite, habe eine feste<br />

Fre<strong>und</strong>in. Mehr braucht man doch nicht!“ „Ja, ich weiß - das ist deine Lebenseinstellung! Mehr<br />

brauche ich nicht!“, sagte Vater ruhig <strong>und</strong> beherrscht, er grinste in seinen Bart. „Vergleiche<br />

dich doch mal mit Manfred. Manfred ist kaum ein Jahr älter als du, er nützt seinen Beruf voll<br />

aus. Außerdem hat er seinen Beruf mit einer Prüfung abgeschlossen. Er hat seltsamerweise<br />

immer eine Arbeit. Auch er hat eine feste Fre<strong>und</strong>in, <strong>und</strong> was für eine, ein braves Mädchen. <strong>Die</strong><br />

beiden bauen sich schon ein Haus. Ja, der müßte dir als Vorbild <strong>die</strong>nen! Er verwendet sein<br />

Geld für sinnvolle Aufgaben. Nicht wie du, du Verschwender. Du verschwendest dein Geld nur<br />

mit deiner Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> den Saufereien!“ Hans vibrierte innerlich, doch ließ er sich nichts<br />

anmerken. „Den Manfred kannst aus dem Spiel lassen, ich, ich bin eben ein anderer Mensch,<br />

<strong>und</strong> Alkohol trinke ich schon seit längerem nur in geringen Mengen. Und zu Monika, sie geht<br />

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dich einen feuchten Dreck an. Außerdem kommt sie für ihre Kosten selbst auf!“ „Jaja, ihr <strong>und</strong><br />

euch <strong>die</strong> Kosten teilen!“ Er lachte höhnisch. „Jedenfalls ist sie kein ordentliches Mädel,<br />

ansonsten hätte sie dich schon längst auf den richtigen Weg gebracht!“ Er sah Hans dabei<br />

verächtlich an. Hans hatte sich in seinem kurzen Dasein schon so manches <strong>von</strong> seinem Vater<br />

gefallen lassen müssen. Es waren dabei durchaus keine Kosenamen gefallen, sondern extrem<br />

harte Brocken wie „Taugenichts“, „Blindgänger“, „Schmarotzer“, „Trunkenbold“ <strong>und</strong> viele<br />

andere. Nur jetzt hatte er völlig gr<strong>und</strong>los Monika angegriffen. Jetzt war er unverfroren zu weit<br />

gegangen. Emotionell war Hans nun am Siedepunkt, er konnte sich einfach nicht mehr<br />

zurückhalten. „Ob sie <strong>die</strong> Richtige für mich ist oder nicht, das bestimme immer noch ich! Mein<br />

Leben geht dich überhaupt nichts an!“, schrie Hans, er war aufgestanden <strong>und</strong> hätte seinen<br />

Vater am liebsten zerquetscht. „Ja, das ist deine Einstellung, du Taugenichts!“, entgegnete<br />

Vater zynisch lächelnd, so, als hätte er nun endlich erreicht, was er schon lange wollte. „Du<br />

wirst mich nicht ändern, du bist für mich ein Nichts!“, schrie Hans haßerfüllt. „Ja, genau,<br />

warum sollte ich!“, sagte Vater <strong>und</strong> trank den Rest aus seinem Weinglas. „Jedenfalls, solange<br />

du in meinem Hause lebst, wirst du machen, was ich will!“, schrie Vater, er stand auf <strong>und</strong><br />

schlug zur Untermauerung kräftig mit der rechten Faust auf den Tisch. „Brauchst dich gar<br />

nicht aufspielen, auf mich macht das keinen Eindruck mehr! Pphh - dein Haus!“, meinte Hans<br />

noch abschätzig. „Was denn, willst du mir vielleicht in meinem Hause vorschreiben, wie ich<br />

mich zu benehmen hätte, du Taugenichts, du . . ., du . . .!“, schrie Vater, nahm das Weinglas<br />

<strong>und</strong> warf es mit voller Kraft auf den Boden, es zersprang in tausend Splitter. Wegen <strong>die</strong>ser<br />

harten Auseinandersetzung war Mutter aufgewacht, sie kam mit einem Schlafrock bekleidet,<br />

aus dem Schlafzimmer. „Vater bitte, bitte hör auf. Du weckst sonst noch <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong> auf!“,<br />

sprach sie beruhigend auf ihn ein. „Aufhören soll ich, jetzt willst du mir auch noch<br />

vorschreiben, was ich in meinem eigenen Haus zu tun habe!“, schrie er sie an. Er nahm einen<br />

Küchensessel <strong>und</strong> zerschlug ihn demonstrativ. Jetzt haben wir wieder Kleinholz zum Einheizen,<br />

dachte Hans. „In meinem Haus mache ich, was ich will, schließlich habe ich es auch gebaut!“,<br />

schrie er Mutter an. „Ja, dein Haus! Du hast wahrscheinlich vergessen, daß wir auch einen<br />

kräftigen Beitrag dazu geleistet haben!“, entgegnete sie. „Einen Beitrag ja - ihr beide steckt<br />

unter einer Decke. Du beschützt <strong>die</strong>sen Taugenichts auch noch. Das wird sich ändern!“, schrie<br />

er irr vor Haß, er wandte seinen Blick zu Hans. „Hans, du wirst jetzt jeden Tag um 20 Uhr zu<br />

Hause sein. Ich werde dir zeigen, wie man ein Leben lebt! Wenn du nicht fähig bist, es dir<br />

selbst zu gestalten, muß ich es dir eben beibringen. Du gehst einmal pro Woche mit Monika<br />

aus, das genügt!“ Er schien sich beruhigt zu haben. „Wem du was beibringen kannst, weiß ich<br />

nicht! Vielleicht einer Bergziege, aber sicher nicht mir. Außerdem, wann <strong>und</strong> wie oft ich mit<br />

Monika ausgehe, das bestimme ich. Ich bin jetzt 19, <strong>und</strong> du kannst mir nichts mehr<br />

vorschreiben. Meine Freizeit geht dich auch nichts mehr an, Gott sei Dank!“, entgegnete Hans<br />

spöttelnd, seine Hände zitterten, am liebsten hätte er zugepackt. Doch er mußte, um <strong>die</strong>se<br />

Kontroverse nicht eskalieren zu lassen, passiv bleiben. „Ja, dann verschwinde aus meinem<br />

Haus!“, schrie Vater. „Zieh aus, beginne dein eigenes Leben! Du wirst schon sehen, wie weit<br />

du mit deiner Schlampe kommst. <strong>Die</strong> ist genauso ein Taugenichts wie du!“ Das . . ., Schlampe<br />

hat er Monika genannt, ich bringe <strong>die</strong>ses dreckige . . . um, schoß es plötzlich unkontrolliert<br />

durch Hans’ Kopf. Gedanken kreisten wie irr. „Wie sprichst du <strong>von</strong> Monika, Vater, sie hat dir<br />

doch nichts getan!“, sagte Mutter vorwurfsvoll. Sie war über <strong>die</strong>se Entgleisung sehr bestürzt.<br />

„Was, du beschützt sie auch noch!“, schrie er. „Ein anständiges Mädel würde aus unserem Flop<br />

was machen. Doch <strong>die</strong>se . . . ist genauso ein Taugenichts wie er!“ „Wenn du nochmals das<br />

Wort . . . in dein dreckiges . . . nimmst, dann bringe ich dich um, du Schwein!“, schrie Hans,<br />

außer sich vor Zorn, seinen Vater an. Er war jetzt zu allem entschlossen. „So, du willst mich<br />

umbringen!“, entgegnete Vater ruhig, so, als hätte er den zweiten Zielpunkt, den zweiten<br />

Schwierigkeitsgrad erreicht. „Na siehst du, Mutter, was für ein Sohn! Seinen Vater will er<br />

ermorden. Seinen Vater, der für ihn immer alles gemacht, sich um ihn gesorgt hat. Siehst du<br />

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jetzt, welche kriminellen Elemente in unserem Sohn stecken, ein Vatermörder!“, sagte er<br />

gezielt leise <strong>und</strong> extrem provozierend zu Mutter. „Du hast ihn ja herausgefordert, du hast ihn<br />

zu <strong>die</strong>ser Aussage verleitet!“, schrie nun Mutter erregt. Hans saß ruhig da, schon längst nicht<br />

mehr Herr seiner Gedanken. „Nichts, er ist ein kriminelles Element, ein . . .! Es nützt nichts, er<br />

ist <strong>und</strong> bleibt ein Taugenichts!“, schrie Vater Mutter an. „Gut, ich ziehe aus, ich möchte nicht<br />

mehr mit dir unter einem Dach leben!“, gab Hans, getrieben vom Haß, <strong>von</strong> sich. Er ging ins<br />

Schlafzimmer, welches er mit seinem Bruder Heinzi teilte <strong>und</strong> konnte noch hören, wie sein<br />

Vater höhnisch lachend meinte: „Der ist doch gar nicht fähig dazu!“<br />

In <strong>die</strong>ser Nacht konnte Hans nicht schlafen. Überlegungen, wie er sein eigenes Leben aufbauen<br />

könnte, jagten unkontrolliert durch seinen Kopf. Alle Pläne scheiterten am lieben Geld. Doch<br />

ich muß weg, dachte er, weit weg - ansonsten kommt es eines Tages zu einer fürchterlichen<br />

Katastrophe. Ich muß weg, werde mir rasch den Gr<strong>und</strong>stock für meine eigene Existenz<br />

erarbeiten, danach zurück nach Kärnten kommen <strong>und</strong> eine gemeinsame Zukunft mit Monika<br />

aufbauen.<br />

Unausgeschlafen <strong>und</strong> schlecht gelaunt, was bei Hans selten war, kam er an <strong>die</strong>sem Freitag in<br />

<strong>die</strong> Werkstätte. Es kam, wie es wohl kommen mußte. Mit einem nicht der<br />

Straßenverkehrsordnung entsprechenden Firmenwagen hätte er auf Außenmontage fahren<br />

sollen. Es gab eine Auseinandersetzung mit dem <strong>Die</strong>nstgeber, <strong>die</strong>ser meinte: „Wenn Sie nicht<br />

fahren, <strong>Beschulnig</strong>, dann kommt das einer Arbeitsverweigerung gleich!“ Hans war <strong>die</strong>s recht,<br />

er warf selbst das Handtuch, kassierte den Rest seines Lohnes <strong>und</strong> fuhr noch im Laufe des<br />

Vormittags nach Hause.<br />

„Was machst denn schon zu Haus?“, fragte seine Mutter, an <strong>die</strong>sem Vormittag Schlechtes<br />

ahnend. „Ich habe meinen Job an den Nagel gehängt, <strong>und</strong> außerdem werde ich gehen, damit ich<br />

<strong>die</strong>ses dreckige . . . nicht mehr sehen muß!“, entgegnete er vor Wut geladen. „Aber was willst<br />

denn machen, so ohne Geld <strong>und</strong> Arbeit?“, meinte sie besorgt. „Ich mach das schon, für mich ist<br />

das kein Problem - ich werd das Kind schon schaukeln!“, entgegnete er überzeugt.<br />

*<br />

Am Nachmittag holte er Monika <strong>von</strong> ihrem Lehrbetrieb ab. Es war für ihn ein recht<br />

schwieriges Unterfangen, Worte <strong>und</strong> Sätze gedanklich so zu formen, daß er ihr Einverständnis<br />

für sein Vorhaben gewinnen konnte. Hatte sie nicht schon mit ihren Vorahnungen darauf<br />

hingewiesen, überlegte er. Aber hat sie nicht auch gesagt, daß ich nicht mehr kommen werde?<br />

Ach was, das ist doch alles Unsinn.<br />

Sie fuhren zu Evi <strong>und</strong> setzten sich an einen freien Tisch. „Du, Monika, bei mir hat sich gestern<br />

<strong>und</strong> heute einiges getan!“, begann er leicht verunsichert. „Schon wieder, ist doch nichts Neues<br />

bei deinem Vater!“, entgegnete sie, noch gut gelaunt lächelnd. „Ich habe mit meinem Vater<br />

gestern nacht ganz fürchterlich gestritten! Weiters bin ich der Meinung, daß ich <strong>von</strong> meinem<br />

Elternhaus gehen muß. Es hat keinen Sinn, wenn ich mir täglich mit Vater in den Haaren<br />

liege!“ „Dann komm doch zu uns, wir haben ein großes Haus. Du bekommst sicher <strong>von</strong> meinen<br />

Eltern ein Zimmer!“, meinte sie mit strahlenden Augen. „Das ist es ja, was ich auf keinen Fall<br />

möchte!“ „Wieso nicht?“ „Ich muß mich auf meine eigenen Füße stellen, ich muß mir eine<br />

eigene Existenz aufbauen!“ „So, <strong>und</strong> wie willst das machen?“, meinte sie interessiert. „Ich habe<br />

heute meinen Job quittiert. Ich muß gehen, <strong>und</strong> zwar weit weg <strong>von</strong> zu Hause, um nicht in den<br />

Schutz des Mutterzipfels zu kommen!“ „Du willst ganz einfach gehen, so, als ob zwischen uns<br />

beiden nie etwas gewesen wär?“, meinte sie bestürzt. „Aber nein, ich geh doch nicht <strong>von</strong> dir!<br />

Andere Männer pendeln auch zwischen - was weiß ich, Klagenfurt <strong>und</strong> Bregenz, oder Villach<br />

<strong>und</strong> Wien! Warum sollte das bei uns beiden nicht funktionieren?“ „Geh nicht, Hans, ich werde<br />

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mit meinen Eltern sprechen. Sie werden dir ganz sicher eine Wohnmöglichkeit geben!“ <strong>Die</strong><br />

Farbe war aus ihrem hübschen Gesicht gewichen. Sie griff nach seiner Hand <strong>und</strong> sah ihm<br />

fragend, ja beinahe bittend in <strong>die</strong> Augen. „Nein, Monika, ich muß, <strong>und</strong> ich will nicht, daß<br />

nochmals jemand sagt, ich sei auf seine oder ihre Hilfe angewiesen!“ „Ich hasse deinen Vater!“,<br />

meinte sie stotternd, mit Tränen in den Augen. Hans griff nach seiner Zigarettenpackung.<br />

„Willst auch eine?“, fragte er <strong>und</strong> hielt ihr <strong>die</strong> Zigaretten, <strong>die</strong> einladend aus dem kleinen<br />

Packungsloch ragten, entgegen. Langsam griff sie hin. „Jetzt brauch’ ich eine!“ „Am Montag in<br />

einer Woche gehe ich. Dann beginnt für mich der sogenannte Ernst des Lebens. Ich werde<br />

mich ins Abenteuer stürzen, meine Hemdsärmel ordentlich aufkrempeln <strong>und</strong> meinem Vater<br />

beweisen, wer der wahre Taugenichts ist!“ „Mit einem Wort, ich habe dich noch neun Tage!“,<br />

sagte sie tonlos <strong>und</strong> sah ihn fragend an. „Ich habe dir ja schon vorausgesagt, daß es so kommen<br />

wird. Jetzt ist es soweit, nicht einmal ich kann dich zurückhalten!“ Tränen liefen über ihre<br />

Wangen. „Hansi, bitte geh nicht, laß mich nicht allein. Ein Leben ohne dich? Nein, ich könnte<br />

es mir nicht vorstellen!“ Sie streichelte zärtlich über seine Hand, so, als täte sie <strong>die</strong>s zum<br />

letzten Mal. „Monika, ich geh doch nicht <strong>von</strong> dir. Bitte glaub mir, ich liebe dich doch!“, sagte<br />

er <strong>und</strong> meinte es auch so. Zärtlich wischte er mit einem Taschentuch ihre Tränen <strong>von</strong> den<br />

Wangen. „Was habt ihr denn?“, fragte plötzlich Evi besorgt. „Ach, nichts Besonderes, Evi!“,<br />

entgegnete Hans. „Nur, ab Montag in einer Woche seid ihr mich los! Ich ziehe in <strong>die</strong> weite<br />

Welt, wie ein Müllersbub!“ Er grinste dabei spitzbübisch, als wär’s nur eine Kleinigkeit. „Und<br />

was ist mit Monika?“, meinte Evi interessiert. „Was soll mit ihr schon sein? Sie wird, wenn sie<br />

will, auf mich warten!“ „So, so einfach stellt sich das der Herr <strong>Beschulnig</strong> vor! Du glaubst<br />

wohl, Monika wird wie eine Nonne auf dich warten! Na, <strong>die</strong> wär ja schön blöd, wenn sie das<br />

täte!“, sagte Evi verärgert, in Oberlehrermanier. „Eigentlich hast du ja recht, Evi!“, warf Hans<br />

trotzig ein. „Vielleicht sollten wir wirklich auf Zeit unser Verhältnis lösen. Jeder macht, was er<br />

will, so kann keiner dem anderen einen Vorwurf machen!“ Er begann sich ernsthaft Gedanken<br />

über <strong>die</strong> Beziehung mit Monika zu machen. Sie ist doch erst sechzehn, überlegte er. Mir fällt<br />

<strong>die</strong>ser Schritt schwer, doch wenn sie will, dann soll sie doch das Leben genießen. Ich bin <strong>und</strong><br />

will liberal sein <strong>und</strong> werde auf keinen Fall besitzergreifend auf sie einwirken. Monika saß ruhig<br />

da, Tränen rannen über ihre Wangen. „Warum sagst du nichts, Monika?“ „Gehen wir, Hansi,<br />

ich muß dir noch einiges sagen!“<br />

Sie fuhren zu dem Marterl - ihrem liebgewordenen Diskussionsplatz - unweit ihres Elternhofes.<br />

„Siehst du, Hansi, es ist gekommen, wie ich es dir schon vor zwei Monaten prophezeit habe.<br />

Du gehst, <strong>und</strong> niemand kann dich aufhalten. Nicht einmal ich! Hansi, versprich mir, daß du<br />

mich besuchst, wenn du wieder in der Gegend bist!“ Sie lachte auf, so, als hätte sie einen<br />

richtigen Witz erzählt. Doch noch bevor er ihr antworten konnte, begann sie zu weinen, ja zu<br />

schluchzen. Er schloß sie in seine Arme, streichelte <strong>und</strong> küßte sie wie ein kleines Kind. Er<br />

spürte ihre tiefe Traurigkeit - ihre Liebe zu ihm.<br />

*<br />

In den darauffolgenden Tagen beobachtete Monika <strong>die</strong> Vorbereitungen <strong>von</strong> Hans für <strong>die</strong><br />

Abreise recht gelassen. Sie schien sich damit abgef<strong>und</strong>en zu haben. <strong>Die</strong> beiden trafen sich<br />

täglich, um jede noch vorhandene freie Minute zur Gänze gemeinsam auskosten zu können.<br />

Dabei konnten <strong>die</strong> beiden feststellen, welchen Sinn, welche kraftvollen Aussagen so manch ein<br />

belächelter Herz-Schmerz-Schlager verschiedensprachiger Stars für ein Liebespaar haben<br />

konnte, wie hilflos da <strong>die</strong> Sehnsucht im eigenen Herzen anklopfte.<br />

„Du gehst nicht fort, Hanse. Und wenn, dann bist du in spätestens drei Wochen wieder<br />

daheim!“, meinte George selbstsicher, als er da<strong>von</strong> erfuhr. „Ich wette mit dir um eine Kiste<br />

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Bier!“, entgegnete Hans. „Wenn ich in drei Wochen zurück bin, dann nur, um mit euch <strong>die</strong><br />

Kiste zu leeren!“ George nahm <strong>die</strong> Wette siegessicher an.<br />

Am letzten Freitag vor der Abreise meldete er sein Auto ab. Es wäre zwar recht nützlich<br />

gewesen. Doch der Rost, <strong>die</strong> Versicherung <strong>und</strong> allfällige Reparaturen, <strong>die</strong> in Bälde hätten<br />

durchgeführt werden müssen, hätten sich fatal auf seine nicht vorhandenen Finanzen<br />

ausgewirkt. Um wirklich neu anfangen zu können, mußte er <strong>die</strong>sen Ballast - obgleich mit<br />

Wehmut - abwerfen.<br />

*<br />

Am letzten Samstag vor der Abreise feierte er mit der Clique aus Komannsdorf bei Erika im<br />

Lokal. Einer der Gründe, weshalb gerade <strong>die</strong>ses Lokal zur Abschiedsfeier ausgesucht worden<br />

war, war wohl, daß Hans seit einem Tag autolos war <strong>und</strong> Werner auf Initiative <strong>von</strong> Monika als<br />

Taxi eingesetzt wurde. Wenn man <strong>von</strong> Feier spricht, so wird das wohl nicht ganz richtig sein,<br />

denn jeder mußte für seine eigenen Kosten aufkommen. Hans war nicht mehr in der Lage,<br />

<strong>die</strong>se Feier aus seinem eigenen Sack zu finanzieren, was aber keinen der Gäste sonderlich<br />

störte. Im Gegenteil, man war über den Mut <strong>von</strong> Hans, ganz einfach so ohne Geld ins<br />

Ungewisse zu wandern, begeistert. „Wohin geht’s denn?“, fragte ihn, wie schon so oft an<br />

<strong>die</strong>sem Abend, ein neugieriger Gast. „Ich weiß es noch nicht, ich muß es erst mit mir<br />

ausschnapsen!“, entgegnete Hans. „Geh doch nach Graz!“, warf ein anderer dazwischen. „Ich<br />

würde nach Bregenz gehen, <strong>von</strong> dort hast auch <strong>die</strong> Möglichkeit, in Deutschland oder in der<br />

Schweiz als Gastarbeiter zu arbeiten!“, meinte wiederum ein anderer. „Aber du kannst mit mir<br />

nach Wien fahren!“, sagte plötzlich Hugo. Er war Fernfahrer <strong>und</strong> ein guter Fre<strong>und</strong> <strong>von</strong> Gerd.<br />

Hans war trotz starkem Alkoholkonsum hellhörig geworden. Das wäre <strong>die</strong> Chance! Ich habe<br />

kein Geld <strong>und</strong> hätte eine solche Gelegenheit bitter nötig. „Hast Platz für mich?“, fragte Hans,<br />

schon leicht lallend. „Nur wenn du früh aufstehen kannst!“ „Wann du willst, aber du mußt mich<br />

in Föndach abholen!“ „Gut, ich bin am Montag zwischen 4 <strong>und</strong> 4.15 Uhr am Morgen mit<br />

meinem Sattelschlepper bei der Disco in Föndach!“ „Einverstanden, ich werde auf dich<br />

warten!“, entgegnete Hans sehr zufrieden. „Kann man dem Hugo trauen?“, fragte er<br />

vorsichtshalber Harry. „Da leg ich meine Hand ins Feuer, außerdem ist Gerd sein Beifahrer!“<br />

„Seit wann hat der sein Metier gewechselt?“, meinte Hans erstaunt. „Schon seit zwei oder drei<br />

Monaten!“ Harry lachte begeistert auf. „Da sieht man wieder einmal, wie selten du in der<br />

letzten Zeit bei uns warst!“ Da sieht man wieder einmal, wie klein <strong>die</strong> Welt ist, dachte Hans.<br />

<strong>Die</strong> nähere Zukunft schien jedenfalls gesichert. Das war wohl mit ein Gr<strong>und</strong>, weshalb Hans<br />

noch kräftiger, als er eigentlich vorgehabt hatte, feierte. Zu später St<strong>und</strong>e ging er zur<br />

Musikbox, warf eine 10-Schilling-Münze in den gefräßigen Automaten <strong>und</strong> wählte einige<br />

Singles, darunter auch „Ay no digas“, „La Paloma“, „In The Summertime“ u. a. „<strong>Die</strong>se Single<br />

möchte ich hören, Hansi!“, sagte Monika, sie war ihm unauffällig gefolgt. „Nichts da, ich<br />

wähle, was mir gefällt!“, entgegnete er, merklich lallend. Doch unbeirrt drückte sie <strong>die</strong> erste<br />

Taste, worauf Hans sie mit der Linken am Gesäß packte <strong>und</strong> einige Zentimeter hochhob. „So,<br />

welche Single willst du jetzt hören?“, fragte er zornig. Sie sah ihn erschrocken an. „Na, siehst<br />

du, du willst doch keine wählen!“, meinte er zufrieden <strong>und</strong> stellte sie wieder auf den Boden.<br />

*<br />

Er war am Sonntag nachmittag bei ihr zu Hause - dem letzten Tag vor der Abreise. Sie hielten<br />

sich in ihrem Zimmer auf <strong>und</strong> hörten Schlager für Verliebte.<br />

„Hansi“, meinte sie nach einer längeren, eher belanglosen Diskussion. „Hansi, versprich mir,<br />

daß du kein anderes Mädchen vor meinem Tod heiratest!“ Verblüfft sah er sie an, jetzt beginnt<br />

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sie schon wieder mit ihren makabren Vorahnungen, dachte er. „Wie kommst denn darauf?“<br />

„Schwör es mir, bitte!“, fuhr sie nachdrücklich fort <strong>und</strong> sah ihn beinahe flehend an. „Zuerst<br />

schwör mir du dasselbe!“, sagte er <strong>und</strong> hielt <strong>die</strong>se Zeremonie für eine gewaltig übertriebene<br />

<strong>Kinder</strong>ei. Ohne zu zögern sagte sie: „Ich schwöre dir, Hans, ich werde keinen anderen Mann<br />

heiraten, solange du lebst!“ „Und ich schwöre dir, ich werde in meinem ganzen Leben kein<br />

anderes Mädchen heiraten!“ Er sah sie fragend an, als wollte er damit sagen: Bist du damit<br />

zufrieden? „Danke, Hans!“, entgegnete sie tief beeindruckt. „<strong>Die</strong>ser Schwur gilt natürlich mein<br />

ganzes Leben, wenn du ihn nicht brichst!“ Erschrocken sah sie ihn an. „Nein, nein, das möchte<br />

ich nicht. Ich will nicht, daß du ein Leben lang unglücklich bist!“, meinte sie bestürzt, wandte<br />

ihren Blick <strong>von</strong> ihm ab <strong>und</strong> sah zum offenen Fenster. Ein herrlicher Sommertag, das Zimmer<br />

spendete Kühle, <strong>von</strong> draußen kam nur das Gackern der Hühner, das Zwitschern der Vögel <strong>und</strong><br />

manchmal das Geknattere eines kleinen Langhubtraktors. „Nach meinem Tod ist der Schwur<br />

aufgehoben!“, sagte sie <strong>und</strong> sah ihm tief in <strong>die</strong> Augen. Sie griff nach seinen Händen <strong>und</strong> hielt<br />

sie fest, so wie eine Mutter, <strong>die</strong> ihrem Kinde etwas Wichtiges erklären müsse. „Ich habe dir ja<br />

schon gesagt, daß er in Bälde kommen wird!“, fuhr sie fort. Monika sah ihn dabei mit dem<br />

Blick einer Wissenden an. Instinktiv fühlte er, daß hinter ihren Prophezeiungen doch ein<br />

Körnchen Wahrheit stecken könnte. Obwohl er <strong>von</strong> den parapsychologischen Erscheinungen<br />

<strong>und</strong> ihren daraus resultierenden Wahrsagungen nichts hielt, wollte er <strong>die</strong> Tür zu <strong>die</strong>sem Thema<br />

nicht zuschlagen. „Wenn du schon so sicher bist, daß du bald sterben wirst, dann hab’ ich dazu<br />

noch eine wichtige Frage!“ „Frag nur!“, entgegnete sie gelöst, als wenn es nur um einen<br />

gewöhnlichen Kaffeeplausch ginge. „Hast du deiner netten Erscheinung aus dem Jenseits auch<br />

schon <strong>die</strong> Frage gestellt, ob es eine Möglichkeit gibt, deinem bevorstehenden Tod ein<br />

Schnippchen zu schlagen. Ich meine damit natürlich. . .!“ „Ich weiß schon, was du meinst!“,<br />

fuhr sie dazwischen, während sie <strong>die</strong> Schallplatte wechselte. „Du brauchst mich nur zu<br />

besuchen!“ „Wenn es nur das ist!“, entgegnete er belustigt lachend. „Lach nur, du wirst es<br />

nicht schaffen!“, meinte sie nun mit einer Stimme, <strong>die</strong> ein Gefühl der Beklemmung aufkommen<br />

ließ. „Was denn, wer soll mich denn aufhalten?“, fragte er interessiert. „Sie werden dich nicht<br />

zu mir lassen!“ „Wer wird mich nicht zu dir lassen?“, fragte er erstaunt. „<strong>Die</strong> vom Jenseits, sie<br />

werden dich nicht zu mir lassen - es muß so sein!“ Sie begann zu weinen <strong>und</strong> setzte sich zu<br />

ihm: „So ein Unsinn!“, gab er verärgert <strong>von</strong> sich. Er fühlte sich einfach genarrt. „Ich, ich<br />

könnte dir ja noch viel mehr erzählen, aber du willst da<strong>von</strong> nichts hören!“ „Nein, ich will da<strong>von</strong><br />

auch nichts mehr hören. Außerdem werde ich dir alles widerlegen. Du wirst sehen, ich werde<br />

schon in ein paar Wochen wieder da sein. Und in einigen Monaten bis höchstens einem Jahr<br />

habe ich das Geld, um für uns beide in Kärnten eine eigene Existenz aufbauen zu können!“ Er<br />

wischte dabei zärtlich ihre Tränen <strong>von</strong> den Wangen. „Und ich sage dir, du wirst nicht mehr<br />

kommen!“, entgegnete sie überzeugt. „Okay, mein Schamane“, meinte er grinsend, „hast recht,<br />

zahlst einen Liter!“ <strong>Die</strong> beiden lachten <strong>und</strong> küßten sich. . .<br />

Der Abschied war zwar recht herzlich, jedoch kein Drama, darauf hatte er besonderen Wert<br />

gelegt.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : J u li V . W o c h e<br />

D I E A B R E I S E<br />

Deftig brutzelte es in der Pfanne, in der fünf Spiegeleier mit Käse lagen. Fünf Zehen Knoblauch<br />

<strong>und</strong> ein dünner Teppich Pfeffer machten daraus eine Götterspeise. „Achtung, Achtung!“, hörte<br />

man den Radiosprecher. „Autofahrer, bitte achten Sie auf Aquaplaning im ganzen<br />

B<strong>und</strong>esgebiet. Es gibt schwere Regenfälle!“ Na super, dachte Hans <strong>und</strong> setzte sich mit der<br />

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fertigen Portion Eierspeis zu Tisch. Er war <strong>die</strong>smal schon gegen 3 Uhr am Morgen<br />

aufgestanden. Nach dem Frühstück kontrollierte er nochmals den Inhalt seines kleinen Koffers.<br />

Viel war ja nicht drin, fünf Paar Socken, einige Unterhosen, ein Stück Seife, der Naßrasierer,<br />

drei Hemden <strong>und</strong> ein Arbeitsgewand.<br />

Es war noch dunkel <strong>und</strong> regnete in Strömen an <strong>die</strong>sem letzten Montag im Juli. Kurz vor 4 Uhr<br />

verließ er sein Elternhaus mit 10 Schilling in der Hosentasche, einem kleinen Koffer,<br />

Regenschirm <strong>und</strong> dem verregneten Sommermorgen angepaßter Kleidung. Wie es am Samstag<br />

vereinbart worden war, so wartete der junge <strong>Beschulnig</strong> auf dem großen Parkplatz vor der<br />

Disco <strong>von</strong> Föndach auf Hugo, der mit Gerd in einem Sattelschlepper gegen 4.15 kommen<br />

sollte. Hans rauchte einige Zigaretten, der Regen klatschte gleichmäßig fest auf den Asphalt.<br />

Flüchtig warf er einen Blick auf seine Armbanduhr - 4.15 Uhr <strong>und</strong> kein LKW in Sicht.<br />

Langsam kamen Zweifel auf. Ob <strong>die</strong> mich am Samstag überhaupt ernst genommen haben?<br />

Wahrscheinlich habe ich zu tief ins Glas geschaut! Na, das fängt ja gut an. Doch ein Aufgeben<br />

kam für ihn nicht in Frage, außerdem, vielleicht hatten sie nur verschlafen. Gegen 5 Uhr sah er<br />

Licht in seinem Elternhaus, das er vom Parkplatz aus sehr gut beobachten konnte. Der Hugo<br />

ist zwar nicht aufgetaucht, aber jetzt muß ich warten, bis mein Vater in <strong>die</strong> Arbeit fährt,<br />

überlegte Hans. Ich habe kein Interesse, ihn vor meiner Abreise zu treffen. Hans rauchte noch<br />

einige Zigaretten <strong>und</strong> dachte dabei an den gestrigen Tag mit Monika. War direkt filmreif, was<br />

wir einander geschworen haben. Wie bei Romeo <strong>und</strong> Julia, er lachte bei <strong>die</strong>ser schönen<br />

Erinnerung leise vor sich hin. Endlich! Gegen 6 Uhr fuhr sein Vater trotz strömenden Regens<br />

mit dem Moped in <strong>die</strong> Arbeit. Hans war über Gerd <strong>und</strong> Hugo schon verärgert, schließlich war<br />

er jetzt zwei St<strong>und</strong>en lang unnötig im Regen gestanden. Außerdem hätte er <strong>die</strong>se Zeit für einen<br />

angenehmen Schlaf nützen können.<br />

„Was ist denn mit dir, was machst denn jetzt schon auf?“, fragte seine Mutter überrascht, als<br />

Hans in <strong>die</strong> Wohnküche kam. „Ich geh’ heute, hab’ es dir doch schon gesagt!“ Er stellte den<br />

Koffer ab. „Nur meine lieben Fre<strong>und</strong>e aus Komannsdorf haben auf mich vergessen, sonst wär<br />

ich schon unterwegs!“ „Mit was willst denn weg, du hast doch kein Geld!“, sagte Mutter<br />

besorgt. „Mit etwas Mut <strong>und</strong> einem festen Willen, das ist es, was ein ges<strong>und</strong>er halbwegs<br />

intelligenter Mensch braucht!“, konterte er gelassen. Er nahm den Rest vom Kaffee, den Vater<br />

übrig gelassen hatte. „Den Regenschirm borge ich aus, es regnet ja fürchterlich!“ „Ja, Hans,<br />

nimm nur. Brauchst du sonst noch etwas?“ „Ja!“ „Was denn?“ „Ein Paket Tausender!“, meinte<br />

er trocken <strong>und</strong> ging mit einem Häferl Kaffee zum großen Eßtisch. „Und was machst jetzt?<br />

Jetzt, wo dich deine Bekannten sitzen lassen haben?“, fragte sie. Sie wollte einfach nicht<br />

glauben, daß für Hans der Ernst des Lebens beginnen sollte. „Ganz einfach, ich fahr’ mit dem<br />

Bus nach Klagenfurt <strong>und</strong> <strong>von</strong> dort nach Wien, oder sonst irgendwohin!“ Er zog dabei lässig an<br />

der Zigarette, als ob sein Vorhaben ein leichtes wäre. „Und wie kommst <strong>von</strong> Klagenfurt nach<br />

Wien? <strong>Die</strong> Fahrt kostet doch viel Geld!“ „Mit meinen 10 Schilling werd’ ich das schon<br />

schaffen!“, meinte er <strong>und</strong> grinste belustigt vor sich hin. Es war deutlich zu merken, daß Mutter<br />

dabei sozusagen <strong>die</strong> Haare zu Berge standen. „Hansi, versprich mir, daß du keinen Blödsinn<br />

machst!“ „Mein Gott, daß man euch Weibern andauernd etwas versprechen muß! Du brauchst<br />

dir keine Sorgen machen, ich kann sehr wohl auf mich aufpassen!“ Betroffen ging Mutter zur<br />

Kredenz, öffnete <strong>die</strong> Geldlade <strong>und</strong> nahm einen H<strong>und</strong>erter raus. „Da hast, mit den 10 Schilling<br />

wärst doch nicht einmal bis Klagenfurt gekommen!“ „Oh, danke, danke!“ „Und wie geht das<br />

mit dem Autokredit weiter?“, fragte sie ernst. „Ich werde dir <strong>die</strong> Raten rückerstatten!“,<br />

entgegnete er sichtlich nervös. „Einverstanden, bleibt mir ja auch nichts anderes übrig!“<br />

Mit dem Acht-Uhr-Bus fuhr er zum Bahnhof nach Klagenfurt. Erst in der Bahnhofshalle wurde<br />

ihm bewußt, in welches Abenteuer er sich da gestürzt hatte. 95 Schilling in der Tasche, <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

paar Sachen! Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, daß ihm <strong>die</strong> an sich gewohnte<br />

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Umgebung langsam fremd wurde. Ein inneres Zeichen, daß es für ihn nur noch ein Vorwärts<br />

gab. Mit Koffer <strong>und</strong> Regenschirm stand Hans in der Ecke neben den Fahrkartenschaltern <strong>und</strong><br />

beobachtete das Treiben im Bahnhof. <strong>Die</strong> meisten Menschen eilten schlecht gelaunt mit<br />

mürrischem Gesichtsausdruck durch <strong>die</strong> Halle. Anderen wiederum schien eben <strong>die</strong>se hektische<br />

Atmosphäre neue Energie zu spenden, sie kosteten jede noch freie Minute Zeitung lesend aus,<br />

um dann plötzlich <strong>und</strong> unerwartet unterzutauchen. Seltsam, dachte er, früher in meiner<br />

Lehrzeit ist mir <strong>die</strong>se Atmosphäre nie so recht aufgefallen. Nach einer Zeit schlenderte er<br />

langsam zum Zeitungskiosk, links vor dem Ausgang. Vielleicht habe ich Glück, dachte er <strong>und</strong><br />

kaufte Krone <strong>und</strong> <strong>die</strong> Kleine Zeitung. Danach ging er wieder in <strong>die</strong> Ecke, um den Menschen<br />

nicht im Wege zu stehen. Lässig lehnte er an der Wand <strong>und</strong> stu<strong>die</strong>rte st<strong>und</strong>enlang <strong>die</strong><br />

Zeitungen <strong>und</strong> deren Stellenangebote. Doch es gab einfach nichts! Wie verhext.<br />

„Hast du für mich eine Zigarette?“, fragte ihn plötzlich ein junger Bursche. „Ja, natürlich!“,<br />

entgegnete Hans fre<strong>und</strong>lich. Der erste Eindruck, den der junge Mann bei Hans hinterließ, war<br />

nicht gerade fabelhaft. Doch was soll’s, dachte er, vielleicht kann ich seine Erfahrungen nützen!<br />

„Bist neu hier, was!“, sagte der andere <strong>und</strong> zog kräftig an der Zigarette. Er war etwa so groß<br />

wie Hans, 172 cm, <strong>und</strong> <strong>von</strong> ebenso sportlicher Figur. Sein Äußeres war zwar in tadellosem<br />

Zustand, doch geheuer war er Hans nicht. „Neu schon, aber nicht lange!“, entgegnete Hans.<br />

„Du hast bestimmt keine Arbeit!“, kam der Fremde gleich auf den Punkt <strong>und</strong> grinste<br />

selbstsicher vor sich hin. „Wie kommst denn darauf?“, entgegnete Hans erstaunt. „Ich sehe es<br />

dir an!“ „Gut, wenn du es mir schon ansiehst, dann lade ich dich auf ein Bier ein!“ „Das ist<br />

vielleicht eine Idee!“, konterte der Fremde erfreut. Sie gingen durch <strong>die</strong> lange schmale Halle in<br />

<strong>die</strong> Bahnhofsrestauration <strong>und</strong> setzten sich an einen leeren Tisch. „Mein Name, Wolfgang<br />

Bauer!“ „Und ich bin Hans <strong>Beschulnig</strong>!“ <strong>Die</strong> beiden gaben sich dabei, wie bei gutem Benehmen<br />

üblich, <strong>die</strong> Hand. „Also, Hanse!“, fuhr Wolfgang recht locker fort. „Ich möchte endlich weg<br />

<strong>von</strong> dem Provinznest!“ „So, <strong>und</strong> wohin?“ „Nach Wien oder Bregenz!“ „Nach Wien, da möcht’<br />

ich auch hin!“, entgegnete Hans <strong>und</strong> trank vom Bier, das <strong>die</strong> Kellnerin eben erst auf den Tisch<br />

gestellt hatte. „Wir könnten doch zusammen nach Wien fahren!“ „Ja, aber wieviel kostet <strong>die</strong><br />

Fahrt?“, fragte Hans recht neugierig. „Um <strong>die</strong> 350 Schilling pro Person!“, entgegnete<br />

Wolfgang. Er hob sein Bierglas <strong>und</strong> prostete Hans zu. „Prost!“, entgegnete Hans enttäuscht.<br />

„Wenn du kein Geld hast, ich weiß, wie man welches besorgen kann!“, meinte Wolfgang,<br />

kreuzte <strong>die</strong> Beine übereinander <strong>und</strong> nahm noch eine Zigarette <strong>von</strong> Hans. „So, wie denn?“ „Na<br />

ja, es kommt ganz auf dich an. Aber es wird dir ja nichts übrigbleiben!“ Er hielt inne <strong>und</strong> zog<br />

nachdenklich an der Zigarette. „Ich kenne da einen älteren Herrn. Ich sage es kurz <strong>und</strong> bündig,<br />

er ist schwul. Ihn interessieren nur junge knackige Burschen wie du. Du brauchst aber keine<br />

Angst zu haben, Hanse. Er tut dir nichts an, aber wir beide könnten dadurch etwas Geld<br />

ver<strong>die</strong>nen. Ich denke dabei an Wien!“ „Mit einem Wort, ich soll wie eine Nutte auf den Strich<br />

gehen!“, entgegnete Hans, er war kalkweiß geworden. „Nein, nicht so! Du brauchst keine<br />

Angst haben. Er ist zwar ein Homo, ja!“, meinte er verharmlosend, um gleich begeistert<br />

nachzusetzen. „Er lädt dich zum Essen ein, du erzählst ihm, welche Pläne du hast, <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Sache ist erledigt. Wir beide bekommen <strong>von</strong> ihm Geld. Ich für <strong>die</strong> Vermittlung <strong>und</strong> du als<br />

Ware. Eine Ware, <strong>die</strong> er nicht körperlich benützt!“ „Klingt ja recht einfach!“, entgegnete Hans<br />

zögernd. Er war sich nicht sicher, ob er <strong>die</strong>ses Angebot annehmen sollte. Aber nach der<br />

verharmlosenden Schilderung <strong>von</strong> Wolfgang wollte er <strong>die</strong>se Chance doch nicht ungenützt<br />

verstreichen lassen. Zwei kräftige Lungenzüge <strong>von</strong> der Zigarette, einen kräftigen Schluck vom<br />

Bier: „Gut, ich mach es. Aber wenn er anderes mit mir vorhat, gibt’s eine kräftige Abreibung!“<br />

„Keine Angst!“, fuhr Wolfgang beruhigend dazwischen. „Er tut dir nichts. Außerdem werde<br />

ich ihm sagen, daß du nie Kontakt zu Männern hattest. Auf so etwas sind <strong>die</strong> ja ganz scharf!“<br />

„Und was schaut bei dem Begleitservice raus?“, fragte Hans neugierig. „Zwischen 500 <strong>und</strong><br />

1000 Schilling, das kommt ganz auf dich an. Du mußt bei ihm den armen, schüchternen Jungen<br />

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spielen. Ich denke, da tust du dich bestimmt nicht schwer!“ Er lachte dabei belustigt auf. „Auf<br />

so was sind <strong>die</strong> ganz scharf. Der hat nämlich so eine Art Vaterkomplex. Und wenn du ihm<br />

deine Probleme erklärst, wird er versuchen, dir zu helfen!“ Wolfgang sah dabei nachdenklich<br />

zur Kellnerin. „<strong>Die</strong> wär mir lieber als der alte Esel!“, sagte er grinsend <strong>und</strong> fuhr fort: „Er wird<br />

dich zum Essen einladen, mit dir so einiges besprechen!“ Hans ließ sich <strong>die</strong> ganze Sache durch<br />

den Kopf gehen. Doch es war einfach <strong>die</strong> einzige Möglichkeit, um sein Vorhaben rasch<br />

durchzuziehen. „Und wann bringst <strong>die</strong> Beute?“, sagte er <strong>und</strong> grinste, so als wäre es ihm ein<br />

Leichtes. Doch in Wahrheit hatte er ein mehr als mulmiges Gefühl. „Also gut, Hanse, ich gehe<br />

jetzt <strong>und</strong> ruf den geilen Bock an!“ Wolfgang ging in <strong>die</strong> große Halle des Hauptbahnhofes, um<br />

<strong>von</strong> einer Telefonzelle den homosexuellen Bekannten anzurufen.<br />

Tief bin ich gesunken, eigentlich bin ich jetzt schon eine männliche Hure, dachte Hans,<br />

während er allein beim Bier saß. Ich hab immer <strong>die</strong> Nutten verurteilt, <strong>und</strong> jetzt nähere ich mich<br />

selbst der untersten Sprosse. Nun, ich könnte ja noch aussteigen, aussteigen? Nein, das geht<br />

nicht. Wie soll ich zu Geld kommen ohne Arbeit? Arbeit suchen? Wo ich doch genau weiß, daß<br />

ich in <strong>die</strong>ser Umgebung keine finde. Reumütig nach Hause gehen? Nein, das mache ich<br />

überhaupt nicht. Da gehe ich lieber durch den Dreck! Das würde vielleicht meinem Vater<br />

gefallen. Nein, nein, es gibt kein Zurück. Ich bin großspurig auf den Zug des Schicksals<br />

aufgesprungen. Und ich werde in Richtung Zukunft weiter fahren, koste es, was es wolle. Mein<br />

Gott, wenn Monika wüßte! Oder meine Mutter. Vater würde es mit Fassung tragen, für ihn<br />

war ich immer nur ein Versager, ein verkommener Nichtsnutz. Doch <strong>die</strong> Eltern <strong>von</strong> Monika<br />

dürfen es nie erfahren. Ich denke, sie wären sehr enttäuscht <strong>von</strong> mir. Hans trank einen kleinen<br />

Schluck vom Bier. Er mußte sparen - auch beim Biertrinken. Jetzt kam es auf jeden Schilling<br />

an. Er warf einen Blick auf <strong>die</strong> Wanduhr im Bahnhofsrestaurant, 11.30 Uhr.<br />

Etwa zehn Minuten später kam Wolfgang <strong>und</strong> setzte sich zufrieden lächelnd zu Tisch. „Er hat<br />

jetzt keine Zeit, aber ich habe einen Termin für heute abend mit ihm vereinbart!“ „Es hat also<br />

geklappt! Und um welche Zeit haben wir das Vergnügen?“, fragte Hans. „Gegen 21 Uhr in der<br />

großen Halle, hier im Hauptbahnhof!“ „Und was machen wir in der Zwischenzeit?“ „Am<br />

besten, wir gehen <strong>die</strong> Bahnhofstraße rauf <strong>und</strong> statten dem Selbstbe<strong>die</strong>nungsrestaurant vom<br />

Kaufhaus Forum einen Besuch ab!“, meinte Wolfgang.<br />

„Hey, Seemann!“, rief Wolfgang aufgeregt zu dem kräftig gebauten Mann, der in der<br />

Bahnhofshalle bei den abgesandelten Obdachlosen stand. „Grüß dich, Wolfgang!“, entgegnete<br />

<strong>die</strong>ser mit kraftvoller Whiskystimme. „Was machst denn hier?“, fragte Wolfgang begeistert <strong>und</strong><br />

doch neugierig. „Meine Alte ist auf Erholung!“, entgegnete <strong>die</strong> Whiskystimme brummig. „So,<br />

<strong>und</strong> weswegen?“ „Ach, nichts Besonderes. <strong>Die</strong> Schimpansen in Uniform haben wieder einmal<br />

verrückt gespielt!“ <strong>Die</strong> beiden schienen sich ausgesprochen gut zu verstehen. Während sie sich<br />

angeregt unterhielten, beobachtete Hans den Typ genau. Ein wahrer Kleiderschrank <strong>von</strong> Mann,<br />

könnte der Sohn <strong>von</strong> einem Dorfschmied sein, dachte er. Seine unbekleideten Ober- <strong>und</strong><br />

Unterarme wiesen zahlreiche Tätowierungen auf. Das bunte T-Shirt brachte seinen klobigmuskulösen<br />

Körper noch mehr zur Geltung. Seine Füße steckten in gewöhnlichen<br />

Holzpantoffeln, <strong>die</strong> Finger tippten gelassen auf der abgenützten Metallschnalle des breiten<br />

Ledergürtels, der <strong>die</strong> verwaschenen Jeans auf seinen Hüften hielt. Seine bullige Ausstrahlung<br />

machte nicht nur auf Hans starken Eindruck. „Wer ist denn das?“, brummte er zu Wolfgang,<br />

wobei er eine Kopfbewegung in Richtung Hans machte. „Ach ja, das ist Hans. Mit ihm fahre<br />

ich morgen nach Wien!“, meinte Wolfgang recht stolz. „Ach so!“ Weitere Daten schienen für<br />

Seemann nicht interessant genug. „Also, mach es gut!“, sagte Wolfgang zu Seemann. Er drehte<br />

sich zu Hans. „Deinen Koffer kannst in der Gepäckaufbewahrung abgeben!“ Gesagt, getan.<br />

Mittlerweile hatte es zu regnen aufgehört, <strong>die</strong> Temperatur war kräftig angestiegen. „Sag, was<br />

war das für ein Typ?“, fragte Hans neugierig, während sie <strong>die</strong> Bahnhofstraße<br />

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entlangschlenderten. „Der ist super!“, meinte Wolfgang überzeugt. „Der war früher einmal<br />

wirklich auf See, deswegen nennen ihn auch alle Seemann. Doch seit er drauf gekommen ist,<br />

daß er als Zuhälter noch mehr ver<strong>die</strong>nen kann, hat er den Beruf gewechselt!“ „Ja, aber was<br />

macht er dann im Bahnhof?“ „Seine Fre<strong>und</strong>in sitzt im Knast auf Erholung. Er wartet halt artig<br />

auf sie, selbst wenn sie noch ein Jahr eingesperrt ist! Ja, so ein Typ ist das. Ein anderer hätte<br />

sich schon längst ein anderes Mädel zugelegt. Doch das macht der nicht - der wartet!“ „Ist<br />

doch ein Arschloch, so ein Zuhälter. Ich mag solche Menschen nicht. <strong>Die</strong> nützen doch <strong>die</strong><br />

Mädchen ganz schamlos aus. Und das nur, um keiner geregelten Arbeit nachgehen zu<br />

müssen!“, entgegnete Hans verärgert. „So ist das nicht, Hanse!“, sagte Wolfgang <strong>und</strong> machte<br />

eine Handbewegung, <strong>die</strong> Hans sagte, er möge mit einer Zigarette rausrücken. „<strong>Die</strong> Mädchen<br />

gehen doch ganz freiwillig auf den Strich. Sie brauchen ganz einfach einen Fre<strong>und</strong>, der auf sie<br />

aufpaßt. Was glaubst du, wenn <strong>die</strong> keinen Zuhälter hätten! <strong>Die</strong> Ausländer würden mit ihnen<br />

machen, was sie wollen!“ „Nein, das glaube ich nicht. Kein Mädchen geht freiwillig auf den<br />

Strich. Und so wie du das darstellst, ist es keineswegs. Man braucht doch nur in diversen<br />

Zeitschriften blättern, es wird einem ja täglich vor Augen geführt, zu welch miesen Schicksalen<br />

<strong>die</strong>se Mädchen verurteilt sind!“ „Ach was“, gab Wolfgang leicht verärgert <strong>von</strong> sich, „was du<br />

für einen Blödsinn in den Zeitungen liest. Ja, vielleicht stimmen zehn Prozent da<strong>von</strong>. Doch <strong>die</strong><br />

Wirklichkeit sieht ganz anders aus. <strong>Die</strong> Fre<strong>und</strong>in vom Seemann zum Beispiel verkauft sich<br />

schon seit zwei Jahren. Das ist eben ein Geschäft wie jedes andere auch. Gegen 21 Uhr geht sie<br />

halt ins Geschäft!“ Wolfgang lachte erheitert auf. „Gegen 2 Uhr treffen sich <strong>die</strong> beiden in einem<br />

Lokal!“ „Ja, wenn sie nicht im Knast sitzt. Also ich könnt’ mir so ein Leben nicht vorstellen!“,<br />

entgegnete Hans trocken. „Hast du eine Ahnung, Hans, du bist da schneller drin, als du<br />

glaubst!“ „Wenn ich nur daran denke, wie viele Männer <strong>die</strong> in einer Nacht hat!“ Hans<br />

schüttelte angewidert den Kopf.<br />

Nach dem Mittagessen, das sie im Restaurant im vierten Stock des Kaufhauses Forum zu sich<br />

nahmen <strong>und</strong> das nur aus Pommes frites <strong>und</strong> Ketchup bestand, schlenderten sie in der<br />

Mittagsschwüle <strong>von</strong> der Bahnhofstraße zum Alten Platz. Dabei sprachen sie über<br />

Zukunftspläne <strong>und</strong> machten so manchen Scherz bei feschen Mädels, wobei Hans Wolfgangs<br />

starken Hang zum Zuhältermilieu erkennen konnte. Wenn so eine resche Maid im Supermini<br />

vorbei ging, gab es meist Meldungen wie: „<strong>Die</strong> würd’ eine Kohle heimbringen.“ Das mißfiel<br />

Hans sehr, doch ließ er sich nichts anmerken. Schließlich wollte er <strong>die</strong> naive Offenheit <strong>von</strong><br />

Wolfgang nicht stören, um ihn besser durchschauen zu können.<br />

Am Abend suchten sie einige Lokale auf, ohne jedoch etwas zu konsumieren - Lokale, <strong>die</strong><br />

meist nur vom lichtscheuen Gesindel besucht wurden. Sie taten so, als suchten sie jemanden.<br />

Wolfgang schien <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem Milieu sehr angetan, es gab ihm Kraft, so unter seinesgleichen zu<br />

weilen. Vielleicht aber wollte er Hans nur imponieren, wenn er ihn durch <strong>die</strong> Lokale der<br />

Nutten, Zuhälter <strong>und</strong> Strauch<strong>die</strong>be <strong>von</strong> Klagenfurt führte.<br />

„<strong>Die</strong>ses Lokal ist das wärmste in Klagenfurt!“, sagte Wolfgang lachend, als sie sich in <strong>die</strong> Nähe<br />

des Villacher Ringes bewegten. „Nicht einmal im Winter gibt es hier Schnee!“ „Was meinst<br />

denn damit?“ „Aber tu doch nicht so unschuldig, Hanse!“, entgegnete er grinsend. „<strong>Die</strong>ses<br />

Lokal ist der größte Homotreff <strong>von</strong> Klagenfurt!“ Hans blieb <strong>die</strong> Spucke weg, ein<br />

Mädchenpensionat wäre ihm lieber gewesen. Er ließ sich jedoch nicht in <strong>die</strong> Karten schauen<br />

<strong>und</strong> ging mit Wolfgang ins Lokal. Sie stellten sich zur Bar <strong>und</strong> beobachteten das - an <strong>und</strong> für<br />

sich gewöhnliche - Treiben. Das Lokal war schon zu zwei Dritteln besetzt, <strong>und</strong> es gab extrem<br />

wenige Vertreter des weiblichen Geschlechts. Doch Hans wäre sicher nichts aufgefallen, hätte<br />

ihn nicht vorher schon Wolfgang darauf aufmerksam gemacht. „Hallo, Wolfi!“, sagte einer der<br />

Gäste <strong>und</strong> kam verzückt lächelnd <strong>und</strong> tänzelnd zu Wolfgang. „Hallo, Miss Klagenfurt!“, rief<br />

ihm Wolfgang fre<strong>und</strong>lich entgegen. „Hanse, darf ich dir Miss Klagenfurt vorstellen!“ „Aber<br />

natürlich!“, entgegnete Hans gelassen. Er amüsierte sich glänzend über <strong>die</strong>se Vorstellung. „Na,<br />

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das ist aber ein knackiges Kerlchen!“, sagte Miss Klagenfurt <strong>und</strong> sah Hans mit<br />

feuchtglänzenden Augen an. „Sag ihm, er soll sein blödes M<strong>und</strong>werk halten!“, sagte Hans zu<br />

Wolfgang. Das dürre Kerlchen war ihm einfach zu weit gegangen. Wolfgang flüsterte<br />

daraufhin dem Homo einiges ins Ohr, worauf <strong>die</strong>ser zustimmend nickte, Hans traurig ansah<br />

<strong>und</strong> wieder zu seinem Tisch zurück ging. „Den hast aber hart getroffen!“, meinte Wolfgang.<br />

„Ach was, der Homo soll seine Bemerkungen in seinen Kreisen anbringen!“, entgegnete Hans<br />

nicht gerade gut gelaunt. „Ach, das darfst nicht so hart sehen, Hans. <strong>Die</strong> sind wie Mädchen,<br />

wenn du ihnen gefällst, kannst du alles <strong>von</strong> ihnen haben!“ „Ist mir egal, ich mag <strong>die</strong>se Typen<br />

nicht!“ „Da, zwei Bier <strong>von</strong> der Zenzi!“, sagte einer der Kellner <strong>und</strong> stellte den beiden das Bier<br />

auf <strong>die</strong> Bar. „Ich brauch das Bier nicht!“ „Halt <strong>die</strong> Klappe!“, warf Wolfgang rasch dazwischen.<br />

„Nimm <strong>und</strong> proste dem Kerl zu, oder willst du dursten!“ „Ich will dursten!“, entgegnete Hans<br />

stur. Wolfgang machte eine abwertende Handbewegung <strong>und</strong> rief zu dem Bierspender: „Prost,<br />

Zenzi!“ <strong>Die</strong>ser nickte nur zufrieden zurück. Wolfgang trank gierig vom Bier. „Hörst, ich wollte<br />

dir nur das Nachtleben <strong>von</strong> Klagenfurt zeigen!“ „Ist ganz nett <strong>von</strong> dir, Wolfgang, aber mich<br />

interessiert <strong>die</strong>ses Gesindel nicht!“ „Gut, Hanse, aber das mit dem Homo heute nacht bleibt<br />

schon aufrecht, oder?“ „Sicher, Wolfgang, wir brauchen das Geld. Aber sollte er auf warme<br />

Ideen kommen, kann ich für nichts garantieren!“ Der Abend hatte für ihn schon einen<br />

unangenehmen Beigeschmack bekommen.<br />

Es herrschte Stille, als sie gegen 21 Uhr <strong>die</strong> große Halle des Hauptbahnhofs betraten. In der<br />

fast menschenleeren Halle konnte man jeden Schritt deutlich vernehmen. Nur einige<br />

Obdachlose standen oder hockten neben der mit modernen Fresken bemalten Wand. Wolfgang<br />

<strong>und</strong> Hans setzten sich auf das Führungsgeländer bei einem der geschlossenen<br />

Fahrkartenschalter. Was ist das wohl für ein Leben! Was geht wohl in den Köpfen <strong>die</strong>ser<br />

Menschen vor, dachte Hans, während der <strong>die</strong> Obdachlosen beobachtete. Den ganzen Tag so in<br />

dem Bahnhof herumlungern, nichts arbeiten wollen. Plötzlich zwinkerte ihm Wolfgang zu. Jetzt<br />

war auch Hans auf den kleinen älteren Mann aufmerksam geworden, der gerade erst in <strong>die</strong><br />

Halle gekommen war. Er ging langsam zur schmalen langen Halle <strong>und</strong> verhielt sich recht<br />

unauffällig. „Das ist er, Hanse!“, sagte Wolfgang <strong>und</strong> ging ungezwungen lächelnd auf ihn zu.<br />

„Grüß dich, Herbert, wie geht es dir?“ Der ältere Herr sah ihn zwar fre<strong>und</strong>lich, aber doch<br />

berechnend an. „Mir geht es ausgezeichnet, Wolfgang!“, sagte er in einem schönen Deutsch.<br />

„Und der Blonde dort, ist das dein Fre<strong>und</strong>, <strong>von</strong> dem du mir am Telefon erzählt hast?“ Er sah<br />

dabei zu Hans, der noch immer recht locker auf dem Geländer saß <strong>und</strong> so tat, als hätte er <strong>von</strong><br />

dem Vorgang nichts bemerkt. Doch in Wirklichkeit hatte er <strong>die</strong> beiden immer unauffällig im<br />

Auge behalten <strong>und</strong> dem Gespräch gelauscht. Dabei kam er sich vor wie eine Kuh auf dem<br />

Jahrmarkt. Er bekam weiche Knie, <strong>und</strong> das mulmige Gefühl in der Magengegend wollte auch<br />

nicht verschwinden. Er mußte sich einfach Mut zusprechen, um <strong>die</strong>se Verabredung nicht<br />

platzen zu lassen. Hans rauchte eine Zigarette <strong>und</strong> lachte leise vor sich hin. Jetzt muß ich wohl<br />

aussehen wie eine Nutte mit der Zigarette in der Hand, dachte er. Selbstbewußt sah er zu den<br />

beiden hin. Herbert klopfte Wolfgang lachend auf <strong>die</strong> Schulter <strong>und</strong> ging zu Hans. Für seine<br />

hagere <strong>und</strong> kleine Gestalt strahlte Herbert enorm viel Selbstsicherheit aus - vielleicht war’s<br />

auch nur <strong>die</strong> teure Kleidung. Er war nicht der schwule Typ, wie man ihn sich so vorstellte. Im<br />

Gegenteil, er gab nach außen den beinharten Manager ab. „Hallo, ich bin Herbert!“, grüßte er<br />

Hans fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> gab ihm <strong>die</strong> Hand. Dabei verhielt er sich doch zurückhaltend,<br />

wahrscheinlich war es ihm auch peinlich geworden. Oder tat er nur so, um Hans in der unguten<br />

Situation nicht zu überfahren? „Wie geht es Ihnen?“, fragte Herbert ausgesprochen fre<strong>und</strong>lich.<br />

„Wie es einem halt so geht, wenn man vor dem Nichts steht!“, entgegnete Hans gelassen. „Sie<br />

haben große Probleme, habe ich mir <strong>von</strong> Wolfgang sagen lassen!“ „Ich habe nur ein<br />

Problem. . .“ „Ja, ja!“, fuhr Herbert dazwischen. „Da<strong>von</strong> habe ich schon gehört!“ Herbert<br />

lächelte fre<strong>und</strong>lich, wobei er Hans jedoch auffällig musterte. „Auch darüber können wir<br />

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sprechen. Wenn es nur das liebe Geld ist!“ Wolfgang hatte währenddessen in den Obdachlosen<br />

ausgezeichnete Gesprächspartner gef<strong>und</strong>en. Zwischendurch trank er auch <strong>von</strong> ihrem<br />

Gemeinschaftsdoppler. „Also, ich möchte Sie gerne zum Essen einladen!“ „Gut, wenn Sie<br />

wollen!“ „Ja, <strong>und</strong> nach dem Essen nehmen wir einen Drink <strong>und</strong> sprechen über das Problem!“<br />

Auf der Fahrt zu einem exquisiten Restaurant in Klagenfurt, in einem sündteuren Mercedes,<br />

gingen Hans so manche Gedanken durch den Kopf. Gestern hätte ich nicht einmal im Traum<br />

daran gedacht, wie tief ich heute sinken würde. Was macht Monika jetzt, hoffentlich geht es ihr<br />

gut. Was würde sie wohl sagen, wenn sie wüßte. . .? Was werden <strong>die</strong> Gäste <strong>und</strong> vor allem das<br />

Personal denken, wenn ich in Gesellschaft <strong>von</strong> Herbert bin? Ach was, <strong>die</strong> werden denken, er<br />

sei mein Onkel, oder so ähnlich.<br />

„Guten Abend, <strong>die</strong> Herren!“, begrüßte sie der junge Ober ausgesprochen fre<strong>und</strong>lich vor dem<br />

Eingang des Speisesaales, um sie zu einem der noch freien Tische zu geleiten. „Bitte, Herr<br />

Müller, wie immer, Ihr Lieblingsplatz!“ „Sehr gut, Peter!“, entgegnete Herbert, nachdem er<br />

Platz genommen hatte. „Bitte bring uns <strong>die</strong> Speisekarte!“<br />

So eine Blamage, dachte Hans. Der Kellner kennt ihn, <strong>und</strong> vermutlich weiß er auch mehr über<br />

ihn. Herbert wird <strong>die</strong>ses Restaurant doch sicher öfter mit jungen Burschen aufsuchen. Als der<br />

Ober kam <strong>und</strong> <strong>die</strong> Getränke aufnahm, beobachtete Hans ihn genau. Doch daraus konnte er<br />

einfach nichts Genaues schließen. Nun ja, dachte er, ist ja auch sein Geschäft, diskret zu sein.<br />

Hans stu<strong>die</strong>rte sorgfältig <strong>die</strong> Speisekarte. Es ist wie im Supermarkt, dachte er grinsend, wenn<br />

man drin ist, weiß man nicht mehr, was man wollte. „Ach was, Schnitzel mit Salat!“, gab er<br />

schließlich erleichtert <strong>von</strong> sich.<br />

„Ihr beide geht nach Wien, um zu arbeiten, hat mir Wolfgang erzählt!“ „Ja, nach Wien. Dort<br />

kann man angeblich noch einiges ver<strong>die</strong>nen, habe ich mir sagen lassen!“ „Ja, wenn man<br />

wirklich arbeiten will, schon!“ „Wieso, glauben Sie, daß ich ein Arbeitsscheuer bin?“ „Nein“,<br />

entgegnete Herbert lachend, „<strong>von</strong> dir nicht, aber <strong>von</strong> Wolfgang!“ „Von Wolfgang glauben Sie<br />

das?“, gab Hans verdutzt <strong>von</strong> sich. „Nun ja, Wolfgang kenne ich erst kurz!“ „Ich kann dir nur<br />

einen Rat geben, Hans! Sei vorsichtig bei Wolfgang, er ist ein kleiner Ganove. Eines Tages<br />

wirst du es vielleicht selbst erfahren!“ „Vielleicht haben Sie recht!“, entgegnete Hans <strong>und</strong> gab<br />

sich so <strong>von</strong> der naiven Seite. „Ich hätte ihn ja auch zum Essen einladen können!“ Herbert hielt<br />

inne <strong>und</strong> sah Hans nachdenklich an. „Aber ich gebe mich mit ihm nicht mehr näher ab. Außer“,<br />

er lächelte süffisant, „es geht um einen jungen Mann, der in finanzielle Schwierigkeiten geraten<br />

ist. Er wird dir sicher schon erzählt haben, daß er für solche Vermittlungen Geld bekommt.<br />

Natürlich wird er dir bei <strong>die</strong>ser Gelegenheit auch erzählt haben, daß ich homosexuell bin. Aber<br />

ich hoffe, daß du deswegen kein Vorurteil gegen mich hast. Du wirst eines Tages feststellen,<br />

daß auch Homosexuelle keine Unmenschen sind!“ Hans ließ sich das Gehörte durch den Kopf<br />

gehen <strong>und</strong> trank vom Bier. Der Mann ist gefährlich, der will mich mit dem Einsertrick<br />

einkochen, dachte er. Herbert lächelte zufrieden. „Jaja, du bist halt ein schlauer Bursche. Dir<br />

brauche ich nicht viel zu erklären. Aber sag, du gehst einfach so <strong>von</strong> zu Hause weg. So billig<br />

wie bei den Eltern kann man doch nirgends auf der Welt leben!“ „So billig, das klingt schön!<br />

Wenn es da nicht <strong>die</strong> Spannungen mit Vater gegeben hätte!“ Hans hielt inne <strong>und</strong> trank<br />

nochmals kräftig vom Bier. „Außerdem möchte ich meine Hemdsärmel kräftig aufkrempeln<br />

<strong>und</strong> mir meine eigene Existenz aufbauen!“ „Du gefällst mir, Junge, so eine Einstellung haben<br />

heute nicht sehr viele in deinem Alter. Ich hoffe, daß dir dein Vorhaben gelingen möge. Ich<br />

werde dir eine kleine finanzielle Stütze geben, <strong>und</strong> solltest du eines Tages in Schwierigkeiten<br />

kommen, so ruf mich an!“ Der Ober kam mit den Speisen, <strong>die</strong> er vornehm servierte. „Hans, ich<br />

hoffe, das Essen m<strong>und</strong>et dir!“ „Danke, Herbert, ich werde mich eines Tages für deine gute Tat<br />

erkenntlich zeigen!“ Hans lächelte dabei verschmitzt. „Nein, das brauchst du nicht. Es ist für<br />

mich eine Ehre, jungen Menschen zu helfen. Ja, weißt du, durch meine Veranlagung bin ich<br />

nicht fähig, <strong>Kinder</strong> zu zeugen. Für mich wäre das Leben sinnlos, wenn ich nicht auch etwas<br />

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Gutes tun könnte. Ich hoffe, du verstehst mich nicht falsch. Weißt du, Hans“, sagte er nun in<br />

einem väterlichen Tonfall, „junge Männer für den Sex bekomme ich jederzeit. Es ist nur eine<br />

finanzielle Angelegenheit. Doch sind <strong>die</strong> meist arbeitsscheu <strong>und</strong> charakterlos. Sie nützen mich<br />

aus <strong>und</strong> ich sie, so ist halt das Leben!“ Hans war beeindruckt <strong>von</strong> der Offenheit <strong>die</strong>ses Mannes.<br />

Auch wurde ihm jetzt klar, daß ein Homosexueller genauso ein Mensch mit Gefühlen ist <strong>und</strong><br />

kein Scheusal, wie er immer geglaubt hatte. „Wenn du möchtest, kannst bei mir im Hotel<br />

übernachten!“, meinte Herbert weiters so nebenbei <strong>und</strong> griff zum Salzstreuer. „Herbert, ich<br />

danke dir für dein Angebot, aber wahrscheinlich fahren wir noch heute nacht nach Wien!“ „Ist<br />

schon gut, Hans. War ja nur ein Angebot!“ Hans war froh, daß sich Herbert damit zufrieden<br />

gab.<br />

Es war ca 23.45 Uhr, als Herbert seine Luxuskarosse vor dem Gebäude des Hauptbahnhofs<br />

anhielt. Hans wollte schon aussteigen. „Warte noch einen kleinen Moment!“, sagte Herbert,<br />

griff in sein Sakko, zauberte vornehm - wie der gute alte Onkel - seine Geldbrieftasche hervor<br />

<strong>und</strong> drückte Hans einige Geldscheine in <strong>die</strong> Hand. „Hier, <strong>und</strong> wenn du wieder einmal in<br />

Klagenfurt bist, ruf mich an!“ Hans sah ihn recht verdutzt an. Es wollte einfach nicht in seinen<br />

Schädel, daß ein Mensch - nur um gegen seine Einsamkeit anzukommen - soviel Geld springen<br />

ließ. Er zählte es, „Herbert, weißt du überhaupt, wieviel du mir da gegeben hast?“ „Natürlich,<br />

es sind 1.400 Schilling. <strong>Die</strong>ses Geld werdet ihr doch ganz gut brauchen können, oder?“<br />

„Danke, Herbert, danke!“, entgegnete Hans begeistert <strong>und</strong> steckte das Geld in <strong>die</strong> linke<br />

Brusttasche seines Hemdes. „Ach, laß nur, ich habe es dir gerne gegeben. Paß auf! Ciao!“<br />

23.55 Uhr zeigte <strong>die</strong> große Wanduhr in der Bahnhofshalle. Mitternacht, dachte Hans, mein<br />

Gott, wie schnell ist <strong>die</strong> Zeit an meinem ersten Tag in der Freiheit vergangen - noch dazu so<br />

abenteuerlich. Beim Eintreten in <strong>die</strong> große Halle flog sein Blick suchend <strong>von</strong> den<br />

Fahrkartenschaltern zu den Gruppen <strong>von</strong> Obdachlosen, <strong>die</strong> an den Wänden herumlungerten.<br />

Manche <strong>von</strong> ihnen hielten den alkoholischen Vorrat in Form <strong>von</strong> Bier-, Wein- oder<br />

Schnapsflaschen in ihren Händen. Bei anderen wiederum steckte <strong>die</strong>ser Vorrat in den Taschen<br />

ihrer schäbigen, übergroßen Staubmäntel. Gruselig <strong>und</strong> abstoßend zugleich, hallten ihre lallendschimpfenden<br />

Wortfetzen durch <strong>die</strong> ansonsten gespenstisch ruhige Bahnhofshalle. „Na, Hanse,<br />

hat’s geklappt?“, fragte Wolfgang grinsend. Er war unscheinbar neben dem Eingang gestanden.<br />

„Alles in Butter!“, entgegnete Hans gelassen. „Aber was machen wir jetzt?“ „Wenn du genug<br />

Geld <strong>von</strong> der Schwuchtel bekommen hast, dann kaufen wir uns <strong>die</strong> Fahrkarten nach Wien. Der<br />

Zug fährt um 1.30 Uhr!“ Wolfgang war schon bestens informiert. 740 Schilling mußten sie<br />

ingesamt für <strong>die</strong> beiden Fahrkarten ausgeben. Danach gingen sie in den Aufenthaltsraum <strong>und</strong><br />

beobachteten das Treiben der betrunkenen Obdachlosen in der großen Halle. Für Hans war<br />

<strong>die</strong>s alles neu <strong>und</strong> recht interessant. Noch nie hatte er Gelegenheit gehabt, das Bahnhofsmilieu<br />

um <strong>die</strong>se Nachtzeit zu beobachten. Hans kam zu der Überzeugung, daß so ein Bahnhof ein<br />

riesiger Beherbergungsbetrieb für gestrandete Menschen ist. „In zehn Minuten kommen <strong>die</strong><br />

Arschlöcher!“, sagte plötzlich Wolfgang, nachdem er auf <strong>die</strong> Uhr gesehen hatte. „Bei mir<br />

werden sie auch <strong>die</strong> Fahrkarte kontrollieren!“ „Warum soll <strong>die</strong> Polizei bei dir <strong>die</strong> Fahrkarte<br />

kontrollieren?“ „Weil ich polizeibekannt bin, außerdem ist der Aufenthalt in einem Bahnhof nur<br />

Fahrgästen gestattet!“ „Ach so, das wußte ich nicht. Dann werden sie auch <strong>die</strong> Obdachlosen<br />

rauswerfen!“ „Ja, das werden sie!“, entgegnete Wolfgang süffisant grinsend. Hans wollte es<br />

jedoch noch nicht so recht glauben, schließlich herrscht doch Demokratie in Österreich, <strong>und</strong> so<br />

ein Bahnhof ist doch ein öffentliches Gebäude, dachte er.<br />

Fünf Minuten später wimmelte es <strong>von</strong> Polizisten im Bahnhof. Alle Ein- <strong>und</strong> Ausgänge wurden<br />

durch kontrollierende Beamte besetzt. Sechs Polizisten gingen auf <strong>die</strong> schimpfende Gruppe<br />

<strong>von</strong> Obdachlosen zu. Der Sandler, der schon seit längerem auf dem Hallentisch schlief, wurde<br />

<strong>von</strong> einem der Beamten - im Vorbeigehen - recht unsanft auf den verfliesten Boden geworfen.<br />

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„Bist deppert!“, gab er vor Schmerz stöhnend <strong>von</strong> sich. Und als er erkannte, wer da vor ihm<br />

stand, schlug er am Boden liegend schützend <strong>die</strong> Hände vor sein verwittertes Gesicht. Es<br />

fanden weitere Schreiduelle statt, <strong>und</strong> kurz darauf wurden alle Obdachlosen mit Gewalt auf <strong>die</strong><br />

Straße befördert. Irgendwie haben sie schon recht, dachte Hans. <strong>Die</strong>se Menschen gehen sicher<br />

seit Jahren überhaupt keiner geregelten Arbeit nach. Tragen so zum Wohlstand der<br />

Allgemeinheit nicht bei, sie gehören auf <strong>die</strong> Straße. Plötzlich kam einer der Polizisten in den<br />

Aufenthaltsraum <strong>und</strong> ging zielstrebig auf Wolfgang zu. <strong>Die</strong>ser wußte, wieviel es geschlagen<br />

hatte <strong>und</strong> zog seine Fahrkarte aus dem Hosensack. „Komm raus!“, herrschte der Polizist<br />

Wolfgang an. Wolfgang hielt ihm wortlos seinen Fahrschein entgegen, worauf der Polizist <strong>von</strong><br />

seinem ursprünglichen Vorhaben Abstand nahm. „Herr Inspektor, heute nacht sind Sie mich<br />

los!“, sagte Wolfgang fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> doch etwas spöttisch. „Wird auch Zeit! Für Gauner haben<br />

wir in Klagenfurt keinen Platz!“, entgegnete der Polizist nicht gerade fre<strong>und</strong>lich. So ein<br />

Arschloch, wie der mit einem Staatsbürger spricht, dachte Hans. Der Polizist gab seinen<br />

Kollegen einen Wink, worauf sie genauso schnell verschwanden, wie sie aufgetaucht waren.<br />

Wolfgang lachte erheitert auf. „Der Arsch hat geglaubt, daß er mich ohne Fahrschein antrifft!“<br />

„Wußte gar nicht, daß <strong>die</strong> Polizei <strong>die</strong> Bahnhöfe <strong>von</strong> Obdachlosen säubert!“ „Ach, das ist doch<br />

noch gar nichts! In Wien sind sie noch viel schärfer, <strong>die</strong>se H<strong>und</strong>e. Aber mit Tricks kann man<br />

sie überlisten!“ Wolfgang grinste vor sich hin. „Wenn man kein Geld für eine Unterkunft hat,<br />

kauft man eine Fahrkarte um 7 oder 8 Schilling. Dann können sie sich brausen. Sie dürfen dich<br />

nicht mehr angreifen, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Nacht in einem Aufenthaltsraum ist gesichert!“ Auch nicht<br />

schlecht, dachte Hans, hoffentlich muß ich <strong>die</strong>sen Rat nicht eines Tages nutzen.<br />

Sie durften keineswegs den 1.30-Uhr-Zug nach Wien versäumen, deswegen holte Hans schon<br />

20 Minuten vorher den Koffer aus der Gepäckaufbewahrung. Während Wolfgang auf dem<br />

Weg zum Bahnsteig 3 jeden nur möglichen Blödsinn <strong>von</strong> sich gab, um seine Freude k<strong>und</strong>zutun,<br />

wurde Hans <strong>von</strong> großer Wehmut erfaßt. Und als er an Monika dachte, hätte er sein Vorhaben<br />

am liebsten abgebrochen. Doch er wußte, er hätte sich damit nur lächerlich gemacht. Seine<br />

Fre<strong>und</strong>e hätten in Zukunft sicher sehr an seiner Willensstärke gezweifelt. Und Monika? Mein<br />

Gott, sie wäre dann besonders dem Intrigantenstadl um ihren Bruder <strong>und</strong> Gerd ausgesetzt<br />

gewesen. Sie würden mich als Weichling abstempeln, dachte Hans, ich kann gar nicht mehr<br />

umkehren, es ist zu spät. Wie recht hat doch der französische Schlagerstar Gilbert Bécaud!<br />

Soviele Züge gehn, wer weiß wohin - <strong>und</strong> jetzt sitze ich in einem da<strong>von</strong>! Hans schüttelte bei<br />

<strong>die</strong>sen Überlegungen ungläubig den Kopf.<br />

Kurz nachdem <strong>die</strong> Stimme aus dem Lautsprecher <strong>die</strong> Einfahrt des Zuges angekündigt hatte,<br />

spürten <strong>die</strong> wartenden Fahrgäste den Luftschwall, den der Zug vor sich herschob. <strong>Die</strong> Bremsen<br />

quietschten. <strong>Die</strong> Finger <strong>von</strong> Hans umklammerten fest den Griff seines Koffers. Und es schien<br />

unendlich lange zu dauern, bis der Zug anhielt. <strong>Die</strong> beiden setzten sich in ein leeres<br />

Raucherabteil, einige Minuten später fuhr der Zug los. Hans blickte auf den beleuchteten<br />

Hauptbahnhof <strong>von</strong> Klagenfurt, bis <strong>die</strong>ser im Meer der Dunkelheit entschwand. Mit 110<br />

Schilling <strong>und</strong> den paar Sachen bin ich gestern aufgebrochen, sinnierte er, jetzt sind kaum 15<br />

St<strong>und</strong>en vergangen, <strong>und</strong> ich sitze mit einer gültigen Fahrkarte <strong>und</strong> über 600 Schilling im<br />

Hosensack im Zug nach Wien. Ja, Wolfgangs Erfahrungsreichtum darf ich nicht<br />

unterbewerten! <strong>Die</strong> beiden waren jetzt guter Stimmung, sprachen <strong>von</strong> der bevorstehenden<br />

Zukunft in Wien <strong>und</strong> waren sich vor allem darin einig, es auf jeden Fall zu schaffen. Nach<br />

einiger Zeit verstellten sie ihre Rückenlehnen <strong>und</strong> genossen sichtlich <strong>die</strong> letzte Zigarette in<br />

<strong>die</strong>ser Nacht.<br />

„Meine Herrn, Endstation, bitte aussteigen!“, sagte der Schaffner etwas lauter, nachdem der<br />

Zug im Wiener Südbahnhof eingefahren war <strong>und</strong> mit wild quietschendem Bremsgeräusch<br />

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anhielt. Beide waren sogleich hellwach. Hans sah auf seine Armbanduhr - 6.30 Uhr. „Fünf<br />

St<strong>und</strong>en!“, meinte er belustigt.<br />

„Das ist aber ein riesengroßer Bahnhof!“, gab Hans überrascht <strong>von</strong> sich, als sie <strong>die</strong> erste Halle<br />

betraten. „Warte nur, den mußt du dir erst genauer ansehen. Da kannst Klagenfurt vergessen!<br />

Wir befinden uns in der dritten Etage!“, erwiderte Wolfgang voll Stolz. „Was, wie soll denn<br />

das gehen?“, fragte Hans recht ungläubig. „Ganz einfach, der Bahnhof hat drei Etagen, <strong>und</strong> wir<br />

sind in der obersten eingefahren!“ Obwohl Bahnhöfe seiner Meinung nach eine gewisse Kühle<br />

ausstrahlten, war Hans <strong>von</strong> dem Wiener Südbahnhof fasziniert.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : J u li V . W o c h e<br />

A L L E R A N F A N G I S T S C H W E R<br />

Bahnhöfe sind nun einmal Aushängeschilder <strong>von</strong> Orten <strong>und</strong> Städten, sie vermitteln dem<br />

Besucher den Wohlstand oder <strong>die</strong> Armut, das Charisma <strong>und</strong> <strong>die</strong> Kultur ihrer Umwelt. Hans<br />

jedenfalls war <strong>von</strong> dem Wiener Südbahnhof tief beeindruckt. „Da gibt’s drei Etagen <strong>und</strong> eine<br />

Kelleretage. Von dort unten kannst mit der Schnellbahn fahren!“, wiederholte sich Wolfgang<br />

immer wieder. Er war recht stolz, in Wien auf nicht unbekanntes Gebiet getroffen zu sein.<br />

Hans schüttelte fasziniert den Kopf. „Daß es so etwas gibt!“ „Ach, das ist doch noch nichts,<br />

<strong>die</strong>se Stadt hat noch zwei Bahnhöfe in derselben Größenordnung!“ „Gibt es denn das?“,<br />

entgegnete Hans beinahe naiv. „Natürlich, es ist doch schließlich unsere Haupt- <strong>und</strong><br />

Regierungsstadt. Aber komm, wir kaufen uns zwei Tageszeitungen <strong>und</strong> stu<strong>die</strong>ren <strong>die</strong><br />

Arbeitsannoncen in dem Cafe dort!“<br />

„Da, <strong>die</strong> da!“, sagte Wolfgang, nachdem sie in einem Bahnhofscafe in der dritten Etage Platz<br />

genommen hatten. „Welche?“ „Na, <strong>die</strong> - für leichte Werbetätigkeit werden noch junge<br />

Burschen <strong>und</strong> Mädchen gesucht. Bis zu 25.000 Schilling Monatsver<strong>die</strong>nst!“ „Ich weiß nicht!“,<br />

meinte Hans, er war <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem Angebot nicht beeindruckt. „<strong>Die</strong>se Vertreter- <strong>und</strong><br />

Hausiererjobs!“ Er hatte Menschen, <strong>die</strong> <strong>von</strong> Haus zu Haus gingen, um so mit Nachdruck ihre<br />

meist minderwertige Ware zu verkaufen, schon als Kind nicht gemocht. Und jetzt sollte er<br />

vielleicht selbst in deren Fußstapfen steigen? „Probieren können wir es ja, vielleicht ist es ein<br />

Spitzenjob!“ „Nein, ich will so was nicht!“, entgegnete Hans trotzig. „Aber versuchen könnten<br />

wir es doch. Wenn es dir dann noch immer nicht gefällt, suchen wir etwas anderes!“ Hans<br />

überlegte kurz. „Ist gut, aber ich bin mir sicher, daß es einer <strong>die</strong>ser üblen Jobs ist!“ Wolfgang<br />

grinste zufrieden. Während Hans seinen Koffer bei der Gepäckaufbewahrung abgab, rief<br />

Wolfgang bei der Firma an.<br />

„Wir haben Glück, Hanse! <strong>Die</strong> Firma ist hier in der Nähe. Gegen 8 Uhr sollen wir zu dem<br />

Einstellungsgespräch kommen, hat der Filialleiter gesagt!“, meinte Wolfgang zuversichtlich.<br />

Sie gingen in das Selbstbe<strong>die</strong>nungsrestaurant in der zweiten Etage des Bahnhofs <strong>und</strong><br />

frühstückten. Danach stu<strong>die</strong>rten sie den Stadtplan im Parterre des Bahnhofs <strong>und</strong> gingen zu Fuß<br />

über den Wiedner Gürtel in <strong>die</strong> Leibenfrostgasse, wo <strong>die</strong> besagte Firma ihren Standort hatte.<br />

Der sogenannte renommierte Betrieb war ein winzigkleines Gassenlokal, in dem einige<br />

zwielichte Typen hektische Vorbereitungen für den Tagesablauf trafen. Ein etwa 28 bis 30<br />

Jahre alter schlaksiger Mann mit langem, dünnem Haar stellte sich als Filialleiter vor. Nach<br />

einem kurzen Einführungsgespräch, das eigentlich nur der Form halber abgehalten wurde <strong>und</strong><br />

recht belanglos war, wußte Hans, um welche Art <strong>von</strong> Tätigkeit es sich dabei handelte. Sie<br />

sollten mit allen nur möglichen Tricks Abonnenten für diverse Zeitschriften werben. „Was ihr<br />

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den Leuten erzählt, ist egal. Zählen tut nur der Umsatz!“, meinte der Filialleiter. Für Hans war<br />

damit <strong>die</strong> Sache gelaufen, doch Wolfgang schien <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Art <strong>von</strong> Arbeit sehr angetan.<br />

„Komm, Hans, versuchen wir es doch wenigstens einmal!“, meinte er beinahe bettelnd. „Herr<br />

<strong>Beschulnig</strong>, Sie werden sehen, wie leicht man sich das Geld ver<strong>die</strong>nen kann. Es liegt auf der<br />

Straße, <strong>und</strong> wenn Sie es nicht aufheben, wird es ein anderer tun!“, meinte wiederum der<br />

Filialleiter. Nach einiger Zeit gab Hans nach, er wollte es wenigstens einen Tag lang versuchen.<br />

Bei schönem Sommerwetter wurden sie auf <strong>die</strong> ländliche Bevölkerung losgelassen. Gegen 9<br />

Uhr fuhren sie mit einem Kleinbus - in der Besetzung: Fahrer, Filialleiter, Wolfgang <strong>und</strong> Hans -<br />

nach Niederösterreich ins Weinviertel, wo sie in einer kleinen verträumten Ortschaft, <strong>die</strong><br />

überwiegend aus altösterreichischen Kleinhäusler-Häusern bestand, ausgesetzt wurden. Als<br />

Wolfgang mit einem Paket Zeitschriften auf dem Arm bei der ersten Haustür anläutete, fühlte<br />

sich Hans wie ein dreckiger Bettler. Er warf sein Zeitschriftenpaket auf den Gehweg, zündete<br />

sich eine Zigarette an <strong>und</strong> sah gelangweilt zu Wolfgang. „Na, komm schon, Hanse!“ „Nein, ich<br />

will nicht!“, entgegnete Hans trotzig <strong>und</strong> zog demonstrativ an der Zigarette. Im selben Moment<br />

öffnete eine alte Frau <strong>die</strong> Haustür. „Guten Tag, ich komme vom Behindertenverein <strong>und</strong> möchte<br />

ihnen einige Zeitschriften aus unserem Verein zeigen. <strong>Die</strong> sind natürlich gratis!“ Mit <strong>die</strong>sen<br />

Worten versuchte Wolfgang, sich Zutritt zu verschaffen. „Ja, kommen Sie nur rein!“, sagte <strong>die</strong><br />

noch ahnungslose alte Frau. Hans spazierte währenddessen in der bezaubernden Ortschaft<br />

herum. Es ärgerte ihn, daß Wolfgang <strong>die</strong>sen blöden Job angenommen hatte.<br />

Gegen Mittag trafen sie sich wie ausgemacht beim Kleinbus mit dem Filialleiter <strong>und</strong> dem<br />

Fahrer. Sie wurden zum Essen in das kleine Dorfgasthaus eingeladen. „Wie war das Geschäft,<br />

Herr Bauer?“, fragte der Filialleiter ausgesprochen fre<strong>und</strong>lich beim Essen. „Wieviele<br />

Abonnenten haben Sie schon angeworben?“ „Fünf, ja, ich weiß, es ist nicht gerade<br />

hervorragend. Aber was soll’s, besser als nichts!“ „Na, das ist doch gar nicht so schlecht für<br />

den Anfang!“, meinte der Filialleiter anerkennend. „Und Sie?“, sagte er <strong>und</strong> sah Hans fragend<br />

an. „Nicht eine!“, entgegnete Hans belustigt grinsend. „Wieso? Wollen Sie nicht, oder können<br />

Sie nicht?“, sagte der Filialleiter äußerst provokant. „Ich will nicht! Außerdem ist Ihre<br />

angebliche Firma nur eine betrügerische Organisation!“, meinte Hans recht trocken <strong>und</strong> ließ<br />

sich das Schnitzel schmecken. „Das nehmen Sie sofort zurück, sonst zeige ich Sie wegen<br />

Verleumdung an!“ „Hans, hör auf!“, warf Wolfgang besorgt dazwischen. „Ich nehme nichts<br />

zurück! Aber ich möchte Ihnen noch sagen, das Essen hat mir gem<strong>und</strong>et!“ „Gut, wie Sie nach<br />

Wien kommen, ist Ihr Problem, das wird Ihnen doch jetzt wohl klar sein, oder?“, sagte der<br />

Filialleiter aus der Position der Stärke heraus. „Sie werden mich mit Wolfgang nach Wien<br />

fahren, ansonsten mache ich eine Anzeige wegen Betrugs!“, entgegnete Hans. Der Filialleiter<br />

wollte sich anscheinend auf keine Probleme einlassen <strong>und</strong> fuhr <strong>die</strong> beiden wie verlangt zum<br />

Wiener Südbahnhof. Damit war der erste Job, der im Gr<strong>und</strong>e keiner war, beendet.<br />

„Ich habe schon in Malerbetrieben gearbeitet, wenn du willst, versuchen wir es in <strong>die</strong>ser<br />

Branche!“, sagte Wolfgang, während sie am frühen <strong>Die</strong>nstagnachmittag durch den Südbahnhof<br />

schlenderten. „Aber ich habe <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem Job keine Ahnung!“ „Das ist kein Problem. Du bist<br />

halt mein Helfer. Wir arbeiten schwarz, wenn <strong>die</strong> Firma einverstanden ist!“ „Ja, das wär nicht<br />

schlecht, wir können es ja versuchen. Hauptsache ist, wir verrichten eine anständige Arbeit!“,<br />

entgegnete Hans. „Wenn heute am Abend <strong>die</strong> Zeitungen kommen, sehen wir uns <strong>die</strong><br />

Stellenangebote durch. Vielleicht haben wir Glück!“ „Das wär Spitze, Wolfgang, nur, wo<br />

schlafen wir heute?“ „Wieviel Geld haben wir noch?“ Hans griff in seine Hosensäcke <strong>und</strong> zählte<br />

alles Geld zusammen. „560 Schilling!“ „Na ja, dann schlafen wir im Park. Wir brauchen das<br />

Geld sicher noch!“<br />

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Den Nachmittag verbrachten sie in der Umgebung des Südbahnhofs. Und trotz des heißen<br />

Sommertages - <strong>die</strong> Sonne brannte auf <strong>die</strong> staubigen Straßen <strong>und</strong> Gehwege - war <strong>die</strong><br />

Aufbruchsstimmung der beiden ungebrochen.<br />

Gegen 17.30 Uhr kamen sie wieder zum Bahnhof <strong>und</strong> kauften <strong>von</strong> den arabischen<br />

