Realitätscheck für den Klimaschutz
Realitätscheck für den Klimaschutz
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<strong>Realitätscheck</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>den</strong><br />
<strong>Klimaschutz</strong><br />
Globale Klimapolitik zwischen<br />
Anspruch und Wirklichkeit<br />
Herausgeber<br />
Steffen Hentrich<br />
Holger Krahmer
<strong>Realitätscheck</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>den</strong> <strong>Klimaschutz</strong>
<strong>Realitätscheck</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>den</strong> <strong>Klimaschutz</strong><br />
Globale Klimapolitik zwischen<br />
Anspruch und Wirklichkeit<br />
Eine vernünftige<br />
Klimapolitik<br />
in einer Welt voller<br />
Unsicherheiten<br />
Ross McKitrick<br />
Die EU-Klimapolitik:<br />
Teuer und ineffektiv<br />
Manuel Frondel<br />
Herausgeber<br />
Steffen Hentrich<br />
Holger Krahmer
© 2011<br />
Die Autoren und Herausgeber<br />
Herausgeber<br />
Steffen Hentrich<br />
Holger Krahmer<br />
Autoren<br />
Ross McKitrick<br />
Manuel Frondel<br />
Titelgestaltung, Layout, Satz<br />
RAUM II<br />
Agentur <strong>für</strong> visuelle Kommunikation<br />
Christoph Jahn | Frank Ekelmann<br />
www.raum-zwei.com<br />
Übersetzung aus dem Englischen<br />
Tanja Felder<br />
www.sprachfelder.de<br />
Lektorat<br />
Ewald Oetzel<br />
Druck<br />
Förster & Borries GmbH & Co. KG<br />
www.foebo.de<br />
Steffen Hentrich<br />
Friedrich-Naumann-Stiftung <strong>für</strong> die Freiheit<br />
Liberales Institut<br />
Referent | Senior Research Fellow<br />
Karl-Marx-Straße 2<br />
14482 Potsdam<br />
Telefon +49 331 7019129<br />
steffen.hentrich@freiheit.org<br />
www.freiheit.org<br />
Holger Krahmer<br />
Mitglied des Europäischen Parlaments<br />
Abgeordnetenbüro ‘krahmerla<strong>den</strong>’<br />
Nonnenmühlgasse 1<br />
04109 Leipzig<br />
Telefon +49 341 2535580<br />
info@holger-krahmer.de<br />
www.holger-krahmer.de<br />
Erste Auflage<br />
Alle Rechte vorbehalten.<br />
Dieses Werk oder Teile des Werkes dürfen<br />
nicht ohne die schriftliche Genehmigung der<br />
Herausgeber vervielfältigt, in Datenbanken<br />
gespeichert oder in irgendeiner Form<br />
übertragen wer<strong>den</strong>.<br />
Papier<br />
Inhalt: Profibulk 1.3, 115 g/m²<br />
Bezug: Profisilk, 140 g/m²<br />
ISBN 978-3-00-036040-4 | Print<br />
ISBN 978-3-00-03604 1- 1 | eBook<br />
Printed in Germany
Inhalt<br />
Vorwort 7<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik 13<br />
in einer Welt voller Unsicherheiten<br />
Ross McKitrick<br />
1. Einleitung 15<br />
2. Theoretische Grundlagen der Klimapolitik 29<br />
3. Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s 47<br />
4. Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse 79<br />
bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise<br />
5. Schlussfolgerungen 91<br />
Literatur 95<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv 103<br />
Manuel Frondel<br />
1. Einleitung 105<br />
2. Der geringe Effekt der 109<br />
Treibhausgasminderungspolitik der EU<br />
3. Kontraproduktive internationale Rückwirkungen 119<br />
4. Mangelnde Kosteneffizienz der 123<br />
Treibhausgasminderungspolitik der EU<br />
5. Schlechte Chancen <strong>für</strong> ein globales 135<br />
Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung<br />
6. Erfolgsträchtigere Alternativen 141<br />
7. Anpassung an die globale Erwärmung 149<br />
8. Zusammenfassung und Schlussfolgerung 155<br />
Literatur 159<br />
Die Autoren und Herausgeber 167
Vorwort<br />
Steffen Hentrich | Holger Krahmer<br />
Die derzeitige klimapolitische Diskussion geht von der Prämisse aus,<br />
dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das globale Klima und<br />
<strong>den</strong> darauf wirken<strong>den</strong> Einfluss des Menschen hinreichend sind, um daraus<br />
schon heute klare Handlungsempfehlungen <strong>für</strong> eine langfristige<br />
Klimapolitik ableiten zu können. Ebenso vorherrschend ist der Glaube,<br />
dass internationale Abkommen möglich und derzeit praktizierte und<br />
geplante <strong>Klimaschutz</strong>maßnahmen wirksam sind. Bei näherer Betrachtung<br />
wird jedoch die Realitätsferne dieser Annahmen offensichtlich.<br />
Tatsächlich gehen die Einschätzungen über die Validität der herrschen<strong>den</strong><br />
wissenschaftlichen Lehre über die Ursachen und das Ausmaß des<br />
Klimawandels unter <strong>den</strong> Experten der unterschiedlichsten wissenschaftlichen<br />
Disziplinen weit auseinander. Um Klimamodelle und Klimadaten<br />
gibt es einen intensiven wissenschaftlichen Disput.<br />
Doch nicht nur die naturwissenschaftliche Dimension des Klimawandels<br />
ist heiß umstritten, sondern auch die Frage nach einer angemessenen<br />
Reaktion auf die globalen Klimaveränderungen und die geeignete<br />
Implementierung klimapolitischer Maßnahmen. Obwohl sich<br />
Klimawissenschaftler ebenso wie Umweltpolitiker der herrschen<strong>den</strong><br />
Unsicherheiten bewusst sein sollten, wer<strong>den</strong> die damit verbun<strong>den</strong>en<br />
Herausforderungen <strong>für</strong> die menschliche Handlungsfähigkeit in der<br />
internationalen Klimapolitikarena selten zugegeben. Hinter dieser<br />
Kulisse der Sicherheit sind die unterschiedlichsten Interessengruppen<br />
schon längst dabei, die Löcher der wissenschaftlichen Erkenntnis mit<br />
7<br />
Vorwort
8<br />
<strong>den</strong> notwendigen Zutaten <strong>für</strong> die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen<br />
zu stopfen. Kein Wunder, dass es dem Sammelsurium der derzeitig<br />
praktizierten <strong>Klimaschutz</strong>instrumente an Effektivität und Effizienz<br />
fehlt. Selbst in der heilen Welt des Klimakonsenses kommt man nicht<br />
umhin, die Risse in der Fassade der wackligen Konstruktion internationaler<br />
Vereinbarungen anzuerkennen. Wo politische Entscheidungslogik,<br />
Lobbyismus und der Glaube an eine ökologisch motivierte Wirtschaftslenkung<br />
geprägte Ideologie regiert, ist wenig Platz <strong>für</strong> Rationalität<br />
und wirtschaftliche Freiheit.<br />
Rationale Klimapolitik muss sich der Herausforderung der naturwissenschaftlichen<br />
und sozioökonomischen Unsicherheiten stellen,<br />
nicht nur um <strong>den</strong> derzeitigen Stillstand der internationalen Klimaverhandlungen<br />
zu been<strong>den</strong>. Der Wohlstand der Menschen in der entwickelten<br />
Welt steht ebenso auf dem Spiel wie die Entwicklungsoptionen<br />
in <strong>den</strong> ärmsten Regionen unseres Planeten. Unter <strong>den</strong> gegebenen<br />
technologischen Bedingungen ist die künstliche Verknappung von<br />
reichlich vorhan<strong>den</strong>en und kostengünstig nutzbaren fossilen Energieträgern<br />
ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis <strong>für</strong> Produktivitätsfortschritte,<br />
die notwendig sind, Millionen Menschen auf der Erde angemessen<br />
zu ernähren sowie menschenwürdige Lebensbedingungen<br />
und realistische Entwicklungschancen zu ermöglichen. Wir wissen bis<br />
heute nicht, ob eine Konzentration auf die Vermeidung von Treibhausgasemissionen<br />
in der Klimapolitik ein wirksamer Weg zur Verhinderung<br />
der be<strong>für</strong>chteten Folgen eines globalen Klimawandels ist. Unter<br />
<strong>den</strong> Bedingungen ungenauer Kenntnis der Zusammenhänge zwischen<br />
klimatischen Veränderungen und wirtschaftlichen Aktivitäten und<br />
<strong>den</strong> hohen Unsicherheiten über die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung<br />
ist ein verantwortlicher Umgang mit knappen Ressourcen<br />
unumgänglich, will eine Gesellschaft Hemmnisse <strong>für</strong> ihre zukünftigen<br />
Entwicklung möglichst gering halten. Mehr Wohlstand und weniger<br />
Umweltverschmutzung sind gemeinsam nur zu erreichen, wenn wir<br />
mit <strong>den</strong> uns zur Verfügung stehen<strong>den</strong> Mitteln so effizient wie möglich<br />
Steffen Hentrich | Holger Krahmer
umgehen. Wenn nicht, riskieren wir wertvolle Entwicklungsoptionen<br />
<strong>für</strong> die heute leben<strong>den</strong> Menschen und zukünftige Generationen.<br />
Doch nicht nur die sozioökonomischen Folgen des herrschen<strong>den</strong><br />
klimapolitischen Paradigmas geben Anlass zur Sorge, auch die im<br />
Namen des <strong>Klimaschutz</strong>es immer stärker um sich greifende Erosion<br />
bürgerlicher Freiheiten ist alarmierend. Grundlegende Menschenrechte<br />
stehen ebenso auf dem Spiel wie Entwicklung und Fortschritt.<br />
Auch aus diesem Grund ist eine flexiblere und effiziente Klimapolitik<br />
unumgänglich, eine Klimapolitik, die sich statt an starren Zielen<br />
am sich wandeln<strong>den</strong> Wissen orientiert und sich auf Maßnahmen beschränkt,<br />
die nachweislich die Belastungen <strong>für</strong> die Bürger minimieren.<br />
Das bedeutet eine Kombination eines maßvollen Einsatzes effizienter<br />
Instrumente zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen<br />
und von Maßnahmen zur Anpassung an <strong>den</strong> Klimawandel, die mit<br />
einem Minimum an Eingriffen in Märkte und die individuellen Rechte<br />
der Bürger auskommen.<br />
Dieses Buch versucht die Lücke zwischen dem Allmachtsanspruch<br />
der Klimapolitik und dem nach menschlichem Ermessen sinnvollen<br />
Beitrag zur Vorsorge in einer Welt unsicherer zukünftiger Entwicklungen<br />
zu schließen, offensichtliche Schwächen der Klimapolitik aufzudecken<br />
und Alternativen zu beschreiben.<br />
Ross McKitrick analysiert hierzu die wohlfahrtsökonomischen Voraussetzungen<br />
der Klimapolitik unter naturwissenschaftlichen und<br />
sozioökonomischen Unsicherheiten, zeigt diese anhand jüngster Ergebnisse<br />
der empirischen und modellorientierten Klimaforschung auf<br />
und zieht daraus Schlussfolgerungen <strong>für</strong> die praktische Klimapolitik.<br />
Kern seiner Empfehlung ist eine Emissionsabgabe, deren Höhe entsprechend<br />
einer transparent nachvollziehbaren Entscheidungsregel flexibel<br />
an beobachtbare Temperaturentwicklungen angepasst wer<strong>den</strong> kann.<br />
Ein derartiges <strong>Klimaschutz</strong>instrument vermeidet die Gefahr politischer<br />
Überreaktionen oder systematischer Fehleinschätzungen des notwendigen<br />
Umfangs von Vermeidungsmaßnahmen und veranlasst die be-<br />
9<br />
Vorwort
10<br />
troffenen Akteure eigene Prognosen klimatischer Veränderungen ohne<br />
interessengeleitete Manipulation der Ergebnisse zur Verfügung zu stellen.<br />
Eine derartige Abgabe zeichnet sich nicht nur durch ökonomische<br />
Vorteile gegenüber der heutigen Mengensteuerung in der Klimapolitik<br />
aus, sondern vermag auch der sich immer weiter verschärfen<strong>den</strong> Politisierung<br />
der Klimawissenschaft entgegenzuwirken.<br />
Manuel Frondel arbeitet sich durch die Defizite der Klimapolitik<br />
der Europäischen Union und zeigt die Ursachen <strong>für</strong> ihren Mangel an<br />
Wirksamkeit und Effizienz auf. Wirtschaftswissenschaftliche Überlegungen<br />
und praktische Beobachtungen zeigen dabei eindrucksvoll, welche<br />
gefährlichen Folgen der Glaube an eine europäische Vorreiterrolle<br />
in der Klimapolitik haben kann. Klimapolitischer Pragmatismus würde<br />
dahingegen viel stärker auf sich evolutionär entwickelnde Strategien<br />
setzen, die sich auf regional wirksame Anpassungsmaßnahmen und die<br />
Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich emissionsreduzierender<br />
Energieumwandlungstechnologien konzentrieren.<br />
Rationale Klimapolitik kann ohne Opfer an Wohlstand und Freiheit<br />
auskommen. Doch <strong>für</strong> <strong>den</strong> dazu notwendigen Politikwandel ist<br />
eine offene Debatte über Ursachen und Lösungsalternativen der Probleme<br />
des Klimawandels unumgänglich. Dieser Herausforderung will<br />
sich dieses Buch stellen.<br />
Steffen Hentrich | Potsdam<br />
Holger Krahmer | Leipzig<br />
Juli 2011<br />
Steffen Hentrich | Holger Krahmer
Mit besonderem Dank der<br />
Herausgeber an die<br />
Friedrich-Naumann-Stiftung<br />
<strong>für</strong> die Freiheit
Ross McKitrick<br />
Eine vernünftige<br />
Klimapolitik<br />
in einer Welt voller<br />
Unsicherheiten
1.<br />
Einleitung<br />
Zwanzig Jahre Misserfolg<br />
„Wir müssen der unschönen Wahrheit ins Auge blicken und erkennen, dass<br />
der klimapolitische Prozess am Ende ist. 2012 läuft das einzige Abkommen<br />
zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen – das Kyoto-Protokoll – aus. Die<br />
Hoffnung auf <strong>den</strong> Abschluss eines Nachfolgeabkommens vor diesem Zeitpunkt<br />
ist nicht realistisch: Über das bestehende Abkommen wurde fünf lange Jahre<br />
verhandelt; acht weitere gingen ins Land, bevor es schließlich in Kraft trat.<br />
Hinsichtlich einer echten Hoffnung auf globales Handeln gegen <strong>den</strong> Klimawandel<br />
liegen wir heute weit hinter dem Stand von 1997 oder sogar 1992 zurück. Und<br />
dabei geht es nicht nur darum, dass wir 18 wertvolle Jahre verloren haben. In der<br />
Zeit der guten Absichten und großen Worte haben wir letztlich sogar Rückschritte<br />
gemacht. |...| Wie sollen wir mit der Tatsache umgehen, die wir zu verdrängen<br />
suchten, nämlich dass in 18 Jahren vollmundiger Versprechungen und großer<br />
Töne nichts geschehen ist?“<br />
15<br />
George Monbiot<br />
Guardian Newspaper | 20. September 2010<br />
In diesem Beitrag geht es um die Gestaltung einer Politik zur Bekämpfung<br />
der globalen Erwärmung durch eine Reduzierung von Treibhausgasemissionen<br />
(THG), insbesondere Kohlendioxid (CO 2 ). Mit dem Erdgipfel<br />
der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro im Jahr 1992 erlangte<br />
das Thema große politische Aufmerksamkeit. Doch trotz zwanzig<br />
Jahre intensiver Arbeit, die durch ein annähernd globales Einvernehmen<br />
der politischen und gesellschaftlichen Eliten darüber geprägt<br />
war, dass es sich bei der globalen Erwärmung um eine Krise handelt,<br />
die ein unverzügliches und weit reichendes Eingreifen erfordert, so-<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
16<br />
wie wiederholter Äußerungen von Spitzenpolitikern, entschlossen<br />
handeln zu wollen, wur<strong>den</strong> letztlich kaum kohärente politische Maßnahmen<br />
auf <strong>den</strong> Weg gebracht. Im Gegenteil: Die Staaten scheiterten<br />
mehrfach in dem Versuch, sich auf Abkommen oder andere Koordinierungsmechanismen<br />
zu einigen, und auch darüber, was in absehbarer<br />
Zukunft getan wer<strong>den</strong> könnte oder sollte, scheint nur wenig Einigkeit<br />
zu herrschen.<br />
Dieser Umstand ist meiner Meinung nach im Wesentlichen darauf<br />
zurückzuführen, dass es in der Vergangenheit nicht gelungen ist, die<br />
Klimapolitik auf eine ökonomisch vernünftige Grundlage zu stellen.<br />
Ein Großteil der populärsten klimapolitischen Ideen ist aus ökonomischer<br />
Sicht nicht durchführbar und alle dahingehen<strong>den</strong> Bestrebungen<br />
legen letztlich nur das Fundament <strong>für</strong> ihr späteres Scheitern. Ein zufrie<strong>den</strong>stellender<br />
Fortschritt in der Klimapolitik ist daher nicht absehbar,<br />
solange wir uns nicht eingestehen, dass die bestehen<strong>den</strong> globalen<br />
Initiativen auf tönernen Füßen stehen und eine grundlegend andere<br />
Richtung eingeschlagen wird.<br />
In diesem Beitrag möchte ich zunächst die meines Erachtens<br />
bestehen<strong>den</strong> vier grundlegen<strong>den</strong> Mängel der aktuellen Klimapolitik<br />
darlegen: Erstens haben weder die Bürokratie noch die Politik erkannt,<br />
dass es sich bei CO 2 um einen Sonderfall handelt, der nicht in eine Reihe<br />
mit <strong>den</strong> vorherrschen<strong>den</strong> Umweltthemen der 1970er und 1980er<br />
Jahre wie Schwefeldioxid-Emissionen (SO 2 ) und Fluorchlorkohlenwasserstoff-Emissionen<br />
(FCKW) gestellt wer<strong>den</strong> kann, zu deren wirksamer<br />
Bekämpfung konventionelle Institutionen ausreichend waren. Die<br />
Verhandlungsmechanismen und politischen Initiativen zur Lösung<br />
dieser Probleme wur<strong>den</strong> einfach auf die CO 2 -Problematik übertragen,<br />
ohne <strong>für</strong> diese jedoch passende Lösungen bieten zu können.<br />
Zweitens ist es der Politik nicht gelungen, mit dem Anstieg der in<br />
der Ökonomie als Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) bezeichneten<br />
Kostenfunktion der Klimapolitik angemessen umzugehen, d. h. zu verstehen,<br />
in welchem Maße die Kosten <strong>für</strong> die Optionen zur Vermeidung<br />
Einleitung
von CO 2 bei Ausweitung der Ziele zur Emissionsreduzierung steigen.<br />
Das führt dazu, dass politische Ziele verfolgt wer<strong>den</strong>, die höhere Kosten<br />
verursachen, als die Öffentlichkeit zu akzeptieren bereit ist. Einige<br />
Verfechter dieses politischen Vorgehens versuchten zu zeigen, dass die<br />
Politik zur Reduzierung von Treibhausgasen ökonomische Vorteile mit<br />
sich bringen kann. Tatsächlich fußt ein Großteil der Rhetorik der jüngsten<br />
Vergangenheit in Bezug auf eine „grüne Ökonomie“ auf dieser irrigen<br />
Behauptung. In Wahrheit verhält es sich jedoch so, dass politische<br />
Maßnahmen, die ausreichen wür<strong>den</strong>, um die allgemein vorgebrachten<br />
Ziele zur Emissionsreduzierung zu erreichen, mit <strong>den</strong> aktuell existieren<strong>den</strong><br />
Technologien deutlich höhere Kosten verursachen wür<strong>den</strong>, als<br />
die Öffentlichkeit zu tragen bereit ist, und auch deutlich höhere Kosten,<br />
als die Politiker, die diesen Weg verfechten, sich vor Augen zu führen<br />
scheinen. Die Art der von der Politik regelmäßig vereinbarten Ziele<br />
entbehrt folglich, angesichts des dabei ausbleiben<strong>den</strong> Erfolgs, diese zu<br />
erreichen, jeglicher demokratischen Legitimation.<br />
Drittens zeigt eine ökonomische Analyse, dass die Politik zur Reduzierung<br />
der Treibhausgase Emissionspreise anstelle von Emissionsgrenzen<br />
festsetzen sollte. Die Regulierungsbehör<strong>den</strong> haben die Wahl,<br />
ob sie einen Preis <strong>für</strong> Emissionen fixieren und <strong>den</strong> Markt über die<br />
Menge entschei<strong>den</strong> lassen oder ob sie es bevorzugen, ein Emissionsziel<br />
vorzuschreiben und <strong>den</strong> Markt <strong>den</strong> Preis bestimmen zu lassen – beides<br />
zugleich geht nicht. Aus technischen Grün<strong>den</strong> wissenschaftlicher<br />
und ökonomischer Natur sind Preismechanismen geeigneter als eine<br />
Strategie zur Regulierung von Treibhausgasen. Alle bis heute durchgeführten<br />
größeren globalen Initiativen, einschließlich des Kyoto-Protokolls<br />
und ähnlicher Instrumente, legten ihren Schwerpunkt <strong>den</strong>noch<br />
auf Mengenbegrenzungen. Eine Begrenzung der Emissionsmengen<br />
oder, noch schlimmer, indirekte regulatorische Maßnahmen zur Veränderung<br />
des Energieverbrauchsverhaltens sind kostenintensiv, intrusiv<br />
und häufig nutzlos. Eine große Herausforderung, beim Versuch, die<br />
globale Klimapolitik auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, liegt<br />
17<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
18<br />
also darin, die Diskussion auf die Wahl einer Preis- statt einer Mengensteuerung<br />
umzulenken. Richtet sich das Augenmerk hingegen weiter<br />
auf Mengenbegrenzungen, steht fest, dass die kommen<strong>den</strong> zwanzig<br />
Jahre ein ebenso kostenintensiver Misserfolg sein wer<strong>den</strong> wie die vergangenen.<br />
Schließlich ergibt sich <strong>für</strong> die Politik aus <strong>den</strong> großen Unsicherheiten,<br />
<strong>den</strong> langen Planungshorizonten sowie der Erwartung, dass in<br />
<strong>den</strong> kommen<strong>den</strong> Jahren einschlägige neue Informationen über das<br />
Ausmaß der Umweltschädigung durch Treibhausgasemissionen und<br />
die Kosten zu deren Vermeidung vorliegen wer<strong>den</strong>, die Notwendigkeit,<br />
sich primär auf zustandsabhängige (bzw. anpassungsfähige) Preisregelungen<br />
anstatt auf starre, langfristige Verpflichtungen zur Emissionsbegrenzung<br />
zu konzentrieren.<br />
Ziel dieses Beitrags ist es, die konventionelle Auffassung von der<br />
globalen Klimapolitik grundlegend in Frage zu stellen. Wer sich dem<br />
aktuellen politischen Handlungsrahmen stark verbun<strong>den</strong> fühlt und<br />
eine solch umfassende Neubewertung ablehnt oder diese <strong>für</strong> nachteilig<br />
erachtet, sollte versuchen, seine Zweifel über Bord zu werfen und<br />
sich offen auf die Argumente einzulassen. Wer sich ernsthaft eine vernünftige<br />
und wirksame Klimapolitik wünscht, kann mit <strong>den</strong> letzten<br />
zwei Jahrzehnten nicht zufrie<strong>den</strong> sein. Die Zeit ist reif <strong>für</strong> eine tiefgreifende<br />
Neugestaltung.<br />
Emissionsvermeidungspolitik vs. ‘Klimapolitik’<br />
Ich möchte diesen Beitrag ungeachtet des Titels damit beginnen,<br />
zunächst Kritik an dem unpassen<strong>den</strong> Begriff der „Klimapolitik“ anzubringen,<br />
die meines Erachtens besser als Treibhausgas-Emissionsvermeidungspolitik<br />
bezeichnet würde. Diese Unterscheidung ist von<br />
großer Bedeutung. Politiker können zwar langfristig betrachtet <strong>den</strong><br />
Emissionsverlauf der Wirtschaft beeinflussen; das Klima zu verändern,<br />
ist hingegen niemand in der Lage.<br />
Einleitung
Die diesbezügliche Verwirrung führt bisweilen zu einer eigenartigen<br />
Rhetorik. In einer Rede vor dem Toronto Economic Club am<br />
30. Mai 2007 rühmte sich der damalige kalifornische Gouverneur Arnold<br />
Schwarzenegger der starken Begrenzung der Treibhausgasemissionen,<br />
zu der sich sein Bundesstaat verpflichtet hatte (Erreichen der<br />
Ziele von 1990 bis 2020); er sagte: „Ich bin überzeugt, dass wir das Klima<br />
dieses Planeten reparieren können.“ Dieser Ausspruch fand sich<br />
am 31. Mai 2007 auf dem Titel der National Post wieder.<br />
Die Aussage, staatliche Politik könne das Klima des Planeten „reparieren“,<br />
ist grotesk. Es ist vielleicht möglich, das Erscheinungsbild<br />
eines Stuhls oder eines Paars Schuhe zu verändern, wobei auch in<br />
diesen Fällen versucht wird, ein ursprüngliches Erscheinungsbild neu<br />
nachzubil<strong>den</strong>. Doch welches sind die ursprünglichen Bedingungen <strong>für</strong><br />
das Erdklima, wenn es <strong>den</strong>n tatsächlich möglich sein sollte, diese zu<br />
erreichen? Gemessen an einer geologischen Zeitskala wären als Ziel<br />
tropische Bedingungen an <strong>den</strong> Polen oder eine globale Eiszeit vorstellbar<br />
– oder auch irgendetwas dazwischen. Und selbst wenn das Ziel<br />
lautete, zu <strong>den</strong> klimatischen Bedingungen des vergangenen Jahrhunderts<br />
zurückzugelangen, bleibt unklar, wonach genau wir streben. Eine<br />
Entscheidung bspw. <strong>für</strong> <strong>den</strong> Status quo der 1930er, 1950er oder 1970er<br />
Jahre würde voraussetzen, man sitze dem Irrtum auf, es gäbe einen optimalen<br />
Klimazustand und jegliches Abweichen von diesem, in welch<br />
