GEDANKEN ZUR FINALEN HANDLUNGSLEHRE - Criminet
GEDANKEN ZUR FINALEN HANDLUNGSLEHRE - Criminet
GEDANKEN ZUR FINALEN HANDLUNGSLEHRE - Criminet
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
01vo: 30<br />
Rolf Dietrich Herzberg<br />
Not gebietet; er dringt, weil es anders nicht geht, am protestierenden Hausherrn vorbei<br />
in dessen Räume ein und nutzt das Telefon für einen Notruf. Das erste ist nicht<br />
strafbar, weil der Mann nicht „widerrechtlich“ eindringt (§ 123 StGB), das zweite<br />
nicht, weil er den Notruf nicht „mißbraucht“ (§ 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Hier wie dort<br />
ist die Notlage der Grund, weshalb wir eine gesetzliche Deliktsvoraussetzung und das<br />
Vorliegen von Unrecht verneinen. Nun braucht es zwar keinen Schaden anzurichten,<br />
wenn man wie üblich so unterscheidet, dass das Eindringen immerhin<br />
tatbestandsmäßig und „nur“ gerechtfertigt sei, der Notruf dagegen schon gar nicht den<br />
Tatbestand erfülle; man würde innerhalb der Unrechtsprüfung Stufen bilden und das<br />
Deliktsmerkmal „widerrechtlich“ auf einer höheren einordnen als das Merkmal<br />
„mißbraucht“. 71 Auf Abwege gerät jedoch, wer aus der überlieferten Stufung sachliche<br />
Unterscheidungen für Irrtumsfälle ableitet. Handelt der Täter guten Glaubens, hätte er<br />
aber durchschauen müssen, dass man ihm das Unglück vorgetäuscht hat, dann kann es<br />
nicht stimmen, nur den vorsätzlichen Notrufmissbrauch zu verneinen, den<br />
vorsätzlichen (und strafbaren) Hausfriedensbruch hingegen zu bejahen. Wer es vorzieht<br />
zu sagen, das Merkmal „widerrechtlich“ in § 123 StGB sei, anders als das „miß“ in<br />
§ 145 StGB, kein Tatbestands merkmal und darum betreffe hier der Irrtum des Täters<br />
keinen Umstand, der „zum gesetzlichen Tatbestand gehört“, der muss dann eben, zur<br />
Vermeidung eines offensichtlichen Wertungswiderspruchs, auf den<br />
„Erlaubnistatbestandsirrtum“ des Eindringenden § 16 Abs. 1 StGB analog anwenden.<br />
IX. Zusammenfassung<br />
Die Finalisten sagen zu Recht, was alle sagen, dass die „Handlung“ im<br />
strafrechtlichen Sinn eine willentliche, finale, auf ein Ziel gerichtete Körperbewegung<br />
voraussetzt, die „Finalität“ also „essentieller Bestandteil der Handlung“ ist. Unrichtig<br />
ist dagegen die These, dass der „finale Handlungswille“ im Vorsatzdelikt mit dem<br />
Vorsatz „identisch“ sei. Hier versucht man in eins zu setzen, was offensichtlich<br />
zweierlei ist. Wer eine fremde Sache, die er für herrenlos hält, ergreift und sich<br />
zueignet, hat einen den objektiven Tatbestand erfüllenden „Handlungswillen“, aber<br />
keinen deliktischen „Vorsatz“. Oder auch: Die Finalität des Schießens, d.h. eine<br />
Schießhandlung, ist schon feststellbar, bevor die Frage des Tötungsvorsatzes<br />
beantwortet ist, und die Feststellung hat Bestand, selbst wenn der Vorsatz am Ende<br />
verneint und fahrlässige Tötung angenommen wird. Helfen kann den Finalisten nur, die<br />
These der Identität durch die der Parallelität zu ersetzen. Sie lautet dann: Um<br />
Vorsatztäter einer Straftat zu sein, muss man die Tatbestandsverwirklichung genauso<br />
wollen wie der irgendwie Handelnde mindestens die Körperbewegung selbst und ihren<br />
unmittelbaren Erfolg will, z.B. wenn er einen Stein ins Wasser wirft oder eine Fratze<br />
schneidet. „Zur Tötungshandlung gehört der Tötungswille“ wie zur Werfhandlung der<br />
71 Andrerseits stellt sich natürlich auch die Frage nach Gründen und Nutzen der Unterscheidung. Im<br />
Münchener Kommentar zum StGB (2003), Vor § 32 ff., Rdnrn. 33-46, ist Schlehofer der Frage besonders<br />
eindringlich nachgegangen. Er hat – nach meiner Bewertung – Punkt für Punkt widerlegt, was die Unterscheidung<br />
von „unrechtstypisierenden Merkmalen“ und „Rechtswidrigkeitsvoraussetzungen“ gebieten soll.<br />
Revista Electrónica de Ciencia Penal y Criminología. 2008, Nr. 10-01vo, S. 01vo:1-01vo:31 ISSN 1695-0194