Zeitungskolporteuren Krone <strong>und</strong> Kurier. Wolfgang schrieb hektisch zwei Adressen <strong>von</strong> Maler<strong>und</strong><br />

Tapeziererbetrieben auf einen Zettel. „Ich geh telefonieren, vielleicht erreiche ich noch<br />

jemanden!“ „In Ordnung“, entgegnete Hans, „ich schau mir <strong>die</strong> Annoncen nochmals an.<br />

Vielleicht finde ich noch was!“<br />

„<strong>Die</strong> sind alle schon vergeben, wir müssen morgen schneller sein! Jetzt muß man in Wien auch<br />

schon rasch reagieren, wenn man einen Arbeitsplatz will!“, sagte Wolfgang frustriert. „Aber<br />

wenn ich mir <strong>die</strong> Stellenangebote so betrachte, <strong>die</strong> brauchen doch genug Arbeiter!“, entgegnete<br />

Hans überzeugt <strong>und</strong> schrieb eine Adresse auf. Er ging in <strong>die</strong> nächste Telefonzelle. „Sie suchen<br />

einen Tankwart!“ „Ja, haben Sie Vorkenntnisse?“, entgegnete der Mann am anderen<br />

Leitungsende. Hans dachte an seine Lehrzeit, er hatte doch nebenbei oft als Tankwart<br />

ausgeholfen. „Ja, <strong>die</strong> habe ich!“ „Gut, dann kommen Sie morgen gegen 8 Uhr zur Triester<br />

Straße im 10. Bezirk!“ Er gab Hans noch <strong>die</strong> genaue Anschrift. „Super, danke, mein Name ist<br />

<strong>Beschulnig</strong>, <strong>und</strong> ich bin morgen pünktlich bei Ihnen!“ Mit Freude <strong>und</strong> Zuversicht ging Hans zu<br />

Wolfgang. „Du, ich habe wahrscheinlich schon morgen einen Job!“ „Das ist gut, <strong>und</strong> welchen?“<br />

„Tankwart auf der Triester Straße!“ „Hm, Tankwart! Eine Tankstelle auf der Triester Straße.<br />

Weißt überhaupt, wo <strong>die</strong> ist?“ „Blöde Frage, wenn ich erst seit St<strong>und</strong>en in Wien bin!“ „Da hast<br />

auch wieder recht!“, entgegnete Wolfgang schelmisch. „Wir müssen einen Stadtplan besorgen,<br />

den können wir immer brauchen!“, sagte wiederum Hans <strong>und</strong> ging zu einem Kiosk, um einen<br />

zu kaufen. „Ist sie weit weg <strong>von</strong> hier?“, fragte Wolfgang ernst, nachdem Hans <strong>die</strong> Triester<br />

Straße auf dem Plan gef<strong>und</strong>en hatte. „Nein, außerdem können wir mit der Straßenbahn bis zum<br />

Matzleinsdorfer Platz fahren! Am besten wir fahren gleich hin. Ich möchte mir <strong>die</strong> Fahrstrecke<br />

ansehen, damit morgen nichts schief läuft!“ „Ach was, zuerst gehen wir was essen, oder hast<br />

noch keinen Hunger!“ „Ja, hast recht, Wolfgang!“<br />

Das günstige Abendessen in einem richtigen Altwiener Beisel (Gasthaus), nahe der Prinz-<br />

Eugen-Straße, in der Mommsengasse, konnten sie nicht ausschlagen. Waren schon recht<br />

deftig, <strong>die</strong>se zwei Knödel mit Saftfleisch. Aus welchem Fleisch <strong>und</strong> welchen Knödeln <strong>die</strong>se<br />

Wiener Spezialität zubereitet wird, entzog sich ihren Kenntnissen. Hauptsache, es schmeckte<br />

<strong>und</strong> war erschwinglich. „Was hast denn?“, fragte Wolfgang, weil Hans beim Essen erheitert<br />

aufgelacht hatte. „Nichts Besonderes! Ich denke nur an unsere Unterkunft hier in Wien! Hans<br />

<strong>Beschulnig</strong>, Wien, im Gebäude des Südbahnhofs oder Umgebung!“ „Haha, das ist gut!“,<br />

entgegnete Wolfgang lachend. „Na ja“, sagte Hans besorgt lächelnd, „hoffentlich bekommen<br />

wir demnächst eine Unterkunft!“ „Aber ja, Hans, da brauchst dir keine Sorgen zu machen.<br />

Wenn ich demnächst eine Arbeit als Maler oder Tapezierer bekomme, haben wir auch eine<br />

Unterkunft!“ „Ja, <strong>und</strong> wenn ich morgen den Job bekomme, dann ist alles kein Problem! Prost,<br />

Wolfgang!“ <strong>Die</strong> beiden unterhielten sich blendend, zu blendend im Wirtshaus. Denn <strong>die</strong> paar<br />

Bier, <strong>die</strong> dem ersten gefolgt waren, verteuerten <strong>die</strong> Zeche erheblich. „164 Schilling hat unser<br />

Umtrunk gekostet!“, meinte Hans nachdenklich, nachdem sie gegen 21.20 Uhr den Wirten<br />

verlassen hatten. „Ja, Wien ist halt ein teures Pflaster!“, entgegnete Wolfgang. „Ach was, das<br />

hätten wir in Klagenfurt auch zahlen müssen!“ Hans begann seinen Notgroschen zu zählen.<br />

„379 Schilling haben wir noch!“ „Damit kommen wir schon aus, in ein paar Tagen sieht <strong>die</strong><br />

Welt wieder anders aus!“ Sie gingen wieder in den Südbahnhof. Wie in Klagenfurt, so gibt es<br />

dasselbe Gesindel auch in den Wiener Bahnhöfen, nur in einem noch weit größeren Ausmaß,<br />

dachte Hans, während sie gegen 22.00 Uhr durch <strong>die</strong> Etagen schlenderten. Wolfgang<br />

wiederum beobachtete <strong>die</strong> Mädchen mit glänzenden Augen. Ab <strong>und</strong> zu sprach er <strong>die</strong> eine oder<br />

andere mit seinem übermütigen Charme an. „<strong>Die</strong> da wär nicht schlecht, was?“, sagte er <strong>und</strong><br />

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machte mit dem Kopf <strong>die</strong> entsprechende Bewegung in ihre Richtung. „Jaja, für einmal!“,<br />

entgegnete Hans lächelnd. „Nein, nicht für einmal! Wenn wir jetzt ein Mädel aufreißen, haben<br />

wir gleich sämtliche Probleme vom Hals!“ „Nein, da mache ich nicht mit!“ „Wieso?“ „Weil ich<br />

eine Fre<strong>und</strong>in habe, ganz einfach!“ „Ach was, pfeif auf deine Fre<strong>und</strong>in, <strong>die</strong> läuft dir deswegen<br />

auch nicht gleich da<strong>von</strong>! Außerdem, bis Wien reichen ihre Augen nicht!“ „Vielleicht hast du<br />

recht, aber ich halte nun einmal an meinen Gr<strong>und</strong>sätzen fest!“ „Du bist stur, Hanse. Dabei bist<br />

du doch ein Typ, der es bei den Mädels leicht hat. Nun gut, dann müssen wir halt in den sauren<br />

Apfel beißen!“<br />

Gegen 23.00 Uhr verließen sie das Bahnhofsgebäude, um nicht der Polizei, <strong>die</strong> täglich gegen<br />

24.00 Uhr den Bahnhof <strong>von</strong> dem Gesindel räumte, in <strong>die</strong> Quere zu kommen. „Ist doch ein<br />

Topfen, einfach so auf einer Holzbank zu schlafen!“, sagte Hans, nachdem sie sich im Park vor<br />

dem Südbahnhof breit gemacht hatten. „Ist doch egal!“, meinte Wolfgang, er schien solche<br />

Übernachtungen schon gewohnt zu sein.<br />

Kurz darauf begann es leicht zu regnen <strong>und</strong> es wurde unangenehm feucht <strong>und</strong> kühl. „So was<br />

Blödes, jetzt beginnt es auch noch zu regnen!“, sagte Hans <strong>und</strong> setzte sich auf. „Ja, am besten<br />

wir gehen zur Schnellbahn runter!“ Es war ausgesprochen windig <strong>und</strong> ungemütlich geworden<br />

im Park. Doch auch in der Schnellbahnstation unter dem Südbahnhof war es keineswegs<br />

gemütlicher, <strong>und</strong> plötzlich hörten sie auch noch hektische laute Stimmen. „Hanse, komm, wir<br />

müssen raus!“, sagte Wolfgang übernervös. „<strong>Die</strong> Polizei kontrolliert jetzt verdächtige<br />

Passanten! Wir können nicht hier bleiben, wir müssen raus!“ „Ach, laß doch <strong>die</strong> Polizei Polizei<br />

sein. Was können sie uns anhaben?“ „Ganz einfach, rauswerfen! Es fährt um <strong>die</strong>se Zeit keine<br />

Schnellbahn. Für sie sind wir Obdachlose, sonst nichts!“ Und als Hans neugierig zum Aufgang<br />

sah, kamen gerade einige Polizisten mit H<strong>und</strong>en zur Station herunter. „Ja, du hast mich<br />

überzeugt!“, entgegnete Hans <strong>und</strong> ging mit Wolfgang in den Park hinauf. Es hatte zwar zu<br />

regnen aufgehört, doch in der Luft lag nahendes Schlechtwetter, das spürten <strong>die</strong> beiden <strong>und</strong><br />

legten sich unter einen schützenden Strauch, wo sie nach einiger Zeit einschliefen.<br />

Mittwoch, der dritte Tag. Gegen 4 Uhr wachte Hans, vom Regen leicht durchnäßt, auf.<br />

„Wolfgang!“ „Ja, was ist denn?“, entgegnete <strong>die</strong>ser schlaftrunken. „Es regnet, <strong>und</strong> du merkst<br />

nichts da<strong>von</strong>!“, sagte Hans, er zitterte am ganzen Körper. „Ja, wirklich, so ein Pech. Gut, daß<br />

du mich aufgeweckt hast!“, meinte Wolfgang gähnend. „Was machen wir jetzt?“ „Wir gehen<br />

zur Schnellbahn hinunter!“ Sie setzten sich auf eine Bank am Einser-Bahnsteig <strong>und</strong> rauchten<br />

einige Zigaretten. Gegen 5 Uhr gingen sie in den Südbahnhof rauf, suchten <strong>die</strong> Herrentoilette<br />

auf, um sich zu waschen <strong>und</strong> frisieren. Danach heulte der Rasierautomat ganz fürchterlich laut<br />

auf, schließlich konnte Hans nicht unrasiert zu dem Einstellungsgespräch in der Tankstelle<br />

erscheinen.<br />

„Was darf’s sein?“, fragte ein fre<strong>und</strong>licher Herr um <strong>die</strong> 40, als Hans gegen 8 Uhr den<br />

Verkaufsraum der Tankstelle in der Triester Straße betrat. „Ich möchte gern mit dem Chef<br />

sprechen!“ „Der steht wie der Leibhaftige vor Ihnen!“, entgegnete <strong>die</strong>ser belustigt lächelnd.<br />

„Das ist gut!“, sagte Hans, er schmunzelte dabei spitzbübisch. „Ich habe Sie gestern angerufen,<br />

wegen der Stelle! <strong>Die</strong> ist doch noch frei, oder?“ „Ja, <strong>die</strong> ist noch zu haben!“, meinte der Chef,<br />

wobei er Hans schon zu katalogisieren versuchte. „Was sind Sie <strong>von</strong> Beruf?“ „Ich bin Kfz-<br />

Mechaniker!“ Jetzt schien er an Hans noch mehr Interesse zu finden. „Wissen Sie, einen<br />

Mechaniker würde ich brauchen. Doch der Mann muß schon auch eine gewisse Erfahrung in<br />

der Tankstellenbranche nachweisen können. Haben Sie schon bei einer Tankstelle gearbeitet?“<br />

„In Klagenfurt <strong>und</strong> in Ferlach habe ich so nebenbei ausgeholfen!“ „In Klagenfurt, in<br />

Klagenfurt?“, fragte er verblüfft. „Ja, in Klagenfurt!“ „Aber das sind doch 330 Kilometer <strong>von</strong><br />

hier nach Klagenfurt. Wie sind Sie denn auf <strong>die</strong>se Idee gekommen, so weit <strong>von</strong> zu Hause zu<br />

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arbeiten?“ „Ja“, seufzte Hans, „das ist eine berechtigte Frage, aber einfach zu beantworten. Bei<br />

uns gibt es derzeit Arbeitskräfte im Überfluß, was sich natürlich auf <strong>die</strong> Bezahlung auswirkt!“<br />

Der Chef runzelte nachdenklich seine Stirnfalten. „Na ja, irgendwie dürften Sie ja nicht der<br />

Schlechteste sein. Ein Mensch, der es zu etwas bringen will! Aber was, denken Sie, werden Sie<br />

bei mir ver<strong>die</strong>nen?“ „Nun, am Anfang das übliche Gehalt plus Trinkgeld!“ „Sie scheinen sich in<br />

<strong>die</strong>ser Branche wirklich auszukennen!“, entgegnete der Chef süffisant <strong>und</strong> nahm ein Blatt<br />

Papier <strong>und</strong> Kugelschreiber. „Schreiben Sie Ihr Geburtsdatum <strong>und</strong> Ihre derzeitige Wohnadresse<br />

auf!“ „Wo wohnen Sie?“, fragte der Chef verdutzt, nachdem Hans seine Daten auf Papier<br />

gebracht hatte. „Sie wohnen in Föndach bei Klagenfurt! Ich muß sagen, <strong>die</strong>se Adresse<br />

interessiert mich nicht. Sie wollen mich damit ärgern! Sie können doch nicht jeden Tag über<br />

650 Kilometer zur Arbeit <strong>und</strong> zurückfahren!“ Er schien jetzt wirklich erbost <strong>und</strong> legte das<br />

beschriebene Blatt auf den Schreibtisch. „Mich interessiert Ihre Adresse in Wien <strong>und</strong> nicht <strong>die</strong><br />

<strong>von</strong> Buxtehude!“ Jetzt ist <strong>die</strong>ser Job auch noch dahin, dachte Hans. „Ich habe keine Unterkunft<br />

in Wien, noch keine!“, sagte Hans kleinlaut. Er versuchte noch zu retten, was kaum zu retten<br />

war. Doch der Chef verneinte mit mehreren Kopfbewegungen. „Sie werden mich verstehen,<br />

wenn ich Sie jetzt nicht einstelle. Ich weiß zwar, daß Sie bestimmt kein schlechter Kerl sind.<br />

Aber was ist, wenn Sie mir trotzdem mit der Kassa durchgehen?“ Hans sah ihn verblüfft an. Er<br />

wußte, daß er <strong>die</strong>se Stelle vergessen konnte. Keine Unterkunft, ich bin ein Obdachloser, kam<br />

es ihm in den Sinn. Plötzlich fuhr ein Auto zur Tankstelle. „Ja, tut mir leid!“, sagte der Chef<br />

<strong>und</strong> ging hinaus zur K<strong>und</strong>schaft. Hans blieb zwar noch einen Moment im Verkaufsraum. Doch<br />

als ihm bewußt wurde, daß er <strong>die</strong> Option auf den Job verspielt hatte, ging er gesenkten<br />

Hauptes hinaus. „Auf Wiedersehn!“, sagte er noch zum Chef beim Vorbeigehen. „Auf<br />

Wiedersehen, <strong>und</strong> seien Sie nicht so mutlos. Wenn es mit der Unterkunft klappt, können Sie ja<br />

wieder vorbeikommen!“, rief er ihm noch fre<strong>und</strong>lich nach.<br />

In der Straßenbahn, während der Fahrt vom Matzleinsdorfer Platz zum Südbahnhof, wurde<br />

Hans klar, daß es so nicht weitergehen konnte. Ich bin jetzt obdachlos, <strong>und</strong> als solcher genieße<br />

ich eben kein Vertrauen. Es ist höchste Eisenbahn, daß wir eine Unterkunft kriegen. Nur wie?<br />

Suchend ging Hans durch <strong>die</strong> Etagen des Südbahnhofs. Irgendwo mußte Wolfgang doch sein.<br />

Und erst als er, oben in der dritten Etage angekommen, einen Blick hinunter zur zweiten Etage<br />

warf, sah er Wolfgang, der wieder einmal ganz unkompliziert, doch erfolglos mit jungen<br />

Mädchen ins Gespräch kommen wollte. Hans rauchte eine Zigarette <strong>und</strong> ging langsam zu ihm<br />

runter. „Hallo, kennen wir uns nicht?“, meinte Wolfgang wieder schelmisch lächelnd zu einem<br />

schönen, aber hektisch vorbeieilenden Mädel. „Gott sei dank nicht, das hätte mir noch<br />

gefehlt!“, gab sie trocken <strong>von</strong> sich. „Na, hat’s geklappt mit deinem Job?“, sagte Wolfgang<br />

gutgelaunt, als er Hans entdeckte. „Nein, leider! Wir müssen etwas unternehmen. Wir brauchen<br />

eine Unterkunft, ohne Unterkunft werde ich niemals eine Arbeit bei einer Tankstelle<br />

bekommen!“ Wolfgang nickte zustimmend. „Am besten wär es, wenn du mit mir bei einer<br />

Malerfirma zu arbeiten beginnst. Solche Firmen haben meist auch Unterkünfte für ihre<br />

Arbeiter!“ Hans war jedes Angebot recht. „Ja, ich mach mit, aber du mußt damit rechnen, daß<br />

ich aussteige, wenn ich einen anderen Job bekomme!“ „Natürlich, war doch nur ein Vorschlag<br />

für den Beginn. Wir müssen für’s erste eine Arbeit <strong>und</strong> eine Unterkunft bekommen. Alles<br />

andere wird sich schon ergeben!“<br />

Jetzt waren sie schon den zweiten Tag in Wien <strong>und</strong> hatten immer noch nichts erreicht. Umso<br />

freudiger war <strong>die</strong> Stimmung gegen 18 Uhr, nachdem Wolfgang telefonisch mit einigen<br />

Malerbetrieben Kontakt aufgenommen hatte, <strong>die</strong> sie aus dem Annoncenteil <strong>von</strong> Krone <strong>und</strong><br />

Kurier herausgeschrieben hatten. „Ich hab noch zwei H<strong>und</strong>erter!“, meinte Wolfgang, seine<br />

flinken Finger tasteten dabei noch hastig nach Kleingeld in seinen Hosentaschen. „Dann haben<br />

wir zusammen vier H<strong>und</strong>erter, aber <strong>die</strong> müssen wir jetzt eisern sparen!“, entgegnete Hans<br />

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gelassen. „Ach was, Hanse, meine zwei H<strong>und</strong>erter hauen wir auf den Markt! Eine Arbeit<br />

bekommen wir morgen sicher, was soll’s! Das müssen wir einfach feiern!“ Gesagt, getan. <strong>Die</strong><br />

beiden gingen in ein Beisel <strong>und</strong> begossen <strong>die</strong> erfolgversprechenden Telefonate ausgiebig mit<br />

kräftigem Bier. Gegen 24 Uhr hatten sie <strong>die</strong> zwei H<strong>und</strong>erter <strong>von</strong> Wolfgang in flüssige Nahrung<br />

umgesetzt. „Hanse, was machen wir jetzt?“, meinte er leicht lallend <strong>und</strong> mit sehnsüchtigem<br />

Blick zum leeren Bierkrug. „Ist doch egal, Wolfgang, <strong>die</strong> nächste R<strong>und</strong>e bezahle ich!“,<br />

entgegnete Hans mit dem Augenaufschlag einer Schmeißfliege. „Spitze, Hanse!“, sagte<br />

Wolfgang begeistert <strong>und</strong> klopfte ihm freudig auf <strong>die</strong> Schultern.<br />

Gegen 1 Uhr nach Mitternacht gingen sie in den Park vor dem Südbahnhof, um zu schlafen.<br />

<strong>Die</strong>smal war es recht angenehm, vielleicht war es <strong>die</strong> laue Sommernacht, vielleicht aber waren<br />

sie es schon gewohnt.<br />

Donnerstag, der vierte Tag, den Hans <strong>von</strong> zu Hause weg war - der dritte in Wien. Langsam,<br />

aber stetig setzte der Großstadtverkehr ein. Auch <strong>die</strong> Straßenbahnen <strong>und</strong> Autobusse nahmen<br />

ihren Betrieb auf. „He, Hanse, steh auf! Wir müssen uns etwas zurechtmachen!“ Hans rieb<br />

gähnend seine Augen <strong>und</strong> warf einen Blick auf seine Armbanduhr, 5 Uhr. „Gut habe ich heute<br />

geschlafen!“, meinte er zufrieden <strong>und</strong> setzte sich auf <strong>die</strong> Parkbank. Wie gewohnt, so wuschen<br />

<strong>und</strong> rasierten sie sich auch <strong>die</strong>smal in der Toiletteanlage des Südbahnhofs. So gegen 6.30 Uhr<br />

fuhren sie mit dem Bus der Linie 13A zur ersten Firma. Hans hatte schon zu Beginn kein gutes<br />

Gefühl, doch Wolfgang war sich seiner Sache ganz sicher. Er übernahm <strong>die</strong> Führung bei den<br />

Bewerbungsgesprächen - freilich auch, weil er vom Fach war. Und es kam, wie es wohl<br />

kommen mußte, am Ende des Vormittages waren beide niedergeschlagen. <strong>Die</strong> Firmen wollten<br />

einfach keinen einstellen, der nicht ordentlich in Wien gemeldet war. „So ein Topfen, am<br />

besten, wir gehen in den Bahnhof, lachen uns ein Mädel an <strong>und</strong> schicken sie auf den Strich!“,<br />

sagte Wolfgang auf dem Weg dorthin. „Dann müssen wir uns trennen, denn ich möchte nicht<br />

auf <strong>die</strong>se schäbige Tour zu Geld kommen!“ „Hanse, du sprichst nur so, weil du verliebt bist!<br />

Aber weißt du überhaupt, was deine Gretl in Kärnten zur Zeit macht?“ Er zog dabei an der<br />

Zigarette <strong>und</strong> fuhr fort: „Du wirst noch drauf kommen, welch Teufel in so einem Weib stecken<br />

kann!“ „Ob sie ein Teufel oder ein Engel ist, das wird doch wohl eher am Mann liegen!“ „Na<br />

ja, du wirst schon noch drauf kommen, Hanse. Aber lassen wir das Thema, am besten, wir<br />

sehen uns heute abend Wien an, vielleicht kommen wir so auf andere Gedanken!“<br />

Später, nachdem sie an <strong>die</strong>sem Donnerstag <strong>die</strong> Stellenangebote der Abendausgaben <strong>von</strong> Krone<br />

<strong>und</strong> Kurier stu<strong>die</strong>rt <strong>und</strong> mit einigen Firmen telefonisch Kontakt aufgenommen hatten,<br />

beschlossen sie, <strong>die</strong> erste Hälfte der folgenden Nacht mit einer ausgiebigen Stadtwanderung zu<br />

nutzen, um so <strong>die</strong> restlichen 95 Schilling, <strong>die</strong> sie noch hatten <strong>und</strong> bitter brauchten, nicht<br />

auszugeben.<br />

Es war wohl schon so gegen 24 Uhr, auf dem Weg zurück zum Südbahnhof bei einem<br />

Autohaus im Bereich des Wiedner Gürtels: „Hanse, komm! Wir schauen uns den neuen Ford<br />

Escort an!“, sagte Wolfgang recht begeistert. „Du hast Sorgen, ich hätte lieber etwas zu<br />

essen!“ „Geh, tu nicht so wichtig, komm, den mußt du dir ansehen!“, setzte Wolfgang nach,<br />

sprang geschickt über <strong>die</strong> kniehohe Absperrkette <strong>und</strong> bestaunte neugierig wie ein kleiner Junge<br />

den nagelneuen Ford Escort, der verlockend gestylt hinter dem Schaufenster stand. Hans folgte<br />

ihm, im Gr<strong>und</strong>e war es ihm sowieso egal, ob sie <strong>die</strong> Zeit vor dem Autohaus vertrödelten oder<br />

im Park vor dem Südbahnhof. Wolfgang jedenfalls war hellauf begeistert <strong>und</strong> nach einiger Zeit<br />

des Fachsimpelns wollten <strong>die</strong> beiden gehen. Doch plötzlich hielt ein Citroen mit quietschenden<br />

Reifen vor der Absperrkette. „So eine Scheiße, das sind bestimmt <strong>die</strong> Bullen!“, sagte Wolfgang<br />

sichtlich nervös. „<strong>Die</strong> denken bestimmt, daß wir einbrechen wollen!“ „Ach was, <strong>die</strong> sollen<br />

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verschwinden, <strong>die</strong>se Idioten!“, entgegnete Hans noch gelassen. „Komm, Hanse, wir hauen ab!“<br />

„Jetzt brauchst nicht mehr da<strong>von</strong>laufen!“ „Hallooo, was macht ihr denn hier?“, fragte der junge<br />

Fahrer mit der übersensiblen Stimme eines Transvestiten, während er das Seitenfenster<br />

elektrisch nach unten ließ. „Vielleicht werde ich mir ein Auto kaufen!“, entgegnete Hans<br />

spöttelnd. „Doch nicht um 24 Uhr! Ich denke, das wird wohl kaum möglich sein!“, sagte der<br />

junge Mann mit strahlendem Blick <strong>und</strong> extrem begeistertem Lächeln. „Wer sagt, daß ich um 24<br />

Uhr ein Auto kaufen will! Außerdem, was geht dich das an, was ich hier mache?“, entgegnete<br />

Hans verärgert. „Weswegen so böse, junger Mann, war doch nur ‘ne Frage!“ „Hanse, laß<br />

ihn!“, sagte Wolfgang leise. „Ich glaub’, das ist ein Warmer. Laß mich nur machen, den<br />

nehmen wir aus!“ Er wandte sich mit seinem üblichen, betont zuvorkommenden Lächeln zu<br />

dem Autofahrer <strong>und</strong> meinte: „Was wollen Sie eigentlich <strong>von</strong> uns?“ „Nanöchen, vielleicht will<br />

ich euch zu einem netten Abend einladen!“ Seine Augen funkelten dabei seltsam weich. „Stehst<br />

auf Burschen, was?“, schoß ihn Wolfgang gleich direkt an. „Nicht nur auf Burschen, nur wenn<br />

ich zwei so knackige Dinger wie euch sehe!“ „Weißt eh, was du uns kannst!“, sagte Hans<br />

verärgert. „Das würde ich schon gern tun!“, entgegnete der Schwule <strong>und</strong> lachte auf. „Aber im<br />

Ernst, sei nicht so böse, ich möchte euch nur zu einem netten Plausch einladen!“ Hans<br />

schüttelte verneinend den Kopf, doch Wolfgang war da anderer Ansicht. Er sah eine<br />

willkommene Chance, zu Geld zu kommen, <strong>die</strong> man nicht so leicht vergeben sollte. „Hanse,<br />

wir beide fahren mit ihm mit. Du brauchst keine Angst haben, das mache ich schon. Denk doch<br />

daran, das Wochenende steht vor der Tür <strong>und</strong> wir brauchen Geld. Vielleicht können wir wieder<br />

einmal in einem richtigen Bett schlafen!“ „Gut, nur wenn er mich angreift, breche ich ihm <strong>die</strong><br />

Finger!“ „Na, endlich!“, sagte der Homo, der ihnen aufmerksam zugehört hatte. „Kommt,<br />

steigt ein, wir fahren in eine tolle Hütte!“ Wolfgang setzte sich auf den Beifahrersitz, Hans<br />

nahm hinter ihm Platz. „Ich heiße Michael, ihr könnt mich ruhig Michi rufen!“ Er sah sie dabei<br />

mit seinen zweideutig glänzenden Augen an. Michael war etwa 25 bis 30 Jahre alt, leicht<br />

mollig, etwa 170 cm groß <strong>und</strong> hatte einen extremen Wuschelschopf. Seine noble Kleidung<br />

verriet Geschmack, <strong>und</strong> sein tantenhaftes Benehmen den Hang zur Homosexualität. „Brauchst<br />

dir keine Sorgen machen, was anderes sagen wir sicher nicht zu dir!“, entgegnete Hans trotzig.<br />

„Gut, <strong>und</strong> ich bin der Wolfgang. Mein unfre<strong>und</strong>licher Kumpan nennt sich Hansi!“ „Wau! Du<br />

bist wirklich nett, Wolfi!“, meinte Michi begeistert <strong>und</strong> fuhr los. „In welches Lokal bringst uns<br />

denn?“ „In ein nettes Knusperhäuschen, Wolfi!“ Auf das bin ich schon neugierig, dachte Hans.<br />

Beim Naschmarkt, auf der Seite des 6. Bezirks hielt Michael vor einem unscheinbaren Lokal,<br />

dessen Fenster mit Holzbrettern verschalt waren, an. „Schaut doch gar nicht wie ein<br />

Homolokal aus!“, sagte Hans zu Wolfgang, nachdem er mit neugierigen Blicken <strong>die</strong> Besucher<br />

im Lokal begutachtet hatte. In der Tat, obgleich <strong>die</strong> Fenster verschalt waren, innen hielt es<br />

jedem Vergleich mit einem „gewöhnlichen“ Gastlokal stand. „Was sagst zu den netten Mädels,<br />

<strong>die</strong> dort sitzen!“, meinte Wolfgang schelmisch lächelnd. „Am besten, wir setzen uns an <strong>die</strong><br />

Bar!“, sagte wiederum Michael. „Denn das ist unser Stammtisch!“ „Sind gar nicht unhübsch,<br />

<strong>die</strong> Girls!“, meinte Hans <strong>und</strong> setzte sich zu Tisch. „Hahaha“, lachte Wolfgang belustigt auf,<br />

„deine Girls sind Homos in Tarnung!“ „Bestellt euch was Nettes zu trinken, ich gehe in der<br />

Zwischenzeit telefonieren!“ Michael ging in den Nebenraum. „Was, du meinst, das sind<br />

Burschen, <strong>die</strong> sich als Mädchen verkleiden?“ „Genau!“ <strong>Die</strong> beiden sahen sich an <strong>und</strong> begannen<br />

herzlich zu lachen. „Was findet ihr denn so toll?“, fragte der junge schlanke Kellner, der im<br />

Takt der Musik, <strong>die</strong> im Hintergr<strong>und</strong> spielte, angetänzelt kam. „Was darf ich den Herren<br />

servieren?“, fragte er in gewählten Worten <strong>und</strong> klarem Schönbrunnerdeutsch. Hans bestellte<br />

ein Cola, Wolfgang ein Bier. „Haben <strong>die</strong> Herren vielleicht noch einen Wunsch, einen<br />

exklusiven?“ Der Kellner sah sie dabei mit demselben zweideutig glänzenden Blick an wie<br />

Michi. „Nein, danke!“, entgegnete Wolfgang. „Na, meine Hübsche, hast dich in meine Jungs<br />

verknallt!“, sagte Michi zufrieden lächelnd, als er wieder zum Tisch kam. „Ich <strong>und</strong> verliebt,<br />

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paah! Ach nein, was ist denn das?“, entgegnete der Kellner verzückt <strong>und</strong> ging tänzelnd hinter<br />

<strong>die</strong> Bar.<br />

Gegen 2 Uhr begann Michael <strong>die</strong> bis dahin eher belanglosen Gespräche auf sein<br />

Interessengebiet zu lenken. „Ich denke, es ist an der Zeit, unsere müden Körperchen ins<br />

Bettchen zu tragen!“ „Deinen Kadaver kannst ins Bettchen legen, wir gehen zum<br />

Südbahnhof!“, gab Hans trocken <strong>von</strong> sich. „Ach nein, wieso? Ich hab doch eine tolle<br />

Schlafgelegenheit für euch!“ „Wenn du ein Mädel wärst? Aber ich denke, du würdest mir auch<br />

dann nicht gefallen!“ „Du weißt ja gar nicht, was du versäumst, Hansi!“ „Das wird wohl nicht<br />

so arg sein!“ „Und was ist mit dir, Wolfi?“, fragte Michi, er war schon etwas vorsichtiger<br />

geworden. „Na ja, wir könnten schon etwas machen“, meinte Wolfgang professionell. „Es ist<br />

eine rein finanzielle Angelegenheit!“ „Ach Geld, das ist doch eine Nebensache!“, sagte Michi<br />

<strong>und</strong> lächelte dabei Wolfgang mit glänzenden Augen an. „Für Hansi habe ich auch etwas<br />

Angenehmes!“ „So, was denn?“, fragte Hans neugierig. „Zwei süße Mädels!“ Hans horchte<br />

auf, ein Homo spricht <strong>von</strong> Mädels? „Ich bringe dich zu ihnen. Sie müßten eigentlich schon zu<br />

Hause sein, habe vorhin mit ihnen telefonisch Kontakt aufgenommen!“ „Das Angebot schlage<br />

ich nicht aus!“, entgegnete Hans sehr zufrieden <strong>und</strong> grinste schadenfroh zu Wolfgang hinüber.<br />

Kurz darauf verließen sie das Lokal.<br />

Michael fuhr mit ihnen in <strong>die</strong> Nobelgegend des 13. Bezirks. Schließlich hielt er vor einer der<br />

Villen in einer Seitengasse der Hietzinger Hauptstraße. „Hansi, komm, wir gehen da rein, <strong>die</strong><br />

Mädels werden sicher schon auf dich warten!“ Er zog dabei ein zufriedenes Lächeln auf.<br />

Wolfgangs Gesichtsausdruck wiederum erinnerte Hans an <strong>die</strong> Saure-Gurken-Zeit.<br />

Bei einem großen schmiedeeisernen Eingangstor läutete Michael Sturm, er sah Hans dabei<br />

immer wieder süffisant lächelnd an. Doch nichts, es tat sich nichts, <strong>die</strong> Villa machte einen<br />

unbewohnten Eindruck. Michael gab nicht auf, er versuchte es immer wieder. „Ich mach dir<br />

einen Vorschlag, Hans!“, meinte er nach einiger Zeit. „<strong>Die</strong> Mädels werden noch nicht zu Hause<br />

sein, ansonsten hätten sie schon geöffnet. Aber ich denke, <strong>die</strong> müssen jeden Moment kommen.<br />

Wenn es dir nichts ausmacht, kannst du ja auf sie warten. Wenn zwei süße Mädels zu <strong>die</strong>sem<br />

Eingang kommen, läßt du sie <strong>von</strong> mir grüßen. <strong>Die</strong> wissen dann Bescheid!“ „Das klingt ja ganz<br />

einfach“, entgegnete Hans mißtrauisch. „Aber wenn du mich reinlegst, dann stehe ich <strong>die</strong> ganze<br />

Nacht hier!“ „Nein, so etwas mache ich nicht! Warum sollte ich? Aber ich rufe etwas später<br />

<strong>von</strong> meiner Wohnung hier an, <strong>und</strong> wenn sich niemand meldet, dann hole ich dich ab!“ „Na gut,<br />

aber ich weiß jetzt schon, daß du mich reingelegt hast!“ „Aber nein, du wirst sehen, <strong>die</strong> werden<br />

in Bälde aufkreuzen!“ Hans gab sich einverstanden, obgleich er kein gutes Gefühl dabei hatte.<br />

3.30 Uhr war es inzwischen geworden, <strong>und</strong> nichts hatte sich in der einen St<strong>und</strong>e des Wartens<br />

getan. Mittlerweile hatte auch Hans <strong>die</strong> Gesichtszüge, <strong>die</strong> an <strong>die</strong> Saure-Gurken-Zeit erinnern.<br />

<strong>Die</strong>se Schwuchtel hat mich reingelegt, dachte er wütend. Wenn der mich wirklich abholt, muß<br />

ich ihm eine kräftige Abreibung erteilen. Jaja, einen Kärntner pflanzt man nicht ungestraft!<br />

Während <strong>die</strong>ser recht emotionalen Gedankengänge griff er mit der Rechten in seine<br />

Hosentasche <strong>und</strong> spürte zwei Zehn-Schilling-Münzen. 20 Schilling - insgesamt habe ich noch<br />

95 Schilling, mit dem Geld kommen wir nicht weit. Hoffentlich hat Wolfgang einiges aus ihm<br />

rausgeholt! <strong>Die</strong> Zeit verging, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Zigarettenpackung wurde immer dünner. Hans begann<br />

sich schon zu überlegen, ob er nicht irgendwo unter einem Baum eine Schlafstätte auswählen<br />

sollte. Doch er blieb <strong>und</strong> wartete eisern. Gegen 4.00 Uhr kam Michael mit seinem Citroen in<br />

rasendem Tempo endlich angerauscht. Er lächelte lässig-locker, während er sein Seitenfenster<br />

runterließ. „Bist ein feiner Mensch!“, sagte Hans erregt. „Wieso, was kann ich dafür, wenn <strong>die</strong><br />

Mädels nicht kommen konnten!“, entgegnete er ganz unschuldig. „Wo ist Wolfgang?“ „Wolfi<br />

schläft bei mir zu Hause“, entgegnete er verzückt. „Wenn du willst, kannst du auch bei mir<br />

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schlafen!“ „Bei dir sicher nicht, aber in deiner Wohnung, das wird mir wohl nicht erspart<br />

bleiben!“, sagte Hans <strong>und</strong> stieg ein.<br />

Irgendwo im 12. Bezirk, vor einem riesigen Gebäudekomplex, hielt Michael an. „So, ich muß<br />

dich nochmals ersuchen, auszusteigen!“ „Willst mich schon wieder reinlegen? Wo ist<br />

Wolfgang?“ „Aber nein, Hansi, Wolfi schläft bei mir. Ich muß nur das Auto in <strong>die</strong> Garage<br />

fahren!“ Hans stieg aus, doch im Gr<strong>und</strong>e rechnete er auch mit einer bösen Überraschung.<br />

„Na, siehst du, ich habe dich doch nicht reingelegt!“, sagte Michael, nachdem er kurz darauf<br />

aus dem Nichts aufgetaucht war. Wortlos folgte ihm Hans in den großen Gebäudekomplex, in<br />

dem seine Zweih<strong>und</strong>ert-Quadratmeter-Wohnung lag. Beim Anblick der luxuriösen<br />

Einrichtungsgegenstände <strong>und</strong> der w<strong>und</strong>erschönen, handgemalten Bilder wußte Hans, daß<br />

Michael - oder sein Gönner - ein Vermögen besaß. Für den Erwerb eines solchen Reichtums<br />

schien ihm Michael zu jung. „Wo ist Wolfgang?“, fragte Hans, nachdem sie eines der<br />

Wohnzimmer betreten hatten. „Wolfi schläft!“, entgegnete Michael leise. „So, dann zeig mir,<br />

wo er schläft!“ Wortlos ging Michael mit ihm in den langen Vorraum, der am Ende nach rechts<br />

einen kurzen rechten Winkel bildete. Er öffnete eine Zimmertür, dabei konnte sich Hans<br />

überzeugen, wie seelenruhig Wolfgang schlief. „So, dann gute Nacht!“, sagte Hans <strong>und</strong> wollte<br />

das Zimmer betreten. „Bleib hier, ich möchte noch ein wenig mit dir plaudern!“, meinte<br />

Michael <strong>und</strong> hielt ihn an der Hand fest. „Dein Plaudern interessiert mich nicht!“, entgegnete<br />

Hans, riß sich verärgert los <strong>und</strong> schloß <strong>die</strong> Zimmertür <strong>von</strong> innen. Im Dunkeln, nur mit einem<br />

Feuerzeug als Hilfe, tastete er sich zu der Couch. Wolfgang, der im Bett schlief, bemerkte <strong>von</strong><br />

alldem nichts.<br />

Freitag, der vierte Tag in Wien. Wolfgang wachte auf, warf gähnend einen Blick auf seine<br />

Armbanduhr <strong>und</strong> erschrak. „10 Uhr, Hanse! Wir hätten uns heute bei einigen Firmen vorstellen<br />

sollen!“ Hans rieb sich schlaftrunken <strong>die</strong> Augen. „Um <strong>die</strong>se Zeit brauchen wir uns nicht mehr<br />

bemühen!“ Und es ärgerte ihn, so eine Gelegenheit leichtfertig versäumt zu haben, noch dazu<br />

vor dem Wochenende. „Ich werde mich jetzt duschen, <strong>die</strong> Schwuchtel hat sicher nichts<br />

dagegen!“, meinte Wolfgang gut gelaunt. „Wieviel hat er dir denn gegeben, daß du so guter<br />

Laune bist?“ „500 Schilling, <strong>und</strong> zum Mittagessen lädt er uns heute auch ein!“ „Das ist ja toll,<br />

wir haben schon seit zwei Tagen nichts Ordentliches gegessen.“<br />

„Aber sag, was habt ihr denn gemacht?“ Hans sah Wolfgang dabei neugierig an. „<strong>Die</strong><br />

Neun<strong>und</strong>sechziger haben wir durchgezogen!“, entgegnete Wolfgang belustigt, so, als ob es für<br />

ihn nur ein Lausbubenstreich gewesen wäre. „Pfui Teufel, das könnte ich mit einem Mann nicht<br />

machen!“, entgegnete Hans, ihm stand dabei <strong>die</strong> Abscheu im Gesicht geschrieben. „Weißt du,<br />

wo das Bad ist?“ „Ja, wenn du rausgehst, <strong>die</strong> zweite Tür links!“<br />

So ganz unglücklich war Hans in der neuen Situation nicht, jetzt hatte er wenigstens <strong>die</strong><br />

Möglichkeit, nach beinahe einer Woche, ausgiebig baden <strong>und</strong> duschen zu können. Wolfgang<br />

wiederum ließ <strong>die</strong> Zeit, in der Hans seiner Körperpflege nachging, nicht ungenutzt. Mit<br />

zweifelhaften Gedanken beschäftigt, begutachtete er <strong>die</strong> wertvollen Möbelstücke <strong>und</strong><br />

Kunstgegenstände. Michael war währenddessen außer Haus.<br />

„Ach, das war herrlich!“, sagte Hans, er kam mit einem umgehängten Handtuch aus dem<br />

Badezimmer. „Nur Arbeit werden wir in <strong>die</strong>ser Woche keine mehr bekommen. Heute ist<br />

Freitag - <strong>die</strong> Woche ist gelaufen!“, meinte Hans nachdenklich, während er mit Wolfgang<br />

interessiert <strong>die</strong> Einrichtungsgegenstände bestaunte. „Kein Problem, Hanse! Wir kommen schon<br />

über <strong>die</strong> R<strong>und</strong>en!“, entgegnete Wolfgang selbstsicher <strong>und</strong> ging ins Bad. Ein Wahnsinn, dachte<br />

Hans, der Mensch muß ja Geld wie Heu haben. Der könnte sich <strong>die</strong> tollsten Bienen leisten, <strong>und</strong><br />

was ist er? Ein Homo, der sich wahrscheinlich des öfteren mit den schäbigsten Typen<br />

herumschlägt. Nach einiger Zeit ging er in <strong>die</strong> Küche <strong>und</strong> nahm etwas zu essen aus dem<br />

Kühlschrank. „Hast schon den Schmuck <strong>und</strong> <strong>die</strong> Taschenuhrensammlung gesehen, Hanse?“,<br />

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fragte Wolfgang, nachdem er völlig nackt aus dem Badezimmer gekommen war. „Nein,<br />

interessiert mich auch nicht!“, entgegnete Hans. Er wollte keineswegs <strong>die</strong> <strong>die</strong>bische Ader <strong>von</strong><br />

Wolfgang anstacheln. „Ich denke, wir sollten ihm einen Teil abnehmen, schließlich braucht er<br />

dann nicht auf soviel aufpassen!“, meinte Wolfgang listig lächelnd. „Nein, Wolfgang, da mache<br />

ich nicht mit. Und so lange wir beide zusammen sind, wird Michael nichts abhanden<br />

kommen!“, entgegnete Hans verärgert beim Frühstücken. „Aber wieso, Hanse, solche Typen<br />

wie Michi muß man bestehlen. Der wagt es doch nicht, zur Polizei zu gehen. Es könnte ja<br />

bekannt werden, daß er ein Homo ist!“ „Ob es bekannt wird oder nicht, ist mir völlig<br />

gleichgültig. Stehlen tun wir ihm nichts!“<br />

Aus dem versprochenen Mittagessen wurde nichts. Michael hatte sich mit einem recht<br />

einfachen Trick abgesetzt. Er ließ sie vor einem Restaurant aussteigen. „Wartet hier, ich suche<br />

mir nur einen Parkplatz!“ Und wenn sie tatsächlich auf ihn gewartet hätten, so stünden sie noch<br />

heute dort. Nur, der volle Magen vom Frühstück <strong>und</strong> <strong>die</strong> 500 Schilling machten auch den<br />

dummen Scherz <strong>von</strong> Michi wett!<br />

Am Samstagmorgen wurden sie so gegen 5.30 Uhr durch den langsam einsetzenden<br />

Straßenverkehr aus ihrem Schlaf hinter den Gebüschen des Bahnhofparks geweckt.<br />

Wenn auch beruflich in <strong>die</strong>ser ersten Woche nichts geklappt hatte, so waren <strong>die</strong> beiden mit den<br />

Wetterverhältnissen recht zufrieden gewesen. Denn wenn der Wettergott gegrollt hätte, wäre<br />

es sicher wesentlich ungemütlicher zugegangen. Hans grübelte über das Resultat der letzten<br />

sechs Tage. Ist doch idiotisch, wir sind <strong>von</strong> zu Hause weg, um etwas zu erreichen. Doch im<br />

Gr<strong>und</strong>e sind wir noch tiefer gesunken. Wir rauchen viel, um den Hunger zu unterdrücken, <strong>und</strong><br />

essen wenig, um Geld zu sparen. Aber jetzt aufgeben? Mein Gott, das wär ein Fressen für<br />

meine Neider! Ich würde als Versager dastehen, mein Vater hätte dann recht behalten. Nein,<br />

niemals! Lieber verrecke ich in <strong>die</strong>ser verfluchten Großstadt. Und Monika? Mein Gott, <strong>die</strong><br />

Gedankengänge der letzten sechs Tage waren gespickt mit wohliger Sehnsucht nach ihr. Ich<br />

bin mir sicher, auch ihr geht es so. „Hanse, an was denkst du?“ „Ach nichts, ich dachte nur, wo<br />

wir wohl übernachten werden, wenn das Wetter umschlägt?“ „Ach, das ist kein Problem. Wir<br />

könnten <strong>die</strong> Toiletteanlagen des Bahnhofs benutzen. Aber da gibt es noch genug andere<br />

Möglichkeiten!“ „Wenn ich wenigstens eine Arbeitslose bekäme!“, meinte Hans frustriert. „Ja,<br />

das habe ich mir auch schon gedacht. Du hast doch immer gearbeitet, bis auf <strong>die</strong> kleine<br />

Unterbrechung zum Jahreswechsel, hast du mir erzählt. Du müßtest doch ein Recht darauf<br />

haben!“ „Arbeit <strong>und</strong> Arbeit wird in Österreich streng getrennt!“, entgegnete Hans, rauchte eine<br />

Zigarette an <strong>und</strong> fuhr fort: „Als Lehrling ist man in Österreich ein Niemand. Man darf zwar<br />

unentgeltliche Mußüberst<strong>und</strong>en mit der Reinigung des Betriebes verbringen, doch<br />

Arbeitslosenversicherung gibt es bei den Mechanikern in den ersten drei Lehrjahren keine!“<br />

„Eine Sauerei!“, warf Wolfgang dazwischen. „Nun ja, ich war bei meiner ersten<br />

Arbeitslosigkeit beim Arbeitsamt in Klagenfurt. Doch der Beamte hat meinen Antrag sofort<br />

zurückgewiesen!“ „Wieso?“ „Weil ich nur vier <strong>von</strong> den geforderten zwölf Monaten<br />

Arbeitslosenversicherung in den letzten fünf Jahren nachweisen konnte!“ Hans zog kräftig an<br />

der Zigarette. „Und jetzt?“, meinte Wolfgang forsch. „Jetzt kann ich <strong>die</strong> zwölf Monate noch<br />

immer nicht nachweisen. Vier Monate, <strong>die</strong> ich nach dem dritten Lehrjahr bei der Lehrfirma<br />

gearbeitet habe, plus viereinhalb Monate, <strong>die</strong> ich in der Schottergrube gearbeitet habe, machen<br />

achteinhalb Monate. Ich habe im Dezember, bei meiner ersten Arbeitslosigkeit, auch bei der<br />

Gewerkschaft <strong>und</strong> der Arbeiterkammer vorgesprochen! Übrigens, beide Vereine sozialistisch<br />

dominiert!“ „Und, was haben <strong>die</strong> gesagt?“, fragte Wolfgang interessiert. „<strong>Die</strong> haben nur lang<br />

<strong>und</strong> breit geredet. Denen war <strong>und</strong> ist es egal, ob ich verrecke oder nicht! Und ich sage dir,<br />

Wolfgang, bevor ich bei <strong>die</strong>sen hochmütigen . . . nochmals einen Canossagang mache,<br />

verhungere ich in <strong>die</strong>ser Wohlstandsgesellschaft.“ Er war jetzt richtig emotionell geworden.<br />

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„Aber vielleicht ist es schon recht so, Wolfgang!“ Er nickte dabei nachdenklich mit dem Kopf.<br />

„Ohne Fleiß <strong>und</strong> Schweiß kein Preis! Aus Österreich wäre nichts geworden, wenn <strong>die</strong> Mehrheit<br />

sich nur Gedanken über <strong>die</strong> bessere Ausnützung des Sozialsystems gemacht hätte.“<br />

Doch trotz alledem hatten sie an <strong>die</strong>sem Wochenende auch Glück. Hätten sie <strong>die</strong>se Nacht<br />

<strong>von</strong> Samstag auf Sonntag unter der Reichsbrücke verbracht, es wäre sicher noch<br />

wesentlich unangenehmer geworden, denn <strong>die</strong>se stürzte an jenem Sonntag, den 1. August,<br />

gegen 4.43 ein.<br />

*<br />

Ein Außenstehender wird sich kaum vorstellen können, wie lange so ein Wochenende für einen<br />

Arbeits- <strong>und</strong> Unterkunftlosen sein kann. Und wahrlich, als an <strong>die</strong>sem ersten Sonntag im<br />

August, gegen 17.30 Uhr, <strong>die</strong> ersten Zeitungskolporteure vor dem Gebäude des Wiener<br />

Südbahnhofs auftauchten, nahmen <strong>die</strong> beiden es mit großer Erleichterung zur Kenntnis. Mit<br />

sehr viel Zuversicht <strong>und</strong> Optimismus stu<strong>die</strong>rten sie <strong>die</strong> Arbeitsannoncen in den Abendausgaben<br />

diverser Tageszeitungen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sensationsberichte über den Reichsbrückeneinsturz.<br />

Es war etwa 22 Uhr, sie saßen auf einer Parkbank im Bahnhofspark <strong>und</strong> diskutierten. „Ich<br />

denke, es wird bald regnen!“, sagte Hans, nachdem er einen kurzen Blick auf den düsteren<br />

Himmel geworfen hatte. Eilig suchten sie im Gebäude des Südbahnhofs Schutz. „Was machen<br />

wir jetzt? Wir können doch hier nicht übernachten!“, meinte Hans recht nervös. „Hier nicht,<br />

aber komm!“, entgegnete Wolfgang. Sie eilten zum Wiedner Gürtel <strong>und</strong> gingen einige<br />

Häuserblocks in Richtung Südtiroler Platz. Und als es kräftig zu schütten begann, hielten sie<br />

ihre - in den letzten Tagen weit gewordenen - Hosen am B<strong>und</strong> <strong>und</strong> rannten zum nächstbesten<br />

Hauseingang mit Gegensprechanlage. Wolfgang stu<strong>die</strong>rte kurz <strong>die</strong> Namensliste auf der<br />

Gegensprechanlage <strong>und</strong> drückte auf einen Knopf. „Ja, wer ist da?“, krächzte es aus dem<br />

Lautsprecher. „Hier ist Maier, können Sie bitte öffnen, ich muß zu Herrn Schwegler!“<br />

Wolfgangs rechter Zeigefinger zeigte dabei auf das Namensschild <strong>die</strong>ser Hauspartei. „Ich kann<br />

nämlich nicht bei ihm anläuten, da seine Gegensprechanlage kaputt ist!“ „Schwegler?“,<br />

entgegnete <strong>die</strong> Stimme nachdenklich. „Den Namen Schwegler gibt es bei uns nicht!“ Wolfgang<br />

warf sofort einen Blick auf das Namensschild. „Stiege 2 dritter Stock, Tür 24, wenn Sie so nett<br />

wären <strong>und</strong> ihm mitteilen, daß Herr Maier auf ihn wartet!“, sagte Wolfgang selbstsicher. „Na<br />

gut, wenn das so ist!“, ließ sich der Bewohner überzeugen. Der Türöffner summte, Wolfgang<br />

drückte <strong>die</strong> Tür mit einem Blick des Triumphes auf. Hans fühlte sich dabei wie ein<br />

Einschleich<strong>die</strong>b. Sie gingen in das oberste Stockwerk <strong>und</strong> legten sich auf den Gangboden vor<br />

den letzten beiden Wohnungen, wobei sie deren Fußabstreifer als Kopfpolster verwendeten.<br />

Wolfgang, der schon wesentlich abgebrühter war, schlief relativ rasch ein. Hans wiederum<br />

horchte auf jedes verdächtige Geräusch. Und wenn das Ganglicht eingeschaltet wurde, begann<br />

das große Zittern - kommt er, kommt er nicht? Wild pochte sein Herz, als einer der Bewohner<br />

bis zum vorletzten Stockwerk hochkam. Sogar den Schatten sah er schon <strong>und</strong> sann auf alle nur<br />

möglichen Ausreden.<br />

Bevor er schließlich auch einschlief, dachte er an Monika. Mein Gott, jetzt ist es genau eine<br />

Woche her, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Nie hätte ich mir träumen lassen, daß ich<br />

eines Tages so tief in den Abgr<strong>und</strong> stürzen würde. Jetzt bin ich ein Obdachloser, der, vom<br />

Hunger geplagt, illegal in einem privaten Wohnhaus Schutz vor dem Unwetter sucht.<br />

In dem Gang des privaten Wohnhauses wachte zuerst Hans auf. Es ist Montag, <strong>und</strong> man hat<br />

uns <strong>die</strong> ganze Nacht über nicht entdeckt, waren seine ersten Gedanken. Zufrieden darüber legte<br />

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er <strong>die</strong> Fußmatte zur Wohnungstür. „Los, aufstehen, Wolfgang!“, flüsterte er ganz leise. „Was<br />

ist denn?“, schimpfte <strong>die</strong>ser laut <strong>und</strong> schlaftrunken vor sich hin. „Schrei nicht so, sonst bemerkt<br />

uns noch jemand!“ „Ach, das hätte ich ja fast vergessen. Wir haben heute in einem Hotel<br />

geschlafen!“, entgegnete er, wobei er lässig gähnte.<br />

Obwohl beide an <strong>die</strong>sem Montag mit aller Kraft versuchten, einen Arbeitsplatz zu bekommen,<br />

lief alles schief. Es war wie verhext, es wollte einfach nicht klappen. Schuld daran war natürlich<br />

auch der Umstand, daß sie keine legale Unterkunft besaßen. Bei dem wenigen Geld, das sie<br />

noch hatten, mußte noch eiserner gespart werden. Der Durst wurde schon seit dem<br />

Wochenende mit gewöhnlichem Trinkwasser gelöscht, der Hunger mit Zigaretten unterdrückt,<br />

das kam billiger <strong>und</strong> verschaffte zudem Ablenkung.<br />

*<br />

Doch am Mittwoch - in der zweiten Woche ihres abenteuerlichen Neubeginns - hatten sie<br />

gleich bei der ersten Firma Glück. Bei der Aufnahme wußten sie nicht, ob sie vor Freude<br />

lachen oder weinen sollten. Man fühlte sich wieder als Mensch. „Eine Arbeit, Wolfgang, <strong>und</strong><br />

eine Unterkunft will er uns auch noch besorgen!“, sagte Hans mit strahlenden Augen noch im<br />

Personalbüro. „Habe ich dir doch immer gesagt, Hanse. In Wien kriegst eine Arbeit!“,<br />

entgegnete Wolfgang vor Freude lachend. „Jetzt geht’s aufwärts, Hanse! Du wirst sehen, es<br />

wird super!“ Als der Chef mit einem Zettel in der Hand aus dem Büro kam <strong>und</strong> meinte, daß er<br />

auch schon eine Unterkunft habe, da waren <strong>die</strong> Entbehrungen der letzten Tage vergessen. So<br />

ganz vorsichtig meinte Wolfgang: „Ich hätte noch eine Frage!“ „Ja, bitte?“ „Könnten wir<br />

unangemeldet arbeiten?“ „Sie meinen schwarz!“ „Ja!“ „Darüber können wir reden!“, meinte der<br />

Boß.<br />

Etwa eine halbe St<strong>und</strong>e später standen sie mit firmeneigener Arbeitskleidung in einer<br />

Altbauwohnung <strong>und</strong> lösten <strong>die</strong> Tapeten <strong>von</strong> den Wänden. Hans fungierte dabei als Helfer,<br />

außerdem war es für ihn etwas ganz Neues. Aber was soll es, im Leben muß man eben lernen,<br />

dachte er. Er befolgte strikt <strong>die</strong> Anweisungen <strong>von</strong> Wolfgang, schließlich sollte nach Feierabend<br />

der Boß mit ihrer Leistung mehr als zufrieden sein.<br />

Obwohl der Magen wie ein Tiger knurrte <strong>und</strong> <strong>die</strong> Finger zu zittern begannen, gab es kein<br />

Mittagessen. Dafür reichte das Geld nicht mehr.<br />

Am Abend brachte sie der Chef in <strong>die</strong> neue Unterkunft in der Lindengasse im 7. Bezirk. Es war<br />

eine große, teilmöblierte Wohnung der Kategorie C, also ohne Bad <strong>und</strong> mit WC am Gang. Es<br />

gab zwei getrennte Betten, aber kein Bettzeug. <strong>Die</strong>s war auch egal. Obwohl der Hunger ihnen<br />

schon stark zu schaffen machte - es war, als würden <strong>die</strong> Nerven unkontrolliert im Körper<br />

arbeiten -, übertrumpfte das Gefühl des Erfolges einfach alles. „Jetzt wär es toll, wenn wir<br />

feiern könnten!“, sagte Wolfgang <strong>und</strong> hopste wie ein Kind in horizontaler Lage in dem Bett,<br />

das er für sich ausgesucht hatte. „Ja, wenn wir Geld dafür hätten!“ „Ich denke, übermorgen<br />

wird er mit der Kohle schon rausrücken, Hanse!“ „Hoffentlich!“ „Morgen können wir ihn noch<br />

nicht um Vorschuß bitten, das wär nicht klug!“<br />

Freitag, zweite Woche in Wien. Am Nachmittag beschlossen <strong>die</strong> beiden, nicht Frühschluß zu<br />

machen, sondern einen Zahn zuzulegen, um zu ver<strong>die</strong>nen. Der Boß der Maler- <strong>und</strong><br />

Tapeziererfirma war mit ihrer Leistung mehr als zufrieden. <strong>Die</strong>s nützte Wolfgang natürlich<br />

sofort aus. „Herr Chef, könnten wir einen Gehaltsvorschuß haben?“ Der Boß sah ihn fragend<br />

<strong>und</strong> zugleich erstaunt an. Wortlos ging er zu Hans, der den Plafond im Nebenraum schabte <strong>und</strong><br />

sah ihm aufmerksam bei der Arbeit zu. Wolfgang war ihm nachgekommen, um so Druck in<br />

bezug auf <strong>die</strong> ausständige Antwort zu machen, oder auch, um etwaige Beschwerden<br />

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entgegenzunehmen. Der Boß nickte zufrieden. „Ja, wenn ihr unbedingt Geld braucht! Aber ich<br />

kann euch nur bis zum heutigen Tage ausbezahlen!“ „Ja, mehr brauchen wir auch nicht!“,<br />

entgegnete Wolfgang zufrieden. <strong>Die</strong> beiden arbeiteten bis 20 Uhr. Es hatte sich jedenfalls<br />

ausgezahlt, 1000 Schilling bekam Wolfgang <strong>und</strong> 800 Schilling Hans.<br />

Frisch gewaschen <strong>und</strong> halbwegs ordentlich gekleidet, betraten sie gegen 21 Uhr den<br />

Wienerwald, ein Restaurant in der Westbahnstraße, Ecke Hermanngasse, unweit ihrer<br />

Unterkunft. Das war vielleicht ein Augenblick, als <strong>die</strong> Kellnerin nach dem Krügel Bier das<br />

Wiener Schnitzel mit Salat servierte. <strong>Die</strong> beiden wußten gar nicht, wie sie vor Hunger <strong>und</strong><br />

Aufregung zu essen beginnen sollten. Seit Tagen mußten sie beim Gehen <strong>die</strong> Hände in den<br />

Hosentaschen haben, um so das Runterrutschen der durch den starken Gewichtsverlust<br />

weitgewordenen Hosen zu verhindern. „Jetzt müssen wir aber stark nachholen, sonst können<br />

wir uns Hosenträger kaufen, Wolfgang!“ <strong>Die</strong>ser lachte begeistert. „Aber recht hast schon,<br />

Hanse! Beim Gehen rutscht mir immer <strong>die</strong> Hose runter!“ „Jaja, daß wir das auch einmal<br />

erleben durften!“, meinte Hans schelmisch grinsend.<br />

„Hat’s geschmeckt?“, fragte <strong>die</strong> Kellnerin <strong>und</strong> räumte <strong>die</strong> leeren Teller vom Tisch. „Ja, so gut,<br />

daß wir noch eine Portion essen!“, entgegnete Wolfgang. „Was? Wollen Sie vielleicht wirklich<br />

noch einmal so eine riesige Portion?“, fragte sie ungläubig. „Natürlich, <strong>die</strong> Portion war doch<br />

gar nicht so groß!“, warf Hans mit einem spitzbübischen Lächeln ein. Mit großem Appetit aßen<br />

sie <strong>die</strong> zweite, noch größere Portion Wiener Schnitzel mit Salat bis zum letzten Brösel auf. <strong>Die</strong><br />

Kellnerin schien ihren Augen nicht zu trauen, sie besprach <strong>die</strong>s mit einigen Stammgästen, <strong>die</strong><br />

bei ihr an der Ausschank standen <strong>und</strong> neugierig zu den beiden gafften. „Aber jetzt haben Sie<br />

bestimmt schon genug, oder?“, meinte sie, als sie abservierte. „Aber wirklich nicht!“,<br />

entgegnete Wolfgang süffisant lächelnd, während er genüßlich auf seinen halbvollen Bauch<br />

klopfte. „Bringen Sie uns doch noch je eine Portion <strong>von</strong> derselben Sorte!“ Hans nickte dazu.<br />

„Hey! Was seid ihr für Pf<strong>und</strong>sburschen?“, rief einer der neugierigen Gäste erheitert. „Wenn ihr<br />

wirklich <strong>die</strong> dritte Portion verschlingt, dann bezahlen wir sie euch!“, meinte ein anderer.<br />

„Gilt!“, entgegnete Wolfgang zuversichtlich <strong>und</strong> prostete ihnen zu. Auch <strong>die</strong> dritte Portion<br />

wurde bis zum letzten Brösel verschlungen. Am liebsten hätten sie noch etwas dazu gegessen,<br />

doch <strong>die</strong>s hätte wohl nicht den feinen Tischmanieren entsprochen, oder? Danach feierten sie<br />

mit den Stammgästen <strong>und</strong> fühlten sich dabei wie zu Hause.<br />

Am darauf folgenden Tag, Samstag, begannen sie schon gegen 7 Uhr am Morgen mit der<br />

Arbeit. Sie arbeiteten bis 17 Uhr, erstens, weil sie nach Wien gekommen waren, um Geld zu<br />

ver<strong>die</strong>nen, <strong>und</strong> zweitens, weil es <strong>die</strong> K<strong>und</strong>in wünschte. Dafür gab’s <strong>von</strong> ihr noch einen<br />

Zuschlag. Danach ging’s ins städtische Bad im 7. Bezirk in der Hermanngasse, unweit ihrer<br />

Unterkunft, wo sie ausgiebig duschten, anschließend hinüber zu dem keine zwei Gehminuten<br />

entfernten Wienerwald-Restaurant, um <strong>die</strong> Kellnerin neuerlich zu schockieren.<br />

Später, gegen 21 Uhr, spazierten sie satt <strong>und</strong> gut gelaunt <strong>von</strong> der Westbahnstraße zur<br />

Neubaugasse in Richtung Mariahilfer Straße. Dabei fiel ihnen der Eingang der Diskothek<br />

„Kamera“ ins Blickfeld. „<strong>Die</strong> erste ist <strong>die</strong> beste!“, meinte Wolfgang. „Wenn du glaubst!“ Vor<br />

dem Eingang stand ein etwa 35jähriger Mann mit langen, zerzausten Haaren mit der Funktion<br />

eines Eintrittskartenverkäufers. Er machte einen extrem ungepflegten Eindruck, so, als wäre er<br />

eben erst <strong>von</strong> der Maschine gestiegen, mit der er kurz zuvor <strong>die</strong> Schallmauer durchbrochen<br />

hatte. Mißtrauisch begutachtete er <strong>die</strong> beiden, bevor er ihnen doch <strong>die</strong> Eintrittskarten zu je 35<br />

Schilling verkaufte. 35 Schilling, dachte Hans, das muß ja eine tolle Disco sein. Während sie<br />

den schlauchähnlichen Stiegenabgang, der steil nach unten führte, hinuntergingen <strong>und</strong> ihnen<br />

dabei der verdächtig süße Geruch <strong>von</strong> Haschisch <strong>und</strong> Marihuana in <strong>die</strong> Nase stieg, wußten sie,<br />

in welche Art <strong>von</strong> Disco sie da geraten waren. Hans war auf <strong>die</strong>sem Gebiet noch recht<br />

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unerfahren <strong>und</strong> hätte am liebsten umgedreht, da er mit dem Faktor Rauschgift nichts zu tun<br />

haben wollte. Doch <strong>die</strong> Neugier <strong>und</strong> Wolfgang mit seinem andauernden: „<strong>Die</strong> Hütt’n schaun<br />

wir uns an, Hanse!“, taten ein übriges. Unten angekommen gingen sie durch den schummrig<br />

beleuchteten Gang, an den links <strong>und</strong> rechts kleinere <strong>und</strong> größere Räume angrenzten, in denen<br />

sich anscheinend nur bestimmte Gruppen <strong>und</strong> Grüppchen trafen, um ihre seltsamen Gedanken<br />

<strong>und</strong> Vorstellungen im Drogenrausch auszutauschen. Erst am Ende des Ganges - in dem sie<br />

schon mit so manchem zwielichtigen Typen den Weg gekreuzt hatten - gelangten sie in den<br />

Tanzsaal mit eingebauter Bar <strong>und</strong> leistungsstarker Stereoanlage. Das Lokal war stark besucht.<br />

Von den neugierigen Teenagern bis zu den vom Suchtgift ausgemergelten Vierzigern war hier<br />

alles vertreten. Viele saßen im Stile eines Schamanen am Boden <strong>und</strong> bewegten <strong>die</strong> Hände<br />

beinahe schlaftrunken zu der für einen Laien völlig unverständlichen, aber sehr lauten Musik.<br />

Ohne viel Gerede tauschten sie an der Bar ihre Eintrittskarten gegen Cola. „Was sagst dazu?“,<br />

meinte Wolfgang interessiert <strong>und</strong> trank einen Schluck vom Cola. „Ich glaube, ich bin in einer<br />

anderen Welt! So interessenlose Typen hab ich noch nie gesehen!“, entgegnete Hans nicht<br />

gerade begeistert. „Das macht nichts, dafür werden wir einen Hasen abschleppen!“ „Aber<br />

wirklich nicht, dann kannst ja gleich mit einem Affen ins Bett gehen!“, entgegnete Hans. „Na<br />

gut, Hanse, dann gehn wir halt!“, gab Wolfgang klein bei.<br />

Sie gingen <strong>von</strong> der Neubaugasse über <strong>die</strong> Lindengasse zu einem Lokal in der Kirchengasse 21,<br />

das übrigens <strong>von</strong> Griechen betrieben wurde <strong>und</strong> damals ihr Stammlokal wurde, wo sie den<br />

angebrochenen Samstagabend doch noch recht locker <strong>und</strong> in angenehmer Atmosphäre<br />

verbrachten.<br />

*<br />

Am Sonntag nahmen sie an dem Frühschoppen teil, der in einem Restaurant eines<br />

Großkaufhauses im 7. Bezirk, Ecke Mariahilfer Straße/Kirchengasse, stattfand.<br />

Bei deftiger Volksmusik <strong>und</strong> Bier feierten sie den ersten angenehmen Sonntag in Wien. Hans<br />

rauchte eine Zigarette, trank vom Bier <strong>und</strong> dachte mit großer Sehnsucht an Monika. Was sie<br />

wohl jetzt tut, überlegte er, denkt sie an mich? „Was hast denn, Hanse?“, fragte Wolfgang,<br />

nachdem er bemerkt hatte, wie geistesabwesend Hans trotz der kräftig aufspielenden<br />

Musikkappelle war. „Ach nichts!“, entgegnete der <strong>und</strong> faßte sich rasch. „An was sollte ich<br />

denn denken?“ „Vielleicht an deine Fre<strong>und</strong>in!“, meinte Wolfgang trocken. „An meine<br />

Fre<strong>und</strong>in“, Hans lachte belustigt, als ob es einfach nicht schick gewesen wäre, eine<br />

sentimentale Phase zu erleben, „warum sollte ich an meine Fre<strong>und</strong>in denken?“ „Blöde Frage,<br />

du bist verliebt, <strong>und</strong> Verliebte denken nun einmal gerne an ihr Herzilein. Aber du wirst schon<br />

sehen, auch deine Fre<strong>und</strong>in ist nicht das Wahre. Frauen sind falsch!“ „So, du mußt schwer<br />

enttäuscht worden sein, ansonsten würdest du nicht so <strong>von</strong> den Mädels sprechen!“ „Du wirst<br />

schon noch sehen, Hanse! Eines Tages betrügt sie dich auch!“ „Na <strong>und</strong>, deswegen wird <strong>die</strong><br />

Welt für mich auch nicht untergehen, Wolfgang!“ „Hahaha, du tust nur so hart, Hanse. Dich<br />

möchte ich schon sehen, wenn es einmal wirklich passiert!“ „Mein Gott, andere Mütter haben<br />

auch schöne Töchter!“ Hans war jetzt ernst geworden <strong>und</strong> trank einen kräftigen Schluck vom<br />

Bier. „Und du denkst, daß das so einfach geht?“, entgegnete Wolfgang zynisch lächelnd. „Das<br />

glaub’ ich nicht nur, das würde ich ganz sicher tun!“, sagte Hans mit fester Überzeugung.<br />

„Schon wieder ein Lassiter, der <strong>die</strong> Liebe einfach abschütteln kann!“ „Ich bin bestimmt kein<br />

Lassiter, Wolfgang. Es ist einfach meine innere Einstellung!“ Wolfgang nahm einen kräftigen<br />

Lungenzug <strong>von</strong> seiner Zigarette <strong>und</strong> sah Hans mit vor Wut stechendem Blick an. „Ich ohrfeige<br />

solche Hurenweiber!“, meinte Wolfgang recht emotional. „Siehst du, das würde ich niemals<br />

tun, niemals!“<br />

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*<br />

„Was machen wir am Wochenende?“, fragte Wolfgang, als sie am darauffolgenden Donnerstag<br />

zur Arbeit fuhren. „Ich werde morgen nachmittag nach Hause fahren!“ „So, du fährst zu deiner<br />

Fre<strong>und</strong>in!“, meinte Wolfgang mit neckendem Unterton. „Klar, Wolfgang, sie muß doch wissen,<br />

daß es mich noch gibt, oder?“ „Ich bleibe auf jeden Fall in Wien. Hat doch keinen Sinn, hin <strong>und</strong><br />

her zu fahren. Aber was soll es, du wirst eines Tages schon selbst draufkommen!“ „Auf was<br />

draufkommen?“, fragte Hans neugierig. „Na, du wirst noch sehen, wieviel Geld das<br />

wöchentliche Pendeln Wien - Kärnten - Wien kostet!“ „Ach was, es ist doch nur eine Sache der<br />

Einteilung!“ „Wenn du glaubst, Hanse. Ich wünsche dir dabei viel Glück!“ „Danke, aber wir<br />

müssen jetzt aussteigen!“<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : A u g u s t<br />

D E R E R S T E B E S U C H A U S W I E N<br />

Freitag, 13. August. Drei Wochen waren nun vergangen, oder noch genauer 19 Tage, seit er<br />

mit 110 Schilling in der Tasche <strong>und</strong> festem Willen den ersten Schritt aus der elterlichen<br />

Versorgung gewagt hatte. Sicher, der Weg war recht abenteuerlich gewesen <strong>und</strong> hatte ihn<br />

zudem circa 12 Kilo an Körpergewicht gekostet. Er war 172 cm groß <strong>und</strong> hatte vor der<br />

Abreise 73 Kilo gewogen, jetzt waren es nur noch 61. Aber das war für ihn nebensächlich, er<br />

hatte viel gelernt, das zählte, <strong>und</strong> darauf war er mächtig stolz.<br />

Mit dem Bus fuhr er vom Klagenfurter Hauptbahnhof nach Föndach, ins landschaftlich<br />

w<strong>und</strong>erschöne Rosental. Monika hatte er <strong>von</strong> seiner Ankunft nicht verständigt, nein, es sollte<br />

eine Überraschung für sie werden. Als der Bus an der Haltestelle Föndach hielt, warf er einen<br />

Blick auf seine Armbanduhr - 19.30 Uhr. Auf dem Fußballplatz, welchen er <strong>von</strong> der Haltestelle<br />

einsehen konnte, eilten kleine Buben dem r<strong>und</strong>en Leder nach. Meine Fre<strong>und</strong>e werden schon<br />

gemütlich beim Siegfried in der Disco sitzen, dachte er <strong>und</strong> ging mit raschen Schritten zu<br />

seinem Elternhaus.<br />

Im Vorraum stellte er den Koffer ab, zog seine Hose, <strong>die</strong> ihm immer noch hinunterzurutschen<br />

drohte, hoch <strong>und</strong> öffnete leise <strong>die</strong> Wohnzimmertür. „Grüß dich, Hansi!“, rief seine Schwester<br />

Traudi erfreut, sie sprang auf <strong>und</strong> lief ihm freudig entgegen. „Wie geht’s?“, sagte er zum Spaß<br />

in Oberlehrermanier. „Mein Gott, wie siehst denn du aus?“, entgegnete sie <strong>und</strong> sah ihn<br />

erschrocken an. „Da ist ja nichts mehr dran! Hast lange nichts gegessen, was!“ „Ach, das sind<br />

eben <strong>die</strong> kleinen Anfangsschwierigkeiten!“, entgegnete er trocken <strong>und</strong> zog seine<br />

weitgewordene Hose wieder hoch. „<strong>Die</strong> Hose ist mir halt ein paar Nummern zu weit!“ „Komm<br />

setz dich zu Tisch, ich werde dir einen Kaffee <strong>und</strong> eine kräftige Jause bereiten!“, meinte <strong>die</strong><br />

kleine Schwester besorgt. Hans holte den Koffer <strong>und</strong> trug <strong>die</strong> Schmutzwäsche ins Bad. „Na, da<br />

wird sich Mutter aber freuen, wenn sie wieder etwas Arbeit bekommt!“ Traudi lächelte<br />

spöttisch. „Einen Schmarrn, <strong>die</strong> kannst gleich du waschen!“, entgegnete er belustigt. Sie sah<br />

ihn nachdenklich an. „Fährst wieder weg, oder bleibst hier?“ „Ich fahre am Sonntag wieder!“<br />

„Gut, dann wasche ich deine Wäsche!“ Das wird eine Beißzange, dachte er, während er in <strong>die</strong><br />

Wohnküche ging. „Gehst heute zu Monika?“ „Kluges Kind!“ Plötzlich öffnete jemand <strong>die</strong><br />

Eingangstür. „Man sehe <strong>und</strong> staune! Unser lieber George ist eingetroffen!“, rief Hans lachend.<br />

„Was, - du bist da!“, schrie George mit weit aufgerissenen Augen begeistert. „Ich wußte ja,<br />

daß du <strong>die</strong> Wette verlierst!“, fügte er noch zufrieden <strong>und</strong> siegessicher hinzu. „Lieber George“,<br />

meinte wiederum Hans betont lässig, „daß einer <strong>die</strong> Wette verlieren muß, liegt auf der Hand,<br />

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oder?“ „Klar, Hanse, einer hat immer das Bummerl! - Haha, haha!“, lachte er schadenfroh auf.<br />

Doch plötzlich hielt er inne. „Willst du vielleicht sagen, daß du nur auf Besuch hier bist?“ „So<br />

ist es, George, nur auf Besuch, weiter nichts!“ „Na, du bist vielleicht ein Hammer, läßt uns<br />

einfach allein. Ist keine vornehme Art!“ „Jaja, George, jetzt müßt ihr auch noch <strong>die</strong> Wette<br />

begleichen!“ „Aber Spaß beiseite“, sagte George, nachdem er Hans genauer betrachtet hatte,<br />

„gibt es in Wien nichts zu essen?“ „Ach was, George, ich bin einem Schlankheitsclub<br />

beigetreten!“, entgegnete Hans grinsend, um gleich bei der Jause, <strong>die</strong> seine Schwester<br />

zubereitet hatte, kräftig zuzulangen. „Trinkst auch einen Kaffee, George?“, fragte Traudi. „Ja,<br />

Traudi!“ „Was ist, George, borgst mir heute dein Moped?“ „Ja, aber nur, wenn du zu Monika<br />

fährst!“ Er lachte dabei auf, als ob er einen wahnsinnig komischen Spaß gemacht hätte. „Was<br />

hast denn sonst gedacht?“, entgegnete Hans trocken. „Na ja, nach drei Wochen! Ich wär<br />

wahrscheinlich schon nach einigen Tagen zu ihr gefahren!“ George lachte dabei wieder laut vor<br />

sich hin. „Du mußt erst einmal eine haben!“, warf Traudi spöttisch ein.<br />

Nach der Jause <strong>und</strong> dem Plausch setzte sich Hans auf <strong>die</strong> alte, wacklige Puch DS 50 <strong>von</strong><br />

George. Nach mehreren Startversuchen sprang der Zweitaktmotor nur halbherzig an. Eine<br />

riesige weiße Wolke hüllte Hans <strong>und</strong> das Moped ein. „Haha, haha, aber funktionieren tut es<br />

trotzdem mit dem überfetten Gemisch <strong>von</strong> der Motorsäge!“, sagte George, sichtlich zufrieden.<br />

Bei der ersten Tankstelle auf dem Weg nach Komannsdorf behob Hans mittels Auftanken<br />

<strong>die</strong>ses Manko, ansonsten hätte er das halbe Rosental eingenebelt.<br />

Während der Fahrt zu Monika gingen schon recht seltsame Gedanken durch seinen Kopf. Bin<br />

ich überhaupt noch willkommen, fragte er sich. Vielleicht ist sie gar nicht zu Hause. Immerhin<br />

ist es jetzt schon 20.30 Uhr, <strong>und</strong> sie könnte mit ihrem Bruder Werner unterwegs sein.<br />

Außerdem habe ich ihr nicht zukommen lassen, daß ich heute kommen werde. Wenn sie<br />

wenigstens ein Telefon hätten!<br />

Wenig später, als er im elterlichen Hofe anhielt, waren <strong>die</strong> Aufregung <strong>und</strong> sein Puls kräftig<br />

angestiegen. Tief bin ich gesunken, dachte er. Vor drei Wochen bin ich mit meinem BMW<br />

vorgefahren, <strong>und</strong> jetzt? Mit dem alten, klapprigen Moped <strong>von</strong> George. Aber das macht mir<br />

nichts aus! Man muß auch solche Schläge einstecken können. Und ich weiß, ich werde schon<br />

bald den Lebensstandard, den ich anstrebe, erreichen. Hans gab kräftig Gas <strong>und</strong> drückte auf <strong>die</strong><br />

Hupe, <strong>die</strong> entsprechend der Motordrehzahl wie ein ausgedörrter Frosch quakte. Jemand<br />

öffnete mit Bedacht <strong>die</strong> Eingangstür, Frau Glaser begutachtete den Fremdling, der etwa 80<br />

Meter <strong>von</strong> der Haustür entfernt im Hof stand, mit neugierigem Blick. „Ach, der Hansi!“, sagte<br />

sie begeistert lächelnd <strong>und</strong> ging in den Hof. „Guten Abend, Frau Glaser!“, sagte Hans <strong>und</strong><br />

stellte das Moped auf den Seitenständer. „Bist wieder zurückgekommen?“ Sie war zu ihm<br />

gekommen <strong>und</strong> schüttelte ihm freudig <strong>die</strong> Hand. Und überhaupt, Hans hatte zu den Eltern <strong>von</strong><br />

Monika einfach eine zwanglosere Beziehung als zu seinen eigenen - <strong>von</strong> Vater erst gar nicht zu<br />

sprechen. „Ja, aber nur für ein Wochenende. Am Sonntag fahre ich wieder nach Wien!“ „Hansi,<br />

Hansi, bist du es wirklich!“, rief plötzlich Monika, <strong>die</strong> <strong>die</strong> beiden vom Balkon im ersten Stock<br />

beobachtet hatte, voll Begeisterung. Mit Stolz sah Hans zu ihr hinauf. „Ja, Monika, ich bin<br />

es!“, entgegnete er strahlend vor Freude, <strong>und</strong> doch war er darauf bedacht, nicht alles <strong>von</strong><br />

seiner Gefühlswelt, <strong>die</strong> ihn vor Freude beinahe zu Tränen rührte, zu zeigen. „Abgenommen<br />

hast schon einiges!“, meinte Frau Glaser mit einem Blick der Anerkennung, während Monika<br />

vom Balkon verschwand, um zu Hans zu eilen. „Na ja, sind halt so <strong>die</strong> Anfangsschwierigkeiten<br />

gewesen!“ „Na, Nerven hast schon, einfach so fortgehen, ohne Geld, ohne Arbeit!“ „Man muß<br />

auch einiges riskieren, ansonsten kommt man zu nichts, Frau Glaser!“ Sie nickte zufrieden.<br />

„Kommst rein auf einen Kaffee?“ „Heute nicht, Frau Glaser! Heute muß ich mit Monika<br />

unbedingt zu meinen Fre<strong>und</strong>en, seien Sie mir nicht bös!“, entgegnete er entschuldigend. „Ja,<br />

kann ich verstehen, <strong>die</strong> Alten haben Zeit, <strong>die</strong> laufen eh nicht da<strong>von</strong>, oder?“ Sie lachte erheitert<br />

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auf. „Macht nichts, wir waren auch so!“ Da kam auch schon Monika aus dem Haus gerannt.<br />

Doch mitten auf der Strecke hielt sie inne, sah ihn erstaunt <strong>und</strong> zugleich fragend an, so, als ob<br />

mit dem Besuch <strong>von</strong> Hans etwas eingetreten wäre, das eigentlich nicht hätte sein dürfen. Mit<br />

fassungslos-freudigem Blick ging sie dann langsam zu ihm, während Frau Glaser mit großer<br />

Zufriedenheit im Hause verschwand, um das w<strong>und</strong>erschöne Wiedersehen der beiden nicht zu<br />

stören.<br />

Monikas Augen strahlten vor Glück. „Hallo!“, sagte sie <strong>und</strong> hielt den Gasgriff fest, als wollte<br />

sie sich überzeugen, daß er wirklich gekommen war. Hans startete den Motor, um <strong>die</strong><br />

tiefromantische Situation für einen kleinen Spaß zu nützen. Er gab ein paarmal kräftig Gas <strong>und</strong><br />

rief: „Hallo, Moni! Du siehst, ich bin da!“ „Hansi, Hansi!“, sagte sie mit einem enorm<br />

glücklichen Lächeln. Am liebsten hätte sie ihn umarmt, doch sie wußte, daß er <strong>von</strong> rührseligen<br />

Begrüßungs- oder Verabschiedungszeremonien nichts hielt. „Komm, Monika, steig auf mein<br />

heißes Eisen, wir fahren zu Sigi <strong>und</strong> gehen in <strong>die</strong> Disco!“ „Ja, gleich, Hansi!“ Sie hielt seine<br />

Hände, ihre Augen strahlten dabei vor Freude. „Ich geh’ nur schnell <strong>die</strong> Handtasche holen!“<br />

Eilig rannte sie ins Haus.<br />

„Mein Gott, du bestehst ja nur noch aus Haut <strong>und</strong> Knochen!“, meinte sie während der Fahrt<br />

nach Föndach <strong>und</strong> kitzelte ihn in der Nierengegend. „Und aus Liebe!“, entgegnete er lachend<br />

<strong>und</strong> fuhr mit dem Moped wie bei einem Riesentorlauf. „Paß doch auf, was fährst denn<br />

zusammen?“, sagte sie verängstigt <strong>und</strong> stellte sofort das Kitzeln ein. „Das war nur ein Produkt<br />

deiner Aktivitäten, Moni!“, entgegnete er liebevoll.<br />

Seine Eltern waren immer noch auswärts, das konnte er schon erkennen, als sie bei seinem<br />

Elternhause ankamen. Es berührte sie im Gr<strong>und</strong>e herzlich wenig, wichtig nach <strong>die</strong>ser<br />

Mopedfahrt war nur, sich für <strong>die</strong> Disco zurecht zu machen.<br />

Auf dem Weg zur nur wenige Gehminuten entfernten Disco meinte Monika stolz: „Du bist ein<br />

Teufel, Hansi! Das alles macht dir nichts, was?“ Sie legte dabei zärtlich ihre linke Hand über<br />

seinen Rücken auf seine linke Hüfte, wie es Verliebte eben gerne tun. „Zu essen hast jedenfalls<br />

nicht viel gehabt!“ „Ach geh, wie hast denn das erraten?“, entgegnete er erstaunt. Das hätte er<br />

besser nicht tun sollen, ein rascher Ruck, <strong>und</strong> seine Hose war bis zu den Knien hinunter<br />

gerutscht. „Auf eine dumme Frage folgt meist eine dumme Handlung!“, meinte sie im gewohnt<br />

neckischen Stil <strong>und</strong> lachte belustigt auf. „Ach, du bist ja verrückt!“, schrie er <strong>und</strong> zog seine<br />

Hose sofort wieder in <strong>die</strong> gebührende Position. „Hast noch immer Angst, daß dir <strong>die</strong> Leute<br />

was wegschauen könnten, was!“ Sie lachte <strong>und</strong> fügte dann noch süffisant hinzu: „Bist halt doch<br />

der Alte!“ „Mit der Trutsch’n mache ich was mit!“, sprach er leise vor sich hin. Beide lachten<br />

erheitert auf.<br />

Inzwischen hatte es sich schon herumgesprochen, daß Hans wieder im Lande war. George<br />

hatte es dem Kellner Siegfried erzählt, <strong>die</strong>ser wiederum konnte es kaum erwarten, sich mit<br />

Hans einige mehr oder weniger geistreiche Konversationsscharmützel zu liefern. Außerdem<br />

hatte er Susi <strong>und</strong> Karli auf den neuesten Stand der Gerüchteküche gebracht, <strong>die</strong> deshalb auch<br />

schon ungeduldig in der Disco auf Hans <strong>und</strong> Monika warteten.<br />

„Ain’t That A Shame“, <strong>die</strong>ser schwungvoll-lässige Hit <strong>von</strong> Fats Domino tönte gerade aus den<br />

Lautsprechern, als <strong>die</strong> beiden <strong>die</strong> Disco betraten. Wie üblich, so war auch <strong>die</strong>smal <strong>die</strong> Bude bis<br />

zum Rand mit Gästen gefüllt. <strong>Die</strong> Tanzfläche war extrem ausgelastet, <strong>und</strong> an der Bar standen<br />

<strong>die</strong> Machos aufgefädelt, um, wie auch aus anderen Discos bekannt, <strong>die</strong> Mädels mit<br />

Augenschmäh <strong>und</strong> g’spaßigen Sprüchen zu becircen. „Ach, <strong>die</strong> Familie <strong>Beschulnig</strong>!“, sagte Sigi<br />

betont locker, ihn vermochte der Trubel einfach nicht aus der Ruhe zu bringen. Dabei blies er<br />

den Rauch seiner Marlboro mit dem bekannt hintergründigen Grinsen aus dem M<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

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stellte zwei Cola-Rum auf <strong>die</strong> Bar. „Für euch!“ „Danke, Sigi!“ „Ich muß sagen, das ist<br />

vielleicht ein Empfang. Man kommt <strong>von</strong> einer anstrengenden Geschäftsreise, <strong>und</strong> schon<br />

verwöhnt einen der Ober der Stammdisco mit Gratisgetränken!“ Hans lächelte spitzbübisch<br />

<strong>und</strong> rauchte eine Marlboro an. „Na, gehört sich das vielleicht nicht?“, entgegnete Siegfried mit<br />

hochgezogenen Augenbrauen. „Aber ja doch, du bist Spitze!“, meinte Monika mit einem<br />

neckischen Blick für bedauernswerte Wesen. „Warte nur, du böses Kind!“, entgegnete<br />

Siegfried, wobei er ihr zum Spaß wie ein Oberlehrer drohend den Zeigefinger unter <strong>die</strong> Nase<br />

hielt. „Damit kannst mir nicht Angst machen, gib mir lieber Feuer!“, meinte sie trocken <strong>und</strong><br />

nahm ihre Zigarettenpackung aus der Handtasche. An der Bar gab es daraufhin belustigtes<br />

Lachen. „Hey, Hansi! Monika!“, rief Susi erfreut, während sie sich mit Karli durch <strong>die</strong><br />

tanzenden Paare einen Weg zur Bar freikämpfte. Musikalisch begleitet wurden sie dabei <strong>von</strong><br />

Creedence Clearwater Revival mit „Have You Ever Seen The Rain“. „Hallo, grüß euch!“, rief<br />

ihnen Hans entgegen. „Daß man euch auch wieder einmal sieht!“ <strong>Die</strong> vier begrüßten einander<br />

freudig. „Und was tust du jetzt?“, fragte Karli interessiert. „Bleibst hier bei uns, oder fährst<br />

wieder nach Wien?“ „Am Sonntag geht’s wieder ab nach Wien! Bin nur auf Kurzbesuch hier!“<br />

„Schade, war eine schöne Zeit mit euch!“, meinte Susi bedauernd. „Na, na, jetzt kannst mit<br />

dem Blumenstreuen schon aufhören!“, warf Kellner Siegfried spöttisch grinsend ein. „Halt <strong>die</strong><br />

Klappe, Serviertraktor!“, entgegnete sie nicht weniger provokant <strong>und</strong> begann laut zu lachen.<br />

„Sei schweig, sonst. . .“ „Aus, ihr Streithähne!“, fuhr Karli vorsichtshalber dazwischen. „Hat<br />

sich nichts geändert bei euch, was!“, meinte Hans schmunzelnd. „Nun, solange der<br />

Serviertraktor regelmäßig zum Service fährt, bleibt alles so!“, sagte Susi, <strong>die</strong>smal hatte sie es<br />

auf Sigi abgesehen. „Warum sagst du heute nichts, Monika? Das ist man <strong>von</strong> dir doch gar nicht<br />

gewohnt!“, meinte Sigi. „Was soll ich sagen, wenn ihr euch soviel zu sagen habt!“ Sie schob<br />

dabei ihr w<strong>und</strong>erschönes pechschwarzes Haar aus dem Gesicht. „Blödsinn!“, murmelte Sigi,<br />

hob sein Glas mit Cola-Rum <strong>und</strong> meinte auffordernd: „Kommt, stoßt an mit mir! Wir trinken<br />

auf Monika <strong>und</strong> Hansi! Prost!“ „Prost!“ „Na, könnt ihr mich nicht grüßen!“, rief George<br />

erbost. Er saß neben der Musikbox, <strong>die</strong> wie immer um <strong>die</strong>se Tageszeit auf vollen Touren lief.<br />

„Oh, Senior George, welche Ehre!“, sagte Hans mit überraschtem Gesichtsausdruck. „Jetzt<br />

wird er adelig!“, meinte George abwertend, griff nach dem halbvollen Bierglas <strong>und</strong> ging zur<br />