geringem Maße auch immer, käme einer Katastrophe gleich.<br />
Was Gouverneur Schwarzenegger offenkundig meinte war, dass<br />
die von ihm vorgeschlagenen Treibhausgasemissionsziele seiner Ansicht<br />
nach erreichbar wären. Das mag richtig sein, ist jedoch mit hohem<br />
Kostenaufwand verbun<strong>den</strong>. In weiten Teilen seiner Rede lobte<br />
Schwarzenegger die Marktchancen <strong>für</strong> neue Technologien (wie Elektroautos<br />
und Solarzellen), deren Einsatz in Kalifornien er fördern wollte.<br />
Doch zeigt seine eigene Politik, dass zu ihrer Umsetzung höhere<br />
Subventionen und strenge gesetzliche Vorgaben vonnöten wären, und<br />
zwar aus dem einfachen Grund, dass sie nicht profitabel bzw. ganz ein-<br />
19<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
20<br />
fach teuer sind. Das Erreichen dieser Ziele erfordert mehr als einige<br />
kleinere Verbesserungen bei der Energieeffizienz und optimistische<br />
Rhetorik; um diese Ziele zu erreichen, müssen die Menschen bereit<br />
sein, enorme Kosten zu tragen.<br />
Ein weitaus gravierenderes Problem in der Denkweise von Arnold<br />
Schwarzenegger (und vielen anderen Spitzenpolitikern auf dieser Welt)<br />
liegt darin, dass die tatsächliche Emissionsreduzierung im Rahmen eines<br />
je<strong>den</strong> Ziels, das vernünftigerweise als bezahlbar erachtet wer<strong>den</strong><br />
kann, so gering ausfällt, dass die Folgen <strong>für</strong> das Klimasystem nahezu<br />
unbemerkt bleiben. In diesem Sinne gibt es so etwas wie „Klimapolitik“<br />
nicht. Niemand kann das Klima direkt beeinflussen. Wenn diejenigen<br />
also, die spezifische Maßnahmen vorschlagen, von „Klimapolitik“ sprechen,<br />
erwecken sie <strong>den</strong> Eindruck, ihre Ideen hätten direkten, vorhersagbaren<br />
und unmittelbaren Einfluss auf das globale Klima. Im Ergebnis<br />
wer<strong>den</strong> die möglichen Kosten des globalen Klimawandels bisweilen mit<br />
<strong>den</strong> Kosten der jeweiligen lokalen Politikmaßnahmen zur Emissionskontrolle<br />
verglichen und, wenn letztere gegenüber ersteren gering ausfallen,<br />
von <strong>den</strong> Urhebern dieser Politik als Beleg da<strong>für</strong> herangezogen,<br />
dass diese umgesetzt wer<strong>den</strong> sollte. Diese Argumentation lässt sich<br />
jedoch nicht aufrechterhalten, da die lokale Politik zur Emissionskontrolle<br />
im Allgemeinen geringen bzw. überhaupt keinen Einfluss auf die<br />
künftige Entwicklung des globalen Klimas hat. Selbst wenn multilaterale<br />
Abkommen wie das Kyoto-Protokoll umgesetzt wür<strong>den</strong>, so wäre<br />
der Nutzen <strong>für</strong> das Klima äußerst gering. Belegt wird dies in komplexen<br />
Modellsimulationen (z. B. Wigley et al. 1998), doch ist die dem zugrundeliegende<br />
Argumentation leicht nachvollziehbar.<br />
> > Der Einfluss von Treibhausgasen auf die Veränderung des Klimas ist<br />
von der in der Atmosphäre vorhan<strong>den</strong>en Menge dieser Gase abhängig,<br />
nicht von <strong>den</strong> jährlichen Emissionen.<br />
> > Aktuell befin<strong>den</strong> sich etwa 750 Gigatonnen CO 2 (in Kohlenstoffäquivalent)<br />
in der Atmosphäre (Houghton 1997).<br />
Einleitung
Die weltweiten jährlichen Emissionen liegen bei 8,4 Gigatonnen, von<br />
<strong>den</strong>en etwa 3 auf natürliche Weise sequestriert wer<strong>den</strong> (Marland et<br />
al. 2010).<br />
> > Von <strong>den</strong> etwa 5,4 Gigatonnen Nettoemissionen stammt die Hälfte<br />
aus <strong>den</strong> Industriestaaten.<br />
> > Diese 2,7 Gigatonnen an Emissionen sollten laut Kyoto-Protokoll auf<br />
etwa 5 % unter das Emissionsniveau von 1990 bzw. um etwa 0,7 Gigatonnen<br />
ausgehend vom heutigen Stand reduziert wer<strong>den</strong>.<br />
> > Es wird erwartet, dass auch wenn die Teilnehmer des Kyoto-Protokolls<br />
ihre Pflichten vollständig erfüllen, ein Teil dieser Emissionen durch<br />
das Phänomen der Carbon Leakage – das Entstehen höherer Emissionen<br />
andernorts durch die Verlagerung von Produktionsprozessen<br />
in Länder ohne Emissionsbeschränkungen – aufgewogen wird. Veröffentlichte<br />
Schätzungen dieser Leckrate reichen je nach angenommenen<br />
Marktstrukturen und Merkmalen der Brennstoffbeschaffung<br />
von Null bis über 100 %. Wenn wir von einer Leckrate von 20 % ausgehen,<br />
entspräche dies einer Reduzierung des Emissionsvolumens<br />
durch das Kyoto-Protokoll um etwa 0,6 Gigatonnen und damit einer<br />
Reduzierung des in der Atmosphäre gespeicherten Kohlenstoffs um<br />
etwa 0,08 %.<br />
21<br />
Selbst wenn also die Vorgaben des Kyoto-Protokolls eingehalten wür<strong>den</strong>,<br />
hätte dies nur geringe Emissionsreduzierungen mit minimalen<br />
Auswirkungen auf die globale Kohlendioxidkonzentration zur Folge.<br />
Und <strong>für</strong> die meisten Länder erwies sich die Umsetzung des Kyoto-Protokolls<br />
als zu kostspielig und schwierig. Ich wiederhole noch einmal:<br />
Ziele zur Emissionsreduzierung, die hinreichend weit angelegt sind,<br />
um spürbare Auswirkungen zu zeitigen, sind in ihrer Umsetzung zu<br />
teuer. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass nichts getan wer<strong>den</strong><br />
sollte; doch es bedeutet sehr wohl, dass die gesetzten Ziele und Fristen<br />
sich an der Realität orientieren müssen und nicht bloße Rhetorik oder<br />
Wunsch<strong>den</strong>ken sein sollten.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
22<br />
Es ist falsch, auf die potenziellen Kosten des globalen Klimawandels<br />
zu verweisen und diese mit <strong>den</strong> potenziellen Kosten lokaler politischer<br />
Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen zu vergleichen.<br />
Richtig wäre es hingegen, die Kosten der lokalen politischen Maßnahmen<br />
zur Emissionsreduzierung zu ermitteln und diese mit <strong>den</strong> Vorteilen<br />
der anzunehmen<strong>den</strong> Veränderungen einer potenziellen künftigen<br />
Entwicklung des globalen Klimas zu vergleichen. Erzielt eine Politik<br />
zur Emissionsreduzierung solch geringe Auswirkungen auf die globale<br />
Atmosphäre, dass ein Land daraus in der Zukunft keinen Einfluss auf<br />
das Klima erwarten kann, liegt der Nutzen einer solchen Politik in Bezug<br />
auf die Verringerung klimabedingter Schä<strong>den</strong> bei null.<br />
Die besonderen Herausforderungen der Kontrolle von<br />
CO 2 -Emissionen<br />
Es mag allzu pessimistisch erscheinen zu sagen, dass die finanzierbaren<br />
Ziele zur Emissionsreduzierung nicht weit genug reichen, um spürbare<br />
Auswirkungen auf das Klima zu zeitigen. Doch spiegelt diese Aussage<br />
die Wirklichkeit <strong>für</strong> Kohlendioxid – im Gegensatz zu anderen Formen<br />
der Luftverschmutzung – wider. So ist es in Nordamerika und Europa<br />
beispielsweise gelungen, die Schwefeldioxid-Problematik erfolgreich in<br />
<strong>den</strong> Griff zu bekommen. Politische Maßnahmen, die sowohl auf lokaler<br />
als auch auf nationaler Ebene umgesetzt wur<strong>den</strong>, führten seit <strong>den</strong><br />
1970er Jahren zu einer umfangreichen Reduzierung der SO 2 -Emissionen<br />
und -Konzentrationen zu durchaus erschwinglichen Kosten. Vor<br />
diesem Hintergrund könnte man der Versuchung erliegen zu glauben,<br />
auch <strong>für</strong> CO 2 ließen sich zu geringen Kosten Programme zur Reduzierung<br />
der Emissionen mit ähnlich überzeugen<strong>den</strong> Ergebnissen auflegen.<br />
Doch dieses Argument hinkt, da es <strong>für</strong> CO 2 im Vergleich zu SO 2 nur sehr<br />
wenige Möglichkeiten gibt, die Emissionen zu reduzieren.<br />
Tabelle 1 zeigt die wesentlichen Optionen zur Emissionsreduzierung<br />
sowie deren Verfügbarkeit in Bezug auf CO 2 und SO 2 .<br />
Einleitung
VERMEIDUNGSOPTIONEN UND -KOSTEN<br />
Vermeidungsoption<br />
Verfügbarkeit<br />
Relative Kosten SO 2 CO 2<br />
Schornsteine mit Abluftwäscher Niedrig Ja Nein<br />
Umstieg auf sauberere Version Niedrig Ja Nein<br />
desselben Brennstoffs<br />
Umstieg auf anderen Brennstoff Hoch Ja Ja<br />
Gesamtverbrauch senken Hoch Ja Ja<br />
Die vier verfügbaren Vermeidungsoptionen sind: Installation von<br />
Abluftwäschern auf Schornsteinen, Umstieg auf eine sauberere Version<br />
desselben Brennstoffs (z. B. von stark schwefelhaltiger Kohle auf<br />
schwach schwefelhaltige Kohle), Umstieg auf einen anderen Brennstoff<br />
(z. B. von Kohle auf Erdgas) und Einschränkung des Umfangs der<br />
produktiven Tätigkeit. Die bei<strong>den</strong> ersten sind die billigsten Optionen.<br />
Im Falle der Erfüllung der Clean Air Act Amendments von 1990 (US-<br />
Luftreinhaltungsgesetze), in deren Rahmen die Schwefelemissionen in<br />
<strong>den</strong> USA um etwa 40 % gesenkt wur<strong>den</strong>, nahmen die Installation von<br />
Abluftwäschern sowie der Umstieg auf andere Kohlearten 45 bzw. 55 %<br />
der gesamten in Phase I erzielten Emissionssenkungen, insbesondere<br />
des starken Emissionsrückgangs zwischen 1994 und 1996, ein (Schmalensee<br />
et al. 1998). Doch stehen alle genannten Optionen, auf die damals<br />
zur Senkung der SO 2 -Emissionen zurückgegriffen wurde, <strong>für</strong> die<br />
CO 2 -Kontrolle nicht zur Verfügung:<br />
23<br />
> > Schwach schwefelhaltige Kohle existiert, schwach kohlenstoffhaltige<br />
Kohle dagegen nicht.<br />
> > Für CO 2 gibt es keine Abluftwäscher.<br />
Der zweite Punkt ist <strong>den</strong> Kraftwerksbetreibern wohlbekannt. In einer<br />
Studie über die Optionen zur Vermeidung luftverschmutzender Emis-<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
sionen kam die Ontario Power Authority (2007) zu dem Schluss, dass<br />
simulierte CO 2 -Emissionsveränderungen vollständig durch geschätzte<br />
Veränderungen der Ausstoßniveaus verursacht wur<strong>den</strong>:<br />
„[Geplante] Reduzierungen der CO 2 -Emissionen zwischen 2010 und 2014<br />
wur<strong>den</strong> viel mehr durch Reduzierungen der kohle[-befeuerten Elektrizitäts-]<br />
Produktion erzielt als durch Emissionskontrollen. Es gibt derzeit keine realisierbare<br />
Kontrolltechnologie zur Reduzierung der CO 2 -Emissionen aus Kohlekraftwerken.<br />
Die CO 2 -Reduzierungen sind daher bei allen Alternativen i<strong>den</strong>tisch.“<br />
OPA | 2007 | Seite 5<br />
24<br />
Ausgehend davon sind die einzigen Möglichkeiten, die CO 2 -Emissionen<br />
einzudämmen, die kostenintensiveren Optionen des Umstiegs<br />
auf andere Brennstoffe und der Senkung des Verbrauchs. Kraftwerke<br />
können Kessel durch gasbefeuerte Anlagen ersetzen oder <strong>den</strong> Gesamtbrennstoffverbrauch<br />
senken, was im Allgemeinen eine Reduzierung<br />
der gesamten Energieproduktion erfordert.<br />
Der Umstieg von Kohle auf andere Brennstoffe ist nicht nur aufgrund<br />
der Kapitalkosten teuer, sondern auch wegen des langfristigen<br />
Anstiegs der Erdöl- und Gaspreise gegenüber Kohle. Abbildung 1 zeigt<br />
die (inflationsbereinigten) jeweils auf <strong>den</strong> Wert 100 indexierten Realpreise<br />
der drei zentralen fossilen Energiequellen auf dem US-Markt<br />
zwischen 1949 und 2009. Die Kohlepreise haben sich danach kaum<br />
verändert, wohingegen der Gaspreis nach seinem jüngsten, um das<br />
18-Fache höheren Spitzenwert achtmal höher liegt. Der Ölpreis hat sich<br />
nach einem um das Fünffache höher liegen<strong>den</strong> Spitzenwert gegenüber<br />
Kohle verdoppelt. Bezogen auf die relativen Kosten und die preisliche<br />
Volatilität ist Kohle damit nach wie vor die beste Energiequelle.<br />
Einleitung
Reale Preise von Kohle, Erdgas und Erdöl 1949 – 2009,<br />
indexiert auf 1949 = 100<br />
Abbildung 1<br />
2.000<br />
1.800<br />
1.600<br />
Kohle Erdgas Erdöl<br />
1.400<br />
1.200<br />
1.000<br />
800<br />
25<br />
600<br />
400<br />
200<br />
0<br />
1949 1954 1959 1964 1969 1974 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009P<br />
Quelle: US Energy Information Administration | http://www.eia.doe.gov/overview_hd.html<br />
(Daten <strong>für</strong> 2009, vorläufig [P])<br />
Europa vs. USA: andere Rhetorik, gleiches Ergebnis<br />
Die Europäische Union unterzeichnete und ratifizierte das Kyoto-<br />
Protokoll 2002 mit dem Versprechen, die Treibhausgasemissionen<br />
bis 2008 gegenüber dem Stand von 1990 um 8 % zu senken. Die USA<br />
haben dies nicht getan und sich auf keine verbindlichen Ziele zur Senkung<br />
der Emissionen eingelassen. Stattdessen kündigte der damalige<br />
Präsi<strong>den</strong>t George W. Bush 2002 das unverbindliche Ziel an, die Emissionsintensität<br />
(Treibhausgase je Dollar BIP) bis 2012 um 18 % gegenüber<br />
dem Stand von 2002 zu senken – was allein durch Beibehaltung<br />
des nach <strong>den</strong> 1980er Jahren eingeschlagenen Entwicklungstrends der<br />
Emissionen erreicht wer<strong>den</strong> konnte. Die bei<strong>den</strong> genannten großen<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
26<br />
Akteure haben somit nahezu das gesamte vergangene Jahrzehnt zwei<br />
völlig unterschiedliche Ziele verfolgt: Business as usual in <strong>den</strong> USA,<br />
tiefgreifende Emissionseinschnitte in der EU.<br />
Ein Blick auf die Daten zeigt jedoch, dass beide Regionen hinsichtlich<br />
der Emissionsintensität nicht allzu unterschiedlich abgeschnitten<br />
haben. Zwischen 1995 und 2007 ging die Treibhausgasemissionsintensität<br />
in der gesamten EU (einschließlich Deutschland) um etwa 32 %<br />
zurück (Marland et al. 2010). In <strong>den</strong> USA sank die Emissionsintensität<br />
innerhalb desselben Zeitraums um 23 %. Ohne es überhaupt zu versuchen,<br />
ist es <strong>den</strong> USA gelungen, die Emissionsintensität ihrer Produktion<br />
annähernd so weit zu senken wie in Europa. Wie Abbildung 2<br />
zeigt, besteht der einzige Unterschied zwischen <strong>den</strong> USA und Europa<br />
hinsichtlich der Emissionsintensität ausschließlich in der Geschwindigkeit,<br />
nicht in der Richtung.<br />
Treibhausgasemissionsintensität in <strong>den</strong><br />
USA und Europa (EU-25)<br />
Abbildung 2<br />
EU<br />
USA<br />
100,0 100,0 96,5 98,4 90,6 96,8 86,5 92,9 83,4 89,8 81,1 89,1 81,2 86,4 78,5 85,9 76,9 83,7 73,4 82,4 71,9 80,5 70,5 77,3 67,8 76,7<br />
120,0<br />
100,0<br />
80,0<br />
60,0<br />
40,0<br />
20,0<br />
0,0<br />
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />
Quelle: EU http://epp.eurostat.ec.europa.eu | USA http://www.gpoaccess.gov/eop/tables10.html<br />
und http://cdiac.ornl.gov/trends/emis/usa.html | Berechnungen des Verfassers<br />
Einleitung
Wie oben erwähnt, setzt eine Senkung der CO 2 -Emissionen eine<br />
Senkung des Energieverbrauchs voraus. Was bedeutet das <strong>für</strong> das Wirtschaftswachstum?<br />
Zentrale Frage hierbei ist, ob ein höherer Energieverbrauch<br />
einen Anstieg des BIP bedingt oder durch einen Anstieg<br />
des BIP bedingt wird. Diese Unterscheidung ist von großer Bedeutung.<br />
Ist ein höherer Energieverbrauch eine bloße Nebenerscheinung<br />
von Wachstum, könnte er gedeckelt und ohne Beeinträchtigung des<br />
Wirtschaftswachstums gesenkt wer<strong>den</strong>. Wirkt ein höherer Energieverbrauch<br />
hingegen wachstumsfördernd, ist eine Abkoppelung des einen<br />
vom anderen nicht ohne weiteres möglich.<br />
Um in Zeitreihendaten eine Kausalitätsrichtung (bzw. „Granger-<br />
Kausalität“, wie sie in der Ökonomie fachsprachlich bezeichnet wird)<br />
erkennen zu können, sind statistische Techniken wie die so genannte<br />
Kointegrationsanalyse und die Vektorautoregression erforderlich. Mithilfe<br />
dieser Techniken wur<strong>den</strong> Daten aus <strong>den</strong> USA (Stern 2000), Kanada<br />
(Ghali und El-Sakka 2004) und anderen Ländern ausgewertet. Die<br />
Ergebnisse zeigen, dass der Energieverbrauch das Wirtschaftswachstum<br />
bedingt und die Kausalität in einzelnen Fällen in beide Richtungen<br />
verläuft. Das Magazin Stern zieht daraus folgen<strong>den</strong> Schluss:<br />
27<br />
„Die multivariate Analyse zeigt, dass die Energie das BIP wie in dem ersten<br />
der drei untersuchten Modelle entweder einseitig oder möglicherweise in einer<br />
wechselseitig kausalen Beziehung im Sinne der Granger-Kausalität bedingt. |...|<br />
Die in diesem Beitrag vorgestellten Ergebnisse stärken meinen früheren Schluss,<br />
dass Energie ein das Wirtschaftswachstum begrenzender Faktor ist. Auf die<br />
Energieversorgung einwirkende Schocks wer<strong>den</strong> die Produktion daher eher<br />
einschränken.“<br />
Stern | 2000 | Seite 281<br />
Der Satz „Energie ist ein das Wirtschaftswachstum begrenzender Faktor“<br />
ist dabei besonders wichtig. Der Energieverbrauch ist keine bloße<br />
Nebenerscheinung, die vom BIP-Wachstum abgekoppelt wer<strong>den</strong> kann.<br />
Eine bewusste Senkung des Energieverbrauchs wird das Wirtschafts-<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
28<br />
wachstum voraussichtlich ausbremsen und dabei die negativen Folgen<br />
<strong>für</strong> Politiker steigern, die versuchen, entsprechende politische<br />
Maßnahmen umzusetzen.<br />
Ferner wirken die steigen<strong>den</strong> Elektrizitätspreise regressiv, sodass<br />
die Kostenlast Haushalte mit geringerem Einkommen im Verhältnis<br />
stärker trifft als Haushalte mit höherem Einkommen. Einige Untersuchungen<br />
über Kohlenstoffsteuern (Jorgensen et al. 1992) haben sich<br />
mit der Frage der Regressivität befasst und herausgefun<strong>den</strong>, dass die<br />
Tatsache, ob eine Kohlenstoffsteuer regressiv wirkt oder nicht, davon<br />
abhängt, wie sie umgesetzt (und wie Ungleichheit gemessen) wird.<br />
Dinan und Rogers (2002) zeigten, dass die Einführung eines Capand-Trade-Systems<br />
mit gratis zu vergeben<strong>den</strong> Genehmigungen <strong>für</strong><br />
die gesamte US-Wirtschaft höchst regressiv wirken würde, wobei die<br />
ärmsten Haushalte jährlich 500 USD verlieren, die reichsten dagegen<br />
jährlich 1.000 USD gewinnen wür<strong>den</strong>. Der finanzielle Vorteil <strong>für</strong> die<br />
Haushalte mit höherem Einkommen ergäbe sich dabei daraus, dass ihnen<br />
die Unternehmen, die die wertvollen Genehmigungen entgeltlos<br />
erhielten, gehören.<br />
Einleitung
2.<br />
Theoretische Grundlagen<br />
der Klimapolitik<br />
Grenzschä<strong>den</strong> und Grenzvermeidungskosten<br />
29<br />
Um das Versagen der Klimapolitik in vollem Umfang verstehen zu<br />
können, muss man zunächst einige der Anreizmechanismen verstehen,<br />
welche die Volkswirtschaften mit der Umwelt verbin<strong>den</strong>. Treibende<br />
Kraft der wirtschaftlichen Entwicklung ist in erster Linie die Interaktion<br />
zwischen „Konsumentenpräferenzen und Technologie“, anders<br />
gesagt, der beständige Fluss von Signalen zwischen <strong>den</strong> Präferenzen<br />
der Verbraucher und <strong>den</strong> Kapazitäten der Produzenten. Verbraucher<br />
verlangen nach Waren und Dienstleistungen, die ihre Wünsche und<br />
Bedürfnisse erfüllen. Unternehmen entwerfen Produktionspläne, um<br />
ihren Gewinn zu maximieren. Diese Kräfte von Angebot und Nachfrage<br />
bil<strong>den</strong> die Grundlage des preisbasierten Marktsystems.<br />
Die ökonomische Umweltanalyse betrachtet Umweltverschmutzung<br />
als ein „Versagen des Marktes“. Unternehmen können ihre Gewinne<br />
durch eine stärkere Verursachung von Umweltverschmutzung<br />
(anders formuliert: dadurch, dass sie kein Geld <strong>für</strong> die Vermeidung von<br />
Verschmutzung ausgeben) steigern, während Verbraucher weniger Verschmutzung<br />
bevorzugen. Da <strong>den</strong> Verbrauchern kein Mechanismus zur<br />
Verfügung steht, Unternehmen <strong>für</strong> ihre Verschmutzung bezahlen zu<br />
lassen, gibt es keine Preissignale und es kommt zu einer übermäßigen<br />
Verschmutzung. Dieses Standardargument <strong>für</strong> ein Eingreifen des Staates<br />
bietet jedoch keine Begründung <strong>für</strong> ein unbegrenztes Eingreifen. Vor<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
30<br />
allen Dingen rechtfertigt die ökonomische Analyse von Umweltproblemen<br />
keine Politiken, die mehr kosten als nutzen. Der Staat ist vielmehr<br />
angehalten ein deutliches Preissignal zu setzen oder die Umweltverschmutzung<br />
auf ein Niveau zu regulieren, das bei Vorliegen eines angemessenen<br />
Marktpreissignals erreicht wor<strong>den</strong> wäre. Um eine Aussage<br />
über die optimale Form politischen Eingreifens treffen zu können, müssen<br />
wir verstehen, auf welche Weise der Markt ein Preissignal <strong>für</strong> Umweltschä<strong>den</strong><br />
aussen<strong>den</strong> würde, wenn die Mechanismen von Angebot<br />
und Nachfrage tatsächlich greifen wür<strong>den</strong>.<br />
Die Analyse von Angebot und Nachfrage beruht auf der Untersuchung<br />
schrittweiser Veränderungen, da es immer einen Ausgangspunkt<br />
gibt, von dem aus der Weg in eine bestimmte Richtung führt.<br />
Hinsichtlich der Verschmutzung geht es <strong>für</strong> die Regulierer <strong>für</strong> gewöhnlich<br />
darum, ob die zulässigen Grenzwerte gegenüber dem aktuellen<br />
Stand erhöht oder gesenkt wer<strong>den</strong> sollten. Es wird daher unterschie<strong>den</strong><br />
zwischen Grenzschä<strong>den</strong>, d. h. <strong>den</strong> zusätzlichen Kosten einer geringfügig<br />
höheren Verschmutzung <strong>für</strong> die Gesellschaft, und Grenzvermeidungskosten,<br />
also dem Kostenzuwachs (aus Sicht der Gesellschaft), der eine<br />
geringfügige Reduzierung der Verschmutzung mit sich bringt.<br />
Beide Konzepte sind in Abbildung 3 grafisch dargestellt, Emissionen<br />
(e) auf der horizontalen, der Wert in Dollar (bzw. Euro) je Emissionseinheit<br />
auf der vertikalen Achse. Die ansteigende Grenzscha<strong>den</strong>kurve<br />
(GS) gibt an, dass mit steigen<strong>den</strong> Emissionen die gesellschaftlichen<br />
Kosten <strong>für</strong> jede weitere höhere Verschmutzungseinheit ebenfalls<br />
zunehmen. Die Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) fällt von links<br />
nach rechts betrachtet ab. Von rechts nach links gesehen ist diese Kurve<br />
ansteigend und gibt an, dass mit sinken<strong>den</strong> Emissionen die Grenzkosten<br />
weiterer Emissionsreduzierungen ansteigen.<br />
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Grenzscha<strong>den</strong>, Grenzvermeidungskosten<br />
und optimales Emissionsniveau<br />
Abbildung 3<br />
USD pro Tonne<br />
P*<br />
Grenzvermeidungskosten<br />
GVK<br />
Grenzschä<strong>den</strong><br />
GS<br />
a<br />
b<br />
c<br />
31<br />
e* ē Emissionen<br />
Beide Kurven können in Abhängigkeit vom Emissionsniveau jeweils<br />
als aufsteigend bzw. als abfallend gelesen wer<strong>den</strong>. Formal betrachtet<br />
entspricht die GS-Kurve nicht <strong>den</strong> Kosten <strong>für</strong> die Beseitigung<br />
der Schä<strong>den</strong> der Verschmutzung, sondern einer auf mikroökonomischen<br />
Modellen öffentlicher Güter beruhen<strong>den</strong> konzeptuellen Größe.<br />
In aufsteigender Richtung betrachtet lautet die ökonomische Definition<br />
von Grenzschä<strong>den</strong>, dass diese der Höhe des zusätzlichen Einkommens<br />
entsprechen, das die von der Verschmutzung betroffenen Personen<br />