R<strong>und</strong>e an <strong>die</strong> Bar. „Na, Monika, wie geht’s?“, fragte er mit einem Gesichtsausdruck, der<br />

erkennen ließ, daß da sicher noch was im Talon war. „Gut, wer läßt denn fragen?“, entgegnete<br />

sie mit einem Blick, der zeigt, daß sie auf alle Dummheiten gefaßt war. „Ich dachte nur“,<br />

meinte George <strong>und</strong> stellte sein Bier auf <strong>die</strong> Bar. „Bei dir müßte doch der Sexnotstand<br />

eingetroffen sein!“ „Also“, entgegnete sie nicht gerade verlegen, „ich kann mich nicht<br />

beschweren, aber du siehst so selbstbefriedigt aus!“ Belustigtes Auflachen in der R<strong>und</strong>e.<br />

„Blödsinn!“, gab George verärgert <strong>von</strong> sich. „Du hast nur Stroh im Kopf!“ „Kann schon sein,<br />

George. Dafür hast du lauter Schwielen auf den Fingern!“ Das Lachen in der R<strong>und</strong>e wollte<br />

nicht verstummen. Monika sonnte sich in den begehrlichen Blicken der R<strong>und</strong>e, <strong>die</strong> ihre<br />

Schönheit, gepaart mit trockener, unkomplizierter Schlagfertigkeit, bejubelte. George hingegen<br />

sah Monika forsch an. „Bist eine schlagfertige Schlange!“ „Und du ein plumper Affe!“,<br />

entgegnete sie selbstbewußt, obwohl Hans auf das Moped <strong>von</strong> George angewiesen war. Alle<br />

lachten, <strong>die</strong> beiden hatten <strong>die</strong> Stimmung kräftig angeheizt. „Da hast noch ein Bier!“, sagte<br />

Siegfried <strong>und</strong> stellte eines vor George auf <strong>die</strong> Bar. „Das brauche ich jetzt, denn wenn ich<br />

Monika in meinem Blickfeld habe, muß ich darauf achten, daß <strong>die</strong> Promillegrenze nicht<br />

unterschritten wird!“ „So ist es, wenn man schöne Mädels haben möchte <strong>und</strong> genau weiß, daß<br />

man dazu nicht geeignet ist!“, warf Sigi süffisant ein. „Ach, du ausgestopfter italienischer<br />

Casanova! Du glaubst wohl auch, du könntest alle haben, was?“, entgegnete George stark<br />

verärgert. „Alle nicht“, konterte Sigi, wobei er seine Augenbrauen hochzog, „aber fast alle!“<br />

Hans <strong>und</strong> Monika prosteten sich zu <strong>und</strong> tranken den Rest des Cola-Rum aus. „Kommt zu uns<br />

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an den Tisch!“, sagte Susi <strong>und</strong> machte eine Handbewegung, <strong>die</strong> keine abschlägige Antwort<br />

zuließ.<br />

<strong>Die</strong> Musikbox ließ gerade durch eine flotte weibliche Stimme „Sacramento“ aufspielen.<br />

„Warum ist George nicht mitgekommen?“, fragte Hans besorgt, nachdem sie am Tisch Platz<br />

genommen hatten. „Ach, der streitet wieder mit Sigi!“, entgegnete Karli belustigt. „Na,<br />

Gewicht hast aber ganz schön verloren, bei deinem Abenteuer!“, sagte Susi. „Aber komm,<br />

erzähl uns dein mageres Geschichterl!“ Sie lachte dabei erheitert auf. Und Hans begann zu<br />

erzählen, wie man mit 110 Schilling in der Tasche <strong>und</strong> einem festen Willen auf <strong>die</strong> Reise geht,<br />

um im 350 Kilometer entfernten Wien mit Arbeitsplatz <strong>und</strong> Unterkunft Fuß zu fassen, ohne<br />

dabei irgendeine staatliche Sozialleistung, <strong>die</strong> er ohne<strong>die</strong>s nicht bekommen hätte, in Anspruch<br />

zu nehmen. Mit englischem Humor machte er aus dem beinharten Abenteuer eine<br />

Erlebniserzählung.<br />

„Hansi, ich bin glücklich, daß du wieder da bist!“, flüsterte ihm Monika zärtlich ins Ohr,<br />

während sie zu einem mit sehr viel Einfühlungsvermögen dargebrachten Lovehit, der auf den<br />

Wogen der Liebe schwebte, tanzten. „Ich bin auch sehr glücklich. Weißt du, daß du mir sehr<br />

gefehlt hast!“, entgegnete er liebevoll <strong>und</strong> strich mit seiner Rechten durch ihr schönes, dichtes,<br />

wildes Haar. Beide lächelten zufrieden. Langsam, beinahe feierlich, berührten sich ihre Lippen.<br />

„Hey, ihr da!“, rief plötzlich Siegfried forsch, während er hinter der Bar mit einem weißen<br />

Tuch ein Glas polierte. „Habt ihr keine Wohnung?“ „Schnauze, Serviertraktor!“, warf Susi, <strong>die</strong><br />

mit Karli tanzte, ein. „Hast eigentlich recht, zahlen!“, sagte Hans. „War ja nicht so gemeint.<br />

War doch nur ein Spaß!“, sagte Sigi entschuldigend. „Ja, das wissen wir ja. Aber wir haben uns<br />

noch soviel zu sagen!“, sagte Monika augenzwinkernd.<br />

Es war eine w<strong>und</strong>erschöne Sommernacht mit Millionen <strong>von</strong> Sternen am Himmelszelt. <strong>Die</strong><br />

Grillen zirpten, einfach eine tolle Atmosphäre für Verliebte. Gut gelaunt gingen Hans <strong>und</strong><br />

Monika zu seinem Elternhaus. „Hans, ich bin so glücklich!“, meinte sie auf halbem Wege.<br />

„Maschine halt!“, rief Hans. <strong>Die</strong> beiden küßten einander leidenschaftlich. „Sollte es Gott oder<br />

das Schicksal geben, so bedanke ich mich. Denn es ist für mich ein W<strong>und</strong>er, so ein Mädel wie<br />

dich erleben zu dürfen!“ <strong>Die</strong> beiden versanken in tiefer Leidenschaft, erst ein vorbeifahrendes<br />

Auto ließ sie verdutzt zum glitzernden Sternenzelt aufschauen. „Na, Monika“, sagte er<br />

schelmisch lächelnd, „gehen wir nach Hause, sonst ruft uns noch <strong>die</strong> grüne Wiese!“ „Unter der<br />

Zwetschken-Liese!“, entgegnete sie, wobei sie glücklich lächelnd den Kopf schüttelte.<br />

Bruder Heinzi ging seit Jahresmitte in <strong>die</strong> Koch-Kellner-Lehre. Er hatte ein eigenes Zimmer in<br />

seinem Lehrbetrieb, um Überst<strong>und</strong>en leisten <strong>und</strong> dort zu später St<strong>und</strong>’ übernachten zu können.<br />

So war es auch <strong>die</strong>smal, nur deswegen konnte Hans sein Zimmer im elterlichen Haus, das er<br />

ansonsten mit seinem Bruder teilte, ungestört mit Monika aufsuchen.<br />

Um der w<strong>und</strong>ervollen Stimmung den rechten musikalischen Hintergr<strong>und</strong> zu verleihen, startete<br />

Hans den Kassettenrecorder mit Schlagern wie: „Wenn ein Schiff vorüberfährt“, „Mein Schatz,<br />

du bist ’ne Wucht“, „Bianca“, „Jeder Weg hat mal ein Ende“, „Es fährt ein Zug nach<br />

Nirgendwo“ <strong>und</strong> viele andere, <strong>die</strong> der Liebe <strong>und</strong> Sehnsucht <strong>von</strong> Verliebten mehr als nur<br />

gerecht werden. Bei <strong>die</strong>ser liebevollen Untermalung verschmolzen ihre Körper <strong>und</strong> ihre Seelen<br />

zu einer unbeschreiblich schönen Einheit, <strong>die</strong> nur Liebespaare erleben dürfen, <strong>die</strong> für einander<br />

bestimmt sind.<br />

Danach küßten <strong>und</strong> streichelten sie sich. Es war für beide w<strong>und</strong>erschön. So, als ob es ein<br />

Geschenk des Himmels gewesen wäre, <strong>von</strong> dem sie jede Minute, ja jede Sek<strong>und</strong>e bis zum<br />

Letzten voll ausnutzten. „Hansi!“, sagte Monika. „Immer wenn ich an dich denke -.“ Sie hielt<br />

inne. „Ich weiß nicht, ob ich’s überhaupt sagen soll! Es ist so ein schönes Gefühl, so wie ein<br />

Traum. Ja, <strong>und</strong> ich habe Angst, ich könnte aufwachen <strong>und</strong> das alles könnte vorbei sein! <strong>Die</strong>se<br />

schönen Erlebnisse mit dir könnten nur noch Erinnerung sein!“ Sie lagen auf seinem Bett,<br />

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küßten <strong>und</strong> streichelten einander. „Sag“, meinte sie weiters <strong>und</strong> sah ihm tief in <strong>die</strong> Augen, „in<br />

Wien gibt es doch auch hübsche Mädels, oder?“ „Überall gibt es schöne Mädchen!“,<br />

entgegnete er liebevoll. Es gefiel ihm, daß sie eifersüchtig geworden war. „Weißt du, Hansi, ich<br />

habe mir schon so Gedanken gemacht!“ „So, über was denn?“ „Na, vielleicht lernst du eines<br />

Tages in Wien ein Mädchen kennen, das dir genauso gefällt wie ich?“ Sie sah ihn mit ihren<br />

schönen, großen Rehaugen fragend an. „Nein!“, antwortete er mit tiefer Überzeugung <strong>und</strong><br />

streichelte zärtlich durch ihr dichtes Haar. „Oh, Hansi, ich mache mir täglich Sorgen über<br />

unsere Zukunft. Jetzt warst du drei Wochen weg, das nächste Mal bleibst du vier Wochen <strong>und</strong><br />

eines Tages kommst du vielleicht nicht mehr!“ In ihrer Stimme lag tiefe Traurigkeit. „Moni,<br />

das nächstemal komme ich in vierzehn Tagen!“ Er gab ihr einen zärtlichen Kuß auf <strong>die</strong> Wange.<br />

„Ja!“ Sie lächelte begeistert <strong>und</strong> streichelte durch sein volles Haar. „Dann habe ich dich<br />

wenigstens alle vierzehn Tage! Ich freue mich schon darauf!“ Sie hielt inne <strong>und</strong> sah ihn<br />

nachdenklich an. „Ja, ich werde nach der Arbeit nach Hause gehen <strong>und</strong> nur noch auf dich<br />

warten!“ Sie machte eine kleine Pause, so als suchte sie nach den rechten Worten. „Ja, ich<br />

werde auch mit meinem Bruder <strong>und</strong> den Fre<strong>und</strong>en nicht mehr ausgehen. Ich werde nach der<br />

Arbeit nach Hause gehen <strong>und</strong> nicht mehr ausgehen, nur noch auf dich warten!“ „Was sagst<br />

denn da!“, sagte Hans erstaunt. „Ja, du hast schon richtig gehört, ich gehe nirgendwohin ohne<br />

dich, außer zu meiner Lehrfirma!“ Sie lächelte glücklich, wobei sie sich an ihn kuschelte. Es<br />

war, als wollte sie mit <strong>die</strong>sem Entschluß künftige Ereignisse beeinflußen oder ändern. „Nein,<br />

Monika das ist doch Blödsinn, weshalb sollst du ein Nonnendasein führen?“ Er hielt inne <strong>und</strong><br />

dachte nach. Der Vorschlag <strong>von</strong> ihr war bei ihm sehr gut angekommen. Und es machte ihn<br />

stolz, daß er für sie das Leben war - sie war es auch für ihn. Doch er wollte nicht, daß sie als<br />

lebenslustiger Mensch am Leben vorbeigehen sollte. Es kamen ihm dabei seine Eltern in den<br />

Sinn, <strong>die</strong> sich öfter beklagt hatten, daß sie ihre Jugend nicht ausleben hätten können, daß das<br />

Leben, wegen ihrer frühen Ehe <strong>und</strong> den <strong>Kinder</strong>n, einfach vorübergegangen war. <strong>Die</strong>se Aussage<br />

seiner Eltern hatten ihn tief berührt. Ja, unbewußt fühlte er sich sogar schuldig, daß seine<br />

Eltern <strong>und</strong> im besonderen seine Mutter ihre frühe Jugend für ihn opfern mußten. Hans liebte<br />

Monika <strong>von</strong> ganzem Herzen, <strong>und</strong> ihr Angebot war sehr schmeichelhaft. Doch er wollte nicht,<br />

daß sie vielleicht eines Tages <strong>die</strong>sen Schritt - wie seine Mutter im tiefen Inneren - in Frage<br />

stellen könnte. An Monika sollte das Leben nicht vorübergehen. „Aber ich möchte es gerne für<br />

dich tun!“ „Aber ich will es nicht!“, entgegnete er beinahe schon erbost. „Ich will nicht, daß du<br />

dich <strong>von</strong> deiner Clique in Komannsdorf abkapselst. Dich <strong>von</strong> deinen Fre<strong>und</strong>en zurückziehst -<br />

nur wegen mir! Nein, das darfst du nicht machen!“ „So, du willst also, daß ich ausgehe. Du<br />

willst, daß ich mich amüsiere, während du in Wien arbeitest?“, meinte sie mit maßloser<br />

Enttäuschung. „Wer sagt, daß ich arbeite. Vielleicht amüsiere ich mich genauso!“ „Du nicht,<br />

du wirst arbeiten, ich weiß es!“ „Ach ja, du weißt schon wieder alles, Monika!“ Er nahm seine<br />

Zigarettenpackung vom Nachtkästchen <strong>und</strong> rauchte zwei an. „Da, nimm den Glimmstengl,<br />

damit wir noch ernster miteinander reden können!“ Beide lächelten. „Hansi, du mußt mich ab<br />

<strong>und</strong> zu besuchen!“, sagte sie, nachdem sie kräftig an ihrer Zigarette gezogen hatte. „Jaja, werd<br />

ich machen!“, entgegnete er belustigt. „Aber ich weiß, du wirst auf andere hören <strong>und</strong> nicht<br />

mehr kommen!“ „Jaja, so wie du schon einmal gesagt hast, daß ich gehen <strong>und</strong> nicht mehr<br />

kommen werde. Nur jetzt bin ich trotzdem da, was sagst jetzt?“ Sie sah ihn fragend an, wich<br />

jedoch einer Antwort aus. „Ich möchte, daß du mich als erste benachrichtigst, wenn du <strong>von</strong><br />

Wien kommst!“ „Dein Wunsch ist mir Befehl!“, entgegnete er lächelnd. Sie umarmten sich<br />

glücklich. „So, aber jetzt schlafen wir, wenn wir ausgeraucht haben!“ Sie fuhr erschrocken auf.<br />

„Nein, Hans! Hier schlafe ich nicht, ich muß nach Hause! Ich hab doch meinen Eltern nicht<br />

gesagt, daß ich bei dir schlafe!“ „<strong>Die</strong> wissen doch genau, wo du bist!“ „Trotzdem, ich schlafe<br />

nicht hier. Nicht unter dem Dach deines Vaters!“ Ihr Blick war sehr verärgert. Sie haßte seinen<br />

Vater, sie wollte ihm keine Gelegenheit geben, noch etwas an ihr auszusetzen. „Bist blöd<br />

geworden!“, meinte Hans verdutzt. Aus ihren Augen leuchtete das seltsam unergründliche<br />

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Schwarz. „Also gut, ich schlafe jetzt, <strong>und</strong> wenn du nach Hause willst, dann geh!“ Er drehte<br />

sich um, um einzuschlafen. „Ich gehe, selbst wenn ich allein <strong>und</strong> zu Fuß gehen muß! Unter<br />

<strong>die</strong>sem Dach schlafe ich keine Minute!“, sagte sie verärgert <strong>und</strong> stand auf. „Okay, du stures<br />

Weib! Bist ja bockiger als ich, <strong>und</strong> ich muß sagen, du gehst mir auf <strong>die</strong> Nerven!“ Er stand auf<br />

<strong>und</strong> zog sich wortlos an. „Ich bin nicht stur, Hansi. Aber ich darf in <strong>die</strong>sem Haus nicht<br />

schlafen, <strong>und</strong> ich kann es auch nicht! Ich hasse deinen Vater, er ist es, der ein Unglück<br />

heraufbeschwört. Ich mag ihn nicht, <strong>und</strong> er mag mich nicht. Er will nicht, daß wir beide<br />

zusammen sind!“ Sie hielt inne, ihr mystischer Gesichtsausdruck löste sich schnell. „Wir<br />

können es doch anders machen!“ Sie lächelte. „So, was können wir anders machen?“ „Du<br />

schläfst heute nacht bei mir!“ „Nein“, entgegnete er trocken, „wie du mir, so ich dir!“<br />

„Bei dir schlafen schon alle!“, sagte Hans, nachdem er zweieinhalb St<strong>und</strong>en nach Mitternacht<br />

auf dem Hof ihrer Eltern anhielt. „Ist ja auch schon spät genug!“ „Also bis morgen!“, sagte er<br />

<strong>und</strong> wollte schon fahren. „Warte noch ein wenig!“, meinte sie zärtlich <strong>und</strong> umarmte ihn. „Bleib<br />

doch bei mir, schlaf bei uns, Hansi!“ „Nein, Moni!“ „Seltsam, <strong>die</strong>se Antwort habe ich<br />

erwartet!“ Sie lächelte. „Komm morgen gegen 15 Uhr!“ „Okay, heute gegen 15 Uhr!“, sagte<br />

Hans, gab ihr noch einen Kuß <strong>und</strong> beobachtete, wie sie im Haus verschwand.<br />

Am Samstagmorgen saß Vater beim Frühstück, während Mutter <strong>die</strong> üblichen Putzarbeiten im<br />

Haushalt fortsetzte. „Wie ist es dem Buben ergangen?“, fragte er interessiert. „Ich weiß nicht,<br />

hab’ ihn selbst noch nicht zu Gesicht bekommen!“, entgegnete sie gleichgültig. „Schläft er<br />

noch?“, fragte Vater, während er ein Stück vom Marmeladebrot kaute. „Ja, ist wohl auch<br />

verständlich, nach drei Wochen das erstemal bei Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>in!“ „Na ja, er muß<br />

deshalb ja nicht gleich <strong>die</strong> ganze Nacht ausbleiben!“, meinte Vater mürrisch <strong>und</strong> trank vom<br />

Kaffee. „Du mußt auch immer etwas auszusetzen haben!“, sagte Mutter verärgert. „Nein, aber<br />

uns ist es nicht so gut ergangen. Stell dir vor, wir hätten nächtelang gefeiert. Was wäre wohl<br />

aus uns geworden?“ Er sah sie dabei erwartungsvoll an, als wartete er nur auf ihre<br />

Zustimmung. „Du kannst es doch nicht mit uns vergleichen. Als du mich kennengelernt hast,<br />

warst du immerhin schon 25. Du kannst mir doch nicht weismachen, daß du <strong>die</strong> Nächte bis<br />

dahin im Bettchen verbracht hast. Hansi ist 19, er hat noch Zeit, um sich <strong>die</strong> Hörnchen<br />

abzustoßen!“ „Trotzdem, was Hansi nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“ „Gut, das ist deine<br />

Meinung. Aber laß ihn wenigstens zum Wochenende mit deinen Weisheiten zufrieden,<br />

schließlich ist er auf Besuch hier!“ „Jaja, Mutter, war ja nur eine Feststellung!“<br />

„Morgen!“, grüßte Heinzi fre<strong>und</strong>lich. Er war eben erst mit dem Moped <strong>von</strong> seinem<br />

Lehrbetrieb, wo er übernachtet hatte, heimgekommen. „Morgen, Heinzi, willst mit mir<br />

wandern gehen?“, fragte Vater. „Nein, Vater, ich möchte heute mit Hans sprechen! Er muß mir<br />

<strong>die</strong> Neuigkeiten aus Wien schildern!“, entgegnete er spitzbübisch. „Kannst ja auch am Abend<br />

mit ihm darüber sprechen!“ „Nein, da ist er bestimmt bei Monika!“ „Gut, ich geh auf jeden Fall<br />

auf den Mittagskogel!“ „Morgen, allerseits!“, rief Traudi frisch <strong>und</strong> munter in <strong>die</strong> R<strong>und</strong>e.<br />

„Morgen, Traudi, gehst heute mit mir wandern?“, unternahm Vater den zweiten Anlauf. „Nein,<br />

Vater, ich bleib heute zu Haus. Ich hab mit Hansi noch ein Wörtchen zu reden!“, antwortete sie<br />

lächelnd, ging zum Herd <strong>und</strong> nahm ein Häferl Kaffee. „Laß Heinzi etwas Kaffee übrig!“, sagte<br />

Mutter. „Ja!“ „Sag, was hat Hansi dir erzählt?“, fragte Vater neugierig. „Ach nichts, er war<br />

gestern abend nur kurz hier. Er ist dann gleich zu seiner Fre<strong>und</strong>in gefahren!“, antwortete<br />

Traudi <strong>und</strong> servierte Heinzi ein Häferl Kaffee. „So, aber ich werde jetzt mal nachsehen, was<br />

der Schlingel macht!“, sagte sie <strong>und</strong> ging zu dem Zimmer der Buben. Leise öffnete sie <strong>die</strong> Tür<br />

<strong>und</strong> spähte vorsichtig zu dem Bett <strong>von</strong> Hans. <strong>Die</strong>ser schlief seelenruhig in einer recht<br />

komischen Lage. Vorsichtig schloß sie <strong>die</strong> Tür <strong>und</strong> ging in <strong>die</strong> Wohnküche. „Den Schlaf<br />

möchte ich haben!“, sagte sie schelmisch lächelnd. „Naja!“, murrte Vater, trank seinen Kaffee<br />

aus. „Ich gehe jetzt!“ Er nahm seine Wandersachen <strong>und</strong> ging.<br />

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„Hat er Arbeit?“, fragte Mutter interessiert. „Ja, du kennst ihn ja, oder?“, entgegnete <strong>die</strong><br />

dreizehnjährige Traudi stolz <strong>und</strong> trug ihr Frühstück zum Tisch. „Ich dachte mir nur, ist doch<br />

nicht einfach!“ „Ach, da mach ich mir bei Hansi keine Sorgen!“, meinte Traudi <strong>und</strong> winkte ab.<br />

Heinzi ging nach dem Frühstück zu seinen Fre<strong>und</strong>en im Ort.<br />

Gegen 11.30 Uhr kochten Mutter <strong>und</strong> Traudi das Mittagessen. „Traudi, bitte hol Hans zum<br />

Essen!“ „Ja, jetzt kann er was erleben!“, entgegnete sie lachend <strong>und</strong> eilte ins Bubenzimmer.<br />

„Aufstehen!“, rief sie. „Was, was ist denn los?“, sagte Hans <strong>und</strong> rieb sich schlaftrunken <strong>die</strong><br />

Augen. „Aufstehen, habe ich gesagt. Das Mittagessen steht schon auf dem Tisch!“ „Ach was,<br />

laß mich in Frieden, ich hab keinen Hunger!“, entgegnete er <strong>und</strong> drehte sich um, um weiter zu<br />

schlafen. „Nichts da!“, schrie seine kleine Schwester <strong>und</strong> zog <strong>die</strong> Bettdecke mit einem Ruck<br />

vom Bett. „Was denn, bist wohl verrückt geworden, was!“, knurrte er. „Nein, ich nicht, steh<br />

auf, du fauler Sack!“ Schließlich bequemte er sich doch murrend aus dem Bett. Zufrieden ging<br />

Traudi in <strong>die</strong> Wohnküche. „Kommt er?“ „Was hast denn gedacht, ich hab da so meine<br />

Methoden!“, entgegnete Traudi keck. <strong>Die</strong> hat es in sich, dachte Mutter <strong>und</strong> kostete <strong>die</strong> Suppe.<br />

Traumwandlerisch irrte Hans in seinem Zimmer umher, um sein Gewand, das er beim<br />

Schlafengehen in alle Windrichtungen verstreut hatte, zu suchen. „Hallo, wie geht’s dir?“,<br />

sagte er fre<strong>und</strong>lich zu seiner Mutter, als er endlich in <strong>die</strong> Wohnküche kam. „Grüß dich, Hansi,<br />

mir geht’s gut. Aber sag, wie geht es dir?“ „Wie immer!“, entgegnete er lächelnd <strong>und</strong> setzte<br />

sich zu Tisch. „Na ja, so gut dürfte es dir nicht ergangen sein!“, meinte sie, sie sah dabei auf <strong>die</strong><br />

weit gewordene Hose.<br />

Nach dem Mittagessen besuchte er Heino. „Hallo, Hanse, wie ist es dir ergangen?“, rief Heino<br />

erfreut. „Ganz gut, Heino, danke!“, entgegnete er lächelnd. „George war schon heute<br />

vormittag bei mir <strong>und</strong> hat mir <strong>von</strong> deinem Besuch erzählt. Schade, daß ich gestern nicht bei<br />

euch in der Disco war!“ Er lächelte zweideutig. „Warst wieder krank?“ „Was heißt! War halt<br />

wieder ein anstrengender Abend, vorgestern!“ <strong>Die</strong> beiden gingen zu Fritz. „Weißt du schon das<br />

Neueste?“, fragte Fritz nicht ohne Stolz, nachdem sie einander begrüßt hatten. „Nein!“ Heino<br />

schmunzelte belustigt vor sich hin. „Gut, dann komm mit!“ Er führte <strong>die</strong> beiden zur Garage<br />

<strong>und</strong> öffnete das Tor. „Das ist mein Auto!“, sagte er mit leuchtenden Augen <strong>und</strong> führte Hans<br />

seinen gepflegten Fiat 125 Spezial vor. „Von wem hast denn das Geld bekommen?“, fragte<br />

Hans mit großen Augen, während Heino schon auf dem Beifahrersitz saß <strong>und</strong> Musikkassetten<br />

spielte. „Paß auf, Heino, mach mir ja nichts kaputt!“, sagte Fritz nervös zu Heino <strong>und</strong> meinte<br />

weiters zu Hans: „Von Vater hab ich den Großteil geborgt!“ „Hm, so einen Vater hätt’ ich<br />

auch gern!“, entgegnete Hans bew<strong>und</strong>ernd. „Ist nicht schlecht!“, sagte Heino, der mittlerweile<br />

auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte <strong>und</strong> den Motor startete. „Laß das!“, schrie Fritz<br />

völlig außer sich. „Wenn das meine Eltern sehen!“ „Ach was, brauchst doch nicht gleich in <strong>die</strong><br />

Hosen machen!“, entgegnete Heino selbstsicher <strong>und</strong> drückte ein paarmal kräftig auf’s<br />

Gaspedal, wobei der hochtourige Motor, sehr zum Leidwesen <strong>von</strong> Fritz, kräftig aufheulte.<br />

„Ganz schön spritzig, das Kerlchen!“, meinte Heino schelmisch grinsend. „Ob der auch so<br />

anzieht?“ „Klar, Heino, wir machen gleich eine Probefahrt!“ Heino setzte sich auf den<br />

Beifahrersitz, Hans nahm hinten Platz, <strong>und</strong> Fritz fuhr langsam <strong>und</strong> besonders behutsam aus der<br />

Garage. „Nana, ist doch keine Zitrotorte!“, sagte Heino provozierend. Doch Fritz ließ sich<br />

da<strong>von</strong> nicht beeinflussen. Er fuhr langsam durch <strong>die</strong> Ortschaft, nur ab <strong>und</strong> zu spielte er mit dem<br />

Gas, um <strong>die</strong> beiden noch neugieriger zu machen. „Na, gib’s ihm schon!“, rief Heino, als sie auf<br />

<strong>die</strong> Hauptstraße einbogen. „Okay, Boß!“, entgegnete Fritz <strong>und</strong> raste los. Auf der langen<br />

Geraden schaffte der Fiat locker <strong>die</strong> 170 km/h Marke. „Fahren wir gleich zu Evi?“, fragte<br />

Heino <strong>und</strong> nahm eine Zigarette aus der Packung. „Klar, Heino, aber bitte nicht rauchen!“,<br />

entgegnete Fritz besorgt <strong>und</strong> setzte sich lässig <strong>die</strong> Sonnenbrille auf. „<strong>Die</strong> wird aber schau’n,<br />

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wenn sie mich sieht!“, meinte Hans. „Aber geh, <strong>die</strong> weiß doch schon, daß du da bist!“, meinte<br />

Heino, wobei er andauernd den schnellen Vorlauf beim Kassettenrecorder drückte.<br />

„Hallo, Boys!“, grüßte Evi fre<strong>und</strong>lich, während <strong>die</strong> drei im „Kleinen Cafe“ eintraten. <strong>Die</strong><br />

Musikbox spielte gerade „The Air That I Breathe“ <strong>von</strong> The Hollies. „Grüß dich, Mama!“, sagte<br />

Heino, rauchte endlich seine Zigarette an <strong>und</strong> setzte sich zur Bar. „Der Herr <strong>Beschulnig</strong>! Na so<br />

was, daß du auch wieder einmal im Land bist!“ „Grüß dich, Evi!“, sagte Hans fre<strong>und</strong>lich<br />

lächelnd. „Ein Bier?“ „Nein, danke, ein Cola, bitte!“ Hans war dann froh, daß nicht Wien,<br />

sondern das Auto <strong>von</strong> Fritz zum Gesprächsthema wurde.<br />

Später, so gegen 15 Uhr, fuhr Hans mit dem klapprigen Moped <strong>von</strong> George in den Hof der<br />

Familie Glaser ein. Monika ließ vor Freude alles liegen <strong>und</strong> stehen. „Hallo, Hansi!“, rief sie<br />

begeistert <strong>und</strong> lief ihm entgegen. „Wie bist du heute nach Hause gekommen?“ „Wie du siehst,<br />

es ist noch alles dran!“, entgegnete er lächelnd <strong>und</strong> stellte das Moped auf den Ständer.<br />

„Kommst rein auf einen Kaffee? Mutter hat schon einen zugestellt!“ „Na, dann wird mir wohl<br />

nichts übrig bleiben!“, entgegnete er schelmisch lächelnd. „Da ist er ja!“, sagte Frau Glaser<br />

zufrieden lächelnd, als <strong>die</strong> beiden in <strong>die</strong> Wohnküche kamen. „Tag, Frau Glaser!“ „Grüß dich,<br />

ich hoffe, du hast den stürmischen Abend gestern gut überstanden!“ Sie lächelte süffisant.<br />

„Nimm Platz. Worauf wartest du, sonst stehst dir noch <strong>die</strong> Beine in den Bauch!“ Es wurde ein<br />

netter Kaffeeplausch.<br />

Am Sonntag gegen 9 Uhr am Vormittag ratterte der Wecker recht fürchterlich. „Krampf, laß<br />

nach!“, schrie Hans zornig, während er <strong>die</strong> Stoptaste drückte. Mein Gott, ich bin doch mit<br />

Monika gegen 10 verabredet, fiel ihm ein. Er eilte ins Bad, um sich frisch zu machen. „Na, daß<br />

man dich auch einmal sieht!“, sagte Vater fre<strong>und</strong>lich, als Hans <strong>die</strong> Wohnküche betrat. Du hast<br />

mir noch gefehlt, dachte Hans, doch machte er gute Miene zum bösen Spiel <strong>und</strong> grüßte ihn<br />

fre<strong>und</strong>lich. „Wie ist es dir in Wien gegangen?“, fragte Vater <strong>und</strong> ging nervös in der Wohnküche<br />

auf <strong>und</strong> ab. „Ausgezeichnet, ausgezeichnet!“, entgegnete Hans emotionslos. „Könntest schon<br />

etwas fre<strong>und</strong>licher sein zu Vater!“, meinte Mutter <strong>und</strong> stellte einen Kaffee zu. Ach was, der<br />

kann mich mal, dachte Hans. „Und heute fährst wieder nach Wien?“ „Ja, mit dem 22-Uhr-<br />

Zug!“ „Dann kannst du dich nicht ausschlafen!“, sagte Vater in altbewährter Oberlehrermanier.<br />

„Klar kann ich schlafen!“, entgegnete Hans trotzig <strong>und</strong> gab ihm damit zu verstehen, daß er<br />

nichts mehr zu befehlen hatte. „Ich schlafe im Zug, ist doch angenehm, träumend nach Wien zu<br />

fahren, oder?“ „Ich weiß nicht“, entgegnete Vater nachdenklich, „ich bin nicht deiner Ansicht!“<br />

„Ich habe eben eine modernere Einstellung als du!“ Hans grinste dabei schelmisch. „Ist ja dein<br />

Problem. Ja, was soll es, es ist dein Problem!“, sagte Vater, runzelte seine Stirnfalten <strong>und</strong> rieb<br />

etwas verlegen <strong>die</strong> Nase, um sogleich wortlos <strong>die</strong> Wohnküche zu verlassen. „Hättest etwas<br />

fre<strong>und</strong>licher sein können, Hansi!“, meinte Mutter besorgt. „Ach, der kann mich mal. Ich<br />

brauch’ ihn nicht mehr, oder?“, entgegnete Hans siegessicher. „Vielleicht brauchst ihn doch<br />

noch einmal!“ „Nein, niemals!“, entgegnete Hans verächtlich <strong>und</strong> fügte gleich auch hinzu:<br />

„Eher gehe ich durch den ganzen Dreck <strong>die</strong>ser Welt!“ „Na ja, mach was du willst!“, murmelte<br />

Mutter leise vor sich hin.<br />

Das Moped <strong>von</strong> George hatte Hans an <strong>die</strong>sem nicht nur vom Wetter her schönen Wochenende<br />

bitter nötig gehabt. Eigentlich hatte er es schon konfisziert, denn gegen 10 Uhr fuhr er damit<br />

recht schneidig <strong>und</strong> gut gelaunt auf dem Hof <strong>von</strong> Monikas Eltern vor. Monika eilte mit ihrem<br />

unverfälscht glücklichen Lächeln zu ihm raus. „Hallo, wie geht’s dir?“, fragte sie stolz, wobei<br />

das Schneeweiß ihrer Zähne aus dem w<strong>und</strong>erschönen Schmollm<strong>und</strong> blitzte. „Servus, Fan! Hast<br />

Lust auf eine kleine Spazierfahrt mit meiner heißen Maschine?“ Er lächelte dabei spitzbübisch.<br />

„Na, dann los!“, entgegnete sie <strong>und</strong> nahm ohne viel Federlesens auf dem Sozius Platz.<br />

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Knatternd ging es auf den Feldweg entlang, der durch eine w<strong>und</strong>erschöne, hügelige<br />

Landschaft, umrandet <strong>von</strong> Wiesen, Wäldern <strong>und</strong> Feldern, hinunter zur Drau führt. Auf halbem<br />

Wege hielt er an. Sie setzten sich unter eine große Fichte, <strong>von</strong> wo aus sie den Ausblick auf<br />

einen Teil des Rosentales mit den südlichen Hausbergen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sonnenseite der Sattnitz<br />

genießen konnten. „<strong>Die</strong> kennen keinen Sonntag, was?“, sagte Hans, wobei er auf <strong>die</strong> Bienen<br />

wies, <strong>die</strong> sich eifrig an den Blüten der Wiesenblumen zu schaffen machten. „Nein, <strong>die</strong> nicht!“,<br />

entgegnete Monika gelassen. „Vielleicht wär das Leben für uns Menschen auch gerechter,<br />

wenn wir so wie <strong>die</strong>se Tierchen wären!“, meinte er nachdenklich. „Wie kommst denn darauf?“,<br />

fragte Monika erstaunt. „Na ja, <strong>die</strong> machen sich bestimmt keine Gedanken über den Sinn des<br />

Lebens. Sie wissen, was sie zu tun haben <strong>und</strong> sind damit bestimmt zufrieden!“ „Vielleicht hast<br />

recht, Hansi. Aber sie können auch nicht lachen oder scherzen!“ „Weißt du, Monika, ich<br />

denke, der Mensch ist eines der Gr<strong>und</strong>übel auf <strong>die</strong>ser schönen Welt!“ Er stocherte dabei<br />

nachdenklich mit einem alten Holzstück im weichen Boden. „Hansi, sieh doch da drüben, ein<br />

Feldhase!“, rief Monika, sie sprang begeistert auf <strong>und</strong> zeigte mit der Rechten zu dem Hasen,<br />

der, in sicherem Abstand, pflichtbewußt seinen Körper pflegte. „Den gibt es in Zukunft nur<br />

noch im Gehege!“ „Nein, so schlecht darfst du nicht <strong>von</strong> den Menschen denken!“, entgegnete<br />

sie optimistisch. „Komm, gehen wir weiter!“, sagte sie <strong>und</strong> nahm ihn bei der Hand. „Vielleicht<br />

gibt es da negative Erdstrahlen, <strong>die</strong> dich so pessimistisch machen!“ Beide lachten belustigt auf.<br />

„Auf <strong>die</strong> Menschheit bist nicht sehr stolz, was?“ Sie sah ihn fragend an. „Nein!“ „Aber wieso<br />

nicht?“ „Weil sie da<strong>von</strong> überzeugt ist, nur sie sei Gott ähnlich!“ „So, ich dachte, du glaubst an<br />

keinen Gott!“ Sie lächelte ihn dabei glücklich an. „Da schau her, <strong>die</strong> Trutsch’n stellt mir<br />

Fangfragen!“, meinte er mit dem ironischen Lächeln eines zur Erkenntnis gelangten<br />

Kommissars. Beide lachten. „Aber ich bleibe dabei, es gibt keinen Gott. Zumindest keinen, wie<br />

er uns in der christlichen Welt vorgespielt wird!“ „Es gibt also nichts, <strong>und</strong> du bleibst noch<br />

immer dabei?“ „Ja, aber das gibt dem Menschen noch immer kein Recht, <strong>die</strong> Tier- <strong>und</strong><br />

Pflanzenwelt derart egoistisch auszunutzen! Und du wirst mir doch recht geben, wenn ich sage,<br />

daß wir Menschen denselben Zellenaufbau wie <strong>die</strong> Tier- <strong>und</strong> Pflanzenwelt besitzen, oder?“ „Ja,<br />

aber du weichst meiner Frage aus!“ „Nein, ich weiche nicht aus. Ich will dir damit nur erklären,<br />

daß wir evolutionäre Geschwister sind. Wir sind zur Zeit das geistig am höchsten entwickelte<br />

Wesen auf <strong>die</strong>sem Planeten <strong>und</strong> haben als solches <strong>die</strong> Pflicht, <strong>die</strong> Tiere <strong>und</strong> Pflanzen zu achten,<br />

ja sie sogar zu schützen! Schau doch mal!“ Er zeigte dabei mit der rechten Hand auf <strong>die</strong><br />

Südseite der Sattnitz. „Vor zehn Jahren, als ich noch in <strong>die</strong> Volksschule ging, gab es da oben<br />

auf den Sonnenhängen nur vereinzelt <strong>und</strong> meist weit verstreut Häuser. Es waren alte<br />

Bauernhöfe <strong>und</strong> Keuschen. Heute sind dort, wo damals Kühe, Pferde <strong>und</strong> Schafe grasten,<br />

regelrechte Ortschaften aus dem fruchtbaren Boden gestampft worden!“ „Ja, aber wir<br />

profitieren doch auch <strong>von</strong> dem Wachstum, oder?“ „Was des einen Freud, des anderen Leid.<br />

Oder anders ausgedrückt, das wirtschaftliche Wachstum, das uns so wichtig <strong>und</strong> unerläßlich<br />

erscheint, bedeutet für <strong>die</strong> Tier- <strong>und</strong> Pflanzenwelt Stagnation. Der Mensch hat sich <strong>die</strong> Erde<br />

zum Untertan gemacht. Ich finde, das hätte er nicht tun sollen. Eines Tages wird uns <strong>die</strong><br />

Überbevölkerung <strong>und</strong> <strong>die</strong> katastrophale Zerstörung der Umwelt auf den Kopf fallen - es ist nur<br />

eine Frage der Zeit!“ „Ich bin auch deiner Meinung, aber vielleicht muß es so sein, Hansi!“<br />

„Wenn es sein muß, dann darf sich der Mensch eines Tages nicht w<strong>und</strong>ern, wenn er, wie <strong>die</strong><br />

Dinosaurier vor r<strong>und</strong> 60 Millionen Jahren, aus <strong>die</strong>ser Welt gedrängt wird!“ „Wenn es so weit<br />

ist, wird es uns doch nicht mehr geben, Hansi, oder?“ „Wahrscheinlich nicht, aber wir sind<br />

verantwortlich für <strong>die</strong>se kommende Katastrophe. Denn <strong>die</strong> Weichen dafür werden schon heute<br />

gestellt!“ „Was kann man dagegen tun?“ „Verzichten <strong>und</strong> was mir besonders wichtig erscheint,<br />

das globale Bevölkerungswachstum muß eingestellt werden. Aber dagegen spricht sich sogar<br />

der Papst aus. Macht nichts, <strong>die</strong> Rechnung wird der Mensch als solches begleichen müssen!“<br />

„Das ist mir jetzt auch wurscht. Komm, wer ist als erster unten bei der Drau!“, meinte sie guter<br />

Laune <strong>und</strong> startete einen Sprint, der sich sehen lassen konnte. Hans mußte sich dabei kräftig<br />

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anstrengen, um den Abstand zu ihr nicht größer werden zu lassen. <strong>Die</strong> beiden tollten am Ufer<br />

des Flusses herum wie kleine <strong>Kinder</strong>.<br />

Am Abend besuchten sie Martin im Lokal seiner Eltern. „Martin, du mußt mir deine<br />

Telefonnummer geben!“, sagte Hans nach einer längeren, aber recht gemütlichen Unterhaltung.<br />

„Hast doch eh, oder?“ „Nein, leider, <strong>die</strong> ist mir verloren gegangen!“ „Willst mich vielleicht <strong>von</strong><br />

Wien aus anrufen?“, meinte Martin belustigt, während er seine Telefonnummer auf einen<br />

Rechnungszettel kritzelte. „Ja, damit du mir Monika verständigst, <strong>die</strong> Glaser haben nämlich<br />

noch kein Telefon!“<br />

Der Abschied ist für Verliebte nicht einfach, auch wenn es wie bei Hans <strong>und</strong> Monika „nur“ für<br />

vierzehn Tage sein sollte. Sie fuhren mit dem Moped zu dem Bauernhof der Familie Glaser <strong>und</strong><br />

hörten gemeinsam in Monikas Schlafzimmer verträumte Liebeslieder. Es war eine tolle,<br />

wohlige Atmosphäre, gewürzt mit dem Damoklesschwert der bevorstehenden Abreise, was <strong>die</strong><br />

Zweisamkeit noch inniger werden ließ. „Du siehst, ich bin gekommen, deine Wahrsagerkünste<br />

kannst in den Mistkübel schmeißen!“, sagte Hans, nach einem länger andauernden<br />

Zärtlichkeitsaustausch, um Monikas Befürchtungen <strong>und</strong> Ängste zu schmälern. Sie sah ihn ernst<br />

an, schluckte betroffen <strong>und</strong> meinte: „Wart ab!“<br />

Monikas Mutter gab ihm beim Verlassen des Hauses ein Plastik-Einkaufssackerl, vollgefüllt<br />

mit Jausenwurst <strong>und</strong> Speck aus eigener Produktion. „Damit du in Wien nicht verhungerst!“,<br />

meinte sie stolz. Hans wollte dankend ablehnen, doch dann wäre sie tief beleidigt gewesen.<br />

„Also bis zum nächsten Mal, Moni!“, sagte er <strong>und</strong> gab ihr einen Kuß. „Hoffentlich, Hansi!“,<br />

meinte sie glücklich lächelnd <strong>und</strong> rieb zärtlich ihre schöne Nase an der seinen. Er startete das<br />

Moped <strong>und</strong> fuhr los in Richtung Föndach. „Bis zum nächsten Mal, Hansi!“, rief sie <strong>und</strong> warf<br />

ihm eine Kußhand nach.<br />

Es war mittlerweile schon 21.00 Uhr geworden. Hans mußte sich tummeln. Eilig packte er den<br />

Koffer mit sauberer Wäsche, um den 22.00-Uhr-Zug in Klagenfurt nicht zu versäumen.<br />

* * *<br />

1 9 7 8 : A u g u s t I I I . W o c h e<br />

M I T V O L L K R A F T ZU M ZW E I T E N J O B I N W I E N U N D D E R<br />

ZW E I T E B E S U C H I N K Ä R N T E N<br />

Schon während der Fahrt mit dem Zug - <strong>von</strong> dem Wochenendbesuch in Kärnten nach Wien -<br />

geisterten Hans so manche Gedanken durch den Kopf. Unter anderem auch der Job, der ihm<br />

einfach nicht lag. Jeden Tag den Hilfsarbeiter spielen, das war einfach nichts auf Dauer. Er<br />

nahm sich deshalb vor, sich so schnell wie möglich eine Arbeit zu besorgen, <strong>die</strong> ihn mehr<br />

fordern würde. Natürlich weihte er Wolfgang in sein Vorhaben ein. Er sollte nicht<br />

unvorbereitet getroffen werden. Wolfgang war für <strong>die</strong>se Idee nicht gerade Feuer <strong>und</strong> Flamme,<br />

doch Hans hatte seinen Entschluß gefaßt.<br />

Am vorletzten Samstag im August arbeiteten <strong>die</strong> beiden in einer Altbauwohnung mit WC auf<br />

dem Gang, wie es sie in Wien noch zu Zehntausenden gibt. Normalerweise hätten sie ja Freitag<br />

schon Frühschluß gehabt, doch <strong>die</strong> Finanzen mußten aufgebessert werden <strong>und</strong> ließen so keine<br />

Freizeit zu. Gegen 10 Uhr am Vormittag nutzte Hans <strong>die</strong> Zigarettenpause <strong>und</strong> kaufte beim<br />

nahen Kiosk eine Tageszeitung. Rasch eilte er zurück in <strong>die</strong> Wohnung <strong>und</strong> überflog<br />

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zigarettenrauchend den Arbeitsmarkt. „Da, da ist etwas!“, rief er plötzlich Wolfgang zu, der<br />

soeben den nächsten Arbeitsgang plante. „Was ist da?“, meinte Wolfgang leicht verw<strong>und</strong>ert.<br />

„<strong>Die</strong>se Stelle wär nicht schlecht, Tankwart mit Servicekenntnissen gesucht!“ „Ja, dann ruf<br />

rasch an, bevor sie dir ein anderer wegschnappt!“ Nichts war Hans in <strong>die</strong>sem Augenblick<br />

lieber. „Esso-Tankstelle, guten Tag!“, grüßte eine fre<strong>und</strong>liche Männerstimme, nachdem Hans<br />

<strong>die</strong> angegebene Nummer gewählt hatte. „Ja, guten Tag, <strong>Beschulnig</strong> mein Name. Ich rufe<br />

wegen der Stelle als Tankwart an!“ „Na, dann kommen Sie doch her!“ „Im Moment ist es mir<br />

unmöglich, da ich am Vormittag noch arbeiten muß. Aber am Nachmittag gegen 15 Uhr, ist es<br />

da noch möglich?“ „Tja, möglich wäre es schon!“, entgegnete <strong>die</strong> Stimme scherzend. „Wie alt<br />

sind Sie eigentlich?“ „Ich bin 19 <strong>und</strong> <strong>von</strong> Beruf Kfz-Mechaniker!“ „Ja, dann wär <strong>die</strong> Stelle für<br />

Sie geeignet! Aber warum arbeiten Sie denn nicht in einer Werkstätte?“ „Weil man als<br />

Mechaniker weniger ver<strong>die</strong>nt als ein Hilfsarbeiter!“ „Ja, das habe ich auch schon gehört. Sagen<br />

Sie mir nochmals Ihren Namen, ich muß ihn notieren!“ „<strong>Beschulnig</strong>, <strong>Beschulnig</strong> <strong>Johann</strong>!“<br />

„Also gut, <strong>Beschulnig</strong>, ich erwarte Sie gegen 15 Uhr im 14. Bezirk in der . . .!“<br />

Hans war überglücklich, er hatte das Gefühl, daß der Job für ihn reserviert war. Rasch eilte er<br />

zu Wolfgang, um ihm <strong>von</strong> der Neuigkeit zu erzählen <strong>und</strong> den angefangenen Arbeitsauftrag zu<br />

Ende zu führen. Wolfgang war nicht besonders erfreut. <strong>Die</strong> beiden waren in den 15<br />

Arbeitstagen eine recht gute Partie geworden. „Wer weiß, was <strong>die</strong> mir jetzt für einen Idioten<br />

beistellen!“, meinte er resigniert.<br />

Gegen 12 Uhr waren sie mit der Arbeit fertig. Sie fuhren zu ihrer Unterkunft in der<br />

Lindengasse 22, um dann ausgerüstet mit frischem Gewand - wie schon gewohnt - das<br />

städtische Bad in der Hermanngasse aufzusuchen. Danach ging’s in das Stammlokal in der<br />

Kirchengasse - unweit ihrer Unterkunft. Während Hans hastig das Menü hinunterschlang,<br />

spielte Wolfgang den Gent. Er aß nicht, er speiste vielmehr, um den Mädels vom Nebentisch<br />

mit seiner spaßigen Gestik zu imponieren. „Siehst du, Hanse, während du dich vorstellen gehst,<br />

werde ich mit den Mädels einige R<strong>und</strong>en Billard spielen!“ „Was willst denn mit denen, <strong>die</strong><br />

gehören doch noch in den <strong>Kinder</strong>garten!“, entgegnete Hans trocken. <strong>Die</strong> Mädchen kicherten<br />

belustigt, wahrscheinlich hatten sie <strong>die</strong> unfre<strong>und</strong>lichen Worte <strong>von</strong> Hans nicht verstanden.<br />

Gegen 14.30 Uhr war Hans bei der Tankstelle im westlichen Teil des 14. Bezirks eingetroffen.<br />

Ein etwa 33jähriger, 170 cm großer Mann, korpulent, mit schwarzem, gekraustem Haar <strong>und</strong><br />

Schnurrbart saß im Arbeitsgewand hinter dem Schreibtisch. „Guten Tag, <strong>Beschulnig</strong> mein<br />

Name!“ „Ach, der Kärntner!“, entgegnete der Boß mit breitem Grinsen <strong>und</strong> heiterem<br />

Gesichtsausdruck. „Wieso wissen Sie, daß ich ein Kärntner bin?“ „Dem Kärntner sein Leilei,<br />

dem Steirer sein Bellen!“, meinte er belustigt, in Anspielung auf dialektmäßige Leckerbissen.<br />

„Aber Spaß beiseite, trinken Sie einen Kaffee?“ „Ja, bitte!“ „Geh, Trude!“, sagte er zu der<br />

Frau, <strong>die</strong> vor ihm am Schreibtisch saß. „Ja, mach schon!“, entgegnete sie <strong>und</strong> ging in den<br />

Nebenraum. Sie war in seinem Alter, leicht vollschlank <strong>und</strong> hielt anscheinend nichts vom<br />

Schminken.<br />

Nach dem üblichen Vorstellungsgeplapper <strong>und</strong> Kaffee mit Zigarette war das Eis zwischen den<br />

beiden gebrochen. „Also, was stellen Sie sich vor, ich meine mit dem Ver<strong>die</strong>nst?“ Der Boß sah<br />

ihn fragend an. „Nun, ich denke, was in <strong>die</strong>ser Branche üblich ist plus Trinkgeld!“ „Gut, wann<br />

wollen Sie mit der Arbeit beginnen?“ „Morgen!“ „Das ist gut, Sie können gleich morgen,<br />

Sonntag, im Laufe des Vormittags herkommen, ich werde Sie einweisen!“ „Super!“, gab Hans<br />

strahlend <strong>von</strong> sich.<br />

Hans fuhr mit dem 49er stadteinwärts zur Kirchengasse. Gegen 17 Uhr kam er in das neue<br />

Stammlokal, wo Wolfgang schon leicht angeheitert <strong>und</strong> ausgesprochen gut gelaunt mit zwei<br />

Mädchen Billard spielte. „Girls, das Spiel müssen wir unterbrechen, mein Kompagnon ist<br />

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eingetroffen!“, meinte er <strong>und</strong> ließ eine Kugel nach der anderen in der Versenkung<br />

verschwinden. „Hallo, ihr!“, sagte Hans fre<strong>und</strong>lich zu den Mädels. „Hallo, du!“, entgegneten<br />

<strong>die</strong>se ebenso fre<strong>und</strong>lich. Beide waren schlank, hübsch, hatten blondes, langes Haar <strong>und</strong> hätten<br />

vom Aussehen her Schwestern sein können. „Tut’s nicht Maulaffen feilhalten!“, meinte<br />

Wolfgang <strong>und</strong> stellte sogleich <strong>die</strong> neue Mannschaft zusammen. „Hansi spielt mit Regina, Karin<br />

mit mir!“ Dabei warf er einen Zehner in den Automaten, worauf <strong>die</strong> Billardkugeln mit großem<br />

Getöse in den Auslauf rollten.<br />

So war es dann auch. <strong>Die</strong> vier spielten, im Hintergr<strong>und</strong> lief <strong>die</strong> Musikbox heiß, was der<br />

Stimmung natürlich eine gewisse Note verlieh. Zwischendurch kamen auch andere Burschen<br />

<strong>und</strong> Mädchen, <strong>die</strong> zur Clique <strong>von</strong> Karin <strong>und</strong> Regina gehörten, <strong>und</strong> stellten sich vor.<br />

Gegen 21 Uhr verließ Hans, unter großem Protest der Billardpartie, das Lokal. Er mußte sich<br />

ordentlich ausschlafen - der erste Tag am neuen Arbeitsplatz durfte nicht schiefgehen.<br />

Der erste Tag im neuen Job verlief für Hans mehr als nur zufriedenstellend. 200 Schilling<br />

Trinkgeld hatte er schon im Laufe des Vormittags an jenem Sonntag ver<strong>die</strong>nt. Ja, <strong>die</strong> Wiener<br />

lassen sich eben bei fre<strong>und</strong>licher <strong>und</strong> zuvorkommender Be<strong>die</strong>nung nicht lumpen, hier schien<br />

sich der volle Einsatz auch zu lohnen. Zu Mittag bekam er ein Menü serviert, das <strong>die</strong> Eltern<br />

des Chefs - <strong>die</strong> schon in Pension waren - in der Tankstellenküche zubereitet hatten. „Danke,<br />

aber ich habe heute wirklich keinen Hunger!“, wollte Hans entschuldigend ablehnen. „Ruhig,<br />

<strong>und</strong> iß, <strong>Beschulnig</strong>!“, meinte der Chef mit seinem breiten, belustigten Grinsen <strong>und</strong> fügte noch<br />

hinzu: „Für das Essen <strong>und</strong> den Kaffee brauchst nichts zu zahlen. Für ein angenehmes<br />

Betriebsklima, sozusagen!“<br />

<strong>Die</strong> Tankstelle hatte täglich <strong>von</strong> 6 bis 20 Uhr geöffnet. Der <strong>Die</strong>nstplan für <strong>die</strong> zwei Tankwarte<br />

sah wie folgt aus: 1. Tag: 13 bis 20 Uhr, 2. <strong>und</strong> 3. Tag durchgehend <strong>von</strong> 6 bis 20 Uhr <strong>und</strong> am<br />

4. Tag <strong>von</strong> 6 bis 13 Uhr, danach eine ebensolange Freiphase. Hans war <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem <strong>Die</strong>nstplan<br />

begeistert, <strong>die</strong> <strong>Die</strong>nstzeit ließ ihm genügend Freiraum, um Monika in Kärnten besuchen zu<br />

können. „Also, wenn du willst, <strong>Beschulnig</strong>, kannst gleich heute mit der Schicht um 13 Uhr<br />

beginnen!“, meinte der Chef nach dem Essen. „Klar, mach ich!“ „Gut, Gerhard wird am<br />

Mittwoch nachmittag seine Schicht antreten. Zur Zeit ist er auf Urlaub!“, meinte der Chef, griff<br />

in den Schreibtisch <strong>und</strong> holte einen A3-Abrechnungsblock hervor. „Hast schon einmal<br />

abgerechnet?“ „Natürlich!“, entgegnete Hans selbstsicher in Erinnerung an seine Aushilfszeit in<br />

Ferlach. „Gut, ich laß dir trotzdem ein Beispiel da. Wenn’st dich nicht auskennst, schau nach<br />

oder ruf mich an! Außerdem, im Laufe des Tages bin ich ja sowieso mit meinen Eltern da. Es<br />

wird daher in <strong>die</strong>sem Punkt keine Probleme geben!“ Der Warenstand wurde festgelegt, <strong>die</strong><br />

Schlüssel ausgehändigt, <strong>und</strong> Hans versah an <strong>die</strong>sem Sonntag schon seine erste Feuerprobe bis<br />

20 Uhr.<br />

Nach <strong>die</strong>sem ersten Tankstellen<strong>die</strong>nst begab er sich schon gegen 21 Uhr zu Bett. Wolfgang<br />

war im Stammlokal. Ausgehen? Das konnte <strong>und</strong> wollte Hans sich jetzt nicht leisten.<br />

<strong>Die</strong>nst ist <strong>Die</strong>nst, <strong>und</strong> Schnaps ist Schnaps, nach <strong>die</strong>ser Devise lebte nun Hans. Deshalb bekam<br />

er Wolfgang an den darauffolgenden zwei Tagen auch nicht zu Gesicht. Wenn Hans in den<br />

<strong>Die</strong>nst ging, schlief Wolfgang noch. Und wenn er nach Hause kam, war Wolfgang bei dem<br />

neuen Bekanntenkreis im Stammlokal.<br />

Doch am Mittwoch vormittag rief Wolfgang ihn bei der Tankstelle an. „Sag, was ist denn mit<br />

dir, Hans! Du läßt dich überhaupt nicht mehr anschauen, bist mit der Tankstelle verheiratet?“<br />

„Nein, aber. . .!“ „Schmarrn, Regina läßt nach dir fragen!“, fuhr Wolfgang gleich dazwischen.<br />

„Das ist aber lieb <strong>von</strong> ihr!“, entgegnete Hans scherzend. „Du mußt sie dir angeln, ist ein tolles<br />

Weib!“ „Ach, wofür, ich hab doch eine Fre<strong>und</strong>in!“, meinte Hans abweisend. „Du bist ein Narr!<br />

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Ich würde <strong>die</strong>se Chance nicht auslassen!“ „Das weiß ich!“, meinte Hans <strong>und</strong> lachte erheitert<br />

auf. „Ich hab eine Fre<strong>und</strong>in, weißt du das schon?“ „Nein!“ „<strong>Die</strong> Karin!“ „<strong>Die</strong> ist wirklich nicht<br />

<strong>von</strong> schlechten Eltern, ich gratuliere dir, Wolfgang!“ „Danke, aber ich hoffe, wir sehen uns<br />

demnächst in unserem Stammlokal!“ „Ja, heute am Abend, Wolfgang!“<br />

Um 13 Uhr hätte der Schichtwechsel sein sollen. Doch Gerhard, so hieß der Kollege, war<br />

etwas Wichtiges dazwischen gekommen, somit hängte Hans noch einen Tag an seine Schicht.<br />

*<br />

„Santo Domingo“ spielte <strong>die</strong> Musikbox am Mittwoch, als er gegen 21 Uhr das Stammlokal in<br />

der Kirchengasse betrat. „Hey, Hansi!“, rief Wolfgang, er stand bei Karin am<br />

Flipperautomaten. „Ich bin nur kurz hier, ich muß morgen arbeiten gehen!“ „Der Arme!“,<br />

meinte Karin keß <strong>und</strong> ließ <strong>die</strong> Kugel an den Hürden heiß laufen. „Und wenn du frei hast, fährst<br />

sicher zu deiner Holden nach Kärnten!“, sagte Wolfgang, wobei er <strong>die</strong> Zigarette beim Sprechen<br />

nicht aus dem M<strong>und</strong> nahm. „Aber sicher, schon morgen nachmittag!“, entgegnete Hans <strong>und</strong><br />

ging zu ihnen an den Flipper. „Du willst wohl auch nicht kapieren, daß es auch in Wien schöne<br />

Mädels gibt!“, meinte Wolfgang belustigt <strong>und</strong> gab Karin mit der Rechten einen etwas<br />

kräftigeren Klaps auf das Hinterteil. Daraufhin ließ der Flipperautomat das „Tilt“ in Rot<br />

aufleuchten. „Malermeister, das kostet dich 10 Schilling!“, sagte Karin verärgert, während <strong>die</strong><br />

Kugel ins Aus rollte. „Aber ja, mein Herzblatt!“, entgegnete Wolfgang lachend. „Was darf’s<br />

denn sein?“, fragte <strong>die</strong> Kellnerin. „Ein Cola!“, entgegnete Hans. „Und wann kommst wieder<br />

nach Wien zurück?“ „Am Sonntag beginnt mein <strong>Die</strong>nst um 13 Uhr. Bis dahin werd ich’s wohl<br />

schaffen, Wolfgang!“<br />

*<br />

D e r zw e i t e B e s u c h i n K ä rn t e n<br />

Hans hatte am Donnerstag vormittag Martin in Kärnten telefonisch da<strong>von</strong> verständigt, daß er<br />

mit dem 19.30-Uhr-Zug in Klagenfurt ankommen werde, <strong>und</strong> er möge Monika da<strong>von</strong> in<br />

Kenntnis setzen.<br />

Wie geplant fuhr der Zug um 19.30 Uhr im Klagenfurter Hauptbahnhof ein. Hans ging in das<br />

Bahnhofslokal, stellte sich zur Bar <strong>und</strong> bestellte ein Bier. „Dich kenn ich doch!“, sagte er zur<br />

jungen Kellnerin. „Ja, das glaub ich auch!“, entgegnete <strong>die</strong>se erfreut lächelnd. „Du bist doch <strong>die</strong><br />

Schawaz Helga!“ „Schau her, der <strong>Beschulnig</strong> kennt mich noch!“, entgegnete sie <strong>und</strong> stellte das<br />

bestellte Bier auf <strong>die</strong> Bar. „Daß man dich wieder sieht! War eine schöne Zeit in der Schule,<br />

was?“ „Ja, Hansi, <strong>und</strong> was machst du jetzt?“ „Ich bin in Wien <strong>und</strong> arbeite auf einer Tankstelle!“<br />

„In Wien?“, entgegnete sie erstaunt. „Wie kommst denn auf Wien, gefällt es dir hier nicht<br />

mehr?“ Sie warf dabei ihr schwarzes Haar mit einer raschen Kopfbewegung nach hinten. „Oh<br />

doch, aber du weißt doch, wie das so ist mit der Arbeit. Und ein Tapetenwechsel schadet<br />

sicher auch nicht!“ Er trank einen kräftigen Schluck vom Bier <strong>und</strong> rauchte eine Zigarette an.<br />

„Jaja, <strong>die</strong> Arbeit <strong>und</strong> das Geld, <strong>die</strong> Sorgen hatten wir in der Schule nicht. Aber kommst wieder<br />

zurück oder bleibst in Wien?“ „Ich komm sicher wieder zurück, was hast denn geglaubt!“ „Bist<br />

halt doch ein Kärntner!“, meinte sie lächelnd. „Hallo, Hansi!“, rief Monika, <strong>die</strong> soeben mit<br />

Martin in das Lokal gekommen war. „Hallo, Monika! Wie geht es dir?“, rief Hans freudig<br />

zurück. „Helga, ich setz mich mit meinen Fre<strong>und</strong>en an den Tisch!“ „Ja, Hansi, bekommt deine<br />

Fre<strong>und</strong>in auch etwas?“ „Ja, bring ein Cola <strong>und</strong> ein Bier für Martin!“ <strong>Die</strong> drei begrüßten<br />

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einander herzlich <strong>und</strong> setzten sich an den Tisch neben der Bar. „Ein Bier, bitte!“, rief Martin.<br />

„Hab schon bestellt bei der Helga!“, sagte Hans schelmisch grinsend. „Na, du bist mir vielleicht<br />

einer!“, meinte Monika. „Hast dir auch schon <strong>die</strong> Kellnerin angelacht, was!“ „So ist das nicht,<br />

Helga ist eine Schulkollegin <strong>von</strong> mir!“ Helga brachte <strong>die</strong> Getränke, Hans bezahlte sofort -<br />

schließlich wollte er so schnell wie möglich mit Monika <strong>und</strong> Martin zu Sigi in <strong>die</strong> Disco nach<br />

Föndach kommen, um dort in altgewohnter <strong>und</strong> vertrauter Umgebung über seine neuesten<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> Eindrücke aus Wien zu plaudern.<br />

Siegfried hatte glücklicherweise einen Tisch reserviert, ansonsten hätten sie sich wohl oder<br />

übel im Gedränge an der Bar unterhalten müssen. Kein W<strong>und</strong>er, denn Singles wie: „Beautiful<br />

S<strong>und</strong>ay“, „Schöne Maid“, „Hello-A“, „This Flight Tonight“, „Sugar Baby Love“ <strong>und</strong> viele<br />

andere Hits aus den Siebziger Jahren sorgten für den rechten Backgro<strong>und</strong> in der Föndacher<br />

Disco. „Also, <strong>Kinder</strong>, ich hab jetzt einen neuen Job in Wien!“, sagte Hans <strong>und</strong> legte seine<br />

Rechte um Monikas Schulter. „So, was denn?“, fragte Martin interessiert. „Tankwart!“<br />

„Tankwart?“, meinte Martin verw<strong>und</strong>ert, zog seine Augenbrauen hoch <strong>und</strong> lachte belustigt auf.<br />

„Kannst ruhig lachen, aber bei täglich vierh<strong>und</strong>ert Schilling Trinkgeld im Schnitt würdest auch<br />

du nicht nein sagen!“ „Was, vierh<strong>und</strong>ert Schilling Trinkgeld am Tag?“ Martin sah ihn dabei<br />

ungläubig an. „Weißt eh, was bei uns ein Tankwart bekommt, einen Sack Kartoffeln!“, meinte<br />

er weiters <strong>und</strong> lachte aus vollem Hals. „Und was bezahlt dir der Chef?“, fragte Monika.<br />

„Knapp 6.000 Schilling!“ „Ist aber nicht viel!“ „Ja, aber nochmals 6.000 Schilling an<br />

Trinkgeldern dazu macht 12.000 Schilling netto!“ „Das geht, da geh’ ich auch nach Wien<br />

arbeiten!“, meinte nun Martin zustimmend.<br />

Sie plauderten noch einige Zeit so über Wien <strong>und</strong> Kärnten, mittlerweile war auch Heino in <strong>die</strong><br />

Disco gekommen. Er war, was bei ihm an einem Donnerstag eher unüblich war, schon wieder<br />

sternhagelvoll. „Hey, Wiener!“, rief er lallend <strong>von</strong> der Bar aus Hans zu <strong>und</strong> fügte noch ironisch<br />

hinzu: „Wie geht’s dir, Abtrünniger?“ „Schnauze, <strong>und</strong> komm, setz dich her zu uns!“, rief Hans<br />

spaßig zurück. „Nein, nein, zu den Wienern setzen wir uns nicht, was sagst du, Pepe!“, meinte<br />

er belustigt lachend zu seinem weichgesoffenen Zechkumpanen, der, wie ein Dolmi auf Abruf,<br />

artig verneinte.<br />

<strong>Die</strong>se Szene, obgleich eigentlich nichtssagend, gab Hans zu denken. Er spürte instinktiv, daß<br />

seine Wenigkeit langsam aus der Föndacher Clique gelöst wurde. Nicht, weil ihn seine Fre<strong>und</strong>e<br />

nicht mehr mochten - nein. Sie befaßten sich damit gar nicht <strong>und</strong> hatten darauf eigentlich<br />

keinen Einfluß, es war einfach der Zahn der Zeit, der im Hintergr<strong>und</strong> unaufhaltsam zu nagen<br />

begann.<br />

So gegen 21.15 Uhr traf George - schon recht gut gelaunt - in der Disco ein. „Servus, Hanse!“<br />

„Hallo, Haberer!“, entgegnete Hans grinsend. „Brauchst mein Moped?“ „Ja, George, das wär<br />

nett <strong>von</strong> dir!“ „Es lehnt draußen bei einem Baum!“, meinte er lachend <strong>und</strong> setzte sich zu ihnen<br />

an den Tisch. „Super, dann kann ich Martin entlassen!“ „Gut, dann geh ich, meine Alte wird<br />

eh’ schon sauer sein!“, meinte Martin <strong>und</strong> trank den Rest <strong>von</strong> dem Bier. „Kommst morgen zu<br />

mir?“ „Klar, Martin!“<br />

„Trinkt aus, ich spen<strong>die</strong>r euch eine R<strong>und</strong>e!“, rief der Kellner Siegfried ihnen zu. „Ihr sitzt heute<br />

da wie lahme Hühner!“ „Ich nicht, ich muß gehen!“, sagte Martin, stand auf, verabschiedete<br />

sich <strong>und</strong> ging. „Was trinkst denn, Monika?“ „Egal, Siegfried, nur alkoholfrei muß es sein, du<br />

weißt!“ „Ich weiß!“, entgegnete er süffisant lächelnd. „Und du, Hanse?“ „Ein Bier!“ „Hab ich<br />

mir doch gedacht!“ „Na, warum fragst denn dann so blöd!“ „Na ja, könnt doch sein, daß du<br />

schon auf Wein umgestiegen bist!“, meinte Sigi spöttisch kichernd. „Ich muß heute noch vor<br />

Mitternacht zu Hause sein, Hans!“, sagte Monika. „Wieso?“, fragte Hans erstaunt. „Weil ich<br />

morgen arbeiten muß!“ „Gut, genehmigt!“ Hans griff in seine Hosentasche, holte zwei Zehner<br />

hervor <strong>und</strong> meinte weiters: „Dann müssen wir halt <strong>die</strong> Zeit komprimieren!“ Er ging zur<br />

Musikbox <strong>und</strong> wählte „Ring Ring“, „Hello Hello“, „Till I Kissed You“ <strong>und</strong> viele andere heiße<br />

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Hits, um <strong>die</strong> Stimmung kräftig anzuheizen. „Komm, Monika, jetzt legen wir wieder richtig<br />

los!“ Immer, wenn Hans so zwei, drei Bier inhaliert hatte, ging er so richtig aus sich heraus.<br />

Und <strong>die</strong>smal übertrafen <strong>die</strong> beiden alles bisher Dagewesene mit ihren selbstentworfenen<br />

Showeinlagen. Hans begeisterte <strong>die</strong> Discogäste mit seiner spaßigen Mimik <strong>und</strong> Gestik, <strong>die</strong> er<br />

so nebenbei gekonnt in den Tanz einbaute. Monika hingegen setzte voll auf ihr ungezwungenes<br />

Wesen, getragen <strong>von</strong> den heißen Rhythmen fegte sie mit Hans über <strong>die</strong> Tanzfläche. Dabei<br />

versetzte sie Männlein wie Weiblein in großes Staunen. Aber es wird wohl auch ihre graziös<br />

schlanke Figur <strong>und</strong> ihre heißblütige Schönheit, <strong>die</strong> sie beim Tanzen so w<strong>und</strong>erbar zur Geltung<br />

bringen konnte, daran beteiligt gewesen sein, daß den übrigen Gästen <strong>die</strong> Spucke wegblieb.<br />

Hans jedenfalls war mächtig stolz auf sie.<br />

Siegfried programmierte <strong>die</strong> Musikbox mit Lovehits wie „Stand By Me“, „Unchained Melody“,<br />

„Kiss And Say Goodbye“ <strong>und</strong> viele ähnliche Herzensbrecher. Dabei konnte er es einfach nicht<br />

unterlassen, den Dimmerschalter auf <strong>die</strong> unterste Stufe zu drehen, um den Verliebten eine<br />

heimelige Atmosphäre zu liefern. „Wie ist es dir ergangen, Monika?“, fragte Hans, während sie<br />

sich in zärtlicher Umarmung anmutig zu den Songs auf der Tanzfläche bewegten. „Wie soll es<br />

mir schon gehen, wenn du nicht da bist!“, entgegnete sie traurig. „Du wirst doch nicht geweint<br />

haben, oder?“, meinte er, um <strong>die</strong> Stimmung nicht allzu tief in den Keller sausen zu lassen.<br />

„Nein“, sie lächelte, „aber es ist nichts mehr so, wie es war. Du fehlst mir einfach in dem<br />

Getriebe des Alltags!“ „Du fehlst mir auch, Monika!“ <strong>Die</strong> beiden küßten einander<br />

leidenschaftlich. „Dann komm doch zurück, Hansi!“ Sie sah ihn dabei erwartungsvoll an. „Ja,<br />

wenn ich genug Geld für einen Neuanfang habe!“ Er strich dabei zärtlich über ihr schönes,<br />

tiefschwarzes Haar. Sie sah ihn einige Sek<strong>und</strong>en fragend an. „Komm, bring mich nach Hause!“<br />

„Gut“, er wandte sich zu Siegfried, „zahlen!“ „Später, Hansi, du wirst mich doch heute<br />

nochmals aufsuchen, oder?“, entgegnete <strong>die</strong>ser - wie gewohnt - betont lässig. „Ja, <strong>und</strong> sonst<br />

kriegst morgen das Geld!“<br />

„Wir müssen uns beeilen, Hansi, sonst bekomm ich mit meinen Eltern Schwierigkeiten!“, sagte<br />

Monika leicht gestreßt vor der Disco, in Anspielung auf <strong>die</strong> Uhrzeit. „Schmarrn, der Papa<br />

wird’s schon richten!“, entgegnete er aufschneidend. „Aber es ist doch schon 23.35 Uhr!“ „Na<br />

<strong>und</strong>! Hilf mir lieber das Moped <strong>von</strong> George suchen!“ „Hoffentlich ist er damit nicht selbst nach<br />

Hause gefahren!“, meinte sie ängstlich. „Aber was, dort steht’s eh!“ Er zeigte zum Baum, der<br />

in der Dunkelheit nur schemenhaft zu erkennen war.<br />

<strong>Die</strong>smal mußten sie sich beeilen, schließlich wollten sie keineswegs ihre Eltern vergrämen,<br />

außerdem mußte Monika doch am nächsten Tag in <strong>die</strong> Arbeit. Es blieb nur noch für ein rasches<br />

Gute-Nacht-Küßchen Zeit. „Holst mich morgen ab?“ „Aber ja doch, mein Mauserl!“,<br />

entgegnete er spitzbübisch lächelnd. Sie rannte ins Elternhaus, <strong>und</strong> Hans wartete, bis sie darin<br />

verschw<strong>und</strong>en war.<br />

„Na, wie geht’s dir so in Wien?“, fragte Siegfried, nachdem ihn Hans in derselben Nacht, wie<br />

vereinbart, aufsuchte. „Es muß, es muß!“, entgegnete Hans, er hatte auf einem Barhocker Platz<br />

genommen. „Ich muß dir sagen, du gehst uns in Föndach schon ab. Es ist nicht mehr so wie<br />

noch vor einem Monat!“ Siegried stellte Hans dabei ein Bier vor <strong>die</strong> Nase. „Jetzt wirst aber<br />

sentimental, was, Sigi!“, entgegnete Hans belustigt. „Nein, aber seit du weg bist, ist <strong>die</strong><br />

Augenweide Monika auch aus unserem Blickfeld verschw<strong>und</strong>en!“ Er grinste ironisch vor sich<br />

hin. „Hey, Sigi! Bring uns noch eine R<strong>und</strong>e!“, rief einer der Gäste. „Bin schon dabei!“<br />

Während Sigi servierte, ließ sich Hans <strong>die</strong> Sache durch den Kopf gehen. „Nun ja, soll sie<br />

vielleicht mit dir ausgehen!“, sagte er, als Sigi wieder hinter <strong>die</strong> Bar ging. „Nein“, entgegnete<br />

<strong>die</strong>ser grinsend, „aber ich hätte schon Angst, es könnte sie ein anderer wegschnappen!“ „Na<br />

<strong>und</strong>, andere Mütter haben auch schöne Töchter!“, meinte Hans. „Dich möchte ich sehen, wenn<br />

es dann wirklich soweit ist!“, sagte Sigi <strong>und</strong> sah ihn zweifelnd an. „Auf <strong>die</strong> Knie gehe ich sicher<br />

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nicht, da kannst Gift drauf nehmen!“ Doch zu denken gab ihm <strong>die</strong> Diskussion mit Siegfried<br />

schon.<br />

Es war ein w<strong>und</strong>erschöner Sommertag, <strong>die</strong>ser Freitag. Den Vormittag verbrachte Hans mit<br />

Gasthausbesuchen bei Evi <strong>und</strong> Martin. Zwar hatte dabei Vater seinen Unmut k<strong>und</strong>getan, doch<br />

Hans war das schnuppe. Für ihn zählten <strong>die</strong> Eltern schon längst nicht mehr, man hatte sich<br />

sozusagen auseinandergelebt. Und hätte er nicht das Elternhaus als Absteige bei den<br />

Besuchstagen, <strong>die</strong> er ja „nur“ wegen Monika abhielt, gebraucht, er wäre wohl schon längst aus<br />

ihrem Leben verschw<strong>und</strong>en.<br />

Am Nachmittag fuhr er zu Monika, wo <strong>die</strong> beiden einige St<strong>und</strong>en in ihrem Zimmer<br />

verbrachten. „Weißt du, daß ich immer an dich denke, Hansi?“, sagte sie liebevoll <strong>und</strong><br />

kuschelte sich im Bett an ihn. Er lächelte zufrieden. „Siehst du, auch mir ist es so ergangen.<br />

Egal ob ich arbeite oder mit meinem Kumpel beim Bier sitze, ich hab’ dich immer im Kopf!“<br />

<strong>Die</strong> beiden küßten einander leidenschaftlich. Im Hintergr<strong>und</strong> spielte das Radio den<br />

Volksschlager „Wenn <strong>die</strong> Sonne erwacht in den Bergen“. „Sag, hast du schon eine Fre<strong>und</strong>in in<br />

Wien?“ „Nein, wieso?“, entgegnete er beinahe schon gekränkt. „Ich dachte mir nur!“ Sie<br />

streichelte dabei zärtlich durch sein Haar. „Und wenn ich eine hätte?“, fragte er nur so, zum<br />

Reaktionstest. „Es wär mir nicht recht, aber du müßtest mich immer besuchen kommen. Selbst<br />

wenn wir dann nur noch fre<strong>und</strong>schaftliche Diskussionen abhalten würden!“ „Ach, du bist ein<br />

Kasperl!“, meinte er <strong>und</strong> drückte sie stolz an sich. „Ich bin kein Kasperl, Hans! Ich weiß, daß<br />

du in Zukunft auf das Geschwätz der Leute hören wirst!“ Sie sah ihn dabei ernst an. „So, auf<br />

welches Geschwätz denn?“, fragte er belustigt. „Na, vielleicht, daß Gerd mein neuer Fre<strong>und</strong><br />

werden könnte!“ Hans zuckte innerlich zusammen. Sofort war ihm dabei <strong>die</strong> Intrige<br />

eingefallen, als Werner <strong>und</strong> Gerd versucht hatten, einen Keil in <strong>die</strong> Beziehung zwischen ihm<br />

<strong>und</strong> Monika zu treiben, während er Überst<strong>und</strong>en machte. Das Radio spielte „Am Tag, als<br />

Conny Kramer starb“ <strong>von</strong> Y<strong>von</strong>ne Schwalbe. „Hast was mit ihm?“, fragte er ohne viel<br />

Umschweife. „Nein, aber du weißt doch, er ist mit Werner zur Schule gegangen. <strong>Die</strong> beiden<br />

sind feste Fre<strong>und</strong>e. Letztes Wochenende war er sogar bei uns <strong>und</strong> hat Werner <strong>und</strong> Vater beim<br />

Bau des neuen Daches am Wirtschaftsgebäude geholfen!“ Jetzt versucht er es wieder in<br />

Koalition mit ihrem Bruder, schoß es ihm durch den Kopf. Aber ruhig Blut, nur nicht aus der<br />

Reserve locken lassen. „Gefällt er dir?“ „Mein Gott, du weißt doch, wenn es dich nicht gäbe,<br />

hätte wahrscheinlich er den Platz in meinem Herzen eingenommen!“ Sie lächelte. „Aber so<br />

gibt’s da keinen Platz mehr!“ Für Hans war ihre Aussage überzeugend, doch er wußte, daß <strong>die</strong><br />

Zeit für Gerd arbeitete. Er wußte, daß ihr Bruder Werner <strong>und</strong> Gerd nichts unversucht lassen<br />

würden, um <strong>die</strong> Beziehung zwischen ihm <strong>und</strong> Monika zu stören, wenn nicht gar zu zerstören.<br />

„Was hast denn jetzt, hab ich was Falsches gesagt?“, fragte Monika besorgt. „Nein, nein, ich<br />

hab’ nur so vor mich hingeträumt!“, entgegnete er lächelnd. „Gehen wir zur Drau runter,<br />

Monika?“ „Ja, daran habe ich eben auch gedacht!“<br />

„Möchtest einmal zu mir nach Wien kommen?“, fragte er, als sie auf dem Waldweg zur Drau<br />

hinunter gingen. „Ja!“, entgegnete sie begeistert. „Beim nächsten Besuch besprechen wir das<br />

genauer, ich muß nämlich auf meinen <strong>Die</strong>nstplan achten, damit ich auch frei habe, wenn du<br />

kommst!“<br />

Der Wochenendbesuch lief ansonsten völlig planmäßig ab. Am Sonntag fuhr Hans schon mit<br />

dem 7-Uhr-Zug nach Wien - um 13 Uhr begann sein <strong>Die</strong>nst.<br />

* * *<br />

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1 9 7 6 : S e p t e m b e r I . W o c h e<br />

D E R N E U E F R E U N D E S K R E I S I N W I E N<br />

Am Mittwoch, nach Feierabend, betrat Hans endlich wieder das Stammlokal. „Da schau her,<br />

ganz ein Neuer!“, sagte Wolfgang, der in Arbeitskleidung an der Bar stand, mit freudigem<br />

Grinsen. „Ja, so ist das Leben!“ „Warst schon wieder in Kärnten?“ „Ja, Wolfgang!“ „Hallo!“,<br />

sagte Karin <strong>und</strong> unterließ es nicht, noch gönnerhaft hinzuzufügen: „Da muß ich ja <strong>die</strong> Regina<br />

informieren!“ „Siehst, Hanse, so sind <strong>die</strong> Mädels in Wien, auf <strong>die</strong> ist Verlaß!“ „Hey, Regina,<br />

dein Schwarm ist da!“, rief Karin zu der Gruppe <strong>von</strong> Jugendlichen, <strong>die</strong> mit den Spielautomaten<br />

beschäftigt waren. „Mein Kärntner ist da!“, rief <strong>die</strong>se zurück <strong>und</strong> kam quietschvergnügt zu ihm<br />

an <strong>die</strong> Bar. Wolfgang zwinkerte Hans zu, so als wollte er damit andeuten, greif zu bei dem<br />

Mädel. „Was machst denn heute?“, fragte Regina <strong>und</strong> ließ ihr blondes Haar lässig-locker nach<br />

hinten schwingen. „Bier trinken!“, entgegnete Hans, spitzbübisch. „Ja, das kannst hinten auch,<br />

kommt alle mit, geh’n wir Billard spielen!“ Dem Angebot <strong>von</strong> Regina entzog sich niemand. Im<br />

Hintergr<strong>und</strong> spielte <strong>die</strong> Musikbox den Song „So viele Züge gehn, wer weiß wohin“ <strong>und</strong> „Der<br />

Junge mit der M<strong>und</strong>harmonika“. „Bist schon schwer vergeben, was?“, sagte Regina <strong>und</strong> meinte<br />

weiter: „Deswegen spielen wir trotzdem zusammen, Hansi!“ Wolfgang warf einen Zehner in<br />

den Automaten, <strong>die</strong> Billardkugeln rumpelten in den Auslauf. „Hat dir sicher mein Wolfgang<br />

erzählt, was!“, entgegnete Hans. „Und wenn! Außerdem war’s auch wirklich nicht schwer zu<br />

erraten, bist ja selten zu sehen!“ Ach ja, so ist es immer, dachte Hans. Wenn man eine feste<br />

Beziehung hat, laufen einem <strong>die</strong> Mädels nur so zu, aber wehe, man ist solo. „Bist wohl<br />

konservativ, was?“, sagte Regina unter dem belustigten Gelächter <strong>von</strong> Karin <strong>und</strong> Wolfgang.<br />

„Der ist immer so“, warf Wolfgang ein, „mußt halt schärfer rangehen!“ Dabei versenkte er eine<br />

Kugel nach der anderen. Hans griff zu seinen Zigaretten. „Rauchst auch eine, du vorlaute<br />

Trutschn?“ „Wenn’s sein muß!“, entgegnete sie trocken <strong>und</strong> griff zu.<br />

Ja, Hans hatte mit Wolfgang in Wien rasch Anschluß gef<strong>und</strong>en. Er hatte dabei sogar den<br />

Eindruck, als hätte das Schicksal in ihrem Stammlokal in der Kirchengasse im 7. Wiener<br />

Gemeindebezirk nur darauf gewartet, sie in der Clique aufzunehmen. Wolfgang war eigentlich<br />

schon dabei, mit Karin <strong>die</strong> zarten Bande ihres Lebens zu knüpfen. <strong>Die</strong> beiden waren<br />

unzertrennlich verliebt, ja, man sprach sogar schon <strong>von</strong> Heirat.<br />

*<br />

D ri t t e r B e s u c h i n K ä rn t e n - D i e e rs t e K ri s e<br />

Mit gut durchdachter <strong>Die</strong>nstregelung war es Hans gelungen, seine freien Tage in der dritten<br />

Septemberwoche <strong>von</strong> Freitag nachmittag bis Montag vormittag zu verschieben.<br />

Deshalb ging er an <strong>die</strong>sem Donnerstag nach <strong>Die</strong>nstschluß in sein Stammlokal - was er sonst<br />

nicht tat, wenn er tags darauf arbeiten mußte - <strong>und</strong> informierte seinen neuen Fre<strong>und</strong>eskreis.<br />

„Laß sie <strong>von</strong> mir grüßen!“, sagte Regina gut gelaunt, sie zeigte keinen Anflug <strong>von</strong> Eifersucht,<br />

nun, im Gr<strong>und</strong>e war ja auch kein Gr<strong>und</strong> dafür vorhanden. „Aber am nächsten Wochenende<br />

lade ich dich zu mir nach Hause ein!“ „Ich hab einen besseren Vorschlag, Regina. Wenn ich das<br />

nächstemal frei habe, gehn wir essen!“ Sie zwinkerte mit ihren Augenlidern kurz, was so viel<br />

bedeutete, wie okay.<br />

Martin hatte ihn an <strong>die</strong>sem Freitag wieder mit Monika vom Klagenfurter Hauptbahnhof<br />

abgeholt. Gegen 20 Uhr saßen sie gemütlich in der Föndacher Disco. Siegfried hatte <strong>die</strong><br />

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Musikbox seitenweise mit den Hits der Siebziger Jahre programmiert. <strong>Die</strong> Disco war voll, <strong>die</strong><br />

Stimmung toll. Unter <strong>die</strong>sen Voraussetzungen war es möglich, <strong>die</strong> dreiwöchige Trennung für<br />

einige St<strong>und</strong>en zu vergessen, <strong>die</strong> Sorgen auf <strong>die</strong> Müllhalde zu werfen <strong>und</strong> sich nur den lustigen<br />

Seiten des Lebens zu widmen. Sogar Karli <strong>und</strong> Susi waren neben George, Fritz <strong>und</strong> Heino im<br />

Lokal.<br />

<strong>Die</strong>smal verlief der Discoabend wieder genau nach Plan, aber es kam noch anders. Hans hatte<br />

seine Situation in Wien genau überprüft <strong>und</strong> war zu dem Ergebnis gekommen, daß es so nicht<br />

weitergehen konnte. „Wie geht’s Gerd?“, fragte er Monika so ganz nebenbei, als sie gegen<br />

Mitternacht allein an einem Tisch saßen. Im Hintergr<strong>und</strong> spielte <strong>die</strong> Musikbox zärtliche<br />

Lovesongs, zu der einige Paare tanzten. „Wieso?“ Monika sah ihn erschrocken fragend an.<br />

„Nun ja, kümmert er sich noch immer so liebevoll um dich?“ Hans lächelte dabei, als wär es<br />

nur so eine kleine Nebenfrage. „Ja, aber. . .“ „Bist auch immer mit ihm <strong>und</strong> deinem Bruder<br />

unterwegs!“ „An den Wochenenden, du hast doch gesagt. . .“ „Ja, habe ich. Außerdem bin ich<br />

der Meinung, wir sollten uns auf Zeit trennen!“ Monika sah ihn ohne jede sichtbare Reaktion<br />

an, senkte ihren Blick <strong>und</strong> hörte ihm wortlos zu. „Wenn ich andauernd nach Kärnten fahre, das<br />

kostet mich unendlich viel Geld! Ich bin einfach nicht in der Lage zu sparen. Und wenn ich mir<br />

was aufbauen möchte, dann muß ich sparen, ansonsten war alles umsonst! Außerdem bin ich<br />

der Meinung, daß du ruhig deine Freiheit haben sollst, koste sie aus! Du weißt doch auch nicht,<br />

was ich in Wien tu, oder? In 6 Monaten bin ich sicher soweit, daß wir eine gemeinsame<br />

Zukunft in Klagenfurt oder sonst wo aufbauen können, wenn du dann noch Interesse daran<br />

hast. . .“ Es gab zwei Gründe, weshalb Hans mit <strong>die</strong>sem Vorschlag an Monika herantrat.<br />

Erstens ließ seine finanzielle Situation zu wünschen übrig. Er hatte sich zwar ein Sparbuch<br />

zugelegt, aber der größte Teil des sauer ver<strong>die</strong>nten Geldes versickerte im Boden der täglichen<br />

Ausgaben, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Kärntenbesuche schlugen sich noch stärker auf <strong>die</strong> Minusseite. Außerdem<br />

war er getrieben <strong>von</strong> dem Wunsch, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln einen<br />

eigenen Haushalt in Kärnten zu gründen.<br />

Zweitens hatte er den Fehdehandschuh <strong>von</strong> Gerd <strong>und</strong> Monikas Bruder Werner im Geiste<br />

angenommen. Er wußte, daß <strong>die</strong> Zeit für <strong>die</strong> beiden arbeitete, <strong>und</strong> er mußte den Spieß<br />

umdrehen, um <strong>die</strong> Zeit für sich arbeiten zu lassen. Außerdem, <strong>von</strong> Wien aus hatte er keinen<br />

Einfluß <strong>und</strong> mußte so dem Treiben der beiden hilflos zusehen. Er durfte keineswegs zuwarten,<br />

bis sie ihr Vorhaben zum Erfolg führen konnten, <strong>und</strong> wenn, so sollte es nur ein Teilerfolg sein.<br />

Aber ich weiß, ich werde sie für immer gewinnen. Ich werde sie wie ein Puppenspieler aus dem<br />

Hintergr<strong>und</strong> zurückerobern.<br />

Er sah ihr in <strong>die</strong> Augen, doch sie reagierte nicht. Sie saß teilnahmslos da, so als hätte sie ihm<br />

gar nicht zugehört. Soweit ist sie jetzt schon, dachte er, es stört sie anscheinend überhaupt<br />

nicht. Da bin ich noch rechtzeitig mit meinem Plan gekommen. „Ja, Monika, ich muß etwas<br />

erreichen, dazu werfe ich alles in <strong>die</strong> Schlacht!“ „Auch mich?“, fragte sie tonlos. „Nur auf Zeit,<br />

ich hol’ dich wieder!“ „Ich sage dir nur eines, Hansi, wenn du mich verläßt, werde ich sterben!“<br />

„Rede doch nicht so einen Blödsinn!“, entgegnete er wütend. Er hielt es für ein recht primitives<br />

Mittel einer Frau, mit dem Tod zu drohen. „Ich sage dir, Monika, wenn du nochmals deinen<br />

zukünftigen Tod oder sonstige Wahrsagekünste in den M<strong>und</strong> nimmst, siehst du mich nie<br />

mehr!“ Sie saß ruhig, ja beinahe gelassen da <strong>und</strong> sah ihn mit ihren großen Augen traurig an.<br />

Dabei entdeckte er ihre Tränen, sie sah so hilflos aus. Hans riß sich zusammen, er fühlte, daß er<br />

zu weit gegangen war. „War ja nicht so gemeint, Monika!“, sagte er liebevoll <strong>und</strong> streichelte<br />

zärtlich durch ihr Haar. Sie kuschelte sich an ihn. „Hansi, bitte geh nicht weg, laß mich nicht<br />

allein!“, flehte sie <strong>und</strong> begann haltlos zu schluchzen. Er spürte, wie ihr Körper bebte. „Bitte,<br />

hör doch auf zu weinen!“ Doch sie wurde <strong>von</strong> einem Weinkrampf gepeinigt. Er nahm ihre<br />