erhalten müssten, um mit <strong>den</strong> zusätzlichen Emissionen ebenso<br />
gut dazustehen wie ohne sie. Mit anderen Worten handelt es sich hierbei<br />
um eine Kompensationsmaßnahme, und der Bereich unterhalb<br />
der GS-Kurve innerhalb eines bestimmten Intervalls gibt an, welche<br />
Kompensation angesichts des Umfangs steigender Emissionen, wie<br />
ihn das Intervall darstellt, erforderlich wäre.<br />
Vergleichen wir beispielsweise <strong>den</strong> Anfangspunkt der Kurve mit<br />
dem Emissionsniveau e*, gibt das Feld a an, welche Kompensation<br />
<strong>für</strong> die dargestellte Gesellschaft insgesamt erforderlich wäre, um mit<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
32<br />
Emissionen e* ebenso gut dazustehen wie ohne. Steigen die Emissionen<br />
um eine Einheit, gibt die Höhe der Grenzscha<strong>den</strong>skurve an, welche<br />
zusätzliche Kompensation, in diesem Falle P*, erforderlich ist. Steigen<br />
die Emissionen auf ē , müsste die zusätzliche Kompensation b+c<br />
betragen.<br />
Liest man die GVK-Kurve von links nach rechts, gibt sie <strong>den</strong> Grenznutzen<br />
an, der sich <strong>für</strong> <strong>den</strong> Verursacher (üblicherweise ein Unternehmen<br />
oder Industriebetrieb) aus der Erlaubnis ergibt, seine Emissionen<br />
um eine Einheit zu erhöhen. Für aktuelle Emissionen im Umfang von<br />
e* ergeben sich <strong>für</strong> das Unternehmen aus der Notwendigkeit, seine<br />
Emissionen um eine Einheit zu senken, die Kosten P*; umgekehrt beläuft<br />
sich der Nutzen <strong>für</strong> das Unternehmen durch die Erlaubnis, eine<br />
Einheit mehr auszustoßen, auf P*. Nutzen bzw. Kosten bezeichnen<br />
hierbei nicht nur die Aufwendungen, die <strong>für</strong> die Anschaffung von Ausrüstungen<br />
zur Emissionsvermeidung anfallen, sondern die Veränderung<br />
des Unternehmensgewinns insgesamt. Diese Veränderung ergibt<br />
sich teilweise aus der Anschaffung von Ausrüstungen zur Emissionsvermeidung,<br />
umfasst jedoch auch die Folgen der Anpassung des Investitions-<br />
bzw. Produktionsniveaus.<br />
Die Veränderung des Unternehmensgewinns ist aus zwei Grün<strong>den</strong><br />
ein Hinweis auf die gesellschaftlichen Kosten eines Wechsels in<br />
der Umweltpolitik: Zum einen steigen die Gewinne eines Unternehmens<br />
immer dann, wenn seine Produktion mehr einbringt, als es da<strong>für</strong><br />
an Produktionsfaktoren aufwen<strong>den</strong> muss. Der Markt sendet so das<br />
Signal aus, dass das Unternehmen <strong>den</strong> Haushalten einen Nettonutzen<br />
verschafft. In diesem Sinne sind Gewinne kein Signal da<strong>für</strong>, dass Unternehmen<br />
der Gesellschaft Wohlstand entziehen – im Gegenteil: es<br />
zeigt, dass die Unternehmen <strong>den</strong> von ihnen genutzten Produktionsfaktoren<br />
einen Mehrwert hinzufügen. Eine Drosselung der Tätigkeit,<br />
die einen Mehrwert schafft, kommt <strong>für</strong> eine Gesellschaft allgemein<br />
einem Verlust gleich. Zum anderen wer<strong>den</strong> Gewinne als Einkünfte an<br />
Anteilseigner, wie etwa Investoren oder Beziehern von Firmenrenten,<br />
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
weitergegeben. Sinkende Gewinne sind demnach in Form geringerer<br />
Einkünfte <strong>für</strong> Anteilseigner spürbar.<br />
Angenommen, ein Verschmutzung verursachendes Unternehmen<br />
wird zunächst verpflichtet, seine Emissionen auf das Niveau e* zu<br />
beschränken, und anschließend wer<strong>den</strong> alle Emissionsbeschränkungen<br />
aufgehoben. Das Unternehmen wird beginnen, seine Emissionen<br />
zu steigern, da der Grenznutzen einer solchen Maßnahme positiv ist,<br />
nämlich P*. Die Emissionen wer<strong>den</strong> daraufhin so lange weiter steigen,<br />
bis der Grenznutzen <strong>den</strong> Wert null erreicht, also bis zu dem Punkt, an<br />
dem die GVK-Kurve die horizontale Achse bei ē schneidet. Der Gesamtnutzen,<br />
der sich <strong>für</strong> das Unternehmen aus der Erlaubnis ergibt, seine<br />
Emissionen von e* auf ē zu steigern, beläuft sich auf <strong>den</strong> zwischen<br />
diesen bei<strong>den</strong> Punkten liegen<strong>den</strong> Bereich b unterhalb der GVK-Kurve.<br />
Müsste das Unternehmen hingegen seine Emissionen von ē auf e* senken,<br />
lägen die Grenzvermeidungskosten insgesamt bei b.<br />
Bei einem Emissionsniveau von ē , also einem Emissionsniveau<br />
ohne Regulierung, sind die Grenzschä<strong>den</strong> gegenüber <strong>den</strong> Grenzvermeidungskosten<br />
vergleichsweise hoch. Folglich ist es gesellschaftlich<br />
erstrebenswert, die Emissionen zu senken. Dies bleibt so bis zum Erreichen<br />
des Emissionswerts e*. An diesem Punkt belaufen sich die Grenzvermeidungskosten<br />
der letzten Einheit der Emissionsreduzierung auf<br />
P* und entsprechen damit der Reduzierung des Grenzscha<strong>den</strong>s. Wer<strong>den</strong><br />
die Emissionen unter diesen Punkt reduziert, wür<strong>den</strong> die da<strong>für</strong><br />
entstehen<strong>den</strong> Grenzvermeidungskosten <strong>den</strong> Nutzen (der Reduzierung<br />
des Grenzscha<strong>den</strong>s) übersteigen. Das gesellschaftlich optimale Emissionsreduzierungsziel<br />
in diesem Fall ist folglich e*.<br />
Liegen die Emissionen hingegen anfänglich bei null, ist es ratsam,<br />
eine Zunahme der Emissionen zu gestatten, da die Grenzvermeidungskosten<br />
über dem Grenzscha<strong>den</strong> liegen bzw., anders gesagt, der<br />
Grenznutzen der Emissionen höher ist als der Grenzscha<strong>den</strong>. Eine solche<br />
Emissionssteigerung ist bis zu e* ratsam, da an diesem Punkt der<br />
Grenznutzen der Emissionen genau mit <strong>den</strong> Grenzkosten P* zusam-<br />
33<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
34<br />
menfällt. Über diesem Punkt verursachen zusätzliche Emissionen einen<br />
Grenzscha<strong>den</strong>, der über dem entsprechen<strong>den</strong> Nutzen (GVK) liegt,<br />
sodass eine weitere Zunahme nicht empfehlenswert ist.<br />
Nehmen wir e* als optimales Emissionsniveau an. Es handelt sich<br />
dabei um das Niveau, bei dem die Nettogewinne der verschmutzen<strong>den</strong><br />
Tätigkeit bzw. der Nettonutzen der Verschmutzungsreduzierung<br />
ihren Höchststand erreichen.<br />
Jedem Punkt auf der GS- und der GVK-Kurve ist ein Preis zugeordnet.<br />
Dies ist eine der wichtigsten prinzipiellen Unterscheidungen der<br />
ökonomischen Analyse von Umweltverschmutzungen und der Umweltschutzanalyse<br />
in <strong>den</strong> Umwelt-, Rechts- oder Politikwissenschaften.<br />
Die ökonomische Analyse der Umweltverschmutzung geht bei der Wahl<br />
eines bestimmten Emissionsniveaus e von einem entsprechen<strong>den</strong> Preis<br />
entsprechend der Position auf der GS- und der GVK-Kurve aus.<br />
Die Antwort eines Emittenten auf umweltpolitische Maßnahmen<br />
wird durch die Kurve der Grenzvermeidungskosten (GVK) bestimmt.<br />
Angesichts einer Emissionssteuer in Höhe von P* wür<strong>den</strong> Unternehmen<br />
bis zum Punkt e*, jedoch nicht darüber hinaus Emissionen ausstoßen.<br />
Andernfalls würde der Grenznutzen <strong>für</strong> die Unternehmen<br />
– abzulesen an der GVK-Kurve – unter <strong>den</strong> Betrag P* je Emissionseinheit<br />
fallen, <strong>den</strong> sie an Steuern auf die zusätzlichen Emissionen zahlen<br />
müssten. Mit anderen Worten: Sie könnten Vermeidungsstrategien<br />
anwen<strong>den</strong>, die weniger kosten als die Steuern, und einen finanziellen<br />
Vorteil aus der Senkung der Emissionen ziehen. Statt eine Emissionssteuer<br />
von bspw. 50 USD/Tonne zu bezahlen, wer<strong>den</strong> Unternehmen es<br />
vorziehen, Vermeidungsoptionen zu wählen, solange diese weniger als<br />
50 USD/Tonne kosten.<br />
Der Emissionssteuersatz gibt folglich <strong>den</strong> zusätzlichen Wert an, der<br />
sich <strong>für</strong> ein Unternehmen aus der Möglichkeit, seine Emissionen um<br />
eine weitere Einheit erhöhen zu dürfen, ergibt. So gesehen entspricht<br />
die GVK-Kurve im Grunde einer Nachfragekurve <strong>für</strong> Emissionen, wie<br />
sie in jedem volkswirtschaftlichen Einführungswerk zu fin<strong>den</strong> ist.<br />
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Das der GS-Kurve entsprechende Preisniveau gibt <strong>den</strong> Geldbetrag<br />
an, der als Kompensation <strong>für</strong> eine weitere Einheit Verschmutzung erforderlich<br />
wäre. In dieser Hinsicht entspricht die GS-Kurve einer konventionellen<br />
Angebotskurve, die <strong>den</strong> Betrag angibt, der bezahlt wer<strong>den</strong><br />
müsste, damit die Menschen bereit wären, eine Erlaubnis <strong>für</strong> eine weitere<br />
Verschmutzungseinheit „anzubieten“.<br />
Durch die Kombination aus Preis- und Mengenachse sieht Abbildung<br />
3 wie ein herkömmliches Angebots- und Nachfragemodell aus<br />
jedem Wirtschaftslehrbuch aus. Wie bereits angedeutet, ist diese Ähnlichkeit<br />
nicht dem bloßen Zufall geschuldet. Die ansteigende GS-Kurve<br />
gleicht einer Angebotskurve, die abfallende GVK-Kurve einer Nachfragekurve.<br />
Der Unterschied gegenüber gewöhnlichen Angebots- und<br />
Nachfragekurven besteht darin, dass in einem regulären Markt Produktions-<br />
und Verbrauchsentscheidungen durch das Preissignal hin zu<br />
dem Punkt geführt wer<strong>den</strong>, an dem sich die Kurven schnei<strong>den</strong>. Im Falle<br />
von Schadstoffemissionen hingegen wird kein Preissignal ausgesendet,<br />
sodass eine Koordinierung der Emissionsniveaus nicht möglich ist.<br />
Die Politik sollte daher nach Möglichkeit darauf abzielen, das Versagen<br />
des Marktes durch die Einführung eines Preismechanismus zu<br />
korrigieren, der <strong>den</strong> Menschen ermöglicht ihre eigenen Reaktionen<br />
auf die Preissignale zu fin<strong>den</strong>. Eine auf Grundlage von marktwirtschaftlichen<br />
Prinzipien gestaltete Politik wird sich im Ergebnis dem<br />
optimalen Emissionsniveau e* annähern. Etwas komplexer wird die<br />
Angelegenheit, wenn, wie in Abschnitt 4 erläutert, darüber hinaus Unsicherheit,<br />
Dynamik und ähnliche Faktoren berücksichtigt wer<strong>den</strong>. Als<br />
Grundgedanke der ökonomischen Betrachtung umweltpolitischer Fragen<br />
gilt, dass die Lösung <strong>für</strong> das Verschmutzungsproblem entweder in<br />
der Einrichtung geeigneter Preissignale oder in der Festlegung einer<br />
Emissionsmenge liegt, die sich aus der Existenz eines Marktpreissignals<br />
ergeben hätte.<br />
35<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Preisregulierung vs. Mengenregulierung<br />
36<br />
Ein Preissignal kann entweder durch die Festlegung eines Emissionspreises<br />
(mit Hilfe einer Schadstoffsteuer bzw. -abgabe) oder durch die<br />
Begrenzung der Emissionsmenge ausgesendet wer<strong>den</strong>. Dies erfolgt<br />
über eine Emissionssteuer bzw. die Ausgabe einer fixen Anzahl von Genehmigungen,<br />
<strong>für</strong> die sich anschließend durch einen Handel auf dem<br />
Markt ein Preis herausbildet. Anders ausgedrückt: Der Regulierer kann<br />
einen Preis bestimmen und <strong>den</strong> Markt die Menge festlegen lassen oder<br />
umgekehrt eine Menge bestimmen und dem Markt die Preisfindung<br />
überlassen. Beides gleichzeitig ist nicht möglich.<br />
Wie bereits erwähnt, wer<strong>den</strong> Unternehmen im Falle der Festsetzung<br />
einer Emissionssteuer in Höhe P* maximal eine Menge e* emittieren.<br />
Wer<strong>den</strong> demgegenüber Emissionsgenehmigungen bis zu einer<br />
Menge e* ausgegeben, wer<strong>den</strong> die Unternehmen <strong>für</strong> diese bereit sein<br />
auf dem Markt <strong>den</strong> Gleichgewichtspreis P* zu bieten. Mehr als diesen<br />
Preis wer<strong>den</strong> sie nicht zu bezahlen bereit sein, da sie ihre Emissionen<br />
auch unter Aufwendung von Grenzkosten in Höhe von P* selbst vermei<strong>den</strong><br />
könnten, anstatt zu einem höheren Preis eine weitere Emissionsgenehmigung<br />
zu erwerben. Andererseits wird auf dem Markt auch<br />
kein niedrigerer Preis Bestand haben, da die Unternehmen eher die<br />
günstigere Genehmigung kaufen wür<strong>den</strong>, als Grenzvermeidungskosten<br />
in Höhe von P* einzugehen. Liegt die Menge der Genehmigungen<br />
bei e*, beträgt der sich daraus ergebende Marktpreis P*.<br />
Da die vorliegende Argumentation genau derjenigen einer beliebigen<br />
anderen Nachfragekurve entspricht, kann die GVK-Kurve als die<br />
„Nachfragekurve <strong>für</strong> Emissionen“ bezeichnet wer<strong>den</strong>.<br />
Aufgrund der bestehen<strong>den</strong> Unsicherheiten ist es jedoch wichtig,<br />
sich vor Augen zu führen, über welche Informationen ein Regulierer bei<br />
der Wahl des geeigneten Umweltschutzinstruments realistischerweise<br />
verfügen kann. In <strong>den</strong> meisten Umweltfragen kann der Regulierer sich<br />
bestenfalls einiger weniger wichtiger Details sicher sein. Es sind dies:<br />
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
A die aktuelle Emissionsmenge,<br />
B die ungefähre Steigung der Grenzvermeidungskostenkurve bei<br />
sinken<strong>den</strong> Emissionen,<br />
C die annähernde Steigung der Grenzscha<strong>den</strong>skurve bei steigen<strong>den</strong><br />
Emissionen.<br />
Der erste Punkt wird durch einfache Beobachtung ermittelt. Der zweite<br />
Punkt kann anhand technischer bzw. ökonomischer Analysen oder<br />
auf Grundlage von Informationen von Unternehmen, die mit einer<br />
möglichen Regulierung konfrontiert sind, geschätzt wer<strong>den</strong>. Bisweilen,<br />
jedoch nicht in jedem Fall, können Unternehmen versucht sein,<br />
ihre Vermeidungskosten zu übertreiben. 1 Der dritte Punkt kann durch<br />
Analysen ermittelt wer<strong>den</strong>, die ökologische Informationen mit ökonomischen<br />
Daten kombinieren, z. B. durch die so genannte kontingente<br />
Bewertungsmethode oder andere empirische Modellversuche.<br />
Die Regulierer können typischerweise keine präzisen Informationen<br />
bezüglich der Werte auf der vertikalen Achse der dargestellten<br />
Diagramme erhalten. So ist zwar möglicherweise bekannt, dass die GS-<br />
Kurve im Rahmen des zu regulieren<strong>den</strong> Emissionsintervalls eher flach<br />
verläuft. Eine genauere Aussage über die Höhe des Wertes ist jedoch<br />
nicht möglich, sodass sich lediglich eine Spannweite, die zwischen 10<br />
und 30 USD/Tonne liegen dürfte, angeben lässt.<br />
Nichtsdestoweniger sind die unter a bis c genannten Parameter<br />
ausreichend, um zu entschei<strong>den</strong>, ob eine Regulierung des Emissionspreises<br />
oder der Emissionsmenge vorzuziehen ist. Der Ökonom, der<br />
dies zuerst formulierte, war Martin Weitzman (1974), und seine Analyse<br />
wurde seither umfassend rezipiert. Sein Ansatz ist folgender:<br />
37<br />
1 Dies ist von der Art der Politik abhängig, die Unternehmen erwarten. Siehe McKitrick (2010a),<br />
Kapitel 5.1.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
38<br />
Angenommen, die Situation stellt sich wie in Abbildung 4 dar, in<br />
welcher die Steigung der GS-Kurve gegenüber dem Anstieg der GVK-<br />
Kurve über dem <strong>für</strong> <strong>den</strong> Regulierer relevanten Emissionsbereich als<br />
verhältnismäßig flach angenommen wird. Das optimale Emissionsniveau<br />
liegt bei e*; wo genau sich dieses Niveau befindet, ist jedoch unbekannt.<br />
Unternimmt man <strong>den</strong> Versuch, die richtige Emissionsmenge<br />
zu erraten, führen geringfügige Fehler im Umfeld von e* (horizontaler<br />
Pfeil) zu groben Fehlern in Bezug auf <strong>den</strong> optimalen Preis (vertikaler<br />
Pfeil), d. h. <strong>den</strong> entsprechen<strong>den</strong> Preisbereich auf der GVK- bzw. Emissionsnachfragekurve.<br />
Das große Ausmaß dieser Fehler schlägt sich<br />
in unerwartet hohen Risiken <strong>für</strong> emittierende Unternehmen und die<br />
Wirtschaft allgemein nieder. Der durch die Pfeile abgegrenzte Bereich<br />
spiegelt <strong>den</strong> Bereich wider, in dem sich die Emissionspolitik als störend,<br />
kostspielig und chaotisch <strong>für</strong> die Wirtschaft erweist.<br />
Im Gegensatz dazu führen Fehler auf der Preisachse jedoch bei<br />
einem beliebig gewählten Preis lediglich zu relativ geringfügigen Fehlern<br />
auf der Mengenachse. Ist die Festlegung des optimalen Preises<br />
<strong>für</strong> Emissionen fehlerbehaftet (Abweichung nach oben oder unten),<br />
kommt das Ergebnis dem optimalen Emissionsniveau gleichwohl recht<br />
nah und die Gefahr einer unerwartet hohen Volatilität ist relativ gering.<br />
Es ist daher besser zu versuchen, <strong>den</strong> Preis möglichst genau zu schätzen<br />
und <strong>den</strong> Markt die Menge bestimmen zu lassen, als umgekehrt.<br />
Verläuft die GVK-Kurve relativ flach, geht die Argumentation in<br />
die andere Richtung, d. h., es wäre besser zu versuchen, die optimale<br />
Emissionsmenge zu ermitteln und <strong>den</strong> Markt <strong>den</strong> Preis bestimmen zu<br />
lassen, anstatt einen Preis festzulegen und möglicherweise starke und<br />
teure Ausschläge auf der Mengenachse in Kauf zu nehmen.<br />
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
In Abbildung 4 ist die Situation <strong>für</strong> CO 2 schematisch dargestellt.<br />
> > Die GS-Kurve verläuft relativ flach, da es sich bei CO 2 um ein globales<br />
Gas handelt, d. h. das Klima wird nicht durch örtliche Emissionen in<br />
Mitlei<strong>den</strong>schaft gezogen, sondern durch <strong>den</strong> global vorhan<strong>den</strong>en Bestand.<br />
Hinsichtlich der Emissionen einer einzelnen Nation wird der<br />
Grenzscha<strong>den</strong> der ersten Emissionseinheit derjenigen der letzten<br />
Einheit entsprechen, da sich die global vorhan<strong>den</strong>e Treibhausgasmenge<br />
infolge der jährlichen Emissionen eines Landes, wenn überhaupt,<br />
nur unwesentlich verändert.<br />
39<br />
Wahlmöglichkeiten der Politik angesichts<br />
bestehender Unsicherheiten<br />
Abbildung 4<br />
USD pro Tonne<br />
Grenzvermeidungskosten<br />
GVK<br />
P*<br />
Grenzschä<strong>den</strong><br />
GS<br />
e* ē Emissionen<br />
> > Die GVK-Kurve verläuft sehr steil, da, wie oben erläutert, nur sehr<br />
wenige Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Kurzfristig besteht<br />
<strong>für</strong> Haushalte und Unternehmen der einzige Weg, ihre Emissionen<br />
zu senken, darin, ihren Energieverbrauch zu senken. Längerfristig<br />
wird die Reduzierung der Emissionen angesichts teurerer<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
40<br />
Brennstoffe oder alternativer Energien höhere Kapitalinvestitionen<br />
erforderlich machen. Zwei Indikatoren legen eine steile GVK-Kurve<br />
nahe. Erstens hat der europäische Emissionsmarkt angesichts einer<br />
vergleichsweise geringen Mengenvolatilität eine recht hohe Preisvolatilität<br />
gezeigt (Ellerman und Joskow 2008), wobei dies jedoch teilweise<br />
darauf zurückzuführen war, dass in der ersten Phase des europäischen<br />
Programms keine Genehmigungen auf spätere Handelsperio<strong>den</strong><br />
übertragen wer<strong>den</strong> konnten. Und zweitens haben sich die<br />
europäischen Emissionen trotz jahrelanger Bemühungen kaum verändert.<br />
Dieser Umstand wird durch <strong>den</strong> Zusammenbruch der DDR<br />
und anderer Übergangswirtschaften sowie durch die Umstellung der<br />
Energiewirtschaft Großbritanniens von Kohle auf Gas in <strong>den</strong> frühen<br />
1990er Jahren verschleiert, wodurch die CO 2 -Emissionen eine einmalige<br />
Reduzierung erfuhren. Diakoulaki und Madaraka (2007) haben<br />
die steigen<strong>den</strong> CO 2 -Emissionswerte aus 14 EU-Ländern im Zeitraum<br />
1990 bis 2003 unter Berücksichtigung der von allen Ländern<br />
außer Spanien umgesetzten politischen Maßnahmen untersucht.<br />
In allen Ländern, außer Großbritannien und Deutschland, wo sich<br />
alle fertigungsbedingten Reduzierungen vor 1997 vollzogen und anschließend<br />
ein Anstieg zu verzeichnen war, wur<strong>den</strong> gleichbleibende<br />
oder steigende Emissionen verzeichnet. Die Autoren kamen zu dem<br />
Schluss, „dass keine systematischen Anzeichen da<strong>für</strong> vorliegen, das<br />
sich das Verhalten der untersuchten Länder in der Zeit vor und nach<br />
Kyoto unterscheidet“ (Seite 655).<br />
Angesichts der Tatsache, dass Emissionspolitik unter unsicheren Bedingungen<br />
gemacht wird, wäre es folglich besser, statt einer Menge einen<br />
Preis festzulegen. Für eine Preissteuerung der Emissionen anstelle<br />
einer Emissionsgrenze sprechen zudem zwei weitere Gründe.<br />
Erstens gestaltet sich die Verwaltung eines Systems handelbarer<br />
Genehmigungen deutlich schwieriger, da der Regulierer zunächst eine<br />
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Erstzuweisung (mittels einer Auktion, einer Bestandsregelung oder einer<br />
anderen Methode) vornehmen und die <strong>für</strong> <strong>den</strong> Handel mit diesen Genehmigungen<br />
entstehen<strong>den</strong> Märkte einer Prüfung unterziehen muss.<br />
Zweitens haben Regierungen die Genehmigungen in der Praxis <strong>für</strong> gewöhnlich<br />
kostenlos ausgegeben, anstatt eine Auktion durchzuführen,<br />
was sowohl im Falle des US-Marktes <strong>für</strong> Schwefeldioxidgenehmigungen<br />
als auch im Falle des neuen EU-Marktes <strong>für</strong> Kohlenstoff-Emissionszertifikate<br />
so geschah. Die heute übliche Vorstellung einer „doppelten<br />
Divi<strong>den</strong>de“ beruht darauf, dass die durch die Verschmutzungspolitik<br />
erhöhten Einnahmen des Staates darauf verwendet wer<strong>den</strong> können,<br />
die Steuerlast an anderer Stelle zu reduzieren. Ein System handelbarer<br />
Genehmigungen jedoch, in dem Genehmigungen kostenlos an die Verursacher<br />
von Verschmutzung ausgegeben wer<strong>den</strong>, steht dem im Wege,<br />
sodass keine steuerliche Verrechnung möglich ist. Empirische Arbeiten<br />
in Bezug auf die USA haben verdeutlicht, dass nicht auf dem Wege einer<br />
Auktion vergebene CO 2 -Emissionsquoten die gesellschaftlichen Kosten<br />
der Politik drastisch erhöhen (Parry 2003, 2004). Die Quoten schaffen<br />
ähnlich wie bei Marketing-Gesellschaften <strong>für</strong> landwirtschaftliche Erzeugnisse<br />
und städtischen Vergabesystemen <strong>für</strong> Taxilizenzen Kartelleinkünfte<br />
<strong>für</strong> die Empfänger und erhöhen im Grunde die finanzielle<br />
Belastung der Haushalte durch die Förderung von Marktlagengewinnen<br />
(sogenannte „Windfall Profits“) <strong>für</strong> Emittenten.<br />
41<br />
Fünf Grundsätze rationaler Klimapolitik<br />
Die obige Analyse führt uns zu fünf wesentlichen ökonomischen<br />
Grundsätzen einer rationalen Klimapolitik:<br />
1 PREISGESTALTUNG: Eine Politik zur Senkung der Treibhausgasemissionen<br />
ist weniger marktverzerrend und kostspielig, wenn sie auf<br />
einem festgelegten Emissionspreis anstatt auf einem festgelegten<br />
Ziel zur Emissionsreduzierung beruht.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