Hände <strong>von</strong> seinem Körper <strong>und</strong> schüttelte sie. „Hör auf, Monika! Hör auf, bitte!“ Sie kuschelte<br />

sich noch fester an ihn. „Nein!“, sagte sie schluchzend. „Ich hör’ nicht auf!“ Sie sah ihn bittend<br />

an. „Hansi, laß mich nicht allein, bitte!“ Er begann dabei beinahe selbst zu weinen. Er spürte,<br />

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wie sehr sie einander brauchten. In <strong>die</strong>ser St<strong>und</strong>e ließ er seinen Plan fallen. Doch seine<br />

finanzielle Situation - irgendwas mußte er unternehmen. Nur, der Gedanke, sich an ihrem<br />

Bruder <strong>und</strong> Gerd zu rächen, war wie weggeblasen. „Hansi, bitte sag mir, daß du nicht so lange<br />

weg bleibst!“ „Gut, Monika, ich komme in fünf Monaten wieder!“, entgegnete er scherzend.<br />

Sie hatte aufgehört zu schluchzen, nahm ein Taschentuch aus ihrer Handtasche. Hans nahm es<br />

<strong>und</strong> trocknete behutsam ihre Tränen ab. Sie sah ihn dabei glücklich lächelnd an, wie ein Kind,<br />

das endlich <strong>die</strong> Aufmerksamkeit seiner Mutter erlangt hat. Hans war fasziniert <strong>von</strong> ihrem<br />

anmutigen Anblick. „Sag, wie kommst du darauf, daß ich nicht mehr kommen sollte?“ „Ich<br />

weiß es, du wirst auf das dumme Gerede der Leute achten! Aber bitte, glaub den Menschen<br />

nicht, es ist nur Klatsch!“ Sie sah ihn ernst an. „Komm zu mir, auch wenn du mich nicht mehr<br />

als Fre<strong>und</strong>in haben möchtest!“ „Was ist denn mit euch!“, rief Sigi <strong>von</strong> der Bar aus. „Habt’s<br />

Schwierigkeiten!“ „Nein, aber dein Plattenrepertoire ist für den Mist!“, entgegnete Hans. „Gut,<br />

hast mich überzeugt!“, meinte Sigi süffisant lächelnd, ging zur Musikbox <strong>und</strong> wählte einige<br />

Polkas, um den Unmut der übrigen Gäste auf sich zu ziehen. Tja, solche Scherze trieb er oft,<br />

<strong>und</strong> man muß sagen, er heizte damit immer wieder <strong>die</strong> Stimmung an - so auch <strong>die</strong>smal.<br />

Am Samstagnachmittag fuhr er bei schönem Wetter mit dem Moped <strong>von</strong> George zu Monika.<br />

„Hast eine neue Fre<strong>und</strong>in?“, fragte sie, als sie den romantischen Waldweg, der zur Drau<br />

hinunterführt, dahinschlenderten. „Ich brauche keine neue, hab ja dich!“, entgegnete er leicht<br />

überrascht. Sie lächelte <strong>und</strong> sah ihm fragend in <strong>die</strong> Augen. „Ganz nehme ich es dir nicht ab!“<br />

„Wieso nicht, warum willst du mir nicht glauben, Monika?“ Er hielt inne, nahm eine Zigarette.<br />

„Nun, wenn ich ganz ehrlich sein muß, geflirtet? Nein, geflirtet habe ich auch nicht, höchstens<br />

kokettiert! Das ist aber schon alles!“ Er zog kräftig an der Zigarette <strong>und</strong> wartete auf ihre<br />

Reaktion. „Muß ein hübsches Mädchen sein!“, meinte sie recht gelassen. „Ja, aber sie bedeutet<br />

mir nichts!“ Hans zog genußvoll an der Zigarette. „Aber wenn wir schon da<strong>von</strong> sprechen,<br />

Monika, was ist mit deinem Gerd?“ „Mit Gerd?“, entgegnete sie <strong>und</strong> sah ihn mit ihren<br />

w<strong>und</strong>erschönen, großen Rehaugen fragend an. „Ja, ich hab’ mit Gerd geflirtet!“, sagte sie<br />

zaghaft. „Ja, so ist es im Leben!“, meinte er nun beinahe tonlos, hob einen kleinen Stein auf<br />

<strong>und</strong> warf ihn den Weg entlang. „Nein, Hansi, ich . . . es war sonst nichts - es war nur ein<br />

kleiner Flirt!“, sagte sie beschwichtigend. „Ist doch nichts dabei, Monika! Wir sind eben junge<br />

Menschen. Wahrscheinlich brauchen wir Abwechslung, es kann nicht immer Schnitzel sein, es<br />

muß auch ab <strong>und</strong> zu ein Hendl rein!“ Er lachte dabei belustigt. Doch in Wirklichkeit überspielte<br />

er nur gekonnt seine wilde Eifersucht. „Sie sagen, du seist ein w<strong>und</strong>erbarer Kumpel!“ „Wer<br />

sagt das, Monika?“ „Werner <strong>und</strong> Gerd! Ja, sie sagen, du bist ein Typ, mit dem man Pferde<br />

stehlen könne, ein Abenteurer eben!“ Ihre Augen strahlten dabei glücklich. Hans machte gute<br />

Miene zum bösen Spiel <strong>und</strong> lächelte, so, als machte ihn <strong>die</strong>se Aussage stolz. Doch in<br />

Wirklichkeit waren seine Blutbahnen schon mit Adrenalin überladen. So machen <strong>die</strong> das, das<br />

ist ganz schön heimtückisch, schoß es ihm durch den Kopf. Aber wartet nur, ich werde noch<br />

heimtückischer sein! Ihr werdet es bitter bereuen, so eine gemeine Allianz gegen mich gebildet<br />

zu haben, das schwöre ich bei meinem Leben! „Werner hat gemeint, daß du zwar ein Supertyp<br />

bist, aber Gerd wäre für mich geeigneter!“, sagte sie in ihrer ungezwungenen Art. „So, das hat<br />

dein Bruder gemeint?“, entgegnete er nachdenklich. „Vielleicht hat dein Bruder recht!“ Er ging<br />

zum Rinderzaun am Wegerand <strong>und</strong> sah zu den Bergen im Süden. „Nein, er hat nicht recht,<br />

Werner hat nicht recht!“, sagte sie <strong>und</strong> stellte sich neben ihn an den Zaun. „Er möchte mich nur<br />

mit Gerd zusammen sehen!“ Sie hatte <strong>die</strong>smal nicht bemerkt, in welche psychologischkriegerischen<br />

Gedankenspiele Hans verstrickt war, so perfekt hatte er es nach außen<br />

überspielen können. „Dein Bruder hat recht! Gerd ist sicher der bessere Partner für dich. Er hat<br />

einen Beruf, einen Arbeitsplatz <strong>und</strong> ist nicht so ein Abenteurer wie ich!“ Er sah ihr in <strong>die</strong><br />

Augen. „Du willst mich loswerden, Hansi!“ Sie nahm seine rechte Hand <strong>und</strong> meinte: „Ich will<br />

ein Kind <strong>von</strong> dir! Wenn du schon <strong>von</strong> mir geh’n willst, dann erfüll mir wenigsten <strong>die</strong>sen<br />

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Wunsch!“ Dabei sah sie ihm tief in <strong>die</strong> Augen. „Du bist ja verrückt, Monika! Weißt du denn<br />

nicht, welche Art <strong>von</strong> Mann ich bin!“ Er war wütend geworden <strong>und</strong> zog hastig an der<br />

Zigarette. „Ja, das weiß ich, deswegen will ich ja <strong>von</strong> dir ein Kind! Und du brauchst dir keine<br />

Sorgen machen, es wird für dich keine finanziellen Risken geben. Ich werde niemandem sagen,<br />

<strong>von</strong> wem es ist!“ „Es geht mir nicht um Geld, ich will nicht mein Leben lang Familienvater<br />

spielen, hörst du!“ Er sah sie frustriert an. „Das hätte mir in meiner Situation noch gefehlt!“,<br />

fügte er noch leise hinzu. Monika ließ sich <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Rede nicht beirren, sie lächelte <strong>und</strong><br />

pflückte einige Wiesenblumen. „Oder bist du schon schwanger?“, fragte er kleinlaut. Sie kniete<br />

vor einer Gruppe verschiedenster Wiesenblumen <strong>und</strong> lächelte glücklich zu ihm auf. „Nein,<br />

außer wenn Gott will, denn ich nehme schon längere Zeit kein Verhütungsmittel!“<br />

Am Abend war er bei Monika eingeladen. Monika spielte <strong>Die</strong>nstmädchen <strong>und</strong> be<strong>die</strong>nte, was sie<br />

anscheinend <strong>von</strong> Herzen gern tat, Hans, ihren Bruder Werner <strong>und</strong> ihre Mutter. Es gab<br />

Schweinsbraten mit Knödel <strong>und</strong> Krautsalat.<br />

Nach dem Abendessen blieb Werner in der Tischr<strong>und</strong>e, um mit Hans wie in alten Tagen zu<br />

scherzen. Hans wiederum nahm <strong>die</strong>se Gelegenheit zum Anlaß, um wie nebenbei k<strong>und</strong>zutun,<br />

daß es ihn keineswegs stören würde, wenn Monika Gerd zum Fre<strong>und</strong> nehmen würde - was<br />

natürlich nicht stimmte. Aber er war getrieben <strong>von</strong> Rachsucht - was nach außen hin niemand<br />

bemerken konnte. Hans baute ein psychologisches Schlachtfeld auf, indem er <strong>die</strong> Gegner durch<br />

Täuschung <strong>und</strong> Tricks in <strong>die</strong> Irre führen wollte. Ja, er war dabei, seinen Gegnern<br />

vorzugaukeln, daß er nicht bereit wäre, für Monika auch nur einen Pfifferling auszugeben.<br />

Monika räumte den Tisch ab <strong>und</strong> wusch Geschirr. „Prost, Werner!“ „Prost, Hanse!“ <strong>Die</strong> beiden<br />

tranken vom Bier. „Wie geht’s dir so in Wien?“, meinte Werner. „Seit ich weiß, daß Monika<br />

einen neuen Fre<strong>und</strong> hat, nicht schlecht!“ Hans lachte dabei belustigt. Monikas Mutter sah ihn<br />

verdutzt an <strong>und</strong> zog <strong>die</strong> Augenbrauen hoch. „Bleibt alles beim Alten! Dasselbe Auto, nur ein<br />

etwas neueres Modell!“ Werner lachte begeistert auf. Ihm schien <strong>die</strong>ses Gesprächsthema zu<br />

gefallen. „Sogar einen Schnurrbart hat er!“ Hans spielte dabei immer wieder auf Gerd an. „Ja,<br />

alles so wie bei mir. Nur wie es mit dem Schaltknüppel <strong>von</strong> dem neuen Auto aussieht, entzieht<br />

sich meiner Kenntnis!“ Monika war kalkweiß geworden. „Bitte hör auf, Hansi!“, sagte sie leise,<br />

es war ihr sehr unangenehm geworden. Nur Werner, für den <strong>die</strong> Irreführung gedacht war,<br />

lachte begeistert <strong>und</strong> trank kräftig vom Bier. Lach nur, du kommst schon noch in meine Gasse,<br />

dachte Hans <strong>und</strong> trank leise lächelnd vom Bier.<br />

Gegen 20 Uhr ging Hans mit Monika aus dem Haus. Sie hatten sich vorgenommen, zu Fuß<br />

nach Komannsdorf zu gehen, wo ein Zeltfest der Freiwilligen Feuerwehr stattfand. „Wartet!“,<br />

rief ihnen Frau Glaser im Hof nach <strong>und</strong> eilte zu ihnen raus. Hans <strong>und</strong> Monika sahen Frau<br />

Glaser fragend an. „Sag, Hansi“, sagte ihre Mutter, „wollt ihr beide nicht heiraten?“ Hans<br />

fühlte sich <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Frage regelrecht überfahren. Er sah Monika, <strong>die</strong> hinter dem Rücken ihrer<br />

Mutter stand, fragend an. Er wollte schon einwilligen, doch genau in <strong>die</strong>sem Moment verneinte<br />

Monika wie ein Souffleur mit mehreren Kopfbewegungen. Gut, dann eben nicht, dachte Hans<br />

<strong>und</strong> verneinte mit einem schlichten: „Nein!“ Frau Glaser wirkte durch <strong>die</strong>se Negativantwort<br />

betroffen. „Siehst du, Mutter, er will nicht heiraten!“, sagte nun Monika, als hätten sie über<br />

<strong>die</strong>ses Thema schon öfter gesprochen. „Gut, aber du gehst trotzdem nicht mehr aus!“, meinte<br />

Frau Glaser trocken. „Wollen Sie Monika einsperren, sie ist doch keine Nonne!“, sagte Hans<br />

vorwurfsvoll. Frau Glaser schien daraufhin <strong>die</strong> Gedankengänge der Jugend nicht mehr zu<br />

verstehen.<br />

Beim Zeltfest war schon der Teufel los. <strong>Die</strong> Blasmusik spielte resch auf, <strong>und</strong> viele der<br />

anwesenden Gäste waren schon mitten im Feiern. Auch <strong>die</strong> Clique, in der Werner <strong>und</strong> Gerd<br />

verkehrten, schien vollzählig.<br />

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Aber HALT! Trotz verstärkter Umschau - <strong>die</strong> Hans bei Festen <strong>und</strong> Kirchtagen immer hielt -<br />

war Gerd unauffindbar. Und während Monika begeistert einige Fre<strong>und</strong>innen vor dem Festzelt<br />

begrüßte, ließ sich Hans <strong>von</strong> Martin, der schon mitten im Feiern war, auf ein Stamperl<br />

einladen. „Komm, Hanse, gehn wir gleich zu der Bude!“, meinte er freudig, packte Hans, ohne<br />

auf <strong>die</strong> Antwort zu warten, bei der Hand <strong>und</strong> zerrte ihn, wie es Angeheiterte gern tun, zur<br />

Schnapsbude, <strong>die</strong> nur wenige Schritte <strong>von</strong> ihnen entfernt war. „Außa mit dem Obstler!“, sagte<br />

er gut gelaunt zur Schankdame. „Zweimal!“, entgegnete <strong>die</strong>se fre<strong>und</strong>lich. „Klar, mein Haberer,<br />

der arbeitet jetzt bei den M<strong>und</strong>ls in Wien!“, sagte Martin <strong>und</strong> lachte sich gleich selbst das Beste<br />

weg. Im Hintergr<strong>und</strong> spielte <strong>die</strong> Musik kräftig auf, Paare eilten auf den hölzernen Tanzboden<br />

im Freien. „Prost!“ „Prost!“ Und runter ging’s mit der ersten Sechszehntel-R<strong>und</strong>e. Um einen<br />

Ausgleich zu schaffen, ging <strong>die</strong> zweite R<strong>und</strong>e auf Hans, wobei ihm <strong>die</strong> Gänsehaut über den<br />

Rücken lief. Nur so beiläufig drehte er sich zu den Mädels um - wo Monika stehen sollte.<br />

Dabei kam er aus dem Staunen nicht mehr heraus. Gerd war eingetroffen, er ging auf Monika<br />

zu, um sie herzlich zu begrüßen. Und als ihm Monika einen Kuß auf <strong>die</strong> Wange gab, war für<br />

Hans <strong>die</strong> Sache klar.<br />

<strong>Die</strong> Reizreaktion in ihm - wie bei einer Katze, <strong>die</strong> eine Maus sichtet - entlud sich fürchterlich.<br />

Eifersucht, gepaart mit Haß, ließ das Schwarze aus seinen Augen sprühen, <strong>die</strong> Bestie in ihm<br />

bettelte um Kampf, ja, wenn nicht gar totalen Amoklauf. Im selben Moment wandte Monika<br />

ihren Blick zu Hans <strong>und</strong> erkannte den Ernst der Lage. Mich machst du nicht zum Blödel, ich<br />

werde dich zum Gespött machen, Gerd, schoß es Hans durch den Kopf! Er atmete tief <strong>und</strong><br />

fest, um seine blinde Wut zu bändigen. Mit raschen Schritten - nach außen hin völlig gelassen -<br />

eilte er zum Eingang des Festzeltes. Monika schnitt ihm den Weg ab. „Hansi, ist doch nichts<br />

dabei, bei einem Begrüßungskuß, oder?“, sagte sie tief betroffen. „Nein, jetzt nicht mehr!“,<br />

entgegnete er spöttisch grinsend. Sie wollte ihn zurückhalten. „Geh mir aus dem Weg, du<br />

Affe!“, gab er noch haßerfüllt <strong>von</strong> sich.<br />

Er ging ins Festzelt <strong>und</strong> fand in Doris, einem 17jährigen, recht hübschen Mädchen, <strong>die</strong> Chance<br />

zum Ausgleich. Er flirtete <strong>und</strong> tanzte mit ihr, als hätte es Monika nie gegeben. Zwischendurch<br />

lud er sie zur Schnapsbude, um nach außen hin sein kaltes Blut <strong>und</strong> seinen Spaß am Fest<br />

k<strong>und</strong>zutun. Aber so nebenbei beobachtete er trotzdem das Geschehen. Er wollte Monika <strong>und</strong><br />

Gerd zusammen sehen, damit er <strong>die</strong> negative Einstellung zu ihr untermauern konnte. Doch<br />

nichts dergleichen. Gerd wurde seinem Ruf zwar gerecht <strong>und</strong> flirtete ausgelassen mit anderen<br />

Mädchen. Monika wiederum war einfach nicht zu sehen. Ist auch egal, dachte Hans, den<br />

angebrochenen Abend werde ich mit Doris feiern. Lässig legte er seine rechte Hand bei der<br />

Schnapsbude um ihre Hüften <strong>und</strong> trank mit ihr Bruderschaft. „Hansi, komm bitte mit mir!“,<br />

sagte plötzlich Erika, sie war unerwartet aufgetaucht. „Ich muß mit dir sprechen!“ „Erika, was<br />

möchtest mit mir besprechen?“, meinte er, nach dem vierten Stamperl gut gelaunt. „Kannst es<br />

ruhig neben Doris sagen!“, fügte er noch übermütig hinzu. „Monika will mit dir sprechen!“ „Da<br />

schau her, sie will mit mir sprechen!“ Er lachte gutgelaunt vor sich hin. „Aber ich hab zur Zeit<br />

keine Sprechst<strong>und</strong>e, du siehst, ich bin beschäftigt!“ „Hansi, bitte, sie möchte mit dir sprechen!“,<br />

sagte sie nochmals hartnäckig. „Nein!“, entgegnete er wütend. „Ich habe mit ihr nichts mehr zu<br />

besprechen. Liebe Erika“, fuhr er leicht lallend fort, „sag ihr, ich will sie nicht mehr. Außerdem<br />

hab ich eine neue Liebe!“ Dabei küßte er Doris zärtlich. „Hansi, sie will sich umbringen!“ „Na<br />

<strong>und</strong>, das ist nicht mehr mein Revier!“ Verächtlich wandte sich Erika ab <strong>und</strong> ging ins Zelt. Hans<br />

ließ sich nicht beirren <strong>und</strong> flirtete ausgelassen mit Doris, sie tanzten <strong>und</strong> lachten. Nach einer<br />

weiteren halben St<strong>und</strong>e suchte er <strong>die</strong> Toilette auf. Beim Rückweg standen plötzlich Monika<br />

<strong>und</strong> Erika vor ihm. „Hallo, Girls!“, sagte er lässig <strong>und</strong> wollte unbeirrt den Weg zu Doris<br />

fortsetzen. Doch als er den psychischen Zustand <strong>von</strong> Monika erkannte, blieb er stehen. „Hansi,<br />

sprich mit ihr!“, sagte Erika fürsorglich. „Warum ärgerst mich, Monika!“ Sie sah ihm<br />

tieftraurig in <strong>die</strong> Augen <strong>und</strong> begann ganz fürchterlich zu schluchzen. Es ist schon seltsam,<br />

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welch starke Bindung <strong>und</strong> Feinfühligkeit eine große Liebe zu bewirken vermag. Jetzt waren<br />

der Haß <strong>und</strong> <strong>die</strong> Rachegedanken plötzlich wie weggeblasen. Ja, er dankte sogar in Gedanken<br />

Gott, daß <strong>die</strong>se Episode so gut zu Ende gegangen war. Erika ging zu Werner, der scherzend<br />

bei der Schnapsbude stand. „Ich weiß, daß ich schuld bin! Ich werde es nie wieder tun, Hansi!“<br />

Sie schluchzte. „Du bist doch mein Alles!“ „Na, habt ihr euch wieder gef<strong>und</strong>en!“, sagte Doris,<br />

<strong>die</strong> anscheinend so ganz zufällig vorbeikam. „Ja!“, meinte Hans entschuldigend zu ihr. Doris<br />

nickte beifällig <strong>und</strong> ging. „Monika, mach das nie wieder vor meinen Augen!“ „Nein, Hansi, du<br />

bist mein Alles, ich werde es nie wieder tun, bitte glaub mir!“ <strong>Die</strong> beiden versöhnten sich, der<br />

Abend nahm seinen gewohnten Lauf, sie tanzten <strong>und</strong> lachten.<br />

Gegen 23 Uhr gingen sie in das Cafe neben dem Festzelt <strong>und</strong> setzten sich zu einem der freien<br />

Tische. Am Nebentisch saß - wie es halt der Zufall so haben will - Gerd mit einem seiner<br />

weiblichen Fans. <strong>Die</strong> Musikbox spielte Singles wie „Sugar Sugar“, „Geh’ nicht vorbei“, „Che<br />

Sera“, „Sacramento“ <strong>und</strong> viele andere, <strong>die</strong> Herz <strong>und</strong> Gemüt ansprechen.<br />

<strong>Die</strong>ser Kaffeehausbesuch wäre im Gr<strong>und</strong>e nicht erwähnenswert gewesen, denn er verlief wie<br />

bei verliebten Menschen üblich, jedenfalls bis Peter, ein alter Bekannter <strong>von</strong> Hans, kam. „Hey,<br />

Hanse, du bist auch wieder da!“, grüßte er fre<strong>und</strong>lich. „Servus, Peter!“, entgegnete Hans<br />

freudig. „Wie geht es dir, alter Hüne?“ Und wahrlich, Peter war ein groß gewachsener,<br />

schlanker, blonder Typ mit stahlblauen Augen. Er wohnte zwar in Komannsdorf, gehörte<br />

jedoch nicht zur Clique <strong>von</strong> Werner <strong>und</strong> Gerd. Als Peter Monika an der Seite <strong>von</strong> Hans<br />

bemerkte, war’s mit dem fre<strong>und</strong>lichen Gesichtsausdruck vorbei. „Hanse, komm mit mir raus!<br />

Ich muß dir etwas sagen!“ Wortlos stand Hans auf <strong>und</strong> ging etwa zwei Schritte auf Peter zu.<br />

Doch ebenso schnell hatte Monika reagiert <strong>und</strong> hielt Hans zurück. „Nein, du darfst nicht mit<br />

ihm raus geh’n!“, sagte sie dabei sichtlich nervös. „Warum nicht?“, entgegnete Hans<br />

überrascht. „Ich will nicht, daß du mit ihm raus gehst! Bitte mach mir einen Gefallen <strong>und</strong> bleib<br />

hier!“, sagte sie richtiggehend bestürzt <strong>und</strong> hielt seine Hand fest. „Na gut!“, entgegnete er,<br />

freilich wohl auch, weil er dem Ansinnen <strong>von</strong> Peter auch keine besondere Wichtigkeit beimaß.<br />

Hans wollte gerade zum Tisch zurück, doch Peter, der Monika argwöhnisch im Visier hatte,<br />

ließ nicht locker. „Komm mit mir raus, Hanse, ich muß dir etwas Wichtiges sagen!“ Doch<br />

Monika hängte sich wie eine Klette an Hans. Gerd beobachtete <strong>die</strong> Szene aufmerksam. „Laß<br />

ihn, Monika!“, schrie Peter verärgert. „Nein, nein, Hansi, ich weiß, dann ist es aus mit uns<br />

beiden! Wenn du mit ihm rausgehst, bin ich nicht mehr da!“, flehte ihn Monika an.<br />

„Verschwinde, sonst hau ich dir <strong>die</strong> Zähne raus!“, schrie plötzlich Gerd zu Peter. „Gut, Hanse,<br />

du willst es nicht anders!“, sagte daraufhin Peter <strong>und</strong> verließ das Lokal. Hans wollte ihm<br />

folgen, doch Monika entwickelte ungeahnte Kräfte. „Gut, wenn nicht heute, dann ein anderes<br />

Mal!“, meinte er.<br />

Peter hatte ihn sehr neugierig gemacht. Aber er war sich sicher, schon beim nächsten Treffen<br />

mit Peter alles zu erfahren.<br />

Nach Mitternacht lagen sie auf dem leichten Hang vor ihrem Elternhaus im Gras. Es war eine<br />

w<strong>und</strong>erbare Spätsommernacht. <strong>Die</strong> Grillen zirpten ungesehen <strong>und</strong> vom Feuerwehrfest klang<br />

der Schlager „Gitarren klingen leise durch <strong>die</strong> Sommernacht, Gitarren der Sehnsucht. . .“ <strong>Die</strong><br />

beiden küßten einander leidenschaftlich. „Du, Hansi, was hältst du da<strong>von</strong>, wenn wir demnächst<br />

nach Klagenfurt fahren <strong>und</strong> uns Verlobungsringe kaufen?“ „Superidee!“, entgegnete er<br />

glücklich lächelnd. „Fragt sich nur, wann, wenn ich doch nie da bin!“ Sie streichelte zärtlich<br />

durch sein Haar. „Weißt du, was ich mir noch gedacht habe?“ „Leider nein, Moni!“ „Wir<br />

könnten auch gleich ein paar Bilder <strong>von</strong> uns beiden machen, ich meine, mit uns beiden<br />

zusammen - so eine Art Verlobungsfoto!“ Hans riß einen langen Grashalm ab <strong>und</strong> schwenkte<br />

<strong>die</strong>sen lässig durch <strong>die</strong> Luft. „Verlobungsfoto? Du kommst vielleicht auf Ideen, Moni!“, sagte<br />

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er begeistert. <strong>Die</strong> beiden waren ausgesprochen glücklich <strong>und</strong> genossen ihr Beisammensein<br />

ausgiebig.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : S e p t e m b e r I V . W o c h e<br />

D E R B R U C H M I T M O N I K A<br />

Der Alltag in Wien nahm seinen gewohnten Lauf. Bei der Tankstelle <strong>und</strong> im Stammlokal hatte<br />

sich nichts Besonderes getan. Wolfgang <strong>und</strong> Karin waren verliebt wie eh <strong>und</strong> je, <strong>und</strong> auch<br />

Regina schien ein Auge auf Hans geworfen zu haben. Doch <strong>die</strong>ser war in wildromantische<br />

Gedankengänge, <strong>die</strong> sich nur um Monika drehten, verstrickt. Hans hatte in <strong>die</strong>ser Woche eine<br />

veränderte <strong>Die</strong>nstregelung mit dem anderen Tankwart durchgesetzt <strong>und</strong> so <strong>von</strong> Freitag, 13<br />

Uhr, bis Sonntag, 13 Uhr, frei bekommen. So konnte er seine Monika an <strong>die</strong>sem letzten Freitag<br />

im September besuchen. Der Ablauf des Besuches war eigentlich schon fast Routine. Nach der<br />

Disco gingen sie zu ihm heim <strong>und</strong> setzten sich auf <strong>die</strong> Couch in der Wohnküche. Sie sprachen<br />

miteinander, ließen sich <strong>von</strong> leiser Musik aus dem Radio berieseln <strong>und</strong> küßten einander<br />

zwischendurch leidenschaftlich. Plötzlich ging <strong>die</strong> Schlafzimmertür seiner Eltern auf. Vater<br />

ging schlaftrunken <strong>und</strong> ohne ein Wort des Grußes, nur mit einem Hemd bekleidet durch das<br />

Wohnzimmer, um <strong>die</strong> Toilette aufzusuchen. Da <strong>die</strong> beiden wußten, daß er auch recht dumme<br />

Meinungen <strong>von</strong> sich geben konnte, setzten sie sich auf <strong>und</strong> warteten seinen Retourweg ab. „Ihr<br />

wißt wohl auch nicht mehr, wo ihr noch euren Geschlechtsakt durchführen sollt, was!“,<br />

bemerkte er verächtlich <strong>und</strong> ging ins Schlafzimmer - wobei man deutlich heraushören konnte,<br />

daß seine dritten Zähne auf dem Nachtkästchen lagen. „Am liebsten würde ich ihm jetzt ein<br />

paar geben!“, sagte Hans haßerfüllt. „Laß, Hansi, er ist ein armer Narr!“, meinte Monika<br />

beschwichtigend.<br />

<strong>Die</strong> beiden übersiedelten in Hans’ Schlafzimmer. Sein Bruder war nicht anwesend. Er schaltete<br />

den Kassettenrecorder ein <strong>und</strong> wollte sich ausziehen. „Ich will heute nicht mit dir schlafen!“,<br />

sagte Monika <strong>und</strong> sah ihn ernst an. „So, <strong>und</strong> warum nicht?“, fragte er erstaunt. „Mir ist heute<br />

nicht danach. Hansi, ich möchte mit dir sprechen. Immer wenn du nach Hause kommst,<br />

möchtest du mit mir schlafen!“ „Na, <strong>und</strong> was glaubst du, warum ich nach Hause komme?“,<br />

entgegnete er <strong>und</strong> setzte sich auf das Bett. Monika setzte sich zu ihm. „Ja, aber es ist nicht<br />

mehr so wie früher. Du kommst vom Bahnhof, wir fahren zu Siegfried oder zu Evi. Du<br />

unterhältst dich blendend mit deinen Fre<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> danach geht’s ab in <strong>die</strong> Heia!“ Sie nahm<br />

ihre Zigaretten aus der Handtasche. „Willst auch eine?“ „Ja, Monika, jetzt brauche ich eine!“,<br />

meinte er betroffen. Er wußte, irgendetwas war schiefgelaufen. Gedanken begannen wild durch<br />

seinen Kopf zu laufen. „Bist du schwanger, oder was ist mit dir los?“ „Nein, bis jetzt hab ich<br />

jedenfalls nichts da<strong>von</strong> bemerkt!“, entgegnete sie tonlos. Hans sah sie fragend an. Ist vielleicht<br />

Gerd schon am Zug, überlegte er. Könnte sein, aber was soll es, ich bin ja selbst schuld! „Na ja,<br />

es mußte ja so kommen!“, sagte er, sah ihr in <strong>die</strong> Augen <strong>und</strong> nickte wissend mit dem Kopf.<br />

Mein Gott, was soll ich jetzt nur machen, wie kriege ich den Karren zum Fahren, dachte er <strong>und</strong><br />

zog nachdenklich an der Zigarette. „Was ist, Monika, kommst nächstes Wochenende zu mir<br />

nach Wien?“ Sie sah ihn fragend an <strong>und</strong> meinte: „Nein, meine Eltern wollen nicht, daß ich nach<br />

Wien fahre!“ „Nun ja, dann werde ich halt ein Wörtchen mit deinen Eltern reden!“ „Nein, ich<br />

will auch nicht nach Wien kommen!“, entgegnete sie bestimmt. Erstaunt zog Hans seine<br />

Augenbrauen hoch <strong>und</strong> zog kräftig an der Zigarette. „Was wollen wir beide dann noch,<br />

Monika?“ Er sah sie fragend an. „Ich weiß nicht, wie du das meinst?“, entgegnete sie mit<br />

beklommener Stimme. „Ganz einfach. Ich denke, daß wir uns auseinandergelebt haben! Unsere<br />

Beziehung dürfte nichts mehr wert sein“, sagte er resigniert <strong>und</strong> sah betroffen zu Boden.<br />

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„Nein, das ist nicht wahr! Ich brauche dich!“, lenkte sie plötzlich ein. „Oh nein, Monika, ich<br />

glaube, du spielst mir etwas vor, das zwischen uns beiden schon längst nicht mehr existiert!“<br />

„Jaja, wenn es nicht gleich nach deinem Dickschädel geht!“ „Hör auf mit dem Schmarrn! Was<br />

willst eigentlich, Monika, was willst du?“, unterbrach er sie verärgert. „Ich will dich, nur<br />

dich!“, sagte sie leise <strong>und</strong> sah zu Boden. „Auf <strong>die</strong>se Weise wirst mich schneller verlieren als<br />

bekommen!“ „Du gehörst eines Tages mir!“, sagte sie <strong>und</strong> sah ihm beschwörend in <strong>die</strong> Augen.<br />

„Du wirst schon sehen!“, meinte sie weiter <strong>und</strong> nickte dazu. „Ach was, bei dir kenne ich mich<br />

nicht mehr aus!“, entgegnete er.<br />

Nachdem Hans - mit dem Moped <strong>von</strong> George - Monika nach Hause gefahren hatte, machte er<br />

noch einen Abstecher zu Sigi. Er feierte mit seinen Fre<strong>und</strong>en ausgiebig, schließlich hatten sie<br />

vieles nachzuholen.<br />

Am Samstag erblickte er deswegen erst gegen Mittag das Licht des Tages. Nach dem<br />

Mittagessen besuchte er mit Fritz, der mit seinem neuen Auto vorfuhr, Evi. „Seit du weg bist,<br />

ist es nicht mehr so lustig, Hansi!“, meinte Evi, während sie ein Krügel Bier vor ihn auf <strong>die</strong> Bar<br />

stellte. „Jaja, du alte Schmeichlerin!“, entgegnete er lächelnd <strong>und</strong> trank kräftig, um den Kater<br />

vom Vortag einzudämmen. „Und was ist mit deiner Monika?“, fragte sie interessiert. „Was soll<br />

schon sein, Evi, um 17 Uhr wird sie mich heute abholen!“ „So, hat sie schon ein Auto?“ „Nein,<br />

sie wird doch erst 17 im Dezember! Mit ihrem Bruder wahrscheinlich!“ „Schade, seit du weg<br />

bist, läßt sie sich nicht mehr anschauen!“ „Du brauchst sie ja eh nicht anschauen, oder?“, warf<br />

Hans spöttisch ein. Fritz lachte belustig auf. „Das kostet dich einen roten Spritzer!“,<br />

entgegnete Evi <strong>und</strong> setzte, ohne viel Federlesens zu machen, ihr Getränk auf <strong>die</strong> Rechnung <strong>von</strong><br />

Hans. „Ja, so geht es mir, da kann ich ja zu nichts kommen!“ „Tja, dann mußt dich halt ein<br />

wenig zurückhalten, Hansi!“, entgegnete Evi boshaft.<br />

Gegen 15 Uhr hatte Hans schon einige Bier konsumiert. Der Kater war besiegt, nur konnte er<br />

sich keinen rechten Reim auf Monikas Verhalten machen. Und als Fritz meinte, daß er jetzt<br />

gehen müsse, begann das Verhängnis. „Wieso?“ „Um 16 Uhr beginnt mein <strong>Die</strong>nst!“ „Nun ja,<br />

aber du wirst mich doch noch rasch zu Monika fahren können, oder?“ „Ja, aber das muß<br />

wirklich schnell gehen. Ich muß in den <strong>Die</strong>nst!“, entgegnete Fritz hektisch.<br />

Fritz fuhr recht rasant in den Hof <strong>von</strong> Monikas Eltern ein <strong>und</strong> drückte einige Male kräftig auf<br />

<strong>die</strong> Hupe, um seinen Zeitdruck k<strong>und</strong>zutun. Erst als sich Monika überzeugt hatte, wer da<br />

eingefahren war, eilte sie zu ihnen heraus. „Hallo, Fan!“, meinte Hans schelmisch lächelnd,<br />

nachdem er <strong>die</strong> Beifahrertür geöffnet hatte. „Servus, Hansi! Hallo, Fritz!“, sagte sie fre<strong>und</strong>lich<br />

lächelnd. „Lach nicht soviel, wir haben keine Zeit, steig ein!“, sagte Hans scherzend. „Ich kann<br />

nicht, ich muß Mutter bei der Arbeit helfen!“ „Na gut, der Fritz macht mich hektisch! Kommst<br />

mich um 17 Uhr abholen?“, sagte Hans, um den Termin nochmals zu fixieren. „Ich hol dich<br />

gegen 17 Uhr mit Gerd <strong>von</strong> zu Hause ab!“, entgegnete sie <strong>und</strong> sah ihn fragend an. Mit Gerd<br />

will sie mich abholen, schoß es ihm durch den Kopf. Seine Gedanken begannen förmlich zu<br />

explo<strong>die</strong>ren. Sind <strong>die</strong> beiden jetzt schon ganz verrückt geworden, für wie dumm halten sie<br />

mich? Hans spürte, wie jede einzelne Zelle in seinem jungen Körper zu beben begann.<br />

Ohnmächtige Wut <strong>und</strong> blinde Rachsucht schienen <strong>die</strong> Oberhand zu gewinnen. „Mach schon,<br />

Hanse, ich muß fahren!“, sagte Fritz, der <strong>die</strong> Zusammenhänge des Gesprächs nicht kannte <strong>und</strong><br />

nervös mit dem Gaspedal spielte. „Bist einverstanden?“, fragte Monika fre<strong>und</strong>lich lächelnd <strong>und</strong><br />

setzte sich auf seinen Schoß. „Ach, was ich sagen wollte!“, entgegnete Hans - äußerlich noch<br />

völlig ruhig <strong>und</strong> gelassen wirkend. Doch schon sah er sie haßerfüllt an. „Verschwinde, ich<br />

brauch dich nicht mehr!“ Sie sah ihn mit großen Augen verstört an, so als hätte sie nicht richtig<br />

gehört. „Los, verschwinde, ich brauch dich nicht mehr!“ Er stieß sie dabei wütend <strong>von</strong> seinem<br />

Schoß. „Was hast du da gesagt?“, sagte sie erschrocken <strong>und</strong> starrte ihn verschreckt an. „Hör<br />

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auf, Hanse, sei nicht blöd!“, warf nun Fritz dazwischen. „Ich sagte, du sollst verschwinden!“ Er<br />

spürte dabei, mit welch seltsamer Lust er das sagte. Monika stand vor ihm <strong>und</strong> sah ihn bestürzt<br />

an. „Hansi, sag das nicht noch einmal!“ „Ich sage es dir noch h<strong>und</strong>ertmal, wenn du willst,<br />

verschwinde!“ Er schob sie <strong>von</strong> der Autotür weg <strong>und</strong> schloß <strong>die</strong>se. „Fritz, fahr, damit ich<br />

<strong>die</strong>sen Trampel nicht länger ansehen muß!“ Sie sah ihn fassungslos durchs offene Seitenfenster<br />

an <strong>und</strong> meinte: „Hansi, so eine wie mich kriegst du nicht mehr!“ Danach rannte sie ins Haus.<br />

„Komm zu Siegfried, dort ist er heute!“, rief ihr Fritz nach, doch <strong>die</strong> Haustür war schon<br />

geschlossen. „So, wieder eine Weiberepisode zu Ende!“, sagte Hans, als Fritz aus dem Hof<br />

fuhr. „Du bist doch verrückt, das hättest du bei ihr nicht tun sollen - nicht bei Monika!“<br />

Wenig später saß Hans bei Evi an der Bar <strong>und</strong> bestellte ein Bier. „Wann kommst denn endlich<br />

mit Monika?“, fragte Evi. „Ich, ich überhaupt nicht mehr!“, entgegnete er emotionslos. „Wieso<br />

nicht?“ „Ich habe ihr <strong>die</strong> Liebe gekündigt!“ „Aber warum?“ „Weil ich sie nicht mehr will, ist<br />

doch ganz einfach, oder!“ Doch in Wirklichkeit bereute er <strong>die</strong>sen Schritt im Herzen schon<br />

längst bitter. Verzweifelt suchte er gedanklich nach Möglichkeiten, um ihn rückgängig zu<br />

machen. <strong>Die</strong> Musikbox spielte „I’m In The Mood For Love“, dabei hätte Hans am liebsten<br />

geheult. „Bei dir ist Hopfen <strong>und</strong> Malz verloren, Hansi. Du bist ja nicht ganz normal!“, sagte<br />

Evi verärgert. „Was gehen dich meine Weibergeschichten an?“, entgegnete er recht emotionell,<br />

um seinen inneren Zustand zu vertuschen. Evi sah ihn ruhig an. <strong>Die</strong> Musikbox spielte „When A<br />

Man Loves A Woman“, dabei wäre er vor Sehnsucht schon beinahe in <strong>die</strong> Knie gegangen. „Du<br />

hast recht, es geht mich nichts an. Aber Monika! Hansi, du bedeutest ihr sehr viel - glaub mir,<br />

ich weiß es. Ihr wart so ein bezauberndes Liebespaar. Oft habe ich bei euch an meine Jugend<br />

gedacht. Wenn ich euch so beobachten durfte - eine schöne Zeit. Monika strahlte an deiner<br />

Seite immer so viel Glück <strong>und</strong> Zufriedenheit aus! Ich weiß, Hansi, daß du ihr Alles bist!“ „Laß<br />

nur, Evi, ich weiß eh, daß ich ein blöder H<strong>und</strong> bin!“ Und während Evi weiter auf ihn einsprach,<br />

fühlte er <strong>die</strong> fürchterliche Leere, <strong>die</strong> ihn umgab. <strong>Die</strong>ses wahrlich blutende Gefühl in der<br />

Herzgegend, das einen so hilflos werden läßt.<br />

„Gib mir noch ein Bier, Evi!“, sagte er nach einiger Zeit. „Trink nicht soviel!“, entgegnete sie,<br />

während sie das Bierglas füllte. Am liebsten würde ich zu ihr gehen <strong>und</strong> mich entschuldigen,<br />

dachte er <strong>und</strong> trank einen recht kräftigen Schluck vom Bier. Doch im selben Moment dachte er<br />

an Gerd, <strong>und</strong> der Haß sprühte förmlich aus seinen Augen. Niemals, niemals werde ich ihn<br />

gewinnen lassen, dachte er. Ich werde den Mistkerlen noch zeigen, wo der Pfeffer wächst! Ich<br />

habe mit ihr zwar gebrochen, aber ich werde sie niemals aufgeben! Mein Gott, was bin ich<br />

denn ohne sie? Ein Nichts, das beim Bier sitzt <strong>und</strong> sich sinnlos betrinkt. „Was hast denn,<br />

warum schaust denn so komisch drein?“, fragte Evi besorgt. „Vielleicht gehst mir auf <strong>die</strong><br />

Nerven!“ Er warf einen Blick auf <strong>die</strong> Uhr, 17 Uhr! Jetzt ist der Mistkerl bei ihr. Am liebsten<br />

würde ich sie jetzt mit einer Pumpgun aufsuchen, dachte er. „Zahlen!“, sagte er energisch.<br />

„Gehst schon?“ „Ja, bin froh, wenn ich euch nicht mehr sehe!“ Wortlos nahm Evi das Geld<br />

entgegen. Doch er sah an ihrem Gesichtsausdruck, wie leid er ihr tat.<br />

Zu Fuß ging er <strong>von</strong> Evi nach Hause, es war immerhin ein Strecke <strong>von</strong> ca. 5 Kilometern. Dabei<br />

hatte er genug Zeit, um nachzudenken, aber auch um zu weinen. Er wurde dabei <strong>von</strong><br />

Sehnsucht regelrecht gepeinigt. Sie war der einzige Mensch, den er liebte, oder besser,<br />

abgöttisch liebte. Es wurde ihm erst jetzt so richtig bewußt, wie bedeutungslos für ihn seine<br />

Eltern, seine Geschwister, ja einfach alles, sogar sein Leben, geworden waren. Er fühlte ein<br />

Vakuum in seinem Herzen, das sich bis tief in <strong>die</strong> Magengegend ausdehnte. Und er fühlte auch,<br />

wie sehr ihn Monika liebte. Er spürte, wie Tränen über seine Wangen liefen. Er wischte sie<br />

einfach mit den Fingern aus dem Gesicht.<br />

In Föndach angekommen, betrachtete er alte Dorfhäuser, denen er vorher nie Beachtung<br />

geschenkt hatte, aber er mußte sich einfach ablenken. Doch <strong>die</strong>se hilflose Leere ließ sich nicht<br />

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einfach wegzaubern. Vor ein paar St<strong>und</strong>en noch hatte sein Wesen großen Optimismus<br />

ausgestrahlt, <strong>die</strong> Welt war mit einem w<strong>und</strong>erschönen Antlitz zu seinen Füßen gelegen. Und<br />

jetzt? Mein Gott, wär ich doch mit Fritz nicht zu ihr gefahren! Ich hab es doch nicht gewollt, es<br />

ist einfach das Schicksal über uns hinweggerollt!<br />

„Kannst nicht grüßen!“, fuhr Vater ihn verächtlich an, als er wenig später in <strong>die</strong> Wohnküche<br />

eintrat. „Nein, wozu sollte ich?“, entgegnete Hans wütend. Vater, der solche rotznäsigen<br />

Antworten nicht gewohnt war, sah ihn verdutzt an. „Was hast denn, Hansi?“, fragte Mutter<br />

besorgt. „Ach, nichts Besonderes!“, entgegnete er trocken. „Ich hab mit Monika Schluß<br />

gemacht!“ „Warum das, Hansi?“, fragte sie äußerst beunruhigt. „Damit ich in Wien bleiben<br />

kann <strong>und</strong> nicht andauernd eure blöden Gesichter ansehen muß!“, sagte er zornig, seine Augen<br />

funkelten vor Haß. Mutter sah ihn nachdenklich <strong>und</strong> besorgt an, bis sie einige Augenblicke<br />

später ihren Blick <strong>von</strong> ihm abwandte. Sie fühlte, jedes weitere Wort würde ihn nur unnötig<br />

reizen. Hans ging ins Badezimmer, betrachtete sein Gesicht im Spiegel - schließlich wollte er<br />

sehen, ob man seinen katastrophalen inneren Zustand auch an seinem Äußeren ablesen konnte.<br />

Nein, war nicht so arg. Ich fahre zu Martin, vielleicht treff ich dort Monika, dachte er. Wär<br />

schön, wenn wir uns bei Martin versöhnen könnten.<br />

Hans fuhr mit dem Moped <strong>von</strong> George nach Komannsdorf. „Hey, wie geht’s, Hanse?“, rief<br />

Martin erfreut, als er im Lokal eintrat. „Hanse, <strong>die</strong> Monika war da, du sollst zu ihr nach Hause<br />

gehen, sie will mit dir reden!“ „Nein, <strong>die</strong> kann mir gestohlen bleiben!“, entgegnete er<br />

emotionslos. Doch in Wirklichkeit ärgerte es ihn schon, <strong>die</strong>se einmalige Chance einfach so<br />

dumm ausgeschlagen zu haben. Und als er ihren Bruder Werner, der in einer geselligen R<strong>und</strong>e<br />

saß, entdeckte, schaltete sein sensibles Gemüt sofort wieder auf harten Kurs. Hans fragte sich<br />

plötzlich selbst: Warum bin ich hergefahren, wenn ich doch nur auf stur schalte? Ich liebe sie<br />

abgöttisch <strong>und</strong> will sie niemals verlieren. Ich weiß, ihr geht es genauso. Sie hat bei Martin eine<br />

fre<strong>und</strong>liche Einladung hinterlassen, <strong>und</strong> ich schlage sie kalt <strong>und</strong> emotions los aus! <strong>Die</strong> Antwort<br />

war simpel: in ihm kämpften zwei Gegensätze. <strong>Die</strong> Asiaten kennen <strong>die</strong>se zum Beispiel unter<br />

„Yin“ <strong>und</strong> „Yang“, <strong>die</strong> in einem Symbolzeichen in Form eines Kreises vereinigt sind. Das eine<br />

ist rot, das andere blau. Das eine steht fürs Weibliche, das andere fürs Männliche. Das eine für<br />

Geburt, das andere für Tod. Das eine für Frieden, das andere für Krieg. Das eine für Liebe, das<br />

andere für Haß. Nennen wir <strong>die</strong>se Gegensätze in ihm „L“ - für Liebe <strong>und</strong> „K“ - für Kampf.<br />

Ach, Blödsinn, dachte er, wenn ich will, dann stecke ich mein „K“ weg. Und schließlich bin ich<br />

doch zu Martin gekommen, um meine Chance beim Schopf zu packen. „Wo gehst denn heute<br />

abend hin?“, fragte ihn Werner. Im selben Moment fühlte er, wie sein Blut in einer Art<br />

Überreaktion in Wallung geriet, wie sein „K“ mühelos sein „L“ übertrumpfte. Nach außen hin<br />

spielte er gekonnt kühle Zufriedenheit. „Zum Bergwirt in Oberndorf!“, entgegnete Hans<br />

fre<strong>und</strong>lich. „Willst nicht zum Wiesenfest nach St. Veit fahren?“, fragte Monikas Bruder. In<br />

seinem Gesicht erkannte Hans, daß Werner schon <strong>von</strong> dem Zerwürfnis mit Monika erfahren<br />

hatte <strong>und</strong> wahrscheinlich auf Ersuchen seiner Schwester ein zufälliges Treffen zu organisieren<br />

versuchte. Hans fühlte, wie in seinem Inneren das „K“ höhnisch vor Schadenfreude grinste.<br />

Wie es nach Krieg, Lust am Zerstören <strong>von</strong> Gerd <strong>und</strong> Werners Position bei Monika schrie!<br />

„Nein, ich fahre heute zum Bergwirt rauf, <strong>und</strong> es wird eine feuchtfröhliche Nacht!“, entgegnete<br />

Hans <strong>und</strong> fügte noch süffisant lächelnd hinzu: „Für mich jedenfalls!“ „Nichts da, du fährst mit<br />

mir zum Wiesenfest!“, warf Martin überzeugt ein. „Na, wo gehst jetzt hin?“, fragte Werner<br />

nochmals, Martin hatte ihn aus dem Konzept gebracht. „Ich <strong>und</strong> du, Müllers Kuh!“, entgegnete<br />

Hans belustigt <strong>und</strong> zuckte, als wüßte er es noch nicht, mit den Achseln.<br />

*<br />

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Das Wiesenfest findet alljährlich in einem großen Areal in der Kärntner Kleinstadt St.Veit an<br />

der Glan statt. Mit Rummelplatz, Autodrom, Ringelspiel, Schaubuden usw. gilt <strong>die</strong>se<br />

Veranstaltung im weiten Umkreis als Sensation. Es ist das Kärntner Gegenstück zum<br />

Oktoberfest in Bayern.<br />

Erst nachdem Werner das Lokal verlassen hatte, nahm Hans <strong>die</strong> Einladung <strong>von</strong> Martin an. Da<br />

Martin bis nach 20 Uhr im Lokal seiner Eltern <strong>Die</strong>nst versah, kamen <strong>die</strong> beiden erst gegen 21<br />

Uhr auf’s Wiesenfest. Martin war besonders gut gelaunt, vielleicht auch, weil er solo - also<br />

ohne seine Fre<strong>und</strong>in - ausging <strong>und</strong> sich fest vorgenommen hatte, <strong>die</strong>s kräftig auszunützen.<br />

Hans hingegen wurde <strong>von</strong> seinem „L“, das nun fest <strong>die</strong> Herrschaft übernommen hatte,<br />

psychisch gemartert. Seine Blicke wanderten unauffällig durch <strong>die</strong> Menschenmassen, suchten<br />

krankhaft nach einem Gesicht aus der Komannsdorfer Clique - denn dann wäre auch Monika<br />

nicht weit gewesen. Doch nichts, <strong>die</strong> beiden gingen den ganzen Rummelplatz - zwischen Bier<strong>und</strong><br />

Schnapsbuden, Autodrom <strong>und</strong> Schießständen - ab <strong>und</strong> entdeckten keine bekannte<br />

Menschenseele.<br />

„Gehen wir auf ein Bier rein!“, sagte Martin nach der Umschau <strong>und</strong> meinte das große Bierzelt,<br />

aus dem kräftige Volksmusik schallte. „Klar!“ Es war ein typisches Bierzelt mit Tanzboden <strong>und</strong><br />

Blasmusik, <strong>die</strong> deftig aufspielte, um den Hopfen <strong>und</strong> das Malz noch flüssiger zu machen. Sie<br />

drängten sich durch das volle Zelt <strong>von</strong> Tisch zu Tisch, um vielleicht doch noch eine<br />

Sitzgelegenheit zu finden. „Hey, Günter!“, rief Martin begeistert. „Der Martin“, entgegnete<br />

<strong>die</strong>ser erstaunt, „haben’s dich doch ausgelassen!“ Im Hintergr<strong>und</strong> spielte <strong>die</strong> Musik:<br />

„Steirischer Brauch“. „Hanse, das ist Günter, mein Ex-Arbeitskollege!“, sagte Martin beim<br />

Bekanntmachen. „Servus, Hanse!“, sagte Günter <strong>und</strong> hob wie ein Indianer <strong>die</strong> Hand zum<br />

Gruße. „<strong>Die</strong> Mädels kennt ihr vermutlich noch nicht, aber ihr werdet sie sicher noch<br />

kennenlernen!“, meinte er weiter in Bezug auf seine drei hübschen, jungen Sitznachbarinnen.<br />

Günter <strong>und</strong> Martin scherzten <strong>und</strong> lachten mit den Mädchen, ja, sie ließen sozusagen <strong>die</strong> Sau<br />

raus. Hans hingegen, gepeinigt <strong>von</strong> seinem „L“, saß teilnahmslos <strong>und</strong> traurig, nachdenklich da.<br />

Den Ellbogen des linken Arms auf der Tischplatte, den Unterarm senkrecht nach oben<br />

abgewinkelt, <strong>die</strong> Finger bildeten eine Faust, auf der seine Stirne schwer zu ruhen schien.<br />

Zwischendurch nahm er einen kleinen Schluck vom noch immer fast vollen Bierkrug. „Was ist<br />

mit dir?“, fragte Martin. Und weil Hans seinen Bierkrug mit der rechten Hand abwechselnd<br />

einige Zentimeter nach vor <strong>und</strong> zurück schob, warf Helga noch schnippisch ein: „Sehr<br />

lehrreich, deine Bierkrugzüge! Um was spielst eigentlich?“ „Um dich, Helga!“, entgegnete er<br />

trocken. „Thh, das ist aber interessant!“, gab sie noch gelangweilt <strong>von</strong> sich.<br />

Gegen 23 Uhr hatten Martin <strong>und</strong> Günter <strong>die</strong> Mädchen weichgekocht. Sie fuhren allesamt mit<br />

dem 2 CV <strong>von</strong> Martin nach Komannsdorf, wo sie außerhalb des Ortes in einer verträumten<br />

Waldlichtung das Blockhaus <strong>von</strong> Martins Eltern, welches unbewohnt war, aufsuchten.<br />

Sichtlich angeheitert <strong>und</strong> bestens gelaunt, lief Martin wie ein kleiner übermütiger Junge durch<br />

<strong>die</strong> zwei Zimmer. Hans hingegen war inzwischen nüchtern geworden. „Komm rein, Hanse, <strong>die</strong><br />

packen wir jetzt!“, rief Martin aus dem Nebenzimmer. „Nein, Martin, ich habe keine Lust!“,<br />

entgegnete Hans sichtlich genervt. Es dauerte keine 10 Sek<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> Martin stand mit einer<br />

vollen Cognacflasche vor ihm. „Da, trink, wir müssen uns dopen. Wir Rosentaler werden’s den<br />

Mädels zeigen!“, gab er stark belustigt <strong>von</strong> sich. „Nein, laß mich, ich mag nichts mehr!“ „Was<br />

ist denn, hast vielleicht Liebeskummer?“ Martin sah ihn dabei fragend an. „Nein, aber mir ist<br />

schlecht!“, entgegnete Hans <strong>und</strong> setzte sich kalkweiß zum Tisch. Martin ließ sich nicht beirren.<br />

Er nahm einige Achtelgläser aus der Kredenz, füllte eines für Hans <strong>und</strong> siedelte mit dem<br />

großen Alkoholnachschub ins Nebenzimmer, wo ihn <strong>die</strong> g’spaßige R<strong>und</strong>e jubelnd empfing.<br />

<strong>Die</strong> Gedanken <strong>von</strong> Hans kreisten andauernd um Monika. „Was ist mit dir, Martin, wir möchten<br />

endlich einen Strip sehen!“, hörte er Günter provozierend reden. „Ach nein, Männerstrip allein<br />

ist doch nichts!“, hörte er wiederum den hörbar angeheiterten Martin lallen. Hans interessierten<br />

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<strong>die</strong> weiteren Einzelheiten nicht. Er ging aus dem Blockhaus, rauchte eine Marlboro an, lehnte<br />

sich an den Gartenzaun <strong>und</strong> sah nachdenklich in <strong>die</strong> Sternennacht. Tja, so ist es, dachte er, was<br />

für <strong>die</strong> einen ein himmelhoch jauchzender, ist für den anderen ein zu Tode betrübender Tag.<br />

Sonntagmorgen gegen 8 Uhr kam er gemeinsam mit Martin in dessen Gasthaus an. Martin ging<br />

schlafen, <strong>und</strong> Hans hätte eigentlich schon auf dem Weg nach Wien sein sollen, denn sein <strong>Die</strong>nst<br />

begann um 13 Uhr. Doch sein „L“ ließ <strong>die</strong>s nicht zu. Der Arbeitsplatz war ihm nun völlig egal<br />

geworden. Wichtig war nur noch Monika, er mußte mit ihr sprechen. Er mußte einen Weg<br />

finden, um sie halt so ganz zufällig zu treffen. Er setzte sich zu Tisch <strong>und</strong> trank ein Bier. Gegen<br />

10 wurde ihm <strong>die</strong> Warterei zu blöd, er fuhr mit dem Moped zu Evi, trank einige Tassen Kaffee<br />

<strong>und</strong> hörte Singles wie „Weine nicht, kleine Eva“ oder „Gipsy, ich bin so allein“ <strong>von</strong> den<br />

Flippers. <strong>Die</strong>se Lieder wühlten ihn auf. Er hätte am liebsten losgeheult. Und wer weiß, wenn<br />

da nicht sein starkes „K“ gewesen wäre? Er spürte, wie Tränen in seinen Augen standen, <strong>und</strong><br />

bemühte sich dabei krampfhaft, belustigt zu lächeln.<br />

Gegen 12 Uhr fuhr er wieder zu Martin. Martin stand hinter der Bar, als Hans das Lokal betrat.<br />

„Hallo, Hanse! Daß man dich auch wieder einmal sieht!“, meinte er ganz unschuldig. Seine<br />

Fre<strong>und</strong>in stand mit fadem Gesicht daneben. „Hallo, ihr zwei, wie geht’s!“, sagte Hans, sein<br />

Gesicht war <strong>von</strong> der langen Nacht gezeichnet. „Mir geht’s gut!“, meinte Martin völlig harmlos,<br />

fügte jedoch mit Nachdruck hinzu: „Monika war heute hier!“ „Martin, ein Bier!“, rief einer der<br />

Gäste. „Kommt schon, Herr Piskernig, bin schon unterwegs!“, rief Martin <strong>und</strong> eilte mit dem<br />

gefüllten Bierkrug zu dem Gast. Hans stand an der Bar <strong>und</strong> rauchte eine Zigarette. Sie war<br />

hier, das ist schön, dachte er. Aber wo ist sie jetzt? Blödsinn, sie wird zu Hause sein! „Monika<br />

war hier!“, meinte Martin nochmals <strong>und</strong> ging betont lässig hinter <strong>die</strong> Bar. „Jaja, das hast du mir<br />

schon einmal gesagt!“, entgegnete Hans emotionslos. „Sie will mit dir sprechen, Hansi. Sie hat<br />

geweint, du sollst zu ihr kommen, hat sie gesagt!“ „Zuerst trink ich mein Bier aus!“ „Ich würd<br />

jetzt geh’n!“, meinte Martin, während er ein weiteres Bierglas füllte. „Ach, das hat Zeit!“<br />

„Nein, denn am Nachmittag fährt sie mit Werner <strong>und</strong> Gerd auf ein Fußballmatch!“ Wie eine<br />

Bombe waren <strong>die</strong>se Worte in sein Gemüt gefahren - das „L“ zur Null gedrückt <strong>und</strong> das „K“ <strong>die</strong><br />

beherrschende Macht. Wutentbrannt hätte er am liebsten seinen Bierkrug an <strong>die</strong> Wand<br />

gedroschen. Gut, ihr könnt sie haben, schrien seine Gedanken förmlich. Nehmt sie! Ab jetzt<br />

arbeitet <strong>die</strong> Zeit für mich! Ich werde sie holen, <strong>und</strong> ich schwöre euch, ihr werdet mich euer<br />

Leben lang nicht vergessen. Ich werde euch <strong>die</strong> Hölle bereiten! Am liebsten hätte er geschrien,<br />

doch er mußte sich beherrschen, um nicht den dummen Jungen spielen. „Martin, sag ihr, es gibt<br />

nichts mehr zu besprechen!“, meinte er ruhig <strong>und</strong> gelassen. „Hanse, tu nicht so!“, entgegnete<br />

Martin <strong>und</strong> sah ihn fragend an. „Monika ist doch ein Supermädel. Andere wären froh, wenn sie<br />

so eine hätten!“<br />

Wenig später saß er in einer geselligen R<strong>und</strong>e im Gastgarten. Unter den schattigen Bäumen<br />

schmeckte das Bier gleich doppelt. Und wie der Zufall - dem er natürlich vieles erleichtert hatte<br />

- wollte, kamen seine Hauptkontrahenten zu Martin. <strong>Die</strong> beiden grüßten Hans, als sie durch<br />

den Gastgarten gingen, recht fre<strong>und</strong>lich. Was <strong>die</strong>ser freilich mit ebensolcher Fre<strong>und</strong>lichkeit<br />

erwiderte. Wenig später mußte Hans auf <strong>die</strong> Toilette. Dabei mußte er durch das Lokal <strong>und</strong><br />

kam so unweigerlich an Werner vorbei. „Wo warst denn gestern?“, fragte Werner ihn. „Am<br />

Wiesenfest natürlich!“, entgegnete Hans, als ob es für ihn eine Selbstverständlichkeit wäre. „Na<br />

ja, wir waren beim Bergwirt oben. . .“ „Ein nettes Gasthaus in luftiger Höh!“, fuhr Hans<br />

lächelnd dazwischen <strong>und</strong> setzte seinen Weg fort. Am Pissoir dachte er mit Genugtuung daran,<br />

daß sie gestern zum Bergwirt gefahren waren. Ja, so ist es, ihr werdet in Zukunft des öfteren<br />

den Lakaien für mich abgeben, triumphierte er. Auf dem Rückweg durch den Gastraum sah er<br />

Monika, <strong>die</strong> angeregt mit ihrem Bruder Werner sprach. Sein Atem setzte vor Aufregung<br />

beinahe aus, sein Puls stieg enorm an, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sehnsucht nach ihr stieg ins Unermeßliche. Doch<br />

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das lässige Lachen <strong>von</strong> Gerd ließ sein „K“ blitzartig hervortreten. Und als Monika ihn<br />

erblickte, blieb ihr das Wort vor Aufregung förmlich im Halse stecken. Sie stand mit<br />

verweinten Augen da, sah ihn fragend an, nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen, ein zartes<br />

Lächeln, welches er sein Leben lang nicht vergessen würde, bahnte sich an. Er wandte seinen<br />

Blick <strong>von</strong> ihr ab <strong>und</strong> ging wortlos, scheinbar bestens gelaunt, an ihr vorbei. Es war ein<br />

schmerzlicher, <strong>von</strong> Sehnsucht gezeichneter Weg in den Gastgarten.<br />

Es dauerte nur wenige Minuten, Hans trank gerade vom Bier, da kam Werner in den<br />

Gastgarten <strong>und</strong> rief fre<strong>und</strong>lich: „Hallo, Fre<strong>und</strong>e!“ Es schien, als wollte er damit Hans aus dem<br />

„K“ reißen. Er ging, gefolgt <strong>von</strong> Gerd <strong>und</strong> Monika, aus dem Lokal. „Servus, Hansi!“, rief<br />

Monika, warf ihm einen flüchtigen Blick zu <strong>und</strong> eilte, scheinbar <strong>von</strong> schweren Emotionen<br />

gebeutelt, den beiden nach. Hans hätte ihr am liebsten nachgerufen, bleib doch hier! Er wollte<br />

ihr auch schon nachlaufen, doch sein „K“ preßte ihn hilflos in den Sessel.<br />

Danach ließ er Unmengen <strong>von</strong> Bier in seinen Körper rinnen. Gegen 18 Uhr brachten ihn<br />

schließlich einige Burschen mit dem Auto nach Hause. Ja, so einfach hatte er den<br />

Liebeskummer doch nicht wegstecken können. Er ging zur Hausapotheke <strong>und</strong> schluckte<br />

wahllos 30 bis 40 Tabletten, für ihn schien <strong>die</strong> Sache gelaufen. Denn auch der Job in Wien<br />

mußte eigentlich schon der Vergangenheit angehören, er war ja nicht zum <strong>Die</strong>nst erschienen.<br />

Am Montag gegen 6 Uhr, weckte ihn seine Mutter. „Hansi, aufstehen! Du mußt nach Wien<br />

fahren!“ Alkohol <strong>und</strong> Tabletten habe ich gestern in Unmengen konsumiert <strong>und</strong> bin gar nicht<br />

tot, waren seine ersten Gedanken. Das werden wohl Hustenzuckerln gewesen sein! Gemartert<br />

vom heftigen Liebeskummer <strong>und</strong> brennender Sehnsucht, nahm er sich vor, mit Monika noch<br />

vor der Abreise zu sprechen. Er wußte, daß sie an Montagen den Berufsschultag hatte, <strong>und</strong><br />

darin sah er plötzlich <strong>die</strong> große Chance.<br />

Gegen 7.30 Uhr stand er vor dem Eingang der Berufsschule in Klagenfurt <strong>und</strong> malte sich in<br />

Gedanken schon das klärende Zusammentreffen mit Monika aus. Ja, er sah im Geiste schon ihr<br />

glückliches, ungezwungenes Lächeln. Nervös rauchte er eine Zigarette nach der anderen <strong>und</strong><br />

beobachtete <strong>die</strong> eintreffenden Schüler, <strong>die</strong> in Form <strong>von</strong> Einzelpersonen, Gruppen <strong>und</strong><br />

Grüppchen den Eingang passierten, genau.<br />

Gegen 8.30 Uhr mußte er mit Wehmut feststellen, daß <strong>die</strong> Chance vertan war. Der Unterricht<br />

hatte längst begonnen, nur war Monika nicht gekommen. Ja, sie wird zu Hause sein, es wird<br />

ihr genauso schlecht gehen wie mir, dachte er bestürzt. Betroffen <strong>von</strong> dem negativen<br />

Kärntenbesuch, ging er zum Hauptbahnhof <strong>und</strong> fuhr mit dem Zug nach Wien.<br />

Nur wer selbst schon heftigen Liebeskummer durchgemacht hat, weiß, wie hilflos man darunter<br />

leidet - auch wenn man ihn selbst verschuldet hat. So erging es auch Hans während der langen<br />

Zugfahrt nach Wien. Ein fürchterliches Gefühl, bei dem das eigene Leben zur Qual wird. Zwar<br />

kam für Hans jetzt auch noch hinzu, daß sein Job auf dem Spiel stand, weil er seit gestern, 13<br />

Uhr, <strong>Die</strong>nst versehen hätte sollen, doch das war für ihn nur noch zweitrangig. Er war schon zu<br />

sehr mit Selbstmordplänen beschäftigt <strong>und</strong> fixierte den weiteren Tagesablauf. Da er fest mit<br />

seiner Kündigung rechnete, nahm er sich vor, nach der Ankunft in Wien seine Firma<br />

aufzusuchen, um <strong>die</strong> Papiere sowie <strong>die</strong> Abrechnung abzuholen. Danach würde er unweigerlich<br />

in den Freitod gehen.<br />

Gegen 14 Uhr betrat er den Verkaufsraum seiner Arbeitsstelle. „Guten Tag!“, grüßte Hans.<br />

Seine Gesichtszüge, obgleich fre<strong>und</strong>lich, spiegelten <strong>die</strong> nervliche Belastung der letzten Tage<br />

wider. Sein Chef, der gerade mitten in einem Arbeitsgespräch mit dem Gebietsvertreter war,<br />

sah ihn staunend an. „<strong>Beschulnig</strong>, schaun’s nicht so langsam, gehen Sie sich rasch umziehen,<br />

Ihr Typ wird im Service verlangt!“ Mein Gott, keine fristlose Kündigung, dachte Hans <strong>und</strong><br />

eilte mit traurigem Blick in den Umkleideraum.<br />

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„Außer daß du den versäumten Tag auch einarbeiten mußt, schuldest uns auch noch eine Kiste<br />

Bier!“, sagte Franz, der sich als Chef wirklich <strong>von</strong> der besten Seite gab. „Das ist ja wohl das<br />

mindeste!“, entgegnete Hans zufrieden. Mit den Selbstmordgedanken war’s dann auch schon<br />

vorbei, denn schließlich wollte er <strong>die</strong>se neue Chance nicht vergeben.<br />

* * *<br />

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1 9 7 6 : O kt o b e r I . W o c h e<br />

D E R B R U C H M I T W O L F G A N G<br />

Täglich, stündlich, ja minütlich dachte Hans mit brennender Sehnsucht an Monika. Er betrieb<br />

dabei geistige Sandkastenspiele, entwarf Strategien, wie er wohl am besten mit ihr ins Reine<br />

kommen könnte.<br />

<strong>Die</strong> Zukunftsaussichten für seinen Arbeitsplatz waren auch nicht gerade rosig. „Hanse, im<br />

Winter muß ich dich kündigen! Es ist saisonbedingt! Aber wenn du willst, kannst Ende Februar<br />

wieder bei uns anfangen. Ich nehme dich auf jeden Fall!“, sagte Franz in der ersten<br />

Oktoberwoche zu ihm. Hans mußte sich wohl oder übel damit zufrieden geben, was sich<br />

jedoch nicht negativ auf seine Arbeitsleistung auswirkte. Im Gegenteil, er setzte noch<br />

wesentlich mehr Dampf dahinter. Der Chef wird schon noch drauf kommen, welch starke<br />

Arbeitskraft er da auf’s Abstellgleis gesetzt hat, lautete seine Devise.<br />

Erst am Freitagabend ging Hans in das Stammlokal in der Kirchengasse. Zwar war ihm in den<br />

vergangenen Tagen aufgefallen, daß Wolfgang immer spätnachts <strong>und</strong> nur in total betrunkenem<br />

Zustand nach Hause gekommen war, doch hatte er dem keine besondere Bedeutung<br />

beigemessen. „Hallo, Urlauber!“, rief Wolfgang, der an der Bar stand, begeistert, als er Hans<br />

kommen sah. Er schien bester Laune, strahlte im Stile eines Lebemanns <strong>und</strong> war auch<br />

entsprechend salopp gekleidet. „Hallo, Wolfgang!“, grüßte Hans fre<strong>und</strong>lich. „Was feierst denn<br />

heute?“ „Ach, nichts Besonderes, nur mit Karin habe ich Probleme!“, meinte Wolfgang so<br />

nebenbei. Dabei bemerkte Hans, daß Wolfgang weit über sein gewöhnliches Maß hinaus<br />

getrunken hatte. „So, <strong>und</strong> welche Probleme bereitet dir Karin?“ „Eine Emanze, eine Emanze!“,<br />

entgegnete Wolfgang verächtlich <strong>und</strong> leicht lallend. „Da, sieh mal einer an, da ist ja ein ganz<br />

neuer!“, rief plötzlich Regina spöttisch, aber sichtlich begeistert mit neugierigem Blick aus dem<br />

Nebenraum, in dem <strong>die</strong> Spielautomaten standen. „<strong>Die</strong> ist nichts, Hanse!“, meinte Wolfgang in<br />

Bezug auf Regina. „Bei der hab ich mir gestern meine Zähne ausgebissen, nichts zu machen!“<br />

„Versuch’s halt noch mal!“, entgegnete Hans <strong>und</strong> ging zu Regina. „Hallo, Regina, mein<br />

Mädchen, wie geht’s?“ „Oh, gut, <strong>und</strong> dir?“ „Nun, es muß!“ „Es war was mit deiner Fre<strong>und</strong>in,<br />

stimmt’s?“, sagte sie gleich ohne Umschweife zu ihm. „War nicht so schlimm!“, entgegnete er<br />

mit gequältem Lächeln. „Aber wie kommst denn drauf?“ „Mein Hansi, man braucht dich doch<br />

nur anzusehen!“ „Rauchst auch eine?“ „Wenn es sein muß!“, meinte sie <strong>und</strong> zog eine aus seiner<br />

Zigarettenpackung, <strong>die</strong> er fre<strong>und</strong>lich anbot. „Was anderes!“, bemerkte sie <strong>und</strong> zog kräftig <strong>von</strong><br />

der Zigarette. „Wolfgang ist übernatürlich geworden!“ „Wieso, was hat er?“, entgegnete Hans,<br />

Schlechtes ahnend. „Seit Freitag ist er nicht mehr nüchtern! Ich glaube, heute war er auch nicht<br />

arbeiten!“ „Aber warum das, Regina?“ „Karin hat ihm am Wochenende eine kräftige Abfuhr<br />

erteilt!“ „So, <strong>und</strong> weshalb?“ „Weil er in letzter Zeit zu trinken begonnen hat. Du weißt doch,<br />

ihr Vater ist Alkoholiker!“ „Na, das sind vielleicht Sachen!“, meinte Hans betroffen. „Aber eine<br />

andere Frage, Hansi?“ „Nichts da, Emanze!“, rief Wolfgang verächtlich <strong>von</strong> der Bar. „It’s<br />

Emanzen-time!“ „Beachte ihn nicht, Hansi, er hat schon den kritischen Punkt überschritten!“<br />

Sie lächelte, zog nachdenklich an der Zigarette <strong>und</strong> meinte: „Aber ich denke, man wird in<br />

Zukunft mehr mit dir rechnen können! Jetzt, wo du Probleme mit deiner Fre<strong>und</strong>in hast!“<br />

„Weißt du, Regina, ich bin ein Mensch, der <strong>die</strong> Freiheit über alles liebt. . .“ „Blabla, kannst<br />

schon aufhören damit!“, fuhr sie schelmisch dazwischen.<br />

*<br />

Es war Anfang November, an einem Vormittag. Hans arbeitete in der Servicehalle. „Hanse,<br />

Telefon!“, rief plötzlich Franz, sein Chef. Mit einem Stoffetzen wischte Hans rasch seine stark<br />

mit Öl <strong>und</strong> Schmutz verunreinigten Hände ab. „Hallo, Hans!“ Wolfgangs Stimme klang <strong>die</strong>smal<br />

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nüchtern, was Hans erst recht aufhorchen ließ. „Du, Hanse, ich habe eine große Bitte an dich!“<br />

„Und <strong>die</strong> wäre?“ „Ich habe heut <strong>die</strong> Wohnung sauber gemacht <strong>und</strong> dabei dein Sparbuch<br />

gef<strong>und</strong>en!“ „Du meinst wohl, du hast meine Sachen aufgeräumt!“, entgegnete Hans überrascht<br />

<strong>und</strong> Arges ahnend. „Nein, du weißt doch, daß ich kein Arschloch bin!“, meinte Wolfgang<br />

abschwächend, um gleich noch hinzuzufügen: „Oder war ich schon mal hinterhältig zu dir?“<br />

„Nein!“ „Aber ich möchte dich doch ersuchen, mir etwas zu borgen! Weißt du, ich hab’<br />

gestern abend mit Karin gesprochen. Wir werden wahrscheinlich bald heiraten. Ich liebe sie,<br />

<strong>und</strong> wir treffen uns heute abend im Stammlokal. Ich denke, wir beginnen <strong>von</strong> vorne. Na ja, <strong>und</strong><br />

da hab’ ich mir gedacht, daß ich etwas netter gekleidet erscheinen sollte!“ Damit hatte<br />

Wolfgang Hans am verw<strong>und</strong>barsten Punkt seines Herzens getroffen. Er dachte an Monika,<br />

fühlte den grausamen Trennungsschmerz <strong>und</strong> wollte Wolfgang auf jeden Fall eine Chance für<br />

einen Neuanfang mit Karin geben. „Ist schon gut, Wolfgang, wieviel brauchst denn?“ „Du hast<br />

über 10.000 Schilling in deinem Papiersparstrumpf. Ich wär’ dir dankbar, wenn du mir 3.000<br />

Schilling borgen könntest!“, sagte Wolfgang, um rasch noch nervös nachzusetzen: „Ich gehe<br />

nächste Woche bestimmt wieder arbeiten <strong>und</strong> gebe es dir so schnell wie möglich zurück!“ Hans<br />

war einverstanden <strong>und</strong> gab ihm das Losungswort bekannt.<br />

Müde <strong>von</strong> der Arbeit, aber zufrieden damit, seinem Fre<strong>und</strong> helfend unter <strong>die</strong> Arme gegriffen zu<br />

haben, kam Hans gegen 20.30 Uhr nach Hause. Instinktiv ging er zu seinem Koffer <strong>und</strong> nahm<br />

das Sparbuch, welches Wolfgang fein säuberlich zurück gelegt hatte, raus. „2 Schilling<br />

Guthaben“, murmelte er leise <strong>und</strong> ungläubig vor sich hin. Von den sauer ersparten 10.200<br />

Schilling hatte Wolfgang 10.198 abgehoben. Kreidebleich setzte sich Hans auf sein Bett. Mit<br />

solch einer Unverfrorenheit hatte er nicht gerechnet. Wutentbrannt steckte Hans, nach kurzer<br />

Verschnaufpause, sein Sparbuch in <strong>die</strong> Jackentasche <strong>und</strong> eilte ins Stammlokal.<br />

„Bring uns zur Feier des Tages noch eine Flasche Sekt, Gerda!“, hörte Hans Wolfgangs<br />

Stimme gut gelaunt zur Bar rufen, während er mit eiligen Schritten das Lokal betrat. Wolfgang<br />

saß gleich beim ersten Tisch an der Bar. Vor sich auf dem Tisch standen neben einer leeren<br />

Flasche Sekt zwei halbvolle Sektgläser sowie der Eiskübel. Lässig, <strong>die</strong> rechte Hand über <strong>die</strong><br />

Schultern <strong>von</strong> Karin gelegt, <strong>die</strong> vor Glück im siebenten Himmel zu schweben schien, wurde er<br />

seinem Stil des Lebemannes wirklich gerecht. Eine neue tolle Frisur, <strong>von</strong> Kopf bis Fuß<br />

hochmodern eingekleidet <strong>und</strong>, was natürlich nicht fehlen durfte, den linken Unterschenkel<br />

betont leger über den rechten Oberschenkel gelegt. Gerade in dem Moment, als er Hans ins<br />

Lokal kommen sah, führte seine linke Hand eine Marlboro zum M<strong>und</strong>. Wolfgang hatte<br />

anscheinend kein schlechtes Gewissen, denn er zog gelassen an der Zigarette, strahlte starkes<br />

Selbstbewußtsein aus <strong>und</strong> meinte mit einem begeisterten Lächeln: „Hey, Hanse! Willst auch ein<br />

Gläschen Sekt!“ Hans, verdutzt über <strong>die</strong> gelungene Showeinlage, warf ihm nur einen<br />

verächtlichen Blick zu <strong>und</strong> ging in den Nebenraum. Karin tat ihm leid, er wollte keinen Streit<br />

im Lokal entfachen, in den sie unweigerlich hineingezogen würde. „Na, was ist mit dir, du<br />

neunmal Klugscheißer?“, meinte Regina, <strong>die</strong> beim Flipper stand, vergnügt lächelnd. „Soll ich<br />

dir gleich ein Tilt verpassen oder später?“ „Später!“, entgegnete sie <strong>und</strong> konzentrierte sich auf<br />

ihr Flipperspiel. „Später muß ich meinen Kompagnon einmal kräftig hernehmen!“, entgegnete<br />

Hans beinahe entschuldigend. „Wieso, was habt ihr denn?“, fragte sie überrascht.<br />

<strong>Die</strong> beiden setzten sich an einen Tisch, wo ihr Hans den ganzen Sachverhalt schilderte. Im<br />

Hintergr<strong>und</strong> spielte <strong>die</strong> Musikbox. „Gibt es denn so einen Dreckskerl!“, meinte Regina<br />

ungläubig <strong>und</strong> schüttelte den Kopf. „Hätte er sich nicht mit den 3.000 Schilling, <strong>die</strong> du ihm<br />

borgen wolltest, zufrieden geben können?“ „Ja, <strong>und</strong> jetzt spielt <strong>die</strong>se miese Ratte da draußen,<br />

ohne mit der Wimper zu zucken, den Ladykiller auf meine Kosten!“ „Geh doch zur Polizei!“<br />

„Wär nicht zielführend, ich selbst habe ihm ja das Losungswort gegeben!“ „Das ist vielleicht<br />

ein gemeiner Schuft!“, gab Regina bestürzt <strong>von</strong> sich. „Aber verlier auf keinen Fall <strong>die</strong> Nerven,<br />

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er wird <strong>die</strong> Rechnung präsentiert bekommen!“ „Ja, Regina, was nützt mir das!“ Hans sah sie<br />

dabei betroffen an. „Meine Zukunft steht auf dem Spiel! Was mache ich? Wie komme ich über<br />

den Winter? Meinen Job werde ich auch in den nächsten Tagen verlieren!“ „Kommst halt zu<br />

uns nach Hause!“, meinte sie beruhigend. „Meine Eltern haben sicher nichts dagegen!“ Er<br />

nahm sie zärtlich bei der Hand. „Das ist lieb <strong>von</strong> dir, aber ich werde das Kind schon<br />

schaukeln!“<br />

Als Hans am nächsten Morgen aufwachte, schlief Wolfgang noch seelenruhig. Hans wusch <strong>und</strong><br />

rasierte sich, nur <strong>die</strong>smal war er nicht gerade rücksichtsvoll. „Sei leise, ich will schlafen!“, rief<br />

Wolfgang schlaftrunken. „Halt deinen M<strong>und</strong>, du Verbrecher!“, antwortete Hans gereizt<br />

während des Zähneputzens. „Was hast da gesagt, Hanse?“ „Nicht, was hast da gesagt! Sag<br />

nicht, was hast du gesagt, du Arsch!“, schrie Hans extrem verärgert. „Komm her, wenn du was<br />

<strong>von</strong> mir willst!“, ging Wolfgang in <strong>die</strong> Offensive. Das ließ sich Hans nicht zweimal sagen.<br />

Wortlos spuckte er <strong>die</strong> Zahnpasta in das Waschbecken <strong>und</strong> eilte ins Zimmer, wo Wolfgang<br />

noch im Bett lag. „So, da bin ich, <strong>und</strong> wenn du eine blöde Bewegung machst, spuckst<br />

garantiert deine restlichen Zähne aus, kapiert!“ „Was ist denn, was hast denn?“, fragte<br />

Wolfgang mit Unschuldsmiene. „Was ist mit meinem Geld? 3.000 haben wir ausgemacht, nicht<br />

10.200!“ „Ach, deswegen bist seit gestern so wütend!“, entgegnete Wolfgang beruhigt. „Mach<br />

dir keine Sorgen, du bekommst <strong>die</strong> 10.000 schon in der nächsten Woche zurück!“ „So, <strong>und</strong><br />

wie willst das schaffen?“, fragte Hans <strong>und</strong> sah ihn ungläubig an. „Ganz einfach!“ Wolfgang<br />

setzte dabei sein zuversichtliches Grinsen auf. „Karin wird für mich auf den Strich gehen!“<br />

Hans blieb <strong>die</strong> Spucke weg, das hätte er <strong>von</strong> Wolfgang nicht erwartet. Hatte es doch nach<br />

außen hin immer den Anschein, er wäre total verknallt in Karin. „So, du willst also das<br />

Mädchen, das noch keine 18 ist, zur Hure machen!“, sagte Hans nach einer kurzen<br />

Verschnaufpause entsetzt. „Genau, Hanse, <strong>und</strong> glaube mir! Nächste Woche geht sie, darauf<br />

kannst du Gift nehmen!“ Hans fiel es wie Schuppen <strong>von</strong> den Augen, daß er den Gr<strong>und</strong>stein für<br />

Karins verderbliche Zukunft - unabsichtlich <strong>und</strong> gutgläubig - gelegt hatte. „Und ich sage dir,<br />

Wolfgang, ich werde dafür Sorge tragen, daß Karin keine Nutte wird, <strong>und</strong> darauf kannst du<br />

Gift nehmen!“ „Hanse, wenn du mir einen Strich durch <strong>die</strong> Rechnung machst, kannst was<br />

erleben!“ „So, was denn?“, schrie Hans <strong>und</strong> verpaßte Wolfgang, der noch immer im Bett lag,<br />

zwei kräftige Ohrfeigen. Wolfgang war so perplex, daß es zu keiner Gegenwehr kam. „So, <strong>und</strong><br />

wenn ich heute <strong>von</strong> der Arbeit zurückkomme, sprechen wir weiter!“, meinte Hans <strong>und</strong> ging.<br />

Noch <strong>von</strong> der Tankstelle aus kabelte Hans Regina in ihrer Lehrfirma an. „Du hast großen<br />

Einfluß, du mußt Karin überzeugen, daß Wolfgang ein gemeiner Zuhälter ist!“, sprach Hans<br />

aufgeregt in das Telefon. „Der kann was erleben, das werden wir schon machen!“, meinte <strong>die</strong>se<br />

nach einem längeren, recht emotional geführten Gespräch.<br />

Hans, der an <strong>die</strong>sem Tag nur bis 18 Uhr <strong>Die</strong>nst hatte, eilte sofort ins Stammlokal. Regina<br />

amüsierte sich gerade köstlich beim Flipperspiel. „Wo ist Wolfgang?“, fragte er neugierig.<br />

Regina warf einen gezielten Blick auf ihre Armbanduhr. „19 Uhr, der Kerl hat gerade einen<br />

unangemeldeten Termin!“, entgegnete sie gelangweilt. „So, was für einen Termin?“ „In Kürze<br />

wird er weichgeprügelt. Aber mach dir nichts draus, Hansi! Er wird es überleben, ist nur ein<br />

kleiner Denkzettel vom 7. Bezirk!“ „Und wo, wenn <strong>die</strong> Frage noch erlaubt ist?“ „In eurer<br />

Wohnung, ist doch klar, dort sind sie ungestört!“ Wortlos drehte Hans sich um <strong>und</strong> eilte zur<br />

Wohnung in der Lindengasse 22. Er öffnete das alte, schwere Haustor <strong>und</strong> hastete einige<br />

Stufen der steinernen Wendeltreppe empor. „Brauchst dich nicht beeilen, Hanse! Wolfi<br />

schläft!“, meinte der kaugummikauende, großgewachsene, aber r<strong>und</strong>um vom Babyspeck<br />

aufgeblähte Eisenbein, zufrieden grinsend, während er <strong>die</strong> Stufen lässig herunter kam. Ihm<br />

folgte <strong>die</strong> gesamte männliche Clique <strong>von</strong> 5 Burschen aus dem Stammlokal in der Kirchengasse.<br />

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„Was habt ihr mit ihm gemacht?“ „Nichts Besonderes, nur ein wenig schlafen gelegt!“, meinte<br />

ein anderer. „Los Mann, hau bloß ab, <strong>die</strong> He kommt!“, sagte wieder ein anderer. Hans öffnete<br />

<strong>die</strong> nur angelehnte Wohnungstür, wobei ihm schon das Wimmern <strong>von</strong> Wolfgang zu Ohren<br />

kam. Übel zugerichtet, das Gesicht blutverschmiert, mit einer halben Burenwurst im M<strong>und</strong>, so<br />

lag Wolfgang in seinem neuen Anzug auf dem Bett. „Wolfgang, Wolfgang!“ Doch der<br />

antwortete nicht. Hans wurde angst <strong>und</strong> bang, er schüttelte ihn. „Wolfgang, Wolfgang!“ „Jaa,<br />

was, was ist denn los?“, antwortete er <strong>und</strong> richtete sich zaghaft auf. „Ja, das möchte ich dich<br />

fragen!“ „Ach du, du Schwein, Hanse! Das hast du organisiert!“, stotterte er noch sichtlich<br />

geschockt. „Klar habe ich das, damit du gleich weißt, wie du dran bist!“ Hans fügte noch<br />

ironisch hinzu: „Du möchtest doch Zuhälter werden!“ „Gib mir ein nasses Tuch, damit ich das<br />

Blut wegwischen kann!“ Wortlos ging Hans in <strong>die</strong> Küche, um Wolfgangs Wunsch<br />

nachzukommen. Doch als er ins Zimmer zurückkam, stand Wolfgang mit einem großen<br />

Taschenmesser vor ihm. „So, Hansi, jetzt werde ich dir zeigen, wo Gott wohnt!“ Hans war<br />

einen Moment lang verdutzt, doch angesichts der schweren Bedrohung faßte er sich rasch.<br />

„Laß das sein, Wolfgang, oder ich werde es dir geben!“ „Nein, nein!“, sagte Wolfgang <strong>und</strong> zog<br />

sein höhnisches Grinsen auf. Schnell ging er in <strong>die</strong> für Messerstecher typische Kampfstellung,<br />

leicht gebückt, breitbeinig <strong>und</strong> mit dem Messer andauernd ein O zeichnend, tänzelte er<br />

gefährlich nahe vor Hans herum. „Jetzt bist dran, Hanse!“ Hans schnellte vor <strong>und</strong> schlug<br />

Wolfgang mit dem nassen Handtuch ins Gesicht. Wolfgang war <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser simplen Aktion<br />

völlig überrascht <strong>und</strong> fuchtelte planlos mit dem Messer umher. <strong>Die</strong>se Gelegenheit nützte Hans<br />

<strong>und</strong> schlug ihm mit einem gezielten Fußtritt das Messer aus der Hand, das daraufhin in weitem<br />

Bogen durch’s Zimmer flog. Flink hechtete Wolfgang nach dem Messer. <strong>Die</strong>se Chance ließ<br />

Hans sich nicht entgehen, mit zwei kräftigen Fußtritten streckte er Wolfgang nieder. Hans<br />

stürzte sich auf den am Boden Liegenden <strong>und</strong> nahm ihn in den Zangengriff. Es war Wolfgang<br />

nun nicht mehr möglich, sich zu bewegen, ohne sich dabei selbst Schmerzen zuzufügen. „Hör<br />

auf!“ „Zuerst versprich mir, daß du aufgibst!“, entgegnete Hans keuchend. „Ja, ich gebe auf!“,<br />

sagte Wolfgang, der vor Zorn zu weinen begonnen hatte. <strong>Die</strong>ser Möchtegern-Zuhälter, dachte<br />

Hans <strong>und</strong> ließ <strong>von</strong> ihm ab. „Polizei, Polizei!“, hallte es durch den alten Zinshof, während Hans<br />

seine Kleidung in Ordnung brachte. Schnell hastete er aus der Wohnung, Polizei, das hätte<br />

gerade noch gefehlt. Mit wenigen Schritten eilte er über das wendelartige Stiegenhaus in den<br />

Hof hinunter. Doch er konnte nicht hinaus, der Hausmeister stand in einer Menschenmenge,<br />

drohend wie ein Kerkermeister, vor dem Tor. „Bleib stehen <strong>und</strong> rühr dich nicht! Sonst kannst<br />

was erleben, Bürscherl!“, sagte der Fleischer, dessen Betrieb im Hof war, barsch. „Ja, ist schon<br />

gut!“, entgegnete Hans gelassen. Währenddessen kam Wolfgang langsam <strong>die</strong> Stufen<br />

runterspaziert. „Na, der hat dich aber schön zugerichtet!“, rief einer der Schaulustigen. „Der?“<br />

Wolfgang zeigte dabei grinsend auf Hans. „Nein, das war nicht der Hansi! Das waren <strong>die</strong><br />

anderen!“ „Ja, das waren Rocker, mindestens sechs!“, rief wieder eine alte Frau. Schon konnte<br />

man den heranrasenden Streifenwagen hören, der kurz darauf mit quietschenden Reifen vor<br />

dem Haustor hielt. Der Hausmeister wurde seiner Rolle gerecht. „Bitte, meine Herren, da sind<br />

sie!“, sagte er mit südländischem Akzent <strong>und</strong> öffnete das Haustor. „Was ist denn los?“, rief<br />

einer der beiden Polizisten, während sie in den Hof eilten. „Der da ist in seiner Wohnung<br />

überfallen worden!“, sagte der Fleischer <strong>und</strong> zeigte auf den stark lä<strong>die</strong>rten Wolfgang. „Und<br />

was ist mit dem da?“, fragte der Polizist, wobei er abfällig auf Hans zeigte. „Mit dem ist nichts,<br />

das ist mein Fre<strong>und</strong>. Er ist gerade <strong>von</strong> der Arbeit nach Hause gekommen“, sagte Wolfgang.<br />

„Na gut, aber stell <strong>die</strong> Identität fest!“, sagte der Polizist zu seinem Kollegen, was <strong>die</strong>ser auch<br />

machte. „So, <strong>und</strong> Sie kommen gleich mit, wir werden schon feststellen, wer Sie überfallen hat,<br />

<strong>und</strong> vor allem weshalb!“<br />

Hans eilte sofort ins Stammlokal, wo <strong>die</strong> Clique, <strong>die</strong> Wolfgang den folgenschweren Besuch<br />

abgestattet hatte, Billard spielte. „Hat er sich schon erholt, der gute Wolfi?“, fragte einer<br />

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zufrieden lächelnd. „Und ob, <strong>die</strong> Polizei wird gleich hier sein!“ „Wieso, hast uns verpfiffen?“<br />

„Nein, aber Wolfgang wird es vermutlich gleich tun. <strong>Die</strong> Polizei hat ihn mitgenommen!“<br />

„Gerda! Wir zahlen morgen!“, rief Eisenbein zur Kellnerin. Eilig verschwand <strong>die</strong> Clique aus<br />

dem Lokal. „Das war noch zuwenig!“, meinte Regina haßerfüllt, sie hatte an der Bar sitzend<br />

alles verfolgt. „Der Kerl muß aus Wien verschwinden!“ „So, <strong>und</strong> wie willst du das anstellen?“<br />

Regina ließ sich so einiges durch den Kopf gehen. „So, jetzt hab ich’s, ich weiß, was ich zu tun<br />

habe!“, meinte sie <strong>und</strong> ging in <strong>die</strong> Telefonzelle des Lokals. Im selben Augenblick, wie auf<br />

Kommando, wurde <strong>die</strong> Tür aufgestoßen, <strong>und</strong> Wolfgang kam, gefolgt <strong>von</strong> zwei Polizisten, ins<br />

Lokal. „Wo sind sie?“, schrie Wolfgang außer sich vor Zorn. „Wer, <strong>von</strong> wem sprichst du?“,<br />

fragte <strong>die</strong> Kellnerin erstaunt. „Eisenbein <strong>und</strong> seine Bande!“, schrie er sie aufgeregt an.<br />

„Welcher Eisenbein?“, entgegnete Gerda, so als hörte sie <strong>die</strong>sen Namen zum ersten Mal.<br />

„Brauchst nicht <strong>die</strong> dumme Gans abgeben, ich finde sie schon!“, meinte er verächtlich <strong>und</strong><br />

wechselte einige Worte in Flüstersprache mit den Polizisten, worauf sie gemeinsam das Lokal<br />

verließen. „So, was denkst du, habe ich jetzt gemacht?“, fragte Regina, als sie aus der<br />

Telefonzelle kam. „Du hast Eisenbein <strong>und</strong> Konsorten gewarnt!“ „Richtig, <strong>und</strong> was noch?“<br />

Hans zuckte ahnungslos mit den Achseln. „Ich habe Karin herbestellt, ich gehe mit ihr zur<br />

Polizei!“ „So, <strong>und</strong> was willst dort machen?“ „Ich werde alles sagen!“ „Alles? Du meinst auch,<br />

daß er sie auf den Strich schicken wollte?“ „Genau!“<br />

Große Enttäuschung stand in dem Gesicht <strong>von</strong> Karin, als sie wenig später, beruhigt durch<br />

Reginas tröstende Worte, ins Lokal kam. Dabei quälte sie ihre Liebe zu Wolfgang. Wollte<br />

einfach nicht wahrhaben, daß <strong>die</strong>ser junge Mann, der nach außen hin immer den lustigen,<br />

heiteren, hilfsbereiten <strong>und</strong> fürsorglichen Menschen gespielt hatte, in Wirklichkeit <strong>von</strong> einem<br />

kalten, seelenlosen Geist behaftet war, dessen verbrecherische Ambition sie nur zum billigen<br />

Werkzeug hätte machen sollen. „Dabei haben wir doch heiraten wollen, ja, wir wollten<br />

heiraten!“, meinte sie ton- <strong>und</strong> fassungslos. „<strong>Die</strong>ser Schuft, der war dabei, dich für sein<br />

Vorhaben aufzubauen!“, sagte Regina mit tiefer Verachtung <strong>und</strong> trocknete ihr mit einem<br />

Taschentuch <strong>die</strong> Tränen. <strong>Die</strong> drei setzten sich zu den Spielautomaten, wo sie <strong>die</strong>smal ungestört<br />

sprechen konnten. „Er hat große Schulden <strong>und</strong> hat nur deswegen zu trinken begonnen!“, sagte<br />

sie <strong>und</strong> begann ganz fürchterlich zu schluchzen. „Das Leben sei für ihn sinnlos geworden, er<br />

hat geweint!“ „Jaja, das sind <strong>die</strong> Methoden der Zuhälter!“, meinte Regina, sie saß neben Karin<br />

<strong>und</strong> rauchte betroffen eine Zigarette nach der anderen. „Sag, Karin“, sagte Hans, „hat er<br />

irgendeine Andeutung gemacht, <strong>die</strong> vielleicht deine Neugier für <strong>die</strong>ses Gewerbe wecken<br />

sollte?“ „Nein!“ „Vielleicht hat er so nebenbei erwähnt“, meinte wiederum Regina, „wieviel so<br />

ein leichtes Mädchen ver<strong>die</strong>nen kann?“ „Ja, Regina, aber damals war er so betrunken <strong>und</strong><br />

nervlich total am Boden, das hat er gar nicht ernst gemeint!“ „Komm, wir gehen zur Polizei!“,<br />

sagte Regina, sie konnte es einfach nicht mehr erwarten, Wolfgang in den Mistkübel des<br />

Gesetzes zu werfen. „Nein, nein, dann bekommt mein Wolfi noch mehr Schwierigkeiten!“,<br />

entgegnete Karin, sie hatte aufgehört zu weinen <strong>und</strong> war recht ernst geworden. „Willst noch<br />

immer nicht kapieren, was für ein Schweinsbraten dein Wolfi ist?“ Regina war recht<br />

aufgebracht <strong>und</strong> sah Hans hilfesuchend an. „Der hat mein ganzes Erspartes abgehoben!“ „Ja,<br />

aber du hast es ihm doch erlaubt, hat er mir gesagt!“ „Ja, es war aber nur <strong>von</strong> 3.000 Schilling<br />

<strong>die</strong> Rede“, Hans zog verärgert an der Zigarette, „nicht <strong>von</strong> 10.198, <strong>die</strong> er dann tatsächlich<br />

abgehoben hat!“ „Ich dachte, ihr seid Fre<strong>und</strong>e!“, meinte Karin daraufhin beschwichtigend.<br />

„Und um <strong>die</strong>ses Geld zurückzahlen zu können, hätte dich dein lieber Wolfi zur Nutte<br />

gemacht!“, warf Regina verächtlich ein. „Ich geh’ nach Hause!“, sagte Karin <strong>und</strong> sah<br />

hilfesuchend in den Raum. „Du gehst also nicht mit mir zur Polizei?“ Regina sah sie dabei<br />

überrascht <strong>und</strong> enttäuscht an. „Nein, ich kann Wolfgang nichts Schlechtes nachsagen, ich geh<br />

nach Hause!“, entgegnete sie <strong>und</strong> eilte mit raschen Schritten sowie gesenktem Haupt zum<br />

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Ausgang, wo sie innehielt <strong>und</strong> ihnen zurief: „Wenn das nicht stimmt, dann könnt ihr mich<br />

vergessen!“<br />

„Das haben wir jetzt da<strong>von</strong>, Hansi! Obwohl wir sie vor <strong>die</strong>sem Kerl gerettet haben, spielt sie<br />

<strong>die</strong> Beleidigte!“ „Ja, wenn sie will, kann sie ihn ja holen. Ich werde mich sicher nicht mehr<br />

dazwischen stellen!“ Regina gab sich damit keineswegs zufrieden. Sie rief anonym bei dem<br />

Kommissariat an <strong>und</strong> erzählte den Polizisten <strong>von</strong> Wolfgang.<br />

Am Tag darauf ging Hans nach der Arbeit am Abend ins Stammlokal <strong>und</strong> staunte nicht<br />

schlecht. Wolfgang <strong>und</strong> Karin saßen gemütlich an einem Tisch <strong>und</strong> plauderten angeregt.<br />

„Hallo, Hanse!“ Wolfgang grinste dabei, so als hätte es nie einen ernsten Zwischenfall gegeben.<br />

„Grüß euch!“, sagte Hans recht gedämpft. „Setz dich doch zu uns!“ „Danke, Wolfgang!“,<br />

entgegnete Hans auf dem Weg zu den Spielautomaten. Enttäuscht wandte sich Wolfgang Karin<br />

zu.<br />

Regina spielte mit Eisenbein, wie in alten Tagen, Billard. Sie konzentrierten sich so sehr auf<br />

das Spiel, daß sie <strong>die</strong> Anwesenheit <strong>von</strong> Hans, der hinter ihnen stand, nicht wahrnahmen.<br />

„Madam, über <strong>die</strong> Bande!“, sagte Hans fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> packte sie an den Hüften. „Aaah!“,<br />

schrie sie erschrocken auf. „Ach, du bist es, hast mich aber erschreckt!“, meinte sie trocken<br />

<strong>und</strong> versenkte eine Kugel nach der anderen. Eisenbein grinste süffisant <strong>und</strong> kreidete<br />

zeremoniell seinen Queue. <strong>Die</strong> Musikbox spielte „Someday Never Comes“. „Weißt schon das<br />

Neueste?“, meinte sie, ohne ihre Versenkungen zu unterbrechen. „Was gibt’s denn schon<br />

wieder?“ „Dein Fre<strong>und</strong> hat Stadtverbot!“ „Blödsinn, so was gibt es doch nicht!“, entgegnete<br />

Hans ungläubig lächelnd. „Karin macht jetzt mit ihm Schluß!“, sagte Eisenbein<br />

kaugummikauend. „Hanse, ich muß mich <strong>von</strong> dir verabschieden!“, sagte Wolfgang, der ihm<br />

gefolgt war. „Grüß dich!“, entgegnete Hans <strong>und</strong> wandte sich <strong>von</strong> ihm ab. „Das Geld werde ich<br />

dir schon zurückzahlen, aber jetzt muß ich gehen. Habe blöderweise ein Stadtverbot<br />

aufgebrummt bekommen! Aber das macht nichts, es gibt ja noch genügend andere Städte!“,<br />

fügte er belustigt grinsend hinzu. Hans rauchte sich eine Zigarette an <strong>und</strong> dachte, daß es doch<br />

kein Stadtverbot geben könne. „Ach, was ich noch sagen wollte, Hans!“, sagte Wolfgang <strong>und</strong><br />

zog sein berüchtigtes Grinsen auf. „Hol deine sieben Zwetschken aus der Wohnung, auf der<br />

Straße gibt es genug Platz!“ „Oh, wie lieb!“ „Dann ist ja gut, du mußt <strong>die</strong> Sachen sofort<br />

abholen! Ich geb’ nämlich dem Hausherrn <strong>die</strong> Schlüssel zurück!“<br />

Stark betroffen <strong>von</strong> der raschen Wende des Schicksals ging Hans in <strong>die</strong> Wohnung <strong>und</strong> packte<br />

seine wenigen Habseligkeiten. Kein Mietvertrag, kein Recht auf Wohnen, so ist es halt im<br />

Leben. Wie in der vergangenen Nacht - <strong>die</strong> Wolfgang auswärts verbracht hatte -, so war er<br />

auch bei <strong>die</strong>sem letzten Weg aus der Wohnung sehr vorsichtig gewesen, denn er rechnete mit<br />

einem listigen Angriff <strong>von</strong> seinem ehemaligen Kompagnon.<br />

Doch Wolfgang war brav im Lokal geblieben. „Und was machst jetzt?“, fragte ihn Regina<br />

besorgt. Er stellte seinen Koffer neben den Billardtisch. „Ich werde mir ein billiges<br />

Hotelzimmer besorgen!“ „Weißt du überhaupt, was das kostet?“ „Ja, aber es ist doch nur eine<br />

Übergangslösung!“ „Du könntest ja bei mir schlafen!“ „Nein, danke, ich hab keine Lust, der<br />

Kasperl deiner Eltern zu werden!“ Hans holte das Telefonbuch <strong>und</strong> blätterte unter großem<br />

Protest <strong>von</strong> Regina darin. Beim ersten Anruf traf er ins Schwarze: 1.400 Schilling hätte das<br />

Zimmer pro Nacht gekostet. Hans war so perplex, er wußte nicht, was er auf <strong>die</strong>ses<br />

telefonische Angebot sagen sollte. „Habe ich dir doch gesagt!“, sagte wiederum Regina. Doch<br />

Hans ließ nicht nach <strong>und</strong> hatte schließlich doch Glück. Noch dazu beim nur wenige<br />

Gehminuten entfernten Hotel „Münchnerhof“ in der Mariahilfer Straße, auf der Seite des 6.<br />

Bezirks. 150 Schilling mußte er für Zimmer mit Dusche <strong>und</strong> Frühstück täglich hinblättern.<br />

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D i e K ü n d i g u n g u n d d i e A b s c h i e d s f e i e r<br />

In der vorletzten Novemberwoche erhielt Hans <strong>die</strong> mündliche Kündigung seines<br />

Arbeitsplatzes. „Aber wie gesagt, Hanse, ab Februar oder März möchte ich dich wieder hier<br />

<strong>und</strong> im Arbeitsgewand sehen!“, sagte Franz. „Ich zähle auf deine Zusage, Chef!“, entgegnete<br />

Hans bekümmert. „Mach dir nur mal keine Sorgen, mir tut’s ja jetzt schon leid, daß ich dich<br />

<strong>und</strong> nicht Gerhard in <strong>die</strong> Winterpause schicken muß. Aber du weißt, ich habe es Gerhard schon<br />

versprochen! Nun gut, am 30. November endet dein <strong>Die</strong>nstverhältnis für heuer!“<br />

Im Hotelzimmer machte Hans eine gründliche Situationsinventur mit Erlebnisrückblick.<br />

Natürlich hatte er im November noch verzweifelt versucht, eine Wohnung zu mieten. Doch das<br />

scheiterte an seiner finanziellen Situation <strong>und</strong> dem Ablösewucher, der für wahre Löcher<br />

Traumpreise emporsteigen ließ. Auch nach einem Ersatzarbeitsplatz hatte er gesucht. Der<br />

Arbeitsmarkt war zwar nicht rosig, aber es hätte schon einige Hilfsarbeiterjobs gegeben. Der<br />

Haken dabei, er wäre mit dem Einkommen nicht ausgekommen. 4.500 Schilling kostete das<br />

Hotelzimmer pro Monat, vom Nahrungsmittelkonsum <strong>und</strong> diversen Ausgaben, <strong>die</strong> auch sonst<br />

noch so anfielen, erst gar nicht zu sprechen.<br />

Solche Sorgen <strong>und</strong> außerdem <strong>die</strong> große Sehnsucht nach Monika brachten seine Psyche extrem<br />

stark in Bedrängnis. Seit dem eigentlich ungewollten Bruch Ende September hatte er nichts<br />

mehr <strong>von</strong> ihr gehört. Viel hätte er dafür gegeben, um mit ihr wenigstens einige Worte wechseln<br />

zu dürfen.<br />

Nun, der Rückblick war nicht gerade glänzend. Wirtschaftlich stand er somit wieder am<br />

Nullpunkt. Und <strong>die</strong> Beziehung mit Monika war in eine schwere Krise gemündet. Positiv sah er<br />

nur <strong>die</strong> vielen praktischen Erfahrungen, <strong>die</strong> er in <strong>die</strong>sen fünf Monaten gesammelt hatte. Und<br />

<strong>die</strong>se würden nach der Winterpause das F<strong>und</strong>ament seiner Zukunft bilden, da<strong>von</strong> war er nun<br />

fest überzeugt.<br />

<strong>Die</strong>se Ausgangslage ließ in ihm den Entschluß reifen, <strong>die</strong> Winterpause in Kärnten zu<br />

verbringen <strong>und</strong> entsprechend zu nützen.<br />

Nach <strong>die</strong>ser Entscheidung, <strong>die</strong> auch <strong>die</strong> Vorfreude auf ein Wiedersehen mit Monika gewaltig<br />

ansteigen ließ, eilte er ins Stammlokal <strong>und</strong> erzählte Regina da<strong>von</strong>. „Wieso, gefällt es dir bei uns<br />

nicht mehr?“, sagte <strong>die</strong>se tief betroffen. Und Eisenbein fügte gleich lässig kaugummikauend<br />

hinzu: „Olta, bist ong’schit! Seima vielleicht nirma leiwond?“, was aus dem Wienerischen<br />

übersetzt soviel bedeutet wie: „Alter, bist blöd geworden! Sind wir nicht mehr gut genug!“<br />

Und auch alle anderen aus <strong>die</strong>ser Clique des 7. Bezirks waren nach Bekanntgabe seiner<br />

Absichten alles andere als erfreut. Mit <strong>die</strong>ser mehr als fre<strong>und</strong>lichen Reaktion hatte Hans freilich<br />

nicht einmal im Traume gerechnet. Er löste mit seinem Entschluß eine heftige Diskussion aus<br />

<strong>und</strong> wurde <strong>von</strong> den Hilfszusagen seiner neuen Wiener Fre<strong>und</strong>e regelrecht hin <strong>und</strong> her gerissen.<br />

Und wäre da nicht <strong>die</strong> Liebe zu Monika fest in seinem Herzen gewesen, er hätte das Angebot<br />

<strong>von</strong> Regina - wenigstens vorübergehend bei ihr <strong>und</strong> ihren Eltern zu leben - angenommen, um<br />

einen Neuanfang zu schaffen.<br />

Regina mußte mit tiefem Bedauern feststellen, daß Hans nicht aufzuhalten war. „Aber zum<br />

Abschiedsfest für dich kommst schon!“, sagte sie. „Natürlich!“, entgegnete Hans<br />

freudestrahlend.<br />

*<br />

D e r le t zt e A rb e i t s t a g u n d d a s A b s c h i e d s f e s t<br />

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Anstatt auf den 30. November war sein Arbeitschluß - wegen des Turnus<strong>die</strong>nstes - auf<br />

Sonntag, den 28. November, 13 Uhr gefallen.<br />

Der Abschied <strong>von</strong> der Tankstellenbesetzung war äußerst herzlich <strong>und</strong> familiär. Trotz der fixen<br />

Einstellungszusage für Februar verfiel sein psychischer Zustand auf dem Weg zum 49er<br />

(Wiener Straßenbahnlinie) zusehends. Dabei beneidete er sogar den Straßenkehrer, der im<br />

Grau des November emotionslos seiner stupiden Arbeit nachging.<br />

Ich werde am Freitag schon in Kärnten sein - so lautete sein Plan - <strong>und</strong> werde so ganz zufällig<br />

am Abend einen Blick in das Gastlokal <strong>von</strong> Erikas Eltern, der Fre<strong>und</strong>in <strong>von</strong> Werner, werfen.<br />

Da Monika an <strong>die</strong>sem Tage ihren 17. Geburtstag feiern wird, rechne ich mit ihrer Anwesenheit.<br />

Und ich will, daß es ihr schönster Geburtstag wird!<br />

Doch <strong>die</strong> Fügungen des Schicksals sollten noch anders entscheiden. Wegen des<br />

Arbeitsplatzverlustes war er sehr betroffen, doch das überspielte er gekonnt. Mit den<br />

Arbeitspapieren in der Innentasche seiner Winterjacke eilte er direkt vom 49er zur<br />

Kirchengasse 21, dem Stammlokal. „So, für heuer ist mein Gastspiel in Wien beendet!“, sagte<br />

er mit einem gespielten Lächeln zu Regina, <strong>die</strong> sich daraufhin mit bedrücktem<br />

Gesichtsausdruck eine Zigarette anrauchte. „Am Freitag fahren meine Eltern auf Urlaub, da<br />

können wir ungestört in unserer Wohnung deine Abschiedsfeier abhalten!“ Sie sah ihn<br />

nachdenklich an <strong>und</strong> lehnte sich lässig an <strong>die</strong> Bar. „Am Freitag!“, entgegnete er erstaunt <strong>und</strong><br />

fragend zugleich. „Am Freitag muß ich doch schon in Kärnten sein!“ „Jetzt sag bloß, du willst<br />

daran nicht mehr teilnehmen!“, warf sie enttäuscht ein. „Schon, aber am Freitag!“ Er dachte<br />

dabei an den Geburtstag <strong>von</strong> Monika. „Wir haben schon alles vorbereitet, du wirst doch jetzt<br />

nicht absagen!“, meinte Regina besorgt <strong>und</strong> strich mit der Rechten nervös durch ihr blondes,<br />

schönes Haar. Mein Gott, <strong>die</strong>ser Termin wirft meinen ganzen Plan aus der Bahn, dachte Hans.<br />

Außerdem kosten mich weitere fünf Tage Wien zwölfh<strong>und</strong>ert bis zweitausend Schilling. Aber<br />

jetzt Regina <strong>und</strong> all <strong>die</strong> Wiener Fre<strong>und</strong>e einfach so vor den Kopf stoßen? Er zog nachdenklich<br />

an der Zigarette, obwohl er sich im Geiste schon entschieden hatte. Eisenbein stand mit Sonja<br />

bei der Musikbox. Karin spielte mit Fred Billard. „Wie sollte ich eure Einladung abschlagen<br />

können, Regina!“ Er lächelte dabei schelmisch. Sie atmete erleichtert auf, griff nach seiner<br />

Hand <strong>und</strong> meinte: „Ich hab’s ja gewußt, Kärntner!“ Beide lachten erheitert auf.<br />

*<br />

Freitag, 3.12. 1976. Während Regina <strong>und</strong> ihre Fre<strong>und</strong>innen am späten Nachmittag in einem<br />

Gemeindebau der Lindengasse den Vorbereitungen für <strong>die</strong> Abschiedsparty nachkamen, saß<br />

Hans schon recht gut gelaunt bei den Jungs im Stammlokal. „Olta, du muaßt an Wurm im<br />

Schädel hob’n, jetzt wo ma so viel Hos’n verschleppt hom, gehst noch Kärnt’n!“, meinte<br />

Eisenbein im urigsten Ottakringer Dialekt <strong>und</strong> wies dabei auf den Erfolg bei den letzten<br />

Damenbekanntschaften außerhalb der Clique hin. Hans grinste belustigt, trank einen kräftigen<br />

Schluck vom Bier <strong>und</strong> meinte: „Waren doch eh nur je zwei Stück!“ Mitten ins darauf folgende<br />

Gelächter rief <strong>die</strong> Kellnerin: „Hans, Telefon!“ „Hallo, Hansi!“, hörte er Regina am anderen<br />

Ende der Leitung sprechen. „Ihr seid schon fest beim Feiern, wie man aus dem Hintergr<strong>und</strong><br />

hören kann, aber wenn ihr wollt, dann könnt ihr schon kommen!“<br />

Es waren einige H<strong>und</strong>erter, <strong>die</strong> Hans für <strong>die</strong> Zeche der Clique hinblätterte. Aber so ist es nun<br />

einmal im Leben, man kann nicht als Schnorrer aus solch einem Fre<strong>und</strong>eskreis scheiden.<br />

Es ging recht lustig <strong>und</strong> hoch her in der Drei-Zimmer-Gemeindewohnung in der Lindengasse.<br />

Regina hatte durch ihre profimäßige Vorbereitung wie Umstellung der Sitzmöbel, um so Platz<br />

für den Tanzboden zu schinden, mit dem einfachen Stereo-Plattenspieler, der festlichen<br />

Gestaltung der Räumlichkeiten, den belegten Brötchen <strong>und</strong> der reichlichen Auswahl an<br />

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Getränken wirklich Eindruck auf Hans <strong>und</strong> <strong>die</strong> übrigen Burschen aus der Clique gemacht.<br />

Karin sorgte mit den Singles „Have You Ever Seen The Rain“, „This Flight Tonight“ <strong>und</strong><br />

vielen anderen Hits aus den Siebziger Jahren für tolle Stimmung. Freilich bot auch <strong>die</strong> Episode<br />

mit Wolfgang ausreichend Gesprächstoff. „Do hob ih eahm des Burnhait’l ins Meäul g’stopft!<br />

Und der Schworz, mei Habara, hot eahrm no ane am Blutza g’haut!“, rief Eisenbein Kaugummi<br />

kauend in <strong>die</strong> belustigt lachende R<strong>und</strong>e. Und etwas später traten Karin <strong>und</strong> Fred vor Hans, der<br />

gerade dabei war, eine Flasche Bier zu leeren, hin <strong>und</strong> meinten: „Wir möchten uns bei dir<br />

bedanken, Hans! Wien hat einen Gauner weniger, <strong>und</strong> wir haben einander gef<strong>und</strong>en!“ „Ist<br />

schon gut, Karin. Ich habe halt nicht zuschauen können! Aber ich wünsche euch für <strong>die</strong><br />

Zukunft viel Glück!“ Hans war dabei tief berührt. Danach ging’s mit dem Feiern kräftig weiter.<br />

Und wie es bei so einer feuchtfröhlichen Jugendparty <strong>von</strong> Natur aus kommen muß, so<br />

knutschten auch damals <strong>die</strong> Paare verliebt zu den zärtlichen Liebesklängen, <strong>die</strong> aus den<br />

Lautsprechern an ihre Ohren drangen. Nur Hans <strong>und</strong> Regina schienen dabei eine Ausnahme zu<br />

machen. Sie war andauernd mit Servierarbeiten beschäftigt, während Hans in Gedanken bei<br />

Monikas Geburtstagsfeier weilte.<br />

„Hans, komm bitte zu mir in <strong>die</strong> Küche!“, rief Regina zu später St<strong>und</strong>’. „Ist eigentlich schade,<br />

daß aus uns beiden nichts geworden ist!“, meinte sie. „Na, du gehst es aber gleich direkt an,<br />

was!“, entgegnete er <strong>und</strong> setzte sich mit der halbvollen Bierflasche in der Hand zu dem<br />

Küchentisch. „Was soll’s, bei den paar St<strong>und</strong>en, <strong>die</strong> wir uns noch sehen, wirst mir den<br />

taktvollen Ausrutscher noch verzeihen, oder!“ Sie lächelte fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> betroffen zugleich.<br />

„Bist noch immer in deine Kärntnerin verliebt, gell!“ „Mein Gott, was soll ich dir jetzt sagen,<br />

Regina?“ Es war ihm unangenehm. „Brauchst nichts sagen, ich weiß es doch!“ Sie wusch dabei<br />

einige Gläser. „Aber ich kann halt nicht mit so einem tollen Mädel, wie du es bist, einfach ins<br />

Bett gehen <strong>und</strong> danach sagen, es war schön! Du bist mir dafür einfach zu schade. Schließlich<br />

bist du ein Mädel, mit dem man Pferde stehlen kann, <strong>und</strong> solche Frauen achte ich sehr!“ „Bist<br />

ein ehrlicher Bursch, Hansi! War eine schöne Zeit für uns mit dir!“ Er stand auf, ging zu ihr<br />

<strong>und</strong> gab ihr einen innigen <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>schaftlichen Kuß. „<strong>Die</strong> Clique des siebenten Bezirks <strong>und</strong><br />

vor allem dich, Regina, werde ich nie vergessen!“ „Glaub mir, Hansi, es wird mir auch so<br />

gehen!“, entgegnete sie <strong>und</strong> holte sich eine kräftige Draufgabe.<br />

* * *<br />

1 9 7 6 : D e ze m b e r<br />

W I N T E R P A U S E<br />

Während der Heimfahrt mit dem Zug am Samstag, dem 4. Dezember, begann es stark zu<br />

schneien. Adventzeit, vorweihnachtliche Stimmung, kam es Hans in den Sinn, während er vom<br />

Zugabteil aus den starken Schneefall beobachtete. Im Hintergr<strong>und</strong> das typische<br />

Eisenbahngeräusch, das bei <strong>die</strong>sen Wetterverhältnissen jedoch nur gedämpft zu vernehmen<br />

war. Hoffentlich werden mir meine Eltern Unterkunft gewähren, dachte er besorgt. Ja, <strong>und</strong><br />

auch Verpflegung. Natürlich wäre es wesentlich günstiger für mich gewesen, wenn mir<br />

Wolfgang nicht das Ersparte abgejagt hätte. Könnte Mutter mindestens 1.500 Schilling<br />

Kostgeld zahlen. Ja, mit der Ratenzahlung für mein Ex-Auto bin ich auch ganz schön in<br />

Verzug gekommen. Das wird wahrscheinlich böses Blut geben. Mit den fünf Tausendern, <strong>die</strong><br />

ich jetzt noch habe, werde ich nicht sehr weit kommen. Seine Gedanken drehten sich nicht nur<br />

um seine wirtschaftliche bzw. soziale Situation, sondern auch um den Hauptgr<strong>und</strong> seiner<br />

Kärntenreise - Monika. Was macht sie wohl jetzt? Hat sie einen neuen Fre<strong>und</strong>? Nun, ich bin<br />

sicher, ich werde es bald erfahren.<br />

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Das Wiedersehen mit seinen Eltern an <strong>die</strong>sem Spätnachmittag verlief zwar herzlich, hatte<br />

jedoch den unangenehmen Beigeschmack vergangener Konflikte <strong>und</strong> einer bedrohlich-stickigen<br />

Zukunft. Nur seine Geschwister Thekla, Heinz <strong>und</strong> Traudi zeigten Begeisterung - der große<br />

Bruder war heimgekommen.<br />

Beim Abendessen, das sie kurz nach seiner Ankunft einnahmen, nützte Hans <strong>die</strong> noch<br />

gemütliche Atmosphäre für den Versuch, seine Zukunft im Hause <strong>Beschulnig</strong> abzuklären. „Ich<br />

hätt’ ein Problem!“, sagte er <strong>und</strong> sah seine Eltern abwechselnd fragend an. „Es geht mir derzeit<br />

finanziell nicht gut, deshalb möchte ich euch fragen, ob es möglich wäre, daß ich das Kostgeld<br />

im Frühjahr nachzahle?“ Mutter sah Vater, dem beinahe das Essen vor Schreck im Halse<br />

stecken blieb, verdutzt an. „Hast im Frühjahr wieder Arbeit?“, meinte Vater, kaute genußvoll,<br />

zog seine Stirn nachdenklich in Falten, so als handelte es sich um eine Schicksalsfrage.<br />

„Natürlich, ich arbeite ab Februar wieder bei meiner Firma!“ „Nun ja“, sagte Vater, aß noch<br />

einige Bissen. „Du wirst ja mittlerweile erfahren haben, wie teuer das Leben ist!“ „Und ob!“,<br />

warf Hans lächelnd dazwischen. „Ich denke, 1.500 Schilling pro Monat wird nicht zuviel<br />

verlangt sein!“ Hans war sofort einverstanden, hatte er doch zuletzt für sein Zimmer allein<br />

4.500 Schilling aufbringen müssen. „Weißt schon das Neueste?“, meinte Mutter, nachdem man<br />

sich über <strong>die</strong> finanziellen Angelegenheiten geeinigt hatte. „Nein!“ „Vater hat ein neues Auto<br />

gekauft!“ „Was!“, entgegnete Hans erfreut, er sah sich damit schon auf dem Weg zu Monika.<br />

„Das mußt du mir zeigen!“ Erfreut über <strong>die</strong> Begeisterung <strong>von</strong> Hans, führte Vater ihm den<br />

kleinen osteuropäischen Kleinwagen in der Garage vor. „Ein Russenporsche!“, sagte Hans<br />

schelmisch. „Ja, aber robust!“, entgegnete Vater stolz.<br />

Getrieben <strong>von</strong> seinem „L“, saß Hans gegen 20 Uhr im Skoda seines Vaters <strong>und</strong> fuhr mit<br />

Bruder Heinzi bei extrem winterlichen Straßenverhältnissen sowie anhaltendem starken<br />

Schneefall zu dem Gasthaus <strong>von</strong> Erikas Eltern.<br />

Heinzi merkte während der Fahrt nicht, daß sein Bruder mit gegensätzlichen Emotionen<br />

kämpfte. Das „L“ ließ in Hans <strong>die</strong> Sehnsucht nach Monika so groß werden, daß er noch auf<br />

halbem Wege beschloß, sie sofort zu Hause aufzusuchen. Weshalb da dumme Umwege<br />

machen, wenn es doch ganz einfach geht, dachte er <strong>und</strong> bog in <strong>die</strong> Seitenstraße, <strong>die</strong> direkt zu<br />

ihrem Elternhaus führt. Das versöhnliche, das liebevolle Ich war es, das Monika unbedingt<br />

aufsuchen wollte. Doch je näher sie zu ihrem Elternhaus kamen, desto heftiger schaltete sich<br />

das unversöhnliche „K“ in seine Gefühlswelt ein. Aber nein, dachte Hans <strong>und</strong> verlegte sich im<br />

Geiste weiter auf das versöhnliche Ich. Monika wird sich freuen, sie wird vor Freude lachen<br />

<strong>und</strong> weinen. Denkst du, warf das unversöhnliche „K“ dazwischen, Gerd wird wahrscheinlich<br />

bei ihr sein! Du wirst in Adventstimmung wie ein dummer Junge - der noch immer nicht fassen<br />

kann, daß es mit der ersten großen Liebe vorbei ist - vor ihrer Tür stehen <strong>und</strong> dann unter dem<br />

Siegesgrinsen <strong>von</strong> Gerd wie ein streunender H<strong>und</strong> <strong>von</strong> dannen ziehen! Hans begann heftig zu<br />

atmen, er fühlte seinen Zorn aufkeimen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Lust zum Kämpfen, zum Zerstören. Eben war<br />

er vor ihrer Hofeinfahrt angekommen. Wie <strong>von</strong> Geisterhand gelenkt, wendete er <strong>und</strong> nahm<br />

Kurs auf sein erstes Ziel. „Was hast denn jetzt gehabt, Hansi, warum bist denn nicht zu ihr<br />

gefahren?“, fragte Heinzi recht erstaunt. „Ach, ich hab nur schnell umdisponiert!“, entgegnete<br />

Hans nicht im mindesten verkrampft.<br />

„Der Hanse ist wieder im Land!“, sagte Werner, der zufrieden lächelnd an der Bar bei Erika<br />

stand. „Ja, aber nur kurzfristig!“, entgegnete Hans <strong>und</strong> ging mit Heinzi zu ihnen an <strong>die</strong> Bar.<br />

„Und wie gefällt es dir so in Wien?“ „Ausgesprochen gut, Werner!“ „Hallo du, was trinkst<br />

denn?“, fuhr Erika kokett dazwischen. „Gib mir ein Bier <strong>und</strong> meinem kleinen Bruder ein<br />

Spezi!“ „Nein, ich trink auch ein Bier!“, sagte Heinzi <strong>und</strong> sah Hans wütend an. „Gut, hast mich<br />

überredet!“, meinte Hans lachend. „Da wird sich Monika aber freuen!“, sagte Erika während<br />

des Bierabfüllens. Monika, fuhr es durch seinen Kopf, wo ist sie? Langsam <strong>und</strong> unauffällig<br />

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streifte sein Blick durch’s Lokal. Doch nichts, sie war nicht da. <strong>Die</strong> Musikbox spielte Singles<br />

<strong>von</strong> damals, als wäre <strong>die</strong> Zeit stehen geblieben. Soll ich Erika oder Werner fragen? Nein, nein,<br />

niemals! Werner steckt mit Gerd unter einer Decke, <strong>die</strong> beiden würden sich sofort ihren Teil<br />

zusammenreimen <strong>und</strong> wüßten um meine Gefühle für Monika. Gerd muß <strong>und</strong> soll weiterhin<br />

glauben, daß er nur einen Ableger <strong>von</strong> mir erobert hat. „Da, dein Bier! Ach ja, das muß ich<br />

dich noch fragen!“, sagte Erika, nachdem sie <strong>die</strong> beiden Biere auf <strong>die</strong> Bar gestellt hatte. Doch<br />

als <strong>die</strong> Eingangstür aufging, erstarrte Hans. Gerd war ins Lokal gekommen. „Blöder Schnee!“,<br />

meinte er <strong>und</strong> reinigte flink <strong>die</strong> Winterjacke vom Schnee. „Grüß euch! Hallo, Werner! Aach, da<br />

sieh her, der Hanse ist auch wieder da!“ „Ja, grüß dich, Gerd!“, grüßte Hans ebenso fre<strong>und</strong>lich<br />

lächelnd, sein „K“ grinste innerlich höhnisch <strong>und</strong> belustigt zugleich. Es wußte, daß Gerd nun in<br />

der Defensive stand <strong>und</strong> <strong>die</strong> Zeit für Hans arbeitete. Nur Erika wollte der äußerlichen<br />

Zufriedenheit <strong>von</strong> Hans keinen Glauben schenken. Das konnte er an ihren argwöhnischen<br />

Blicken, <strong>die</strong> ihn nicht aus den Augen ließen, ablesen. „Hallo, Gerd!“, rief einer der jungen<br />

Burschen vom Ecktisch. „Hallo!“, entgegnete Gerd begeistert <strong>und</strong> ging gefolgt <strong>von</strong> Werner zu<br />

den Burschen. Währenddessen flammte der Kampf der Gegensätze in Hans erneut auf. Das<br />

Unversöhnliche versuchte nun mit allen Mitteln, das Versöhnliche aufs Kreuz zu legen. Monika<br />

ist nicht hier, so ein Topfen, am liebsten würd ich jetzt zu ihr fahren. Aber einfach so zu ihr<br />

fahren? Ihr <strong>von</strong> meinem Versagen in Wien erzählen? Außerdem, was würden ihre Eltern sagen?<br />

Auch <strong>die</strong> müssen doch bemerkt haben, daß ich zu nichts tauge! Er setzte sich mit Heinzi an<br />

einen unbesetzten Tisch <strong>und</strong> haßte sich selbst. Alle, <strong>die</strong> hier in Kärnten geblieben sind, haben<br />

eine Arbeit, betrauerte er sein Los, <strong>und</strong> ich, der immer geglaubt hat, alles locker managen zu<br />

können, bin fürchterlich auf <strong>die</strong> Nase gefallen. „Du, Hansi, ich muß dir was sagen!“, sagte<br />

Erika <strong>und</strong> setzte sich zu ihnen an den Tisch. „Ja, was denn?“ „Ich soll dir schöne Grüße <strong>von</strong><br />

Monika ausrichten. Und ich soll dir sagen, daß du <strong>die</strong> Nummer Eins bei ihr bist!“ Sie sah ihn<br />

dabei fragend an, so, als ob sie eine positive Antwort erwartete. Gott sei Dank, sie liebt mich<br />

noch, schoß es ihm durch den Kopf. Er lächelte erfreut <strong>und</strong> belustigt zugleich. Ich bin <strong>die</strong><br />

Nummer Eins! Und Gerd ist nichts anderes als ein südländischer Mistkäfer. „Danke für <strong>die</strong><br />

Information!“, entgegnete er nach einer kurzen Pause nachdenklich. „Fährst du zu ihr? Sie ist<br />

jetzt zu Hause!“, meinte Erika weiter. „Nein, wieso sollte ich?“, entgegnete er, weil sein<br />

kampfgieriges „K“ wieder zum Vorschein gekommen war. Doch im selben Moment wurde ihm<br />

bewußt, daß er zu weit gegangen war. Mein Gott, wieso habe ich <strong>die</strong>se einmalige Chance, bei<br />

der ich mein Gesicht gewahrt hätte, einfach so fallen lassen, dachte er, noch bevor er <strong>die</strong>se<br />

verhängnisvollen Worte zu Ende gesprochen hatte. „Sie ist zu Hause <strong>und</strong> würde sich sehr<br />

freuen, ich weiß es!“, fuhr Erika fort, als wenn sie geahnt hätte, daß er es nicht so gemeint<br />

hatte. Zuerst starke Sprüche klopfen <strong>und</strong> dann demutsvoll zu ihr fahren! Und als er noch <strong>die</strong><br />

Stimme <strong>von</strong> Gerd aus dem Hintergr<strong>und</strong> vernahm, übernahm das „K“ vollends <strong>die</strong> Herrschaft<br />

über ihn. „Ich fahre nicht zu ihr, <strong>und</strong> zweitens ist sie für mich nicht mehr <strong>die</strong> Nummer Eins,<br />

sondern gestorben!“ Mit eiskalter Miene sah er Erika dabei in <strong>die</strong> Augen. Erika sah ihn bestürzt<br />

an, als wollte sie noch sagen, überleg es dir doch bitte! Hans blieb nach außen hin sachlich,<br />

ruhig <strong>und</strong> wirkte überlegt, doch am liebsten hätte er seinen Haß auf Gerd <strong>und</strong> Werner<br />

hinausgebrüllt. Ja, so ist das, Erika, dachte er bei sich. <strong>Die</strong> beiden haben einen Keil zwischen<br />

mich <strong>und</strong> Monika getrieben. Ich habe den Fehdehandschuh aufgenommen <strong>und</strong> werde ihnen<br />

einen fürchterlichen <strong>und</strong> heimtückischen Kampf, in dem sie keine Chance haben werden,<br />

liefern. Glaube mir! <strong>Die</strong> Zeit arbeitet für mich, ich ziehe im Hintergr<strong>und</strong>, wie ein Puppenspieler,<br />

<strong>die</strong> Fäden <strong>und</strong> ich werde Monika niemals freigeben! Niemals, hörst du! Fassungslos, so als<br />

hätte sie seine Gedanken gehört, starrte ihn Erika an. Sie wollte noch etwas sagen, doch es<br />

schien, als hätte ihre Stimme versagt. Wortlos stand sie auf <strong>und</strong> ging betroffen hinter <strong>die</strong> Bar.<br />

„Prost, Heinze!“, sagte er, stieß mit seinem Bruder an <strong>und</strong> trank kräftig vom Bier. „Du pfeifst<br />

dich wohl überhaupt nichts, was, ein richtiger Weiberheld!“ Heinzi lachte belustigt. Ach was,<br />

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ich fahr’ zu Martin, vielleicht fällt mir dort eine Möglichkeit ein, Monika so ganz zufällig zu<br />

treffen, nahm Hans sich vor.<br />

Es hatte zu schneien aufgehört, der beige Skoda hielt vor dem Gasthof <strong>von</strong> Martins Eltern in<br />

Komannsdorf an. Erwartungsvoll ging Hans, gefolgt <strong>von</strong> seinem Bruder, in das menschenleere<br />

Gastzimmer. „Ist schon geschlossen!“, meinte Martin, der hinter der Theke stand, nachlässig.<br />

„Ist ja gut, dann fahren wir halt zu einem anderen Wirt!“ Martin staunte nicht schlecht, denn<br />

mit dem späten Besuch <strong>von</strong> Hans hatte er keineswegs gerechnet. Freudig begrüßten sich <strong>die</strong><br />

beiden, <strong>von</strong> Sperrst<strong>und</strong>e war jetzt keine Rede mehr. „Fährst heute zu Monika?“, fragte Martin<br />

neugierig, er schien daran sehr interessiert zu sein. „Ja, oder besser nein!“, entgegnete Hans,<br />

so, als wenn es für ihn nicht so wichtig wäre. „So, <strong>und</strong> warum nicht?“ „Zuerst brauch ich noch<br />

ein Bier!“, meinte Hans spitzbübisch grinsend. Außerdem wollte er keineswegs den Eindruck<br />

aufkommen lassen, er sei nur wegen Monika gekommen. „Nein, dann darfst du nicht zu ihr<br />

fahren!“, sagte darauf Martin zum großen Erstaunen <strong>von</strong> Hans. „So, <strong>und</strong> warum nicht?“ „Weil<br />

du ungut sein kannst, wenn du betrunken bist!“ „Gut, dann lassen wir es!“, meinte Hans<br />

verächtlich. Er spürte dabei, wie der Haß in ihm aufkeimte. Am liebsten hätte er sein Bierglas<br />

genommen <strong>und</strong> gegen <strong>die</strong> Wand geschleudert. „Ach ja, was ich noch sagen wollte!“, sagte er<br />

leise, wobei er mit viel Kraft Ruhe aufbringen mußte. „Ja, was denn, Hanse?“ „Falls du Monika<br />

siehst, sag ihr, sie kann mich vergessen!“ Hans grinste dabei zufrieden, er hatte sein<br />

kämpferisches „K“ befriedigt. „Ich sage ihr gar nichts!“, entgegnete Martin trocken, wobei er<br />

Hans zweifelnd ansah. Und Hans wurde dabei bewußt, daß er gefühlsmäßig <strong>die</strong> nächste,<br />

eigentlich recht wichtige Brücke zu Monika abgerissen hatte. Aber das macht nichts, dachte er.<br />

Noch ist nicht aller Tage Abend, <strong>und</strong> ich werde schon noch Mittel <strong>und</strong> Wege finden, um den<br />

Karren aus dem Dreck zu ziehen!<br />

*<br />

D i e d ri t t e B rü c ke f ä llt d u rc h S c h i c ksalsfü g u n g - d e r U n f a ll<br />

Am folgenden Tag, Sonntag, wurde Hans gegen 20 Uhr <strong>von</strong> Martin in dessen Simca abgeholt.<br />

Es hatte wieder heftig zu schneien begonnen, <strong>und</strong> nach dem zweiten <strong>und</strong> dritten Bier wurde im<br />

jugendlichen Leichtsinn <strong>die</strong> Fahrt zum nächsten Gasthaus fortgesetzt. Ja, es machte beiden<br />

einen Heidenspaß, <strong>von</strong> dem gebrauchten Mittelklassewagen, bei <strong>die</strong>sen extremen<br />

Straßenverhältnissen, das Äußerste abzuverlangen. Hans, der da<strong>von</strong> überzeugt war, daß ein<br />

frontangetriebenes Auto auch bei Schneefall schwer ins Schleudern kommen könne, setzte sich<br />

nach dem zweiten Wirtshausbesuch, mit dem Einverständnis <strong>von</strong> Martin, ans Steuer. Und<br />

wahrlich, das Fahrverhalten war bei <strong>die</strong>ser Wetterlage einmalig. „Siehst du, du brauchst nur<br />

auf’s Gaspedal zu steigen, der zieht dich auch bei <strong>die</strong>sem Schneematsch aus der Kurve!“, sagte<br />

Hans mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck. Martin war <strong>von</strong> den Fahrkünsten seines<br />

Fre<strong>und</strong>es beeindruckt. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, wo der Simca wie ein Torpedo über <strong>die</strong><br />

Kurve hinaus, haarscharf zwischen den Obstbäumen durch <strong>und</strong> <strong>die</strong> schneebedeckte Wiese<br />

entlang schoß. Bei dem Unglück hatten sie auch noch Glück, denn weder sie noch das<br />

Fahrzeug waren zu Schaden gekommen. Das Auto mußte mit fremder Hilfe auf <strong>die</strong> Straße<br />

gebracht werden.<br />

<strong>Die</strong>ser kleine Ausrutscher bedeutete natürlich eine kräftige Niederlage für Hans. „Mach dir<br />

nichts draus, Hanse!“, sagte Martin, der nun den Fahrerplatz eingenommen hatte. „Jetzt fahren<br />

wir nach Klagenfurt, dort kenn’ ich zwei super Bienen!“ Hans war einverstanden, denn<br />

irgendwie mußte man so ein Debakel doch verarbeiten können.<br />

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Vor einem neuen Hochhaus im westlichen Stadtteil <strong>von</strong> Klagenfurt hielt Martin an. <strong>Die</strong> beiden<br />

eilten, wegen des dichten Schneefalles, <strong>von</strong> der Straße zu dem großen Eingangstor. Martins<br />

Zeigefinger fuhr zielstrebig zu einem Klingelknopf neben den vielen Namensschildern. Wieder<br />

<strong>und</strong> wieder drückte er darauf. „Gerade heute, wo ich mit dir da bin!“, meinte er enttäuscht <strong>und</strong><br />

drückte unbeirrt weiter. „Ach was, laß!“, meinte Hans. „So ein Topfen!“, entgegnete Martin<br />

verärgert. „<strong>Die</strong> sind normalerweise immer zu Hause!“<br />

Gleich danach - noch in Klagenfurt - auf dem Weg in Richtung Föndach. Der starke Schneefall<br />

hatte nachgelassen, dafür zog <strong>die</strong> Kälte einen eisigen Spiegel über <strong>die</strong> Fahrbahn. Das Radio<br />

spielte flotte Schlager, nur <strong>die</strong> Ampelphasenschaltung wollte mit <strong>die</strong>sen optimalen<br />

Bedingungen nicht mithalten. Bei jeder miesen Querstraße mußten sie bei Rot anhalten. „Weißt<br />

was, ich schau nach rechts <strong>und</strong> du nach links!“, sagte Hans. „Ja genau, bei dem Wetter ist ja<br />

sowieso keine Sau unterwegs!“, entgegnete Martin belustigt lachend <strong>und</strong> drückte kräftig auf’s<br />

Gaspedal. „Frei!“, rief Hans bei der ersten Rot zeigenden Ampelkreuzung. Mit cirka 70 bis 80<br />

Km/h fuhr Martin über <strong>die</strong> gesperrte Kreuzung. Beide lachten begeistert auf, schlugen sich vor<br />

jugendlichem Leichtsinn <strong>und</strong> Übermut auf <strong>die</strong> Schenkel. „Frei!“ „Juhu-jaa-jaa, <strong>die</strong> Zweite,<br />

Hanse!“ „Russisches Roulette!“, schrie wiederum Hans. Hans richtete seinen Blick nach vorn<br />

<strong>und</strong> im besonderen nach rechts. „Frei!“ Und als er seinen Blick wieder geradeaus richtete, sah<br />

er <strong>die</strong> große weiße Wand vor sich. Ein dumpfes Krachen, gefolgt vom wilden Drehen, das er<br />

wie in Zeitlupe verfolgen konnte, danach Totenstille.<br />

„Jetzt haben wir <strong>die</strong> Bescherung!“, sagte Martin, während er geschockt <strong>die</strong> Autotür öffnete.<br />

Hans hatte noch immer nicht mitbekommen, was da eigentlich passiert war. „Polizei, Polizei!“,<br />

schrie der Fahrer des LKWs mit jugoslawischem Kennzeichen, der auf <strong>die</strong> Fahrerseite<br />

umgestürzt war <strong>und</strong> etwa h<strong>und</strong>ert Meter seitlich dahingeschlittert war. „Nix Polizei!“, rief<br />

Martin, während er aufgeregt auf ihn zurannte. Der Fahrer des LKWs hatte <strong>die</strong> Beifahrertür<br />

nach oben geöffnet, wie ein Panzerfahrer <strong>die</strong> Einstiegsluke, <strong>und</strong> ragte mit seinem Oberkörper<br />

ebenso heraus. „So, <strong>und</strong> wie soll ich den LKW aufstellen?“, meinte er mit slawischem Akzent.<br />

„Das machen wir schon!“, entgegnete Martin selbstsicher. Doch <strong>die</strong>ser schwere Unfall konnte<br />

nicht verheimlicht werden. Nach wenigen Minuten trafen Polizei <strong>und</strong> Aufräumeinheiten der<br />

Berufsfeuerwehr mit Kranwagen ein. Erst unter dem Eindruck der vielen Einsatzfahrzeuge,<br />

deren Blaulichter mystisch <strong>von</strong> der eisigen Straße über <strong>die</strong> angrenzende Schneedecke ins<br />

Dunkel schlugen, des neugierigen Gegaffes der Schaulustigen <strong>und</strong> der andauernden<br />

ungläubigen Fragen wie: „In dem Auto seid ihr zwei gesessen?“, danach mit bew<strong>und</strong>ernden<br />

Blicken: „Das ist ein W<strong>und</strong>er, ihr müßt tausend Schutzengel haben!“, wurde Hans langsam<br />

bewußt, was da eigentlich geschehen war <strong>und</strong> welch ein Glück sie bei allem Unglück noch<br />

gehabt hatten. Der Simca war als solcher nicht mehr zu erkennen. Im Inneren war das Lenkrad<br />

stark verbogen. Das Armaturenbrett war zertrümmert, <strong>die</strong> vorderen Sitze aus dem Boden<br />

gerissen. Von außen glich das Auto eher einer Knackwurst, <strong>die</strong> man durch den Fleischwolf<br />

gedreht hatte: <strong>die</strong> Windschutzscheibe war zerbröselt, der riesige, zerknitterte <strong>Die</strong>seltank vom<br />

Lkw lag auf der Motorhaube, <strong>die</strong> als solche nicht mehr zu erkennen war. Und das Chassis<br />

sowie der Radstand hatten mit dem eines Autos nichts mehr gemein. Der Totalschaden war so<br />

arg, daß sich Hans <strong>die</strong> Frage stellte: Sind wir da überhaupt darin gesessen?<br />

Martin wurde <strong>von</strong> der Polizei mitgenommen <strong>und</strong> ging dem leidigen Weg einer<br />

Führerscheinabnahme, nach dem Alkoholtest, entgegen. Hans fuhr per Autostopp nach<br />

Föndach, wo er schnurstracks <strong>die</strong> Disco aufsuchte.<br />

Es war etwa 23 Uhr. Hans betrat <strong>die</strong> Disco in Föndach mit einem siegesbewußten Lächeln,<br />

dem Lächeln eines Neugeborenen, welches ihm jedoch noch recht schnell vergehen sollte. Im<br />

Hintergr<strong>und</strong> spielten, wie um <strong>die</strong>se Nachtzeit üblich, Lovesongs: „Es war ein Sommertraum“,<br />

„Laß mich bitte nicht allein“ <strong>und</strong> viele ähnliche Herzensbrecher. Und als Karin nach<br />

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fre<strong>und</strong>lichem Gruße gleich meinte: „Na, jetzt hat sie schon einen neuen Fre<strong>und</strong>!“, verflogen<br />

seine Gedanken an den schweren Unfall <strong>von</strong> Klagenfurt. Der alte Trott, in dem er seine Rolle<br />

wie gehabt übernehmen mußte, war eingetreten. „Na <strong>und</strong>?“, entgegnete er scheinbar unberührt.<br />

„Und schwanger ist sie auch noch, schon seit drei Monaten, oder im dritten Monat!“, fügte sie<br />

noch provokant hinzu. Hans traf <strong>die</strong>se Nachricht wie ein Blitz. „Ist mir egal!“, gab er dabei<br />

noch trocken <strong>von</strong> sich. „Scheint dich nicht zu interessieren, was?“, fragte sie, belustigt am<br />

Barhocker sitzend. „Nein, wieso auch!“ „Na, ich dachte, du könntest vielleicht der Papa sein!“,<br />

meinte sie kichernd.<br />

Noch in der gleichen Nacht ging Hans mit Karin eine zärtliche Liaison ein, <strong>die</strong> jedoch nur <strong>von</strong><br />

ganz kurzer Dauer war. Schließlich sollte <strong>die</strong>se doch nur seinen Ruf des ungebrochen<br />

männlichen Helden untermauern <strong>und</strong> festigen helfen.<br />

*<br />

W e i h n a c h t s f e i e rt a g e<br />

Natürlich hätte Hans jetzt <strong>die</strong> Möglichkeit in Anspruch nehmen <strong>und</strong> sich arbeitslos melden<br />

können. Doch da war <strong>die</strong> Überlegung, daß er sowieso nicht recht hoch eingestuft worden<br />

wäre, außerdem wollte er nicht wegen der Beschäftigungsbestätigungen bei seinen Ex-Firmen<br />

wie ein bettelnder H<strong>und</strong> vorsprechen. Schließlich hatte er doch Vater ersucht, <strong>die</strong> paar Monate<br />

zu Hause leben zu dürfen.<br />

Daß <strong>die</strong> Beziehung zu Monika <strong>von</strong> einer Eigendynamik bestimmt wurde, auf <strong>die</strong> er keinen<br />

Einfluß hatte, stimmte ihn zutiefst traurig. In <strong>die</strong>sen Weihnachtstagen stellte er sich schon <strong>die</strong><br />

Frage, ob es so etwas ähnliches wie Vorbestimmung oder Schicksal gab. Denn wie sonst, so<br />

seine Frage, war es möglich, daß er bei seiner Ankunft in Kärnten sämtliche Rutschen zu<br />

Monika nur aus völlig irrationalen Gründen zerschlagen hatte. Und das so wichtige Bindeglied<br />

zwischen ihm <strong>und</strong> ihr war durch den Unfall ausgeschaltet worden. Martin hatte jetzt kein<br />

Fortbewegungsmittel <strong>und</strong> war mit schweren Sorgen behaftet.<br />

Am Abend des 24. Dezember, einem Tag im Jahr, an dem <strong>die</strong> Christenwelt sich gerne besinnt,<br />

saß Hans nachdenklich im Kreise der Familie <strong>und</strong> warf ab <strong>und</strong> zu einen Blick auf <strong>die</strong><br />

Flimmerkiste, <strong>die</strong> eine Weihnachtsfeier aus einem <strong>Kinder</strong>krankenhaus in <strong>die</strong> behagliche<br />

Wohnstube übertrug. Und als <strong>die</strong> kleinen Patienten liebevoll <strong>und</strong> voller Begeisterung einige<br />

Weihnachtslieder im Chor darbrachten, darunter „Stille Nacht“ <strong>und</strong> „Oh Tannenbaum“, liefen<br />

Hans Tränen über <strong>die</strong> Wangen. Er dachte, wie so oft, an Monika, an <strong>die</strong> vielen Versuche, sie<br />

so ganz zufällig zu treffen. Doch nichts, als wäre sie vom Erdboden verschluckt. Und jetzt in<br />

den Abendst<strong>und</strong>en, am Fest <strong>von</strong> Christi Geburt, wurde ihm bewußt, wie gemein seine<br />

Vorgangsweise ihr gegenüber war, wie sehr er sie <strong>von</strong> Herzen liebte <strong>und</strong> wie gerne er<br />

wenigstens einige Minuten mit ihr vor dem Christbaum verbracht hätte. Was sie jetzt wohl<br />

macht, fragte er sich. Ob sie auch so heftige Sehnsucht hat? Eine Wunschkarte hätte ich ihr<br />

wenigstens schicken können!<br />

„Freust dich nicht über das Weihnachtsgeschenk?“, fragte Mutter. „Nein, warum sollte ich!“ Er<br />

mußte einfach so antworten, um seine Gefühlswelt zu vertuschen. Außerdem, wegen der paar<br />

Socken so ein Theater machen! „Könntest schon etwas dankbarer sein!“, warf nun Vater in<br />

seiner gewohnt herrischen Art ein. Ihr könnt mich mal, dachte Hans <strong>und</strong> ging trotzig in sein<br />

Schlafzimmer. Er legte sich aufs Bett, rauchte einige Zigaretten <strong>und</strong> war sich bewußt, schon<br />

wieder <strong>und</strong>iplomatisch gehandelt zu haben. Doch <strong>die</strong> weihnachtliche Stimmung ließ sich trotz<br />

alledem nicht verbergen, der Abend war an <strong>die</strong>sem Tag wesentlich ruhiger - besinnlicher. Er<br />

öffnete das Fenster <strong>und</strong> sah auf <strong>die</strong> glitzernde Schneedecke vor dem Haus, <strong>die</strong> das Licht des<br />

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Schlafzimmers feierlich zurückstrahlte. Wär ich nur zu ihr gegangen, dachte er verzweifelt, ich<br />

weiß, es wäre ihr größtes Weihnachtsgeschenk gewesen! Wir beide sind aus demselben sturen,<br />

aber stolzen Holz, ansonsten hätte schon einer den Anfang gewagt.<br />

Am Christtag, dem 25. Dezember, kam sein Benehmen zur Besprechung. „Ich muß sagen“,<br />

sagte Vater zu Hans - <strong>die</strong> gesamte Familie saß beim Mittagessen -, „dein Benehmen gestern<br />

war nicht gerade <strong>von</strong> der feinen Art!“ Er schnitt dabei langsam <strong>und</strong> wohlüberlegt ein Stück<br />

vom Schnitzel. „Du hättest wenigstens am Heiligen Abend etwas fre<strong>und</strong>licher sein können!“<br />

„Wenn ich dazu aber keine Lust hatte!“, entgegnete Hans zynisch. „Nichts da!“, schrie ihm<br />

Vater mit haßerfülltem Blick zu. „Du hast dich zu benehmen, wie es sich gehört. Schließlich<br />

bist alt genug, <strong>und</strong> in <strong>die</strong>sem Hause habe immer noch ich das Sagen!“ „Jaja, solange ich halt<br />

noch in <strong>die</strong>sem Hause bin!“, entgegnete Hans grinsend, obgleich er finanziell am Ende war <strong>und</strong><br />

somit aus der Position des Schwächeren heraus agierte. „Was soll das heißen?“, schrie Vater,<br />

außer sich vor Zorn. „Bitte hör auf, Vater!“, warf Mutter besorgt dazwischen. „Ach so, jetzt<br />

hilfst dem Schmarotzer auch noch!“ Er kaute mit Verachtung im Gesicht <strong>und</strong> fuhr fort: „Habe<br />

ich in dem Haus nichts mehr zu sagen!“ „Ist doch unser Haus! Oder haben Hans <strong>und</strong> ich nichts<br />

dazu beigetragen!“ „Jaja, hilf ihm nur, dem Arbeitsscheuen!“ „Er hat doch einen Arbeitsplatz!“,<br />

meinte Mutter beschwichtigend, um gleich hinzuzufügen: „Was kann er dafür, wenn’s nur<br />

saisonbedingt ist!“ „Nein, nein!“, sagte Vater wiederum verächtlich. Er stach dabei mit der<br />

Gabel gefühlvoll in ein kleines Stückchen Schnitzel, führte es langsam in den M<strong>und</strong> <strong>und</strong> kaute<br />

es bedächtig. Hans war mittlerweile der Appetit vergangen. Er stand auf <strong>und</strong> ging wortlos ins<br />

Schlafzimmer, schaltete den Kassettenrecorder ein, legte sich aufs Bett <strong>und</strong> dachte nach. Jetzt<br />

beginnt das Spiel wieder <strong>von</strong> vorne, dachte er. Doch Vater darf nicht glauben, daß ich vor ihm<br />

auf <strong>die</strong> Knie fallen werde. Niemals! Da gehe ich lieber durch den Dreck <strong>und</strong> verkomme. Jaja,<br />

Vater wird denken, er hätte mich nun in der Hand. Außerdem bin ich mit meinem kurzen<br />

Abenteuer in Wien ganz schön auf <strong>die</strong> Schnauze gefallen, das paßt ihm natürlich in den Kram.<br />

Er denkt, ich sei jetzt zu feige, nochmals kräftig durchzustarten, mich bei <strong>die</strong>ser eisigen<br />

Jahreszeit ohne Arbeitsplatz, Geld <strong>und</strong> Unterkunft auf den Weg zu machen.<br />

*<br />

O b d a c h lo s i m H a u p t b a h n h o f<br />

In den folgenden Tagen ging Hans seinem Vater, wo er nur konnte, aus dem Weg. Er wollte<br />

auf <strong>die</strong>se Art wenigstens bis Februar bei seinen Eltern leben dürfen. Wenn Hans nicht<br />

anzutreffen war, mußte eben Mutter für <strong>die</strong> fürchterlich grausamen Beschimpfungen herhalten.<br />

Er mußte einfach gehen, denn der Haß zwischen ihm <strong>und</strong> Vater steigerte sich schließlich<br />

stündlich. Sein Verbleiben hätte unweigerlich zur Katastrophe geführt.<br />

Am 29. Dezember war es soweit, Hans packte seinen Koffer <strong>und</strong> fuhr nach einem kurzem<br />

Abschiedsgespräch <strong>und</strong> Neujahrswünschen mit dem Bus zum Hauptbahnhof nach Klagenfurt.<br />

Im Hauptbahnhof gab Hans seinen Koffer bei der Gepäckaufbewahrung ab, eigentlich schon<br />

ein gewohnter Vorgang. Nur bei der bitteren Kälte, 8 Minusgraden, <strong>und</strong> mit 150 Schilling in<br />

der Tasche, war ihm das Lachen schon vergangen. Er dachte an Wolfgang <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erfahrung<br />

mit Herbert, der für nichts einiges springen ließ. Sofort versuchte er, mit Herbert telefonisch<br />

Kontakt aufzunehmen. Doch <strong>die</strong>smal hatte er Pech, Herbert war einfach nicht zu erreichen. So<br />

ein Topfen, jetzt läuft wieder einmal alles schief! Um sich <strong>die</strong> Zeit zu vertreiben, ging er <strong>die</strong><br />

Bahnhofshalle auf <strong>und</strong> ab, begutachtete <strong>die</strong> Waren, <strong>die</strong> in den Schaufenstern <strong>und</strong> -kästen auf<br />

zahlungskräftige K<strong>und</strong>en warteten. Dabei konnte er sich geistig <strong>von</strong> der eisigen realen in eine<br />

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schönere Welt retten. <strong>Die</strong> Obdachlosen, <strong>die</strong> um <strong>die</strong>se Jahreszeit in recht großer Anzahl in<br />

<strong>die</strong>sem Gebäude Schutz suchten, waren für ihn wie ein Wink des Schicksals, es nicht zu weit<br />

zu treiben. Doch plötzlich zog Hans seine Augenbrauen erstaunt hoch, da stand doch<br />

Wolfgang <strong>und</strong> unterhielt sich angeregt mit einer Gruppe <strong>von</strong> Obdachlosen. Hans ging langsam<br />

auf sie zu, im Gedanken klingelten 10.000 Schilling. Aber wie ich ihn kenne, wird er nichts<br />

haben, ein Windbeutel halt! „Wolfgang!“ Wolfgang drehte sich mit seinem aufgezogenen,<br />

weltmännischen Lächeln um, welches, als er Hans erkannte, in eine total entgeisterte Grimasse<br />

umschlug. „Hallo, Hanse!“, grüßte er nach einer kurzen Schrecksek<strong>und</strong>e, doch recht gefaßt.<br />

„So trifft man sich wieder, was!“, sagte Hans fre<strong>und</strong>lich lächelnd. „Ja“, entgegnete Wolfgang,<br />

er hatte <strong>die</strong> Situation wieder fest im Griff. „Wie geht es dir, Hanse. Arbeitest noch in Wien?“<br />

„Nein, ich bin zur Zeit leider arbeitslos!“ „Ich auch, ach ja, was ich sagen wollte!“, sagte<br />

Wolfgang <strong>und</strong> bot Hans eine Zigarette an. „Dein Geld bekommst sicher zurück, nur, jetzt bin<br />

ich finanziell am Boden!“ „Also, du kannst mir mein Geld nicht zurückgeben!“ „Zur Zeit nicht,<br />

tut mir leid!“ „Das ist nicht gut, Wolfgang, ich bin nämlich knapp bei Kasse!“ „Hallo, Wolfi!“,<br />

sagte das junge Mädchen freudestrahlend, das gerade erst in den Bahnhof gekommen war. Sie<br />

war sehr schlank, hatte strähniges, dunkles, langes Haar, welches einen etwas ungepflegten<br />

Eindruck machte. „Hallo, Mäuschen! Wieviel haben wir denn ver<strong>die</strong>nt?“, fragte er sie lächelnd.<br />

„Für das Mittagessen reicht es allemal!“, entgegnete sie sichtlich zufrieden, wobei ihr Blick<br />

flüchtig, aber durchaus interessiert Hans streifte. „Ach ja, das ist mein Fre<strong>und</strong> Hans, <strong>und</strong> das,<br />

Hans, ist mein bestes Pferd im Stall, <strong>die</strong> Trude!“ Mit einem fre<strong>und</strong>lichen Kopfnicken begrüßten<br />

sich <strong>die</strong> beiden. Jetzt hat er in Klagenfurt ein Mädel auf dem Strich, na ja, was soll ich tun? Sie<br />

ist zwar sehr jung, trägt jedoch abgetragene Kleidung - sehr viel wird sie wohl nicht ver<strong>die</strong>nen.<br />

Ich würd’ sie nicht einmal geschenkt nehmen. „Ich lade dich zum Essen ein, Hanse!“ Hans<br />

nahm <strong>die</strong> Einladung gerne an <strong>und</strong> ging mit ihnen in ein nahegelegenes Wirtshaus.<br />

Sie setzten sich an einen Ecktisch <strong>und</strong> unterhielten sich ausgelassen, so, als hätte es nie einen<br />

ernsten Zwischenfall im Leben der beiden gegeben. Für Hans war <strong>die</strong>ses Treffen positiv,<br />

konnte er so doch leere Zeit in Gesellschaft verbringen. Außerdem durfte er sich den Bauch auf<br />

fremde Kosten vollschlagen, in schlechten Tagen ein nicht zu unterschätzender Wert.<br />

„Hanse, wenn du willst, kannst ihre Fre<strong>und</strong>in haben!“, meinte Wolfgang nach dem zweiten Bier<br />

<strong>und</strong> gab Trude einen zärtlichen Kuß. Hans lächelte spitzbübisch: „Nein, danke, Wolfgang, du<br />

weißt, daß ich für solche Sachen nicht zu haben bin!“ „Aber sei doch nicht so dumm, Hanse!<br />

Du bist doch auch kein Heiliger. Außerdem, wo willst denn schlafen, jetzt wo du wieder <strong>von</strong><br />

zu Hause weg bist!“ „Danke, Wolfgang, aber ich will einfach nicht, daß ein Mädel für mich<br />

ihren Körper verkaufen muß, da gehe ich lieber selbst <strong>die</strong>sen erniedrigenden Weg!“ Wolfgang<br />

lächelte belustigt <strong>und</strong> schüttelte ungläubig den Kopf, bestellte noch eine R<strong>und</strong>e Bier <strong>und</strong><br />

meinte weiter: „Ich würde sie mir ansehen, an deiner Stelle. Ich selbst wollte sie einziehen,<br />

doch das Luder spielte nicht mit. Ich denke, du wärst schon ihr Typ. Bräuchtest nur etwas<br />

zärtlich <strong>und</strong> liebevoll zu ihr sein!“ Wolfgangs Fre<strong>und</strong>in war dem Gespräch aufmerksam gefolgt,<br />

sie sah Hans auffordernd an, so, als wollte sie damit andeuten, tu es doch, schlag das Angebot<br />

nicht aus, so eine Gelegenheit kommt nicht alle Tage. Hans trank einen kräftigen Schluck vom<br />

Bier, welches <strong>die</strong> Kellnerin eben gebracht hatte <strong>und</strong> dachte nach. Beinahe wollte er schon<br />

zusagen, warum nicht? Wenn ich mir Trude so ansehe, so muß ich feststellen, daß sie freiwillig<br />

<strong>und</strong> anscheinend ganz gern auf den Strich geht. Ich habe sogar den Eindruck, als wäre sie auf<br />

ihren Job besonders stolz! Wenn ich jetzt das Angebot annehmen würde, hätte ich mich mit<br />

einem Schlage meiner Existenzprobleme entledigt. Ich hätte Geld, eine Unterkunft - doch um<br />

welchen Preis! Ich würde gegen meine Gr<strong>und</strong>einstellung, meine Lebensphilosophie verstoßen.<br />

Ich wäre mit einem Schlage ein ganz gewöhnlicher Zuhälter, der erst seinen Platz unter den<br />

Füchsen <strong>und</strong> Wölfen sichern müßte, dachte er. Ach ja, darum wird es wohl auch Wolfgang<br />

gehen, er braucht einen Kompagnon, um sich in der Meute leichter durchsetzen zu können.<br />

Aber nicht mit mir, ich habe dazu keine Lust <strong>und</strong> auch keinen Appetit. Und wer weiß, auf<br />

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welchen Schienen mein künftiger Lebensweg laufen würde? Es gäbe für mich nur zwei Wege,<br />

der eine führt durch klug durchdachte Positionskämpfe mit anderen <strong>und</strong> gegen andere nach<br />

oben, der zweite noch tiefer nach unten, vielleicht sogar lebenslang ins Gefängnis! Nein, nein,<br />

außerdem würde ich es mir eines Tages selbst nicht verzeihen, solch einen miesen Weg<br />

eingeschlagen zu haben.<br />

„Meine Fre<strong>und</strong>in, sieh sie dir nur an! Denkst du vielleicht, ich zwinge sie dazu? Außerdem ist<br />

sie schon auf den Strich gegangen, bevor ich sie kennenlernte! Ja, noch bevor wir beide den<br />

Hungerweg nach Wien durchschritten haben! Stimmt’s, Mausi!“ Wolfgang sah ihr dabei<br />

verliebt in <strong>die</strong> Augen. „Stimmt, Wolfi!“, entgegnete sie zufrieden, nahm einen kräftigen Zug<br />

<strong>von</strong> der Zigarette <strong>und</strong> fuhr fort: „Und ich weiß, was ich tu!“ Sie wandte sich Hans zu <strong>und</strong> sah<br />

ihm beschwörend in <strong>die</strong> Augen. „Denkst du, ich gehe für 7.000 Schilling im Monat täglich <strong>von</strong><br />

8 bis 16 Uhr arbeiten? Und das <strong>von</strong> Montag bis Freitag <strong>und</strong> laß mich nebenbei vom Chef <strong>und</strong><br />

der K<strong>und</strong>schaft zur Sau machen?“ Sie lachte belustigt auf <strong>und</strong> verneinte nachdrücklich mit dem<br />

Kopf. „Nein, nein, ich bin doch nicht blöd. Jetzt schon gar nicht, wo ich weiß, daß ich an einem<br />

guten Tag ein Monatsgehalt <strong>und</strong> mehr ver<strong>die</strong>nen kann!“ „Willst mir weismachen, du könntest<br />

an einem Tag 7.000 Schilling ver<strong>die</strong>nen? Wenn der Preis für einmal tatütata drei bis vier<br />

H<strong>und</strong>erter ausmacht?“, entgegnete Hans ungläubig. „Na <strong>und</strong>!“, fuhr sie ihn an. „Das heißt doch<br />

noch lange nicht, daß ich <strong>von</strong> denen nur vier H<strong>und</strong>erter kassiere. Bei vielen . . .“ Sie hielt inne<br />

<strong>und</strong> kicherte erheitert auf. „Natürlich muß ich etwas dazu beitragen, <strong>die</strong> gewissen Extras <strong>und</strong><br />

so!“ Sie lachte wieder <strong>und</strong> schien sich dabei köstlich zu amüsieren. „Eine Frage, Trude?“,<br />

fragte Hans neugierig. „Wieviele Männer kannst du so in einer Nacht schaffen?“ „Eine Frau<br />

kann immer!“, warf Wolfgang sofort dazwischen. „Zehn oder zwanzig“, sie zuckte mit den<br />

Achseln, „kommt ganz drauf an!“, meinte sie gelassen. „Muß aber ganz schön trocken<br />

zugehen, beim zwanzigsten!“, konterte Hans genüßlich. „Ach, das laß nur mal meine Sorge<br />

sein!“ Sie lachte dabei so ungeniert auf, daß Hans am liebsten im Erdboden versunken wäre.<br />

„Und was denkst du, was <strong>die</strong> Männer noch so gern haben?“ Sie sah ihm schelmisch lächelnd in<br />

<strong>die</strong> Augen. „Keine Ahnung!“, entgegnete Hans unschuldig. Sie antwortete nicht, sondern stand<br />

auf <strong>und</strong> lief kichernd in <strong>die</strong> Toilette. Wolfgang schien sich köstlich zu amüsieren, denn er<br />

schlug heftig mit der Rechten auf den Tisch <strong>und</strong> meinte: „<strong>Die</strong> hat ein M<strong>und</strong>werk, was! Aber in<br />

<strong>die</strong>ser Branche sehr wichtig! Und was ist mit dir, hast es schon überlegt?“ „Ich, ich bleibe bei<br />

meiner Aussage!“ „Also, jetzt kann ich auch kein Geschäft mit dir machen, schade!“, meinte<br />

Wolfgang etwas enttäuscht. „So, welches Geschäft?“, entgegnete Hans erstaunt. „Na, mit ihrer<br />

Fre<strong>und</strong>in!“ „Ach, du denkst, ich würde mich dafür auch noch bedanken!“ „Richtig!“ Wolfgang<br />

rauchte eine Zigarette an. „Was ich noch sagen wollte, Hanse! Du kannst auf mein Angebot<br />

zurückgreifen. Jedenfalls solange sie noch keinen Fre<strong>und</strong> hat!“ Hans verneinte lächelnd. „Gut,<br />

aber du weißt, was dir bevorsteht! Du kannst selber auf den Strich gehen. Noch dazu bei den<br />

Scheiß Schwulen!“ „<strong>Die</strong> nehm ich aus, da mach dir mal keine Gedanken!“ „Na, dann viel<br />

Glück!“, meinte Wolfgang <strong>und</strong> sah ihn fragend an, als wollte er Hans noch einmal <strong>die</strong> Chance<br />

geben, sich <strong>die</strong> Sache zu überlegen. „Ich muß mich entschuldigen, Wolfgang!“, sagte Hans <strong>und</strong><br />

stand auf. „Ich muß telefonieren!“ Er ging zum Bahnhof.<br />

Es war circa 15 Uhr, Hans legte enttäuscht den Telefonhörer auf <strong>die</strong> Gabel. Was mache ich<br />

jetzt, knurrte er in sich hinein. Langsam schritt er <strong>die</strong> Bahnhofshalle ab, <strong>die</strong>se war ihm schon<br />

vom letzten Abenteuer her mehr als nur vertraut. Es hatte sich seit Sommer - bis auf <strong>die</strong> Kälte -<br />

nichts geändert. <strong>Die</strong> Menschen hasteten genauso ruhelos <strong>und</strong> gestreßt umher, als hätten sie<br />

etwas maßlos Wichtiges zu versäumen. Und nach einer Weile widerte ihn <strong>die</strong>se Atmosphäre<br />

an. Er ging <strong>die</strong> Bahnhofstraße entlang in Richtung Heiligengeistplatz, bestaunte <strong>die</strong> hohen<br />

Schneehaufen an den Straßenrändern, <strong>die</strong> <strong>von</strong> den Gemeindearbeitern provisorisch dorthin<br />

geschaufelt worden waren, um Platz für Fußgänger, Autos <strong>und</strong> Parkplatz zu schaffen.<br />

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Zwischendurch machte er einen Abstecher ins Kaufhaus Forum, wo man sich so schön<br />

aufwärmen <strong>und</strong> angesichts der vielen tollen Waren Mut für einen Neubeginn fassen konnte.<br />

Am Abend war <strong>die</strong> Temperatur auf minus 11 Grad gefallen <strong>und</strong> Hans in der Oase der<br />

Besitzlosen gelandet. Er kaufte, wie er es <strong>von</strong> Wolfgang gelernt hatte, eine billige Fahrkarte,<br />

um sich so wenigstens das Aufenthaltsrecht im Hauptbahnhof zu sichern. Beim unauffälligen<br />

Auf- <strong>und</strong> Abgehen in der Halle weckten einige Obdachlose sein Interesse. In zerlumpter, alter,<br />

oft übergroßer Kleidung, kaputten, ungeputzten Schuhen, unrasiert, einige über<strong>die</strong>s extrem<br />

ungepflegt <strong>und</strong> mit hohem Alkospiegel, kamen sie daher. So kann man <strong>die</strong>se Menschen, den<br />

sogenannten Abschaum der geblendeten Industrie- <strong>und</strong> Wohlstandsgesellschaft, täglich in fast<br />

allen Bahnhöfen <strong>die</strong>ser Welt antreffen. <strong>Die</strong>ses Leben muß <strong>die</strong> Hölle sein, kam es ihm in den<br />

Sinn, andauernd <strong>die</strong> Furcht vor der Polizei, vor dem nächsten Tag, wie ein herrenloses Tier,<br />

entwurzelt, ohne Halt <strong>und</strong> Unterkunft.<br />

Doch plötzlich zuckte er innerlich zusammen, rasch wandte er sich um. Ein Nachbar aus<br />

seinem Heimatort Föndach war zum Fahrkartenschalter geeilt. Wenn der mich sieht, weiß <strong>die</strong><br />

ganze Gemeinde <strong>von</strong> meinem gestrandeten Dasein. Hans ging in <strong>die</strong> Toilette, stellte sich zu<br />

einem Pissoir <strong>und</strong> tat, als ob. . . Dabei war ihm der junge Typ aufgefallen, in dessen Blickfeld<br />

er schon längere Zeit stand. Er stand jetzt am Nachbarpissoir <strong>und</strong> sah angeregt zu Hans. Hans<br />

war <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Szene extrem angewidert. Er ging zum Spiegel, dabei folgte ihm der Typ<br />

wiederum. Er stand mit glänzenden Augen hinter ihm <strong>und</strong> spielte mit der rechten Hand ganz<br />

ungeniert in seinem Hosensack. Angeekelt verließ Hans <strong>die</strong> Toilette <strong>und</strong> eilte zur Telefonzelle,<br />

um Herbert, der ihn im Sommer finanziell so großzügig unterstützt hatte, anzukabeln. Doch<br />

Herbert war einfach nicht zu erreichen, wird wohl an dem Jahreswechsel gelegen sein, der<br />

schon ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für solche Kontakte zu sein schien.<br />

Wieder mußten <strong>die</strong> Schaukästen <strong>und</strong> Auslagen in der Bahnhofshalle für den Zeitvertreib<br />

herhalten. Immer wieder drängten seine Gedanken sehnsüchtig zu Monika. Sie ist schwanger!<br />

Von wem? Ist doch egal, ist doch nicht so wichtig. Sie würde mir sofort helfen, ja, ich weiß,<br />

sie würde es mit großer Freude tun! Auch meine Fre<strong>und</strong>e, Heino, Fritz <strong>und</strong> George, würden<br />

mir helfen. Doch ich darf es nicht ausnützen, <strong>und</strong> ich will mir auch nicht helfen lassen. Jetzt vor<br />

Monika hintreten? Nein, nein, ich muß zuerst etwas leisten, meine Hemdsärmel kräftig<br />

aufkrempeln, mich auf meine eigenen Beine stellen. Schließlich hat ein <strong>Beschulnig</strong> einen Stolz,<br />

der es nicht zuläßt, als Versager vor sein Mädel zu treten. Obgleich ich es allzugern tun<br />

möchte. Mein Gott, was für eine Welt! Nein, ich muß meinen Weg gehen, sonst heißt es noch<br />

eines Tages: Was willst du, du wärst doch ohne meine, unsere Hilfe zu Gr<strong>und</strong>e gegangen. Und<br />

genau <strong>die</strong>se Chance möchte ich niemandem geben, nicht einmal Monika. Doch da war plötzlich<br />

wieder <strong>die</strong>ser junge Schwule. Er starrte Hans an, als ob er einfach nicht genügend Mut zum<br />

Ansprechen aufbringen könnte. Hans ignorierte ihn einfach, bis der andere schließlich doch den<br />

Schritt wagte <strong>und</strong> meinte: „Entschuldigen Sie!“ Hans wandte sich langsam zu ihm. „Meinen Sie<br />

mich?“ „Ja, ich beobachte Sie schon längere Zeit!“ Er sah Hans dabei recht unsicher an. „So,<br />

<strong>und</strong> was wollen Sie?“ „Ich möchte Sie gerne auf ein Bier einladen!“ Ein Bier, dachte Hans,<br />

besser als in der blöden Halle R<strong>und</strong>en zu drehen. „Gut, gehen wir!“ „Weißt du, daß du gut<br />

aussiehst!“, meinte der Fremde, nachdem sie in dem Bahnhofsrestaurant Platz genommen<br />

hatten. „Ach, schon wieder ein Schwuler!“, entgegnete Hans <strong>und</strong>iplomatisch. „Ich heiße<br />

Roland <strong>und</strong> bin beim hiesigen R<strong>und</strong>funk beschäftigt!“, fuhr der Fremde unbeirrt fort. „Und ich<br />

bin Hans, zur Zeit beschäftigungslos!“ Nach einem weiteren recht belanglosen Gespräch <strong>und</strong><br />

der zweiten R<strong>und</strong>e Bier, hatte Hans <strong>von</strong> dem Katz- <strong>und</strong> Maus-Spiel <strong>die</strong> Nase voll. „Bist<br />

homosexuell?“ Roland begann nervös sein halbvolles Bierglas hin <strong>und</strong> her zu schieben. „Ja“,<br />

entgegnete er leise, ohne jedoch Hans anzusehen. „Gut, das soll mich nicht stören, das Bier<br />

schmeckt mir trotzdem!“ Hans grinste belustigt. „Nur erwarten darfst du dir <strong>von</strong> mir nichts!“<br />

„Okay, Hansi!“, entgegnete Roland schon gelöster, „aber wenn du finanzielle Hilfe benötigst,<br />

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ich denke, wir könnten dann darüber sprechen!“ Roland sah ihn dabei abwartend an. „Kommt<br />

auf <strong>die</strong> Gegenleistung an!“, meinte Hans interessiert. „Vierh<strong>und</strong>ert für eine Nacht!“ Der ist<br />

wohl verrückt, der schwule Idiot, durchfuhr es Hans, aus seinen Augen sprühte Wut <strong>und</strong> Zorn.<br />

„Jaja, jetzt habe ich dich verärgert!“, meinte Roland, er hatte den Ernst der Lage erkannt. „Als<br />

Wiedergutmachung lade ich dich zu einem Lokalbummel ein!“ Das ließ sich Hans nicht<br />

zweimal sagen.<br />

Gegen 22 Uhr landeten sie in einem stadtbekannten Homo-Treff, in der Nähe des Villacher<br />

Rings. In <strong>die</strong>sem Lokal war ich doch schon mal, dachte Hans, ach ja, damals mit Wolfgang!<br />

Und jetzt bin ich schon wieder hier, tja, so klein ist <strong>die</strong> Welt. <strong>Die</strong> beiden setzten sich zur Bar.<br />

Roland bestellte zwei Kaffee. Hans ließ seine Blicke neugierig durch’s Lokal schweifen, wobei<br />

er feststellen konnte, wie ihn so mancher der Gäste fasziniert begutachtete. „Was ist mit dir?“,<br />

fragte Roland mit glänzenden Augen. „Ach nichts, ich hab nur an was Komisches gedacht!“<br />

„Gut, Hanse, hast es dir überlegt, schlafst heute bei mir?“ „Nein, danke!“ „Gut, ich gebe dir<br />

meine Visitenkarte, falls du in noch ärgere Schwierigkeiten kommen solltest!“ Wortlos steckte<br />

Hans <strong>die</strong>se ein. „Prinzessin, zahlen!“ Roland zahlte <strong>und</strong> ging. Hans war auch schon müde, doch<br />

jetzt schon zum kalten Bahnhof runter gehen? Und es dauerte auch keine zwei Minuten, <strong>und</strong><br />

ein gutaussehender Mittvierziger nahm den freigewordenen Platz ein. „Sagen Sie, junger<br />

Mann“, meinte er in makellosem Deutsch, „woher kennen Sie Roland?“ „Roland?“, entgegnete<br />

Hans überrascht. „Ach, den hab ich heute zufällig kennengelernt!“ „Und ich dachte, Sie seien<br />

sein neuer Fre<strong>und</strong>!“ „So ein Blödsinn!“, fuhr Hans verärgert auf. „Denken Sie vielleicht, ich bin<br />

schwul?“ „Nein, nein!“ „Dann ist’s ja gut!“, meinte Hans <strong>und</strong> kehrte ihm den Rücken zu.<br />

„Wenn ich Sie schon so verärgert habe, so möchte ich Sie gerne auf einen Kaffee einladen!“<br />

„Tun Sie, was Sie nicht lassen können!“, entgegnete Hans <strong>und</strong> wandte sich ihm wieder zu.<br />

„Also, ich bin Gernot, ich bin der Direktor <strong>von</strong> der . . .Versicherung in Klagenfurt!“ „Hallo“,<br />

entgegnete Hans fre<strong>und</strong>lich, „<strong>und</strong> ich bin Hans, zur Zeit vorläufig auf dem Bahnhof<br />

gestrandet!“ Gernot sah ihn musternd an <strong>und</strong> meinte: „Du wirst es schon schaffen, das sehe ich<br />

dir an!“ <strong>Die</strong> beiden setzten sich an einen freigewordenen Tisch <strong>und</strong> besprachen Hans’<br />

Probleme. Und immer, wenn Gernot auf seine teure Armbanduhr blickte, riß Hans sich<br />

zusammen <strong>und</strong> unterdrückte seine Müdigkeit. „Hansi, ich muß gehen, wenn du willst, kannst<br />

bei mir übernachten!“ „Nein, danke!“, entgegnete Hans fre<strong>und</strong>lich aber bestimmt. „Du brauchst<br />

dich nicht zu fürchten. Ich will nichts <strong>von</strong> dir!“ „Ja, das sagst jetzt!“ „Aber nein, Hansi“, meinte<br />

er nun beinahe väterlich, „ich will nur nicht, daß du dich mit <strong>die</strong>sem Gesindel herumtreibst!“<br />

Hansis Gedanken rasten wild, schließlich mußte er sich schnell entscheiden. Und der eisig kalte<br />

Bahnhof würde ihm keineswegs da<strong>von</strong>laufen. „Okay, Gernot, aber wenn du mich angreifst,<br />

kannst was erleben!“ „Mach dir keine Sorgen, aus dem Alter bin ich längst raus!“, entgegnete<br />

Gernot scherzend.<br />

Gernot lebte in einer schönen, modernen Wohnung unweit des Hauptbahnhofs. Er war rasch in<br />

seinem Bett verschw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> eingeschlafen. Hans hingegen lag hellwach auf der Couch,<br />

seine Gedanken kreisten nur um Monika. Sie schläft jetzt auch, dachte er. Ein Kind soll sie<br />

bekommen, hmm, <strong>von</strong> mir oder <strong>von</strong> Gerd? Ist sicher <strong>von</strong> mir, oder doch nicht? Wenn ja, dann<br />

wird sie es mich wissen lassen, oder doch nicht? Ich sollte zu ihr gehen, mit ihr sprechen. Nein,<br />

Blödsinn, das kann ich nicht, jetzt, wo ich beinahe wie eine Nutte lebe. Wo ich so tief gesunken<br />

bin, wo ich mich <strong>von</strong> Männern zu einem Drink einladen lasse. Er sprach im Geiste zu <strong>und</strong> mit<br />

ihr. Dabei konnte er ihre tiefe Liebe zu ihm spüren. Tränen liefen über seine Wangen.<br />

„Was ist mit dir, Hansi!“, sagte Gernot, als er an <strong>die</strong>sem Freitag <strong>die</strong> Augen aufschlug. „Was<br />

soll denn sein!“, entgegnete Hans schlaftrunken. „Du hast so unruhig geschlafen!“ „So, das<br />

kommt öfter vor!“ „Kein W<strong>und</strong>er, in deiner Situation!“ Hans streckte <strong>und</strong> reckte sich, dabei<br />

fiel sein Blick auf <strong>die</strong> Wanduhr - 6 Uhr! „Um <strong>die</strong>se Zeit stehst du schon auf?“ „Ja, ich muß in<br />

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mein Büro“, er hielt kurz inne, „du mußt auch aufstehen!“ Das ist doch klar, das hätte er mir<br />

nicht zu sagen brauchen, dachte Hans <strong>und</strong> erhob sich <strong>von</strong> der Couch.<br />

Beim Frühstück mit Gernot dachte Hans mit Sorge an seine Zukunft. Doch irgendwie,<br />

irgendwie würde er <strong>die</strong>se trostlose Zeit schon überstehen. „Wenn du willst, kannst heute<br />

wieder bei mir schlafen!“, meinte Gernot <strong>und</strong> trank genüßlich vom Kaffee. „Vielleicht!“,<br />

entgegnete Hans desinteressiert.<br />

Während Gernot seinem Job als Manager einer großen Versicherungsanstalt nachging, war<br />

Hans mit anderen Dingen beschäftigt. Er wollte unbedingt Monika treffen, mit ihr reden - <strong>die</strong><br />

brennende Sehnsucht stillen. Darum ging er hinunter, zu ihrem Lehrbetrieb <strong>und</strong> wartete vor<br />

dem Eingangstor unauffällig auf ihr Eintreffen.<br />

Doch nichts, <strong>und</strong> als der Zustrom <strong>von</strong> Arbeitskräften gegen 7.50 Uhr versiegte, ging er<br />

langsam zum Postbusbahnhof. Vielleicht war sie <strong>die</strong>smal spät dran? Sie würden sich so auf<br />

jeden Fall kreuzen. Es wurde nichts mit dem sehnsüchtig erwünschten Treffen. Und so ging er<br />

langsam hinunter zum Hauptbahnhof, um sich <strong>von</strong> der Kälte zu erholen <strong>und</strong> mit Herbert<br />

Verbindung aufzunehmen.<br />

Hans betrat <strong>die</strong> große Halle des Hauptbahnhofs. Trude war gerade in ein lautstarkes <strong>und</strong> sehr<br />

emotionell ausgetragenes Schreiduell mit einem ihrer K<strong>und</strong>en verwickelt. Ihn interessierte <strong>die</strong><br />