42<br />
2 REALISMUS: Da die GVK-Kurve aktuell sehr steil verläuft, liegt das<br />
optimale Emissionsniveau derzeit nicht weit unter dem unregulierten<br />
Emissionsniveau. Jedes Mal, wenn die Politik neue Pläne<br />
offenlegt, die Emissionsgrenzen zu verschärfen, steigen die ökonomischen<br />
Kosten der Vermeidung rasant an und führen zu heftigen<br />
Reaktionen auf je<strong>den</strong> Versuch, über das optimale Ziel der Emissionsreduzierung<br />
hinauszugehen. Es wäre demnach besser, <strong>den</strong> Anstieg<br />
der GVK-Kurve durch die Beobachtung der Mengenanpassung<br />
als Reaktion auf ein bestimmtes Preissignal zu ermitteln, anstatt<br />
tiefgreifende Emissionseinschnitte vorzuschreiben und angesichts<br />
einer irrational hohen Kostenexplosion sehen<strong>den</strong> Auges in eine unvermeidbare<br />
Krise zu schlittern.<br />
3 REDUNDANZVERMEIDUNG: Marktmechanismen sollten anstelle<br />
von regulatorischen Mechanismen zum Einsatz kommen, nicht<br />
ergänzend dazu. Nach der Festlegung eines Emissionspreises (bzw.<br />
einer Emissionsmenge) durch die Politik, sollte von weiteren überflüssigen<br />
technischen Regulierungen und Verhaltenskontrollen<br />
zur Überwachung der Einhaltung der bestehen<strong>den</strong> politischen<br />
Maßnahmen Abstand genommen wer<strong>den</strong>. Wird Kraftwerken beispielsweise<br />
der Erwerb von Emissionszertifikaten vorgeschrieben,<br />
so reicht diese Maßnahme aus, ihre Emissionen zu regulieren. Darüber<br />
hinaus weitere Vorschriften zu erlassen, in <strong>den</strong>en Haushalten<br />
vorgeschrieben wird, welche Glühbirnen oder Haushaltsgeräte<br />
sie verwen<strong>den</strong> dürfen, oder Kraftwerksbetreibern vorzuschreiben,<br />
dass sie einen bestimmten Anteil ihrer Energie über <strong>den</strong> Ankauf<br />
von Win<strong>den</strong>ergie abdecken müssen, ist redundant. Das einzige, was<br />
dadurch erreicht wird, sind höhere Kosten und eine verständliche<br />
Ablehnung des gesamten Konzepts der Klimapolitik durch die Bevölkerung.<br />
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
4 KOSTENEFFIZIENZ: Um die mögliche Vermeidung mithilfe der begrenzten<br />
Ressourcen, die eine Gesellschaft da<strong>für</strong> zu geben bereit ist,<br />
zu maximieren, müssen die Vermeidungsoptionen ohne Wenn und<br />
Aber dahingehend überprüft wer<strong>den</strong>, ob die Grenzkosten die besten<br />
Schätzungen der Grenzschä<strong>den</strong> übersteigen. Bei Vorliegen eines<br />
Preisgestaltungsinstruments erfolgt dies automatisch in umfassender<br />
Weise. Angesichts der aktuellen technologischen Vermeidungsmöglichkeiten<br />
ergibt sich daraus eine vermutlich eher geringe<br />
Vermeidung; doch mit zunehmender technologischer Entwicklung<br />
und Abflachung der GVK-Kurve wird auch das Emissionsniveau automatisch<br />
sinken.<br />
43<br />
5 ZIELAUSRICHTUNG: Politische Maßnahmen einschließlich von<br />
Preisgestaltungsinstrumenten sollten an der jeweiligen Zielvariablen<br />
ausgerichtet wer<strong>den</strong>, in diesem Zusammenhang, an <strong>den</strong> CO 2 -Emissionen.<br />
Allzu häufig wen<strong>den</strong> Politiker Regeln auf andere Variablen (z. B.<br />
Kraftstoffverbrauchsregeln, Größe von Haushaltsgeräten, Art der zu<br />
verwen<strong>den</strong><strong>den</strong> Glühbirnen usw.) an, die nur indirekt mit dem eigentlichen<br />
Umweltproblem verbun<strong>den</strong> sind. Die Emissionsreduzierung<br />
wird dadurch nur unnötig verteuert und verliert an Effizienz.<br />
Die Irrationalität der ‘grünen Ökonomie’<br />
Dank obiger Analyse können wir nun das Problem der weit verbreiteten<br />
Vorstellung einer „grünen Ökonomie“ verstehen. Der Begriff der „grünen<br />
Ökonomie“ bezeichnet Ten<strong>den</strong>zen zahlreicher Länder auf der ganzen<br />
Welt – vor allem der Industrienationen –, sich spezieller Vorschriften<br />
und Subventionen zu bedienen, um <strong>den</strong> Übergang von konventionellen<br />
Energieträgern auf alternative Quellen wie Wind- und Solarenergie zu<br />
fördern und auf kleinerer Ebene <strong>den</strong> Elektrizitäts- und Brennstoffverbrauch<br />
der Haushalte durch detaillierte Beschränkungen der zulässigen<br />
Geräte, Fahrzeuge und anderen Bedarfsartikel vorzuschreiben.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
44<br />
Die Motivation <strong>für</strong> diese Art von Politik ist nicht ganz klar. Manchmal<br />
wird behauptet, das Ziel sei die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die<br />
Behauptung, dass durch Subventionen oder Vorschriften Arbeitsplätze<br />
in einer bestimmten Branche geschaffen wer<strong>den</strong> könnten, ist alt<br />
und stößt immer wieder auf dieselben Schwierigkeiten. Arbeitet die<br />
Industrie profitabel, braucht sie keine Subventionen oder speziellen<br />
Vorschriften, um zu wachsen. Ist sie nicht profitabel, sollte sie vom<br />
Staat nicht subventioniert oder begünstigt wer<strong>den</strong>. Unter normalen<br />
Umstän<strong>den</strong> zeigt ein Unternehmen dadurch, dass es kontinuierlich<br />
Geld verliert, dass seine Erzeugnisse weniger wert sind als die Mittel,<br />
die es in seinen Produktionsprozess investiert hat. Zwingt die Politik<br />
die Industrie nun, <strong>den</strong>noch zu wachsen, muss dies zwangsläufig zu einer<br />
Zerstörung von Wohlstand in der Wirtschaft führen. Berücksichtigt<br />
man diesen Wohlstandsverlust sowie die Kosten, die <strong>den</strong> Steuerzahlern<br />
aufgebürdet wer<strong>den</strong>, das Subventionsprogramm zu finanzieren, zeigt<br />
sich in der Regel, dass durch derlei Maßnahmen mehr Arbeitsplätze<br />
verloren gehen, als neue geschaffen wer<strong>den</strong>. Wenn die subventionsbzw.<br />
regulierungsgesteuerte Ausweitung einer Branche tatsächlich ein<br />
verlässlicher Mechanismus zur Schaffung von Arbeitsplätzen wäre,<br />
dürfte es angesichts der häufigen Versuche vieler Regierungen schon<br />
längst keine Arbeitslosigkeit mehr geben.<br />
Bisweilen geben Politiker vor, die „grüne Ökonomie“ ziele darauf<br />
ab, die Vorteile revolutionärer neuer Technologien zu nutzen, um<br />
nicht Gefahr zu laufen, im Wettbewerb um deren Einführung „ins<br />
Hintertreffen zu geraten“. Gelegentlich treten tatsächlich echte neue<br />
Technologien auf <strong>den</strong> Plan – wie beispielsweise das Internet oder der<br />
Verbrennungsmotor oder tragbare Computer. Doch die Produktion<br />
und Nutzung solcher Güter findet allein aufgrund der Tatsache weltweite<br />
Verbreitung, dass die Menschen diese kaufen wollen und Unternehmer<br />
davon profitieren, in Unternehmen zu investieren, die diese<br />
anbieten können. Zu einer Verbreitung neuer Technologien kommt es<br />
<strong>für</strong> gewöhnlich nicht, weil der entsprechende Industriezweig von der<br />
Theoretische Grundlagen der Klimapolitik
Regierung gefördert wird. Handelt es sich um echte brauchbare Innovationen,<br />
regeln Angebot und Nachfrage <strong>den</strong> Markt von selbst. Anders<br />
gesagt: echte brauchbare Technologien fin<strong>den</strong> <strong>den</strong> Weg zu <strong>den</strong> geeigneten<br />
Nutzern über <strong>den</strong> Markt. Gelingt es der Technologie nicht, sich<br />
allein durchzusetzen, steht zu vermuten, dass es sich entweder technologisch<br />
oder wirtschaftlich – oder aus beiderlei Hinsicht – nicht um<br />
eine brauchbare Technologie handelt.<br />
Schließlich wird die „grüne Ökonomie“ häufig als eine Form der<br />
Umweltpolitik angepriesen, deren Ziel in der Regel die Reduzierung<br />
der Treibhausgasemissionen ist. In diesem Fall jedoch verdeutlicht die<br />
Tatsache, dass sie <strong>den</strong> oben genannten fünf Grundsätzen zuwiderläuft,<br />
dass es sich um ein <strong>für</strong> <strong>den</strong> gewünschten Zweck im Grunde äußerst unwirksames<br />
Instrument handelt. Die Subventionierungen industrieller<br />
Windkraftanlagen und riesiger Solarparks sind indirekte Maßnahmen<br />
zur Umsetzung willkürlicher Mengenziele (wie bspw. die Forderung,<br />
10 % der Elektrizität müssten aus Win<strong>den</strong>ergie stammen), die ungeachtet<br />
dessen verfolgt wer<strong>den</strong>, ob die Grenzkosten <strong>den</strong> Grenznutzen<br />
übersteigen und sie angesichts anderer Maßnahmen zur direkten<br />
Emissionsbegrenzung redundant sind. Geht es der Politik tatsächlich<br />
um Treibhausgasemissionen, sollte sie eine auf Treibhausgasemissionen<br />
ausgerichtete Preispolitik gestalten. Maßnahmen im Rahmen einer<br />
„grünen Ökonomie“ sind bestenfalls überflüssig, schlimmstenfalls<br />
verschwenderisch und wirtschaftsschädigend.<br />
45<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
3.<br />
Unsicherheit bezüglich<br />
des Grenzscha<strong>den</strong>s<br />
Wen<strong>den</strong> wir uns nun einer genaueren Diskussion der Grenzscha<strong>den</strong>skurve<br />
(GS-Kurve) zu. Angenommen, die optimale Politik besteht in<br />
einer Emissionssteuer, so stehen wir <strong>den</strong>noch vor der großen Herausforderung,<br />
uns nicht nur darüber zu einigen, auf welchem Niveau diese<br />
Steuer einsetzen, sondern auch wie sie sich mit der Zeit entwickeln<br />
sollte. Um diese Fragen beantworten zu können, ist eine Betrachtung<br />
der potenziellen Schä<strong>den</strong> erforderlich, die durch CO 2 -Emissionen verursacht<br />
wer<strong>den</strong> können. Dieses Kapitel befasst sich mit der allgemeinen<br />
Frage, ob CO 2 -Emissionen als extreme Gefahr, die ein drastisches<br />
Eingreifen erfordert, als triviale Erscheinung, die ignoriert wer<strong>den</strong><br />
kann, oder als irgendetwas dazwischen betrachtet wer<strong>den</strong> sollten. Ich<br />
argumentiere wie folgt:<br />
47<br />
1 Es gibt genügend Anlass, CO 2 -Emissionen als Besorgnis erregend zu<br />
betrachten, auch wenn nicht feststeht, in welchem Maße.<br />
2 Die Auswirkungen der CO 2 -Emissionen (und anderer Treibhausgase)<br />
auf die Umwelt sind von komplexen natürlichen Rückkopplungen<br />
abhängig, deren Ausmaß nicht einfach anhand bekannter<br />
physikalischer Grundprinzipien ermittelt wer<strong>den</strong> kann und damit<br />
zwangsläufig auf Modellannahmen beruht.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
3 Modellannahmen sind <strong>für</strong> sich genommen kein Beweis <strong>für</strong> das Ausmaß<br />
der gesamten ökologischen Auswirkungen von CO 2 und müssen<br />
anhand konkreter Daten überprüft wer<strong>den</strong>.<br />
48<br />
4 Die verfügbaren Daten variieren in Bezug auf Qualität und Zeitraum<br />
ihrer Verfügbarkeit. Die längsten Datenreihen sind <strong>für</strong> gewöhnlich<br />
von geringerer Qualität und umgekehrt. Einige der hochwertigsten<br />
Datenreihen sind inzwischen allerdings ausreichend<br />
lang, um eine aussagekräftige Überprüfung von Modellannahmen<br />
zu ermöglichen.<br />
5 Zwischen <strong>den</strong> Klimamodellprognosen und <strong>den</strong> Beobachtungen<br />
bestehen signifikante statistische (und klimatologische) Diskrepanzen,<br />
die darauf hinweisen, dass die Rückkopplungen geringer ausfallen<br />
als in <strong>den</strong> Klimamodellen angenommen.<br />
6 Die derzeit existieren<strong>den</strong> Überwachungssysteme wer<strong>den</strong> innerhalb<br />
des nächsten Jahrzehnts ausreichend Daten hoher Qualität bieten,<br />
um die bestehen<strong>den</strong> Fragen bezüglich der Auswirkungen von CO 2<br />
auf das globale Klima zu beantworten.<br />
In <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Abschnitten wer<strong>den</strong> die genannten Fragen genauer<br />
erörtert.<br />
CO 2 -bedingte Erwärmung und Rückkopplungen<br />
Die Energie der Sonne erwärmt die Erd- und die Meeresoberfläche.<br />
Um das energetische Gleichgewicht zu wahren, muss die Erde dieselbe<br />
Menge Energie wieder abgeben, die sie von der Sonne erhält. Die Erdund<br />
Meeresoberflächen der Erde geben auf zweierlei Arten Energie ab:<br />
durch Radiation und durch Konvektion. Bei Radiation handelt es sich<br />
um die Emission von Infrarotenergie in die Atmosphäre. Konvektion<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
entsteht durch <strong>den</strong> Austausch von Warmluft nahe der Erdoberfläche<br />
und Kaltluft aus <strong>den</strong> oberen Schichten der Atmosphäre, wodurch Luftströmungsmuster,<br />
Windsysteme, Wolken und Stürme sowie andere<br />
Wettererscheinungen entstehen (Held und So<strong>den</strong> 2000, Houghton<br />
1997, Essex 1991).<br />
CO 2 -Emissionen und andere Treibhausgase lassen die Luft <strong>für</strong><br />
Infrarotstrahlen undurchlässiger wer<strong>den</strong>, wodurch die Effizienz der<br />
Atmosphäre bei der Abgabe von Energie an <strong>den</strong> Weltraum gemindert<br />
wird. Eine Aufrechterhaltung der Emissionsintensität verursacht einen<br />
Anstieg der atmosphärischen Temperatur und Veränderungen der konvektiven<br />
Aktivität. Während die Temperaturveränderung <strong>für</strong> gewöhnlich<br />
als relativ vorhersagbar gilt, ergeben sich aus <strong>den</strong> Veränderungen<br />
der konvektiven und zirkulativen Aktivität Turbulenzprobleme, die<br />
anhand der bekannten Grundprinzipien der Atmosphärenphysik nicht<br />
vorhergesagt wer<strong>den</strong> können. Aus diesem Grund kommen numerische<br />
Klimamodelle oder allgemeine Zirkulationsmodelle (General Circulation<br />
Models, GCM) zum Einsatz. Das auch <strong>den</strong> Modellen des IPCC-Berichts<br />
von 2007 zugrundeliegende aktuelle Schema geht davon aus, dass eine<br />
Verdoppelung der in der Atmosphäre vorhan<strong>den</strong>en CO 2 -Menge einen<br />
relativ geringen Anstieg der Durchschnittstemperatur um etwa 1 °C<br />
(siehe Held und So<strong>den</strong> 2000) nach sich ziehen würde. Das wiederum<br />
führt zu einer Erhöhung des Wasserdampfgehalts der Atmosphäre und<br />
nach Berücksichtigung der Rückkopplungsprozesse, insbesondere eben<br />
dieser Ansammlung von Wasserdampf in der Atmosphäre, zu einer<br />
mindestens doppelt so hohen Erwärmung von zwei bis vier Grad. Ein<br />
Großteil der Sorgen in der Politik bezüglich der CO 2 -Emissionen ist auf<br />
das Ausmaß der potenziellen Rückkopplungsprozesse zurückzuführen<br />
und weniger auf die Folgen von CO 2 selbst.<br />
Klimamodelle rechnen nicht einfach auf Grundlage der zugrundeliegen<strong>den</strong><br />
physikalisch-theoretischen Formeln, da die Bewegungsgleichungen<br />
zwar auf lokaler Ebene wie bspw. in Bezug auf ideale Gase<br />
oder isolierte Volumina Gültigkeit haben, nicht jedoch in bekannter<br />
49<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
50<br />
Form auf globaler Ebene anwendbar sind. Die Modelle beruhen daher<br />
immer auf vereinfachten Darstellungen, so genannten „Parametrisierungen“,<br />
die einfache Näherungswerte unter Verwendung von empirischen<br />
oder auf Grundlage von Näherungsprozessen hergeleiteten<br />
Koeffizienten heranziehen (Knutti 2008).<br />
Wolken beispielsweise entstehen durch Tröpfchenbildung auf<br />
molekularer Ebene. Da die Gleichungen, anhand derer die Tröpfchenbildung<br />
beschrieben wird, nicht <strong>für</strong> allgemeingültige Aussagen<br />
bezüglich der durchschnittlichen Wolkendecke herangezogen wer<strong>den</strong><br />
können, müssen empirische Näherungsmodelle entwickelt wer<strong>den</strong>,<br />
die von anderen in der Atmosphäre über einer bestimmten Region<br />
herrschen<strong>den</strong> Bedingungen wie Temperatur, Windmuster, Atmosphärenchemie<br />
usw. ausgehen, um die durchschnittliche Wolkendecke<br />
über großen Regionen und lange Zeiträume vorherzusagen. Schwankungen<br />
in der modellhaften Darstellung des Wolkenverhaltens sind<br />
die Ursache <strong>für</strong> einige der größten Abweichungen von einem Modell<br />
zum anderen (Kiehl 2007, CCSP 2008, Seite 41). Bereits geringfügige<br />
Schwankungen beim Ausmaß der Rückkopplungsprozesse können zu<br />
großen Abweichungen bei der simulierten Klimasensitivität gegenüber<br />
Treibhausgasen führen.<br />
Da viele der Prozesse, die <strong>für</strong> das Ausmaß der Rückkopplung<br />
grundlegend sind, auf empirischen Näherungswerten beruhen, ist<br />
eine Prüfung der GCM-Ergebnisse in Bezug auf Daten aus Beobachtungen<br />
<strong>für</strong> die Bestätigung oder Ablehnung der <strong>den</strong> GCM in Form von<br />
Parametrisierungen zugrundeliegen<strong>den</strong> Annahmen von wesentlicher<br />
Bedeutung. Weder können Modellversuche als Prüfung <strong>für</strong> die Gültigkeit<br />
von Modellen dienen, noch kann die Ähnlichkeit von Modellversuchen<br />
in verschie<strong>den</strong>en Modellgruppen als Nachweis <strong>für</strong> die Gültigkeit<br />
von Modellen dienen, da allen dieselben Fehler zugrundeliegen können.<br />
Modelle müssen daher immer in Bezug auf aus Beobachtungen<br />
gewonnenen Daten geprüft wer<strong>den</strong>.<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
Klimadaten<br />
Um überhaupt eine Aussage über potenzielle Schä<strong>den</strong> treffen zu können,<br />
die auf die globale Erwärmung zurückzuführen sind, ist eine Messung<br />
der Klimaveränderungen erforderlich. Nachfolgend wer<strong>den</strong> die<br />
im Allgemeinen herangezogenen Datenquellen untersucht. 2<br />
Daten in Bezug auf die Erdoberfläche<br />
Bezüglich der Erdoberfläche gibt es drei zentrale globale Temperaturdatenreihen.<br />
Das Institut <strong>für</strong> Klimaforschung der Universität von East<br />
Anglia (Climate Research Unit, CRU) veröffentlicht die CRUTEM-Daten,<br />
die in Jones et al. (1999) beschrieben sind, sowie die aktualisierten Fassungen<br />
CRUTEM2 (Jones und Moberg 2003) und CRUTEM3 (Brohan et<br />
al. 2006). Die abweichungsbereinigte Fassung ist unter der Bezeichnung<br />
CRUTEM3v bekannt. Eine weitere Datenreihe stammt vom Goddard<br />
Institute of Space Studies (GISS) der NASA, eine dritte von der USamerikanischen<br />
National Oceanic and Atmospheric Administration<br />
(NOAA). Alle drei Datenreihen greifen auf das als GHCN – Global Historical<br />
Climatology Network – bekannte Wetterdatenarchiv zurück. 3<br />
51<br />
2 Dieser Abschnitt greift auf zuvor in McKitrick (2010d) veröffentlichte Daten zurück.<br />
3 Die Internetadresse des GHCN lautet http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/ghcn-monthly/<br />
index.php. Eine Liste der Quellen findet sich unter http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/ghcnmonthly/source-table1.html.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
GHCN-Zahlung der Wetterstationen<br />
Abbildung 5<br />
Unbereinigte GHCN-Daten<br />
Um fehlende Daten und Mehrfachzählungen bereinigte GHCN-Daten<br />
6.000<br />
Global<br />
6.000<br />
Nördliche<br />
Hemisphäre<br />
6.000<br />
Südliche<br />
Hemisphäre<br />
4.500<br />
4.500<br />
4.500<br />
52<br />
3.000<br />
3.000<br />
3.000<br />
1.500<br />
1.500<br />
1.500<br />
0<br />
0<br />
1910 1950 1990 1910 1950 1990<br />
1910 1950 1990<br />
0<br />
Datenquelle: GHCN | Für detailierte Berechnungen vgl. McKitrick (2010d)<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
Das GHCN wurde in <strong>den</strong> frühen 1990er Jahren als Kooperationsprojekt<br />
des Carbon Dioxide Information and Analysis Center (CDIAC)<br />
und des National Climatic Data Center (NCDC) ins Leben gerufen. Ziel<br />
war der Aufbau eines gegenüber <strong>den</strong> damals über das CRU oder andere<br />
Forschungsinstitute erhältlichen Daten umfassenderen Temperaturdatenarchivs.<br />
Die erste Version wurde im Jahr 1992 (Vose et al. 1992)<br />
auf Grundlage von Bestandsdaten ohne Korrektur von Inhomogenitäten<br />
veröffentlicht 4 . Die zweite Version (GHCN v2) erschien im Jahr<br />
1997 und ist in Peterson und Vose (1997) beschrieben. Erläuterungen<br />
zu <strong>den</strong> Metho<strong>den</strong> der Qualitätssicherung fin<strong>den</strong> sich in Peterson et al.<br />
(1998). Während der Vorbereitung von GHCN v2 nahmen die Autoren<br />
einige Korrekturen von Inhomogenitäten vor und ergänzten die Daten<br />
der Messstationen im Hinblick auf ein besseres Verständnis der<br />
Quellenqualität durch die Nutzer um Metadaten wie die umliegende<br />
Bevölkerung sowie um genaue Informationen zu <strong>den</strong> Standorten der<br />
einzelnen Messstationen.<br />
Wie Abbildung 5 zeigt, stehen <strong>für</strong> die nördliche Hemisphäre fünfmal<br />
mehr Wetteraufzeichnungen zur Verfügung als <strong>für</strong> die südliche<br />
Hemisphäre. Die Gesamtanzahl der Wetteraufzeichnungen des GHCN<br />
erreichte in <strong>den</strong> 1960er und 1970er Jahren einen Höhepunkt und<br />
nahm seitdem in bei<strong>den</strong> Hemisphären deutlich ab. Dieser Trend setzte<br />
sich nach 1989 fort, bis schließlich im Jahr 2005 ein schwerer Einbruch<br />
zu verzeichnen war. Der mittlere bzw. linke Teil der Abbildung<br />
53<br />
4 Der Begriff „Inhomogenitäten“ ist in Bezug auf Temperaturdaten eher untechnisch definiert<br />
und bezeichnet ursprünglich eine durch Veränderungen der Gerätschaften, Veränderungen der<br />
Beobachtungszeit, die Verlegung einer Wetterstation o. Ä. hervorgerufene Messdiskontinuität.<br />
Einige Autoren verwen<strong>den</strong> <strong>den</strong> Begriff auch, um Messabweichungen aufgrund von Urbanisierung,<br />
Veränderungen der Landnutzung und anderen nichtklimatischen Einflüssen abzubil<strong>den</strong>, auch<br />
wenn hier<strong>für</strong> viele Autoren auf eine unterschiedliche Begrifflichkeit zurückgreifen. Wenn also<br />
in Bezug auf ein Archiv wie dem GHCN von einer „Korrektur von Inhomogenitäten“ die Rede ist,<br />
kann dies daher als „Korrektur von Messdiskontinuitäten“, nicht notwendigerweise jedoch als<br />
„Korrektur von durch lokale, nichtklimatische Einflüsse hervorgerufenen Messabweichungen“<br />
ausgelegt wer<strong>den</strong>.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
54<br />
zeigt die nördliche bzw. südliche Hemisphäre und belegt, dass es sich<br />
bei der sinken<strong>den</strong> Anzahl von Wetterstationen um ein globales Phänomen<br />
handelte. Der Messumfang ist von seinem Höhepunkt Anfang<br />
der 1970er Jahre um etwa 75 % auf <strong>den</strong> tiefsten Wert seit dem Ende des<br />
neunzehnten Jahrhunderts gesunken. Aktuell erfasst das GHCN weniger<br />
Temperaturdaten als zu Ende des Ersten Weltkrieges.<br />
Während GHCN v2 zumindest über Daten aus nahezu allen Gegen<strong>den</strong><br />
der Welt verfügt, liegen <strong>für</strong> das gesamte 20. Jahrhundert weitestgehend<br />
auf die USA, Südkanada, Europa und einige wenige andere<br />
Standorte beschränkte Daten vor. Die globale Abdeckung mit vollständigen<br />
täglichen Aufzeichnungen (einschließlich der Ablesung der<br />
Höchst- und Tiefstwerte sowie von Durchschnittswerten) ist seit 1900<br />
äußerst unvollständig. Abgesehen von <strong>den</strong> USA, Südkanada und <strong>den</strong><br />
australischen Küstenregionen liegen nur wenige entsprechende Aufzeichnungen,<br />
<strong>für</strong> das Landesinnere ganzer Teile von Südamerika, Afrika,<br />
Europa und Asien überhaupt keine Beobachtungen vor (Peterson<br />
und Vose 1997, Abbildungen 3 und 4).<br />
Von <strong>den</strong> 31 <strong>für</strong> das GHCN herangezogenen Datenquellen sind nur<br />
<strong>für</strong> drei regelmäßige monatliche Aktualisierungen erhältlich. Bei zweien<br />
davon handelt es sich um US-Netzwerke, bei dem dritten um ein<br />
aus 1.500 Stationen bestehendes Netzwerk, das über das so genannte<br />
CLIMAT-Netzwerk automatisch Wetterdaten übermittelt.<br />
Die Veränderung der verwendeten Datenquellen erfolgte in Bezug<br />
auf die Art der Quellen nicht einheitlich. So haben sich die Messungen<br />
beispielsweise hin zu Flughafenstandorten verlagert, die dem Problem<br />
unterworfen sind, dass sie sich häufig an urbanen oder suburbanen<br />
Standorten befin<strong>den</strong>, die in <strong>den</strong> vergangenen Jahrzehnten errichtet<br />
wur<strong>den</strong>. Zudem hat der zunehmende globale Luftverkehr zu einer<br />
Erwärmung durch Faktoren wie Verkehr, Straßenwege, Gebäude und<br />
Abfall geführt, die ausnahmslos nur schwer aus <strong>den</strong> Temperaturaufzeichnungen<br />
herausgenommen wer<strong>den</strong> können. Wie Abbildung 6 zu<br />
entnehmen ist, kam es infolge der oben gezeigten Stationsverluste<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
zu einer Zunahme der Beobachtungen von Flughafenstandorten. Die<br />
meisten Regionen wiesen hier mit 40 % oder mehr im Jahr 1980 bereits<br />
zu Beginn hohe Werte auf. Gegenüber knapp über 20 % in <strong>den</strong><br />
späten 1920er Jahren stammt heute mindestens die Hälfte der regionalen<br />
Messungen von Flughäfen.<br />
Die CRUTEM-Daten beruhen fast vollständig auf dem GHCN. Infolge<br />
eines 2007 gestellten Antrags gemäß dem Freedom of Information<br />
Act 5 , der allen US-Bürgern freien Zugang zu <strong>den</strong> Akten, Unterlagen<br />
und Informationen der Verwaltung gewährt, gab das CRU offiziell<br />
an, dass die von ihm verwendeten Stationsdaten aus zwei Quellen<br />
stammten: dem GHCN und dem US-amerikanischen National Center<br />
for Atmospheric Research (NCAR) in Form der Datensätze ds540.0<br />
und ds570.0. Auf der NCAR-Website entspricht ds540.0 im Wesentlichen<br />
dem GHCN v2 (http://dss.ucar.edu/datasets/ds564.0/). Bei dem<br />
Datensatz ds570.0 handelt es sich um die World Monthly Surface Station<br />
Climatology (http://dss.ucar.edu/datasets/ds570.0/), die größte<br />
Einzelkomponente des GHCN-v2-Archivs (Peterson und Vose (1997),<br />
Tabelle 1). In einer weiteren Darstellung gab das CRU <strong>den</strong> Anteil der aus<br />
diesen Quellen stammen<strong>den</strong> Daten mit etwa 98 % an.<br />
55<br />
5 Das Korrespon<strong>den</strong>zarchiv findet sich im Internet unter http://climateaudit.files.wordpress.<br />
com/2008/05/cru.correspon<strong>den</strong>ce.pdf.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Anzahl GHCN-Stationen an Flughäfen in Prozent<br />
im Zeitraum 1890 – 2009<br />
Abbildung 6<br />
80<br />
Global<br />
80<br />
Nördliche<br />
Hemisphäre<br />
80<br />
Südliche<br />
Hemisphäre<br />
60<br />
60<br />
60<br />
56<br />
40<br />
40<br />
40<br />
20<br />
20<br />
20<br />
0<br />
0<br />
0<br />
1890 1930 1970 2010 1890 1930 1970 2010 1890 1930 1970 2010<br />
Quelle: GHCN | Für detaillierte Berechnungen siehe McKitrick (2010d)<br />
Die globalen Temperaturdaten des Goddard Institute of Space Studies<br />
der NASA gehen auf drei Ausgangsarchive zurück: GHCN v2 <strong>für</strong><br />
die gesamte Welt mit Ausnahme der USA und der Antarktis, das US<br />
Historical Climatology Network (USHCN, ebenfalls ein NCDC-Produkt)<br />
sowie ein Archiv der Antarktisstationen des Scientific Committee on<br />
Antarctic Research 6 . Der größte Teil der von <strong>den</strong> USA in das GHCN eingespeisten<br />
Daten stammt aus dem USHCN, das jedoch auch seine eigenen<br />
Anpassungen zur Qualitätssicherung vornimmt.<br />
6 http://data.giss.nasa.gov/gistemp/sources/gistemp.html<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
Die NOAA veröffentlicht monatlich eine Übersicht über globale<br />
Temperaturanomalien (http://www.ncdc.noaa.gov/cmb-faq/anomalies.html).<br />
Auf der NOAA-Website findet sich der Hinweis, dass die Landaufzeichnungen<br />
aus dem GHCN-Archiv stammen. Weitere Quellen<br />
sind nicht aufgeführt. Die drei zentralen Rasterdatensätze in Bezug<br />
auf globale Temperaturanomalien beruhen daher ausschließlich bzw.<br />
nahezu ausschließlich auf Daten aus dem GHCN-Archiv. Die Probleme<br />
des GHCN wie Messdiskontinuitäten und Verunreinigungen durch<br />
Urbanisierung und andere Formen veränderter Landnutzung wirken<br />
sich daher auch auf die Daten des CRU, des GISS und der NOAA aus.<br />
Die mit der Zeit abnehmende Qualität der GHCN-Daten führt damit<br />
zu einer ebenfalls abnehmen<strong>den</strong> Qualität der Datensätze des CRU, des<br />
GISS und der NOAA sowie zu einem stärkeren Einfluss durch Datenanpassungen<br />
zum Ausgleich von Messabweichungen.<br />
57<br />
Daten in Bezug auf die Meeresoberfläche<br />
Alle historischen Daten bezüglich der Meeresoberflächentemperatur<br />
(Sea Surface Temperature, SST) sind dem International Comprehensive<br />
Ocean-Atmosphere Data Set (ICOADS, http://icoads.noaa.gov/) oder<br />
einem seiner Vorgängerarchive entnommen. Das ICOADS kombiniert<br />
etwa 125 Millionen SST-Datensätze aus Schiffsaufzeichnungen sowie<br />
weitere 60 Millionen Werte aus Bojen und anderen Quellen (Woodruff<br />
et al. 2005). Das ICOADS stützt sich auf eine große Sammlung von Eingangsdaten,<br />
wobei jedoch darauf hingewiesen wer<strong>den</strong> sollte, dass sich<br />
bspw. aufgrund von Veränderungen der räumlichen Abdeckung, der<br />
Beobachtungsinstrumente und der Messzeiten sowie der Größe und<br />
Geschwindigkeit des Schiffes gravierende Schwierigkeiten ergeben. Im<br />
Grunde handelt es sich bei <strong>den</strong> ICOADS-Datensätzen um eine große<br />
Ansammlung problematischer Daten.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
58<br />
Das britische Hadley Centre erstellt hinsichtlich der Meeresoberflächentemperatur<br />
zwei gerasterte Datensatzsammlungen: HADSST2<br />
und HADISST (Beschreibungen fin<strong>den</strong> sich unter www.hadobs.org).<br />
Die in der Sammlung HADSST2 verzeichneten Datensätze wer<strong>den</strong><br />
mit <strong>den</strong> CRUTEM-Daten <strong>für</strong> die Erdoberfläche zu dem so genannten<br />
globalen HADCRU-Datensatz kombiniert. Die HADSST2 zugrundeliegen<strong>den</strong><br />
Metho<strong>den</strong> sind in Rayner et al. (2006) dargestellt. Bis 1997<br />
verwendete HADSST2 die ICOADS-Daten, 1998 erfolgte die Umstellung<br />
auf ein ICOADS-Teilsystem namens Near Real-Time (NRT) Marine<br />
Observations (http://icoads.noaa.gov/nrt.html). Das ICOADS weist<br />
darauf hin, dass beide nicht vollständig konsistent sind (siehe http://<br />
icoads.noaa.gov/products.html). Ende 2010 läuft das NRT-System<br />
aus, da das ICOADS-System nunmehr hinreichend automatisiert ist,<br />
um kontinuierlich aktualisiert wer<strong>den</strong> zu können; das Hadley Centre<br />
wird in der Folge vermutlich wieder auf die ICOADS-Daten als Quelle<br />
zurückgreifen.<br />
Die HADSST2-Datensatzsammlung weist Lücken und spärliche<br />
Daten in der Oberflächenabdeckung auf. Die HADISST-Datensatzsammlung<br />
bietet unter Verwendung von Interpolationsmetho<strong>den</strong><br />
eine „vollständige“ globale Abdeckung bzw. anders ausgedrückt Zahlen<br />
<strong>für</strong> jede Rasterzelle. Wichtigste Datenquelle ist die britische Met<br />
Office’s Marine Data Bank, die bis 1995 durch ICOADS-Daten aufgefüllt<br />
wurde. Fehlende Rasterzellen wer<strong>den</strong> durch eine auf Hauptkomponentenanalysen<br />
beruhende numerische Methode ergänzt. Nach 1982 flossen<br />
Satellitendaten in <strong>den</strong> Interpolationsalgorithmus ein.<br />
Die NOAA verwendet zur Ermittlung der so genannten Extended<br />
Reconstruction Sea Surface Temperature (ERSST) ICOADS-Daten. Seit<br />
1985 griff die NOAA zur Abdeckung in <strong>den</strong> Polargebieten auf Satellitenbeobachtungen<br />
des Advanced Very High Resolution Radiometer (AV-<br />
HRR) zurück, stellte dabei jedoch einen leichten Rückgang des Trends<br />
fest und führte diesen Effekt auf systematisch zu niedrig gemessene<br />
Temperaturen (Cold Bias) zurück, sodass die Satellitendaten in der<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
Folge entfernt wur<strong>den</strong> (siehe http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/<br />
research/sst/ersstv3.php).<br />
Das GISS verwendet andere NOAA-Daten, nämlich die Optimal Interpolation<br />
Version 2 (OI.v2) Datenbank von Reynolds et al. (2008), die<br />
bis 1998 auf ICOADS-Daten beruhte. Anschließend erfolgte wie beim<br />
Hadley Centre eine Umstellung auf ein kontinuierlich aktualisiertes<br />
Teilsystem, wodurch mit einem Mal etwa 20 % der Messungen verloren<br />
gingen. Das aktualisierte Teilsystem wird durch Bojendaten ergänzt, da<br />
viele Schiffsaufzeichnungen nur als Hardcopy vorgelegt wer<strong>den</strong>. Die<br />
OI.v2-Datenbank greift zudem auf AVHRR-Satellitendaten zurück, um<br />
die Interpolation <strong>für</strong> Regionen, in <strong>den</strong>en keine Messungen stattfin<strong>den</strong>,<br />
zu verbessern. Im Gegensatz zum ERSST-Datensatz fin<strong>den</strong> die Satellitendaten<br />
in <strong>den</strong> OI.v2-Datensatz nach wie vor Eingang.<br />
Bis in die 1930er Jahre beschränkte sich die Meeresdatenerfassung<br />
auf die Gebiete, in <strong>den</strong>en Schiffsverkehr herrschte. In <strong>den</strong> meisten Regionen<br />
des Südpazifik, in etwa in dem Bereich südlich einer Linie von<br />
der Halbinsel Baja California bis zur Südspitze Afrikas, wur<strong>den</strong> innerhalb<br />
eines Jahrzehnts weniger als 99, in vielen Gebieten überhaupt keine<br />
Messungen durchgeführt. In <strong>den</strong> 1970er Jahren war die Abdeckung<br />
mit Ausnahme von Südaustralien, Südamerika und Afrika nahezu<br />
komplett. Heute fehlen auf der Karte nur noch einige Polargebiete<br />
(Woodruff et al. 2008, Abbildung 5).<br />
Die Daten <strong>für</strong> die Zeit vor 1978 stammen nahezu vollständig aus<br />
Schiffsaufzeichnungen. Seit 1978 erfolgt die Datenerfassung hauptsächlich<br />
mittels Treib- und Mooringbojen (Woodruff et al. 2008). Messungen<br />
auf Schiffen und Bojen wer<strong>den</strong> als In-Situ-Messungen bezeichnet.<br />
Eine weitere Datenquelle, die in <strong>den</strong> vergangenen Jahrzehnten an<br />
Bedeutung gewann, sind Satellitenbeobachtungen der Meeresoberfläche,<br />
die dazu dienen, die Abdeckung auch auf Gebiete außerhalb der<br />
In-Situ-Gebiete auszuweiten. Rayner et al. (2003) weisen jedoch darauf<br />
hin, dass auch Satellitensysteme mit Schwierigkeiten verbun<strong>den</strong><br />
sind. Satellitenmessungen der Meeresoberflächentemperatur weisen<br />
59<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
60<br />
Ungenauigkeiten auf, sobald eine Wolkendecke vorhan<strong>den</strong> ist und es<br />
zu Schwankungen hinsichtlich des Staubs und der Aerosole in der Atmosphäre<br />
kommt. Infrarotdaten aus dem AVHRR-System können die<br />
SST zwar exakt messen, müssen jedoch gegenüber <strong>den</strong> bestehen<strong>den</strong><br />
SST-Datensätzen kalibriert wer<strong>den</strong>, um Messgeräteabweichungen zu<br />
vermei<strong>den</strong>. Bei tief hängen<strong>den</strong> Wolkendecken und hoher Aerosolbelastung<br />
sind die Messungen unzuverlässig. Neue Satellitenplattformen<br />
wie die Tropical Rainfall Measuring Mission (TRMM) und das Advanced<br />
Microwave Scanning Radiometer (AMSR-E) haben in <strong>den</strong> vergangenen<br />
Jahren die Möglichkeiten der Datenerfassung bei Vorliegen von<br />
Wolken und Aerosolen deutlich verbessert.<br />
Schiffsdaten wer<strong>den</strong> aufgrund der Vermischung von zwei unterschiedlichen<br />
Messtypen skeptisch beäugt. Früher wurde zur Messung<br />
der SST ein Eimer Wasser von der Meeresoberfläche an Deck eines<br />
Schiffes gezogen und die Temperatur des Wassers mit einem Thermometer<br />
gemessen. Je nachdem, was <strong>für</strong> ein Eimer da<strong>für</strong> verwendet<br />
wurde – bspw. ein Holzeimer oder ein vom Wetteramt ausgegebener<br />
Segeltucheimer –, wur<strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>e Messergebnisse erzielt, die in<br />
Bezug auf die tatsächliche Temperatur häufig nach unten abwichen<br />
(Thompson et al. 2008). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgten die<br />
Messungen angesichts der Ablösung von Segelschiffen durch Motorschiffe<br />
zunehmend über Sensoren, welche die Temperatur des in das<br />
Motorkühlsystem eingesaugten Wassers überwachten. Diese Daten<br />
weichen gegenüber der tatsächlichen SST <strong>für</strong> gewöhnlich nach oben<br />
ab (Thompson et al. 2008). Insgesamt wird davon ausgegangen, dass<br />
US-amerikanische Schiffe recht schnell auf diese motorgetriebenen<br />
Ansaugsysteme umgestellt haben, wohingegen britische Schiffe ihre<br />
Messungen deutlich länger mithilfe der Eimermethode durchführten.<br />
In jüngerer Zeit wur<strong>den</strong> von einigen Schiffen über Rumpfsensoren ermittelte<br />
Messdaten übermittelt, und durch veränderte Schiffsgrößen<br />
fan<strong>den</strong> zudem künstliche Trends Eingang in die ICOADS-Datensätze<br />
(Kent et al. 2007).<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
Bis vor kurzem ging man davon aus, dass der Übergang von unisolierten<br />
bzw. teilisolierten Eimern hin zu Ansaugsystemen plötzlich<br />
im Dezember 1941 mit Eintritt der USA in <strong>den</strong> Zweiten Weltkrieg erfolgte<br />
(Folland und Parker 1995). Das Hadley Centre korrigierte daraufhin<br />
seine SST-Daten aus der Zeit vor 1941 aufgrund der Annahme,<br />
die Eimermessung sei zu diesem Zeitpunkt eingestellt wor<strong>den</strong>, nach<br />
oben. Als Kent et al. (2007) jedoch kürzlich Schiffsmetadaten zusammentrugen,<br />
stießen sie darauf, dass in <strong>den</strong> von Schiffen stammen<strong>den</strong><br />
ICOADS-Daten im Jahr 1980 nach wie vor etwa die Hälfte aus solchen<br />
Eimermessungen stammte.<br />
Bei der Verwendung der Kent-Daten legten Thompson et al. (2008)<br />
ein weiteres Problem im Zusammenhang mit <strong>den</strong> SST-Daten in <strong>den</strong><br />
Jahren 1945 und 1946 offen: zwischen 1940 und 1945 war der Anteil<br />
der von US-Schiffen stammen<strong>den</strong> Daten explosionsartig auf mehr als<br />
80 % der Proben angestiegen; mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges<br />
hingegen stieg der Anteil der Daten aus Großbritannien innerhalb<br />
eines Jahres von etwa 0 % auf etwa 50 % der Gesamtdaten an, wohingegen<br />
die USA weniger Daten lieferten als zuvor. Gleichzeitig fiel der<br />
ICOADS-Durchschnitt um etwa 0,5 °C, was einer starken Verfälschung<br />
gleichkommt, die in <strong>den</strong> veröffentlichten globalen Temperaturreihen<br />
sichtbar wird. Thompson et al. weisen darauf hin, dass die Auswirkungen<br />
der Korrektur dieses Temperaturknicks in der Mitte des Jahrhunderts<br />
erheblich sein können. Wird diese Diskontinuität zur Anpassung<br />
an die vor 1945 erfassten Datenreihen durch Erhöhung der nach<br />
1945 erhobenen Daten gelöst, flachen die Reihen ab und lassen <strong>für</strong><br />
<strong>den</strong> Zeitraum von etwa 1940 bis in die späten 1990er Jahre keinerlei<br />
Rückschlüsse auf eine Erwärmung zu. Das im 20. Jahrhundert vorherrschende<br />
Verständnis der Erderwärmung wird dadurch drastisch verändert.<br />
Wird die Diskontinuität hingegen gelöst, indem die nach 1945 erfassten<br />
Datenreihen durch eine Verringerung der vor 1945 erhobenen<br />
Daten harmonisiert wer<strong>den</strong>, führt dies zu einem deutlich längeren<br />
und über das gesamte 20. Jahrhundert anhalten<strong>den</strong> Erwärmungstrend<br />
61<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
62<br />
als angenommen. In bei<strong>den</strong> Fällen wird die wie auch immer geartete<br />
Entscheidung über die Beseitigung dieser kürzlich entdeckten schwer<br />
i<strong>den</strong>tifizierbaren Diskontinuität in <strong>den</strong> SST-Datenreihen eine weit gefasste<br />
Überprüfung des aktuellen Verständnisses der globalen Erwärmung<br />
zur Folge haben.<br />
Eine weitere Schwierigkeit zeigt sich, ähnlich wie bei <strong>den</strong> Erdoberflächendaten,<br />
in einem beständigen Rückgang der Anzahl von Schiffen,<br />
die sich in <strong>den</strong> vergangenen Jahren bereit erklärt haben, Daten <strong>für</strong><br />
das ICOADS zu liefern. Die neue weltweite ARGO-Flotte (www.argo.net)<br />
deckt seit 2003 <strong>für</strong> die gesamten Weltmeere bis in eine Tiefe von 2.000<br />
Metern die Messungen von Temperatur, Salzgehalt und Strömungen<br />
ab. Einen vollständigen Ausgleich der immer weniger wer<strong>den</strong><strong>den</strong><br />
Schiffsdaten kann diese Flotte jedoch nicht leisten, da sie keine direkten<br />
Messungen der SST vornimmt. Stattdessen beginnt ihr Profiling in<br />
einer Tiefe von 10 Metern unter dem Meeresspiegel, wohingegen ihre<br />
Ansaugpumpen in einer Tiefe von 8 Metern unter dem Meeresspiegel<br />
automatisch abschalten.<br />
Eine weitere Herausforderung stellt das Meereis dar. Die Schifffahrt<br />
in eisbedeckten Regionen ist gefährlich, sodass aus der Zeit vor<br />
dem Einsatz von Satelliten (etwa ab 1978) nur spärliche Daten vorliegen.<br />
Für die Zeit zwischen 1901 und 1995 liegen zwar Diagramme<br />
über die Meereiskonzentration in der nördlichen Hemisphäre vor,<br />
doch können nur die Ränder beobachtet wer<strong>den</strong> und die darüber hinausgehende<br />
Abdeckung ist als einheitlich anzunehmen (Rayner et al.<br />
2003). Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass <strong>für</strong> die Herbstund<br />
Wintermonate (September bis März) überhaupt keine Daten<br />
vorliegen, sodass die Meereiskonzentration in <strong>den</strong> Randgebieten auf<br />
Grundlage der Daten aus <strong>den</strong> Sommermonaten geschätzt wer<strong>den</strong><br />
muss. Daten über das in der Antarktis vorhan<strong>den</strong>e Meereis wur<strong>den</strong><br />
erst ab 1973 mit Beginn der Satellitenbeobachtungen verfügbar. Aus<br />
früheren Jahren liegen nur einige Beobachtungen von Forschungsexpeditionen<br />
vor. Die HADISST-Datenreihe des Hadley Centre greift <strong>für</strong><br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
die Jahre zwischen 1929 und 1939 auf Daten aus Deutschland zurück<br />
und rechnet auf deren Grundlage zurück bis in das Jahr 1871. Für <strong>den</strong><br />
Zeitraum 1947 – 1962 dienen russische Forschungsdaten als Grundlage,<br />
Daten <strong>für</strong> andere Jahre wur<strong>den</strong> bis zu <strong>den</strong> ersten Satellitenmessungen<br />
durch Interpolation gewonnen.<br />
Für die Erstellung globaler Datensätze wird die SST in der Annahme<br />
mit <strong>den</strong> GHCN-Daten <strong>für</strong> die Erdoberfläche kombiniert, beide zusammen<br />
ergeben einen Durchschnittswert <strong>für</strong> die oberflächennahe<br />
Lufttemperatur. Aufzeichnungen der Meereslufttemperatur (Marine<br />
Air Temperature [MAT] im Gegensatz zur SST) gibt es nur sehr wenige,<br />
die zudem durch die im Verlaufe des Jahrhunderts zunehmende<br />
Schiffshöhe beeinträchtigt wur<strong>den</strong> und daher im Zeitverlauf, außer in<br />
<strong>den</strong> Fällen, in <strong>den</strong>en die Messung auf gleicher Höhe erfolgt ist, nicht<br />
streng vergleichbar sind. Die Übereinstimmung zwischen SST- und<br />
Lufttemperaturtrends wurde in einigen wenigen Fällen untersucht.<br />
Christy et. al. (2001) konzentrierten sich dabei auf Standorte, an <strong>den</strong>en<br />
sie die Luft- und die SST-Messungen an ein und demselben Ort direkt<br />
miteinander vergleichen konnten. Die Untersuchung umfasste von<br />
Schiffen erfasste Daten bezüglich der Meereslufttemperatur sowie Daten<br />
von Wettersatelliten, Wetterballons und einer Reihe von Bojen im<br />
tropischen Pazifik. Die Daten aus dem Bojennetz sind dabei besonders<br />
hilfreich, da diese an ein und demselben Ort sowohl die Temperatur<br />
einen Meter unter der Oberfläche als auch drei Meter über der Oberfläche<br />
messen. Bei allen Vergleichen der SST mit der Lufttemperatur trat<br />
zutage, dass das Meer sich gegenüber der Luft erwärmt hat, was darauf<br />
hindeutet, dass die SST gegenüber <strong>den</strong> Lufttemperaturtrends zu hoch<br />
angegeben wurde. Darüber hinaus weisen drei der Lufttemperatur-Datensätze<br />
(Satellit, Ballon und Reanalyse) darauf hin, dass sich die Meereslufttemperatur<br />
direkt über der Meeresoberfläche in <strong>den</strong> Tropen seit<br />
1979 alle zehn Jahre um durchschnittlich 0,01 bis 0,06 °C abgekühlt<br />
hat, während die SST-Daten auf eine Erwärmung schließen ließen. Die<br />
Autoren berechneten daher die globalen Durchschnittstemperaturen<br />
63<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
<strong>für</strong> <strong>den</strong> Zeitraum von 1979 bis 1999 <strong>für</strong> Zeiträume, <strong>für</strong> die Lufttemperaturdaten<br />
anstelle von SST-Daten vorlagen, neu, woraus sich eine<br />
Reduzierung des globalen Trends um 0,05 °C pro Jahrzehnt ergab.<br />
Messungen der Lufttemperatur per Satellit<br />
64<br />
Eine Alternative zu Oberflächendaten eröffnete sich, als Spencer und<br />
Christy (1990) neue Klimadatenreihen veröffentlichten, die auf einer<br />
Auswertung von Daten der von der National Oceanographic and Atmospheric<br />
Administration (NOAA) der USA 1979 ins All geschickten<br />
Wettersatelliten Tiros-N geliefert wor<strong>den</strong> waren. Diese Satelliten sind<br />
mit so genannten Microwave Sounding Units (MSU) ausgestattet, die<br />
die von Sauerstoffmolekülen in verschie<strong>den</strong>en Schichten der Atmosphäre<br />
abgegebene Strahlung messen und so täglich eine nahezu vollständige<br />
Übersicht über die gesamte Tropos- und Stratosphäre liefern.<br />
Jede Messung kann dabei stellvertretend <strong>für</strong> <strong>den</strong> Gesamtdurchschnitt<br />
der Lufttemperatur betrachtet wer<strong>den</strong>.<br />
Der Vorteil der MSU-Reihe besteht darin, dass Spencer und Christy<br />
durch die Kalibrierung der MSU-Daten gegenüber Messungen der<br />
Lufttemperatur aus einem globalen Radioson<strong>den</strong>netz 7 in der Lage waren,<br />
die erste auf einer konsistenten Probenmethode beruhende globale<br />
Durchschnittstemperaturreihe <strong>für</strong> die gesamte Atmosphäre und<br />
vor allem die besonders wichtige Troposphäre vorzulegen. Allerdings<br />
zeigten sich unter anderem auch folgende Nachteile:<br />
7 Bei Radioson<strong>den</strong> handelt es sich um auf Wetterballons montierte Thermometer, die aus<br />
unterschiedlicher Höhe Temperaturmessdaten an am Bo<strong>den</strong> befindliche Monitore übermitteln.<br />
Ein Netzwerk meteorologischer Stationen wird so mit globalen Daten gespeist.<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
Die Messdatenreihen reichen nur bis 1979 zurück. Auch wenn auf<br />