Szene nicht sonderlich, er ging in <strong>die</strong> nächste Telefonzelle, um Herbert anzurufen. <strong>Die</strong>smal<br />

hatte er Herbert zwar an der Strippe, doch konnte sich <strong>die</strong>ser beim besten Willen nicht an Hans<br />

erinnern. „Aber warten Sie“, meinte er <strong>und</strong> hielt kurz inne, „haben Sie heute gegen 16 Uhr<br />

Zeit?“ „Ja!“ „Gut, dann treffen wir uns in der Halle des Hauptbahnhofs!“<br />

Der Idiot, kann sich nicht an mich erinnern, dachte Hans erstaunt, er nahm im Bahnhofscafe<br />

Platz. „Ein Bier!“ <strong>Die</strong> Kellnerin nickte fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> ging. So was Blödes, der muß einen<br />

Männerverschleiß haben - oder tut er nur so? Ach was, was zerbreche ich mir darüber<br />

überhaupt den Kopf? Er nahm eine seiner letzten Zigaretten, um sie lässig zu rauchen. Ich<br />

nütze zwar <strong>die</strong> Homos geschickt aus, ohne meinen Körper wie eine Nutte zu vermarkten. Doch<br />

was soll es, sie werden schon ihre Gründe haben, weshalb sie mich sponsern. Außerdem<br />

brauche ich dringend eine Unterkunft, ich kann nicht auf Dauer in dem Bahnhof bleiben.<br />

Es war zwar bitterkalt an <strong>die</strong>sem 30. Dezember, weit unter 0 Grad, doch er mußte einfach<br />

hinaus, hinaus in das Zentrum <strong>von</strong> Klagenfurt, um sich mit einem Schaufensterbummel <strong>die</strong> Zeit<br />

<strong>und</strong> vor allem <strong>die</strong> negativen Gedanken zu vertreiben.<br />

Um seinen Termin auch genauestens einzuhalten, war Hans gegen 16 Uhr schon in der<br />

Bahnhofshalle. „Hey, Hanse!“, rief Wolfgang erfreut. „Sag, wo hast du <strong>die</strong> Nacht verbracht?“<br />

„Bei einer Schwuchtel!“, entgegnete Hans grinsend. „So, <strong>und</strong> was machst jetzt?“ „Jetzt warte<br />

ich auf Herbert!“ „Na, dann viel Erfolg, bis später!“, meinte Wolfgang süffisant grinsend <strong>und</strong><br />

ging in <strong>die</strong> Bahnhofsrestauration. Herbert sollte schon längst da sein, dachte Hans <strong>und</strong> setzte<br />

nervös zu einer Großr<strong>und</strong>e in der Halle an, doch halt! Da war er doch. Tiefwinterlich, aber<br />

extrem elegant gekleidet, ging Herbert unauffällig durch <strong>die</strong> Halle. Seine Augen wechselten<br />

dabei recht flink <strong>und</strong> suchend <strong>die</strong> Blickrichtung. Hans wartete, bis er ihm gegenüberstand.<br />

„Hallo, Herbert!“ Herbert verharrte einen Moment lang wie angewurzelt. „Sie sind der<br />

Hansi?“, fragte er verblüfft. „Ja, der bin ich“, entgegnete Hans selbstbewußt. „Also dann,<br />

kommen Sie, wir fahren auf einen Drink!“<br />

Während der Fahrt zu einem Lokal versuchte Hans, ihn an den vergangenen Sommer, als er<br />

mit Wolfgang so hoffnungsvoll nach Wien aufgebrochen war, zu erinnern. Auch an das<br />

Abendessen, das interessante Gespräch <strong>und</strong> an <strong>die</strong> großzügige Spende, <strong>die</strong> er schließlich noch<br />

erhalten hatte. Doch Herbert konnte oder wollte nichts mehr da<strong>von</strong> wissen.<br />

Bei Bier <strong>und</strong> Frankfurter schoß ihn Hans nach der Devise alles oder nichts an. „Weißt du eine<br />

Wohnmöglichkeit für <strong>die</strong> nächsten zwei Monate?“ Herbert wirkte nach <strong>die</strong>ser Frage nicht<br />

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sonderlich überrascht. Nachdenklich tauchte er seine Frankfurter in den süßen Senf <strong>und</strong> meinte<br />

genauso direkt: „Nun, ich hätte da was, aber du hast doch kein Geld!“ Er sah ihn interessiert<br />

an. „Genau!“, entgegnet Hans trocken. „Nun, unter einer bestimmten Voraussetzung könnten<br />

wir darüber reden!“ „Und <strong>die</strong> wäre?“ „Einmal monatlich mußt du mir eine Nacht opfern!“ Hans<br />

blieb dabei beinahe der Bissen im Halse stecken. Was soll ich jetzt machen? Ablehnen, dann<br />

verkomm ich auf dem Bahnhof! Zusagen? Hans lächelte fre<strong>und</strong>lich. „Du mußt wissen, daß es<br />

mich vor einem Mann ekelt!“ „Wird schon nicht so schlimm werden!“, entgegnete Herbert<br />

zuversichtlich. Hans stieg auf <strong>die</strong>ses Angebot ein, aussteigen konnte er ja immer noch.<br />

Herbert ließ sich <strong>die</strong> Chance nicht entgehen <strong>und</strong> drängte auf sofortige Einlösung der<br />

Abmachung. <strong>Die</strong> Fahrt ging nach einer ausgedehnten Zechtour in Richtung Keutschach. Im<br />

Hofe eines alten Bauernhauses, mit Wirtschaftsgebäuden <strong>und</strong> angrenzendem neuem Hotel hielt<br />

Herbert den schweren Mercedes vor einem riesigen Schneehaufen an. Ein Wahnsinn, der<br />

Mensch muß ja Geld wie Heu haben, dachte Hans. Herbert ging mit ihm nicht in das schöne<br />

Hotel, welches im Winter gesperrt war, sondern in das kleine alte Bauernhaus. In einem<br />

winzigen einfachen Zimmer stand ein Einzelbett. „Kannst dich schon ausziehen, oder möchtest<br />

noch was zum Trinken?“, meinte Herbert extrem zuvorkommend. „Ja, bring mir noch ein<br />

Bier!“, entgegnete Hans, um Zeit zu gewinnen. „Ist das mein Bett?“ Er deutete fragend auf das<br />

Einzelbett. „Unser Bett, Hansi!“, entgegnet Herbert gutgelaunt <strong>und</strong> ging um das Bier.<br />

Irgendwie schaffte Hans es dann doch noch, sich vor Herberts Belästigungen in <strong>die</strong>ser Nacht<br />

zu drücken.<br />

Am Morgen des 31. Dezember sah <strong>die</strong> Sache schon wieder ganz anders aus. Als Hans<br />

aufwachte, war Herbert gerade dabei, sich selbst zu befriedigen. Hans stellte sich schlafend, um<br />

so <strong>die</strong>se Aktion im stillen abwarten zu können. Danach wollte er unauffällig aus dem Bett<br />

verschwinden, doch Herbert hatte anscheinend nur auf <strong>die</strong>sen Moment gewartet. „Komm,<br />

bums mich!“, sagte er. Hans blieb förmlich <strong>die</strong> Spucke weg. „Tut mir leid, Herbert! Aber bei<br />

einem Mann funktioniert es bei mir nicht. Es geht mir, als stünde ich im eisigkalten Wasser!“<br />

„Versuch es, es wird dir schon gelingen!“, meinte Herbert total erregt. Er versuchte nun bei<br />

Hans etwas zu erreichen. Doch nichts! Es trat vielmehr das Gegenteil ein. Alle Versuche <strong>von</strong><br />

Herbert schlugen fehl. „So etwas!“, sagte er erstaunt. „So etwas habe ich noch nicht erlebt!“<br />

Gott sei Dank, dachte wiederum Hans, <strong>und</strong> hoffentlich ist ihm nun <strong>die</strong> Lust auf den<br />

monatlichen Treff vergangen. „Hansi, bist du impotent?“ „Bei Männern schon!“, entgegnete er<br />

schlagfertig. „Sei froh, umgekehrt wäre es ungünstiger!“<br />

„Herbert, Kaffee oder Tee?“, rief eine weibliche Stimme, als <strong>die</strong> beiden in der einfach<br />

möblierten Wohnstube Platz nahmen. „Zweimal Kaffee, ich habe Besuch, Christina!“, rief<br />

Herbert fre<strong>und</strong>lich zurück. „Christina ist meine Schwester!“ Auch das noch, <strong>die</strong> weiß natürlich<br />

<strong>von</strong> den homophilen Neigungen ihres Bruders. Hans kam sich dabei recht mies <strong>und</strong> unnötig<br />

vor, es war ihm einfach extrem peinlich. „Aber mach dir nichts draus, sie weiß über meine<br />

Veranlagung Bescheid!“, meinte Herbert nur so nebenbei. Na, das ist ja super, jetzt wird sie<br />

denken, ich sei auch schwul, oder so ein mieser Sandler, fluchte Hans in sich hinein. „Guten<br />

Morgen, <strong>die</strong> Herren!“, meinte sie forsch, während sie den Kaffee in <strong>die</strong> Wohnstube brachte. Sie<br />

war etwa um <strong>die</strong> Mitte vierzig <strong>und</strong> schien alles fest im Griff zu haben.<br />

Es hatte geschneit in <strong>die</strong>ser Nacht. Hans mußte bis zur Straße hinaus den Weg freischaufeln.<br />

Und obwohl Herbert <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Nacht nicht allzusehr begeistert war, brachte er Hans nach<br />

Klagenfurt, zur versprochenen Unterkunft. Es war ein 20m 2 kleiner Raum, im westlichen<br />

Stadtteil <strong>von</strong> Klagenfurt, mit einem eigenen Eingang. Gerade das Richtige zum gemütlichen<br />

Überleben. Möbliert war es mit einer Schlafzimmereinrichtung aus Omas Zeiten, einem Tisch,<br />

zwei Sesseln. Der Holzofen mußte erst eingeheizt werden, Brennstoff war nebenan genug<br />

aufgeschlichtet. Es gab zwar ein kleines Fenster, aber keine Waschgelegenheit, <strong>und</strong> um seinen<br />

Gr<strong>und</strong>bedürfnissen nachgehen zu können, mußte Hans über den Hof zum alten Plumpsklo<br />

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laufen. Nun, wer schon einmal Notzeiten durchgemacht hat, wird wissen, daß <strong>die</strong>s nur<br />

unbedeutende Nebensächlichkeiten sind. Beide hatten <strong>die</strong> Abmachung eingehalten, <strong>und</strong> Hans<br />

war über<strong>die</strong>s vor dem Bahnhof <strong>und</strong> der grausigen Kälte gerettet.<br />

*<br />

Am Silvesterabend ging Hans in der Halle des Klagenfurter Hauptbahnhofes auf <strong>und</strong> ab.<br />

„Servus, Hanse!“, sagte plötzlich ein junger Bursche. Hans sah zuerst vor Überraschung<br />

verdutzt drein. „Robert, was treibt dich denn zu Silvester in den Bahnhof?“, sagte Hans <strong>und</strong><br />

lächelte fre<strong>und</strong>lich. Robert hatte mit ihm zusammen <strong>die</strong> Berufsschule besucht, er sah ihn<br />

betrübt an. „Hast Probleme!“, fragte Hans. „Meine Fre<strong>und</strong>in hat mich vor <strong>die</strong> Tür gesetzt!“<br />

„Na <strong>und</strong>, sei froh, kannst dich wenigstens austoben an <strong>die</strong>sem Silvester.“ Robert liefen Tränen<br />

über seine Wangen. „Ich gehe jetzt unter einen Zug!“, entgegnete er stotternd, nahm ein<br />

Papiertaschentuch <strong>und</strong> wischte sich <strong>die</strong> Tränen vom Gesicht. „Denk daran, andere Mütter<br />

haben auch schöne Töchter. Es zahlt sich nicht aus, wegen eines Mädchens, das einen nicht<br />

mehr will, in den Freitod zu gehen!“ „Aber ich, ich gehe jetzt, ich will nicht mehr!“ „Ich werde<br />

dich nicht aufhalten, aber ich möchte dir sagen, du machst einen großen Fehler. Denk an deine<br />

Eltern, haben sie ver<strong>die</strong>nt, daß du so aus dem Leben scheidest?“ „Das ist mir egal!“ „Sieh mich<br />

an, ich bin derzeit arbeits- <strong>und</strong> obdachlos, lungere hier in <strong>die</strong>ser kalten Halle herum. Meine<br />

Fre<strong>und</strong>in kennst du ja, auch ich hab so meine Probleme!“ „Wieso, bist nicht mehr zusammen<br />

mit Monika?“ Er sah Hans fragend an <strong>und</strong> putzte sich <strong>die</strong> Nase. „Schon lange nicht mehr. Soll<br />

ich mich deswegen umbringen, dann habe ich überhaupt keine Chance mehr bei ihr!“ „Das<br />

macht dir alles nichts aus?“ „Hast du eine Ahnung, ich bin innerlich abgewrackt!“, sagte Hans<br />

<strong>und</strong> bot ihm eine Zigarette an. „Danke, ich rauche nicht!“ „Geh, tu nicht so blöd, jetzt wo du<br />

dich umbringen willst, brauchst auf das auch nicht mehr zu achten!“, entgegnete Hans lächelnd.<br />

„Hast recht!“, meinte Robert <strong>und</strong> nahm eine. Hans gab ihm Feuer. „Weißt du, Robert, ich sage<br />

mir, <strong>die</strong> Natur hat mir einen ges<strong>und</strong>en Geist <strong>und</strong> einen ges<strong>und</strong>en Körper zur Verfügung<br />

gestellt, warum soll ich <strong>die</strong>ses Inventar vernichten. Ich rede mir halt ein, Zeit heilt W<strong>und</strong>en, <strong>die</strong><br />

Uhr läuft sowieso eines Tages ab.“ Robert zog an der Zigarette, nahm den Glimmstengel aus<br />

den M<strong>und</strong>, sah <strong>die</strong> Zigarette mißtrauisch an <strong>und</strong> hustete kräftig. „Robert, jetzt hast du noch<br />

große Wahlmöglichkeiten für deine Zukunft. Wenn du unter den Zug gehst, hast du nichts<br />

mehr. Vielleicht bist dann gelähmt. Außerdem, wer weiß, was nach dem Tod kommt, zurück<br />

kannst nicht mehr!“ Robert hatte zwar zugehört, doch er schien nicht sonderlich beeindruckt.<br />

„Ich gehe jetzt, servus, Hanse!“, sagte er, dreht sich um <strong>und</strong> eilte aus der Bahnhofshalle.<br />

<strong>Die</strong> weitere Silversternacht verbrachte Hans zum Teil im Hauptbahnhof, zum Teil mit<br />

Stadtbummeln. Oft dachte er unter dem eisigkalten Sternenhimmel, der <strong>von</strong> Leuchtraketen <strong>und</strong><br />

der Hoffnung auf ein neues, besseres Jahr geziert wurde, mit liebevoller Sehnsucht an Monika.<br />

<strong>Die</strong> Verbindung zu ihr war total abgerissen, für ihn jedoch nicht hoffnungslos, optimistisch<br />

bastelte er im Geiste schon an einem zufälligen Treffen.<br />

*<br />

N e u j a h r 1 9 7 7<br />

Geplagt vom Hunger <strong>und</strong> der tiefen Sorge um seine weitere triste Zukunft, ging er Mitte der<br />

ersten Jännerwoche - <strong>die</strong> Temperatur war noch weiter unter Null gesunken - in den<br />

Hauptbahnhof, wo sich <strong>die</strong> Gestrandeten der Wohlstandsgesellschaft trafen. Einen Job<br />

auftreiben zu wollen, glich um <strong>die</strong>se Jahreszeit eher einem dummen Scherz. Nochmals, wie<br />

schon vor einem Jahr, bei diversen Sozialstellen, wie Arbeiterkammer, Gewerkschaft <strong>und</strong><br />

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Arbeitsamt vorzusprechen, kam für ihn einfach nicht in Frage. Nochmals vor <strong>die</strong>sen dummen<br />

Blicken wie ein Bettler zu stehen? Nein, nein, ich selbst bin der Mann, <strong>und</strong> ich werde mich,<br />

koste es, was es wolle, durchkämpfen!<br />

Homosexuelle, <strong>die</strong> in den Bahnhof kamen, um Nachschau nach einem neuen oder günstigen<br />

Sexobjekt zu halten, hatten sehr schnell herausgef<strong>und</strong>en, daß Hans ein geeignetes Opfer<br />

abgeben könnte. Einige versuchten eine Annäherung auf angenehme Weise wie: „Darf ich dich<br />

zu einem Drink einladen?“ Andere wiederum glaubten seine Not auf <strong>die</strong> schamloseste Weise<br />

ausnützen zu können, <strong>und</strong> zwar mit Sprüchen wie: „Na, wie wär’s mit einer Französisch-<br />

St<strong>und</strong>e?“ Oder noch mieseren Ansagen, <strong>die</strong> man besser nicht erwähnen sollte. <strong>Die</strong> miesen fielen<br />

bei ihm immer auf <strong>die</strong> Schnauze. Und bei den anständigen ließ es sich meist so arrangieren, daß<br />

keiner mit einem ganz doofen Gesicht ausstieg. Dabei pickte er <strong>die</strong> angenehmsten heraus <strong>und</strong><br />

konnte so, ohne daß sich dabei auf sexuellem Gebiet etwas abspielte, so recht <strong>und</strong> schlecht<br />

überleben.<br />

Es war etwa 22 Uhr, Hans stand vor dem Klagenfurter Hauptbahnhof, rauchte ein Zigarette<br />

<strong>und</strong> ließ sich so einige Gedanken durch den Kopf gehen. Es gab noch einige Menschen, <strong>die</strong> in<br />

den Bahnhof eilten, andere wiederum zogen <strong>die</strong> B<strong>und</strong>esbahn-Busse nebenan an. Hans<br />

beobachtete ein schlanke Blondine, sie kam direkt auf ihn zu <strong>und</strong> wollte, ohne ihn eines Blickes<br />

zu würdigen, zu den Bussen gehen. „<strong>Die</strong> Frau Egger, da schau her!“, sagte Hans <strong>und</strong> lächelte<br />

süffisant. Christine hielt an <strong>und</strong> sah Hans freudig überrascht an. „Grüß dich, Hans, was machst<br />

denn du hier?“ „Ich wohne hier!“, entgegnete er. „Wo, hier in Klagenfurt?“ „Ja, hier am<br />

Bahnhof.“ Hans zog <strong>von</strong> der Zigarette. „Ich bin nämlich derzeit ein Sandler, ohne Wohnung,<br />

ohne Arbeit!“ Christine musterte ihn fragend, so, als wollte sie ihm das nicht so recht<br />

abnehmen. „Hast du noch <strong>die</strong> schöne Fre<strong>und</strong>in?“ „Ja!“ „Warum hilft sie dir nicht?“ „Weil ich<br />

mir nicht helfen lassen will, selbst ist der Mann!“ Er lächelte dabei unbeschwert. „Nun, ich muß<br />

zum Bus, wenn du möchtest, kannst bei uns zuhause übernachten!“ „Bei deinen Eltern?“ „Ja!“<br />

Christine sah jetzt nervös auf ihre Armbanduhr. „Nein, danke, ich bleib lieber obdachlos, aber<br />

unabhängig!“ „Schöne Unabhängigkeit!“, entgegnete sie trocken <strong>und</strong> setzte ihren Weg zum<br />

Bus fort. Plötzlich hielt sie an, drehte sich zu Hans <strong>und</strong> meinte: „Bist du morgen um <strong>die</strong>se Zeit<br />

wieder hier?“ „Wird mir wohl nichts übrigbleiben!“, entgegnete er gelassen. „Gut, wir sehen<br />

uns morgen wieder!“<br />

„Wie lange willst denn <strong>die</strong>ses unwirkliche Leben am Bahnhof führen?“, fragte Christine, als sie<br />

am nächsten Tag schon gegen 21.30 vor dem Bahnhof mit Hans zusammen traf. „Bis ich<br />

wieder meine alte Arbeit in Wien bekomme!“ „Wann wird das sein?“ Sie warf mit einer<br />

eleganten Kopfbewegung ihre langen blonden Haare nach hinten. „Spätestens im Frühjahr!“<br />

„Ich habe mit meinen Eltern gesprochen, du kannst bei uns wohnen!“ „Was interessieren mich<br />

deine Eltern!“ Sein Blick war verärgert. „Da sieh her, trutzen tut er auch schon!“, meinte sie<br />

lächelnd, um für Entspannung zu sorgen. „Ihr Weiber mit euren Muttis <strong>und</strong> Papis!“ Er nahm<br />

eine Zigarette <strong>und</strong> rauchte sie an. „Gut, du willst mit meinen Eltern nicht zusammen kommen,<br />

kein Problem. Du kannst heute bei mir übernachten, du wirst sie nicht einmal hören!“ „Nein!“<br />

Er zog kräftig an der Zigarette <strong>und</strong> warf einen Blick in Richtung Bahnhofstraße. Sie sah ihn<br />

betroffen an <strong>und</strong> meinte: „Du mußt aber eine starke Abneigung gegen mich haben!“ „Das ist<br />

nicht wahr, Christine. Ich hab dich schon in der Hauptschule gern gemocht. Du hast immer zu<br />

den cleveren gehört, zu den Menschen, <strong>die</strong> ihr Leben fest im Griff haben.“ Christine lächelte<br />

nachdenklich. „Ja, mir ist es in der Schule auch so ergangen. Ich habe dich schon damals sehr<br />

gemocht. Und als wir <strong>die</strong> Pflichtschule abgeschlossen hatten, verloren wir einander aus den<br />

Augen. Ich habe mir öfters so meine Gedanken gemacht!“ „Welche Gedanken?“, fragte Hans<br />

<strong>und</strong> tat recht neugierig. „Naja, ob wir vielleicht gemeinsam ein Stück des Weges gehen!“ Hans<br />

schüttelte mit dem Kopf. „Das ist nichts für mich. Ich bin kein Familienmensch!“ „Ja, vielleicht<br />

hat dich der Spaß damals in Unterloibl mit meinem Bruder verärgert?“ Sie streifte mit der<br />

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Rechten ihr langes Haar zurück. „Ich mach dir ein Angebot!“ „So, da bin ich aber neugierig!“<br />

„Ich will deine Liebesbeziehung mit dem feschen Mädel aus Komannsdorf nicht stören. Wir<br />

machen ein Kind <strong>und</strong> niemand erfährt da<strong>von</strong> jemals was!“ Hans blieb <strong>die</strong> Spuke weg. „Dann ist<br />

das Kind da, <strong>und</strong> du zerrst mich in Ketten vor das Vaterschaftsgericht!“, entgegnete er schroff.<br />

„Nein, das würde ich niemals tun, ich gebe dir mein Wort!“ „Außerdem will ich keine <strong>Kinder</strong> in<br />

<strong>die</strong>se Welt setzen. Nein, kommt nicht in Frage!“ Christine sah ihn bestürzt an <strong>und</strong> meinte: „Dir<br />

muß aber schön vor mir grausen!“ Sie wandte sich <strong>von</strong> ihm ab <strong>und</strong> ging zum Busbahnhof. Seit<br />

<strong>die</strong>sem Tage sah er sie nie mehr.<br />

* * *<br />

1 9 7 7 : F e b ru a r I I . W o c h e<br />

W I E N H A T A N G E R U F E N<br />

Auch im Februar hatte der Winter Kärnten <strong>und</strong> Klagenfurt fest im Griff. <strong>Die</strong> weiße Pracht<br />

überzog das Land, eisig für <strong>die</strong> einen, wohlig für <strong>die</strong> anderen. Bei Hans machte sich schon eine<br />

gewisse Resignation bemerkbar. Zwischen ihm <strong>und</strong> Monika schien ein Bannfluch zu stehen,<br />

alle Versuche, sie so zufällig zu treffen, <strong>die</strong> er sicher gut durchdacht <strong>und</strong> vorbereitet hatte,<br />

waren gänzlich fehlgeschlagen. Ja, er hatte, obgleich der Bahnhof nur einige h<strong>und</strong>ert Meter <strong>von</strong><br />

ihrem Lehrbetrieb entfernt lag, nicht einmal ihre Nasenspitze gesehen.<br />

„Hallo, Hansi, wie geht es dir?“, sagte seine Schwester Thekla, als er am <strong>Die</strong>nstagvormittag in<br />

der zweiten Februarwoche gelangweilt <strong>und</strong> bedrückt <strong>die</strong> Bahnhofshalle abschritt. „Servus, was<br />

machst denn du da?“, fragte er erstaunt. „Ich habe meinen Berufsschultag!“ „Ach ja, dann geh<br />

nur brav in <strong>die</strong> Schule!“ Er lächelte zufrieden, so, als wenn in seinem Leben ohne<strong>die</strong>s alles in<br />

Ordnung wäre. „Und du, was machst denn du da, du sollst doch bei deinem Chef in Wien<br />

anrufen!“ „Was, der hat schon zu Haus angerufen?“, entgegnete Hans mit großer Freude. „Ja“,<br />

seine Schwester lächelte begeistert, „du sollst dich melden!“ <strong>Die</strong>se Nachricht durchfuhr ihn wie<br />

ein Blitz. Endlich, endlich, jauchzte er in Gedanken. Endlich darf ich <strong>die</strong>ses Mistleben hier auf<br />

den Nagel hängen. „Und was macht der alte Idiot?“, meinte er nun gutgelaunt <strong>und</strong> mit<br />

glücklichem Lächeln. „Wie soll es Vater schon gehen, es ist alles wie immer!“, entgegnete<br />

Thekla. „Kommst noch einmal nach Hause, bevor du nach Wien fährst?“ „Nein, danke!“<br />

Hans eilte zur nächsten Telefonzelle <strong>und</strong> nahm mit der Tankstelle in Wien Verbindung auf.<br />

„Service Tankstelle, guten Tag!“, vernahm Hans erfreut <strong>und</strong> wußte, es ist <strong>die</strong> Stimme des<br />

Chefs. „Ja, hier <strong>Beschulnig</strong> Hanse, Sie wissen ja, der Tankwart!“, rief Hans aufgeregt in <strong>die</strong><br />

Muschel. „Ach, der <strong>Beschulnig</strong>, grüß Sie, wollen Sie wieder bei uns arbeiten?“ Dem Ton nach<br />

konnte Hans erkennen, daß sich Franz sehr darauf freuen würde. „Ja, ich bin gleich morgen<br />

früh bei euch!“, sagte Hans, außer sich vor Freude. „Laß dir Zeit“, meinte Franz beruhigend,<br />

„es genügt, wenn du gegen Mittag auftauchst!“ Er lächelte dabei hörbar erfreut.<br />

Rasch traf Hans Vorbereitungen, um problemlos nach Wien reisen zu können. Da das Geld für<br />

<strong>die</strong> Fahrkarte nicht vorhanden war, eilte er noch am Vormittag ins Arbeitsamt <strong>und</strong> löste einen<br />

Gutschein, den er am Fahrkartenschalter der B<strong>und</strong>esbahn einlösen konnte. Am Nachmittag<br />

übergab er Herbert das nette Zimmer, besenrein.<br />

„Da ist er!“, hörte er jemanden aus der Menschenmenge in der Bahnhofshalle sagen. Hans<br />

drehte sich zu der lauten Stimme um <strong>und</strong> sah Robert <strong>und</strong> einen zweiten jungen Burschen, <strong>die</strong><br />

mit freudig strahlenden Blicken zu ihm eilten. „Hallo, Hanse, du, ich muß dir meinen Bruder<br />

Gerhard vorstellen!“, sagte Robert. „Hallo!“, sagte Hans recht verdutzt, er wußte nicht so<br />

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recht, was er <strong>von</strong> dem extrem fre<strong>und</strong>lichen Auftritt halten sollte. „Gehen wir auf ein Bier, ich<br />

lade dich ein!“, sagte Robert <strong>und</strong> ging, ohne auf <strong>die</strong> Antwort zu warten, in Richtung<br />

Bahnhofrestauration. „Das ist der Hanse, der mich <strong>von</strong> meinem Selbstmord abgehalten hat!“,<br />

sagte Robert, nachdem <strong>die</strong> Kellnerin drei Bier zu ihren Tischen gebracht hatte. „Ich möchte<br />

mich bei dir herzlichst bedanken!“, sagte Gerhard. „Du brauchst doch sicher Geld!“, meinte<br />

Gerhard weiters <strong>und</strong> sah Hans fragend an. „Nein, danke“, sagte Hans, obwohl er total pleite<br />

war. „Daß Robert nicht unter den Zug gegangen ist <strong>und</strong> ihr mir das heute, vor der Abfahrt<br />

nach Wien, mitteilt, ist mehr wert als Geld!“ Gerhard zog, ohne mit der Wimper zu zucken,<br />

seine Brieftasche <strong>und</strong> legte Hans tausend Schilling vor <strong>die</strong> Nase. „Willst mich beleidigen!“,<br />

sagte Hans <strong>und</strong> tat so, als würde ihn das ärgern. „Aber das Begräbnis <strong>von</strong> Robert hätte doch<br />

schon viel mehr gekostet!“, meinte Gerhard. „Wir wissen nicht, wie wir uns sonst bei dir<br />

bedanken könnten!“, sagte wiederum Robert. Für Hans hätte es kein schöneres Dankeschön<br />

geben können als eben <strong>die</strong>ses Treffen.<br />

Am nächsten Tag, Mittwoch, kam Hans gegen Mittag mit dem Zug am Wiener Südbahnhof an.<br />

Er war überrascht, denn obgleich Klagenfurt nur etwas mehr als 300 Kilometer <strong>von</strong> Wien<br />

entfernt liegt, herrschte in Wien ein wesentlich milderes Klima, das eher an einen ausklingenden<br />

Frühling erinnerte. Kaum Schnee, trockene Straßen <strong>und</strong> Temperaturen, <strong>die</strong> schon ein ganz<br />

schönes Stück über dem Gefrierpunkt lagen.<br />

Gegen 12.30 Uhr betrat er mit leichter Spannung den Verkaufsraum im 14. Bezirk. Gerhard,<br />

der als fixer Tankwart den Winter über bleiben hatte dürfen, saß an dem Tisch <strong>und</strong> löffelte<br />

gierig vom Suppenteller. „Servus, Gerhard, wie geht’s!“, sagte Hans freudestrahlend. Gerhard<br />

bekam regelrecht Stielaugen, er hustete, stand auf <strong>und</strong> lief dabei tiefrot an. „Du kommst wieder<br />

zu uns?“, fragte er vollkommen überrascht. „Ja, hat dir der Chef nichts gesagt?“, entgegnete<br />

Hans recht verdutzt. „Nein, nichts, außer daß wir einen Tankwart aufnehmen werden!“ Daraus<br />

schloß Hans, daß der Stern <strong>von</strong> Gerhard im Sinken war. „Aber daß du wieder zu uns kommst,<br />

damit habe ich nicht gerechnet!“, meinte er nun gefaßt im alten Stil. „Wo ist denn der Chef?“<br />

„Chef, K<strong>und</strong>schaft!“, rief er durch <strong>die</strong> Verbindungstür in <strong>die</strong> Servicehalle. „Komm schon!“,<br />

hallte es zurück. „Ach, der Hanse!“, sagte Franz, als er in den Verkaufsraum kam <strong>und</strong> sichtlich<br />

erfreut seine mit Öl <strong>und</strong> Dreck verschmierten Hände mit einem Fetzen putzte. „Hallo, Chef,<br />

wie geht’s?“ „Es muß, <strong>Beschulnig</strong>, es muß. Aber“, Franz sah nachdenklich zu Boden, „wo<br />

wohnst du jetzt?“ „Ich?“, entgegnete Hans überrascht. „Zur Zeit noch nirgends!“ „Ja, damit<br />

habe ich gerechnet, aber das macht nichts!“ Er wusch seine Hände, ging zur Kassa, nahm einen<br />

Zettel <strong>und</strong> schrieb etwas darauf. Hans war neugierig seinen Handlungen gefolgt. „So,<br />

<strong>Beschulnig</strong>, ein Autogramm, <strong>und</strong> besorg dir damit eine Unterkunft!“ Angenehm überrascht<br />

unterschrieb Hans <strong>und</strong> steckte <strong>die</strong> viertausend Schilling Vorschuß ein.<br />

Angesichts der großen Freude <strong>und</strong> der unterstützenden Maßnahme seines Chefs ging Hans<br />

noch in derselben St<strong>und</strong>e mit gemischten Gefühlen auf Wohnungssuche. Dem Telefonbuch<br />

entnahm er einige Makleradressen. Doch wenn es um <strong>die</strong> Summe ging, <strong>die</strong> er für einen<br />

Wohnraum inkl. Ablöse <strong>und</strong> Maklerspesen hätte aufbringen müssen, waren <strong>die</strong> viertausend<br />

Schilling blanker Hohn. Doch er ließ nicht nach, gegen 18 Uhr kam er schließlich in ein recht<br />

unseriös wirkendes Maklerbüro im 12. Bezirk, das in einem schäbigen Altbau aus der<br />

Jahrh<strong>und</strong>ertwende untergebracht war. Hans betrat das zu klein geratene Büro, welches nur mit<br />

den nötigsten <strong>und</strong> billigsten Büromöbeln eingerichtet war. <strong>Die</strong> junge, recht hübsche Angestellte<br />

hantierte gelangweilt an dem großen Radio-Cassettenrecorder. „Sie wünschen?“, fragte sie mit<br />

einer angenehm weichen Stimme. „Eine Wohnung!“, entgegnet Hans fre<strong>und</strong>lich lächelnd. „So,<br />

<strong>und</strong> was möchten Sie dafür ausgeben?“ „Günstig soll sie sein, so zwischen siebenh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong><br />

tausendfünfh<strong>und</strong>ert Schilling monatlich!“ „Guten Tag!“, sagte der junge, etwa 30jährige Mann,<br />

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der so plötzlich aus dem Nebenraum aufgetaucht war. Ein sportlicher Typ, mit dunklen,<br />

mittellangen Haaren, der mit seinen Hals- <strong>und</strong> Handketterln eher an einen Strizzi erinnerte. „In<br />

welchem Bezirk?“, fragte er nun fre<strong>und</strong>lich, aber bestimmt. Ach, der weiß schon Bescheid, der<br />

hat durch <strong>die</strong> offene Tür zugehört, dachte Hans <strong>und</strong> trug seinen Wunsch nochmals vor. „Na ja,<br />

da hätten wir eine!“ Er zog eine Karteikarte aus der Schranklade. „Sie müssen aber erst mit<br />

dem Eigentümer sprechen. „Wollen Sie damit sagen, daß es mit der Vergabe nicht so sicher<br />

ist?“, entgegnete Hans erstaunt. „Ja, denn wir vermitteln auch Wohnungen, <strong>die</strong> nicht unserer<br />

Verwaltung unterstehen!“, meinte der Makler schlagfertig. Wieder so ein zwielichtiges Büro,<br />

dachte Hans. „Aber da hätten wir noch was, um tausendvierh<strong>und</strong>ert Schilling monatlich!“<br />

„Super!“, rutschte es Hans begeistert raus. „Ja, kostet tausendsiebenh<strong>und</strong>ert Schilling, <strong>die</strong><br />

Vermittlungsspesen!“ „Was, Sie wollen für eine lächerliche Adressenvermittlung soviel Geld<br />

kassieren?“ „Nun, Sie wollen doch etwas <strong>von</strong> uns, oder?“ Am liebsten hätte Hans <strong>die</strong>ses<br />

Geschäft abgebrochen, doch um <strong>die</strong>se Abendzeit? „Okay, ich bezahle, aber sollte es sich als<br />

Flop erweisen, sehen wir uns vor Gericht wieder!“, sagte Hans. Er war unter Zugzwang<br />

geraten. „Machen Sie sich keine Sorgen. Bärbel, stell <strong>die</strong> Rechnung aus <strong>und</strong> schreib auch<br />

gleich <strong>die</strong> Adresse drauf!“<br />

Das Haus in der Amalienstraße im 13. Bezirk machte auf Hans <strong>von</strong> außen keinen besonderen<br />

Eindruck. Das Erdgeschoß stammte aus der Jahrh<strong>und</strong>ertwende, <strong>die</strong> oberen drei Stockwerke<br />

waren neu aufgebaut worden. Im Inneren machte es einen extrem schlampigen Eindruck. <strong>Die</strong><br />

Stiege in den ersten Stock war erst vor kurzem frisch betoniert worden, das konnte Hans<br />

riechen. Gleich bei der ersten Wohnung im Erdgeschoß versuchte er sein Glück, doch es schien<br />

niemand da zu sein. Er versuchte es bei der Nachbarwohnung. „Was wollen Sie?“, krächzte <strong>die</strong><br />

alte Frau, während sie <strong>die</strong> Tür nur einen kleinen Spalt öffnete. „Ich suche den Hausbesitzer!“<br />

„Der ist oben im 1. Stock!“ „Danke!“, entgegnete er fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> eilte hoffnungsvoll rauf.<br />

Oben angekommen, wanderte sein Blick suchend durch den hotelähnlichen Gang. Links <strong>und</strong><br />

rechts in regelmäßigen Abständen Zimmertüren. Hans klopfte bei der ersten. <strong>Die</strong> Tür wurde<br />

energisch geöffnet. „Was du wollen?“, fragte ein frisch eingewanderter, junger Araber<br />

unhöflich. „Den Besitzer möchte ich sprechen!“ „Gut, kommen Sie!“, meinte er nun fre<strong>und</strong>lich,<br />

ging zu der gegenüberliegenden Wohnungstür <strong>und</strong> klopfte energisch. „Ja, was ist denn schon<br />

wieder?“, raunzte eine genervte männliche Stimme. „Guten Tag, ich komme vom<br />

Immobilienbüro Xaver, es wurde mir mitgeteilt, daß Sie Wohnungen vermieten!“, sagte Hans<br />

fre<strong>und</strong>lich. Der kleine korpulente Mann kam auf den Gang. „Ich kenne kein Immobilienbüro<br />

. . ., <strong>und</strong> was meinen Sie mit vermittelt?“ „Jetzt sagen Sie bloß, Sie kennen <strong>die</strong>sen Makler<br />

nicht?“, sagte Hans, Schlechtes ahnend. „Erraten! Außerdem haben wir nichts mit Maklern zu<br />

tun. Ich vermiete Zimmer an Ausländer, wie Sie schon bemerkt haben!“ Er sah Hans dabei<br />

recht mißtrauisch an. Mein Gott, jetzt bin ich so einem Banditenbüro auf den Leim gegangen,<br />

fluchte Hans innerlich <strong>und</strong> sah nervös auf seine Armbanduhr, 19 Uhr! Was mach ich jetzt?<br />

Doch langsam wich <strong>die</strong> Skepsis des Eigentümers. Er sah Hans interessiert mit der optimalen<br />

Mischung aus Einfachheit <strong>und</strong> Bauernschläue an. „Peppi, Peppi!“, rief eine alte Frauenstimme<br />

aus dem Büro. „Komme gleich, Mama!“, entgegnete er genervt. „Von wo sind Sie?“ „Aus<br />

Kärnten, in der Nähe <strong>von</strong> Klagenfurt!“ „Und Sie benötigen jetzt natürlich eine Unterkunft?“<br />

„Ja, aber heute werde ich wohl nichts mehr bekommen!“, entgegnete Hans resignierend. „Na<br />

ja, wir könnten schon ins Geschäft kommen!“, meinte er, machte eine kurze Unterbrechung<br />

<strong>und</strong> tat so, als würde er intensiv nachdenken. „Roland, so komm doch!“ „Einen Moment,<br />

Mama, bitte!“, gab er energisch <strong>von</strong> sich. Langsam ging <strong>die</strong> Tür auf, eine dürre alte Frau mit<br />

dicker Hornbrille begutachtete neugierig Hans. „Na, wer ist denn das?“, fragte sie. „Er wurde<br />

<strong>von</strong> einem Wohnungsmakler zu uns geschickt!“ „Wir haben doch nichts mit Maklern zu tun,<br />

außerdem haben wir doch kein freies Zimmer, oder?“, gab sie verw<strong>und</strong>ert <strong>von</strong> sich. „Ja, aber er<br />

kommt aus Kärnten <strong>und</strong> braucht dringend ein Zimmer!“ Nach einem längeren Hin <strong>und</strong> Her mit<br />

seiner Mutter, meinte der Eigentümer schließlich: „Also gut, kommen Sie mit!“<br />

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Alle drei gingen in den dritten Stock rauf, wobei sie öfter anhielten, damit <strong>die</strong> Alte nachkam.<br />

Oben angekommen, holte sie den Schlüsselb<strong>und</strong> aus ihrer Küchenschürze. „So, da wären wir!“,<br />

sagte sie, nachdem sie gleich <strong>die</strong> erste Zimmertür auf dem Gang geöffnet hatte. „Fließwasser<br />

<strong>und</strong> Zentralheizung!“, meinte sie noch stolz. Hans betrat seine neue Unterkunft. Das Zimmer<br />

maß ca. 4 x 5 Meter, hatte zwei Fenster, Waschbecken mit Fließwasser, 1 altes Bett, 1 Kasten,<br />

1 Tisch <strong>und</strong> 1 Sessel. „Ja“, sagte Hans <strong>und</strong> nickte zufrieden mit dem Kopf, „was kostet <strong>die</strong>ses<br />

Zimmer monatlich?“ „Na ja, Sie müssen wissen!“, sprach der Eigentümer <strong>und</strong> begann um den<br />

Brei zu reden. „Normalerweise vermieten wir unsere Zimmer nur an Araber. <strong>Die</strong> begnügen sich<br />

auch zu viert mit einem solchen Raum. Da Sie <strong>die</strong>sen Raum sicher alleine bewohnen wollen,<br />

müssen wir natürlich etwas mehr verlangen!“ <strong>Die</strong> Spannung stieg spürbar an.<br />

„Tausendfünfh<strong>und</strong>ert monatlich, Strom ist gratis, solange der Verbrauch im Rahmen bleibt,<br />

<strong>und</strong> das Bad am Gang können Sie auch einmal wöchentlich benützen!“ „Tausendfünfh<strong>und</strong>ert<br />

Schilling!“, sprach Hans leise nach <strong>und</strong> warf nochmals einen Blick ins Zimmer. „Gut, ich bin<br />

einverstanden, wann machen wir den Mietvertrag?“ „Es gibt keinen Mietvertrag, das ist eine<br />

Pension <strong>und</strong> kein Mietshaus!“ „Ja, aber ich muß doch polizeilich gemeldet sein!“ „Das ist kein<br />

Problem, das machen wir schon!“, meinte der Eigentümer zufrieden lächelnd. Nach den<br />

Formalitäten <strong>und</strong> der Schlüsselübergabe mußte er mit dem Eigentümer <strong>und</strong> dessen Mutter noch<br />

rasch ein Einstandsgetränk im kleinen überheizten Büro, das auch als Heizraum genutzt wurde,<br />

konsumieren.<br />

Gut gelaunt kam er knapp vor 20 Uhr bei der Tankstelle an. „<strong>Beschulnig</strong>, was Neues?“, fragte<br />

der Chef neugierig. „Unterkunft hab ich mir schon besorgt, jetzt kann es losgehen!“ „So, wo?“,<br />

fragte Franz erstaunt, es war ihm anscheinend zu schnell gegangen. „In der Amalienstraße!“<br />

„So, das ist natürlich günstig, weil in der Nähe!“<br />

Gleich am folgenden Tag begann Hans mittags mit dem ersten Drei-Tage-Turnus.<br />

Daß er nun nur ein kleines Pensionszimmer <strong>und</strong> keine Mietwohnung ergattern hatte können,<br />

war für ihn kein Problem. Schließlich hatte er nicht vor, in Wien seßhaft zu werden, sondern<br />

„nur“ mit viel Arbeit auch viel zu ver<strong>die</strong>nen, um danach in Kärnten einen Neuanfang zu starten.<br />

Mit Regina <strong>und</strong> der Clique aus dem 7. Bezirk hatte er keinen Kontakt aufgenommen, er lebte<br />

spartanisch <strong>und</strong> vermied alles, was sich negativ auf <strong>die</strong> Brieftasche hätte schlagen können.<br />

Anfang März. „So, <strong>Beschulnig</strong>!“, sagte Franz <strong>und</strong> klopfte ihm freudig auf <strong>die</strong> Schultern. „Den<br />

Gerhard hab ich fristlos entlassen!“ „Warum?“ „Ich sage dir, <strong>Beschulnig</strong>“, er lächelte dabei<br />

zufrieden, „der hat für seinen Sack gearbeitet, du weißt schon, was ich damit meine!“ Also,<br />

jetzt ist er weg, jetzt muß ich mich ins Zeug legen, das ist meine Chance, dacht Hans. „Und<br />

wollen Sie jetzt wieder einen neuen Tankwart aufnehmen?“ „Na, was hast denn gedacht,<br />

<strong>Beschulnig</strong>?“ „Ich denke, ich übernehme auch gleich <strong>die</strong> Schicht <strong>von</strong> Gerhard!“ „Du bist ja<br />

verrückt, Hanse, das sind doch über h<strong>und</strong>ert St<strong>und</strong>en wöchentlich. Außerdem käme es mich zu<br />

teuer, ich müßte einen riesigen Überst<strong>und</strong>enzuschlag zahlen!“, sagte er belustigt lächelnd. „Sie<br />

brauchen mir nur den doppelten Lohn zahlen!“ „Nein, das kommt nicht in Frage!“ Doch Hans<br />

ließ <strong>die</strong>se Idee nicht mehr los, er wollte es machen, <strong>und</strong> sei es um weniger Geld.<br />

St<strong>und</strong>en später hatte er Franz soweit. „Also gut, dann versuchen wir es halt. Aber wenn es dir<br />

zuviel wird, mußt es sagen!“ „Mir wird es nicht zuviel, du wirst schon sehen!“, entgegnete<br />

Hans begeistert.<br />

Er arbeitete jetzt täglich <strong>von</strong> 6 bis 20 Uhr, 98 St<strong>und</strong>en <strong>die</strong> Woche. Aber, <strong>und</strong> das muß auch<br />

gesagt werden, <strong>die</strong> Eltern des Chefs sorgten für Essen, für’s Wäschewaschen <strong>und</strong> das alles<br />

umsonst, als Betriebsservice, wie sie immer betonten. Zum Geldausgeben hatte er <strong>von</strong> nun an<br />

keine Zeit. Der einzige Luxus, den er sich gönnte, waren Zigaretten <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gedanken an<br />

Monika.<br />

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H A N S I , M O N I K A I S T I M K R A N K E N H A U S !<br />

Das Wetter am 1. Mai, übrigens einem Sonntag, war einfach herrlich. Gegen Mittag schritt<br />

Hans <strong>von</strong> Zapfsäule zu Zapfsäule <strong>und</strong> atmete kräftig durch. Am Betriebsparkplatz stand einsam<br />

<strong>und</strong> stolz sein vor wenigen Tagen angeschaffter, gebrauchter BMW. Ja, harte Arbeit, gepaart<br />

mit spartanischem Leben, hatte eben auch ihren Lohn. Mutter könnt’ ich auch einmal anrufen,<br />

vielleicht erfahre ich etwas über Monika, dachte er <strong>und</strong> eilte in den Verkaufsraum. „Chef!“,<br />

sagte er <strong>und</strong> ging zu Franz an den Schreibtisch. „Ja, was gibt es denn?“ „Darf ich bei mir zu<br />

Haus’ anrufen?“ „Klar“, entgegnete Franz <strong>und</strong> ging zu dem Personaltisch in der Mitte des<br />

Verkaufsraums, um Hans nicht das Gefühl zu geben, er höre mit. Aufgeregt wählte er <strong>die</strong><br />

Nummer. Mutter, was wird sie denken? Ich hab’ seit dem vorigen Jahr nicht mehr mit ihr<br />

gesprochen. Ach was, ist eben so, <strong>die</strong> Jungen werden groß <strong>und</strong> fliegen aus. Nach dem<br />

typischen Leitungsgeknackse: „Ja, <strong>Beschulnig</strong>!“, meldete sich seine Mutter. „Ja, hier<br />

<strong>Beschulnig</strong>!“, entgegnete Hans lässig. Sein Chef nickte ihm dabei freudiggrinsend zu. „Hansi,<br />

bist du es?“ „Ja, ich bin es!“ „Wie geht es dir, warum hast du dich solange nicht gemeldet?“<br />

„Du weißt doch, wie das ist, wenn man arbeitet. Plötzlich sind halt wieder einige Monate<br />

vergangen!“ „Ja, aber zwischendurch hättest schon anrufen können! Schließlich machen wir<br />

uns um dich Sorgen!“ Sorgen um mich, schoß es in seine Gedanken. Als ich in meinem<br />

sozialen Dasein zum Strichjungen abgesunken war, hat sich niemand um mich Sorgen gemacht!<br />

Hans spürte, wie sein Adrenalinausstoß anwuchs, am liebsten hätte er den Hörer auf <strong>die</strong> Gabel<br />

geknallt. „Wie geht es dem Alten?“ „Vater, wie immer, er hat auch schon nach dir gefragt!“<br />

„Erzähl mir keinen Blödsinn, sonst kannst mich gleich vergessen!“, entgegnete er verärgert.<br />

Eine kurze Gesprächsunterbrechung mit knisternder Spannung trat ein. „Monika hat vorige<br />

Woche einen Buben bekommen!“, sagte nun Mutter, wohl auch, um den kritischen Punkt zu<br />

überspringen. „Sag, Hansi, ist er <strong>von</strong> dir?“ „Könnte sein!“, entgegnete er emotionslos.<br />

„Übrigens, es dürfte ihr nicht gut gehen, sie ist noch immer im Krankenhaus!“ „Was ist,<br />

<strong>Beschulnig</strong>, warum bist jetzt kalkweiß geworden?“, fragte Franz, besorgt. „Meine Exfre<strong>und</strong>in<br />

hat ein Kind bekommen!“ „Aber das ist doch lange kein Gr<strong>und</strong>, so zu verfallen!“, meinte Franz<br />

mit besorgtem Blick. „Wann kommst wieder zu uns?“, hörte er seine Mutter wieder fragen.<br />

„Eigentlich habe ich keine Lust dazu, aber vielleicht schau ich zum Wochenende vorbei. Nur,<br />

hoffentlich kommt mir der Alte nicht unter <strong>die</strong> Augen!“<br />

„Was hast denn gehabt, Hansi?“, fragte Franz besorgt, nachdem Hans den Hörer aufgelegt<br />

hatte. „Nichts!“, entgegnete Hans. „Hast ein ungutes Gefühl, man wird doch nicht umsonst so<br />

kalkweiß!“ „Nein, aber ich möcht jetzt wieder einmal zum Wochenende heimfahren!“ „Wenn<br />

es weiter nichts ist!“ Franz lächelte <strong>und</strong> meinte weiter: „Ich wollte sowieso schon mit dir reden,<br />

wir werden einen zweiten Tankwart einstellen <strong>und</strong> mit dem 3 Tageturnus weiterarbeiten. Wenn<br />

du willst, kannst in deiner Freizeit im Service mitarbeiten, wirst sehen, es gibt den Sommer<br />

über eine Menge Arbeit!“ Hans war einverstanden, denn jetzt sah er seine Zeit bei Monika<br />

wieder für gekommen.<br />

*<br />

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Am ersten Samstagnachmittag fuhr er mit dem Auto nach Hause. Während der Fahrt spielte er<br />

Fats Domino <strong>und</strong> viele andere Musikkassetten, <strong>die</strong> ihn an <strong>die</strong> schöne Zeit mit Monika<br />

erinnerten. Jetzt müßte sie schon aus dem Krankenhaus entlassen sein, überlegte er. Ich werde<br />

sie sprechen - wenn sie will. Und ich weiß, daß sie mich innig liebt, genauso wie ich sie.<br />

Monika! Ja, sie wird sich riesig freuen, wenn wir uns wieder sehen, ja, ich weiß es!<br />

Heino, Fritz, George, na, das wird ein Wiedersehen geben. Endlich kann ich vor jedermann<br />

hintreten. Endlich darf ich wieder mit Stolz bei meinen Fre<strong>und</strong>en an der Bar stehen <strong>und</strong> ein<br />

Glas Bier trinken. Jetzt habe ich es endlich geschafft, jetzt als Neunzehnjähriger aus dem<br />

Nichts eine eigene Existenz aufgebaut. Das wie? - Ach, all <strong>die</strong> Rückschläge sind doch<br />

schnuppe. Ich habe sehr viel daraus gelernt <strong>und</strong> bin doch niemals mit dem Gesetz in Konflikt<br />

geraten. Mit 110 Schilling, einem Koffer mit der nötigen Unterwäsche <strong>und</strong> dem festen Willen,<br />

es irgendwie zu schaffen, habe ich vor einem dreiviertel Jahr <strong>die</strong> Reise angetreten. Jetzt habe<br />

ich alles, alles, was man so als junger Mensch in der Sturm- <strong>und</strong> Drangzeit benötigt. Und wenn<br />

es meine Moni will, werden wir beide, nein, wir drei <strong>die</strong> halbe Welt niederreißen!<br />

Mit festem Griff faßte Hans das Sportlenkrad seines BMWs <strong>und</strong> heizte den 100 Pferdestärken<br />

kräftig ein.<br />

Es war etwa 18.30 Uhr, Hans betrat endlich nach der langen Fahrt <strong>die</strong> Wohnküche im<br />

Elternhaus. Noch bevor er den M<strong>und</strong> zum Gruß aufbrachte, rief Schwester Traudi begeistert:<br />

„Hansi!“ <strong>Die</strong> Familie saß gerade beim Abendessen. „Guten Abend, <strong>die</strong> <strong>Beschulnig</strong>s!“, grüßte er<br />

fre<strong>und</strong>lich. „Wie geht es euch?“ „Gut, Hansi, <strong>und</strong> dir?“, entgegnete Vater überrascht. „Setz<br />

dich doch zu Tisch, Hansi. Du möchtest sicher etwas zu essen!“ „Ja, aber nur einen Teller<br />

Suppe, Mutter!“ „Was machen <strong>die</strong> Hasen?“, fragte Heinzi schelmisch lächelnd. „Na, das wirst<br />

du jetzt mit deinen 16 Lenzen schon wissen!“ Hans setzte sich an den freien Platz gegenüber<br />

seinem Vater. „Was machst jetzt in Wien?“, fragte <strong>die</strong>ser interessiert <strong>und</strong> löffelte in gewohnt<br />

unmanierlicher Art <strong>die</strong> Suppe. „Arbeiten!“, entgegnete Hans trocken. „Was ver<strong>die</strong>nst du da?“<br />

„Genug für mich!“ Alle Versuche seines Vaters, ein interessantes Gespräch aufzubauen,<br />

schlugen fehl.<br />

Gegen 20 Uhr ging er in <strong>die</strong> Föndacher Disco. Doch anstelle des lässig-kühlen Anblicks <strong>von</strong><br />

Siegfried erheischte er den Blick einer jungen, feschen Kellnerin, <strong>die</strong> gestreßt hinter der Bar<br />

dem Druck des Trubels folgte. Hans stellte sich neben der Musikbox zur Bar. „Ein Cola, bitte!“<br />

Wortlos, aber mit fre<strong>und</strong>lichen Nasenlöchern servierte ihm <strong>die</strong> Kellnerin das Cola. „Sie sind<br />

aber neu hier, was!“, sagte er, um Näheres zu erfahren. „So neu auch wieder nicht!“,<br />

entgegnete sie belustigt, um gleich hinzufügen: „Sie waren wahrscheinlich schon monatelang<br />

nicht mehr da!“ „Kluges Kind, war auf Geschäftsreise!“ „Tja, so kann man es auch nennen!“,<br />

meinte sie noch kokett. Und noch bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, rief Heino, der<br />

eben das Lokal betrat, begeistert: „Hey, Hanse, du bist auch wieder hier!“ <strong>Die</strong> beiden<br />

schüttelten einander <strong>die</strong> Hände <strong>und</strong> klopften einander vor Freude kräftig auf <strong>die</strong> Schultern.<br />

„Der George kommt gleich, er hat nur sein Moped weggestellt!“ Und nach der Begrüßung mit<br />

George standen <strong>die</strong> drei dicht gedrängt an der Bar. „Weißt eh, Hanse, <strong>die</strong> Monika liegt im<br />

Sterben!“, sagte Heino in gedrücktem Ton. „Wieso, ist sie noch immer im Krankenhaus?“,<br />

entgegnete Hans mit erschrockenem Blick. „Ja, sie hat einem Buben das Leben geschenkt, <strong>und</strong><br />

seitdem kämpft sie um ihr Leben!“, meinte wieder George. „Ach, Blödsinn, beim<br />

<strong>Kinder</strong>kriegen stirbt man heute nicht mehr, <strong>die</strong> Zeiten sind vorbei, wir sind doch nicht im<br />

Mittelalter!“, entgegnete Hans, er maß <strong>die</strong>ser Mitteilung keinen ernsthaften Wert bei. Nur, als<br />

George noch meinte: „Ihr Fre<strong>und</strong>, der Gerd, ist nervlich schon am Ende!“, trat in Hans das „K“<br />

stark hervor. Sie hat ihn noch immer zum Fre<strong>und</strong>! Was mache ich eigentlich noch da! Ich bin<br />

doch kein Rotzbube, <strong>und</strong> ich werde auch keinen abgeben, darauf könnt ihr euch verlassen,<br />

schickte er in Gedanken zu Gerd <strong>und</strong> Werner.<br />

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So erwartungsvoll er <strong>die</strong>sen Kärntenbesuch begonnen hatte, so abrupt stürzten seine Wünsche<br />

<strong>und</strong> Hoffnungen nun ins Bodenlose, <strong>und</strong> das alles nur wegen eines Satzes, ja eines Namens!<br />

Natürlich gab er niemandem seine Gefühle zu erkennen, schließlich sollten Gerd <strong>und</strong> Werner an<br />

seiner Noch-Niederlage keine Freude haben. Also verbrachte er <strong>die</strong>sen Discoabend wie<br />

gewohnt in gemütlicher Atmosphäre, mitten unter seinen Fre<strong>und</strong>en.<br />

Hans schlief an <strong>die</strong>sem Sonntag - übrigens ein Muttertag - bis in den späten Nachmittag hinein.<br />

Danach ging’s ab zu Evi, um Informationen über Monika einzuholen.<br />

„Hansi, Hansi, bist du denn <strong>von</strong> allen guten Geistern verlassen!“, rief Evi erfreut. „Servus, wie<br />

geht’s dir?“, sagte er wiederum wie in alten Tagen <strong>und</strong> nahm auf einem Barhocker Platz. „Ein<br />

Bier, wie früher?“ „Nein, ein Cola!“ „Was, hast dich vielleicht geändert?“, entgegnete sie<br />

erstaunt. „Nein, aber ich habe gestern gefeiert!“ „Ach ja, gratuliere!“ „Jetzt fang nicht du auch<br />

noch an, mit dem Blödsinn! Seit wann ist denn der Sigi aus der Disco verschw<strong>und</strong>en?“, fügte<br />

er hinzu, um vom Thema abzulenken. „Schon zum Jahreswechsel, ja, der hat jetzt eine Frau<br />

Doktor geheiratet!“, meinte Evi stolz, mit hochgezogenen Augen brauen. „Wau, eine Frau<br />

Doktor!“ „Ja, <strong>und</strong> fesch ist sie auch noch!“ Hits <strong>von</strong> den Bambies, Flippers, Percy Sledge <strong>und</strong><br />

viele andere, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Musikbox <strong>von</strong> sich gab, erleichterten ihm sein Vorhaben - nach außen hin<br />

den kühlen Abenteurer zu spielen - nicht gerade besonders. „Sag, Hans, interessierst du dich<br />

nicht mehr für Monika?“ Sie sah ihn besorgt an <strong>und</strong> stellte ein zweites Cola auf <strong>die</strong> Bar. „Nein,<br />

zur Zeit nicht! Außerdem sorgt sich ja schon ein Neuer um sie!“ „Ja“, sie verneinte<br />

beschwichtigend mit dem Kopf, „das ist nicht ganz so!“ „So, wie ist es denn dann?“ Er<br />

lächelte, um dabei seine große Sehnsucht zu überspielen. „Du mußt zu ihr! Hörst du, sie liebt<br />

dich, nur dich, <strong>und</strong> du liebst sie! Hör auf mich, alles andere ist gefährliche Intrige!“ Hans sah<br />

sie an wie ein Schulbub, der eben erst recht arg gerügt worden war. „Hansi, sei nicht so stur,<br />

fahr zu ihr ins Krankenhaus, wenn schon nicht als Fre<strong>und</strong>, dann eben als guter alter Bekannter,<br />

aber geh!“ <strong>Die</strong> sentimentale Hintergr<strong>und</strong>musik <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ansprache <strong>von</strong> Evi, <strong>die</strong> in Anbetracht<br />

seiner Gefühlslage voll ins Schwarze traf, veranlaßten ihn zum Aufbruch.<br />

Traurig, tief betroffen <strong>und</strong> <strong>von</strong> inniger Sehnsucht nach Monika getrieben, setzte er sich ins<br />

Auto <strong>und</strong> fuhr los, in Richtung Landeskrankenhaus Klagenfurt. Auf halbem Wege sichtete er<br />

das Gasthaus <strong>von</strong> Erikas Eltern. Da seh ich nochmals kurz vorbei, dachte er <strong>und</strong> steuerte es an.<br />

Werner stand, wie erwartet, bei Erika an der Bar. „Ach, der Hanse, auch wieder da!“ „Ja, grüß<br />

euch!“ „Was bekommst du?“ „Ein Cola, Erika!“ „Monika liegt im Krankenhaus, sie wird<br />

sterben, weißt du das schon?“, meinte sie, während sie das Colaglas füllte. „Ja, ich habe es<br />

gehört“, entgegnete er trocken. Werner flüsterte ihr etwas zu, worauf sie wortlos den Kopf<br />

schüttelte. „Ich zahle gleich, Erika!“ „Gut, 14 Schilling, bitte!“ Hans bezahlte, all <strong>die</strong>s geschah<br />

in tiefer Betroffenheit, <strong>und</strong> jeder hoffte, der andere möge den ersten Schritt wagen. Bei Hans<br />

hingegen, setzte sich langsam das „K“ durch. Es lachte in seinem Inneren schaurig-lustvoll. Das<br />

„L“ für Liebe, Sehnsucht, Verzeihen wurde vom „K“, welches den Haß, <strong>die</strong> Lust am Zerstören,<br />

an der Katastrophe, am Krieg bedeutet, in den Keller, in <strong>die</strong> seelische Isolation geworfen. Im<br />

Gedanken sagte er zu Werner: Siehst du, jetzt bleiben dir beim Sprechen <strong>die</strong> Buchstaben<br />

hängen. Aber wartet nur, ich werde dir <strong>und</strong> Gerd noch zeigen, wie grausam ein <strong>Beschulnig</strong> sein<br />

kann! Ihr seid gegen mich nur Lämmer, ich werde euch noch einheizen! Ja, ihr werdet mich<br />

euer Leben lang nicht vergessen! Hans trank sein Cola rasch aus <strong>und</strong> verabschiedete sich.<br />

„Hansi!“, rief ihm Erika nach. „Ja, bitte?“ „Besuchst du Monika? Hansi, sie würde sich sicher<br />

freuen!“ „Nein, ich werde sie nicht besuchen, sie interessiert mich nicht mehr!“<br />

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Wenig später betrat Hans <strong>die</strong> Föndacher Disco. Heino warb mit großem Elan um <strong>die</strong> Kellnerin.<br />

George war, obgleich der Gong erst sechzehnmal geschlagen hatte, schon bis oben hin voll mit<br />

Alkohol. „Was ist denn mit dir, Hanse, warum schaust denn so blöd aus der Wäsche?“, fragte<br />

Heino gut gelaunt. „Ach, Topfen, mir geht alles auf <strong>die</strong> Nerven!“, entgegnete er <strong>und</strong> meinte<br />

noch: „Wo sind denn Susi <strong>und</strong> Karli?“ „Da sieht man, daß du schon lange nicht mehr hier<br />

warst!“, lallte George. „<strong>Die</strong> beiden sind in <strong>die</strong> Stadt gezogen!“<br />

Kurz darauf verließ Hans <strong>die</strong> Disco, er fuhr <strong>von</strong> Lokal zu Lokal. Dabei dachte er an so viele<br />

schöne Episoden mit Monika. Doch <strong>die</strong>ser abgr<strong>und</strong>tiefe Haß, der Wunsch nach Vergeltung,<br />

der ließ ihn seine innere Haltung - obgleich er es liebend gern getan hätte - nicht ändern.<br />

Deshalb hatte er auch bei Erika so hartherzig reagiert. Noch am selben Abend fuhr er nach<br />

Wien. Während der Fahrt, bei der tollen Musik aus dem Kassettenrecorder, ließ er sich <strong>die</strong><br />

Sache mit <strong>und</strong> um Monika x-mal durch den Kopf gehen. Dabei kam er zu dem Schluß, daß es<br />

Monika bestimmt nicht so schlecht gehe, daß eben der Dorfklatsch häufig <strong>und</strong> gerne zum<br />

Übertreiben neige.<br />

*<br />

Beruflich lief in <strong>die</strong>ser dritten Maiwoche alles bestens. Der Gebietsvertreter der<br />

Tankstellengesellschaft machte bei Hans schon so gewisse Andeutungen <strong>und</strong> zog ihn ernsthaft<br />

als Kandidaten für <strong>die</strong> Pacht einer neuen Tankstelle in Betracht. Mit dem neuen<br />

Arbeitskollegen lief <strong>die</strong> Zusammenarbeit bestens - was will der Mensch noch mehr, möchte<br />

man meinen! Doch wer so denkt, kennt <strong>die</strong> fürchterliche Pein <strong>von</strong> Liebe <strong>und</strong> Sehnsucht nicht,<br />

<strong>die</strong> Sorge um den innigst geliebten Menschen. Getrieben <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser Qual, fuhr Hans am<br />

Freitag, also noch in <strong>die</strong>ser dritten Woche, nach Kärnten. Bei der Fahrt ließ der tiefe<br />

Pessimismus merklich nach, ja, er fühlte intuitiv, daß es ihr besser gehe <strong>und</strong> er hoffte dabei, daß<br />

sie schon zu Hause wäre. Und als er in Föndach vom Gegenteil erfuhr, nahm er sich fest vor,<br />

ihr am darauf folgenden Tag einen Besuch im Krankenhaus abzustatten.<br />

*<br />

Am Samstag setzte er sich nach dem Mittagessen hübsch <strong>und</strong> ordentlich gekleidet ins Auto <strong>und</strong><br />

fuhr in Richtung Klagenfurt - Zielpunkt Landeskrankenhaus.<br />

Je näher er dem Zielpunkt kam <strong>und</strong> im besonderen <strong>von</strong> der Stadtgrenze <strong>von</strong> Klagenfurt an,<br />

stiegen in ihm <strong>die</strong> Bedenken derart - vermutlich gesteuert durch das rachsüchtige „K“ -, daß<br />

<strong>von</strong> wohlüberlegtem Handeln keine Rede mehr sein konnte. Mein Gott, was war, war, ich gehe<br />

rein <strong>und</strong> besuch sie als guter Fre<strong>und</strong>, redete er sich selbst fest ein <strong>und</strong> behielt den Kurs<br />

hartnäckig bei. Ihre ganzen Verwandten sind jetzt bei ihr, bedenk doch, du bist ein<br />

unerwünschter Außenstehender! Macht nichts, ich gehe rein! Aber als er vor dem Krankenhaus<br />

auf der St. Veiter Straße einen geeigneten Parkplatz suchte, sah er sich in Gedanken bei<br />

Monika am Krankenbett, Gerd mit einem Strauß roter Rosen. Das Schwein! durchzuckte es<br />

ihn wütend, <strong>und</strong> unter der großen Ausschüttung <strong>von</strong> Adrenalin begann er schwer <strong>und</strong> heftig zu<br />

atmen. Mit der Parkplatzsuche war es vorbei, er drückte kräftig aufs Gaspedal <strong>und</strong> fuhr weiter<br />

in Richtung Annabichl. Doch jetzt trat das Sonderbare ein. In Annabichl angekommen,<br />

verließen ihn <strong>die</strong> negativen Gedanken. Er sorgte sich urplötzlich wieder zutiefst um Monika. Er<br />

wendete <strong>und</strong> fuhr <strong>die</strong> St. Veiter Straße zurück, zurück zu dem Krankenhaus, in dem Monika<br />

auf seinen Besuch wartete. Vor dem Krankenhaus angekommen, bebte sein Körper förmlich<br />

vor Haß <strong>und</strong> der fürchterlichen Rachsucht, nicht gegen Monika, nein, gegen ihren Bruder <strong>und</strong><br />

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Gerd. Er wurde gepeinigt <strong>von</strong> den negativen Gedanken <strong>und</strong> war trotzdem in der Lage,<br />

intellektuell-logische Gedankenspiele durchzuführen. Den Blödel, so zog er den Schluß, werde<br />

er am Krankenbett <strong>von</strong> Monika, in Anwesenheit <strong>von</strong> Gerd, nicht abgeben. Er drückte aufs<br />

Gaspedal <strong>und</strong> fuhr ins Rosental. Und je weiter er sich <strong>von</strong> Klagenfurt entfernte, desto stärker<br />

wurde er <strong>von</strong> tiefer Sorge <strong>und</strong> Sehnsucht nach Monika erfaßt. Der Kassettenrecorder spielte<br />

„Schlager für Verliebte“, er gab seinem 100 Pferde starken BMW kräftig <strong>die</strong> Sporen, so, als<br />

würde er unbewußt den Versuch starten, etwas oder jemanden abzuschütteln. Mit extrem<br />

hoher Geschwindigkeit fuhr er nach Föndach, zog einen Kreis über Komannsdorf - ihren<br />

Heimatort - <strong>und</strong> nahm wieder Kurs auf Klagenfurt. Doch es war wie verhext, kaum an der<br />

Stadtgrenze angekommen, setzten <strong>die</strong> negativen Gedanken wieder ein. Es war ihm einfach<br />

nicht möglich, endlich den heißersehnten Krankenbesuch abzustatten. Es war, um einen<br />

brauchbaren Vergleich heranzuziehen, wie bei zwei verschiedenen Magnetpolen, <strong>die</strong><br />

ungleichen Pole stoßen sich ab, je näher man kommt, desto stärker.<br />

Bei der Heimfahrt schaute er noch einen Sprung bei Erika vorbei. Doch der Besuch war für ihn<br />

überflüssig, das sah er schon nach einigen Minuten ein <strong>und</strong> fuhr nach Föndach, wo er, wie der<br />

Zufall es halt so wollte, Heino, der zu Fuß auf dem Weg ins Dorfgasthaus war, antraf. „Hanse,<br />

warst endlich drin bei Monika!“, sagte er teils fragend, teils vorwurfsvoll. „Nein!“ „Da sieht<br />

man es mal wieder, du bist ein richtiges Arschloch!“ Er setzte sich dabei einfach zu ihm ins<br />

Auto <strong>und</strong> sagte: „Los, wir fahren rein!“ Doch für Hans war <strong>die</strong> Besuchszeit zu Ende, jedenfalls<br />

für <strong>die</strong>sen Samstag. Er war nicht gewillt, <strong>die</strong>sen Kampf der seelischen Gegensätze nochmals<br />

über sich kommen zu lassen. „Du bist wohl verrückt, was soll ich drin, außerdem hat sie einen<br />

neuen Fre<strong>und</strong>, oder?“, entgegnete er scheinbar unberührt. „Hanse, ich habe sie im März in<br />

Klagenfurt getroffen!“ Heino zog jetzt tief berührt an der Zigarette. „Ich hab sie gefragt, ob sie<br />

etwas <strong>von</strong> dir gehört hätte, was denkst du, hat sie gesagt?“ Er sah jetzt Hans fragend an. „Was<br />

soll sie schon gesagt haben!“, gab er interessenlos <strong>von</strong> sich. „Sie hat nur leise geflüstert, daß sie<br />

nichts mehr <strong>von</strong> dir gehört hätte, dabei liefen Tränen über ihre Wangen. Ja, sie liebt dich, du<br />

darfst sie in <strong>die</strong>ser schweren St<strong>und</strong>e nicht im Stich lassen, hörst du!“ „Gut!“, entgegnete nun<br />

Hans <strong>und</strong> nahm Kurs in Richtung Klagenfurt. <strong>Die</strong> beiden waren noch keine 500 Meter <strong>von</strong><br />

Föndach entfernt, da klickte es bei Hans. „Weißt was, Heino, wir rufen im Krankenhaus an!“<br />

„Nein, wir fahren rein!“ „Nein, zuerst rufen wir an, <strong>und</strong> sollte es ihr wirklich so dreckig gehen,<br />

dann fahren wir noch heute rein, das verspreche ich dir!“<br />

Bei Hans war gerade niemand zu Hause, <strong>und</strong> so konnten sie, oder besser, konnte Heino völlig<br />

ungestört im Landeskrankenhaus anrufen. „Ja“, sagte Heino, nachdem er <strong>die</strong> Telefonnummer<br />

gewählt hatte, „ich möchte mich nach dem Befinden <strong>von</strong> Monika Glaser erk<strong>und</strong>igen!“ Heino<br />

sprach mit nervös-zittriger Stimme in den Hörer. Nach einigen Verbindungen kam er<br />

schließlich zu dem zuständigen Arzt. „Ja, wer ist da am Apparat?“ „Hm, eh- ein Fre<strong>und</strong> <strong>von</strong><br />

ihr!“, entgegnete Heino nervös. „Sag keinen Namen, das geht sie nichts an!“, fuhr Hans leise<br />

dazwischen. „Sie können ruhig Ihren Namen nennen, es geschieht Ihnen schon nichts!“, sagte<br />

der Arzt mit beruhigender Stimme. „Nein, ich möchte mich nur nach ihrem Befinden<br />

erk<strong>und</strong>igen!“ „Nun gut, ich habe mit ihren Eltern gesprochen, sie werden sich mit Ihnen in<br />

Verbindung setzen!“, sagte der Arzt <strong>und</strong> fuhr fort: „Das Befinden <strong>von</strong> Monika Glaser hat sich<br />

deutlich gebessert, wenn <strong>die</strong> Genesung so fortschreitet, kann sie bereits in vierzehn Tagen das<br />

Krankenhaus verlassen!“ „Was, ist das wirklich wahr!“, schrie Heino sichtlich erfreut auf.<br />

„Danke, danke!“, sagte Heino <strong>und</strong> legte auf. Er klopfte Hans vor Freude auf <strong>die</strong> Schultern <strong>und</strong><br />

meinte: „In vierzehn Tagen kann sie nach Hause!“ „Ich habe ja gewußt, daß es nicht so<br />

schlimm ist!“, entgegnete Hans, atmete tief zufrieden <strong>und</strong> erleichtert auf. Heino <strong>und</strong> Hans<br />

feierten <strong>die</strong>se tolle Nachricht noch mit einigen kühlen Blonden.<br />

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Noch in derselben Nacht, gegen 22 Uhr, fuhr Hans mit Heino rauf zur Hollenburg, wo sie an<br />

der Tanzveranstaltung teilnahmen. Jüngere <strong>und</strong> ältere Paare tanzten ausgelassen zu der Musik<br />

der Band. Wie in alten Zeiten, dachte Hans, es hat sich nichts geändert. „Hey, Manuela!“, sagte<br />

er zu dem hübschen Mädchen an der Bar, das so betrübt allein dort stand. „Der Hansi läßt sich<br />

wieder einmal blicken! Warst schon bei Monika im Krankenhaus?“, war danach gleich ihre<br />

erste Frage. Sie war über <strong>die</strong> Beziehung der beiden bestens informiert <strong>und</strong> außerdem <strong>die</strong><br />

Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Nachbarin <strong>von</strong> Monika. „Monika möchte dich noch einmal sehen!“ „Ach, jetzt<br />

rede nicht du auch noch so blöd! Wir haben heute im Krankenhaus angerufen, Monika geht es<br />

gut, sie wird in vierzehn Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden!“, entgegnete er total<br />

sicher <strong>und</strong> zuversichtlich. „Aber wenn du sagst, daß sie mich sehen möchte, dann werde ich sie<br />

morgen, Sonntag, besuchen!“ „Was, das willst du machen! Mein Gott, sie wird sich freuen!“<br />

Hans war froh, endlich jemanden getroffen zu haben, der sich immer neutral verhielt <strong>und</strong><br />

trotzdem über <strong>die</strong> Beziehung genauestens Bescheid wußte. „Du weißt ja gar nicht, wie gern<br />

dich <strong>die</strong> Monika hat!“ „So, <strong>und</strong> was ist mit Gerd?“ „Vergiß es, er ist nicht viel mehr als ein<br />

guter Fre<strong>und</strong>!“<br />

Nach einem längeren Gespräch gingen <strong>die</strong> beiden gegen 23 Uhr auf <strong>die</strong> Tanzfläche. War doch<br />

ein herrlicher Gr<strong>und</strong> da zum Tanzen <strong>und</strong> Feiern, oder? Jetzt, wo ärztlich bestätigt worden war,<br />

daß Monika rasch genesen würde. Doch obgleich <strong>die</strong> Band schwungvolle Hits wie „Norman“<br />

<strong>und</strong> „Save The Last Dance For Me“ nachspielte, waren <strong>die</strong> beiden nicht in der Lage, in<br />

Schwung zu kommen. <strong>Die</strong> Beine wurden ihnen schwer wie Blei, <strong>und</strong> trotz angestrengter<br />

Versuche gelang es ihnen nicht, in einen ordentlichen Rhythmus zu kommen. Zuerst versuchte<br />

er noch, sein Manko zu verbergen, doch als er erkannte, daß Manuela mit demselben Problem<br />

zu kämpfen hatte, meinte er: „Komm, ich denke, wir sollten unsere Bleibeine an <strong>die</strong> Bar<br />

führen!“ „Funktioniert auch bei dir nicht?“, meinte Manuela nachdenklich ernst. „Nein, aber<br />

das macht nichts, wir erzählen uns halt an der Bar noch einige Geschichten!“ Plötzlich fing<br />

jemand voller Wut zu schreien <strong>und</strong> schimpfen an. Beim näheren Hinsehen konnte Hans<br />

erkennen, daß es Werner, der Bruder <strong>von</strong> Monika war. Er warf einen Tisch um <strong>und</strong> fing wie<br />

ein Verrückter zu toben an. Einige Burschen hielten ihn fest. „Laßt ihn bitte, seine Schwester<br />

liegt im Sterben!“, hörte man jemanden sagen. Und so schnell der Spuk begonnen hatte, so<br />

schnell war auch wieder Ruhe <strong>und</strong> das beklemmende Gefühl weg.<br />

Nach Mitternacht fuhr Hans Manuela nach Hause. „Ich ruf dich morgen an, <strong>und</strong> dann machen<br />

wir einen Termin für den Krankenhausbesuch bei Monika. Du wirst sehen, sie wird sich riesig<br />

freuen!“, meinte Manuela zufrieden lächelnd, bevor sie in ihrem Elternhaus verschwand.<br />

An <strong>die</strong>sem Sonntag wurde Hans gegen 9 Uhr vom langen Läuten des Telefons, welches in der<br />

Wohnküche stand, aus dem Schlaf gerissen. Wird Manuela sein, <strong>die</strong> kann es gar nicht erwarten,<br />

mit mir zu Monika ins Krankenhaus zu fahren, dachte er schlaftrunken, aber gut gelaunt.<br />

„Hansi, Hansi!“, rief Schwester Traudi aufgeregt, nachdem sie den Anruf entgegengenommen<br />

hatte, <strong>und</strong> riß <strong>die</strong> Schlafzimmertür auf. „Hansi!“ „Mensch, laß mich in Ruhe!“, entgegnete er<br />

schlaftrunken. „Eine Manuela hat angerufen!“, sagte sie übernervös. „Ja, ich komm schon!“,<br />

meinte er seufzend <strong>und</strong> stieg aus dem Bett. „Du brauchst nicht aufstehen! Ich soll dir nur<br />

ausrichten, daß Monika gestorben ist!“ „Was, Monika gestorben?“, entgegnete er tonlos. „Ja!“<br />

Traudi schloß daraufhin <strong>die</strong> Tür. Kraftlos ließ er sich ins Bett sinken <strong>und</strong> drehte sich auf den<br />

Bauch. Sie ist gestorben <strong>und</strong> ich habe sie im Stich gelassen - Wahnsinn! Er drehte sich auf den<br />

Rücken, griff nach den Zigaretten auf dem Nachtkästchen, rauchte mit kräftigen Zügen eine<br />

Marlboro. Nein, nein, das glaube ich nicht! Mein Gott, jetzt kann ich nicht einmal ihre Eltern<br />

besuchen, das wäre richtig gemein <strong>von</strong> mir! Monika tot? Aber nein, vielleicht hat da nur ein<br />

Spaßvogel angerufen? Er sah sie in seinen Erinnerungen. Ihr Lächeln, ihre Schönheit, ihre<br />

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Freude, wenn sie ihn sah. Tränen liefen über seine Wangen. Und heute, ausgerechnet heute,<br />

wollte ich sie ganz sicher mit Manuela besuchen. Das gibt es doch nicht!?!<br />

„Morgen!“, sagte er trocken, so als wär nichts besonders geschehen <strong>und</strong> trat in der Wohnküche<br />

ein. „Morgen, Hansi!“, klang es <strong>die</strong>smal wie im Chor. Nanu, dachte er, scheint ja schon eine<br />

kleine Trauerfeier zu sein. Sogar Vater war anwesend <strong>und</strong> schnitzte betroffen an einem<br />

Spazierstock. Traudi <strong>und</strong> Heinzi wanderten nervös im Raum auf <strong>und</strong> ab. Dabei ließen sie Hans<br />

nicht aus den Augen. „Monika ist gestorben!“, sagte nun Mutter betroffen <strong>und</strong> servierte ihm<br />

den Kaffee. „Habe ich gehört!“, entgegnete Hans tonlos, wobei er seine Gefühle mit Gewalt im<br />

Zaume hielt. „Ein Wahnsinn, was!“, meinte wiederum Vater. „So ein junges Mädel, 17 Jahre,<br />

<strong>die</strong> hat doch noch ihr ganzes Leben vor sich gehabt!“ „Das ist wahr!“, sagte Mutter<br />

zustimmend. „Es gibt alte Menschen, <strong>die</strong> gerne sterben würden, aber nicht können. Und dann<br />

stirbt ein so junges Mädchen beim <strong>Kinder</strong>kriegen!“ Hans hörte nicht zu, er saß beim Kaffee<br />

<strong>und</strong> fühlte nichts als eine große Leere um sich. <strong>Die</strong> Welt, seine Welt, begann in ihren<br />

Gr<strong>und</strong>festen zu wanken.<br />

Danach ging er hinauf zum alten Dorfgasthaus, trank ein Bier <strong>und</strong> hörte einige alte Singles aus<br />

der Musikbox. Natürlich hatte er angesichts der Unwiderruf- <strong>und</strong> Unerbittlichkeit des Todes<br />

starkes Verlangen danach, zu weinen, ja schreien, doch gehörte er zu jener Sorte <strong>von</strong><br />

Menschen, <strong>die</strong> bei großem seelischen Schmerz kühl <strong>und</strong> wohlüberlegt denken können, <strong>die</strong> das<br />

Weinen <strong>und</strong> Schluchzen auf einen Termin verschieben, an dem sie mit sich allein sind.<br />

Außerdem, so war er sich sicher, durfte er nach außen hin seinen wahren Schmerz keineswegs<br />

zeigen, jetzt - wo er <strong>die</strong>ses grausame Spiel mit ihr gespielt hatte.<br />

Ein alter Bauer mit faltigem, gegerbtem Gesicht <strong>und</strong> in Arbeitskleidung, kam lustig singend in<br />

<strong>die</strong> Wirtsstube. „Holladio - <strong>und</strong> lustig ist das Leben!“, sang er aus Leibeskräften, eilte dabei mit<br />

tanzenden Schritten zur Theke. „Einen Schnaps!“ „Bist schon wieder gut drauf, was,<br />

Oscherbauer!“, meinte <strong>die</strong> Wirtin belustigt. „Noch ein Bier!“ „Ja, gleich, <strong>Beschulnig</strong>!“ „Ja,<br />

George!“, sagte Hans, nachdem George gekommen war <strong>und</strong> bei ihm Platz genommen hatte.<br />

„So ist es, Monika ist heute nacht <strong>von</strong> dannen gegangen!“ „Was, was meinst du damit?“, fragte<br />

<strong>die</strong>ser erstaunt <strong>und</strong> sah ihn verdutzt an. „Na, sie ist heute nacht gestorben!“ George verfiel jetzt<br />

sichtlich, er schluckte. „Ich hoffe, du kommst darüber hinweg!“ Hans nickte. „Aber natürlich.<br />

George, der eine kommt, der andere geht, so ist eben unsere Welt!“, gab er gelassen <strong>von</strong> sich,<br />

wobei er <strong>die</strong> tiefe Betroffenheit doch nicht so ganz verbergen konnte. „Da, dein Bier,<br />

<strong>Beschulnig</strong>!“, sagte <strong>die</strong> Wirtin <strong>und</strong> nahm gleich <strong>die</strong> Bestellung <strong>von</strong> George auf. Hans trank<br />

einen kräftigen Schluck, zog an der Marlboro <strong>und</strong> bekam danach plötzlich so ein seltsames<br />

Gefühl. Ein Gefühl, das in der heutigen technisierten <strong>und</strong> aufgeklärten Welt eigentlich keinen<br />

Platz haben dürfte. Ja, er fühlte Monika neben sich, spürte, daß sie neben ihm stand <strong>und</strong> intuitiv<br />

mit ihm kommunizierte. Ein Gedankenaustausch im geistigen Sinn. Aber, das gibt es doch<br />

nicht, so was kann nicht sein, dachte er <strong>und</strong> wollte es abwehren, aber sie gab nicht auf. Sie<br />

sprach ihm Mut zu. Aber ich bin doch schuld an deinem Tod, bitte entschuldige mein<br />

scheußliches Fehlverhalten, meinte er voll Demut im Geiste. Du bist nicht schuld, Hansi! Es hat<br />

so kommen müssen! Kannst du dich noch an meine, du sagtest immer, Wahrsagekünste<br />

erinnern? Sei stark, ich lebe <strong>und</strong> liebe dich. Ich bin nicht tot, oder spürst du meine Nähe nicht<br />

<strong>und</strong> wie ich zu dir spreche? Oh ja, ich fühle es, ich spüre deine Nähe, Monika! Warum bist du<br />

<strong>von</strong> uns gegangen? Mach dir jetzt darüber noch keine Gedanken, ich liebe dich! Er wollte <strong>die</strong><br />

intuitive Konversation, <strong>die</strong> im Gastzimmer ansonsten niemand mitbekam, fortsetzen, doch sie<br />

war nicht mehr da.<br />

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Durch <strong>die</strong>ses Erlebnis bekam er eine starke innere Kraft. Er lebte richtig auf. Sie liebt mich<br />

noch immer, dachte er glücklich <strong>und</strong> meinte dabei zu George: „Daß es sowas gibt?“ „Was<br />

denn?“, fragte George interessiert. „Nichts George, ich hab nur so vor mich hingeträumt!“<br />

An Essen war an <strong>die</strong>sem Tag nicht zu denken, stattdessen drehte er eine R<strong>und</strong>e nach der<br />

anderen, <strong>von</strong> einem Lokal zum anderen, so, als müßte er unbewußt den Versuch unternehmen,<br />

an <strong>die</strong>ser Wirklichkeit zu rütteln, sie abzuändern, sie rückgängig machen.<br />

Im Nachbarort wurde ein Kirtag veranstaltet, das Leben ging weiter, als wäre nichts<br />

Besonderes geschehen. Mein Gott, wär es schön, wenn ich jetzt mit meiner Moni daran<br />

teilnehmen könnt, dachte er. Er fühlte, wie sich dabei <strong>die</strong> tiefe Traurigkeit immer tiefer in sein<br />

Bewußtsein fraß, <strong>und</strong> es sollte <strong>die</strong>sen seinen Schmerz doch keiner sehen, jetzt mußte er <strong>die</strong>se<br />

grausame Episode mit sich selbst durchstehen - deswegen fuhr er schon gegen 14 Uhr ab, nach<br />

Wien.<br />

Allein auf der Straße <strong>und</strong> der Autobahn, bei der Single „Hey Jude“ <strong>von</strong> den Beatles, vielen<br />

altbekannten Schlagern <strong>und</strong> Lovehits, allesamt Erinnerungen an eine w<strong>und</strong>erschöne Zeit, sank<br />

seine Laune weit unter den Nullpunkt.<br />

Wie <strong>die</strong>se erste Nacht danach verlief, wird sich wohl jeder, der einen innigst geliebten<br />

Menschen verloren hat, vorstellen können. Nur kam bei Hans noch erschwerend hinzu, daß er<br />

sich selbst nicht verzeihen konnte, sie nicht besucht zu haben, sie im Stich gelassen zu haben.<br />

*<br />

Am Montag fuhr er gegen 13 Uhr mit seinem Auto zum Schichtwechsel an seine Arbeitsstelle.<br />

Er war gezeichnet <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser schweren Nacht, doch sich nur nichts anmerken lassen, war seine<br />

Devise. Darum richtete er noch im Auto sein Äußeres, rauchte eine Marlboro an <strong>und</strong> ging<br />

betont lässigen Schrittes in den Verkaufsraum. „Ach, der <strong>Beschulnig</strong>!“, sagte Franz, der wie<br />

gewohnt um <strong>die</strong>se Tageszeit an seinem Schreibtisch saß, fre<strong>und</strong>lich lächelnd. „Hallo, Chef!<br />

Servus, Hermann!“, grüßte Hans <strong>die</strong> Belegschaft fre<strong>und</strong>lich lächelnd <strong>und</strong> meinte noch: „Wie<br />

gehen <strong>die</strong> Geschäfte?“ „Siebzigtausend Schilling!“ „Ganz schön, Chef, für eine Schicht!“ Franz<br />

sah ihn nun genauer an. „Sagen Sie, <strong>Beschulnig</strong>, ist etwas mit Ihnen?“ „Wieso, was soll denn<br />

sein?“, erwiderte Hans etwas unsicher. „Sie sehen ja so verheult aus!“ Hans sah ihn einen<br />

Moment verdutzt an. „Jaja, aber es ist so, na ja, ich, meine Fre<strong>und</strong>in ist gestorben!“, stotterte<br />

er vor sich hin. „Mein Beileid, Hanse!“, sagte der Chef <strong>und</strong> streckte ihm <strong>die</strong> Hand entgegen.<br />

Auch der Tankwart folgte seinem Beispiel. „Was sagen <strong>die</strong> Eltern deiner Fre<strong>und</strong>in?“ „Nichts,<br />

ich gehe ja nicht mehr zu ihnen!“ „Warum nicht?“, fragte Franz interessiert. Und Hans begann<br />

zu erzählen.<br />

Gegen 20 Uhr schloß Hans <strong>die</strong> Tankstelle. „Also bis morgen, Chef!“, sagte er zu Franz <strong>und</strong><br />

wollte schon gehen. „Nichts da, bleib da, du wirst dir heute nacht alles <strong>von</strong> der Seele reden!<br />

Wir werden über <strong>die</strong>se deine Vergangenheit noch genauer sprechen, wenn du willst!“ Nachdem<br />

sie gegen 22 Uhr so ziemlich alles besprochen <strong>und</strong> dabei <strong>die</strong> halbe Kiste Bier geleert hatten,<br />

begann <strong>die</strong> harte Schale <strong>von</strong> Hans zu knacken. Er weinte <strong>und</strong> schluchzte ganz fürchterlich: „Ich<br />

würde ja nicht einmal zu ihrem Begräbnis gehen, wenn ich es ihr nicht versprochen hätte!“<br />

„Na, siehst du, heul nur, laß <strong>die</strong> Sau raus! Und du wirst zum Begräbnis gehen, dafür werde ich<br />

schon sorgen, du mußt dein Versprechen halten. Glaube mir, deine Fre<strong>und</strong>in hat dich genau<br />

gekannt, deshalb hast es ihr schwören müssen! Enttäusch sie jetzt nicht!“<br />

*<br />

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Am darauffolgenden Freitag fuhr er schon am frühen Morgen nach Klagenfurt <strong>und</strong> kaufte in<br />

einem Herrenmodengeschäft in der Bahnhofstraße einen schwarzen, schicken Anzug.<br />

Um 14.30 Uhr stand er mit seiner Schwester Traudi <strong>und</strong> Mutter an jenem w<strong>und</strong>erschönen Tag<br />

im Friedhof <strong>von</strong> Komannsdorf, gleich links, einige Meter neben dem Haupteingang. Übrigens<br />

ein Friedhof, wie er in Kärnten besonders häufig zu finden ist. Oben auf der Anhöhe <strong>von</strong><br />