diesem Wege also inzwischen Messdaten aus <strong>den</strong> 30 Jahren vorliegen,<br />
in <strong>den</strong>en die Erdoberfläche sich am stärksten erwärmt hat, können<br />
daraus keine Schlüsse bezüglich der Erwärmungsmuster in der<br />
Mitte des 20. Jahrhunderts gezogen wer<strong>den</strong>.<br />
> > An verschie<strong>den</strong>en Punkten der Reihen wur<strong>den</strong> Satelliten ausgetauscht,<br />
sodass der Trend durch die Messpunktkalibrierung beeinflusst<br />
wor<strong>den</strong> sein kann.<br />
Die Daten von Spencer und Christy wer<strong>den</strong> üblicherweise nach <strong>den</strong><br />
Initialen der Universität von Alabama in Huntsville, an der die bei<strong>den</strong><br />
Forscher tätig sind, als UAH-Reihe bezeichnet. Ein unabhängiger Algorithmus<br />
zur Auswertung der MSU-Daten wurde von dem kalifornischen<br />
Forschungsunternehmen Remote Sensing Systems (RSS) entwickelt<br />
(Mears et al 2003). Beide existieren<strong>den</strong> Versionen ähneln sich außerhalb<br />
der Tropen stark, wohingegen die RSS-Reihen über <strong>den</strong> Tropen<br />
einen deutlich höheren Trend aufweisen, was mit einem stufenartigen<br />
Anstieg um 1992 zusammenzuhängen scheint, der sich zeitgleich mit<br />
einem Satellitenaustausch ereignete (Christy et al. 2010). Aus <strong>den</strong><br />
RSS-Daten lässt sich <strong>für</strong> die Zeit nach 1993 relativ zu Wetterballondaten<br />
(Randall und Herman 2008) und Reanalysedaten 8 (Bengtsson und<br />
Hod ges 2010) sowie im Vergleich zu einigen anderen regionalen Datensätzen<br />
(Christy et al. 2010) eine Erwärmung ablesen.<br />
Durch das RSS-Team wurde als Problem erkannt, dass es aufgrund<br />
eines Höhenverlustes durch veränderte Satellitenbahnen mit der Zeit zu<br />
verfälschten Abkühlungstrends kommen könnte. Sowohl die UAH- als<br />
65<br />
8 Reanalysedaten wer<strong>den</strong> auf Grundlage von Wetterprognosen <strong>für</strong> die nächsten 6 und 12 Stun<strong>den</strong><br />
gewonnen. Die Wettermodelle wer<strong>den</strong> auf Grundlage von Beobachtungen definiert und liefern<br />
vollständige räumliche Daten <strong>für</strong> unterschiedliche Atmosphäreschichten. Da kurzfristige<br />
Prognosen die höchste Zuverlässigkeit aufweisen, stellen diese eine gute Datenquelle zum<br />
Vergleich mit direkten Beobachtungen dar.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
auch die RSS-Forscher haben als Ausgleich <strong>für</strong> diesen Effekt historische<br />
Korrekturen entwickelt. Nach 2002 begann das UAH-Team mit der Integration<br />
von MSU-Daten aus dem so genannten AQUA-Satellitensystem,<br />
das dank eines eigenen Antriebssystems auf konstanter Höhe gehalten<br />
wer<strong>den</strong> kann. Von RSS wer<strong>den</strong> keine AQUA-Daten verwendet.<br />
Abschließende Bemerkungen<br />
66<br />
Mein Eindruck der verschie<strong>den</strong>en zur Messung des globalen Klimawandels<br />
zur Verfügung stehen<strong>den</strong> Datensammlungen ist, dass die<br />
längsten Datenreihen, d. h. die Datenreihen in Bezug auf die Erd- und<br />
die Meeresoberfläche, gravierende Probleme hinsichtlich ihrer Erhebung,<br />
Kontinuität und Qualität aufweisen, sodass eine langfristige<br />
Kontinuität der Daten illusorisch ist. Die Schwierigkeiten im Zusammenhang<br />
mit der Erhebung von Daten <strong>für</strong> die Erdoberfläche haben<br />
sich in <strong>den</strong> vergangenen Jahrzehnten ausgeweitet. Ferner kann der<br />
Aussage, der Abgleich der drei globalen Datenreihen untereinander<br />
komme einer Qualitätsprüfung gleich, nicht zugestimmt wer<strong>den</strong>, da<br />
alle auf <strong>den</strong>selben Archiven basieren und damit eine nur unzureichende<br />
Unabhängigkeit aufweisen. Die MSU-Satellitendatenreihe ist<br />
kürzer, verfügt jedoch hinsichtlich von Konsistenz und Vollständigkeit<br />
der Datenerfassung, der Qualität der Geräteausstattung sowie der Validierung<br />
gegenüber unabhängigen Beobachtungsplattformen über<br />
klare Vorteile. Für Zwecke der politischen Entscheidungsfindung halte<br />
ich die MSU-Daten <strong>für</strong> das am meisten geeignete System.<br />
Vergleich von Modelldaten<br />
Parametrisierungen sind in Modellen unvermeidbar. Daher ist es<br />
umso wichtiger, dass die verschie<strong>den</strong>en Klimamodelle zur Beurteilung<br />
der Qualität der empirischen Näherungswerte konkreten Daten<br />
gegenübergestellt wer<strong>den</strong>. Einfache eindimensionale Vergleiche der<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
anhand von Modellen generierten globalen Durchschnittstemperatur<br />
mit auf Beobachtungen basieren<strong>den</strong> globalen Durchschnittswerten<br />
fin<strong>den</strong> sich im 20. Jahrhundert vielfach (z. B. Knutson et al.<br />
2006, CCSP 2008). Der globale Durchschnitt wird jedoch von einem<br />
langsamen und stetigen Aufwärtstrend beherrscht; die Entwicklung<br />
eines Modells, das einen einfachen Aufwärtstrend aufweist, ist nicht<br />
schwierig. Angesichts der großen Zahl widersprüchlicher Hypothesen,<br />
die zu einer solchen Form führen können, ist die Feststellung<br />
einer Übereinstimmung zwischen Beobachtungen und Modellen des<br />
globalen Durchschnitts allein als Beweis nicht ausreichend. Knutti<br />
(2008), CCSP (2008, Seite 44), Knutti und Hegerl (2008), Kiehl (2007),<br />
Hegerl et al. (2007, Seite 678), Schwartz et al. (2007) und andere haben<br />
darauf verwiesen, dass der beobachtete globale Durchschnittstrend<br />
gleichermaßen konsistent mit stärkeren und schwächeren Annahmen<br />
bezüglich der Sensitivität gegenüber einer durch Treibhausgase<br />
verursachten Erwärmung sein kann, wenn er mit ausgleichen<strong>den</strong><br />
Annahmen bezüglich einer aerosolbedingten Abkühlung, einer Wärmeaufnahme<br />
durch die Weltmeere oder anderen Mechanismen in<br />
Verbindung gebracht wird. In der Praxis weisen Modelle, die von einer<br />
stärkeren Sensitivität gegenüber Treibhausgasen ausgehen, in einem<br />
Maße eine Ten<strong>den</strong>z zu einem stärken Ausgleich durch Abkühlungsmechanismen<br />
auf, das nicht zufällig erscheint (Kiehl 2007).<br />
Die GCM-Auswertung gemäß Kapitel 8 des vierten Berichts des<br />
Zwischenstaatlichen Ausschusses <strong>für</strong> Klimaänderungen (IPCC) (Randall<br />
et al. 2007) besteht vorrangig aus statischen Reproduktionstests,<br />
die Aussagen über die Verteilung der Durchschnittstemperatur und<br />
der Niederschlagshöhen ermöglichen, jedoch keine weltweiten Trends<br />
reproduzieren, und a priori-Kontrollen, um festzustellen, ob bekannte<br />
meteorologische Prozesse in die Modelle Eingang gefun<strong>den</strong> haben.<br />
Der IPCC weist darauf hin, dass relativ wenige Studien die Frage aufgeworfen<br />
haben, ob die empirische Treue zwischen <strong>den</strong> Modellsimulationen<br />
der Vergangenheit und <strong>den</strong> dazugehörigen Beobachtungsda-<br />
67<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
68<br />
ten die Genauigkeit von Klimatrendprognosen verbessern (Randall et<br />
al. 2007, Seite 594). Daher sind Metho<strong>den</strong> zur Bewertung der Modelle<br />
entsprechend ihrer Fähigkeit, verschie<strong>den</strong>e räumliche Trendmuster zu<br />
erfassen, erforderlich. Berk et al. (2001) verwiesen diesbezüglich darauf,<br />
dass nur wenige quantitative Vergleiche von Modellergebnissen und<br />
mit aus Beobachtungen gewonnenen Daten vorlägen, die sich zudem<br />
noch „extrem auf subjektive Bewertungen stützen“ (Berk et al., Seite<br />
126). Die Situation hat sich seit 2001 kaum verändert. Weder die Überprüfung<br />
der GCM durch das US-amerikanische Climate Change Science<br />
Program (CCSP 2008) noch der jüngste Bericht des IPCC liefern statistische<br />
Untersuchungen darüber, wie gut Klimamodelle das räumliche<br />
Temperaturtrendmuster der vergangenen Jahrzehnte reproduzieren.<br />
Stattdessen verlassen sie sich auf subjektive Bewertungen. In Kapitel 9<br />
des IPCC-Berichts (Hegerl et al. 2007) fin<strong>den</strong> sich die Diskussion eines<br />
Diagramms (Abbildung 9.6, Seite 684 – 686) über die durchschnittlichen<br />
Ergebnisse aus 58 GCM-Simulationen und das besondere Temperaturmuster<br />
von Trends an der Erdoberfläche zwischen 1979 und 2005,<br />
wobei Modellsimulationen, die von der Annahme ausgehen, das Klima<br />
würde durch Treibhausgase nicht erwärmt, Modellsimulationen gegenübergestellt<br />
wer<strong>den</strong>, die auf der Annahme beruhen, dass dies sehr wohl<br />
der Fall sei. In diesem Zusammenhang wird behauptet, letztere Annahme<br />
passe besser zu <strong>den</strong> Beobachtungsdaten; ein quantitativer Beleg<br />
wird jedoch nicht erbracht. Der CCSP-Bericht (2008) enthält einen<br />
visuellen Vergleich hinsichtlich der Übereinstimmung der zwischen<br />
1979 und 2003 beobachteten und <strong>den</strong> von der GISS in ihrem Modell<br />
ausgearbeiteten Trendmustern. Auch diese Diskussion ist rein qualitativ<br />
– dem Leser wird noch nicht einmal ein Korrelationskoeffizient,<br />
geschweige <strong>den</strong>n eine Reihe von Signifikanztests vorgelegt.<br />
Einer der zentralen Tests <strong>für</strong> die Qualität von GCM ist es, zu prüfen,<br />
ob sie geeignet sind, das Verhalten der riesigen tropischen Region korrekt<br />
dazustellen. Die allgemeine atmosphärische Zirkulation entsteht<br />
im Wesentlichen durch die unterschiedlich starke Erwärmung der Erde<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
am Äquator und an <strong>den</strong> Polen. 9 Durch die starke Sonneneinstrahlung<br />
und die damit verbun<strong>den</strong>e Erwärmung am Äquator steigt heiße und<br />
feuchte Luft auf, die sich in der Höhe abkühlt und um etwa 30 Breitengrade<br />
in Richtung der Pole strömt. Dort sinkt sie wieder ab und strömt<br />
in Bo<strong>den</strong>nähe zurück zum Äquator. Ein Teil der absteigen<strong>den</strong> Luft wird<br />
abgelenkt und vermischt sich mit einer Luftströmung in Richtung der<br />
Pole, die in verschie<strong>den</strong>en, an <strong>den</strong> Polen en<strong>den</strong><strong>den</strong> Zirkulationen verläuft.<br />
Globale Atmosphärenmodelle müssen diese Prozesse auf einer<br />
rotieren<strong>den</strong> Kugel unter Berücksichtigung geeigneter Verteilungen hinsichtlich<br />
von Feuchtigkeit, Impuls und Energie abbil<strong>den</strong>. Im Rahmen<br />
von auf diesen Modellen beruhen<strong>den</strong> Experimenten wurde regelmäßig<br />
gezeigt, dass die stärkste Erwärmung aufgrund der Konzentrationserhöhung<br />
von Treibhausgasen in der tropischen Troposphäre erfolgt. Held<br />
und So<strong>den</strong> (2000, Seite 464) beschreiben, dass Modelle etwa 60 % der<br />
globalen atmosphärischen Wasserdampfrückkopplung der oberen Troposphäre<br />
über <strong>den</strong> Tropen in einem Gebiet zwischen 30 Grad nördlicher<br />
Breite und 30 Grad südlicher Breite zuordnen, während nur 40 %<br />
der Rückkopplung auf die übrigen Breiten entfallen. 10<br />
Alle Klimamodelle sagen eine außergewöhnlich starke und<br />
schnelle durch Treibhausgase verursachte Erwärmung der Troposphäre<br />
(d. h. in einer Höhe von 1 – 16 km) über <strong>den</strong> Tropen vorher.<br />
Dieses Phänomen ist in Abbildung 10.7 des Berichts der IPCC-Arbeitsgruppe<br />
I, die im Internet unter http://www.ipcc.ch/graphics/<br />
ar4-wg1/jpg/fig-10-7.jpg erhältlich ist, dargestellt. Ursprünglich wur<strong>den</strong><br />
vom IPCC zwölf Klimamodellprognosen <strong>für</strong> <strong>den</strong> vierten IPCC-<br />
69<br />
9 Eine einfache schematische Beschreibung der allgemeinen Zirkulation findet sich bei Lockwood<br />
(1979), Kapitel 4.<br />
10 Dieses Verhältnis bezieht sich auf die „freie Atmosphäre“ bzw. Troposphäre oberhalb der<br />
Grenzschicht (d. h. der unteren 1 – 2 km). 10 % des globalen Effekts schlagen sich in dieser<br />
Grenzschicht nieder, sodass sich <strong>für</strong> die Troposphäre ein Verhältnis von 55 % Tropen und 35 %<br />
Nicht-Tropen ergibt.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
70<br />
Sachstandsbericht archiviert, die entsprechende Internetseite wurde<br />
zwischenzeitlich jedoch entfernt. 11 Diese Modellexperimente folgen<br />
dem A1B-Emissionsszenario, das <strong>für</strong> die Emissionsentwicklung bis<br />
2100 einen mittleren Pfad beschreitet. Die durchschnittliche globale<br />
Oberflächenerwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts beträgt laut<br />
GISS-Modell etwa 2,3 °C. 12 Der troposphärische Durchschnitt liegt mit<br />
5 °C in etwa doppelt so hoch, und das fokale Muster in der tropischen<br />
Troposphäre tritt zu Beginn des Prognosezeitraums auf. Das Muster<br />
war in allen <strong>für</strong> <strong>den</strong> IPCC-Bericht von 2007 erstellten 12 Klimamodellsimulationen<br />
klar zu erkennen.<br />
Abbildung 9.1 13 des IPCC-Berichts von 2007 enthält ferner einen<br />
Modelltest (sogenannter „Hindcast“), in dem modellbasierte Klimamuster<br />
<strong>für</strong> <strong>den</strong> Zeitraum von 1890 bis 1999 mit Hilfe historischer<br />
Klimadaten überprüft wer<strong>den</strong>. Hierbei zeigt sich dasselbe Muster, das<br />
von einem bereits in Gang befindlichen starken, gegenüber allen übrigen<br />
Antrieben vorherrschen<strong>den</strong>, Erwärmungstrend in der tropischen<br />
Troposphäre ausgeht.<br />
Ein i<strong>den</strong>tisches Muster ist auch in einem modellbasierten Modelltest<br />
dargestellt, der die klimatischen Veränderungen zwischen 1958<br />
und 1999 unter der Annahme einer starken THG-Erwärmung simuliert<br />
und <strong>für</strong> <strong>den</strong> Bericht des US-amerikanischen Climate Change Science<br />
Program (CCSP 2006) angefertigt wurde; siehe Seite 25, Abbildung 1.3 A<br />
und F, im Internet abrufbar unter http://www.climatescience.gov/Library/sap/sap1-1/finalreport/default.htm.<br />
Auch in dieser Darstellung ist<br />
die helle Scheibe als Temperaturindikator der tropischen Troposphäre<br />
besonders dominant.<br />
11 Eine unvollständige Archivversion findet sich unter http://web.archive.org/web/20070925231825/<br />
http://ipcc-wg1.ucar.edu/wg1/Report/suppl/Ch10/Ch10_indiv-maps.html.<br />
12 Vierter IPCC-Sachstandsbericht (Arbeitsgruppe I), Kapitel 10, Abbildung 10.5<br />
13 Online unter http://www.ipcc.ch/graphics/ar4-wg1/jpg/fig-9-1.jpg<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
Vergleich beobachteter und modellierter Temperaturtrends<br />
von 1979 – 2009 in der tropischen Troposphäre<br />
Abbildung 7<br />
0,30<br />
°C Untere Troposphäre Mittlere Troposphäre<br />
0,20<br />
0,10<br />
0,00<br />
71<br />
-0,10<br />
Modelle<br />
Beobachtungen<br />
Modelle<br />
RSS<br />
UAH<br />
Modelle<br />
Satelliten<br />
Radioson<strong>den</strong><br />
Quelle: McKitrick, McIntyre und Herman (2010)<br />
Insgesamt betrachtet stimmen alle Modelle darin überein, dass<br />
bereits heute ein Muster einer starken Erwärmung der tropischen Troposphäre<br />
zu beobachten sein müsste, wenn die durch THG verursachte<br />
Erwärmung tatsächlich der vorherrschende, langfristig auf unser<br />
Klima einwirkende Effekt wäre und auch die künftigen Klimaveränderungen<br />
dominiert. Einig sind sich die Modelle weiterhin darüber, dass<br />
die Erwärmung der oberen Troposphäre in <strong>den</strong> Tropen stärker als in<br />
der übrigen Troposphäre und in der Höhe stärker als an der Oberfläche<br />
ausfallen wird.<br />
Dessen ungeachtet lässt sich das erwartete Muster <strong>für</strong> die tropische<br />
Troposphäre in <strong>den</strong> Daten nicht beobachten. Dies führt zu zweierlei<br />
Diskrepanzen:<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
72<br />
> > Auf Ebene der unteren und der mittleren Troposphäre über <strong>den</strong> Tropen<br />
sagen die Klimamodelle eine zwei- bis viermal so hohe Erwärmung<br />
voraus, als zwischen 1979 und 2009 beobachtet wurde (siehe<br />
Abbildung 7). Während bis 1999 laufende frühere Untersuchungen<br />
von Messungen davon ausgingen, dass zwar die Erwärmung in <strong>den</strong><br />
Modellen zu hoch prognostiziert würde, Modelle und Beobachtungen<br />
jedoch aufgrund breiter Konfi<strong>den</strong>zintervalle vereinbar seien, gelang<br />
es McKitrick et al. (2010) anhand von bis Ende 2009 reichen<strong>den</strong><br />
Daten aufzuzeigen, dass die Erwärmung in <strong>den</strong> Modellen deutlich<br />
zu hoch prognostiziert wird. Zudem ließ sich unter Einsatz zuverlässiger<br />
parametrischer und nichtparametrischer Tests nachweisen,<br />
dass sich Modelle und Daten bei einem Signifikanzniveau von 99 %<br />
statistisch signifikant voneinander unterschei<strong>den</strong>. Grundlage da<strong>für</strong><br />
waren multivariate Vergleiche unter Einbeziehung aller verfügbaren<br />
Klimamodelle sowie der gesamten von Satelliten- und Wetterballons<br />
ermittelten Datensätze.<br />
> > In <strong>den</strong> Modellen wird weiterhin eine stärkere Erwärmung der oberen<br />
Troposphäre als in Oberflächennähe prognostiziert, wobei das Verhältnis<br />
der Trends dabei mit etwa 1,4:1 angegeben wird. Christy et al.<br />
(2010) ist jedoch anhand umfassender Beobachtungsdatensätze der<br />
Nachweis gelungen, dass die in <strong>den</strong> Tropen in der Höhe beobachtete<br />
Erwärmung in Wirklichkeit geringer ausfällt als an der Oberfläche,<br />
wobei das beobachtete Verhältnis mit etwa 0,8 angegeben wird. Dieses<br />
Ergebnis lässt auf eine deutliche Inkonsistenz zwischen Modellen<br />
und Daten schließen.<br />
Anders ausgedrückt: Für die Tropen prognostizieren alle Modelle in<br />
der Höhe einheitlich eine stärkere Erwärmung und einen stärkeren<br />
Vervielfachungsfaktor, als beobachtet wird.<br />
Dieses Problem wurde im Jahr 2006 vom US Climate Change Science<br />
Program (CCSP 2006) erkannt. Die Modelle sagen <strong>für</strong> die tropische<br />
Troposphäre ein vertikales Muster vorher, das <strong>den</strong> Ergebnissen<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
aus 7 von 8 im Rahmen des CCSP 14 untersuchten Vergleichen (der<br />
achte Vergleich ließ keine Schlussfolgerungen zu) widersprach. Ferner<br />
ergab sich aus keiner der verfügbaren troposphärischen Datenreihen<br />
eine statistisch signifikante Erwärmung der Troposphäre. Bezogen auf<br />
die Äquatorregion zwischen dem 20. Grad nördlicher Breite und dem<br />
20. Grad südlicher Breite, enthält der Bericht zusammenfassend folgende<br />
Aussage:<br />
Auch wenn die Mehrheit der Beobachtungsdatensätze auf eine an der<br />
Oberfläche gegenüber der Troposphäre höhere Erwärmung schließen<br />
lässt, zeigen einige Beobachtungsdatensätze ein gegenteiliges Verhalten.<br />
Nahezu alle Modellsimulationen weisen auf eine stärkere Erwärmung<br />
in der Troposphäre als an der Oberfläche hin. Diese Diskrepanz<br />
zwischen Modellen und Beobachtungen ist möglicherweise auf Fehler<br />
in allen Modellen, auf Fehler in <strong>den</strong> Beobachtungsdatensätzen oder<br />
auf eine Kombination der bei<strong>den</strong> genannten Alternativen zurückzuführen.<br />
Die zweite Erklärung erscheint plausibler, die Frage ist allerdings<br />
noch offen.<br />
73<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Klimamodelle, die <strong>den</strong> Treibhauseffekt<br />
auf die Annahme einer starken positiven Rückkopplung<br />
stützen, unisono einen in der tropischen Troposphäre zu beobachten<strong>den</strong><br />
starken Erwärmungstrend von mindestens 0,2 Grad/Jahrzehnt<br />
prognostizieren. Die Temperaturen in diesem Bereich der Atmosphäre<br />
wer<strong>den</strong> von Wettersatelliten und Wetterballons überwacht. Nachweise<br />
<strong>für</strong> eine solche Prognose gibt es nicht. Der von der RSS-Satellitenreihe<br />
gezeigte deutliche Erwärmungstrend ist möglicherweise auf eine Abweichung<br />
nach oben aufgrund von Schwierigkeiten bei der Satellitenkalibrierung<br />
zurückzuführen. Die übrigen Datenreihen (UAH und<br />
14 Siehe Bericht, Seite 111, Abbildung 5.4 G<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
74<br />
Radioson<strong>den</strong>) stimmen in ihren in <strong>den</strong> meisten Fällen unerheblichen<br />
Trends von 0,1 °C/Jahrzehnt oder weniger überein. Das erwartete vertikale<br />
Muster wird nicht beobachtet: die Erwärmung in der Höhe ist<br />
gegenüber der Oberflächenerwärmung nicht erhöht. Insgesamt können<br />
wir <strong>den</strong> aktuellen Daten daher entnehmen, dass die CO 2 -bedingte<br />
Erderwärmung im unteren Bereich der getroffenen Prognosen liegen<br />
dürfte. Daraus folgt, dass sich die auf CO 2 zurückzuführen<strong>den</strong> Umweltschä<strong>den</strong><br />
sehr wahrscheinlich im unteren Bereich der veröffentlichten<br />
Schätzungen bewegen wer<strong>den</strong>.<br />
Ökonomische Grenzscha<strong>den</strong>modelle<br />
Über die von Treibhausgasen verursachten Grenzschä<strong>den</strong> gibt es<br />
zahlreiche Studien, die auf Grundlage der Annahme berechnet wur<strong>den</strong>,<br />
dass die Ergebnisse der Klimamodellprognosen als realistische<br />
Schätzungen akzeptiert wer<strong>den</strong> können. Tol (2005) untersuchte<br />
mehr als 100 dieser Berechnungen. Während hinsichtlich der Metho<strong>den</strong><br />
und Annahmen große Vielfalt herrschte, nahmen alle Studien<br />
einheitlich Klimaprognosen als Grundlage und wiesen <strong>den</strong> globalen<br />
Auswirkungen von Emissionen bestimmte Dollarwerte zu. Der einzige<br />
Unterschied bestand in der Art und Weise der Bewertung dieser<br />
Auswirkungen, die Ergebnisse insgesamt wiesen überraschende Ähnlichkeit<br />
auf.<br />
Eine starke Modalwertkonzentration zeigte sich zwischen 0 und<br />
10 USD/Tonne Kohlenstoff. 15 Der Modus lag bei 2 USD/Tonne Kohlen-<br />
15 An dieser Stelle ist eine begriffliche Klärung erforderlich: Schä<strong>den</strong> aufgrund von Erwärmung sind<br />
auf Kohlendioxid im Gegensatz zu „Kohlenstoff“ (einem Begriff, der Rußpartikel und Aerosole<br />
beinhalten kann) zurückzuführen. Emissionen und Kosten wer<strong>den</strong> hingegen <strong>für</strong> gewöhnlich<br />
in Tonnen Kohlenstoff, nicht in Tonnen Kohlendioxid angegeben. Das Verhältnis zwischen<br />
Kohlenstoff und Kohlendioxid beträgt 11:3, d. h., eine Tonne Kohlenstoff entspricht 3,67 Tonnen<br />
CO2. Eine Steuer in Höhe von 37 USD/Tonne Kohlenstoff entspräche folglich in etwa einer Steuer<br />
in Höhe von 10 USD/Tonne Kohlendioxid.<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
stoff, der Median bei 14 USD/Tonne und das arithmetische Mittel bei 93<br />
USD/Tonne (25 USD/Tonne CO 2 ). Tol schloss in seine Untersuchungen<br />
zunächst auch graue Literatur mit Schätzungen bis zu 800 USD/Tonne<br />
ein. Bei ausschließlicher Berücksichtigung von Fachliteratur fallen<br />
der Mittelwert auf 43 USD/Tonne und der Modus auf 1,50 USD/Tonne,<br />
wobei Tol die letzte Zahl <strong>für</strong> eine verlässliche Angabe im Hinblick auf<br />
viele Qualitätsgewichtungskonfigurationen hält. Wer<strong>den</strong> Aufsätze, die<br />
ausschließlich eine Zeitpräferenzrate von unter 3 % anwen<strong>den</strong>, nicht<br />
berücksichtigt, fällt der Median auf etwa 6 USD/Tonne (Tol, 2005, Abbildung<br />