Komannsdorf, <strong>die</strong> w<strong>und</strong>erschöne, alte Kirche umrandet vom besinnlich stimmenden Friedhof,<br />

<strong>von</strong> dem aus man <strong>die</strong> Aussicht auch über einige Ortschaften mehr oder weniger genießen<br />

konnte.<br />

Von <strong>die</strong>sem Standplatz im Friedhof aus konnten sie <strong>die</strong> Formierung des Trauerzuges bei<br />

Monikas Elternhaus für ihren letzten Weg beobachten. Kurz darauf begannen <strong>die</strong><br />

Kirchenglocken zu läuten, <strong>und</strong> der Trauerwagen mit ihrem Sarg, geschmückt mit Blumen <strong>und</strong><br />

Kränzen, setzte sich langsam, wie auf Kommando, in Bewegung, prozessionsartig folgten sehr<br />

viele Trauergäste.<br />

Hans mußte, sozusagen vom Friedhof aus, den letzten Weg <strong>von</strong> Monika mitverfolgen. Dabei<br />

gelangte er zu Überlegungen wie: Könnte ich nicht heute mit ihr vor den Traualtar treten?<br />

Oder habe ich nach meinem unkorrekten Verhalten überhaupt das Recht, an ihrem Begräbnis<br />

teilzunehmen?<br />

Mit starren Blicken verfolgte er gebannt den Trauerzug. Eine Faust schien seinen Magen zu<br />

zerdrücken. Ein Gefühl, als stünde seine eigene Hinrichtung unmittelbar bevor.<br />

Obwohl ihr Elternhaus vom Friedhof etwa einen Kilometer entfernt liegt, der Trauerzug sich<br />

nur im Schrittempo näherte, stand <strong>die</strong>ser plötzlich vor dem Haupteingang. Wie in Trance<br />

starrte Hans auf <strong>die</strong> Leute, es war ihm einfach zu schnell gegangen. <strong>Die</strong> Bestattungsmänner<br />

trugen den Sarg in den Friedhof <strong>und</strong> stellten ihn ausgerechnet vor seinen Füßen am Boden<br />

nieder. So, als wollte das Schicksal damit sagen, so, das hast du jetzt da<strong>von</strong>! Danach wurde der<br />

Sarg auf ein Wagerl gehoben <strong>und</strong> in <strong>die</strong> Kirche gefahren, gefolgt <strong>von</strong> Monikas Mutter, <strong>die</strong> <strong>von</strong><br />

Gerd <strong>und</strong> Werner gestützt wurde. Sie rief immer wieder entsetzt: „Nein, nein, Monika, bleib<br />

hier!“ Dabei streckte sie immer wieder <strong>die</strong> Hand nach dem Sarg aus, so, als wollte sie ihn<br />

zurückhalten. Monikas Vater folgte abwesend, so, als wollte er <strong>die</strong>se traurige Wahrheit nicht<br />

miterleben wollen.<br />

Hans verharrte auf seinem Platz, er konnte dabei <strong>die</strong> Abschiedsmesse nur akustisch<br />

mitverfolgen. Es kam ihm dabei <strong>die</strong> Szene in den Sinn, als man den Sarg vor seine Füße gestellt<br />

hatte. Sonderbar, es war, als wär sie nicht in dem Sarg gewesen, dachte er, als wär der Sarg<br />

völlig leer! Und plötzlich fühlte er sie, sie war in seiner unmittelbaren Nähe <strong>und</strong> sprach ihm<br />

Mut zu. Sie freute sich dabei sehr, daß er sein Versprechen eingelöst hatte. Doch so schnell sie<br />

gekommen war, so schnell war sie aus seiner Gedankenwelt wieder verschw<strong>und</strong>en.<br />

Noch am gleichen Abend ging Hans in <strong>die</strong> Disco, er hielt es zuhause einfach nicht aus. Dabei<br />

begegnete er auch Manuela, der früheren Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Nachbarin <strong>von</strong> Monika. „Hallo, wie<br />

geht es dir?“, fragte Hans. „Wie soll es uns wohl gehen, an einem solchen Tag!“ Hans<br />

entgegnete nichts, nahm eine Zigarette <strong>und</strong> wandte traurig den Blick <strong>von</strong> ihr ab. „Es war<br />

schön, daß du bei ihr am Begräbnis warst! Sie hätte sich sicher sehr gefreut, wenn sie dich so<br />

noch zu Lebtagen gesehen hätte!“, meinte Manuela, um <strong>die</strong> tiefe Traurigkeit, <strong>die</strong> sich über dem<br />

Gespräch breitmachte, zu lösen. „Hat sie doch!“, entgegnete er recht belanglos. „Wie meinst<br />

du das?“ Und Hans begann <strong>von</strong> ihren Vorsehungen zu erzählen, was zwar großes Staunen,<br />

aber auch Lächeln hervorrief. „Ich weiß nicht, ob ich es dir sagen soll, Hansi!“, sagte Manuela<br />

nach längeren Gesprächen. „Sprich nur!“, meinte er schon besser gelaunt. „Weißt du, weißt du,<br />

wie gerne dich Monika noch einmal gesehen hätte!“ Hans fuhr innerlich zusammen, langsam<br />

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liefen <strong>die</strong> Tränen über seine Wangen. Und nochmals, als ob sie <strong>die</strong>sen brennenden Satz in ihn<br />

einbohren müßte, wiederholte sie Monikas letzten Wunsch. „Und noch was, Hansi!“, sagte sie.<br />

„Du weißt, <strong>die</strong> Zeitungen haben eine Lovestory gedruckt, <strong>die</strong> <strong>von</strong> Gr<strong>und</strong> auf erlogen war, aber<br />

das macht nichts, denn schließlich wollen auch <strong>die</strong> Leser ihren Genuß. Ob das Kind <strong>von</strong> dir<br />

oder <strong>von</strong> Gerd ist, sollte nebensächlich sein, denn es bleibt bei ihren Eltern, du wirst doch<br />

nichts dagegen haben?“ „Nein, außerdem ist es dort wirklich bestens aufgehoben!“ „Gut“,<br />

sagte sie zufrieden, „Monika hat für dich, vor ihrem Tode im Krankenhaus, einen<br />

Abschiedsbrief geschrieben, du sollst ihn bei ihren Eltern abholen!“ In der Disco tanzten <strong>die</strong><br />

Paare eng umschlungen zu der Single „I Love You“, <strong>und</strong> Hans konnte seinen Tränenfluß nicht<br />

mehr zurückhalten. Manuela erkannte <strong>die</strong>s <strong>und</strong> eilte mit ihm taktvoll auf <strong>die</strong> spärlich<br />

beleuchtete Tanzfläche, wo sie sich zu rührenden Lovehits bewegten. „Habe ich dich jetzt<br />

getroffen!“ „Ja“, sagte er tief erschüttert. „Holst den Brief ab?“ „Nein, ich kann jetzt nicht<br />

mehr vor ihre Eltern hintreten, ich komm mir vor wie ein Verbrecher. Am liebsten würde ich in<br />

<strong>die</strong> ewigen Jagdgründe gehen, als einer, der versagt hat <strong>und</strong> daher für immer sein Dasein als<br />

Stein fristen müßte!“ „Aber nein, Hansi, tu doch nicht so!“ Sie streichelte dabei liebevoll durch<br />

sein blondes, dichtes Haar. „Steh es durch, du hast dein Leben vor dir!“ „Nein, jetzt nicht<br />

mehr, ich will auch nicht mehr!“ Er wischte sich rasch <strong>die</strong> Tränen <strong>von</strong> den Wangen. Und im<br />

Hintergr<strong>und</strong> betörende Lovehits. „Weißt du, wenn Monika gesagt hätte, ich will dich nicht<br />

mehr, ich will Gerd!“ Er sah hilflos zu anderen Tanzpaaren. „Es wär für mich sicher auch nicht<br />

leicht wegzustecken gewesen, das gebe ich schon zu. Aber der Tod“, wieder liefen Tränen über<br />

seine Wangen, „dabei hätte ich ihr noch so viel zu sagen gehabt!“<br />

* * *<br />

1 9 7 7 : S e p t e m b e r I . W o c h e<br />

H A N S S I E H T E I N E R K O M M E N D E N K A T A S T R O P H E E N T G E G E N<br />

Von einem beruflichen Weiterkommen oder einem weiteren Ausbau materieller Werte war<br />

jetzt, drei Monate nach dem Tod <strong>von</strong> Monika, keine Rede mehr. Konnte auch nicht, denn Hans<br />

war psychisch derart angeschlagen, <strong>die</strong> Schuldgefühle waren erdrückend, <strong>die</strong> Zukunft leer <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Sehnsucht nach Monika lähmend.<br />

Im Februar war er nach Wien gekommen, <strong>von</strong> da an war er rasch aufgestiegen, wie ein<br />

dreistrahliges Düsenflugzeug. Jetzt, nach dem tragischen Ereignis, war an einen weiteren<br />

Steigflug nicht zu denken, so, als wären zwei Triebwerke ausgefallen <strong>und</strong> als könnte das<br />

Flugzeug nur noch mühsam <strong>und</strong> mit großer Kraftanstrengung vor einem Absturz bewahrt<br />

werden. Alkohol trank er keinen, es hätte seine Situation <strong>und</strong> sein Selbstmitleid nur noch<br />

verschlimmert. Außerdem hatte er sich rasch daran gewöhnt, völlig nüchtern mit seinen neuen<br />

Fre<strong>und</strong>en im 14. Bezirk zu feiern.<br />

Warum Evelyn, ein ausgesprochen hübsches, siebzehnjähriges Mädel, gerade bei ihm anbiß,<br />

blieb selbst ihm ein Rätsel. Reckten sich doch <strong>die</strong> jungen Burschen wegen ihrer üppigen<br />

Oberweite, dem langen blonden Haar <strong>und</strong> der tollen Figur <strong>die</strong> Hälse aus.<br />

Evelyn arbeitete als Lehrling in einem Spielzeuggeschäft <strong>und</strong> wohnte in der „Stadt des Kindes“,<br />

einem Heim der Gemeinde Wien. Ihre Mutter war sehr früh verstorben, <strong>und</strong> ihr Vater war der<br />

Geißel Alkohol verfallen.<br />

*<br />

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Am ersten Samstag im September passierte Hans etwas Sonderbares. Um Punkt 6 Uhr hätte<br />

er, wie üblich, <strong>die</strong> Tankstelle aufsperren sollen. Doch, wie in letzter Zeit schon öfter, hatte er<br />

mit Fre<strong>und</strong>en am Vorabend ausgedehnt gefeiert <strong>und</strong> deshalb verschlafen. <strong>Die</strong> Uhr zeigte bereits<br />

20 nach Sechs, als er seine schweren Augenlider zum erstenmal anhob. Wie <strong>von</strong> einer Tarantel<br />

gestochen sprang er aus dem Bett, zog rasch <strong>die</strong> Hose über, setzte sich aufs Bett, schlüpfte im<br />

Sitzen in <strong>die</strong> Schuhe, bückte sich, um <strong>die</strong> Schuhe verschnüren zu können <strong>und</strong> fiel mit dem<br />

Geist dabei in eine andere Dimension, eine andere Zeit - nur so kann <strong>und</strong> konnte er <strong>die</strong>sen<br />

plötzlichen Zustand erklären. Es war, als wäre sein Geist aus dem Körper gestiegen <strong>und</strong> hätte<br />

in eine andere Dimension gewechselt, um das folgende Schauspiel emotions- <strong>und</strong> gefühllos<br />

verfolgen zu dürfen: Da stand ein offener Naturholzsarg im Freien auf dem Boden. Er selbst<br />

lag, friedlich aufgebahrt, darin. Seine Eltern standen dabei <strong>und</strong> sprachen betroffen miteinander,<br />

während sie ab <strong>und</strong> zu einen Blick auf seinen toten Körper warfen. „Blödsinn!“, sagte er, rieb<br />

seine Augen <strong>und</strong> eilte zur Tankstelle.<br />

Während der Arbeit dachte er unentwegt an <strong>die</strong>ses merkwürdige Erlebnis <strong>und</strong> kam - nachdem<br />

er auch <strong>die</strong> Erfahrungen mit Monika integriert hatte - zu dem Schluß, das er nun selbst so eine<br />

Art Warnung, oder besser, außersinnliche Wahrnehmung erlebt hatte. Er war sich ganz sicher,<br />

daß das nächste Unheil schon an <strong>die</strong> Tür klopfte. Nur sprechen? Mit jemandem darüber<br />

sprechen, das wäre zu viel verlangt gewesen, man hätte ihn für verrückt gehalten.<br />

Am zweiten Samstag im September, also genau eine Woche später, war es dann soweit. Er<br />

hatte <strong>die</strong>nstfrei, fuhr aber gegen 10 Uhr um Zigaretten zur Tankstelle. „Du sollst bei deinen<br />

Eltern anrufen, dein Bruder ist angeblich verunglückt!“, sagte der Tankwart. Hans nahm <strong>die</strong>se<br />

Nachricht entgegen, als hätte er nur noch darauf gewartet, so, als wäre nichts Besonderes<br />

geschehen. „Ja, Heinzi ist heute nacht mit dem Moped verunglückt. Vater hat ihn heute gegen<br />

halb sieben im Straßengraben gef<strong>und</strong>en!“, bestätigte seine Mutter am Telefon <strong>und</strong> begann<br />

fürchterlich zu schluchzen.<br />

Nach dem Telefonat mit Mutter rief Hans sofort in der „Stadt des Kindes“ an. „Du, mach dich<br />

fertig, wir fahren heute nach Kärnten!“ „Warum, was willst denn plötzlich dort?“, entgegnete<br />

Evelyn erstaunt. „Ach nichts, mein Bruder ist gestorben. Und ich muß runter zu meinen Eltern,<br />

<strong>und</strong> ich dachte, wenn du willst, kannst du mitfahren!“ „Bei dir piepst es wohl, oder meinst du<br />

das ernst, mit deinem Bruder?“ „Ja, in einer halben St<strong>und</strong>e bin ich bei dir!“<br />

„Hansi, du bist verrückt! Jetzt, wo dein Bruder tödlich verunglückt ist, kann ich nicht<br />

mitfahren!“, sagte sie bestürzt, nachdem er vor dem Heimeingang in Wien-Hadersdorf<br />

angehalten hatte. „Ach komm, bist meine Fre<strong>und</strong>in oder nicht?“ „Ja, aber. . .“<br />

Es war ein schöner Spätsommertag. Gegen 15 Uhr kamen sie in Föndach an. Hans war durch<br />

<strong>die</strong> andauernden Vorwürfe <strong>von</strong> Evelyn während der Fahrt selbst verunsichert worden. Doch<br />

was soll es, dachte er, wir sind doch nicht im Mittelalter, außerdem ist sie meine Fre<strong>und</strong>in.<br />

Hans <strong>und</strong> Evelyn betraten beklommen <strong>die</strong> Wohnküche. Sie wurden verdutzt <strong>und</strong> ungeniert <strong>von</strong><br />

seinen Eltern sowie den Trauergästen angestarrt. „Guten Tag!“, grüßte Hans fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong><br />

ärgerte sich im selben Atemzug über <strong>die</strong> miesen Gesichtszüge, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Trauergäste zogen,<br />

obgleich manche <strong>von</strong> ihnen zum erstenmal <strong>die</strong>se Wohnküche sahen. So ist es, jetzt spielen sie<br />

<strong>die</strong> Geschockten, um anschließend gleich genüßlich fressen <strong>und</strong> saufen zu können. <strong>Die</strong> ganze<br />

Menschheit ist zum Kotzen. „Mutter, mein Beileid!“, sagte er <strong>und</strong> stellte ihr sogleich auch<br />

Evelyn vor. Vater gab sich dabei <strong>von</strong> der unguten Seite, er nahm <strong>die</strong> Beileidwünsche <strong>von</strong> Hans<br />

<strong>und</strong> Evelyn so trocken entgegen, als wäre es ihm äußerst peinlich. <strong>Die</strong>se gespannte <strong>und</strong><br />

vergiftete Atmosphäre blieb Evelyn natürlich nicht verborgen. „Bring mich zum Bahnhof, ich<br />

fahre zurück nach Wien!“, flüsterte sie in einem günstigen Augenblick zu Hans. „Nein, Evelyn,<br />

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wir werden das Kind schon schaukeln!“, entgegnete er. Doch <strong>die</strong>ses Problem sollte sich noch<br />

sehr schnell lösen, denn <strong>die</strong> Psychologie hatte schon ihre Eigendynamik bekommen.<br />

„Übermorgen wird Heinzi verabschiedet, <strong>und</strong> in sechs Wochen wird er im Klagenfurter<br />

Zentralfriedhof beigesetzt!“, sagte Mutter. „Heißt das, daß er zwei Begräbnisse hat?“, fragte<br />

Hans erstaunt. „Ja!“ „Aber wieso, jedem anderen Menschen steht doch auch nur eines zu!“<br />

„Bei der Feuerbestattung ist das eben so. Zuerst <strong>die</strong> Verabschiedung, dann wird der Leichnam<br />

zum nächsten Krematorium überführt <strong>und</strong> nach einigen Wochen, wenn vorher kein Termin frei<br />

ist, eingeäschert. Erst danach kommt <strong>die</strong> Beisetzung der Urne!“ Monika hatte nur ein<br />

Begräbnis gehabt, jeder andere Mensch hatte nur ein Begräbnis. Außerdem <strong>die</strong>se blöden<br />

Gesichter anschauen müssen, nein, das mache ich nicht mit. „Ich werde nur an der Beisetzung<br />

teilnehmen!“ „Aber, wieso, Hansi?“, meinte Mutter bestürzt. Vater <strong>und</strong> <strong>die</strong> Trauergäste zogen<br />

grimmige Gesichtsfalten. „Das ist doch dein Bruder!“ „Na <strong>und</strong>, deshalb steht ihm auch nur ein<br />

Begräbnis zu!“ „Du kannst nichts als saufen <strong>und</strong> huren!“, schrie plötzlich Vater. Evelyn traf<br />

<strong>die</strong>se Aussage sehr, hilflos hatte sie <strong>die</strong>sen Auseinandersetzungen vor den Trauergästen folgen<br />

müssen. Hans wußte, daß sein Verhalten nicht den scheinheiligen Anstandsregeln entsprach,<br />

doch Vater war ihm jetzt einfach zu weit gegangen. „Evelyn, komm, wir fahren!“ Danach<br />

wandte er sich noch schnell zu Vater, der ihn verdutzt ansah. „Das laß ich mir <strong>von</strong> dir nicht<br />

gefallen!“, sagte er ruhig, doch voller Haß. Hansi <strong>und</strong> Evelyn verließen fluchtartig das Haus.<br />

„Hansi, Hansi, das kannst du nicht machen!“, rief Mutter, <strong>die</strong> ihnen gefolgt war. „Und ob,<br />

Mutter!“ Er öffnete dabei <strong>die</strong> Beifahrertür, Evelyn stieg ein. „Ich habe mich mit <strong>die</strong>sem Tyrann<br />

ein Leben lang quälen müssen, doch jetzt ist es aus!“ „Kommst wenigstens zur Beisetzung in<br />

sechs Wochen?“, fragte Mutter tief betroffen. „Ja, wenn du mich telefonisch oder schriftlich<br />

verständigst!“ „Ja, Hansi, wenn ich den genauen Termin habe, werde ich dich anrufen!“ „Hansi,<br />

bitte bleib hier!“, rief plötzlich Vater, er war ihnen nachgekommen. „Nein!“, entgegnete Hans<br />

haßerfüllt <strong>und</strong> ging. Er fuhr noch zur Leichenhalle im Ort, nahm im stillen kurz Abschied <strong>von</strong><br />

seinem Bruder <strong>und</strong> fuhr ab, in Richtung Wien.<br />

*<br />

D e r E i n b e ru f u n g s b e f e h l<br />

Am Montag, in der dritten Septemberwoche, bekam Hans den Einberufungsbefehl fürs<br />

B<strong>und</strong>esheer. Nicht nur das, sondern auch <strong>die</strong> Beziehung zu Evelyn steckte seit dem Tod seines<br />

Bruders in einer tiefen Krise. Es war zwischen den beiden zu heftigen Diskussionen<br />

gekommen, <strong>und</strong> dabei hatte Hans bemerkt, daß Evelyn zwar ein hübsches Mädel, aber nicht <strong>die</strong><br />

Liebe für ihn war. Er hatte <strong>die</strong> Beziehung zu ihr, unbewußt, nur auf fre<strong>und</strong>schaftlicher Basis<br />

aufgebaut. Mit Liebe oder Ängsten, sie zu verlieren, war er nicht behaftet. Nun, sein Intellekt<br />

verriet ihm, daß Monika dazwischen stand. Das Gebälk seines Gemüts war seit ihrem Tode tief<br />

erschüttert worden. Er war einfach nicht in der Lage, jetzt schon einem Menschen seine große<br />

Zuneigung zu geben. <strong>Die</strong>se Erkenntnis teilte er Evelyn in einem vernünftigen Gespräch mit.<br />

Anfangs fand sie sich damit ab <strong>und</strong> tat so, als wär es ihr egal.<br />

Am darauffolgenden Mittwoch ersuchte sie ihn im „Trojanischen Pferd“, einem Gasthaus in der<br />

Nähe des Wolfersberges, sie ins Heim zu fahren. Und als er in Hadersdorf, vor dem<br />

Haupteingang des Heimes anhielt, sagte sie, mit den Nerven sichtlich am Ende: „Nein, bleib<br />

nicht stehen, fahr weiter!“ Hans fuhr weiter <strong>und</strong> hielt einige Häuser später an. „Hansi, ich geh<br />

nicht mehr zurück, nein, ich habe genug!“, meinte sie verzweifelt. „Bist du verrückt, wo willst<br />

denn hin?“, entgegnete er überrascht. „Ist mir egal, ich gehe nicht mehr zurück!“ „Und zu mir<br />

kannst auch nicht, deine Fre<strong>und</strong>innen wissen doch, wo ich wohne!“ „Nein, <strong>die</strong> wissen es nicht!“<br />

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„Willst du deine Lehre aufgeben? Willst du als Hilfsarbeiterin durch das Leben gehen?“ So<br />

sprach er beruhigend auf sie ein. Sie begann zu weinen: „Ich will weg aus <strong>die</strong>sem Gefängnis!“<br />

„Aber Evelyn, <strong>die</strong> machen eine Anzeige, wenn du heute nicht erscheinst!“ „Das ist mir egal, ich<br />

gehe nicht zurück!“ „Ja, dann werden sie zu mir kommen, <strong>und</strong> ich habe dann eine Vorstrafe<br />

wegen Entführung Minderjähriger!“ „Wenn du mich nicht mitnimmst, gehe ich woanders hin,<br />

mir ist schon alles egal!“ Sie schluchzte, <strong>und</strong> Hans fühlte ihr seelisches Tief. „Evelyn, was willst<br />

du, du kannst nicht einmal arbeiten gehen, du bist rechtlos, wenn du nicht zurückgehst!“ Er<br />

wollte sie <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem sinnlosen Vorhaben abhalten. „Nein, ich gehe nicht mehr zurück. Zehn<br />

Jahre im Heim sind genug, ich will auch einmal frei sein, so wie <strong>die</strong> anderen Mädchen. Nicht<br />

immer nur den Anordnungen Folge leisten müssen!“ „Ach was, andere Mädchen müssen das<br />

auch bei ihren Eltern befolgen, außerdem, <strong>die</strong> zwei Jahre wirst doch noch durchstehen!“ „Nein,<br />

nein <strong>und</strong> wenn du mich nicht mitnimmst, gehe ich unter den Zug!“, meinte sie nun, zu allem<br />

entschlossen. „Aber ich muß im Oktober zum Heer <strong>und</strong> meine Unterkunft auflösen. Was willst<br />

denn dann machen?“ „Ich werde mich schon irgendwie durchbringen, ich mache das schon!“,<br />

gab sie selbstsicher <strong>von</strong> sich. Hans startete den Motor <strong>und</strong> fuhr los.<br />

Gegen 23 Uhr, <strong>die</strong> beiden schliefen schon fest <strong>und</strong> tief in seinem Pensionszimmer, plötzlich<br />

wachten sie auf. „Aufmachen, Polizei!“, schrie jemand am Gang <strong>und</strong> klopfte wie verrückt an<br />

<strong>die</strong> Zimmertüren. <strong>Die</strong> beiden erstarrten vor Schreck in dem Einzelbett. So was Blödes, jetzt hat<br />

uns jemand verpfiffen, dachte Hans. Was machen wir jetzt bloß? Aus dem Fenster kann sie<br />

nicht, der dritte Stock ist doch etwas zu hoch! Er sah zum Kasten, auch den werden sie<br />

durchsuchen. „Los, aufmachen, Polizei!“, schrie schon wieder jemand <strong>und</strong> klopfte ungeduldig<br />

an <strong>die</strong> Zimmertür, während aus dem Hintergr<strong>und</strong> das Gemurre der arabischen<br />

Zeitungskolporteure zu vernehmen war. Evelyn lag noch immer starr vor Schreck im Bett.<br />

Hans stand jetzt nur mit einer Hose bekleidet vor der Tür, sollte er öffnen? „Aufmachen, haben<br />

Sie nicht gehört!“ Und während danach das Gepolter auf <strong>die</strong> arme Tür folgte, kam der<br />

erlösende Satz: „Nein, das ist ein Inländer, ich habe den Meldezettel unten!“, hörten sie den<br />

Hausherrn sagen. „So, das gibt es da auch?“, meinte der Polizist hörbar befriedigt. Hans fiel ein<br />

Stein vom Herzen, um ein Haar hätten sie Evelyn noch am selben Tag erwischt.<br />

1 9 7 7 : O kt o b e r<br />

M I L I T Ä R ZE I T K E I N H O N I G L E C K E N<br />

Anfang Oktober begann im niederösterreichischen Langenlebarn Hans’ Wehr<strong>die</strong>nst. <strong>Die</strong> Zeit<br />

war angebrochen, wo er seine mühsam aufgebaute Existenz, <strong>die</strong> er nach dem Tode <strong>von</strong> Monika<br />

verludern hatte lassen, bis aufs letzte aufgeben mußte, sogar den Meldezettel mußte er <strong>von</strong> der<br />

Amalienstraße auf den Fliegerhorst in LALE umschreiben, er hatte ja seinen Wohnsitz<br />

verloren. Das Pensionszimmer aufgeben, das Auto verkaufen war ja noch das Wenigste.<br />

Evelyn „durfte“ als U-Boot im „Trojanischen Pferd“ arbeiten <strong>und</strong> leben, wenigstens ein<br />

Lichtblick!<br />

Ende Oktober, erst einige Wochen den militärischen Drill auf dem Buckel, hatte er <strong>die</strong>ses<br />

Leben schon ordentlich satt. Es schien ihm, als käme es den meisten Vorgesetzten nur darauf<br />

an, den jungen Soldaten kräftig in den Arsch zu treten <strong>und</strong> vor allem Stolz <strong>und</strong> Willen zu<br />

brechen, ihn zu einem reinen Befehlsempfänger umzuprogrammieren, der nicht denken darf.<br />

Eigentlich nichts anderes als ein H<strong>und</strong>eabrichteplatz für Menschen. Besonders schlimm war es<br />

für Hans, <strong>die</strong>se Behandlung oft <strong>von</strong> Menschen hinnehmen zu müssen, <strong>die</strong> im Zivilleben nicht<br />

einmal zum Kartoffelklauben geeignet gewesen wären, da ihnen dazu sicher <strong>die</strong> geistige Reife<br />

fehlte, <strong>und</strong> <strong>die</strong> nebenbei noch zuhause bei Mama lebten.<br />

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Das militärisch karge Dasein hatte Hans sicher nicht betroffen gemacht, im Gegenteil, hier gab<br />

es zu essen <strong>und</strong> zu trinken, außerdem Taggeld, das für ein Bier <strong>und</strong> eine Schachtel Zigaretten<br />

täglich reichte. Im Gr<strong>und</strong>e das Para<strong>die</strong>s gegen <strong>die</strong> harte Schule, <strong>die</strong> er schon durchschritten<br />

hatte. Nur in der Soldatenkneipe begann er öfter ganz fürchterlich zu grübeln. Wenn sich seine<br />

Kameraden sinnlos besoffen, er daneben auf dem Trockenen saß <strong>und</strong> <strong>die</strong> Musikbox andauernd<br />

Lovehits ausspie, spürte er tiefe Todessehnsucht, so, als ob der Instinkt ihm andauernd<br />

einredete, geh doch rüber zu Monika, du willst doch, oder? Doch da war ein Strohhalm,<br />

Monika hatte doch alles vorausgesagt! Sie hat doch auch gesagt, ich könnte sie besuchen, aber<br />

man wird mich hindern! Dazwischen sein hilfloses Ich, das oft auf der Toilette saß <strong>und</strong> heillos<br />

schluchzte.<br />

Beim ersten Scharfschießen hatte er sich fest vorgenommen, seinem Leben ein Ende zu<br />

bereiten. Der Gr<strong>und</strong>: er konnte <strong>und</strong> wollte sich selbst nicht verzeihen, wie grausam <strong>und</strong> brutal<br />

er gegen seine große Liebe vorgegangen war. Er hätte, wenn ihm das Schicksal nochmals <strong>die</strong><br />

Chance gegeben hätte, sein Leben für einige wenige Worte mit ihr liebend gern eingetauscht.<br />

Keiner seiner Vorgesetzten noch seiner Kameraden ahnte, mit welchen negativen Gedanken<br />

Hans sein Sturmgewehr mit scharfen Patronen lud. „<strong>Beschulnig</strong>, Stand zwei!“, schrie der<br />

Zugsführer. Hans eilte mit seiner Soldatenbraut zu Stand zwei <strong>und</strong> stellte den kleinen Hebel auf<br />

Dauerfeuer. So, jetzt blas ich mir das Hirn aus dem verdammten Schädel! Aber bin ich nicht<br />

feige <strong>und</strong> will vor mir selbst flüchten, dachte er. „<strong>Beschulnig</strong>, Feuer frei!“ Er ließ den<br />

Gedanken im letzten Moment fallen <strong>und</strong> feuerte mit Einzelschuß auf Stand zwei.<br />

Während der Rückfahrt in <strong>die</strong> Kaserne dachte er nach. War es Feigheit, oder war es Vernunft?<br />

Seine Kameraden merkten nichts <strong>von</strong> seiner seelischen Qual.<br />

*<br />

1 9 7 7 : N o v e m b e r I I I . W o c h e , d a s A u s m i t E v e ly n<br />

Nach der Gr<strong>und</strong>ausbildung wurde Hans der 1. Hubschrauber-Staffel zugeteilt. Was ihm<br />

natürlich das Militär in einem wesentlich günstigeren Licht erscheinen ließ. Der militärische<br />

Alltag war nun nicht mehr <strong>von</strong> geistloser Leere <strong>und</strong> Idioten geprägt, nein, jetzt konnte er noch<br />

einiges lernen.<br />

Zwar hatte er den Beruf des Automechanikers erlernt, doch <strong>die</strong> Technik in der Flugzeug- bzw<br />

Hubschrauberbranche war doch etwas Neues. Daß so ein relativ kleines Turbinentriebwerk<br />

1200 bis 1800 Pferdestärken leisten konnte <strong>und</strong> dabei nicht viel größer, aber leichter war als so<br />

mancher Pkw-Motor, war für ihn schon eine hochinteressante Sache. Außerdem <strong>die</strong> peniblen<br />

Checks, nach jedem Flug wurde <strong>die</strong> Maschine auf Risse untersucht. <strong>Die</strong>se Aufgaben gaben<br />

dem kleinen Soldaten das Gefühl, im großen Getriebe gebraucht zu werden.<br />

Jetzt konnte er nach <strong>Die</strong>nst, 17 Uhr, bis zum Zapfenstreich, 0.00 Uhr, <strong>die</strong> Kaserne verlassen,<br />

was er anfangs auch kräftig ausnützte. Evelyn lebte noch immer als U-Boot im „Trojanischen<br />

Pferd“ <strong>und</strong> half bei der Arbeit unentgeltlich mit. Ab <strong>und</strong> zu schob sie ihm einige H<strong>und</strong>erter zu,<br />

<strong>und</strong> wenn er sie fragte, woher sie <strong>die</strong>ses Geld hätte, antwortete sie: „Vergiß es, Hansi, nimm<br />

nur, du brauchst es!“ Seltsamerweise wurden <strong>die</strong>se Beträge <strong>von</strong> Tag zu Tag höher. Mit dem<br />

Trinkgeld allein war <strong>die</strong>ser Geldfluß für ihn nicht mehr zu erklären.<br />

An einem <strong>Die</strong>nstagmittag, er stand in der langen Schlange vor der Kasernenküche, um Essen<br />

auszufassen, dabei machte er sich bei dem schon gewohnten Trott wieder so seine Gedanken,<br />

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plötzlich hatte er <strong>die</strong> Antwort: Sie verkauft sich, sie geht auf den Strich! Bei <strong>die</strong>ser Erkenntnis<br />

wäre ihm beinahe der Blechnapf auf den Boden gefallen.<br />

Noch am selben Abend fuhr er zum „Trojanischen Pferd“ im 14. Bezirk. Rudi <strong>und</strong> Harald<br />

saßen am ersten Tisch neben der Bar bei einem gemütlichen Poker, als Hans das Lokal betrat.<br />

„Hey, General!“, rief Harald, seine Marlboro winkte dabei lässig aus dem M<strong>und</strong>winkel. Rudi<br />

nickte fre<strong>und</strong>lich, obgleich sein Blick nicht <strong>von</strong> den Karten wich. „Wo ist Evelyn?“, fragte<br />

Hans <strong>und</strong> ging zur Bar. „Sie ist spazieren, wie üblich!“, meinte Rudi, ohne dabei mit den<br />

Wimpern zu zucken. „Tja, so kann man es auch nennen!“, sagte Hans <strong>und</strong> warf ihnen einen<br />

verächtlichen Blick zu. Harald grinste schadenfroh. „Ein Cola!“ „Aber was hast denn?“, fragte<br />

Rudi <strong>und</strong> gab sich erstaunt. „Sie tut es doch nicht für uns. Bis jetzt hast noch immer dein Geld<br />

bekommen <strong>und</strong> genommen!“, meinte wiederum Harald vorwurfsvoll. Hans trank einen Schluck<br />

vom Cola, wie recht sie doch haben, dachte er. Außerdem ist sie ja auch nicht meine große<br />

Liebe. Aber sie schamlos ausnützen, das werde ich nicht tun, auch wenn ich danach finanziell<br />

ins Bodenlose fallen sollte. Ich muß sie aus dem Nest der Charakterlosen vertreiben, Evelyn<br />

darf ihr Leben nicht den Hyänen schenken. „Aber bitte, sie gehört euch!“, sagte er ruhig <strong>und</strong><br />

setzte sich auf den Barhocker, sah teils gelangweilt, teils verärgert zum Fenster. „Hanse, wir<br />

haben damit wirklich nichts zu tun!“, sagte Rudi mit gut gespielter Unschuldsmiene. „Okay,<br />

okay aber laß mich jetzt in Ruhe!“ <strong>Die</strong> Musikbox spielte einen Elvis, aus dem Nebenraum kam<br />

das typische Klicken der Billardkugeln. Gleich danach kam Evelyn mit ihrem glückseligen<br />

Lächeln ins Lokal. „Da schau her, haben’s dich wieder ausgelassen!“, sagte sie fre<strong>und</strong>lich zu<br />

Hans. „Wo warst du jetzt?“, fragte er, nicht so fre<strong>und</strong>lich. „Wieso, warum? Was hast denn<br />

heute, ist dir was über <strong>die</strong> Leber gelaufen?“, entgegnete sie belustigt. „Ist doch egal, ich<br />

möchte jedenfalls nichts mehr mit dir zu tun haben!“, sagte er mit zornigem Blick. „So, ist ja<br />

ganz was Neues!“ Sie sah ihn dabei kokett an. „Und warum?“ „Weil ich weiß, <strong>von</strong> welchem<br />

Geld ich <strong>die</strong> ganze Zeit über lebe!“ Evelyn sah ihn ernst an, nickte dreimal kurz <strong>und</strong> sah zu<br />

Boden. „So, seit wann weißt du es?“ „Seit heute!“ „Und <strong>von</strong> wem?“ „Von mir selbst! Jeder hat<br />

es gewußt, nur ich nicht. Aber jetzt ist es aus mit dem Affentheater!“ Evelyn sah ihn fragend<br />

<strong>und</strong> zugleich betroffen an. Es schien, als müßte sie selbst mit <strong>die</strong>sem Problem kämpfen. Seine<br />

<strong>und</strong> ihre Gedanken rasten wie irr. „Mußt du wieder in <strong>die</strong> Kaserne?“, fragte sie tonlos, um das<br />

betretene Schweigen zu unterbrechen. „Ja, Scheiß Verein!“, entgegnete er leise. Sie hat es<br />

getan, dachte er verstört, weil sie mich gut leiden kann, ja vielleicht sogar liebt! Aber ich darf<br />

sie jetzt nicht abrutschen lassen, das bin ich ihr schuldig! „Was ist jetzt mit uns beiden?“, fragte<br />

sie kaum hörbar. „Ich denke, es wäre für uns beide gut, wenn wir uns trennen!“ „Aber wieso?“<br />

„Weil ich finde, du solltest dein U-Boot-Leben aufgeben <strong>und</strong> dich bei deiner Schwester<br />

melden!“<br />

Evelyn widersetzte sich dem nicht. Am Wochenende begleitete er sie bis zum Wohnhaus ihrer<br />

älteren Schwester im 5. Bezirk. „Sehen wir uns wieder?“, sagte Evelyn noch. „Wenn du<br />

willst!“, antwortete er. Gesehen hat er sie seit damals nie wieder, doch gedacht, gedacht hat er<br />

noch oft an sie.<br />

*<br />

W i e ko m m ' i c h a u s d e m M i n u s ?<br />

Nach der Trennung <strong>von</strong> Evelyn ging es mit ihm finanziell im Eiltempo bergab. <strong>Die</strong> wenigen<br />

Getränke im „Trojanischen Pferd“ zum Wochenende mußte er anschreiben lassen. Und Anfang<br />

Dezember hatte er auch noch bei so manchen seiner Kameraden in der Kaserne Schulden. So<br />

konnte <strong>und</strong> durfte es nicht weitergehen. Er strengte seine Windungen an, dabei kamen ihm<br />

auch Rudi <strong>und</strong> Harald in den Sinn. <strong>Die</strong> beiden waren schon längere Zeit arbeitslos, <strong>und</strong> doch<br />

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schien der Geldstrom nicht zu versiegen. Er hatte schon vor, ihrer Geldquelle auf <strong>die</strong> Spur zu<br />

kommen, doch das Schicksal oder der Zufall waren schneller.<br />

Es war am Samstag in der zweiten Dezemberwoche. Hans war im „Trojanischen Pferd“. Gegen<br />

Mitternacht suchte er <strong>die</strong> Toilette auf. Rudi war ihm gefolgt. „Du, ich muß dich sprechen!“,<br />

meinte Rudi vom Nachbarpissoir. „Na, so wichtig!“ „Naja, aber. . .“ „Na, was?“ „Ich denke, du<br />

bist finanziell in prekärer Lage!“ „Ja, das denke ich auch!“, entgegnete Hans belustigt grinsend.<br />

„Gut, dann will ich gleich zur Sache kommen. Ich kenne einen Warmen, <strong>und</strong> der steht auf<br />

dich!“ Schon wieder ein Homosexueller, dachte Hans. „So, <strong>und</strong> was soll ich bei dem machen?“,<br />

entgegnete er nicht sonderlich überrascht. „Nichts weiter, er möchte dich nur zum Essen<br />

einladen!“ „Und was schaut dabei raus?“, fragte Hans, eigentlich schon ganz professionell.<br />

„Versuch es, du wirst es nicht bereuen!“, war <strong>die</strong> vielversprechende Antwort. Hans nahm das<br />

Angebot an, schließlich wußte er doch, daß Homosexuelle im Gr<strong>und</strong>e keine Untiere sind,<br />

außerdem hatte er mit seinen 20 Lenzen schon so einiges an Erfahrung gesammelt.<br />

Eine Woche später, Sonntag. Rudi hatte für 18 Uhr ein Treffen bei <strong>Johann</strong> in der Nähe des<br />

Baumgartner Spitzes im 14. Bezirk organisiert. Hans staunte nicht schlecht, als er <strong>die</strong> große,<br />

komfortable Wohnung betrat. Vom Klavier bis zur Sauna war da einfach alles vorhanden. Der<br />

Empfang für <strong>die</strong> beiden war herzlich, <strong>und</strong> überhaupt, Hans wurde den Eindruck nicht los, als<br />

hätten alle schon auf ihn, den „noblen“ Besuch, gewartet.<br />

„Alle“, das waren <strong>Johann</strong>, etwa 40 Jahre alt, schlank, vom Typ her sah er Elvis zum<br />

Verwechseln ähnlich, Hausherr <strong>und</strong> Inhaber einiger Greißlerläden; Werner, 32, ein schlanker,<br />

blonder Mann, um den sich <strong>die</strong> Mädels sicher gerissen hätten, außerdem war er Werkmeister in<br />

einem Staatsbetrieb; Andreas, 25, auch, wie <strong>die</strong> beiden anderen, etwa 1.80 Meter groß,<br />

schlank, dunkelbraunes, langes Haar, sein Augenaufschlag erinnerte an eine<br />

Haschischzigarette, er war Musikstudent <strong>und</strong> wurde <strong>von</strong> <strong>Johann</strong> finanziert. <strong>Die</strong> drei bildeten<br />

eine Kommune, bei der großen Wohnung <strong>und</strong> derselben sexuellen Veranlagung sicher kein<br />

allzu großes Problem. Der vierte Herr war ein Herr Hofrat a. D., der auch zu Besuch war. Er<br />

war über eine interne, staatliche Intrige in den vorzeitigen Ruhestand gestolpert, 1.95 groß,<br />

schlank <strong>und</strong> volles, graues Haar.<br />

Nach der Begrüßung nahm man im Wohnzimmer Platz. Übrigens, Rudi fühlte sich schon wie<br />

zuhause. „Was wünschen <strong>die</strong> Herrn zu trinken?“, fragte <strong>Johann</strong> genauso höflich, wie man es<br />

<strong>von</strong> einem fre<strong>und</strong>lichen Gastgeber erwartet. „Bring mir ein Bier, du Tante!“, sagte Rudi,<br />

wandte sich zu Hans <strong>und</strong> grinste belustigt. „Und du, Hansi?“ „Auch ein Bier, bitte!“ Andreas<br />

servierte <strong>die</strong> Getränke wie ein stummer <strong>Die</strong>ner, während <strong>Johann</strong> das Abendessen zubereitete.<br />

Hans warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Hast Angst, du könntest zu spät in <strong>die</strong> Kaserne<br />

kommen, was?“, fragte der Hofrat lächelnd. „Nein, es ist nur so eine dumme Angewohnheit<br />

<strong>von</strong> mir!“ Rudi hat <strong>die</strong> Herrschaften schon ganz gut informiert, dachte er.<br />

Eine halbe St<strong>und</strong>e später, man hatte sich gegenseitig durch Gespräche vorsichtig gecheckt,<br />

läutete <strong>Johann</strong> <strong>und</strong> bat ins Speisezimmer. <strong>Die</strong> Aufmachung des Speisraums, <strong>die</strong> Zubereitung<br />

der Speisen <strong>und</strong> der Ablauf des anscheinend genau nach noblen Regeln eingehaltenen<br />

Serviervorganges lähmten Hans förmlich. Vorsichtig <strong>und</strong> unauffällig spähte er zu seinen<br />

Sitznachbarn, um seinen Bauern nicht zu verraten. Rudi hingegen fühlte sich wie im alten Rom.<br />

Er hatte schon „sein“ drittes Bier mitgenommen, <strong>und</strong> ab <strong>und</strong> zu überkam ihn auch ein saftiger<br />

Rülpser.<br />

Gegen 22 Uhr verabschiedete sich Hans, er mußte in <strong>die</strong> Kaserne. <strong>Johann</strong> begleitete ihn raus,<br />

während Rudi blieb, um zur Feier des Tages noch kräftig zuzulangen. „Darf ich dich zur<br />

Weichnachtsfeier erwarten?“ „Wenn ich <strong>die</strong>nstfrei hab, ja!“, entgegnete Hans zurückhaltend.<br />

„Du mußt wissen, du bist bei uns immer gern gesehener Gast!“ Das glaub ich, dachte Hans, mit<br />

einem verschmitzten Lächeln. „Ach warte, ich hatte schon vergessen, daß du beim Militär<br />

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bist!“ <strong>Johann</strong> griff in <strong>die</strong> Hosentasche <strong>und</strong> holte einen Tausender hervor. „Aber, das, wofür?“,<br />

stotterte Hans <strong>und</strong> sah <strong>Johann</strong> verdutzt an. „Nimm nur, du kannst es brauchen!“ Gut gelaunt<br />

fuhr Hans in <strong>die</strong> Kaserne. Endlich konnte er <strong>die</strong> schon fälligen Schulden bei seinen Kameraden<br />

begleichen.<br />

In der vierten, der Weihnachtswoche, kam auch noch ein Brief <strong>von</strong> seiner Mutter in <strong>die</strong><br />

Kaserne. Hastig <strong>und</strong> erwartungsvoll öffnete er <strong>die</strong>sen, weil er seit dem Tode seines 16jährigen<br />

Bruders <strong>von</strong> zuhause nichts mehr gehört hatte. Darin waren drei H<strong>und</strong>erter <strong>und</strong> ein kurzes<br />

Schreiben: „Lieber Hansi! Du kennst meine finanzielle Situation, mehr kann ich Dir nicht<br />

geben. Über <strong>die</strong> Beisetzung <strong>von</strong> Heinzi habe ich Dich absichtlich nicht informiert, denn Deine<br />

<strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>e aus Föndach hatten sich vorgenommen, Dich nach der Beisetzung zu<br />

verprügeln. Ich hoffe, es geht Dir gut, ich wünsche Dir frohe Weihnachten, Mutter.“<br />

Weihnachten feierte er bei <strong>Johann</strong>. Es war eine nette Feier, an der außer Andreas <strong>und</strong> Werner,<br />

<strong>die</strong> ja zum Inventar gehörten, noch einige Herren aus den besten Kreisen teilnahmen.<br />

Und obwohl es viel <strong>und</strong> recht interessanten Gesprächstoff gab, war Hans sehr betrübt. In seine<br />

Gedankenwelt drängte sich jetzt wieder immer stärker Monika. Er dachte oft an sie <strong>und</strong> sehnte<br />

sich so sehr nach ihr, ihrem Lachen, ihren Späßen, mit denen sie so viele erheitern hatte<br />

können. Und jetzt, jetzt gehörte <strong>die</strong>s alles der Vergangenheit an. Wie schön wär es, wenn ich<br />

mich bei ihr entschuldigen könnte, wünschte Hans <strong>und</strong> starrte dabei traurig auf den<br />

w<strong>und</strong>erschönen, großen Weihnachtsbaum. <strong>Die</strong> Gespräche der anderen lösten sich dabei im<br />

Hintergr<strong>und</strong> auf.<br />

Kurz vor Mitternacht, Andreas <strong>und</strong> Werner hatten sich schon zur Ruhe begeben, <strong>die</strong> anderen<br />

waren nach Hause gefahren, saß Hans nur noch mit <strong>Johann</strong> im Wohnzimmer, um zu<br />

diskutieren. „Na, wie hat dir unser Weihnachtsfest gefallen?“, fragte <strong>Johann</strong> interessiert.<br />

„Weihnachten, ja, darüber mache ich mir heuer so meine Gedanken!“ Hans hielt inne, nahm<br />

einen Schluck Whisky. „Für mich sind es traurige Weihnachten!“ „Ja, warum?“, entgegnete<br />

<strong>Johann</strong> überrascht <strong>und</strong> sichtlich enttäuscht. „Nein, du brauchst dir keine Vorwürfe machen, es<br />

liegt an meiner Vergangenheit. Weißt du, ich habe einige schwere Fehler gemacht. Fehler, <strong>die</strong><br />

andere nicht gemacht hätten. Fehler, <strong>die</strong> man niemals <strong>und</strong> mit nichts wieder gutmachen kann!“<br />

„Du tust ja, als hättest du einen Mord begangen!“ <strong>Johann</strong> kicherte dabei mit absichtlich hoher<br />

Stimme auf, ging zur Stereoanlage <strong>und</strong> legte wieder eine LP mit Weihnachtsliedern auf. Hans<br />

erzählte ihm <strong>die</strong> traurige Geschichte mit Monika. <strong>Johann</strong> entpuppte sich dabei als geduldiger,<br />

aber interessierter Zuhörer. „Jetzt werde ich dir was sagen, Hansi! Du denkst <strong>und</strong> glaubst fest,<br />

du seist der Schuldige!“ „Das bin ich auch!“ „Nein, das bist du nicht. Weißt du, als ich dich das<br />

erstemal gesehen hatte, wußte ich, daß wir eines Tages irgendwo zusammen sitzen werden, um<br />

zu diskutieren. Siehst du, das war vorbestimmt!“ <strong>Johann</strong> machte eine Pause, sah andächtig auf<br />

<strong>die</strong> Spitze des schön geschmückten Christbaumes. „Auch deine Fre<strong>und</strong>in war dir bestimmt!“<br />

„Nein, <strong>Johann</strong>, daran glaube ich nicht, das wär zu einfach, so könnte sich jeder seines<br />

Gewissens entledigen!“ „Glaub mir, es gibt eine Bestimmung, ein Schicksal!“, wiederholte<br />

<strong>Johann</strong> ruhig, aber felsenfest überzeugt. „So, <strong>und</strong> was ist dann mit den Mördern <strong>und</strong><br />

Schwerverbrechern, sind <strong>die</strong> auch bestimmt?“ Auf <strong>die</strong>se Frage warf <strong>Johann</strong> seinen<br />

nachdenklichen Blick in das Whiskyglas, bewegte <strong>die</strong>ses so, daß der Whisky darin einen<br />

kleinen Strudel bildete <strong>und</strong> suchte nach einer befriedigenden Antwort. „Wie soll ich es dir am<br />

besten erklären?“ „Siehst du, jetzt sitzt du mit deiner Theorie fest. Verbrecher werden nicht<br />

geboren!“, sagte Hans <strong>und</strong> füllte sein Glas mit Whisky. „Da hast du nicht recht, Hans!“ <strong>Johann</strong><br />

atmete dabei kurz <strong>und</strong> kräftig durch. „Weißt du, am besten kann man Bestimmung, das<br />

Schicksal mit einem Bahnhof, oder besser, mit einer Gleisanlage vergleichen!“ „So, <strong>und</strong> wie<br />

soll das vor sich gehen?“, fragte Hans, wobei er interessiert seine Augenbrauen anhob. „Du<br />

mußt dir einen großen Bahnhof vorstellen. Da gibt es viele Züge, viele Gleise, <strong>und</strong> du stehst<br />

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dort, wie ein Fahrgast. Den ersten Zug, ich meine damit <strong>die</strong> erste Reise, <strong>die</strong> Geburt, können<br />

wir uns nicht selbst aussuchen. Ich meine damit, du kannst dir nicht aussuchen, wo du auf <strong>die</strong><br />

Welt kommst, welche Hautfarbe du hast <strong>und</strong> welchen sozialen Status deine Eltern haben. Ab<br />

dem zweiten Zug wird schon in <strong>die</strong>ser Welt entschieden. Zuerst tragen noch <strong>die</strong> Eltern dazu<br />

bei. Doch mehr <strong>und</strong> mehr geht <strong>die</strong>ser Prozeß auf den heranreifenden Menschen über. Und<br />

schließlich ist es soweit. Man entscheidet selbst oder mit seiner eigenen Familie, welchen Zug<br />

man nimmt. Doch besteigt man ihn, so fährt man auf den Schienen des Schicksals mit all seinen<br />

schönen <strong>und</strong> dunklen Seiten. Natürlich kann man wechseln, umsteigen sozusagen, aber erst auf<br />

dem nächsten Bahnhof!“ <strong>Die</strong>se Theorie war für Hans zwar beeindruckend, aber doch nicht das<br />

Nonplusultra.<br />

Hans wurde jetzt immer öfter Gast bei <strong>Johann</strong>, er schlief auch dort, <strong>und</strong> obwohl er sich dabei<br />

auf kein sexuelles Abenteuer einließ, da er Homosexualität zutiefst verabscheute, hielt man ihn<br />

mit hohem Taschengeld bei Laune, ein Phänomen, das er auch schon in der Szene <strong>von</strong><br />

Klagenfurt erlebt hatte.<br />

*<br />

D u h a s t i n F ö n d a c h A u f e n t h a lt s v e rb o t !<br />

Im Februar war das Hubschraubergeschwader, in welchem Hans seinen Militär<strong>die</strong>nst ab<strong>die</strong>nte,<br />

zusammen mit einem Geschwader aus Hörsching im Raume Klagenfurt-Wörthersee <strong>und</strong><br />

Gurktal im Einsatz. Es war schon ein erhebendes Gefühl, Teile der Heimat, eingedeckt <strong>von</strong><br />

einer weißen Schneedecke, aus der Vogelperspektive betrachten zu dürfen. Übrigens, Hans<br />

flog mit Maschinen der Type Augusta Bell 212, <strong>die</strong> im Vietnamkrieg <strong>von</strong> den USA als<br />

Kampfhubschrauber eingesetzt wurden. Er saß im Overall <strong>und</strong> mit weißem Fliegerhelm im<br />

linken Heck des Hubschraubers. Wenn eine Gruppe Jäger aus einer Klagenfurter Kaserne eilig<br />

an Bord gekommen war, schloß er <strong>die</strong> Schiebetür <strong>und</strong> gab mit dem Wort „Fertig!“, dem<br />

Piloten über Bordfunk sein Okay. Worauf <strong>die</strong> Maschine abhob, um im Tiefflug ins<br />

Einsatzgebiet zu gelangen, wo <strong>die</strong> Jäger aus der in ca. einem Meter Höhe befindlichen<br />

Maschine sprangen. Dabei war es auch wichtig, darauf zu achten, daß <strong>die</strong> jungen Jäger wegen<br />

ihres Übereifers mit zu rascher Gewichtsverlagerung <strong>die</strong> Maschine nicht zum Absturz brachten.<br />

<strong>Die</strong> Maschine hob an ihrem ersten Einsatztag schon zum zehnten oder elften Mal ab. Hans sah<br />

gelangweilt zum Fenster hinaus. Plötzlich schrie der Soldat, der ihm gegenüber auf dem Boden<br />

saß, „Hanse, Hanse!“ Hans sah ihn an, doch wegen des Stahlhelms konnte er ihn nicht<br />

erkennen. Das bemerkte der Jäger <strong>und</strong> nahm seinen Helm kurz ab. „Fritz! Ja sag, was machst<br />

denn du da?“, sagte er jetzt vollkommen überrascht. „Na, hast mich fast nicht erkannt, was,<br />

Hanse!“ „Ja, aber nur fast!“, entgegnete Hans begeistert lächelnd. Doch das Einsatzgebiet war<br />

schon erreicht, der Hubschrauber senkte sich in <strong>die</strong> optimale Position. „So, ihr müßt jetzt raus,<br />

aber langsam <strong>und</strong> einer nach dem andern. Wir sehen uns ja noch!“ „Klar, Hanse!“, meinte Fritz<br />

erfreut <strong>und</strong> setzte sich den Stahlhelm auf. „Es geht los!“, kam es über Bordfunk. Hans öffnete<br />

<strong>die</strong> Schiebetür, worauf einer nach dem anderen aus der Maschine sprang. „Abflugfertig!“, sagte<br />

Hans. <strong>Die</strong> Maschine hob an, während Hans <strong>die</strong> Tür schloß <strong>und</strong> der Hubschrauber danach im<br />

eleganten Tiefflug hinter der nächsten Hügelkette verschwand.<br />

Das war vielleicht ein tolles Erlebnis. Es hatten etwa 30 Hubschrauber an <strong>die</strong>sem Einsatz<br />

teilgenommen, <strong>und</strong> ausgerechnet in <strong>die</strong> Maschine, in der Hans den Abfertiger spielte, war Fritz,<br />

sein alter Fre<strong>und</strong> aus Föndach, gestiegen.<br />

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In der Feldküche kamen <strong>die</strong> beiden nochmals zusammen, dabei sprach ihn Hans auch wegen<br />

der Beisetzung <strong>von</strong> Heinzi an. „Was habe ich gehört, ihr hättet mich geprügelt, wenn ich an der<br />

Beisetzung meines Bruders teilgenommen hätte?“, sagte Hans, nach einem längeren<br />

Begrüßungsgespräch. „Ja, der Heino <strong>und</strong> viele andere sind ganz schön sauer auf dich, ich<br />

würde jetzt nicht nach Föndach gehen an deiner Stelle. Auf der Beisetzung hätte dir niemand<br />

etwas gemacht, ist doch Blödsinn! Sie sind sauer, weil du nicht gekommen bist!“ „Nun, ich bin<br />

nicht gekommen, weil mich Mutter nicht verständigt hatte. Sie wiederum behauptet, sie hätte<br />

mich nicht verständigt, damit ihr mich nicht verprügelt!“ Was für eine Gemeinheit ist da wieder<br />

ausgeheckt worden, dachte Hans betrübt.<br />

An <strong>die</strong>sem ersten Tag bekam er, da seine Einheit in Kärnten war, als einziger Nachtausgang. Er<br />

eilte nach dem <strong>Die</strong>nst, gegen 17 Uhr, zur nächsten Telefonzelle, um Mutter zu verständigen.<br />

„Es ist am besten, wir treffen uns in Klagenfurt, denn zuhause erwartet dich nichts Gutes!“,<br />

meinte sie besorgt beim Telefonat.<br />

„Was wollen <strong>die</strong>, habe ich Heinzi umgebracht, ich kann ihn auch nicht mehr lebendig machen!“,<br />

sagte er in einem Klagenfurter Kaffee verärgert zu ihr. „Ich weiß nicht, aber derzeit ist mit<br />

ihnen nicht gut Kirschen essen!“, entgegnete Mutter besorgt. „Komisch ist nur, daß mir Fritz<br />

heute bei der Übung ganz was anderes gesagt hat!“ „So, was denn?“, fragte Mutter <strong>und</strong> sah ihn<br />

erstaunt an. „Keiner hätte mir bei der Beisetzung etwas getan! Nur, weil ich daran nicht<br />

teilgenommen habe, sind sie jetzt auf mich sauer!“<br />

Schon gegen 22 Uhr war Hans wieder bei seiner Einheit <strong>und</strong> schlief, wie seine Kameraden<br />

auch, in einer Jägerkaserne.<br />

* * *<br />

1 9 7 8 : M a i / J u n i<br />

M I T B E W O H N E R I N E I N E M S C H W U L E N H A U S H A L T<br />

Vor der Beendigung des Militär<strong>die</strong>nstes machte Hans sich so seine Gedanken über <strong>die</strong> private<br />

<strong>und</strong> vor allem <strong>die</strong> berufliche Zukunft. Man hatte ihm in der Hubschrauberstaffel <strong>die</strong><br />

Soldatenlaufbahn schmackhaft gemacht. Außerdem hätte er dabei <strong>die</strong> Gelegenheit gehabt, sich<br />

zum Hubschrauberwart ausbilden zu lassen. <strong>Die</strong> Möglichkeit hätte er sicher genützt. Doch da<br />

war ein Problem, er hatte noch keine Lehrabschlußprüfung, <strong>und</strong> das rächte sich jetzt, <strong>die</strong> wäre<br />

für <strong>die</strong>se Laufbahn Voraussetzung gewesen. Freilich hätte man ihm <strong>die</strong> Gelegenheit gegeben,<br />

<strong>die</strong> Lehrabschlußprüfung nachzuholen. Aber da war noch der geringe Sold, den man als Soldat<br />

in den ersten Jahren bekam.<br />

Er besprach seine Zukunft auch mit <strong>Johann</strong>. „Von mir aus“, meinte <strong>Johann</strong> nachdenklich,<br />

„brauchst du überhaupt nicht zu arbeiten!“ Hans wußte, daß <strong>Johann</strong> seine drohende<br />

Arbeitslosigkeit sowie seine schlechte soziale Situation ausnützen könnte. „Kannst bei mir<br />

schlafen, ich meine in meinem Zimmer!“ Er kicherte dabei mit gezwungen hoher Stimme. Ich<br />

werde das Kind schon schaukeln, dachte Hans <strong>und</strong> nahm das Angebot <strong>von</strong> <strong>Johann</strong>, bei ihm zu<br />

wohnen, an.<br />

Anfang Juni fuhr er mit dem Auto <strong>von</strong> <strong>Johann</strong> nach Kärnten. In Föndach hatte er<br />

Aufenthaltsverbot, so hatte man es ihm ausrichten lassen, außerdem wartete eine Tracht<br />

Prügel. Mit Vater suchte er keinen Kontakt, daher nahm er in Klagenfurt in der Rosentaler<br />

Straße ein kleines Pensionszimmer. Am Abend fuhr er nach Föndach <strong>und</strong> suchte <strong>die</strong> Disco auf.<br />

„Servus, Hanse!“, rief Heino erfreut, nachdem er Hans erkannt hatte. „Hallo, Heino!“,<br />

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entgegnete Hans begeistert <strong>und</strong> stellte sich zu ihm an <strong>die</strong> Bar. Heinos rechte Hand war in Gips.<br />

„Was hast denn mit deiner Hand?“ „Ach nichts, mit der Maschine hat es mich aufgestellt!“ Er<br />

lächelte dabei belustigt, wie in alten Zeiten. „Was kriegen Sie?“, fragte <strong>die</strong> junge Kellnerin<br />

fre<strong>und</strong>lich lächelnd. „Ein Cola!“ „Trinkst nichts mehr?“, fragte Heino erstaunt. „Nein, ich muß<br />

ja noch mit dem Auto fahren!“ „Wieso, bist eh gleich da drüben zu Hause!“ „Ich habe nichts<br />

mehr zu Hause verloren, seit mein Bruder Heinzi tödlich verunglückt ist!“, sagte Hans <strong>und</strong><br />

prostete Heino zu. Heinos Gesichtsausdruck wechselte <strong>von</strong> fre<strong>und</strong>lich zu aggressiv. „Wenn ich<br />

meine rechte Hand nicht in Gips hätte, hätte ich dir ohne Vorwarnung eine auf <strong>die</strong> Schnauze<br />

gehauen!“ Hans hatte mit <strong>die</strong>sem Gesprächsverlauf gerechnet. „Mir haben meine Eltern nicht<br />

mitgeteilt, wann <strong>die</strong> Beisetzung <strong>von</strong> Heinzi stattfindet!“ „So, das kannst mir unterm Wasser<br />

erzählen!“, entgegnete Heino wütend. „Meine Mutter hat mir zu Weihnachten weiters<br />

mitgeteilt, daß sie mich nicht zur Beisetzung eingeladen haben, weil ich <strong>von</strong> euch Föndachern<br />

verdroschen hätte werden sollen!“ „So ein Blödsinn!“ „Gut, dann gehen wir rüber zu meinen<br />

Eltern <strong>und</strong> reden darüber!“ Hans nahm seine Brieftasche <strong>und</strong> wollte zahlen. „Nein, ich gehe<br />

nicht rüber“, entgegnete Heino nachdenklich, „aber ein Arschloch bist trotzdem.“ Danach<br />

kamen noch zwei andere Burschen, auch sie wollten über Hans herfallen <strong>und</strong> ließen sich nur<br />

mit Mühe <strong>und</strong> gutem Zureden <strong>von</strong> Heino zurückhalten. <strong>Die</strong> beiden Burschen standen danach<br />

aggressiv an der Bar <strong>und</strong> weinten. Eigentlich hatte Hans nach <strong>die</strong>sem Vorfall das Lokal<br />

verlassen wollen, doch er blieb. Soll keiner sagen, ich wäre abgehauen, dachte er trotzig,<br />

außerdem möchte ich selbst <strong>die</strong> Wahrheit herausbekommen, was der Gr<strong>und</strong> für meine<br />

„Nichteinladung“ war. Hans bekam es damals nicht heraus. <strong>Die</strong> Föndacher schoben <strong>die</strong> Schuld<br />

auf ihn, <strong>und</strong> seine Mutter schob sie den Föndachern zu. Hans hatte jetzt in seinem Heimatdorf<br />

den Makel eines Aussätzigen. Er fuhr nach wenigen Tagen zurück nach Wien <strong>und</strong> brach den<br />

Kontakt zu seinen Fre<strong>und</strong>en ab.<br />

Schon wenige Wochen nach dem Militär<strong>die</strong>nst ging er der gewohnten Tätigkeit als Tankwart<br />

<strong>und</strong> Servicemann nach. Allerdings nicht bei seinem alten Betrieb im 14., Franz hatte<br />

mittlerweile das Handtuch geworfen, sondern im 16. Bezirk. Nur, an sein neues Zuhause bei<br />

<strong>Johann</strong> konnte <strong>und</strong> wollte er sich nicht gewöhnen. Denn was anfangs lustig <strong>und</strong> erheiternd auf<br />

ihn gewirkt hatte, ekelte ihn sehr rasch an.<br />

Andreas, oder auch Andrea, wie er mit dem Mädchennamen gerufen wurde, ging keiner<br />

geregelten Beschäftigung nach. Er übte zwar täglich st<strong>und</strong>enlang auf dem Klavier, doch das<br />

Musikstudium war nichts anderes als ein hervorragendes Alibi. Meist gab er sich dem<br />

Rauschgift oder Werner hin. Werner wiederum hatte nicht nur Andreas zur „Fre<strong>und</strong>in“,<br />

sondern auch einen jungen, knabenhaften, ägyptischen Zeitungskolporteur, der aber meist nur<br />

an Wochenenden zu Besuch kam. Wenn der kam <strong>und</strong> wie ein Transvestit halbnackt durch’s<br />

Wohnzimmer tänzelte, dauerte es nicht sehr lange, bis Werner mit ihm ins Schlafzimmer<br />

verschwand. „Hihi“, kicherte dabei oft <strong>Johann</strong>, „jetzt bekommt er <strong>die</strong> 32 Zentimeter vom<br />

beamteten Werkmeister!“ Wegen <strong>die</strong>ser Dreiecksbeziehung kam es sehr oft zu<br />

Eifersuchtsszenen, <strong>die</strong> sich gewaschen hatten. Wenn Andreas auf Werner wegen des Ägypters<br />

böse war, sprach er tagelang nicht mit ihm <strong>und</strong> betrog ihn sozusagen mit <strong>Johann</strong>. Was <strong>die</strong>ser<br />

anscheinend genüßlich auskostete, mußte er doch ansonsten sein sogenanntes „Opfer“ erst in<br />

einem Bahnhof aufstöbern oder einen seiner zahlreichen Strichjungen herbeiordern.<br />

„Der Junge mit dem traurigen Blick“ wurde Hans an seinem neuen Arbeitsplatz genannt. Und<br />

wirklich, wenn er in den Spiegel sah, konnte er <strong>die</strong>sen traurigen Schimmer in seinen schönen<br />

blauen Augen erkennen, der sicher <strong>von</strong> dem frühen Tod <strong>von</strong> Monika herrührte. Jetzt war sie<br />

schon über ein Jahr lang tot. Und er wollte <strong>und</strong> konnte es einfach nicht wahrhaben. Tagtäglich<br />

bestimmte sie seine Gedanken, <strong>und</strong> des öfteren schluchzte er in Gedanken an sie ganz<br />

fürchterlich im Geheimen. Natürlich versuchte er seine Trauer zu unterdrücken, doch <strong>die</strong>s<br />

bewirkte eher das Gegenteil.<br />

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Bei seinem Chef <strong>und</strong> seinen Arbeitskollegen war er außerordentlich beliebt. Vielleicht auch<br />

deshalb, weil er nach dem <strong>Die</strong>nst nicht gleich nach Hause ging, sondern mit ihnen meist bis tief<br />

in <strong>die</strong> Nacht in einem nahen Lokal durchzechte.<br />

Was seine Kollegen nicht wußten, war, daß in seinem Leben ein fürchterlicher Kreislauf in<br />

Gang gekommen war. Er konnte nach der Arbeit gar nicht nach Hause gehen, denn der<br />

schwule kommunale Haushalt ging ihm derart auf den Nerv, daß <strong>die</strong> Zechtouren eine<br />

willkommene Ablenkung boten, was sich wiederum negativ auf sein Budget auswirkte. So zog<br />

er sich selbst den Boden für den Aufbau einer eigenen Existenz unter den Füßen weg.<br />

*<br />

Anfang November war es selbst <strong>Johann</strong> zuviel. Außerdem hatte er erkannt, daß sich Hans<br />

niemals auf ein sexuelles Verhältnis oder Abenteuer einlassen würde, was natürlich sehr zu<br />

seinem Ärger war. Und so kam, was kommen mußte, <strong>Johann</strong> änderte seine Taktik. „Also, ich<br />

muß dich schon einmal wöchentlich benützen dürfen, denn so geht das nicht weiter!“, meinte er<br />

im Wohnzimmer, als Hans so zufällig auftauchte. „Ich denke, bei dir tickt es nicht ganz recht,<br />

da oben!“, entgegnete Hans zynisch grinsend, während er mit dem Zeigefinger auf sein<br />

Denkzentrum tippte. „Tja, lieber Hansi, dann mußt du Miete bezahlen, so ist das Leben. Du<br />

kannst es dir noch immer überlegen!“ Er sah ihn dabei berechnend an. „Wieviel soll <strong>die</strong> Miete<br />

ausmachen?“ „Dreitausend Schilling!“ „Was, dreitausend Schilling?“, entgegnete Hans<br />

bestürzt. „Natürlich, dafür bekommst du auch sämtlichen Service, wie Sauna, Bad,<br />

Wäschewaschen, Unterkunft <strong>und</strong> Verpflegung!“ „Mit einem Wort, ich habe sonst keine<br />

Ausgaben!“ „Ausgaben keine!“, meinte <strong>Johann</strong> listig lächelnd <strong>und</strong> blickte, den M<strong>und</strong> halb<br />

geöffnet, lässig in sein Whiskyglas. „Aber?“, fragte Hans interessiert. „Keinen Mädchenbesuch,<br />

hörst du, ich dulde in meinem Hause keine Mädchen!“ „So, <strong>und</strong> was ist mit den Mädels, <strong>die</strong><br />

Andreas oft anschleppt?“ „Ach <strong>die</strong>!“ <strong>Johann</strong> begann zu kichern wie eine alte Hexe, dabei<br />

machte er mit der Rechten noch eine belustigt-abwehrende Bewegung. „Bei der Nettel ist es<br />

mir gleich, denn ich weiß, wie warm er ist!“ Er wurde wieder ernst. „Doch bei dir ist das leider<br />

anders!“ Hans bezahlte <strong>von</strong> da an Kostgeld <strong>und</strong> nahm sich vor, für <strong>die</strong> Schaffung eigenen<br />

Wohnraumes Sorge zu tragen.<br />

*<br />

Am 24. Dezember schloß <strong>die</strong> Tankstelle schon gegen 16 Uhr. Wie gewohnt ging Hans zu dem<br />

nächsten Gasthaus. Doch gerade als er <strong>die</strong> Eingangstür anfassen wollte, stach ihm das große<br />

Schild mit der Aufschrift „Heute geschlossen“ in <strong>die</strong> Augen. Jetzt nach Hause gehen? Nein,<br />

niemals, beschloß er. Hans ging zum nächsten Lokal, auch <strong>die</strong>ses <strong>und</strong> alle anderen hatten<br />

geschlossen. Es begann zu schneien, dicke, große Schneeflocken fielen feierlich vom Himmel.<br />

Er ging stadtauswärts <strong>die</strong> Ottakringer Straße entlang <strong>und</strong> konnte aus so manchem Fenster<br />

altbekannte Weihnachtslieder hören. Er ging zu Fuß nach Hause zu <strong>Johann</strong>, in den 14. Bezirk,<br />

in <strong>die</strong> Nähe des Baumgartner Spitzes, in der Hoffnung, unterwegs doch noch ein offenes Lokal<br />

zu finden. Weihnacht konnte so schön, Weihnacht konnte aber auch so grausam sein. Es<br />

konnte einem so unkaschiert den Spiegel des Lebens vor das Gesicht halten. Alle haben ihr<br />

Zuhause an <strong>die</strong>sem Heiligen Abend, <strong>und</strong> ich - -! Er weinte auf dem Weg.<br />

„Was, du bist heute schon da!“, sagte <strong>Johann</strong> <strong>und</strong> gab sein übliches Gekichere <strong>von</strong> sich. „Ja,<br />

oder hast was dagegen?“ <strong>Johann</strong> sah mit dem Blick eines altge<strong>die</strong>nten Beamten auf seine<br />

Armbanduhr. „Ja, ich hatte nicht mit deinem zeitigen Eintreffen gerechnet. Wo du doch sonst<br />

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erst gegen 24 Uhr zu kommen pflegst!“ „Na <strong>und</strong>, es wird dich doch nicht stören!“, entgegnete<br />

Hans verärgert. „Oh doch, Werner bekommt heute <strong>von</strong> seiner Mutter Besuch. Werner wünscht<br />

nicht, daß jemand <strong>von</strong> euch anwesend ist. Seine Mutter könnte sich sonst schrecken!“ <strong>Johann</strong><br />

setzte dabei einen besonders hochnäsigen Gesichtsausdruck auf. „Heißt das, ich soll bis<br />

Mitternacht spazieren gehen!“ „Nein, du könntest doch einige warme Lokale am Naschmarkt<br />

beehren!“ „<strong>Die</strong> kannst selbst beehren, da gehe ich lieber spazieren!“ „Nun gut, du darfst ins<br />

Bettchen gehen!“ „Schlafen gehen, jetzt, um <strong>die</strong>se Zeit?“ Hans nahm den Ratschlag an <strong>und</strong><br />

ging gegen 18 Uhr in sein Zimmer. Geplagt <strong>von</strong> dem Gedanken, sein trauriges Schicksal zum<br />

Großteil selbst verschuldet zu haben, gequält <strong>von</strong> dem, was er Monika angetan hatte, begann<br />

er im Bett liegend still zu schluchzen. Dabei versuchte er, einen Ausweg aus seiner großen<br />

Schuld gegenüber Monika zu finden. „Monika, bitte verzeih mir!“, sprach er dabei öfter<br />

schluchzend vor sich hin. Er begann <strong>die</strong> Sinnhaftigkeit seines Daseins stark anzuzweifeln. Und<br />

kam kurz vor dem Einschlafen zu dem Entschluß, keine eigene Existenz aufbauen, sondern<br />

seinem jämmerlichen Dasein endlich ein Ende bereiten zu wollen. Doch vorher, vorher werde<br />

ich alles in Kurzform niederschreiben, beschloß er, um der Nachwelt meine erschütternde<br />

Begründung glaubhaft zu machen.<br />

*<br />

Anfang Jänner hatte er einen seltsamen Traum, der ihn nachdenklich stimmte. In <strong>die</strong>sem Traum<br />

stand er am Grabe <strong>von</strong> Monika, auch ihre Mutter war anwesend. Plötzlich nahm er <strong>die</strong><br />

mystisch-starre Haltung eines Magiers ein. <strong>Die</strong> Hände waagrecht über ihrem Grab<br />

ausgestreckt, versuchte er mit aller Kraft seinen Zauber wirken zu lassen. Er spürte, wie es in<br />

seinen Fingern zog, plötzlich strömte Energie in Form blauer Strahlen aus seinen Fingern <strong>und</strong><br />

aus seiner Stirn, <strong>die</strong> in ihr Grab eindrangen. „Hansi, nein, tu es nicht!“, schrie Monikas Mutter<br />

entsetzt. Doch Hans ließ sich nicht beirren, unentwegt <strong>und</strong> schier unerschöpflich strömten <strong>die</strong><br />

blauen Strahlen ins Grab. Plötzlich begann das Grab <strong>von</strong> Monika unter seinen Händen zu<br />

bersten. Dabei spürte er, wie <strong>die</strong>se seine Kraft noch stärker wurde, wie das Ziehen in seinen<br />

Fingern anwuchs. Unter der Kraft der blauen Strahlen wurde Monika aus dem Grabe gehoben.<br />

„Hör auf, hör auf damit!“, schrie ihre Mutter entsetzt <strong>und</strong> riß an seinem rechten Arm. In<br />

<strong>die</strong>sem Moment wachte er erschrocken auf.<br />

<strong>Die</strong>ser Traum brachte ihn sehr schnell auf das Versprechen zurück, das er Monika damals<br />

gegeben hatte: „Du wirst ein Buch schreiben, darin komme ich vor. Aber versprich mir, daß du<br />

meinen richtigen Namen darin nicht erwähnen wirst!“ Mein Gott, dachte er, ich hab sie damals<br />

für verrückt gehalten, dabei hatte sie das Zweite Gesicht, Fähigkeiten, <strong>die</strong> in unserer westlichen<br />

Konsumgesellschaft <strong>und</strong> Religion verpönt sind. Auch daß ich eines Tages bei Männern wohnen<br />

werde, hat sie gesagt <strong>und</strong> noch vieles mehr.<br />

Hans begann noch am selben Tag, seinen großen Abschiedsbrief umzuschreiben, behielt jedoch<br />

den Willen zum Freitod entschlossen bei.<br />

*<br />

Anfang Februar gab Hans seinen Job auf. Wozu noch arbeiten, wenn das Ende schon besiegelt<br />

war. Als Termin für seinen Freitod hatte er den 15. März festgelegt. Bis dahin, so war er sich<br />

ganz sicher, würde er den Abschiedsbrief schon fertig geschrieben haben.<br />

Jetzt hatte er auch öfter Zeit, mit Andreas über dessen weltfremde Ansichten zu diskutieren.<br />

Untertags übte Andreas am Klavier, <strong>und</strong> wenn es ihm zu langweilig wurde, wechselte er mit<br />

Haschisch oder LSD in eine andere, angeblich schönere Welt. Hans war zwar immer Gegner<br />

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<strong>von</strong> Suchtgiften gewesen, doch jetzt wollte er es genau wissen. „Es gibt Menschen, bei denen<br />

wirkt <strong>die</strong> Haschischzigarette gleich beim ersten Mal!“, meinte Andreas beim<br />

Einführungsgespräch, nur mit einem Bademantel bekleidet. Danach wurde das Zeug gleich im<br />

Wohnzimmer geraucht. Bei Hans wirkte es seltsamerweise erst beim fünften oder sechsten<br />

Mal. Erst da konnte er <strong>die</strong>ses angenehme Gefühl spüren. <strong>Die</strong> Musik mit anderen Ohren<br />

wahrnehmen, Aggressionen für den Zeitraum der Wirkung ablegen <strong>und</strong>, was dabei noch so<br />

angenehm war, in <strong>die</strong>sem Zustand alle Probleme oder Sorgen vergessen zu können - eben eine<br />

andere Welt!<br />

Ende Februar versuchte Hans einen LSD-Trip. Andreas hatte <strong>die</strong>ses Zeug in kleiner, flacher<br />

Tablettenform besorgt. Wieder war es Andreas, bei dem das Zeug zuerst zu wirken begann.<br />

„Nicht so laut, Hanse!“, sagte er plötzlich mitten in einem Gespräch <strong>und</strong> hielt sich erschrocken<br />

<strong>die</strong> Ohren zu. Hans war erstaunt, denn bei ihm wollte sich einfach keine Wirkung einstellen.<br />

Andreas begann wegen Bewußtseinstrübung über belanglose Dinge <strong>und</strong> Gegenstände zu<br />

lachen. Und bevor Andreas nach st<strong>und</strong>enlangem Trip schlafen ging, gab er Hans noch eine<br />

Tablette. Werner <strong>und</strong> <strong>Johann</strong> saßen beim Abendbrot. Plötzlich <strong>und</strong> wie aus heiterem Himmel<br />

hatte Werner einen Fünftagebart, wie ein Macho, während ihn <strong>Johann</strong> mit scheinbar traurigen<br />

großen Augen ansah. Belustigt durch <strong>die</strong>se optische Täuschung, lachte Hans ungeniert los.<br />

Um nicht weiter unangenehm aufzufallen, ging Hans spazieren, denn schlafen ist unter dem<br />

Einfluß <strong>die</strong>ser Droge unmöglich. Aber selbst <strong>die</strong> altbekannten Gassen <strong>und</strong> Straßen gaben einen<br />

seltsam fremden Eindruck <strong>von</strong> sich. Das Grau wirkte wesentlich intensiver, <strong>die</strong> oft nur kleinen<br />

Schäden an den Häuserfassaden stachen förmlich ins Auge. An der Straßenbahnhaltestelle<br />

beobachtete er <strong>die</strong> vorbeifahrenden Autos - Autos, <strong>die</strong> sich während der Fahrt optisch<br />

veränderten. Ja, Andreas hatte recht. <strong>Die</strong> Optik, das Auge als Sinnesorgan <strong>und</strong> der Gehörsinn<br />

wurden durch das LSD extrem stark beeinflußt.<br />

Als er in den 52er einstieg, fuhr er erschrocken zusammen. Plötzlich wußte er nicht, in welcher<br />

Art <strong>von</strong> Fahrzeug er sich befand. Steif vor Schreck, stand er hinter dem Fahrer <strong>und</strong><br />

beobachtete den Fahrgastraum. Da saßen im Vorderteil drei alte Frauen <strong>und</strong> vom Mittelteil an<br />

nach hinten war der Fahrgastraum mit Schotter beladen. Außerdem kam <strong>die</strong><br />

Straßenbahngarnitur auch noch ins Schleudern. Der Fahrer konnte den Zug nur mit großer<br />

Mühe etwa 100 Meter nach der Haltestelle, anhalten. Ja, so wurde sein Geist getäuscht.<br />

Natürlich wußte er, daß es sich nur um eine Bewußtseinstäuschung handelte, nur unternehmen<br />

konnte er dagegen nichts mehr, jetzt mußte er <strong>die</strong>ses unnötige Experiment durchstehen.<br />

In einem Lokal wollte er eine Münze in <strong>die</strong> Musikbox werfen. Doch <strong>die</strong>se schrumpfte auf <strong>die</strong><br />

Größe einer Zündholzschachtel. Ja, solchen optischen Täuschungen war er in einem Intervall<br />

<strong>von</strong> einigen Minuten unterworfen. Dazwischen gab es relativ helle Momente. „Sei froh, daß du<br />

nicht auf Horrortrip warst, da hätte deine Leichtsinnigkeit anders geendet!“, meinte Andreas<br />

am nächsten Tag bestürzt, als er <strong>von</strong> Hans’ einsamem Spaziergang erfuhr.<br />

*<br />

„Willst keinen Aushilfsjob?“, fragte Andreas ihn Anfang März bei einem Kaffeeplausch im<br />

Wohnzimmer. „Wozu!“, entgegnete Hans. Andreas zog kräftig an seiner Zigarette, hielt den<br />

Rauch kurz in seiner geselchten Lunge, um ihn langsam unter Bildung <strong>von</strong> kleinen Kreiswolken<br />

heraus zu lassen. „Mit <strong>die</strong>ser Reaktion hab ich nicht gerechnet, wo ich doch immer dachte . . .“<br />

meinte er verdutzt. „Was hast du immer gedacht?“ „Na, du hast doch immer gearbeitet. Von<br />

dir ist man gewöhnt, daß du einer geregelten Arbeit nachgehst!“ „Um welche Tätigkeit handelt<br />

es sich?“ „Du brauchst nur ab <strong>und</strong> zu Privatchauffeur <strong>von</strong> einem Firmenchef spielen!“ „So, <strong>und</strong><br />

wer ist der Herr?“ „Du kennst ihn, er war schon öfter bei <strong>Johann</strong> eingeladen!“ „Also schon<br />

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wieder eine Schwuchtel!“, gab nun Hans abschätzig <strong>von</strong> sich. „Ja, aber du brauchst dir keine<br />

Sorgen machen!“ „Ach was, ich benötige keinen Job!“ „Wie gesagt, nur aushilfsweise!“<br />

Hans gab sich dann doch einverstanden, schließlich würde sich <strong>die</strong>ser Aushilfsjob auf seinen<br />

Termin, den 15. März, sicher nicht auswirken.<br />

Schon am nächsten Tag ging er mit Andreas in <strong>die</strong> Firma <strong>von</strong> Otto. <strong>Die</strong> beiden Sekretärinnen<br />

im Vorzimmer waren mit der Arbeit so beschäftigt, daß sie <strong>die</strong> Besucher keines Blickes<br />

würdigten. „Hallo, Otto!“, sagte Andreas, als er <strong>die</strong> Eingangstür zum Chefbüro geöffnet hatte<br />

<strong>und</strong> mit Hans eintrat. Otto war gerade mitten in einem anscheinend wichtigen Telefongespräch,<br />

er deutete mit der Linken, sie mögen es sich bequem machen. Das ist also der Typ, dachte<br />

Hans <strong>und</strong> ließ sich, nachdem er den Wintermantel abgelegt hatte, im Ledersessel nieder.<br />

Hans <strong>und</strong> Andreas wurden <strong>von</strong> Otto zum Mittagessen eingeladen, wobei Hans gleich sein<br />

Fahrkönnen in einem Chevrolet Impala unter Beweis stellte.<br />

Nun, <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem Tage an spielte Hans, aushilfsweise, den Privatchauffeur <strong>und</strong> Psychiater <strong>von</strong><br />

Otto, einem ca. 50jährigen, schlanken, auf seine Mitarbeiter sicher soldatisch-herrisch<br />

wirkenden Typen.<br />

Zuhause bei <strong>Johann</strong> indes spitzte sich <strong>die</strong> Lage zu. „Möchte nur wissen, wie du nächstes Monat<br />

<strong>die</strong> Miete bezahlen wirst?“ „Ach je!“, entgegnete Hans recht zynisch. „Aber ich denke, ich<br />

werde dir eine nette Überraschung bieten!“ Er dachte dabei an seinen bevorstehenden Freitod.<br />

„Ich hab auch eine nette Überraschung, mein neuer Fre<strong>und</strong> zieht ab morgen ein!“ <strong>Johann</strong> sah<br />

Hans dabei fragend an. „Na schön, <strong>und</strong> weshalb siehst mich so an?“ „Ich dachte nur, vielleicht<br />

stört dich <strong>die</strong> neue Situation?“ „Mich stören“, sagte Hans <strong>und</strong> lachte erheitert auf, „warum<br />

sollte es mich stören?“ „Na, weil du dann nicht mehr gefragt bist!“ Der Schwuli ist jetzt ganz<br />

schön aus dem Gleichgewicht gekommen, dachte Hans. „Bevor ich bei einem Homo gefragt<br />

sein will, bin ich lieber tot!“ „Also, daß du so mit mir sprichst, wo ich dir doch geholfen habe!“,<br />

meinte <strong>Johann</strong> sichtlich enttäuscht. „Geholfen? Einen Scheiß! Ich ziehe aus. Ja, bis 15. bleibe<br />

ich noch!“, gab Hans recht aggressiv <strong>von</strong> sich. <strong>Johann</strong> zuckte bedrückt mit den Schultern.<br />

„Gut, ich bin einverstanden!“<br />

*<br />

Am Abend des 14. März war Hans bei Otto eingeladen. <strong>Die</strong> beiden sprachen über ihre<br />

Vergangenheit. Otto erzählte ihm bei einer großen Flasche Wodka <strong>von</strong> seiner<br />

Offizierslaufbahn, dem späteren Aufbau seines Unternehmens <strong>und</strong> <strong>von</strong> seinen schönen<br />

Erlebnissen mit Damen <strong>und</strong> Herren aus der High-Society <strong>und</strong> so weiter. Dabei bemerkten <strong>die</strong><br />

beiden gar nicht, wie stark der Alkohol zu wirken begonnen hatte. Hans übernachtete<br />

deswegen bei Otto, um nicht unnötig nach Hause torkeln zu müssen.<br />

*<br />

15. März, der Tag, den er für seinen Freitod ausgewählt hatte. Erst gegen Mittag kam er <strong>von</strong><br />

Otto nach Hause, setzte sich ins Wohnzimmer <strong>und</strong> las seinen Abschiedsbrief durch. Im<br />

Hintergr<strong>und</strong> spielte der Plattenspieler Lovehits, dabei begann er, nochmals sein eigenes Drama<br />

zu durchleben <strong>und</strong> fürchterlich zu schluchzen. Danach ging er in sein Zimmer, packte seinen<br />

Koffer <strong>und</strong> verstaute darin seinen 35 Seiten langen Abschiedsbrief. Etwas später wechselte er<br />

ins Badezimmer <strong>und</strong> ließ recht warmes Wasser in <strong>die</strong> Badewanne - schließlich wollte er einen<br />

Freitod nach römischem Vorbild. Während das Wasser in <strong>die</strong> Wanne lief, ging er in <strong>die</strong> Küche,<br />

öffnete <strong>die</strong> Bestecklade <strong>und</strong> suchte ein besonders scharfes Messer heraus. Jetzt, ja jetzt, war<br />

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der Zeitpunkt gekommen. Er hatte keine Angst, im Gegenteil, es war so etwas wie<br />

Todessehnsucht in ihm. Endlich! Er hielt das kleine scharfe Fleischmesser in der Linken <strong>und</strong><br />

fuhr mit dem Daumen der Rechten langsam <strong>und</strong> vorsichtig über <strong>die</strong> Schneide. Ja, das ist das<br />

richtige Messer, dachte er, schob <strong>die</strong> Lade langsam zu. Und gerade, als er damit ins Bad gehen<br />

wollte, erstarrte er <strong>und</strong> blieb wie angewurzelt stehen. Vor ihm stand Monika. Ja, genauso wie<br />

damals, als sie noch so glücklich war. Den Kopf leicht seitlich geneigt, lächelte sie ihn glücklich<br />

an. Sie war begleitet <strong>von</strong> einem weißen, schönen Licht, das ihren Körper zärtlich umspielte.<br />

„Monika!“, rief er erfreut, doch im selben Moment war sie weg. Hans verharrte noch immer<br />

mit dem Fleischmesser in derselben Position. Das gibt es doch nicht! Aber sie war da, ja, sie<br />

war da, jauchzte er in Gedanken. Er öffnete <strong>die</strong> Lade <strong>und</strong> warf das Messer zurück. Jetzt, jetzt<br />

hab ich das Messer zurückgelegt, warum, dachte er verwirrt. Weil sie will, daß ich mich nicht<br />

selbst richte! Ach, alles nur Einbildung, aber sie war da! „Monika, zeig dich, nur einmal!“, rief<br />

er. Doch nichts, langsam ging er ins Bad, drehte den Wasserlauf ab, danach ging er zur Bar<br />

<strong>und</strong> genoß bei einigen Marlboros <strong>und</strong> einem Whisky <strong>die</strong>ses wohl einzigartige Erlebnis.<br />

*<br />

War es Einbildung, war es unbewußter Selbstschutz, war sie wirklich bei ihm erschienen?<br />

Fragen über Fragen, <strong>die</strong> selbst für ihn unbeantwortet blieben <strong>und</strong> bleiben werden.<br />

„<strong>Johann</strong>, es hat heute nicht geklappt mit meiner neuen Unterkunft!“, sagte Hans am Abend zu<br />

ihm. „Ja <strong>und</strong>?“, entgegnete <strong>die</strong>ser recht wortkarg. „Ich möchte dich ersuchen, ob ich noch<br />

weitere zwei Monate in <strong>die</strong>sem Haus leben darf?“ <strong>Johann</strong> sah ihn mit dem Blick eines<br />

Oberlehrers an. Anscheinend hatte er dabei auch <strong>die</strong> katastrophale Situation, in der sich Hans<br />

befand, erkannt. „Nein, nein, lieber Hansi, denn dein Verhalten ließ in letzter Zeit sehr zu<br />

wünschen übrig!“ Er grinste dabei belustigt. „Tja, dein Verhalten war bis jetzt äußerst<br />

schädlich für das gute Klima in <strong>die</strong>sem Hause! Ich bin an deiner Anwesenheit keinesfalls mehr<br />

interessiert, außer du würdest dich gr<strong>und</strong>legend ändern. Aber das scheint bei dir ja<br />

ausgeschlossen!“ „Richtig, das ist auch ausgeschlossen, für was bezahle ich Kostgeld!“ „Heute<br />

darfst noch in <strong>die</strong>sem warmen Hüttchen übernachten, morgen zieht meine Prinzessin in deinem<br />

Zimmer ein!“ Hans war einverstanden, was hätte er auch anderes tun sollen. Jetzt mußte er den<br />

guten Draht zu Otto nützen. Jetzt mußte er sich wieder eine eigene Bleibe, <strong>und</strong> sei es nur ein<br />

Besenkammerl, besorgen.<br />

*<br />

Am Abend des 16. März fuhr Hans mit dem Chevrolet <strong>von</strong> Otto zu <strong>Johann</strong>, um seine Sachen<br />

abzuholen. Er wußte, daß in <strong>Johann</strong> ein extrem neugieriges Weib steckte, darum parkte er um<br />

<strong>die</strong> Ecke. <strong>Johann</strong> sollte nicht bequem vom Haus aus sehen dürfen, mit wem oder womit Hans<br />

gekommen war.<br />

Als Hans ins Haus kam, lachte <strong>Johann</strong> erheitert auf. „Ich hole meine Sachen!“ „Jaja, mit der<br />

Bananenschachtel bist gekommen <strong>und</strong> jetzt holt der Herr seine Sachen!“ Er begann dabei<br />

wieder mit seiner unangenehm hohen Stimme zu kichern. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren,<br />

trug Hans seinen Koffer aus dem Haus. „Und was ist mit dem anderen Zeug?“, fragte <strong>Johann</strong>,<br />

der ihm unter schadenfrohem Gekichere gefolgt war. Hans sah ihn an, lächelte zufrieden <strong>und</strong><br />

ging mit dem Koffer um <strong>die</strong> Straßenecke. „Grüß euch!“, sagte Hans nach der<br />

Schlüsselübergabe <strong>und</strong> ging mit zwei gefüllten Plastikeinkaufstaschen aus der Wohnung. „Mit<br />

wem bist denn da?“, fragte <strong>Johann</strong>, noch neugierig grinsend. „Das geht dich nichts an!“ Da fiel<br />

auch schon das schwere Haustor ins Schloß. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging Hans<br />

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zum Auto. Er startete den Motor, <strong>die</strong>ser brummte dumpf <strong>und</strong> kraftvoll auf. Gerade als er einen<br />

Blick in den Rückspiegel warf, um losfahren zu können, sah er in <strong>die</strong>sem das neugierigverdutzte<br />

Gesicht <strong>von</strong> <strong>Johann</strong>, der ihm unauffällig gefolgt war. Hans stellte den Wahlhebel auf<br />

„Parksperre“ <strong>und</strong> drückte einigemale kräftig aufs Gaspedal. Jetzt stieg er auch noch aus <strong>und</strong><br />

blieb lässig bei der offenen Tür stehen. „Hey, <strong>Johann</strong>!“ Hans winkte ihm dabei belustigt-lässig<br />

zu <strong>und</strong> fügte noch provokant hinzu: „Ciao, dein Hansi!“<br />

*<br />

Otto war ihm bei der Wohnungssuche behilflich. Doch es war einfach nichts zu machen.<br />

Entweder waren <strong>die</strong> Mieten astronomisch hoch oder <strong>die</strong> Inventarablösen unerschwinglich. So<br />

beschloß er, bei der sogenannten Pension im 13. Bezirk, in der Amalienstraße, anzufragen.<br />

Und er hatte Glück, zwar war der Preis für das kleine einfache Zimmer auf monatlich 1.700<br />

Schilling angewachsen, aber für <strong>die</strong> persönliche Unabhängigkeit hätte er noch mehr<br />

ausgegeben.<br />

* * *<br />

A p ri l: 1 9 7 9<br />

M I T D E N N E R V E N A M E N D E U N D T R O T ZD E M D U R C H B E I S S E N !<br />

Seit Wochen hatte Hans intensiv versucht, einen ordentlichen Job zu bekommen, doch das<br />

Leben wollte noch nicht so recht mitspielen. Sogar <strong>die</strong> einfachsten Hilfsarbeiterjobs wurden<br />

ihm <strong>von</strong> ausländischen Arbeitskräften weggeschnappt. Wahrscheinlich weil sie in ihrer<br />

Situation der Abhängigkeit <strong>von</strong> den Firmen leichter zu manipulieren waren als Inländer. Otto,<br />

bei dem er noch immer aushilfsweise den Chauffeur spielte, war in <strong>die</strong>ser Zeit sein rettender<br />

Geldanker. Arbeitslosengeld bezog er nicht.<br />

Im „Cafe Weiß“, einem schummrigen Lokal in der Nähe des Westbahnhofs, lernte er seinen<br />

neuen Bekanntenkreis kennen. Da war der schlaksige Hermann, 26, 175 cm hoch,<br />

schulterlanges, braunes, ungepflegtes Haar, das ihm oft strähnig ins Gesicht hing. Meter, so<br />

wurde Fred, ein kleiner häßlicher Mann genannt, er war zwar 31, doch sein Gesicht hatte er<br />

offensichtlich <strong>von</strong> einem fünfzigjährigen Mann geerbt. Er war recht dürr <strong>und</strong> wollte mit einer<br />

zwei Nummern zu großen, schwarzen Lederjacke seine Körpergröße <strong>von</strong> 152 cm korrigieren.<br />

Der dritte in <strong>die</strong>sem B<strong>und</strong> war Toni, 22, etwa 176 cm groß, kurzes, dichtgekräuseltes Haar. Er<br />

war recht schlank, trug eine dicke Hornbrille, <strong>die</strong> seine Hakennase etwas abr<strong>und</strong>ete. Er war ein<br />

recht cleverer Bursche. Eines hatten sie alle gemeinsam, sie waren an den Ober- <strong>und</strong><br />

Unterarmen teilweise tätowiert <strong>und</strong> gingen schon seit Jahren keiner geregelten Beschäftigung<br />

nach. <strong>Die</strong> Vermutung lag natürlich für Hans nahe, es mit zwielichten Typen zu tun zu haben.<br />

Und als er einige Tage später Angelika, <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>in <strong>von</strong> Hermann, kennenlernte, war alles<br />

klar. Sie war 24, gertenschlank, lange Beine, tolle Figur, braunes, halblanges Haar <strong>und</strong> ging auf<br />

den Strich. Hans war recht neugierig geworden, <strong>und</strong> wenn er für Otto nicht gerade etwas zu<br />

erledigen hatte, vertrödelte er <strong>die</strong> Zeit mit den vieren. Dabei ließ auch seine Suche nach einem<br />

Job merklich nach, aber nicht weil er vielleicht zu faul war, nein, sondern weil <strong>die</strong> Suche nach<br />

dem Lebenssinn nicht fruchten wollte <strong>und</strong> der Wille zum Weitermachen mit Lähmung<br />

reagierte. Man könnte es auch härter formulieren <strong>und</strong> sagen, in sein Leben war der Schlendrian<br />

eingetreten.<br />

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Gegen 21 Uhr wechselten sie <strong>von</strong> einem der vielen Lokale r<strong>und</strong> um den Westbahnhof ins „Cafe<br />

Herma“ im 15. Bezirk, wo Angela auf der Straße in <strong>die</strong> Hock’n ging, wie auf Wienerisch <strong>die</strong><br />

Arbeit, in <strong>die</strong>sem Fall <strong>die</strong> Prostitution, genannt wird. Dort stolzierte sie in aufregend erotischer<br />

Kleidung in dem Umkreis Felberstraße-Johnstraße hin <strong>und</strong> her, um <strong>die</strong> Freier anzuziehen wie<br />

<strong>die</strong> Blume <strong>die</strong> Bienen. Ja, oft war es so, daß Angela keine fünf Minuten an ihrem Standplatz<br />

war <strong>und</strong> <strong>von</strong> einem Freier im Auto mitgenommen wurde.<br />

Das „Cafe Herma“ wurde <strong>von</strong> den Herrschaften auch als Wartestube genützt. Da warteten <strong>die</strong><br />

Zuhälter mit ihren Mädels bei Bier, Cola <strong>und</strong> Wein auf <strong>die</strong> Time - 21 Uhr! Natürlich wurde es<br />

auch <strong>von</strong> Freiern frequentiert, <strong>die</strong> sich dadurch ein rasches <strong>und</strong> günstiges Abenteuer erhofften.<br />

„Nanu, wen habt ihr denn da?“, fragte Sisi, eine Ex-Nutte, <strong>die</strong> jetzt als Kellnerin fungierte,<br />

überrascht, als sie Hans zum erstenmal in der Clique <strong>von</strong> Hermann sah. „Das ist unser neuer<br />

Hawara, der Hanse!“, entgegnete Hermann, wobei er anscheinend auf <strong>die</strong> Betonung „Hawara“<br />

sehr viel Wert legte. Sisi musterte Hans mit erfahrenem Blick. „Was bekommst du?“ „Ein<br />

Cola!“ „Gut, <strong>und</strong> ihr, der schäbige Rest, wie immer!“ <strong>Die</strong> drei nickten lachend. „Tschüß, Sisi!“,<br />

sagte eine Nutte <strong>und</strong> winkte liebevoll mit der rechten Hand, wobei sie <strong>die</strong> Finger zu einem<br />

Entenschnabel umfunktionierte. Sisi deutete ihr dasselbe, worauf <strong>die</strong> Dame belustigt lachend<br />

das Lokal verließ. Nach <strong>und</strong> nach folgten ihr <strong>die</strong> übrigen Dirnen. Das Geschäft auf der Straße<br />

hatte nun voll eingesetzt, während <strong>die</strong> Männer oder Fre<strong>und</strong>e der Prostituierten Karten spielten.<br />

Jeder kannte dabei jeden, <strong>und</strong> doch war es dabei für einen Außenstehenden nicht zu erkennen,<br />

daß sie trotzdem Cliquen bildeten.<br />

Kurz nach 22 Uhr kam dann meist Angela. „So, 15 Minuten Pause!“, meinte sie mit einem<br />

schelmischen Lächeln <strong>und</strong> setzte sich zu Hermann. <strong>Die</strong> Hintergr<strong>und</strong>atmosphäre, wie in jedem<br />

gewöhnlichen Lokal, das Lachen, Geplauder <strong>und</strong> <strong>die</strong> Musikbox, <strong>die</strong> auf Hochtouren lief. „Hast<br />

überhaupt schon was ver<strong>die</strong>nt?“ „Heute schon!“ Sie griff dabei in ihre Handtasche <strong>und</strong> steckte<br />

ihm einige Scheine zu.<br />

Gegen 2 oder 3 Uhr, nach Mitternacht, bröckelte das Nachtleben. Doch wenn der Spaß seine<br />

R<strong>und</strong>en schlug, konnte es durchaus 5 oder gar 6 Uhr werden. Dann kreuzten sich <strong>die</strong> Wege der<br />

braven <strong>und</strong> schlimmen Menschen. Während Hans gutgelaunt, aber nicht betrunken vom Wiener<br />

Nachtleben nach Hause ging, hasteten frustrierte Geschöpfe zur Arbeit.<br />

*<br />

Ende Mai hatte Toni bei seinen Schnuppergängen im Westbahnhof eine 17jährige Ausreißerin<br />

aufgelesen. Hans erkannte, welch leichte Beute solche jungen Mädchen für abgedrehte<br />

Zuhälter wie Toni, Hermann <strong>und</strong> Meter sind.<br />

Marina, so nannten sie das Mädchen, lernte Hans erst einige Tage nach ihrem Auftauchen<br />

kennen. Er war wirklich bestürzt, als nach einem längeren Gespräch herauskam, daß sie für<br />

Toni auf den Strich ging. Selbst im Traume hätte er nicht daran gedacht, daß ein so nettes <strong>und</strong><br />

lebenslustiges Mädel in Wien so rasch auf das Nebengleis stürzen könnte, daß ein Mädchen für<br />

solche Männer zu einer leichten Beute werden konnte.<br />

„Sag, wo hast denn <strong>die</strong> aufgegabelt?“, fragte Hans, während Marina auf <strong>die</strong> Toilette ging.<br />

„Ach“, entgegnete Toni überlegen lächelnd, „das ist doch ganz einfach, jetzt weißt du, weshalb<br />

ich öfter eine Schnuppertour im Westbahnhof drehe. Und am <strong>Die</strong>nstag, als ich so lässig locker<br />

durch <strong>die</strong> Halle schlenderte, bemerkte ich sie. Marina ist mir sofort aufgefallen. Ja, Mädchen,<br />

<strong>die</strong> <strong>von</strong> zuhause ausrücken, haben eine eigene Ausstrahlung!“ Er zog genußvoll an seiner<br />

Marlboro. „Jetzt möchtest vielleicht auch noch wissen, wie ich sie geködert habe?“ Toni lachte<br />

dabei belustigt auf, hob seine Brille leicht an <strong>und</strong> versuchte auf dem sauber polierten Glas ein<br />

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nichtvorhandenes Staubkorn zu entdecken. „Ich habe ihr einfach eine Zigarette angeboten!“ Er<br />

rückte dabei seine Brille in <strong>die</strong> richtige Position, rümpfte kurz <strong>die</strong> Nase <strong>und</strong> fuhr fort: „Marina<br />

hat angebissen, <strong>und</strong> alles weitere hat sich so ergeben!“ „Gut, aber wie hast du sie auf den Strich<br />

gebracht?“, fragte Hans neugierig. Toni begann wieder belustigt zu lachen. „Frauen sind<br />

blöd!“, meinte plötzlich Meter mit doofem Blick. „Oder hast du schon einmal eine intelligente<br />

Frau gesehen, wenn der Josef stramm ist?“, meinte er weiter <strong>und</strong> sah dumm fragend in <strong>die</strong><br />

R<strong>und</strong>e. „Jaja, Hanse“, meinte Toni, „du mußt noch viel lernen, wenn du ein Mädchen auf den<br />

Strich bringen willst. Aber, wie gesagt, ich hab ihr <strong>die</strong> Stadt gezeigt. Glaube mir, es hat viel<br />

Geld gekostet, doch ich wußte, wofür ich investierte. Aber, wie gesagt, zuerst spielte ich den<br />

verliebten, spen<strong>die</strong>rfreudigen Fre<strong>und</strong>. Später, nach dem Sex, habe ich noch einiges an<br />

Zuwendung <strong>und</strong> Psychologie aufbringen müssen!“ Meter folgte dem Gespräch gelangweilt, so<br />

als wäre das alles alter Kaffee. „Nun ja, später war ich sehr zärtlich!“ „Das ist alles, dann ist sie<br />

für dich auf den Strich gegangen?“ „Nein, natürlich nicht. Ich habe ihr erklärt, daß wir uns<br />

trennen müßten, da ich mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen hätte. Natürlich mußte<br />

ich kräftigen Druck auf ihre Tränendrüsen setzen. Ich sprach auch <strong>von</strong> Dingen, daß ich nicht<br />

mehr weiter kann <strong>und</strong> will, na ja, du weißt schon!“ „Aber <strong>die</strong> darf doch noch gar nicht auf den<br />

Strich gehen, mit ihren 17!“, meinte Hans. „Macht doch nichts, sie geht unter Tags auf der<br />

Mariahilfer Straße!“ Toni lächelte dabei süffisant. Schon seltsam <strong>die</strong> Welt der Zuhälter, <strong>und</strong><br />

immer beginnen sie mit der weichen Welle. Auch Wolfgang hatte Karin mit <strong>die</strong>sem Schmäh in<br />

<strong>die</strong> Gosse bringen wollen, erinnerte sich Hans.<br />

„Sag, Toni, weißt du überhaupt, welche Folgen das hat, wenn man Marina schnappt?“ Da kam<br />

das Mädchen auch schon an den Tisch zurück. „Was machst, wenn dich <strong>die</strong> Polizei aufgreift?“,<br />

sagte Toni grinsend. „Was sollte ich schon machen?“, entgegnete sie überrascht. „Hans denkt,<br />

du könntest mich verraten!“ „Ts, weshalb sollte ich?“ Sie warf dabei einen fragenden Blick zu<br />

Hans. „Nun, du bist minderjährig!“ „Na <strong>und</strong>, mehr als mich nach Hause oder in eine<br />

Erziehungsanstalt bringen, können sie mir nicht antun. Aber in zwei Jahren bin ich 19!“, meinte<br />

sie noch stolz, wobei ihre Augen begeistert leuchteten. „Und dann werde ich endlich frei sein.<br />

Niemand wird mir etwas zu sagen haben oder über mein Leben bestimmen!“ Hans sah sie<br />

wortlos an <strong>und</strong> mußte dabei feststellen, daß sie anscheinend mit dem Nuttendasein recht<br />

zufrieden war. Oder war es nur ein Protestaufschrei gegen ihre Umwelt oder gar nur ein<br />

großes <strong>und</strong> gefährliches Abenteuer für sie?<br />

*<br />

Hans dachte täglich an Monika, außerdem jährte sich in <strong>die</strong>sen Tagen ihr Todestag zum<br />

zweiten Mal. Was wär wohl aus uns geworden, wenn das Schicksal es besser mit uns gemeint<br />

hätte, fragte er sich wehmütig. Jetzt bin ich sozial abgestürzt <strong>und</strong> will gar nicht, daß sich meine<br />

Lage ändert. Wahrscheinlich wohl auch, weil ich einfach keinen Sinn in <strong>die</strong>ser angeblich<br />

schönen <strong>und</strong> heilen Welt finden kann!<br />

*<br />

Im Juli begann sich sein Schlendrian bitter zu rächen. Otto hatte in letzter Zeit immer weniger<br />

<strong>Die</strong>nstleistungen an Hans vergeben, was sich wiederum verheerend auf seine finanzielle<br />

Situation ausgewirkt hatte. Bei zwei Monatsmieten im Rückstand <strong>und</strong> einem Girokontostand<br />

<strong>von</strong> minus 14.000 Schilling läuteten selbst bei dem seelisch angeknacksten Hans <strong>die</strong><br />

Alarmglocken. Wer mit Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Geldproblemen zu kämpfen hat oder hatte, wird<br />

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ein Lied da<strong>von</strong> singen können, welch beengendes, erstickendes Gefühl Mahnschreiben, <strong>die</strong> wie<br />

Prospektmaterial im Postkasten landen, verbreiten können.<br />

Trotz Arbeitslosigkeit hatte er mit viel Geschick bei seiner Bank einen kleinen Kredit <strong>von</strong> fünf<br />

Tausendern bekommen <strong>und</strong> eine Ratenvereinbarung getroffen, <strong>die</strong> erst ab Oktober zu wirken<br />

beginnen sollte. Ermutigt durch <strong>die</strong>sen Silberstreifen am Horizont stu<strong>die</strong>rte er sogleich im Cafe<br />

neben seiner Hausbank <strong>die</strong> Arbeitsanzeigen <strong>und</strong> wurde fündig.<br />

Es war zwar schon 10.30 Uhr, doch einen Versuch mußte er einfach starten. Kurz darauf<br />

sprach er bei der Firma vor. Aber als er seine Daten in ein A5 Heft schrieb, in dem schon an <strong>die</strong><br />

40 Bewerbungen festgehalten waren, einige schon durchgestrichen, bei anderen ein großes<br />

Fragezeichen, sank seine Hoffnung merklich. Das große Sieben hatte bereits begonnen.<br />

Am darauffolgenden Montag, in der dritten Juliwoche, war es soweit. Er hatte das Rennen<br />

gemacht <strong>und</strong> nahm den neuen Job in der Mobil Tankstelle, im 6. Bezirk, auf. Er war jetzt<br />

Mädchen für alles. Tankwart, Autowäscher, Mechaniker <strong>und</strong> Putzfrau. Doch das wichtigste<br />

war wohl, daß das Betriebsklima stimmte <strong>und</strong> er endlich wieder einer geregelten Arbeit<br />

nachging, um so seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können.<br />

*<br />

In wenigen Wochen hatte Hans seine Position im Betrieb durch Fleiß, Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong><br />

Einsatz festigen können. Und das, obwohl er mit den Nerven am Ende war <strong>und</strong> nachts im<br />

Schlafe <strong>von</strong> schuldhaften Träumen gemartert wurde. Da war etwa <strong>die</strong>ser Traum: Monika <strong>und</strong><br />

Hans gehen im Streit auseinander. Ein gemeinsamer Bekannter ersucht Hans: „Ruf doch bei<br />

Monika an, sie sehnt sich so nach dir!“ Und als Hans, getrieben <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser hilflosen Sehnsucht,<br />

bei ihr anruft, ist sie tot. Oder <strong>die</strong>ser Traum: An einem w<strong>und</strong>erschönen Sommertag geht Hans<br />

in Komannsdorf spazieren, dabei kann er zufällig einen riesengroßen Trauerzug beobachten. Er<br />

spürt <strong>die</strong> tiefe Trauer der Leute, <strong>und</strong> als er endlich jemanden fragt: „Wer wird denn zu Grabe<br />

getragen?“, bekommt er zur Antwort: „Monika!“ Wenn er nach <strong>die</strong>sen fürchterlichen<br />

Alpträumen, <strong>die</strong> seine Schuldgefühle extrem steigerten, aufwachte, konnte er sich vor Trauer<br />

<strong>und</strong> lähmender Sehnsucht kaum bewegen. Ja, oft war es sogar so, daß er nach dem Aufwachen<br />

nicht wußte: Bin ich ein Mann oder eine Frau? Lebe ich in Wien oder in Klagenfurt? War der<br />

Alptraum ein Traum oder <strong>die</strong> Wirklichkeit? Lebt Monika oder ist sie schon gestorben? Er lag<br />

im Bett <strong>und</strong> mußte seinen Geist <strong>und</strong> Körper, denn auch <strong>die</strong>ser war kraftlos, <strong>die</strong> Arme gelähmt,<br />

wieder langsam aufbauen. Hans trank in <strong>die</strong>ser Zeit keinen Alkohol, der hätte sich wohl noch<br />

verheerender ausgewirkt. Und trotzdem hatte er vormittags ein aufgedunsenes Gesicht <strong>und</strong><br />

rote Augen. Aber auch in der Firma <strong>und</strong> im Privatleben konnte schon <strong>die</strong> geringste<br />

Konfrontation seine Nerven in fiebrige Unruhe versetzen. Wobei, wie bei einem Dominoeffekt,<br />

der Streß <strong>und</strong> das zittrige Vibrieren der Nerven seinen Körper zu zerreißen drohten. Mit<br />

Atemübungen <strong>und</strong> Selbstsuggestion, <strong>die</strong> er anfangs noch in der Toilette, später auch während<br />

der Arbeit oder dem Gespräch durchführte, gelang es ihm, <strong>die</strong> Herrschaft über sein<br />

Nervensystem wiederherzustellen.<br />

*<br />

Im Dezember las Toni im Wiener Westbahnhof wieder eine Fre<strong>und</strong>in auf. Nur, <strong>die</strong>smal war es<br />

keine junge, naive Ausreißerin, sondern eine schillernde, recht resolute Figur. Sie war älter als<br />

er, so um <strong>die</strong> 35, <strong>von</strong> kräftiger Statur, wirkte eher ungepflegt <strong>und</strong> war sehr launenhaft <strong>und</strong><br />

unberechenbar. Auch sie ging am hellichten Tage der Prostitution nach, <strong>und</strong> das sehr<br />

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erfolgreich, stellte Hans mit großer Verw<strong>und</strong>erung fest. Hans jedenfalls hätte für sie nicht einen<br />

Groschen ausgegeben, was sie anscheinend auch wußte. Und als Hans wieder einmal zu<br />

Besuch in ihrer schäbigen, alten Zimmer/Küche Wohnung war, ließ sie ihrem Unmut freien<br />

Lauf. Zuerst unterhielt er sich mit ihnen wie gewohnt. Doch plötzlich, wie aus heiterem<br />

Himmel, schlug der wankelmütige Charakter der häßlichen Herta in blanken Haß um. Unter<br />

groben Beschimpfungen zerrte sie Toni in <strong>die</strong> Küche, sperrte <strong>die</strong> Tür zum Zimmer, in dem<br />

Hans verdutzt saß, zu <strong>und</strong> verdrosch Toni ganz fürchterlich. „Den Kerl läßt du mir nicht mehr<br />

ins Haus!“, schrie sie dabei wie <strong>von</strong> Sinnen im breiten Dialekt. Nach weiteren Schlägen <strong>und</strong><br />

Gerumpel wurde <strong>die</strong> Zimmertür wieder aufgesperrt. „<strong>Die</strong> ist heute wieder verrückt!“, meinte<br />

Toni <strong>und</strong> kam kalkweiß ins Zimmer. „Du bist ein Verbrecher, der meinen Toni ins Gefängnis<br />

bringen will!“, schrie sie Hans mit hochrotem Kopf <strong>und</strong> haßerfülltem Gesicht an. „Halt deine<br />

Klappe, das ist noch immer meine Wohnung!“, warf Toni dazwischen. Worauf er gleich wieder<br />

einige kräftige Ohrfeigen bezog. Hans stand auf <strong>und</strong> verließ <strong>die</strong> Wohnung. Seit <strong>die</strong>sem Vorfall<br />

zog er sich <strong>von</strong> der Clique immer weiter zurück.<br />

*<br />

Anfang Februar. Ahnungslos <strong>und</strong> pünktlich erschien Hans an <strong>die</strong>sem Montag gegen 8 Uhr zum<br />

Service<strong>die</strong>nst. „Weißt du schon das Neueste?“, meinte Felix, der an <strong>die</strong>sem Tage Kassa<strong>die</strong>nst<br />

hatte, gelassen. „Nein!“ „Gut, es fehlen unserem Fre<strong>und</strong> Andy 15.000 Schilling <strong>von</strong> der<br />

Tagesabrechnung!“ Das ist unmöglich, da hat er einen gewaltigen Wurm in der Abrechnung,<br />

dachte Hans. „Hast schon seine Abrechnung überprüft?“ „Klar, Hanse, <strong>und</strong> es bleibt bei den<br />

15.000. Aber er wird sie wohl abgezweigt haben, seine Fre<strong>und</strong>in leidet nämlich unter<br />

chronischem Geldmangel!“ „Felix, ruf bitte sofort den Chef an, er soll <strong>die</strong>se Angelegenheit<br />

klären!“<br />

Erst am späten Nachmittag meldete sich Andy, um an der Klärung mitzuarbeiten. Er selbst<br />

konnte es nicht erklären, ja, er gab sich total entsetzt <strong>und</strong> überrascht. Doch es blieb dabei,<br />

15.000 Schilling waren im Sande verlaufen. <strong>Die</strong> Polizei wurde eingeschaltet, <strong>die</strong> Mühlen des<br />

Gesetzes begannen zu mahlen. Jeder im Betrieb wurde genau durchleuchtet. Bei Hans blieben<br />

sie hängen, er hatte Andy am Vortag einen Kurzbesuch abgestattet. Er war der einzige, der mit<br />

Ausnahme <strong>von</strong> Andy Zugang zur Kassa gehabt hatte. Erschwerend kam noch hinzu, daß er auf<br />

Ersuchen <strong>von</strong> Andy - er mußte angeblich so dringend auf <strong>die</strong> Toilette - einige Minuten als<br />

Kassier eingesprungen war.<br />

Am darauffolgenden Samstag, Hans war in der Servicehalle beschäftigt. „Sind Sie der<br />

<strong>Beschulnig</strong>?“, fragte ihn plötzlich einer der zwei Männer, <strong>die</strong> in <strong>die</strong> Halle gekommen waren.<br />

„Ja!“, entgegnete Hans, er stand unter einem Pkw, um einen Ölwechsel durchzuführen. „Gut,<br />

dann ziehen Sie sich um, Sie sind festgenommen!“ Wortlos legte Hans den Schraubenschlüssel<br />

auf <strong>die</strong> Werkzeugkiste <strong>und</strong> ging, gefolgt <strong>von</strong> den zwei Kriminalbeamten, in den Umkleideraum.<br />

Während er sich wusch <strong>und</strong> <strong>die</strong> Kleidung wechselte, durchsuchten sie recht erfolglos seinen<br />

Spind <strong>und</strong> seine Kleidung. „Suchen wohl nach meinem Geständnis!“, meinte Hans fre<strong>und</strong>lich<br />

lächelnd. „Dir wird das Lachen schon noch vergehen!“, entgegnete der größere verärgert.<br />

Im Kommissariat wurde er st<strong>und</strong>enlang unter gewaltigen psychologischen Druck gesetzt. <strong>Die</strong><br />

Indizien waren in der Tat erdrückend. „Unterschreiben Sie das Geständnis!“, meinte einer der<br />

Beamten <strong>und</strong> legte ihm das bereits aufgesetzte Geständnis vor <strong>die</strong> Nase. „Sonst stellt der U-<br />

Richter den Haftbefehl aus!“ Hans sollte also, mit dem Handel Geständnis gegen Haftbefehl,<br />

eine nicht begangene Tat zugeben. „Dann kannst nach Hause gehen <strong>und</strong> wirst auf freiem Fuß<br />

angezeigt!“ „Nein, mit mir nicht, da sitze ich lieber unschuldig im Gefängnis!“ „Na gut, wir<br />

haben schon ganz andere Jungs zum Singen gebracht!“, meinte ein anderer <strong>und</strong> krempelte seine<br />

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Hemdsärmel drohend nach oben. „Der U-Richter ist schon da!“, meinte der kleinere Polizist<br />

<strong>und</strong> ging in den Nebenraum. „Na, jetzt wirst in den Knast überstellt!“ „Macht nichts!“,<br />

entgegnete Hans bestürzt, er war mit den Nerven am Ende. Jetzt war ihm das Lachen in der<br />

Tat vergangen. Doch als der Beamte wieder aus dem Nebenzimmer kam sagte er: „Kannst<br />

verschwinden, Bürscherl, aber halt dich bereit, wir kommen wieder!“ „In <strong>die</strong>ser Firma<br />

brauchen Sie mich nicht mehr aufsuchen, ich werde sofort kündigen. Mit solchen Kollegen will<br />

ich nicht mehr zusammenarbeiten!“, sagte Hans <strong>und</strong> ging.<br />

Und so war es dann auch. Hans ging vom Polizeikommissariat aus zur Tankstelle <strong>und</strong> sprach<br />

seine Kündigung aus. Der Chef, der <strong>von</strong> seiner Unschuld immer überzeugt gewesen war,<br />

reagierte tief betroffen. Er ließ Andy zu sich rufen <strong>und</strong> sprach dessen fristlose Entlassung aus.<br />

Erst Tage später wurde der Fall durch drei kleine Buben geklärt, <strong>die</strong> beobachtet hatten, wie<br />

Andys Fre<strong>und</strong>in, unter der belustigten Aufsicht <strong>von</strong> Andy, in <strong>die</strong> Kassa gegriffen hatte.<br />

Mit dem Arbeitsplatzwechsel hatte Hans voll ins Schwarze getroffen. Es war eine kleine<br />

Be<strong>die</strong>nungstankstelle im 13. Bezirk. So hatte er sich ein Team immer vorgestellt. Aber<br />

wahrscheinlich war <strong>die</strong>ses Betriebsklima nur möglich, weil der einzige Mitarbeiter der Chef<br />

war, mit dem er im Zweitageturnus den Betrieb führte. Hans war damals 22 <strong>und</strong> schon<br />

jahrelang durch den Sumpf <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sinnlosigkeit gewatet, doch <strong>von</strong> nun an gings stetig<br />

bergauf.<br />

* * *<br />

E S G E H T A U F W Ä R T S<br />

Der Chef der Tankstelle im 13. Wiener Bezirk, Hermann Kühnel, bei dem Hans nun seinen Job<br />

versah, war um <strong>die</strong> 50, groß <strong>und</strong> <strong>von</strong> kräftiger Statur, kinderlos, das war wahrscheinlich mit<br />

ein Gr<strong>und</strong>, weshalb Hans bei ihm <strong>und</strong> seiner Frau so zuvorkommend im Betrieb aufgenommen<br />

wurde. Frau K. erkannte in Hans eine ausgehungerte Persönlichkeit, <strong>die</strong> unbedingt gemästet<br />

werden mußte. Nun, Hans war 172 cm groß <strong>und</strong> wog 65 Kilo. Wenn er knapp bei Kasse war<br />

<strong>und</strong> um einen Gehaltsvorschuß bat, gab es keinerlei Probleme. Später kaufte der Chef sogar ein<br />

Moped, damit durfte Hans in <strong>die</strong> Arbeit fahren.<br />

<strong>Die</strong> Clique, in <strong>die</strong> er nun hineinwuchs, war einmalig. Da gab es den Maler <strong>und</strong> Tapezierer<br />

Franz Zak. Er war etwas größer als Hans, sehr schlank, volles kräftiges Haar, eine große Nase,<br />

ein extrem ausdrucksstarkes Gesicht <strong>und</strong> ca. 36 Jahre alt. Als er mit seinem Moped das<br />

erstemal zur Tankstelle kam, war Hans direkt verschreckt, so furchtbar ernst <strong>und</strong><br />

durchdringend sah ihn Franz an. Das ist bestimmt ein Burenhäutelstrizzi (ein Zuhälter, der sein<br />

Geld beim Würstelstand verpulvert), dachte Hans. Auch der alte Wolf, ein großer Mann, dem<br />

der Stützapparat heftige Schmerzen bereitete, kam mit seiner Vespa <strong>und</strong> erzählte Hans immer<br />

wieder <strong>von</strong> seinem lasterhaften Leben. <strong>Die</strong> Familie Bannhofer wiederum, ein junges Ehepaar,<br />

kam ab <strong>und</strong> zu gerne auf ein Getränk zu Hans. Der Kiosk maß nur etwa 5 m 2 , war aber zu<br />

bestimmten Zeiten voller Menschen, <strong>die</strong> sich einiges zu erzählen hatten. Es kamen auch <strong>die</strong><br />

Mistkübler (Müllabfuhr) <strong>und</strong> <strong>die</strong> Straßenkehrer. Obwohl <strong>die</strong> Tankstelle in Wien war, hatte<br />

Hans oft das Gefühl, er befinde sich in einer kleinen Ortschaft, wo jeder jeden kannte. Im<br />

Sommer veranstalteten sie an der Tankstelle richtige Grillfeste.<br />

Eines Tages feierte Hans kräftig mit dem alten Wolf nach <strong>Die</strong>nstschluß in einem Gasthaus. „Da<br />

hast ein Zuckerl!“, sagte Wolf, als sie das Gasthaus zu später St<strong>und</strong>e verließen. „Für was denn,<br />

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bin doch kein Gschrapp!“, entgegnete Hans belustig lachend. Wolf nahm selbst eines in den<br />

M<strong>und</strong>, lutschte genüßlich <strong>und</strong> meinte väterlich: „Wegen <strong>die</strong> Kibara (Polizei)!“ Er machte dabei<br />

mit seinen Augen gut gemeinte unterstützende Andeutungen. „Hast mich überredet!“, meinte<br />

Hans <strong>und</strong> lutschte es, um so den Alkoholgeruch zu verbannen. <strong>Die</strong> Fasangartengasse fuhren sie<br />

noch gemeinsam, danach bog Wolf in Richtung Lainz ab, <strong>und</strong> Hans fuhr zur Jagschloßgasse,<br />

<strong>von</strong> wo er über einen Steig, ähnlich einem Feldsteg, vor dem Bahnübergang nach rechts abbog,<br />

um so den geschlossenen Bahnschranken zu umgehen. Bevor er zur Hietzinger Hauptstraße<br />

kam, sah er, wie <strong>von</strong> hinten das Blaulicht in <strong>die</strong> Nacht schlug. Er wurde <strong>von</strong> einem<br />

Streifenwagen der Polizei überholt <strong>und</strong> rechts an den Straßenrand gewunken. So ein Topfen,<br />

jetzt bin ich den Führerschein los, waren seine ersten Gedanken. Ein junger Polizist eilte rasch<br />

zu ihm. „Fahrzeugkontrolle!“ Hans griff in <strong>die</strong> Brusttasche seines Hemdes, griff in <strong>die</strong><br />

Hosentasche, nichts. Verw<strong>und</strong>ert sah er <strong>die</strong> Polizisten an. „Tut mir leid, ich hab sie<br />

wahrscheinlich auf der Tankstelle vergessen!“ „Und Fahrerflucht haben Sie auch begangen,<br />

warum?“, fragte der zweite recht schroff. „Ich?“ Hans zeigte dabei fragend <strong>und</strong> mit großen<br />

Augen auf sich. „Klar Sie, mit wem sprechen wir denn sonst!“ „Haben Sie etwas getrunken?“,<br />

fragte der zweite. „Ja, ein Bier!“ „Warum haben Sie Fahrerflucht begangen?“ „Ich habe keine<br />

Fahrerflucht begangen!“ „Klar, wir sind in der Jagdschloßgasse hinter Ihnen gefahren <strong>und</strong> als<br />

Sie uns bemerkt haben, sind Sie über den Steg abgehauen!“ „Über den Steg bin ich schon<br />

gefahren, dort fahre ich immer, wenn der Schranken zu ist!“, entgegnete Hans. „Ein raffiniertes<br />

Bürscherl!“, entgegnete wieder der andere, der kaum älter war als Hans. „Hauch mich an!“,<br />

sagte wiederum der andere. Hans hauchte ihn an. „Na, das sind aber mehr als zwei Bier!“ „Los,<br />

stell dein Moped rechts ran!“ Hans stellte sein Moped rechts am Fahrbahnrand ab. „Nicht<br />

mitten auf <strong>die</strong> Straße, bist schon so betrunken, ich habe gesagt rechts ran!“, schrie nun der<br />

andere. „Ist das vielleicht nicht rechts?“, fragte Hans provozierend, es war ihm nun schon egal,<br />

<strong>und</strong> außerdem war er wütend geworden wegen des provokanten Verhaltens der Polizisten. „Da<br />

stell es rauf!“ Hans stellte wie angeordnet das Moped neben einem Baum ab. „Kommst<br />

freiwillig mit, oder müssen wir dich festnehmen?“, sagte der junge extrem zynisch. „Nehmen<br />

Sie mich fest!“, entgegnete Hans. Der Polizist streckte ihm den Zeigefinger entgegen <strong>und</strong><br />

sagte: „Im Namen des Gesetzes, Sie sind festgenommen!“ „Los, einsteigen!“, brüllte der<br />

andere. Hans nahm hinten im VW-Passat Platz, ein Polizist setzte sich neben ihn. Auf der Fahrt<br />

zum Kommissariat rechnete sich Hans schon aus, was <strong>die</strong> Sache kosten könnte. Als er im<br />

Wachzimmer eintrat <strong>und</strong> den alten Polizisten sah, der des öfteren zu ihm auf <strong>die</strong> Tankstelle<br />

kam, um ein Stamperl zu konsumieren, sah <strong>die</strong> Welt schon etwas anders aus. Eine kleine<br />

Holzkassette, in der sich <strong>die</strong> Alkoholproberöhrchen befanden, wurde vor ihn auf den Tisch<br />

gestellt. Hans blies rein, der kleine Ballon verfärbte sich. „Na, das war aber mehr als ein Bier!“,<br />

sagte der junge siegessicher. „Kommt bitte rein!“, sagte der alte Kommandant. <strong>Die</strong> Polizisten<br />

gingen zu ihm ins Nebenzimmer. Nach etwa zehn Minuten kamen sie wieder raus. „Müßt ihr<br />

Jungen immer so aufbrausend sein?“, fragte der Alte Hans. „Ich war eh’ fre<strong>und</strong>lich, <strong>die</strong> waren<br />

so provozierend!“, entgegnete Hans. „Wo hast denn <strong>die</strong> Papiere für das Moped?“, fragte der<br />

Kommandant interessiert. „Ich glaube, ich habe sie auf der Tankstelle vergessen oder zu<br />

Hause!“, meinte Hans kleinlaut. „Na wo?“, sagte der junge Polizist forsch. „Auf der<br />

Tankstelle!“ „Gut, dann fahren wir zur Tankstelle!“, sagte der andere. Hans wurde so gegen<br />

22.30 Uhr mit dem Streifenwagen zur Tankstelle gebracht. Er hatte <strong>die</strong> leeren Schnaps-<br />

Stamperln <strong>und</strong> Bierflaschen nicht weggeräumt. „Na, da ist ja alles klar!“, sagte der junge. „Ist<br />

nicht <strong>von</strong> mir, ist <strong>von</strong> meinen Gästen!“ Hans überreichte ihnen <strong>die</strong> Papiere, <strong>die</strong> auf dem<br />

Fensterbrett lagen. <strong>Die</strong> Polizisten sahen sie durch. „Hast Glück gehabt heute, beim nächsten<br />

Mal geht es nicht mehr so gut für dich aus. Eine Anzeige bekommst trotzdem!“ Sie gingen <strong>und</strong><br />

fuhren weg. <strong>Die</strong> 1.500 Schilling Strafe zahlte Hans gerne. Freilich wußte er auch, daß ihn der<br />

alte Postenkommandant vor einer weit größeren Strafe gerettet hatte.<br />

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* * *<br />

W E I T E R E E R L E B N I S S E M I T D E R A N D E R E N W I R K L I C H K E I T<br />

Hans dachte oft darüber nach, ob es für ihn möglich wäre, mit dem Jenseits Kontakt<br />

aufzunehmen. Daß es <strong>die</strong>se Möglichkeit gab, war ihm schon allein durch <strong>die</strong> Erlebnisse <strong>und</strong><br />

Vorhersagen <strong>von</strong> Monika klar geworden. Er selbst hatte ja auch schon so seine Erfahrungen<br />

gemacht, man denke nur an das Erlebnis, wo er sich selbst in einem Sarg liegen sah, neben dem<br />

seine Eltern standen, <strong>und</strong> exakt eine Woche danach sein Bruder tödlich verunglückte. Oder der<br />

Tag, an dem er Selbstmord verüben wollte <strong>und</strong> Monika, <strong>die</strong> schon zwei Jahre tot war, erschien.<br />

Im Jahre 1981 arbeitete Hans noch immer als Tankwart bei Hermann K. im 13. Wiener Bezirk<br />

<strong>und</strong> war mit der jungen Steirerin Helga Grünhaupt befre<strong>und</strong>et. Sie besuchte in Wien <strong>die</strong><br />

Krankenschwesternschule der Gemeinde Wien <strong>und</strong> war in dem Internat in der Jagdschloßgasse<br />

untergebracht. Zu dem damaligen Fre<strong>und</strong>eskreis zählten außer den oben Erwähnten noch <strong>die</strong><br />

Computerfachleute Konrad Medi, 24, <strong>und</strong> Herbert Koch, 42.<br />

Eines Tages, Hans las das Rohmanuskript des vorliegenden Buches, er war auf Seite 23, hörte<br />

er plötzlich: „Du wirst mit dem Buch nicht fertig!“ Es war keine Stimme, sondern eine<br />

Eingebung. Eine Eingebung, <strong>die</strong> nicht <strong>von</strong> einem selbst kommt wie ein Gedanke, sondern eine<br />

Gedankenübertragung <strong>von</strong> außen, also <strong>von</strong> jemand anderem. Hans sprach mit niemandem über<br />

<strong>die</strong>ses Erlebnis. Tage später las Helga das Manuskript in seiner Anwesenheit. Plötzlich<br />

erschrak sie, sah Hans verw<strong>und</strong>ert an <strong>und</strong> meinte: „Du wirst mit dem Buch nicht fertig!“ Hans<br />

lächelte <strong>und</strong> meinte: „Gell, du bist auf Seite 23!“ Sie sah ihn noch überraschter an. „Wieso<br />

weißt du das?“ „Weil ich bei Seite 23 <strong>die</strong>selbe Eingebung hatte!“ Von <strong>die</strong>sem Tag an wuchs ihr<br />

Interesse für das Thema Grenzwissenschaften extrem an. Sie machten Versuche, <strong>die</strong> man auch<br />

als Partygags bezeichnen konnte. Man dreht das Licht mit einem Dimmerschalter ganz<br />

herunter, es muß schön dämmrig sein, legt ein weißes Tuch auf den Boden <strong>und</strong> formt es zu<br />

einer Puppe, dann setzt man sich im Kreis um <strong>die</strong>sen am Boden liegenden Stoffetzen. Alle<br />

starren den Fetzen, der eine Puppe darstellen soll, an. Einer übernimmt <strong>die</strong> Führung <strong>und</strong> sagt:<br />

„Es wird finster, es wird noch finsterer!“ <strong>Die</strong> Leute dürfen <strong>die</strong> Pseudopuppe nicht aus den<br />

Augen lassen. Wenn alle ernsthaft mitmachen, werden sie wirklich erleben, wie es immer<br />

finsterer wird. Ab <strong>und</strong> zu hat eine Schwesternschülerin zu quietschen angefangen, nicht etwa<br />

weil es ganz finster geworden war, sondern weil für sie entweder <strong>die</strong> Pseudopuppe zu leuchten<br />

begann oder sie gedanklich regelrecht in einer anderen Welt versank.<br />

Eines schönen Tages saß Hans mit Helga im Cafe Lainz, als Konrad wütend ins Lokal kam.<br />

„Grüß euch!“, sagte er. Den Groll, den er an <strong>die</strong>sem Tag in sich trug, konnte er nicht<br />

verbergen, sein Unterkiefer arbeitete dabei kontinuierlich. „Kann ich dir bei deinem Problem<br />

helfen?“, fragte Helga fre<strong>und</strong>lich. „Bei dem Problem kann mir niemand helfen!“, entgegnete er<br />

grantelnd. Helga sah ihn mit großen Augen an <strong>und</strong> meinte: „Dein Problem ist in drei Wochen<br />

erledigt!“ Konrad lachte spöttisch <strong>und</strong> ging an <strong>die</strong> Bar auf ein Bier. Konrad hatte Probleme mit<br />

seiner Fre<strong>und</strong>in, im Gr<strong>und</strong>e waren es Schwierigkeiten, <strong>die</strong> er selbst in den Raum stellte.<br />

Vierzehn Tage nach <strong>die</strong>sem Vorfall verunglückte Konrads Fre<strong>und</strong>in tödlich. „Wie hast denn<br />

das gewußt, Helga?“, fragte Hans. „Ganz einfach, ich sah Konrad in <strong>die</strong> Augen <strong>und</strong> wußte, das<br />

Problem ist in drei Wochen nicht mehr vorhanden, es war eine Eingebung!“ „Seit wann hast<br />

denn auch du so etwas?“ „Seit ich mit dir beisammen bin!“, entgegnete sie nachdenklich. Hans<br />

meinte dazu, daß nicht er der Auslöser für ihre neue Fähigkeiten war, sondern <strong>die</strong> Gespräche<br />

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über Grenzwissenschaften. Viele Menschen haben <strong>die</strong> Fähigkeit, Dinge im vorhinein zu<br />

erahnen, sich solche Informationen zu holen. <strong>Die</strong> meisten versperren sich selbst den Weg, weil<br />

sie ihn kategorisch ablehnen.<br />

1985 beschäftigte sich Hansis Schwester Traudi mit demTischerlrücken. Ein kleines r<strong>und</strong>es<br />

Holztischerl, ca. 10 cm Durchmesser, mit drei Holzfußerln <strong>und</strong> einem Loch für einen Bleistift<br />

in der Mitte der Platte. Traudi legte ihre rechte Hand aufs Tischerl <strong>und</strong> fragte einen<br />

Verstorbenen, ob er da sei. „Heinzi, bist du hier, wenn du hier bist, dann melde dich!“ Wenn es<br />

beim ersten Versuch nicht klappte, wiederholte sie es nochmals, oder sie fragte eine andere<br />

Person. Das ging solange, bis sich das Tischerl in Bewegung setzte <strong>und</strong> zu schreiben begann.<br />

Seine Schwester war schon geübt <strong>und</strong> meinte, da gebe es auch einen Schlechten, der nenne<br />

sich Moris. Bei Hans funktionierte das Tischerl nicht. Doch durfte er Fragen stellen, <strong>und</strong> seine<br />

Schwester spielte das Medium, <strong>und</strong> das Tischerl beantwortete <strong>die</strong>se. Hans selbst war skeptisch,<br />

es hätte ja durchaus sein können, daß ihn seine Schwester nur zum Narren hielt <strong>und</strong> das<br />

Tischerl selbst führte. Bei der Befragung kam heraus, daß sehr viele Antworten falsch waren.<br />

Andere wiederum waren so exakt, daß man aus dem Staunen nicht herauskam, eigentlich<br />

schon eine Gebrauchsanweisung für das zukünftige Schicksal <strong>von</strong> demjenigen, um den es sich<br />

handelte. Damals erfuhr er auch <strong>die</strong> Hintergründe, warum er keine Einladung zur Beisetzung<br />

seines Bruders bekommen hatte. „Vater hat nicht gewollt, daß du teilnimmst, <strong>und</strong> Mutter hat<br />

schützend <strong>die</strong> Hand vor ihn gehalten <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ausrede zur Hand genommen, daß dich deine<br />

Fre<strong>und</strong>e verprügeln wollen!“<br />

Hans stellte <strong>die</strong> Frage: „Kannst du mir den weiteren Lebensweg <strong>von</strong> meinem Fre<strong>und</strong> Konrad<br />

Medi voraussagen?“ Geschriebene Antwort: „Es gibt für ihn keine Zukunft!“ Frage: „Wieso<br />

nicht!“ Antwort: „Weil er tödlich verunglücken wird!“ Frage: „Wie wird das geschehen?“<br />

Antwort: „Er wird <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>in deiner Lebensgefährtin kennenlernen, mit ihr nach Ungarn<br />

fahren. Sie wird in einen Bahnschranken fahren, <strong>und</strong> er wird sich dabei das Genick brechen.“<br />

Frage: „Kann ich das verhindern, darf ich Konrad da<strong>von</strong> ihn Kenntnis setzen?“ Antwort: „Du<br />

darfst nichts sagen, mußt es für dich behalten, wenn du ihm was sagst, wird er Schlimmeres<br />

erleben!“<br />

1989 im Jänner, das Telefon läutete, Hans griff zu dem Hörer: „<strong>Beschulnig</strong>!“ „Hallo, Hans,<br />

Konrad hier!“ „Hallo, Konrad, wie geht es dir?“ „Blendend, ich fahre heute mit meiner neuen<br />

Fre<strong>und</strong>in nach Ungarn!“ Hans zuckte zusammen, obgleich er selbst nicht wußte, warum. „Bist<br />

du blöd, nach Ungarn!“, gab er etwas lauter <strong>und</strong> besorgt <strong>von</strong> sich. „Wieso, was hast denn, was<br />

ist denn?“, fragte nun Konrad besorgt. „Nichts, nichts, ich weiß selbst nicht, was mit mir los<br />

ist!“, entgegnete Hans. Es war wirklich so, er wußte nicht mehr, warum er plötzlich so<br />

aufgeregt reagiert hatte, an das Tischerlrücken <strong>von</strong> vor über dreieinhalb Jahren dachte er zu<br />

<strong>die</strong>sem Zeitpunkt nicht. Drei Tage später bekam Hans ein Telefonat <strong>von</strong> Franz Zak. Konrads<br />

Fre<strong>und</strong>in war bei Nebel in den geschlossenen ungarischen Grenzbalken gefahren. Konrad hatte<br />

sich den zweiten Halswirbel gebrochen. <strong>Die</strong> Chancen für ihn standen nicht gut, da sein Gehirn<br />

zu lange ohne Sauerstoff auskommen hätte müssen. Man brachte ihn ins Meidlinger<br />

Unfallkrankenhaus, wo er Monate später verstarb, ohne jemals wieder zu Bewußtsein<br />

gekommen zu sein. <strong>Die</strong> Fre<strong>und</strong>in <strong>von</strong> Konrad war tatsächlich eine Fre<strong>und</strong>in <strong>von</strong> Hansis<br />

Lebensgefährtin, das erfuhren <strong>die</strong> beiden erst nach dem Unfall.<br />

Was den Unfalltod <strong>von</strong> Konrad Medi betrifft, so wäre noch zu erwähnen, daß <strong>die</strong>sen auch<br />

seine eigene Schwester vorausgesehen hatte. Sie war schwanger <strong>und</strong> hatte Tage zuvor<br />

geträumt, daß er selbst ein Auto lenkte <strong>und</strong> damit tödlich verunglückte. Sie war durch den<br />

Traum aufgewacht <strong>und</strong> hatte ihn mitten in der Nacht angerufen. Er hatte darüber nur gelacht<br />

<strong>und</strong> gemeint: „Mach dir keine Sorgen, mir haben sie wegen Alkoproblemen den Führerschein<br />

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abgenommen, es fährt ja sowieso meine Fre<strong>und</strong>in, <strong>und</strong> <strong>die</strong> hat bis heute nicht einmal einen<br />

Blechschaden verursacht!“<br />

Vom Tischerlrücken sollte man auch <strong>die</strong> Hände lassen. Es hat schon viele Menschen gegeben,<br />

<strong>die</strong> zuerst mitleidig gelächelt haben <strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Magie verfielen, als es funktionierte, <strong>und</strong> dann<br />

an Verfolgungswahn litten oder freiwillig aus dem Leben schieden.<br />

Frühjahr 1990. Hans konnte <strong>die</strong> ganze Nacht nicht schlafen <strong>und</strong> leistete danach trotzdem eine<br />

volle Schicht. Als er nach Hause kam, legte er sich sofort ins Bett. In dem Stadium zwischen<br />

Wachsein <strong>und</strong> Einschlafen sah er plötzlich das Haus seines Onkels in Kärnten aus der<br />

Vogelperspektive. Der Onkel kam aus dem Haus <strong>und</strong> eilte zu dem Bahndamm, er wollte <strong>die</strong>sen<br />

überschreiten, um so eine Abkürzung zum Gastwirt zu nehmen, doch plötzlich kam der Zug.<br />

Hans erschrak <strong>und</strong> wachte auf.<br />

Im Spätsommer fuhr Hans nach Kärnten in den Urlaub, er besuchte auch seine Schwester<br />

Thekla. „Gestern haben wir ein Begräbnis gehabt!“, meinte sie. „So, wer ist denn gestorben?“<br />

„Der Onkel . . . ist gleich neben seinem Haus vom Zug gerädert worden!“<br />

Hans erzählte <strong>die</strong>se Geschichte zwar, aber er wurde <strong>von</strong> niemandem ernstgenommen. Und das<br />

ist der springende Punkt. <strong>Die</strong> Menschen glauben nicht an <strong>die</strong> geistige Kraft des Universums, sie<br />

verschließen alle ihre Empfangsantennen. Man sollte wirklich nicht alles, was jemand erzählt,<br />

für bare Münze nehmen, es wird sehr viel Scharlatanerie auf <strong>die</strong>sem Gebiet betrieben. Aber<br />

horchen Sie sich einmal um, in Ihrem Bekannten- <strong>und</strong> Verwandtenkreis, Sie werden staunen.<br />

Für all jene, <strong>die</strong> sich mit <strong>die</strong>sen Dingen beschäftigen wollen: Seien Sie vorsichtig, es hat schon<br />

viele Menschen gegeben, <strong>die</strong> zuerst darüber gelacht haben <strong>und</strong> später das Opfer <strong>von</strong> Moris<br />

wurden. Besonders das Tischerl- <strong>und</strong> Gläserrücken ist brandgefährlich, da gibt es furchtbare<br />

Fälle mit unerfahrenen Jugendlichen, <strong>die</strong> mit Selbstmord geendet haben. Man sollte <strong>von</strong> <strong>die</strong>sen<br />

Dingen lieber <strong>die</strong> Finger lassen. Selbst Hansis Schwester greift nicht mehr zu <strong>die</strong>ser Art <strong>von</strong><br />

Verbindung zu einer anderen Dimension. Sie greift heute nur noch zu Karten oder versucht,<br />

mit gedanklicher Feinfühligkeit Resultate zu erzielen.<br />

* * *<br />

W A S I S T A U S H A N S G E W O R D E N ?<br />

Sie werden sich jetzt fragen, was aus Hans geworden ist, welche Spuren <strong>die</strong>se Erlebnisse in<br />

seinem Lebensfrühling hinterlassen haben? Er hat den Hauptschul- <strong>und</strong> den Lehrabschluß als<br />

Kfz-Mechaniker nachgeholt, versah im Winter 1982/83 <strong>Die</strong>nst als UN-Soldat auf dem Golan in<br />

Syrien, danach arbeitete er zwischendurch als Hilfsarbeiter in einer Wäscherei, später ging er<br />

zu den Wiener Verkehrsbetrieben <strong>und</strong> arbeitet derzeit als U-Bahn-Fahrer. Er ist, wie sie sehen,<br />

ein ganz gewöhnlicher Otto Normalverbraucher. Geheiratet hat er nie, den Schwur, den er<br />

damals Monika gegeben hat, wird er in <strong>die</strong>sem Leben einhalten. Sie haben richtig gelesen - in<br />

<strong>die</strong>sem Leben. Hans hat kein Interesse, mit seinem Vater in Kontakt zu treten, das ist auch der<br />

Gr<strong>und</strong>, weshalb er seine Eltern seit Jahren nicht mehr aufgesucht hat. Zu seinen damaligen<br />

Fre<strong>und</strong>en Heino, Fritz <strong>und</strong> George ist seit dem Tod seines Bruders jegliche Verbindung<br />

abgebrochen. Zu Monikas Sohn <strong>und</strong> ihrem Vater hat er auch keinen Kontakt, vielleicht sind<br />

Hans’ Schuldgefühle der Gr<strong>und</strong> dafür, vielleicht aber auch ganz einfach <strong>die</strong> Härte des Lebens.<br />

Kontakt in Kärnten hat er derzeit nur mit seinen beiden Schwestern, ihren Familien, Martin,<br />

dem Wirtshaus-Sohn - er führt mittlerweile das Gasthaus seiner Eltern - <strong>und</strong> mit der<br />

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ehemaligen Nachbarin in Oberndorf, der Plautzin. <strong>Die</strong> Plautzin wurde <strong>von</strong> ihren Angehörigen<br />

nach dem Tod ihres Mannes 1996 in ein Altersheim nach Feistritz im Rosental abgeschoben,<br />

wo man sich wirklich redlich um sie bemüht. In Anbetracht dessen, wie sie <strong>und</strong> ihr Mann sich<br />

ein Leben lang um ihre Nachkommen bemüht haben, hätte sie wenigstens späten Dank in Form<br />

familiärer Geborgenheit am Lebensabend ver<strong>die</strong>nt. Hans hat zwar den Kontakt zu seiner<br />

Mutter abgebrochen. Er kann sich jedoch nicht vorstellen, daß sie eines Tages ins Altersheim<br />

müßte <strong>und</strong> er dabei zusähe, auch wenn man sich redlich um sie bemüht.<br />

„Jeder Topf findet seinen Deckel!“, hat einmal ein alter Mann zu Hans gesagt, so war es denn<br />

auch bei ihm. 1982 lernte er ein Mädchen kennen, das seine Bedingungen akzeptierte <strong>und</strong><br />

seither mit ihm in Gütertrennung lebt, denn nur unter <strong>die</strong>ser Voraussetzung war er bereit, eine<br />

Wohngemeinschaft mit ihr einzugehen. Jeder, so lautete <strong>und</strong> lautet auch heute noch <strong>die</strong><br />

mündliche Vereinbarung, erarbeitet <strong>und</strong> behält seinen Teil. Zum gemeinsamen Haushalt trägt<br />

jeder das Seine bei, <strong>und</strong> sollten sie sich eines Tages trennen, so werden sie als gute Fre<strong>und</strong>e<br />

auseinandergehen. Eine solche Vereinbarung mag vielleicht kalt, nüchtern erscheinen <strong>und</strong> jede<br />

Romantik vermissen lassen. <strong>Die</strong> beiden gingen durch wirtschaftlich magere <strong>und</strong> fette Zeiten.<br />

Vor 15 Jahren haben sie einander kennengelernt. Damals hatten beide Schulden, eine<br />

Vergangenheit, <strong>die</strong> nicht nur <strong>von</strong> Heiterkeit geprägt war - aber das gehört wohl zum Schicksal<br />

eines jeden Lebewesens - <strong>und</strong> eine Unterkunft, <strong>die</strong> man besser nicht als Wohnung bezeichnen<br />

sollte. Heute, 1997, besitzt seine Fre<strong>und</strong>in in Kärnten einen Baugr<strong>und</strong> in sonniger Lage <strong>und</strong> er<br />

in Wien eine kleine Eigentumswohnung, <strong>die</strong> er gewinnbringend vermietet. Sie leben spartanisch<br />

in einer kleinen Wohnung mit Dusche, das WC ist am Gang <strong>und</strong> wird mit vier weiteren<br />

Wohnungsnachbarn geteilt. Jetzt wird er bald vierzig <strong>und</strong> hat vor, den Job des U-Bahnfahrers<br />

trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten an den Nagel zu hängen. Wichtig ist nicht der<br />

krisensichere Job, wichtig ist, wie man sich fühlt - <strong>und</strong> wenn man dabei bei der Arbeit Krampen<br />

<strong>und</strong> Schaufel verwendet.<br />

Leid tut ihm, was sich damals mit Monika zugetragen hat. Nicht leid tut ihm sein Werdegang,<br />

ganz im Gegenteil. Hans wird immer stolz darauf sein, ein Mädchen wie Monika Glaser kennen<br />

<strong>und</strong> lieben gelernt zu haben. So kalt <strong>und</strong> leer <strong>die</strong> Zeit nach ihrem frühen Tod für Hans auch<br />

war, so hat sie ihm doch ein reiches Erbe an Erkenntnis hinterlassen <strong>und</strong> das Wissen, daß es<br />

zwischen Himmel <strong>und</strong> Erde noch andere Welten als unsere dreidimensionale gibt. Wie, so hat<br />

er sich immer wieder gefragt, hat Monika <strong>die</strong>se Begegnungen mit dem Mönch in der weißen<br />

Kutte, der ja tatsächlich bei ihr erschienen ist, zustande gebracht? Wie konnte sie damals schon<br />

ihren frühen Tod voraussagen? Wie seine Zukunft in dem Haus der wohlhabenden Männer?<br />

Wie <strong>die</strong> Tatsache, daß er sie nach der Trennung nicht mehr besuchen würde? Wie das schöne<br />

Wetter für den Tag ihrer Bestattung? Er mußte ihr sogar schwören, an ihrem Begräbnis<br />

teilzunehmen! Zwei Jahre nach ihrem Tod wollte er Selbstmord begehen, doch sie stand<br />

plötzlich vor ihm <strong>und</strong> lächelte ihn glücklich an, wie das? Ja, so werden wieder obergescheite<br />

Psychologen sagen: Das ist eben das menschliche Gehirn, das in Notsituationen so handelt!<br />

Warum handelt es dann bei anderen verzweifelten Menschen, <strong>die</strong> in den Freitod gehen wollen,<br />

nicht so?<br />

Mittlerweile weiß Hans, daß es sehr viele Menschen gibt, <strong>die</strong> auf solche Erfahrungen verweisen<br />

können, nur nicht mit jedem darüber zu sprechen wagen, da sie nicht als Verrückte gelten<br />

wollen. Esoteriker wissen, daß <strong>die</strong> Verbindung zu einer höheren Dimension mittels<br />

Schwingungszuständen erreicht werden kann. Der menschliche Geist ist in der Lage, eine<br />

solche Verbindung herzustellen. Es gibt Menschen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Gabe besitzen. In dem Buch<br />

„Große Mysterien, Zukunftsvisionen“ ist zu lesen, daß 1898 Morgan Robertson, also 14 Jahre<br />

vor dem Untergang der Titanic, eine Beschreibung <strong>die</strong>ser Katastrophe in dem Roman „Der<br />

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Untergang der Titan“ veröffentlichte. Präsident Abraham Lincoln träumte <strong>von</strong> seinem<br />

bevorstehenden Tod. Im dritten Weltkrieg, so soll Nostradamus vorhergesagt haben, werden<br />

<strong>die</strong> USA <strong>und</strong> <strong>die</strong> westliche Hemisphäre unter furchtbaren Zerstörungen zu leiden haben.<br />

Hans hat seine eigene <strong>Jugendzeit</strong> nicht, oder nur vorübergehend, aus der Bahn werfen können.<br />

Und irgendwie, Sie werden es nicht glauben, ist er sogar froh, daß er <strong>die</strong>se Erfahrungen hat<br />

sammeln dürfen. Sie waren ihm eine Schule des Lebens. Er fürchtet sich heute nicht mehr vor<br />

dem Leben, nicht mehr vor dem Tod. Ja, er würde ganz sicher eine lebensrettende<br />

Organverpflanzung ablehnen, dafür den eigenen Tod in Kauf nehmen. Nicht weil er<br />

Todessehnsucht hat, sondern ganz einfach, weil er keine Angst vor seiner Vergänglichkeit hat<br />

<strong>und</strong> findet, daß man auch dazu stehen sollte. Es ist für ihn nicht wichtig, sein Leben um Jahre,<br />

Monate, Tage, St<strong>und</strong>en oder gar wenige Sek<strong>und</strong>en zu verlängern. Für ihn ist es wichtig, in<br />

seinem Sinn gelebt zu haben.<br />

Plötzlich ist man da, <strong>und</strong> nach <strong>und</strong> nach beginnt man schon als Kleinkind zu begreifen, welche<br />

W<strong>und</strong>er das irdische Dasein in sich birgt, aber auch, wie grausam <strong>und</strong> mit welch<br />

himmelschreiendem Unrecht es für so manche Kreatur zu ertragen ist.<br />

Eines Tages, Hans ging mit seinem H<strong>und</strong> bei schönem Frühlingswetter in der Au spazieren,<br />

beobachtete er <strong>die</strong> üppige Pflanzenwelt <strong>und</strong> den Sonnenuntergang. Im Hintergr<strong>und</strong> vernahm er<br />

das herrliche Quaken der Frösche, das Zirpen der Grillen <strong>und</strong> das melodiöse Gezwitscher<br />

unserer Singvögel. Sein H<strong>und</strong> war währenddessen mit ganz anderen Dingen, wie der Analyse<br />

der unterschiedlichsten Geruchsspuren, beschäftigt. Plötzlich erregte ein Vogel, der mit einem<br />

Wurm im Schnabel zu seinen Jungen ins Nest des Baumgipfels flog, Hans’ Aufmerksamkeit.<br />

Des einen Leid, des anderen Freud, dachte er. Und plötzlich, als wenn sein persönliches<br />

Schicksal <strong>die</strong>se Szene vorbereitet hätte, wurde ihm bewußt, daß jedes Lebewesen seine eigenen<br />

Interessen, seine eigene Welt hat <strong>und</strong> daß der Tod zwar unsere physische, nicht jedoch unsere<br />

seelische Vergänglichkeit bedeutet! Er dachte an <strong>die</strong> Anfänge <strong>und</strong> den Aufbau allen Lebens -<br />

<strong>von</strong> den Einzellern hin zum Menschen - <strong>und</strong> an <strong>die</strong> vielen Gemeinsamkeiten sowie <strong>die</strong><br />

wechselseitige Abhängigkeit, dabei ließ ihn der Gedanke der „Gleichwertigkeit“ nicht los. Der<br />

ist doch verrückt, der spinnt, werden Sie jetzt sagen. Schon möglich, er ist Demokrat, <strong>und</strong> Sie<br />

können darüber diskutieren, wird er Ihnen entgegnen. Ein Biologe hat einmal zu ihm gesagt:<br />

„Alles Leben hat ein Recht auf Leben!“ Hans gab zur Antwort: „Aber nicht ein Bazillus, der<br />

mir eine Krankheit aufbürden kann!“ Der Biologe sah ihn an, als hätte er nur auf <strong>die</strong>se Antwort<br />

gewartet <strong>und</strong> meinte ganz trocken: „Auch das hat ein Recht auf Leben!“ <strong>Beschulnig</strong> gibt zu,<br />

damals war er verärgert, denn wie kann ein vernünftiger Mensch einem Lebewesen, das ihm<br />

den Tod bringen kann, ein Recht auf Leben geben. „Das kommt doch einer Selbstaufgabe<br />

gleich, oder?“, meinte er siegessicher. „<strong>Beschulnig</strong>, ich habe nicht gesagt, daß Sie sich nicht<br />

wehren dürfen! Ich habe nur gesagt, daß jedes Lebewesen, jede Art ein Recht zu leben hat!“<br />

Hans war baff, gab sich geschlagen <strong>und</strong> hat jahrelang über <strong>die</strong>ses Gespräch nachgedacht.<br />

Erst bei dem Erlebnis in der Au wurde ihm bewußt, was der Biologe damals gemeint hatte.<br />

Eine Mücke stach in seinen Unterarm, er schlug mit der Handfläche auf das einfache<br />

Lebewesen, <strong>die</strong> Mücke fiel tot zu Boden. Ich habe jetzt ein Lebewesen getötet, schoß es in<br />

seinen Sinn. „Ach was, ist doch nur eine Mücke, ein primitives Lebewesen!“, entgegnete sein<br />

Gewissen. Doch sein Gedankenfluß hielt nicht mehr inne. „Alles hat seinen Sinn, auch das<br />

Leben einer Mücke, einer Fliege, einer Maus, einer Schlange, einer Ratte, eines Löwen, eines<br />

Elefanten <strong>und</strong> an der Spitze das eines Menschen!“ Aber plötzlich dachte er auch an <strong>die</strong><br />

Wertigkeit des Lebens. Ihm wurde dabei bewußt, daß das Leben für <strong>die</strong>ses primitive Insekt<br />

genauso viel bedeutet hatte, wie das seine für ihn. Nur <strong>die</strong> Zeitspanne des Bedauerns <strong>und</strong> der<br />

Trauer wird größer, je höher <strong>die</strong> Intelligenz ist. Wird ein Mensch aus dem Leben gerissen, so<br />

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trauern seine Angehörigen oft Jahre. Trauert ein Insekt um das andere? Wohl nicht. „Pfui,<br />

pfui!“, werden jetzt einige schreien. Doch haben Sie schon einmal an einen Mord gedacht, der<br />

in einer weit entfernten Stadt geschieht, oder an den mohammedanischen Soldaten, der<br />

irgendwo in der Wüste in den Sand beißt? Sehen Sie, Sie hören solche Nachrichten <strong>und</strong> essen<br />

dabei in Ruhe Ihr Schlagobers oder trinken genüßlich Ihr Bier!<br />

Hans kann sich noch gut an seine Volksschulzeit erinnern. Da gab es immer einen stärkeren<br />

Burschen, um den sich schwächliche Opportunisten scharten, um so ja nicht in eine heikle<br />

Situation - den Watschenbaum - zu geraten. Er selbst gehörte eher zu den Taktikern, <strong>die</strong> sich<br />

mehr oder weniger geschickt durch <strong>die</strong>se Intrigen schlichen. Damals schon lernte er, wie man<br />

sich einem Stärkeren gegenüber zu verhalten hatte, ohne gleich in <strong>die</strong> Knie gehen zu müssen.<br />

Natürlich gab es auch für ihn öfter kräftige Abreibungen - so ist es eben im kosmischen<br />

Daseinskampf, wenn man nicht zu den Kräftigsten zählt! So verhält es sich nicht nur bei<br />

Schuljungens, sondern auch bei allen anderen Individuen <strong>und</strong> Existenzen. Ja, sogar unser<br />

Kosmos ist da nicht ausgeschlossen. Beispiel gefällig?<br />

Vor ca. 15 Milliarden Jahren gab es den Urknall, der <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>lagen für unser Dasein schuf, so<br />

behaupten es jedenfalls derzeit <strong>die</strong> Wissenschafter, <strong>und</strong> seitdem dehnt sich der Weltraum<br />

kontinuierlich aus. Damals hat der Kampf ums Überleben sogar bei einzelnen Sonnensystemen,<br />

Sternen <strong>und</strong> Planeten begonnen. Den Frühling, Herbst <strong>und</strong> Winter gibt es nicht nur auf unserer<br />

Erde, nein, den gibt es im ganzen Kosmos. Es herrscht ein andauerndes Kommen <strong>und</strong> Gehen,<br />

ein Geborenwerden, Aufblühen - wenn es <strong>die</strong> eigene Kraft <strong>und</strong> <strong>die</strong> äußeren Umstände erlauben<br />

- sowie ein Altern <strong>und</strong> Vergehen. So verhält es sich auch mit der irdischen Biologie, mit<br />

unserem eigenen Leben, den Völkern, Staaten, den Religionen, den Künsten, unseren<br />

Weltanschauungen - mit allem, egal, ob es materieller, geistiger, biologischer oder gar<br />

abstrakter Art ist.<br />

Also, vor etwa 15 Milliarden Jahren kam es zum Urknall. Und wenn Sie jetzt jemanden fragen,<br />

was davor gewesen sei, so wird Ihnen so mancher antworten: „Nichts!“ Dazu gibt nun Hans<br />

seinen Senf <strong>und</strong> sagt: „Von nichts kommt nichts!“ Dann gibt es wieder welche, <strong>die</strong> meinen: „Es<br />

gab schon etwas, aber <strong>die</strong>ses Etwas war zu einem Nichts, oder beinahe Nichts,<br />

zusammengepreßt!“ „So“, sagt Hans, „<strong>die</strong>ses riesige Universum soll zu einem Nichts<br />

zusammengepreßt gewesen sein?“ Sie sehen, man kann an dem, was vor dem Urknall war,<br />

herumdoktern, wie man will, dabei bemerkt man erst so recht, wie begrenzt unser Denken ist.<br />

Nur eines hat er daraus gelernt. Es hat vielleicht einmal ein Nichts, oder noch besser, ein Fast-<br />

Nichts gegeben, das <strong>von</strong> zwei starken Kräften regiert, beherrscht wurde - dem Plus <strong>und</strong> dem<br />

Minus.<br />

Es hat also eine Kraft gegeben, <strong>die</strong> unser Universum zu einem Nichts zusammenpreßte. Und<br />

eine andere Kraft, <strong>die</strong> sich der ersteren entledigen wollte <strong>und</strong> das auch schaffte, denn ansonsten<br />

wäre es nicht zum Urknall gekommen, der unser Universum neu erstehen ließ. Wenn das so<br />

geschehen ist, so wird der Tag kommen, an dem sich <strong>die</strong> Kraft, <strong>die</strong> das Universum entstehen<br />

ließ, erschöpfen muß <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gegenkraft das Sagen haben wird. Dann wird sich das Universum<br />

wieder zu einem Nichts oder Fast-Nichts zusammenziehen.<br />

Wie soll so etwas vor sich gehen, werden sich einige fragen. Nun, Hans stellt sich dabei das<br />

Schwarze Loch vor. Was ist ein Schwarzes Loch? Ganz einfach, ein gestorbener Stern, eine<br />

Sonne. Astronomen meinen, daß unsere Sonne dazu zu wenig Masse hätte, sie müßte dreimal<br />

so massereich sein. Macht nichts, er bleibt bei <strong>die</strong>ser Vorstellung, denn so kann er es viel<br />

verständlicher darstellen. Unsere Forscher meinen also, <strong>die</strong> Sonne wird noch ca. 5 Milliarden<br />

Jahre als Energiespender der Erde zur Seite stehen. Danach wird sie sich zunächst ausdehnen,<br />

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aufblähen <strong>und</strong> schon bald in sich zusammenfallen. Es wird im Vergleich zur heutigen Größe<br />

<strong>von</strong> ihr nicht viel übrigbleiben. Aber, <strong>und</strong> jetzt kommt der springende Punkt, sie wird trotzdem<br />

<strong>die</strong>selbe Masse haben, nur extrem verdichtet. Dabei wird sie eine so starke Anziehungskraft -<br />

Gravitation - entwickeln, daß ihr nicht einmal mehr Licht entweichen kann, daher der Name<br />

Schwarzes Loch, genauer eigentlich Schwarze Sonne. Und es geht hurtig weiter, <strong>die</strong>ses<br />

Schwarze Loch reist nun durch das Universum, wie ein gefräßiges Raubtier auf Erden, <strong>und</strong><br />

zieht alles, was eben ihre Masse ihr erlaubt zu verzehren, in sich hinein, komprimiert es in ihrer<br />

Masse <strong>und</strong> wächst so zu einem noch größeren Ungeheuer mit noch stärkerer Gravitation an.<br />

Vermutlich wird das so lange vor sich gehen, bis es nur noch ein einziges Schwarzes Loch gibt.<br />

Aber auch <strong>die</strong>ses einzige Schwarze Loch wird keine Ruhe haben, so ist eben das Gesetz allen<br />

Lebens. Denn es wird weiterhin <strong>von</strong> zwei Kräften beherrscht, der einen, <strong>die</strong> es zusammenhält,<br />

komprimiert, <strong>und</strong> der anderen, <strong>die</strong> es zu zerreißen, zerstören droht oder ausbrechen will. Und<br />

irgendwann, wenn <strong>die</strong> eine Kraft zu schwach, zu unkonzentriert oder lax ist, nützt <strong>die</strong> zweite<br />

ihre Chance, <strong>und</strong> alles beginnt <strong>von</strong> vorne.<br />

Das ist Hans’ Philosophie, <strong>die</strong> sicher nicht er selbst entwickelt hat, schon Naturvölker hatten<br />

<strong>die</strong>ses Wissen. Hans aber glaubt felsenfest daran, <strong>und</strong> sie macht ihm den Sinn oder Unsinn des<br />

Lebens, des Krieges, des Todes zum Teil begreiflich. Das Gesetz allen Lebens kennt keine<br />

Heuchelei. Und der Friede, so wie wir ihn uns vorstellen, existiert nur in den Köpfen. In der<br />

Realität herrscht dauerhafter, latenter Kriegszustand. Während zum Beispiel Hans <strong>die</strong>se Zeilen<br />

schrieb, fand in seinem Körper ein fürchterliches Gemetzel statt. T-Zellen entdeckten<br />

eindringende Viren <strong>und</strong> wehrten <strong>die</strong>se rasch ab. Er hatte nochmals Glück, seine<br />

Ges<strong>und</strong>heitspolizei schützte seinen Körper. Aber es ging <strong>und</strong> geht weiter. Sein Körper wird<br />

<strong>die</strong>sen Angriffen solange standhalten, bis seine Abwehr versagt <strong>und</strong> ein Virus - wie Aids - sich<br />

getarnt Zutritt verschafft. Danach würden sich <strong>die</strong>se Viren - wie auf den Kriegsschauplätzen<br />

der modernen Welt - eine Position nach der anderen holen, ohne ihn zu fragen oder sich um<br />

seine Schmerzen zu kümmern, sein Ganzes erobern <strong>und</strong> zerstören.<br />

So kann man das nicht sehen, das muß man differenziert betrachten, werden sofort einige<br />

aufzeigen. Andere werden wieder hysterisch argumentieren, das sei ja <strong>die</strong> Ansicht aus dem<br />

ehemaligen Nazideutschland, wo man auch <strong>von</strong> Schädlingen <strong>und</strong> Ungeziefer sprach, oder da<br />

predige einer ein Wiederaufleben des Machiavellismus. Hans bleibt trotzdem dabei, denn <strong>die</strong>se<br />

Diskussion ist ja schon der Beweis, daß es zwei Kräfte gibt - wobei es jedoch dem jeweiligen<br />

Diskutanten offen bleibt, ob er sich als Opfer oder Täter, als Polizist oder Krimineller sieht.<br />

Oder gehen wir in <strong>die</strong> jüngere Geschichte, wo im Dritten Reich <strong>die</strong> Linken <strong>die</strong> Opfer <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Rechten <strong>die</strong> Täter waren: in der Sowjetunion war es genau umgekehrt. Und heute haben bei<br />

uns <strong>die</strong> Linken das Sagen, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Rechten werden verteufelt.<br />

Wenn man das Gesetz allen Lebens begreifen will, muß man sich alles als Körper vorstellen.<br />

Selbst ein Militär sieht seinen Gegner als Körper an, an dem er den w<strong>und</strong>en Punkt <strong>und</strong> vor<br />

allem den Kopf mit seinen militärischen Ideen stu<strong>die</strong>rt. Auch politische Ideen sieht man so; es<br />

heißt ja nicht umsonst der Kommunismus, der Kapitalismus. Aber auch eine Religion, das<br />

Christentum - ein Körper, der Islam - ein Körper, Kunst <strong>und</strong> Literatur, selbst ein Buch wird<br />

nach Viren durchsucht, das der jeweiligen Majorität, auch der Demokratie, Schaden zufügen<br />

könnte. Umgekehrt setzt auch <strong>die</strong> Majorität mittels Propaganda - Meinungsbildung - <strong>und</strong><br />

medialer Suggestion <strong>die</strong> Angreifer, soll heißen <strong>die</strong> Opposition, unter Druck. Sie scheut sich<br />

nicht, mit Steuergeldern Künstler zu engagieren <strong>und</strong> so mit einer Mitleidsmasche ihr Ziel zu<br />

erreichen.<br />

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Sehen Sie, <strong>und</strong> mit dem zweiten Golfkrieg erhielt Hans den Beweis dafür, daß ein<br />

Menschenleben bei den Mächtigen <strong>die</strong>ser Welt nicht viel zählt. <strong>Die</strong>se hatten <strong>die</strong> Horrorzahlen<br />

an Toten auf dem Reißbrett vorgeplant - man konnte in Tageszeitungen lesen, wieviele<br />

Menschen bei Angriffsplan A <strong>und</strong> wieviele bei Plan B <strong>und</strong> C ihr Leben lassen würden - <strong>und</strong> ihre<br />

Aktion eiskalt durchgezogen. <strong>Die</strong> Weltbevölkerung war mit Hilfe der Massenme<strong>die</strong>n auf<br />

Kriegsstimmung getrimmt worden - <strong>und</strong> Punkt.<br />

Das ist <strong>die</strong> eine Seite, <strong>die</strong> andere hingegen: Hätten sie das nicht getan, wäre im Nahen Osten<br />

ein militärisch starker Körper aufgetreten, den sie vielleicht nicht mehr so locker hätten<br />

bekämpfen können, der ihnen selbst auch noch gefährlich geworden wäre.<br />

Besehen wir nun einen lockeren Vergleich zwischen der großen Weltpolitik <strong>und</strong> dem<br />

Lausbubenalltag: „Der Karli ist ein falscher Kauz, der lügt wie gedruckt, dem müssen wir<br />

wieder einmal Ordnung beibringen, sonst glaubt er noch, er könne mit uns nach Belieben<br />

umspringen.“ Und schon kriegt der Karli <strong>von</strong> einer geschickten - oft auch mittels hinterhältiger<br />

Propaganda <strong>und</strong> Suggestion aufgebauten - Clique einige auf <strong>die</strong> Schnauze. Danach fällt sein<br />

Prestige unter Null, <strong>und</strong> er muß sich auf dem Nachhauseweg unter Umständen sogar in <strong>die</strong><br />

Brennesseln legen, <strong>die</strong> Taschen <strong>von</strong> den Schulkameraden tragen oder noch weit Schlimmeres<br />

erdulden.<br />

Solche Dinge haben wahrscheinlich auch Sie in Ihrer Schulzeit erlebt. Später gab es <strong>die</strong> Intrige<br />

um Ihre Fre<strong>und</strong>in, Ihren Fre<strong>und</strong>. Sogar innerhalb Ihrer Familie spielt es sich oft so ekelhaft ab.<br />

Seien Sie nicht betrübt, das Leben ist eben so, <strong>und</strong> man muß es meistern - das ist Politik, das<br />

ist das GAL, das Gesetz allen Lebens.<br />

In unserer Daseinsebene spielt einzig Kraft <strong>die</strong> entscheidende Rolle. Kraft stellt sich in<br />

verschiedenen Formen dar. Da gibt es zunächst <strong>die</strong> körperliche Kraft. Körperliche Kraft kann<br />

aber der Intelligenz eines Gegners leicht zum Opfer fallen. Also sind Intelligenz <strong>und</strong> Wissen,<br />

das man sich durch Lernen aneignet, auch eine Form <strong>von</strong> Kraft. Der körperlich stärkere, aber<br />

geistig primitive Mensch wird gegen jemanden, der körperlich schwach, aber intelligent <strong>und</strong><br />

mit Wissen, das ihm in einem wie immer gearteten Kampf nützlich sein kann, vollgestopft ist,<br />

verlieren. Wieder eine andere Kraft ist Geld. Wer Geld besitzt, hat <strong>die</strong> Möglichkeit, durch<br />

Bestechung oder, sagen wir es feiner, durch Geschenke oder Förderungen <strong>die</strong> Massenme<strong>die</strong>n<br />

zu lenken. Geld regiert im wahrsten Sinne des Wortes <strong>die</strong> Welt. Dann gibt es noch andere<br />

Kräfte, zum Beispiel Schönheit, Fre<strong>und</strong>lichkeit usw.<br />

Hans hat des öfteren historische Atlanten stu<strong>die</strong>rt, dabei auch den Sinn <strong>und</strong> Unsinn der<br />

Weltpolitik zu verstehen versucht. Und wenn er gedanklich dabei eine starre Weltkarte<br />

aufstellte, in der <strong>die</strong> Geschichte in Jahren, Jahrh<strong>und</strong>erten, ja Jahrtausenden ablief, so blieb nur<br />

ein Pulsieren, ein verschwommenes Bild, ein Kommen <strong>und</strong> Gehen <strong>von</strong> Völkern <strong>und</strong> Staaten.<br />

Dabei mußte er wieder an das Vergängliche denken, an den Vogel <strong>und</strong> den Wurm in der Au.<br />

Doch treffender vielleicht noch ist der Vergleich mit einem Raubtierrudel. Der Stärkste frißt<br />

gierig den besten Teil der erlegten Beute, während <strong>die</strong> Rangniederen, lauernd mit wäßrigem<br />

M<strong>und</strong>, auf ihre Chance warten. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Rudelerste seine<br />

Macht wegen des natürlichen Kraftverlustes durch den Alterungsprozeß einem<br />

Emporkömmling abtreten muß, in der Meute nur noch eine untergeordnete Rolle spielen darf -<br />

<strong>und</strong> selbst <strong>die</strong> Nahrungsreste verspeisen muß.<br />

Das ist <strong>die</strong> eine Seite des Lebens. Daraus resultiert <strong>die</strong> Frage: Wie entsteht das Leben, wie kam<br />

es zum Leben, welchen Sinn hat es?<br />

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Den Sinn des Lebens kann Hans mit Sicherheit nicht treffend erklären. Fest steht allerdings,<br />

daß nur wegen der beiden genannten Kräfte Leben entstehen konnte, <strong>die</strong> eine hielt das<br />

Universum zu einem Nichts geschrumpft, <strong>und</strong> <strong>die</strong> zweite Kraft verursachte das W<strong>und</strong>er des<br />

Urknalls. Dabei läßt ihn der Gedanke nicht los, daß <strong>die</strong>se zwei Kräfte - vielleicht sind es aber<br />

mehr - gemeinsam mit der Kraft des Geistes den Kosmos regieren. Freilich, das hört sich naiv<br />

an. Doch denken Sie an <strong>die</strong> großen Religionen, sie alle haben zwei Kräfte - Gott <strong>und</strong> den<br />

Teufel! Hans glaubt nicht an Gott <strong>und</strong> den Teufel sinnbildlich, sondern an zwei Kräfte, <strong>die</strong><br />

einander als gleichwertige Gegner duellieren. Alles im Universum wird <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem Plus <strong>und</strong><br />

Minus durchströmt - jeder Körper, jedes Staubkorn, ja alles, sogar Licht <strong>und</strong> uns heute nicht<br />

bekannte Dinge. Und alle <strong>die</strong>se Phänomene werden <strong>von</strong> den beiden Universalgeistströmungen<br />

geleitet <strong>und</strong> können sich Informationen oder Ideen aneignen. Nur so kann Hans zum Beispiel<br />

Monikas Voraussagen verstehen oder wie es <strong>von</strong> den Einzellern zum Baum <strong>und</strong> uns Menschen<br />

kam oder wie wir Menschen zur Planidee einer Atombombe kamen. Alle Dinge können sich<br />

Informationen holen, werden aber auch dazu getrieben - das ist Leben in unserer Dimension.<br />

Hans meint ausdrücklich <strong>die</strong>se Dimension <strong>und</strong> stellt sich <strong>und</strong> Ihnen <strong>die</strong> Frage: Wieso sollte es<br />

nur Leben in <strong>die</strong>ser Dimension geben?<br />

<strong>Die</strong> Mächtigen <strong>die</strong>ser Welt sind nicht daran interessiert, daß <strong>die</strong> Massen an eine andere<br />

Möglichkeit des Daseins, der Existenz glauben. Sie gaukeln den Menschen mit Hilfe <strong>von</strong><br />

Psychologen <strong>und</strong> Massenme<strong>die</strong>n eine angeblich wertvolle Welt des luxuriösen Materialismus<br />

vor. <strong>Die</strong> Kernbotschaft <strong>die</strong>ser Beherrscher des Globus lautet: Du hast nur ein Leben, <strong>die</strong>ses<br />

Leben, nütze den totalen Wohlstand, danach bleibt <strong>von</strong> dir nur noch Dreck. In Wirklichkeit<br />

geht es den Herrschaften nur darum, möglichst viel zu ver<strong>die</strong>nen, sie achten darauf, daß <strong>die</strong><br />

Masse nicht zu vermögend wird, daß sie immer dem Geld hinterherläuft. Sie suggerieren<br />

Menschlichkeit <strong>und</strong> steuern auf der anderen Seite Hungersnöte, Bevölkerungsexplosion,<br />

Kriege <strong>und</strong> Leid. Und sie beschränken sich dabei nicht nur auf das Leid <strong>von</strong> Menschen,<br />

sondern verursachen Leid auch dem Tier <strong>und</strong> der Umwelt. Gefährlich sind ihnen nur<br />

Menschen, <strong>die</strong> ihnen ihre Botschaft nicht abnehmen. Für <strong>die</strong> Herrscher im Mittelalter waren<br />

Ungläubige Ketzer, für <strong>die</strong> heutigen sind Ketzer <strong>die</strong>, <strong>die</strong> ihnen ihre Ideologie <strong>von</strong> materiellem<br />

Glück oder <strong>von</strong> nie mehr wiederkehrender einzigartiger Glückseligkeit des jetzigen Lebens<br />

nicht abnehmen.<br />

Hans war in der <strong>Jugendzeit</strong> auch geblendet: Vor mir gab es für mich nichts, nach meinem Tod<br />

wird höchstens kosmischer Staub <strong>von</strong> mir übrigbleiben. Mittlerweile ist er zu der Erkenntnis<br />

gelangt, daß der Mensch sich anmaßt, alles oder fast alles über sein Dasein zu wissen. In<br />

Wirklichkeit weiß er nur einen Teil, einen Teil, der so klein ist wie ein Molekül. Zugegeben, er<br />

weiß viel über DNA, über alle möglichen Wissensgebiete. Aber weiß er, was außerhalb des<br />

Weltraumes ist? Weiß er, ob es vielleicht noch andere Welträume gibt? Weiß er, ob es<br />

vielleicht irgendwo, das kann eine andere Dimension, ein anderer (Welt)Raum oder sonstiges<br />

sein, für uns in der dreidimensionalen Welt Gefangene nicht begreifliches, nicht erdenkliches<br />

Leben in geistiger Form, Leben ohne materiellen Körper wie Fleisch <strong>und</strong> Blut, gibt? Nein, wir<br />

wissen es nicht. Wir sind auf <strong>die</strong>sem Gebiet auf dem Wissensstand eines Insekts, das andauernd<br />

gegen das Fenster fliegt, obwohl es nebenan bei geöffnetem Fenster ins Freie fliegen könnte.<br />

<strong>Die</strong> Mächtigen <strong>die</strong>ser Welt stempeln Leute, <strong>die</strong> wenigstens einen Blick aus <strong>die</strong>sem geöffneten<br />

Fenster werfen, gezielt zu Spinnern. Seltsam ist nur, daß sie selbst sehr wohl einen Blick aus<br />

<strong>die</strong>sem Fenster werfen <strong>und</strong> sich, grob gesagt, esoterischer Mittel be<strong>die</strong>nen. Werfen Sie doch<br />

einen Blick auf <strong>die</strong> Sterne in der EU-Flagge! Selbst im Zweiten Weltkrieg haben sich <strong>die</strong><br />

Kriegsparteien mit Esoterikern beschäftigt. In der Sowjetunion gab es Lehrstühle an<br />

Universitäten, <strong>und</strong> selbst bei uns im Westen gibt es <strong>die</strong>se. Von der Literatur zu <strong>die</strong>sem Thema<br />

wollen wir gar nicht sprechen.<br />

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Hans ist sich im klaren darüber, mit seinen Gedanken über unser Dasein das Thema verfehlt zu<br />

haben. Aber es ist eben so, erst wenn man vom Schicksal eine fürchterliche Ohrfeige bekommt,<br />

fängt man ernsthaft an, sich selbst Fragen zu stellen. Man muß es sogar tun, man darf seinen<br />

seelischen Zustand nicht mit Alkohol oder Psychodrogen verdecken, <strong>die</strong> Gedanken an <strong>die</strong><br />

Vergangenheit holen einen im nüchternen Zustand immer wieder ein, es wird damit nur<br />

schlechter. Hans hat sich <strong>die</strong>sem Leid, <strong>die</strong>ser Prüfung gestellt, indem er viel wandern ging, <strong>und</strong><br />

dabei sind bei ihm eben <strong>die</strong> oben beschriebenen Gedanken an <strong>die</strong> Oberfläche gelangt. Der<br />

zweite wichtige Punkt ist Zeit. Man sagt nicht umsonst: Es wird schon Gras darüber wachsen.<br />

So ist es eben, das Leben.<br />

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