5). Die Hälfte der in der Fachliteratur veröffentlichten Studien, die<br />
auf eine konventionelle Diskontierung zurückgreifen, setzt die Kosten<br />
damit auf 6 USD/Tonne oder weniger fest.<br />
2007 legte Tol eine aktualisierte Untersuchung vor, in der mehr<br />
als 200 Studien über die gesellschaftlichen Kosten von CO 2 -Emissionen<br />
(in Kohlenstoffäquivalenten) berücksichtigt wur<strong>den</strong>. Die durchschnittliche<br />
Schätzung der Grenzschä<strong>den</strong> aller Studien aus Fachliteratur<br />
und grauer Literatur gleichermaßen lag bei 127 USD/Tonne<br />
Kohlenstoff (35 USD/Tonne CO 2 ). Bei <strong>den</strong> Fachstudien beliefen sich<br />
das Mittel bzw. der Modus auf 71 bzw. 20 USD/Tonne. Die Studien, die<br />
eine reine Zeitpräferenz von 3 % anwendeten, kamen zu einem Mittel<br />
von 24 USD/Tonne und einem Modus von 14 USD/Tonne. Tol stellte<br />
weiterhin fest, dass der durchschnittlich geschätzte Scha<strong>den</strong> mit der<br />
Zeit abgenommen hat und der Mittelwert der nach 2001 durchgeführten<br />
Studien weniger als die Hälfte der vor 1996 veröffentlichen<br />
Studien beträgt.<br />
Selbst wenn wir also die grundlegende Unsicherheit bezüglich der<br />
Auswirkungen von CO 2 auf das Klima ignorieren, besteht nur wenig<br />
Unsicherheit hinsichtlich der Grenzschä<strong>den</strong> von Kohlenstoff. Die gesellschaftlichen<br />
Kosten von Kohlenstoff auf globaler Ebene liegen mit<br />
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unter 50 USD/Tonne<br />
und vermutlich sogar unter 20 USD/Tonne. Ein Preis von circa 15 USD/<br />
Tonne Kohlenstoff (rund 4 USD/Tonne CO 2 ) wäre somit angesichts der<br />
75<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
aktuellen Scha<strong>den</strong>schätzungen ein vernünftiger Ausgangspunkt <strong>für</strong><br />
eine Kohlenstoffsteuer, sofern CO 2 tatsächlich ursächlich <strong>für</strong> die globale<br />
Erwärmung verantwortlich ist.<br />
Zusammenfassung der Herausforderungen<br />
76<br />
Nehmen wir die aktuellen Klimamodelle <strong>für</strong> bare Münze, können wir<br />
eine niedrige Kohlenstoffsteuer auf der Grundlage rechtfertigen, dass<br />
die Emissionen dadurch nur unwesentlich gesenkt wer<strong>den</strong> könnten<br />
und die Steuer stattdessen einzig der Internalisierung externer Kosten<br />
dienen würde. Angesichts dessen, dass die Emissionen kaum gesenkt<br />
wür<strong>den</strong>, könnte man berechtigterweise die Frage stellen, wozu<br />
eine solche Steuer überhaupt erforderlich sein sollte. Es herrscht noch<br />
immer die Angst, dass das Problem der globalen Erwärmung zu einer<br />
Beschleunigung der Schä<strong>den</strong> in der Zukunft führen oder unerwartet<br />
gravierende Folgen haben könnte, die heute noch nicht vorhergesehen<br />
wer<strong>den</strong> können. Diese Möglichkeit ist der Grund <strong>für</strong> die anhalten<strong>den</strong><br />
Rufe nach einer deutlichen Reduzierung der Emissionen. Da es sich jedoch<br />
um nicht mehr als eine Vermutung handelt, die noch dazu von<br />
<strong>den</strong> aktuell vorliegen<strong>den</strong> Daten nicht gestützt wird, bildet diese Begründung<br />
keine überzeugende Grundlage <strong>für</strong> die hohen Kosten einer<br />
groß angelegten Reduzierung der CO 2 -Emissionen.<br />
All das bedeutet nicht, dass in <strong>den</strong> nächsten Jahren nicht möglicherweise<br />
neue Informationen in Form besserer Klimadaten oder<br />
neuer technologischer Innovationen vorliegen wer<strong>den</strong>, die <strong>für</strong> eine<br />
Reduzierung der Emissionen sprechen. Aus diesem Grund ist ein politischer<br />
Mechanismus erforderlich, der neue Informationen automatisch<br />
berücksichtigt, sobald diese verfügbar sind, und die Klimapolitik<br />
je nachdem verschärft oder lockert. Die aktuelle Politik ergeht sich in<br />
wiederholten Ankündigungen von weit in der Zukunft liegen<strong>den</strong> festen<br />
Emissionszielen. Abgesehen davon, dass solche Ziele selten eingehalten<br />
wer<strong>den</strong>, besteht das Problem dabei darin, dass die Ankündigung<br />
Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s
eines festen Ziels <strong>für</strong> einen Zeitpunkt in zehn oder zwanzig Jahren davon<br />
ausgeht, dass wir in der Zwischenzeit keine neuen Erkenntnisse<br />
gewinnen, die <strong>für</strong> die Festlegung des optimalen politischen Weges relevant<br />
wären. Das ist jedoch nicht zutreffend. Denn einer Sache können<br />
wir trotz aller klimatischer Unsicherheiten sicher sein: Es gibt viel zu<br />
lernen und in <strong>den</strong> kommen<strong>den</strong> Monaten und Jahren wer<strong>den</strong> mit Sicherheit<br />
relevante neue Informationen verfügbar sein.<br />
Abschließend möchte ich mich nun noch mit der Frage beschäftigen,<br />
inwiefern die Aussicht auf neue Informationen bei der Festlegung<br />
der Klimapolitik berücksichtigt wer<strong>den</strong> sollte. 77<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
4.<br />
Die Berücksichtigung<br />
neuer Erkenntnisse bei<br />
der Gestaltung künftiger<br />
Emissionspreise<br />
79<br />
Integrierte Bewertungsmodelle und pseudooptimale Lösungen<br />
Dem Problem der dynamischen Unsicherheit bei der Gestaltung der<br />
Klimapolitik wurde mit vielerlei Lösungsansätzen beizukommen versucht.<br />
16 Der Ansatz eines integrierten Bewertungsmodelles (Integrated<br />
Assessment Model, IAM) nach Nordhaus et al. (2007) geht von der<br />
Kenntnis von zentralen Parametern in <strong>den</strong> Funktionen zur Beschreibung<br />
von Wirtschaft und Klima aus, auf deren Grundlage eine sanfte<br />
politische „Rampe“ in Form einer im Zeitverlauf ansteigen<strong>den</strong> Besteuerung<br />
von CO 2 -Emissionen eingerichtet wer<strong>den</strong> solle. Diese Lösung<br />
kann nur unter der Annahme korrekter Modellparameter als optimal<br />
gelten, die jedoch starken Unsicherheiten unterworfen sind. Die suggerierte<br />
politische Rampe ist daher dahingehend nur pseudooptimal,<br />
dass sie nur unter strengen Annahmen bezüglich zentraler funktionaler<br />
Formen und Parameter gültig ist, die bei Einführung einer solchen<br />
Politik keinen Prüfungen unterzogen wer<strong>den</strong>.<br />
16 Dieser Abschnitt greift auf in McKitrick (2010b) vorgestellte Materialien zurück.<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
Bayes’sche Lernmodelle<br />
80<br />
Kelly und Kolstad (1999) sowie Leach (2007) näherten sich dem Problem<br />
auf andere Weise, indem sie die Möglichkeit der Beobachtung<br />
der Reaktion des Klimas auf politische Maßnahmen untersuchten<br />
und die aus dieser Untersuchung gewonnenen Informationen in eine<br />
Bayes’sche Lernroutine einfügten. Ziel des Analysemodells des politischen<br />
Systems ist es, genügend Informationen zu sammeln, um<br />
<strong>den</strong> politischen Entscheidungsträgern die Möglichkeit zu bieten, die<br />
Hypothese, dass die richtige Politik verfolgt wird, mit 95-prozentiger<br />
statistischer Sicherheit zu überprüfen. In Anwendung auf <strong>den</strong> Klimawandel<br />
fan<strong>den</strong> sie heraus, dass bereits die Unsicherheit bezüglich eines<br />
oder zweier zentraler struktureller Parameter ausreicht, um die<br />
Ermittlung eines als optimal erwarteten Politikpfades um Hunderte<br />
von Jahren zu verzögern. Leach (2007) legte ein demjenigen von Nordhaus<br />
ähnliches Modell vor, in dem die politischen Entscheidungsträger<br />
alle neuen Informationen hinsichtlich der Reaktionen des Klimas<br />
auf politisch motivierte Emissionsveränderungen nutzen. Die gestellte<br />
Frage lautete, wie lange es (unter Annahme verschie<strong>den</strong>er Voraussetzungen)<br />
dauern würde, bis genügend Informationen vorlägen, um<br />
mit 95-prozentiger Signifikanz eine falsche Nullhypothese über die<br />
Bedeutung des zugrundeliegen<strong>den</strong> Problems zu widerlegen. Unterliegen<br />
nur zwei Modellparameter Unsicherheiten, variiert die Lernzeit<br />
je nach Emissionszunahme im Basisfall von mehreren Hundert bis<br />
mehreren Tausend Jahren.<br />
Eine erweiterte Version des Modells, die eine einfache Produktionsfunktion<br />
und eine zeitübergreifende Kapitalanlagestruktur<br />
modelliert, führt nicht nur zu einer in Jahrhunderten gemessenen<br />
Lernzeit, selbst wenn die meisten Modellparameter als bekannt vorausgesetzt<br />
wer<strong>den</strong> und nur entsprechend <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en Klimadatensätzen<br />
variieren, sondern sogar dazu, dass der eingeschlagene<br />
politische Weg nie das richtige Ziel erreicht.<br />
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
Dieses Ergebnis mag übermäßig pessimistisch erscheinen, da die<br />
politischen Entscheidungsträger Jahrhunderte warten müssen, um herauszufin<strong>den</strong>,<br />
ob der eingeschlagene Weg der richtige war. Die Antwort<br />
kommt zu spät, um relevant zu sein. Jedoch verhält es sich nicht so,<br />
dass das IAM oder der pseudooptimale Ansatz besser wären. Der wahre<br />
Unterschied besteht darin, dass der Bayes’sche Ansatz zumindest die<br />
Möglichkeit bietet, irgendwann zu erkennen, ob der eingeschlagene<br />
Weg falsch ist, was bei Verwendung des IAM nicht möglich ist.<br />
Versicherung und Fat Tails<br />
81<br />
Martin L. Weitzman (2009) näherte sich dem Problem der Wahl einer<br />
Politik gegen die globale Erwärmung, indem er versuchte, einen<br />
Preis <strong>für</strong> einen Versicherungsvertrag festzulegen, wenn eine ernst zu<br />
nehmende Wahrscheinlichkeit extremer Schä<strong>den</strong> besteht. Unter bestimmten<br />
Bedingungen ist es unmöglich, einen begrenzten Wert <strong>für</strong><br />
einen Vollversicherungsvertrag festzulegen. Das Modell von Weitzman<br />
beruht auf einer Reihe spezifischer Annahmen, von <strong>den</strong>en einige recht<br />
konventionell sind und andere nicht. Eine übliche Annahme lautet,<br />
dass die Möglichkeit einer unendlichen (positiven oder negativen) Klimasensitivität<br />
besteht oder dass die Möglichkeit eines extremen Klimawandels<br />
(zwanzig Grad oder mehr) zwar gering ist, jedoch, gleich<br />
in welchem Umfang, nicht vollständig ausgeschlossen wer<strong>den</strong> kann.<br />
Darüber hinaus beinhaltet die Theorie beispielsweise Annahmen darüber,<br />
wie Veränderungen der Temperatur die Einkommen beeinflussen.<br />
Beruhend auf diesem Aufbau führt Weitzman eine Finanzanalyse<br />
durch, um daraus die Kosten <strong>für</strong> eine vollständige Absicherung gegen<br />
das Risiko einer Klimakatastrophe abzuleiten. Das Ergebnis deckt sich<br />
zufällig mit einer Gleichung aus der mathematischen Statistik, der so<br />
genannten momenterzeugen<strong>den</strong> Funktion einer Verteilung t. Statistische<br />
Lehrbücher warnen, dass diese Gleichung zu keinem endlichen<br />
Ergebnis führe. Weitzman interpretiert dies so, als sei das Ergebnis un-<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
82<br />
endlich, was bedeutet, dass die heutige Gesellschaft bereit sein sollte,<br />
ihr gesamtes aktuelles Einkommen darauf zu verwen<strong>den</strong>, sich gegen<br />
eine möglicherweise in der Zukunft eintretende Katastrophe zu versichern.<br />
Um diese unrealistische Konsequenz zu umgehen, muss die<br />
Verteilung der möglichen Klimasensitivitätswerte im Rahmen dieses<br />
Modells als begrenzt angenommen bzw. davon ausgegangen wer<strong>den</strong>,<br />
dass sie „Thin Tails“ aufweist. Weitzman gibt jedoch zu be<strong>den</strong>ken, dass<br />
das bedeute, dass die optimale Versicherungspolitik von Annahmen<br />
bezüglich der Verteilung möglicher Klimaänderungen in Regionen<br />
abhängig sei, <strong>für</strong> die zu wenige Beobachtungen vorliegen, um sichere<br />
Aussagen treffen zu können. So wie die Dinge derzeit liegen, verordnet<br />
das „Dismal Theorem“ von Weitzman weniger eine unendlich<br />
hohe Versicherungsprämie, sondern verweist vielmehr darauf, dass<br />
die Kosten-Nutzen-Analyse laut IAM nur pseudooptimal ist und sich<br />
unter <strong>den</strong> annahmegemäß ausgeschlossenen Unsicherheiten auch<br />
diejenigen befin<strong>den</strong>, die <strong>für</strong> eine Versicherungslösung gegen extreme<br />
Ereignisse sprechen.<br />
Der zustandsabhängige Ansatz<br />
Angesichts des Scheiterns früherer Metho<strong>den</strong> im Hinblick darauf, eine<br />
plausible Lösung <strong>für</strong> das Problem der langfristigen Preisfestsetzung<br />
<strong>für</strong> THG-Emissionen zu fin<strong>den</strong>, habe ich einen neuen Ansatz vorgeschlagen,<br />
der anstelle einer statischen langfristigen Emissionsbegrenzung<br />
die Entwicklung einer dynamischen Preisgestaltung vorsieht.<br />
Im Rahmen des üblichen ökonomischen Modells (gemäß Abschnitt 2<br />
oben) wer<strong>den</strong> aktuelle Schä<strong>den</strong> als direkte Folge aktueller Emissionen<br />
betrachtet:<br />
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
Aktuelle<br />
Emissionen<br />
Aktuelle<br />
Schä<strong>den</strong><br />
In Bezug auf THG gestaltet sich die Situation angesichts zweier<br />
weiterer Komplexitäten jedoch anders: Emissionen können verzögerte<br />
Auswirkungen haben und die Dauer der Verzögerung ist möglicherweise<br />
unbekannt. Wir müssen uns also nicht nur um die unmittelbaren<br />
Folgen aktueller Emissionen Gedanken machen, sondern auch um<br />
ihre möglichen zukünftigen Folgen. Anders betrachtet erleben wir aktuell<br />
nicht nur die Folgen der heutigen Emissionen, sondern auch von<br />
Emissionen, die weit in der Vergangenheit entstan<strong>den</strong> sind.<br />
Erschwerend kommt hinzu, dass Emissionen Schä<strong>den</strong> nicht direkt<br />
verursachen, sondern Einfluss auf bestimmte Umweltaspekte (wie die<br />
durchschnittliche Lufttemperatur) nehmen, die dann wiederum Schä<strong>den</strong><br />
verursachen. CO 2 -Emissionen sind an und <strong>für</strong> sich nicht schädlich.<br />
Mögliche Schä<strong>den</strong> entstehen aus der Veränderung des Klimazustands.<br />
Mit anderen Worten: Emissionen beeinflussen eine messbare<br />
Zustandsvariable und Veränderungen der Zustandsvariablen verursachen<br />
Schä<strong>den</strong>. Oben stehende Darstellung muss demnach wie folgt<br />
angepasst wer<strong>den</strong>.<br />
83<br />
Aktuelle<br />
und<br />
vergangene<br />
Emissionen<br />
Zustandsvariable<br />
Aktuelle<br />
Schä<strong>den</strong><br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
84<br />
Der Einfluss aktueller und vergangener Emissionen auf die Zustandsvariable<br />
ist komplex und von Unsicherheit geprägt. Dieser<br />
Umstand erschwert nicht nur die Entscheidung darüber, wie aktuelle<br />
Emissionen preislich zu behandeln sind, sondern führt uns zudem vor<br />
Augen, dass die Zustandsvariable Informationen über die zeitlichen<br />
Folgen von Emissionen beinhaltet, die zur Verringerung der Unsicherheit<br />
herangezogen wer<strong>den</strong> können.<br />
Angenommen, CO 2 -Emissionen wer<strong>den</strong> in Höhe eines veränderlichen<br />
Betrages besteuert und dieser Betrag ist an Bewegungen einer beobachtbaren<br />
Zustandsvariablen, z. B. eine Messung der Lufttemperatur,<br />
gekoppelt. Wenn aktuelle und vergangene Emissionen nahezu keine<br />
Auswirkungen auf die Zustandsvariable haben, bleibt der Emissionspreis<br />
unverändert. Zeigen sich hingegen starke Auswirkungen und eine<br />
steigende Temperatur, so steigt auch der Emissionspreis. In McKitrick<br />
(2010b) habe ich aufgezeigt, dass es möglich ist, mithilfe einer einfachen<br />
Formel, die sich obige Beobachtungen hinsichtlich von Zustandsvariablen<br />
und Emissionsdaten zunutze macht, der auf der zeitübergreifen<strong>den</strong><br />
Grenzscha<strong>den</strong>funktion beruhen<strong>den</strong>, nicht beobachtbaren<br />
optimalen dynamischen Emissionssteuer sehr nahe zu kommen. Diese<br />
Formel <strong>für</strong> eine zustandsabhängige Steuer t lautet:<br />
Dabei bezeichnen y eine Konstante, e die aktuellen Emissionen, ē<br />
<strong>den</strong> gleiten<strong>den</strong> Durchschnitt aus aktuellen und vergangenen Emissionen<br />
(wobei so weit in die Vergangenheit zurückgegangen wer<strong>den</strong> kann,<br />
wie eine Beeinflussung des aktuellen Zustands durch die Emissionen<br />
angenommen wird) und s die aktuelle Beobachtung der Zustandsvariablen.<br />
In diesem Ansatz ist y frei wählbar, sodass der Steuersatz t bei<br />
einem dem politischen Entscheidungsträger aktuell sinnvoll erschei-<br />
e<br />
t = y x – x s<br />
ē<br />
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
nen<strong>den</strong> Wert beginnt. Anschließend wird die Entwicklung der Steuer<br />
vorrangig durch die Entwicklung von s gesteuert.<br />
Um <strong>den</strong> aktuellen Wert der Emissionssteuer zu berechnen, sind<br />
einzig Daten bezüglich aktueller und vergangener Emissionen sowie<br />
der aktuelle Wert der Zustandsvariablen erforderlich. Im Falle von THG<br />
stehen Emissionsdaten auf nationaler und globaler Ebene fertig zur<br />
Verfügung. Europäische Daten sind über Eurostat (http://epp.eurostat.ec.europa.eu),<br />
Daten <strong>für</strong> alle übrigen Länder (mit einigen Jahren<br />
Rückstand) über das US-amerikanische Oak Ridge National Lab (Marland<br />
et al. 2010; im Internet abrufbar unter http://cdiac.ornl.gov/<br />
trends/emis/tre_regn.html) erhältlich.<br />
Bei der Wahl der Zustandsvariablen s sind das zugrunde liegende<br />
wissenschaftliche Vorgehen sowie die verschie<strong>den</strong>en Qualitätsprobleme<br />
klimatischer Daten zu berücksichtigen. Wie oben in Abschnitt 3<br />
aufgezeigt wurde, weisen die Daten <strong>für</strong> die Erd- und Meeresoberfläche<br />
ernsthafte Qualitätsprobleme auf, sodass es nicht angeraten ist, sie <strong>für</strong><br />
politische Zwecke heranzuziehen. Satellitensysteme, vor allem diejenigen,<br />
die sich zur Beibehaltung einer konstanten Höhe des AMSU-<br />
Systems bedienen, bieten verlässlichere Messergebnisse bezüglich der<br />
Lufttemperaturen. Zur Ermittlung einer passen<strong>den</strong> Zustandsvariablen<br />
lege ich die Verwendung der mittleren Temperatur in der unteren bzw.<br />
mittleren tropischen Troposphäre nahe, da es sich bei dieser um einen<br />
kontinuierlich überwachten Indikator handelt, der gegenüber Treibhausgasen<br />
eine besondere Sensitivität aufzuweisen scheint.<br />
Da zur Ermittlung der Steuer t keine Informationen bezüglich der<br />
Vermeidungskosten verwendet wer<strong>den</strong>, mag es so erscheinen, als könne<br />
es sich nicht um ein umfassendes politisches Modell handeln. Bei<br />
<strong>den</strong> aus integrierten Bewertungsmodellen abgeleiteten steuerlichen<br />
Entscheidungen handelt es sich um Lösungen <strong>für</strong> ein zweiseitiges<br />
Optimierungsproblem, bei <strong>den</strong>en zeitübergreifende Schä<strong>den</strong> gegen<br />
zeitübergreifende Vermeidungskosten aufgerechnet wer<strong>den</strong>. Dabei<br />
darf jedoch nicht vergessen wer<strong>den</strong>, dass die oben genannte Formel<br />
85<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
86<br />
keinen politischen Weg vorschreibt, sondern eine Regel beinhaltet,<br />
die Steuersatz und Umweltzustand aneinander bindet. Die tatsächliche<br />
Höhe der Steuer im Zeitlauf wird durch die Entwicklung der Zustandsvariablen<br />
bestimmt. Die Höhe der Vermeidung wird daraufhin<br />
von <strong>den</strong> Emittenten festgelegt, die entsprechend ihren aktuellen und<br />
künftigen Grenzvermeidungskosten auf die aktuellen und erwarteten<br />
künftigen Steuersätze reagieren. Verfügen die Unternehmen über variables<br />
Kapital, wer<strong>den</strong> sie auf Emissionssteuersätze ähnlich reagieren<br />
wie auf alle anderen veränderlichen Kosten. Ist das Kapital gebun<strong>den</strong><br />
und nimmt der Aufbau neuen Kapitals viel Zeit in Anspruch, wer<strong>den</strong><br />
Unternehmen Prognosen hinsichtlich der künftigen Höhe des Steuersatzes<br />
erstellen müssen, die wiederum von <strong>den</strong> künftigen Werten der<br />
Temperaturvariablen abhängig sind. Die Einführung der zustandsabhängigen<br />
Emissionssteuer schafft damit einen Markt <strong>für</strong> genaue Prognosen<br />
der Umweltzustandsvariablen. Ein derartiger Markt existiert<br />
derzeit nicht, da verschie<strong>den</strong>e Parteien einen Nutzen darin zu sehen<br />
scheinen, die Prognosen bezüglich der globalen Erwärmung je nach<br />
der Politik, die sie beeinflussen wollen, bzw. je nach Aufmerksamkeit,<br />
die sie <strong>für</strong> ihre Arbeit erhalten möchten, über- bzw. unterzubewerten.<br />
Unternehmen jedoch, die versuchen, <strong>den</strong> konkreten künftigen Steuersatz<br />
zu prognostizieren, haben nichts davon, da<strong>für</strong> auf unzutreffende<br />
Prognosen zurückzugreifen, sondern sind ganz im Gegenteil besonders<br />
daran interessiert, möglichst genaue Prognosen <strong>für</strong> die künftige<br />
Entwicklung von s zugrundezulegen. Dieser Markt wird schlechte<br />
Klimamodelle auf diese Weise aussondern und <strong>den</strong> Weg <strong>für</strong> genauere<br />
Klimamodelle frei machen.<br />
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
Wert der zustandsabhängigen Steuer auf<br />
Treibhausgasemissionen seit 1979<br />
Abbildung 8<br />
Steuer<br />
Durchschnittlicher 3-Jahres-Steuersatz<br />
40<br />
Emissionssteuer USD pro Tonne<br />
20<br />
0<br />
–20<br />
87<br />
–40<br />
1980 1990 2000 2010<br />
Quelle: McKitrick (2010d)<br />
Ein interessantes Merkmal der zustandsabhängigen Steuer ist ihre<br />
potenzielle Fähigkeit, bei einer breiten Interessengemeinschaft auf<br />
Zuspruch zu stoßen. Menschen mit widersprüchlichen Annahmen<br />
hinsichtlich der künftigen Entwicklung der Zustandsvariablen wer<strong>den</strong><br />
nichtsdestoweniger alle erwarten, dass der von ihnen bevorzugte politische<br />
Weg verfolgt wird. Diejenigen, die der Ansicht sind, dass Emissionen<br />
keine Auswirkungen auf das Klima haben, wer<strong>den</strong> in Zukunft<br />
überwiegend niedrige Emissionssteuern erwarten, diejenigen, die Klimaveränderungen<br />
in starkem Maße auf Emissionen zurückführen,<br />
wer<strong>den</strong> eher von einer schnell steigen<strong>den</strong> Steuer ausgehen. Die Tatsache,<br />
dass jeder mit dem von ihm bevorzugten Ergebnis rechnet, kann<br />
die Zustimmung zur Einführung einer Steuer erleichtern. Eine der Herausforderungen<br />
der Klimapolitik besteht darin, auf globaler Ebene eine<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
88<br />
Einigung zu erzielen. Verschie<strong>den</strong>e Regionen haben verschie<strong>den</strong>e Ansichten<br />
über die Dringlichkeit des Problems sowie seiner Auswirkungen<br />
auf ihre jeweiligen volkswirtschaftlichen Prioritäten, was eine Einigung<br />
über die Emissionsziele ebenso wie die Einhaltung früherer Vereinbarungen<br />
praktisch unmöglich macht. Einfacher könnte es hingegen sein,<br />
politische Entscheidungsträger auf der ganzen Welt dazu zu bringen,<br />
sich auf eine zustandsabhängige Steuer zu einigen. Die Steuereinkünfte<br />
wür<strong>den</strong> in <strong>den</strong> einzelnen Ländern verbleiben und das Ungleichgewicht<br />
zwischen <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en Nationen verringern. Während der<br />
Verhandlungen gäbe es <strong>für</strong> Länder mit konträren Ansichten hinsichtlich<br />
der wahrscheinlichen künftigen Temperaturentwicklung, keinen<br />
Grund, auch bezüglich der Frage, ob die Steuer erstrebenswert ist oder<br />
nicht, konträre Ansichten zu vertreten, da jede Partei im Endeffekt das<br />
erhielte, was sie <strong>für</strong> das „richtige“ Ergebnis erachtet.<br />
Wie hätte eine solche Steuer ausgesehen, wenn sie früher eingeführt<br />
wor<strong>den</strong> wäre? In McKitrick (2010b) habe ich zur Berechnung hypothetischer<br />
Werte <strong>für</strong> eine an die mittlere Temperatur der tropischen<br />
Troposphäre gekoppelte Kohlenstoffsteuer sowohl auf UAH- als auch<br />
auf RSS-Daten sowie auf globale CO 2 -Emissionsreihen zurückgegriffen.<br />
Das Ergebnis <strong>für</strong> <strong>den</strong> Zeitraum zwischen 1979 und 2009 ist in Abbildung<br />
8 dargestellt. Der Wert <strong>für</strong> y ist so gewählt, dass der Steuersatz <strong>für</strong><br />
das Jahr 2002 – also etwa <strong>den</strong> Zeitpunkt der Ratifizierung des Kyoto-<br />
Protokolls – bei 15 USD/Tonne Kohlenstoff liegt. Die Entwicklung der<br />
Steuer zeigt einen Aufwärtstrend von etwa fünf Dollar pro Jahrzehnt,<br />
was knapp unter dem von Nordhaus ermittelten Wert von etwa acht<br />
Dollar pro Jahrzehnt liegt. Der Unterschied gegenüber dem Ansatz von<br />
Nordhaus, der eine Verpflichtung zu einer bestimmten Preisentwicklung<br />
<strong>für</strong> viele Jahrzehnte enthält, besteht darin, dass der zustandsabhängige<br />
Ansatz einzig eine Verpflichtung dahingehend erfordert, jährlich<br />
oder, falls gewünscht, monatlich einen neuen Satz festzulegen.<br />
Steigen die Temperaturen schneller als erwartet, steigt auch die Steuer;<br />
steigt die Temperatur langsam, so gilt dies auch <strong>für</strong> die Steuer.<br />
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
Zwischen dem zustandsabhängigen Ansatz zur Emissionspreisgestaltung<br />
und <strong>den</strong> in der Währungspolitik angewandten Mechanismen<br />
besteht eine gewisse Ähnlichkeit. Die Zentralbanken gehen keine langfristigen<br />
Verpflichtungen zur Festlegung von Zinssätzen oder bezüglich<br />
des Geldmengenwachstums ein. Stattdessen verpflichten sie sich<br />
zur Einhaltung allgemeiner Regeln, die die aktuellen wirtschaftlichen<br />
Bedingungen in aktuelle Werte dieser politischen Ziele übertragen.<br />
Mit einer Verpflichtung der Zentralbanken zu auf zehn oder zwanzig<br />
Jahre festgelegten Zinssätzen wäre niemand einverstan<strong>den</strong>, da in der<br />
Zukunft neue Informationen auftauchen wer<strong>den</strong>, die Einfluss auf die<br />
Wahl des jeweils geeigneten Zinssatzes nehmen. Ebenso ist es <strong>für</strong> die<br />
Politik unsinnig, langfristige Verpflichtungen bezüglich der CO 2 -Emissionspreise<br />
einzugehen, da auch hier in der Zukunft neue Informationen<br />
über die Auswirkungen von Treibhausgasen und die Entwicklung<br />
der Lufttemperaturen zur Verfügung stehen wer<strong>den</strong>. Heute Pläne zu<br />
machen, die davon ausgehen, dass wir in Zukunft nichts darüber erfahren<br />
wer<strong>den</strong>, ob diese Pläne geeignet sind oder nicht, ist ganz einfach<br />
unrealistisch.<br />
Die Anwendung eines zustandsabhängigen Preisgestaltungsinstruments<br />
bedeutet nicht, dass Emissionen mit einem bestimmten<br />
Preis belegt wer<strong>den</strong>, nachdem der Scha<strong>den</strong> bereits erfolgt ist. Unternehmen<br />
sind zukunftsgerichtet. Ihre Investitionspläne wer<strong>den</strong> immer<br />
auf möglichst genauen Prognosen bezüglich der Auswirkungen<br />
von Emissionen auf <strong>den</strong> künftigen Klimawandel beruhen. Mit der Zeit<br />
wer<strong>den</strong> diese Prognosen weiter verbessert und aktualisiert. Unternehmen,<br />
die die künftige Entwicklung einer Emissionssteuer unterschätzen,<br />
wer<strong>den</strong> gegenüber Unternehmen, die ihre Planung auf genauen<br />
Prognosen aufgebaut haben, einen Wettbewerbsnachteil erfahren. Die<br />
Entwicklung der Emissionssteuer zu über- oder unterschätzen, wird<br />
keinen Vorteil bringen. Die optimale Strategie <strong>für</strong> Unternehmen wird<br />
daher darin bestehen, korrekte Schätzungen anzustellen. Steht uns<br />
eine Zeit der schnellen, treibhausgasbedingten Klimaerwärmung be-<br />
89<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
90<br />
vor und sind wir in der Lage, verlässlich vorherzusagen, dass uns eine<br />
solche Zeit bevorsteht, wird die Industrie wissen, dass mit einem stark<br />
steigen<strong>den</strong> Emissionspreis zu rechnen ist. Das wiederum wird zu einer<br />
Reduzierung der Emissionen und zu Investitionen in Technologien<br />
führen, durch die tiefere Emissionseinschnitte verkraftbar sind. Kann<br />
der Nachweis da<strong>für</strong>, dass uns eine solche Klimaerwärmung bevorsteht,<br />
hingegen nicht glaubhaft erbracht wer<strong>den</strong>, investieren Unternehmen<br />
nur geringfügig in Vermeidungsoptionen und warten ab, bis bessere<br />
Informationen vorliegen. Das sind die richtigen Antworten auf die dynamischen<br />
Unsicherheiten, <strong>den</strong>en die Welt heute gegenübersteht.<br />
Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise
5.<br />
Schlussfolgerungen<br />
Es gibt vermutlich keinen anderen politischen Bereich, in <strong>den</strong> über die<br />
vergangenen zwanzig Jahre so viele Anstrengungen und so viele Ressourcen<br />
investiert wur<strong>den</strong> und der so konsequent gescheitert ist wie<br />
die Klimapolitik. Ich bin der Ansicht, dass dies darauf zurückzuführen<br />
ist, dass die Klimapolitik seit langem auf einer falschen ökonomischen<br />
Grundlage steht. Schlecht durchdachte Politik führt immer zum Scheitern.<br />
Um zufrie<strong>den</strong>stellende Fortschritte bei der Ausarbeitung einer<br />
erfolgreichen Klimapolitik erzielen zu können, ist daher ein grundlegendes<br />
Um<strong>den</strong>ken erforderlich.<br />
Ich habe in diesem Beitrag zunächst die meines Erachtens bestehen<strong>den</strong><br />
vier grundlegen<strong>den</strong> Mängel der aktuellen Klimapolitik dargelegt.<br />
Zunächst erkannten weder die Bürokratie noch die Politik, dass es<br />
sich beim Treibhausgas CO 2 um einen Sonderfall handelt, der insbesondere<br />
nicht mit Schwefeldioxid- (SO 2 ) oder Fluorchlorkohlenwasserstoff-<br />
Emissionen (FCKW) vergleichbar ist. In <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> genannten Fällen ist<br />
es <strong>den</strong> Parteien auf dem Verhandlungswege gelungen, sich auf Strategien<br />
zu verständigen, da die Gefahren offenkundiger und die Lösungen<br />
wirtschaftlich deutlich günstiger waren. Die Verhandlungsmechanismen<br />
und politischen Initiativen, die in diesen Fällen Wirksamkeit bewiesen,<br />
wur<strong>den</strong> einfach auf die CO 2 -Problematik übertragen, <strong>für</strong> welche<br />
sie jedoch ungeeignet und weitestgehend nutzlos sind.<br />
Zweitens ist es der Politik nicht gelungen, mit dem Anstieg der<br />
Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) angemessen umzugehen, d. h.<br />
zu verstehen, in welchem Maße die Kosten <strong>für</strong> die Vermeidungsoptionen<br />
bei Ausweitung der Ziele zur Emissionsreduzierung steigen, was<br />
91<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
92<br />
in direktem Zusammenhang mit dem oben genannten ersten Punkt<br />
steht. Das führt dazu, dass politische Ziele verfolgt wer<strong>den</strong>, die ohne<br />
höhere Kosten, als die Öffentlichkeit zu akzeptieren bereit ist, nicht erreicht<br />
wer<strong>den</strong> können. Nun verhält es sich aber so, dass politische Maßnahmen,<br />
die moderat genug sind, um finanzierbar zu sein, angesichts<br />
der aktuell existieren<strong>den</strong> Technologien solch geringe Auswirkungen<br />
auf das Klima zeitigen, dass sie nutzlos sind. Politische Maßnahmen,<br />
die streng genug wären, um die allgemein vorgebrachten Ziele zur Reduzierung<br />
der Emissionen zu erreichen, wür<strong>den</strong> deutlich höhere Kosten<br />
verursachen, als die Öffentlichkeit zu tragen bereit ist, und auch<br />
deutlich höhere Kosten, als die Politiker, die diesen Weg verfechten,<br />
sich vor Augen zu führen scheinen. Das starre Festhalten an der Illusion,<br />
Subventionen und Vorschriften könnte eine erfolgreiche „grüne<br />
Ökonomie“ hervorbringen, hat einzig und allein dazu geführt, die Kosten<br />
der Klimapolitik in die Höhe zu treiben – bedeutende Fortschritte<br />
im Umweltschutz wur<strong>den</strong> dadurch nicht erzielt.<br />
Drittens zeigt eine ökonomische Analyse, dass die Politik zur Reduzierung<br />
der Treibhausgase Emissionen mit Kosten belegen und keine<br />
Emissionsgrenzen festsetzen sollte. Alle bisherigen größeren globalen<br />
Initiativen, einschließlich des Kyoto-Protokolls und ähnlicher<br />
Instrumente, legten ihren Fokus jedoch auf Mengenbegrenzungen<br />
oder, was noch schlimmer ist, auf indirekte regulatorische Maßnahmen<br />
dahingehend, das Energieverbrauchsverhalten zu verändern.<br />
Eine solche Politik ist kostenintensiv, intrusiv und häufig nutzlos. Die<br />
einzig große Herausforderung dahingehend, die globale Klimapolitik<br />
auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, liegt also darin, die Diskussion<br />
in Richtung auf Preismechanismen umzulenken. Diese Herausforderung<br />
ist von grundlegender Bedeutung, wenn in <strong>den</strong> nächsten<br />
zwanzig Jahren die teuren Fehler der vergangenen zwanzig Jahre vermie<strong>den</strong><br />
wer<strong>den</strong> sollen.<br />
Schließlich ergibt sich <strong>für</strong> die Politik aus <strong>den</strong> großen Unsicherheiten,<br />
<strong>den</strong> langen Planungshorizonten sowie der Erwartung, dass in<br />
Schlussfolgerungen
<strong>den</strong> kommen<strong>den</strong> Jahren einschlägige neue Informationen über das<br />
Ausmaß der Umweltschädigung durch Treibhausgasemissionen und<br />
die Kosten zu deren Vermeidung vorliegen wer<strong>den</strong>, die Notwendigkeit,<br />
sich primär auf zustandsabhängige (bzw. anpassungsfähige) Preisregelungen<br />
anstatt auf starre, langfristige Verpflichtungen zur Emissionsbegrenzung<br />
zu konzentrieren.<br />
93<br />
Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten
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Manuel Frondel<br />
Die EU-<br />
Klimapolitik: Teuer<br />
und ineffektiv
Für wissenschaftliche Vorarbeiten bin ich<br />
Nolan Ritter und Ralf Koßmann besonderen<br />
Dank schuldig.
1.<br />
Einleitung<br />
Die sogenannte Klimaerwärmung ist seit geraumer Zeit eines der<br />
weltweit meistdiskutierten Themen. Unter Klimaerwärmung wird<br />
allgemein die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur verstan<strong>den</strong>.<br />
In der Tat ist die Durchschnittstemperatur der Erde im Laufe<br />
der vergangenen hundert Jahre um etwa 0,8 Grad Celsius angestiegen<br />
(IPCC 2008). Ein guter Teil dieses Anstiegs vollzog sich in <strong>den</strong> bei<strong>den</strong><br />
letzten Deka<strong>den</strong> des vergangenen Jahrhunderts.<br />
Für die Klimaerwärmung mit verantwortlich gemacht wird der<br />
anthropogen bedingte Ausstoß von Treibhausgasen, allen voran von<br />
Kohlendioxid (CO 2 ). Dieses Treibhausgas entsteht größtenteils durch<br />
die Verbrennung von fossilen Brennstoffen. In welchem Ausmaß dies<br />
zur Klimaerwärmung beiträgt, ist nach wie vor umstritten, ebenso<br />
wie die Stärke der Bedrohung durch <strong>den</strong> damit einhergehen<strong>den</strong> sogenannten<br />
Klimawandel. So umfasst das Spektrum der Positionen zum<br />
Klimawandel sowohl Einschätzungen, nach <strong>den</strong>en der Beitrag des anthropogen<br />
generierten CO 2 zur globalen Erwärmung vernachlässigbar<br />
klein und unbedeutend ist (Lüdecke 2008:163), als auch Aussagen,<br />
dass die globale Erwärmung größere Schä<strong>den</strong> anrichtet als irgendein<br />
Krieg dies vermag (Stiglitz 2006:1). Damit einhergehen könnten beispielsweise<br />
ein substantieller Anstieg des Meeresspiegels, eine Zunahme<br />
der Häufigkeit und der Intensität von Stürmen oder auch die<br />
Ausdehnung von Wüsten.<br />
Ohne dass eine Einmischung in diese Diskussion erforderlich<br />
wäre, beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit der Effektivität und<br />
105<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
106<br />
der Kosteneffizienz der <strong>Klimaschutz</strong>politik der Europäischen Kommission,<br />
die sich weitgehend auf die Verringerung des Treibhausgasausstoßes<br />
konzentriert, bislang vor allem auf die Verringerung von CO 2 ,<br />
während Maßnahmen zur Anpassung an <strong>den</strong> Klimawandel, wie etwa<br />
die Verstärkung und Erhöhung von Deichen zum Schutz vor einem<br />
Anstieg des Meeresspiegels, eher im Hintergrund stehen.<br />
Der folgende Abschnitt 2 erläutert die treibende Rolle, welche die<br />
Europäische Kommission beim Zustandekommen des unter dem Namen<br />
Kyoto-Protokoll weltbekannten internationalen <strong>Klimaschutz</strong>abkommens<br />
gespielt hat und die sie mit der Bekanntgabe eines unkonditionierten<br />
und ambitionierten Treibhausgasminderungsziels <strong>für</strong> das<br />
Jahr 2020 noch deutlich untermauert hat. Dabei ist das Ziel unabhängig<br />
davon, ob andere bedeutende Emittentenländer wie China oder die<br />
USA ebenfalls Minderungsanstrengungen unternehmen. Die bisherigen<br />
Treibhausgasreduktionsbemühungen der Europäischen Union<br />
(EU) und ihrer Mitgliedstaaten wer<strong>den</strong> daher in Abschnitt 2 mit <strong>den</strong>en<br />
anderer führender Industrie- und Schwellenländer verglichen.<br />
Abschnitt 3 erläutert die kontraproduktiven internationalen Rückwirkungen<br />
der ambitionierten, aber einseitigen Bemühungen der<br />
Kommission zur Treibhausgasminderung. Der vierte Abschnitt stellt<br />
die Frage nach der Kosteneffizienz der einseitigen EU-Politik, an der<br />
sich aus vielfältigen Grün<strong>den</strong> zweifeln lässt. Abschnitt 5 erläutert die<br />
Gründe da<strong>für</strong>, dass die Chancen <strong>für</strong> das Zustandekommen eines globalen<br />
Klimaabkommens zur Treibhausgasminderung schlecht stehen,<br />
obwohl ein solches höchst wünschenswert wäre, da Teilkooperationen<br />
oder gar Alleingänge eher nutzlos verpuffen, wenn nicht gar kontraproduktiv<br />
sind.<br />
Abschnitt 6 diskutiert aussichtsreichere Politikalternativen zur<br />
Auferlegung von Emissionsrestriktionen, bei <strong>den</strong>en die einzelnen<br />
Länder in erster Linie selbst von <strong>den</strong> zu ergreifen<strong>den</strong> Maßnahmen<br />
profitieren und daher ein hohes Eigeninteresse an deren Umsetzung<br />
haben. So hätte ein weltweites Abkommen über eine sukzessive Er-<br />
Einleitung
höhung der Ausgaben <strong>für</strong> die Forschung und Entwicklung (F&E) von<br />
Energieumwandlungs- und -speichertechnologien, mit dem man zwar<br />
nicht unmittelbar, aber doch innerhalb einiger Jahrzehnte Treibhausgasminderungen<br />
erzielen könnte, eine realistische Chance auf ein Zustandekommen.<br />
Abschnitt 7 setzt sich mit <strong>den</strong> Vorteilen von Maßnahmen zur Anpassung<br />
an die globale Erwärmung auseinander, zu <strong>den</strong>en unter anderem<br />
die gezielte Preisgabe von Land gehören könnte sowie die Umsiedelung<br />
der Bevölkerung in weniger gefährdete Landstriche. Einer<br />
Strategie zur Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen kommt insbesondere<br />
deshalb eine hohe Bedeutung zu, weil Anstrengungen zur<br />
globalen Emissionsminderung letztendlich wenig Aussicht auf Erfolg<br />
haben dürften. Der abschließende Abschnitt präsentiert ein Fazit zur<br />
eingeschlagenen Klimapolitikstrategie der Kommission und schlägt<br />
als Schlussfolgerung einen gravieren<strong>den</strong> Strategiewechsel vor.<br />
107<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
2.<br />
Der geringe Effekt der<br />
Treibhausgasminderungspolitik<br />
der EU<br />
109<br />
Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich die Europäische Kommission − im<br />
Folgen<strong>den</strong> kurz (EU-)Kommission genannt − aktiv <strong>für</strong> Maßnahmen zur<br />
Minderung von Treibhausgasen auf internationaler Ebene eingesetzt<br />
(Abbildung 1). Bei der Ratifizierung und Implementierung des Kyoto-<br />
Protokolls übernahm die Kommission sogar eine führende Rolle: Ohne<br />
explizite und vergleichsweise hohe Minderungsziele seitens der EU<br />
wäre das Kyoto-Protokoll wohl kaum 1997 verabschiedet wor<strong>den</strong> und<br />
ohne das strategische Geschick der Kommission wäre nach der US-amerikanischen<br />
Ablehnung des Protokolls im Jahr 2001 der Kyoto-Prozess<br />
vermutlich gescheitert (Böhringer 2010:60). Erst mit der Ratifizierung<br />
des Kyoto-Protokolls durch Russland, dem Land, dem als Zünglein an<br />
der Waage die besondere diplomatische Aufmerksamkeit sowie zahlreiche<br />
Zugeständnisse der Kommission zuteil wur<strong>den</strong> (Requate 2010:1),<br />
konnte das Protokoll als völkerrechtlich bin<strong>den</strong>der Vertrag 2005 in<br />
Kraft treten. Sanktionen bei Nichteinhaltung der im Protokoll vereinbarten<br />
Ziele sind damit allerdings nicht verbun<strong>den</strong>.<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Wichtige Eckpunkte der Klimapolitik seit 1990<br />
Abbildung 1<br />
Berliner Mandat<br />
fordert<br />
Emissionsziele<br />
<strong>für</strong> die<br />
Industriestaaten<br />
Die USA lehnen eine Umsetzung<br />
des Kyoto-Protokolls ab<br />
Das Kyoto-Protokoll tritt in Kraft<br />
Klimakonferenz<br />
in Kopenhagen<br />
1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010<br />
110<br />
Klimarahmenkonvention<br />
der vereinten Nationen<br />
beschlossen und von der<br />
USA ratifiziert<br />
Kyoto-Protokoll wird beschlossen<br />
Russland ratifiziert das Kyoto-Protokoll<br />
Aktionsplan von Bali: parallele<br />
Verhandlungen, Kyoto-Protokoll<br />
und Klimarahmenkonvention<br />
Klimakonferenz<br />
in Cancún<br />
Mit der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls hat sich die EU verpflichtet,<br />
da<strong>für</strong> Sorge zu tragen, dass der Treibhausgasausstoß der Jahre<br />
2008 – 2012 im Schnitt um 8 % niedriger liegt als im Jahr 1990. Zur Erreichung<br />
dieses <strong>für</strong> die gesamte EU gelten<strong>den</strong> Ziels wurde mit dem sogenannten<br />
EU-Bur<strong>den</strong>-Sharing-Agreement von 1998 festgelegt, welche<br />
Lasten die einzelnen Mitgliedstaaten zu schultern haben. Mit dem Ziel,<br />
die Treib hausgasemissionen um 21 % gegenüber 1990 zu verringern<br />
(Abbil dung 2), trägt Deutschland mit Abstand die höchste Minderungslast:<br />
Die Reduktionsverpflichtung Deutschlands macht rund drei Viertel<br />
der im Kyoto-Protokoll festgelegten Minderungsleistung der EU aus.<br />
Mit einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um 6,5 % gegenüber<br />
1990 waren die EU-15-Staaten im Jahr 2008 ihrem Kyoto-Ziel<br />
einer Minderung um 8 % nahe, auch wenn sich bei einigen Ländern<br />
Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU
wie Dänemark, Österreich, Luxemburg, Italien oder Spanien erhebliche<br />
Schwierigkeiten bei der Zielerreichung andeuten (Abbildung 2).<br />
Andere Mitgliedsländer wie Frankreich, Schwe<strong>den</strong>, das Vereinigte Königreich<br />
oder Deutschland haben hingegen ihre Minderungsziele bereits<br />
erreicht.<br />
Die Einhaltung der eigenen Kyoto-Verpflichtungen stellt selbstre<strong>den</strong>d<br />
eine Grundvoraussetzung <strong>für</strong> die Glaubwürdigkeit der einseitigen<br />
und ambitionierten Minderungsziele dar, die sich die Kommission<br />
<strong>für</strong> das Jahr 2020 gesetzt hat. So wurde im Energie- und Klimapaket<br />
der Kommission Anfang 2009 festgelegt, die EU-weiten Treibhausgasemissionen<br />
bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 % gegenüber dem<br />
Niveau von 1990 zu senken − bei vergleichbaren Anstrengungen bedeutender<br />
anderer Industrienationen ist sogar ein Minderungsziel<br />
von 30 % vorgesehen. Damit hat die Europäische Union endgültig die<br />
Vorreiterrolle bei der Bekämpfung des Treibhausgasausstoßes übernommen.<br />
Andere Staaten haben sich keine derartig anspruchsvollen<br />
Ziele <strong>für</strong> die Zeit nach der Kyoto-Erfüllungsperiode von 2008 – 2012<br />
gesetzt, <strong>für</strong> die es bislang kein dem Kyoto-Protokoll vergleichbares internationales<br />
<strong>Klimaschutz</strong>abkommen gibt.<br />
Zur besseren Einschätzung des <strong>Klimaschutz</strong>ehrgeizes der Kommission<br />
sollte bedacht wer<strong>den</strong>, dass die bisherigen Minderungserfolge<br />
weniger einer stringenten Politik, sondern zu erheblichen Teilen<br />
einmaligen historischen Ereignissen zu verdanken sind. Dazu zählen<br />
der wirtschaftliche Zusammenbruch der ehemaligen Ostblockstaaten<br />
infolge politischer Umwälzungen, die ökonomische Erneuerung<br />
der ostdeutschen Länder nach der deutschen Wiedervereinigung sowie<br />
die tiefgreifende Rezession nach der Banken- und Finanzmarktkrise<br />
am Ende der ersten Dekade dieses Jahrtausends. Laut einer<br />
2009 vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebenen Studie ist<br />
lediglich etwa die Hälfte der Emissionsminderungen in der EU seit<br />
1990 auf einschlägige umweltpolitische Maßnahmen zurückzuführen<br />
(Böhringer 2010:63).<br />
111<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
EU-Bur<strong>den</strong>sharing und Veränderung des<br />
Treibhausgasausstoßes von 1990 – 2008<br />
Abbildung 2<br />
EU-Bur<strong>den</strong>sharing<br />
Veränderung des Treibhausgasausstoßes<br />
15 %<br />
42,3 %<br />
Spanien<br />
27 %<br />
32,3 %<br />
Portugal<br />
112<br />
13 %<br />
23 %<br />
Irland<br />
25 %<br />
22,8 %<br />
Griechenland<br />
– 13 %<br />
10,8 %<br />
Österreich<br />
– 6,5 %<br />
4,7 %<br />
Italien<br />
– 28 %<br />
– 6 %<br />
– 2,4 %<br />
– 4,8 %<br />
– 0,3 %<br />
0 %<br />
Finnland<br />
Niederlande<br />
Luxembourg<br />
– 6,1 %<br />
– 8 %<br />
– 6,5 %<br />
– 7,5 %<br />
– 7,1 %<br />
0 %<br />
Frankreich<br />
EU (EU-15)<br />
Belgien<br />
– 21 %<br />
– 7,3 %<br />
Dänemark<br />
– 21 %<br />
– 22,2 %<br />
– 11,7 %<br />
– 12,5 %<br />
– 18,5 %<br />
4 %<br />
Schwe<strong>den</strong><br />
Großbritannien<br />
Deutschland<br />
–30% –20% –10% 0% 10% 20% 30% 40% 50%<br />
Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU
Darüber hinaus darf die Kommission nicht darüber hinwegsehen,<br />
dass neben einigen europäischen Ländern zahlreiche andere Industrieländer,<br />
die das Kyoto-Protokoll unterzeichnet und gar ratifiziert haben,<br />
von ihren Kyoto-Zielen sehr weit entfernt sind (Abbildung 3). So ist<br />
Australien mit einer Emissionssteigerung um 38 % zwischen 1990 und<br />
2008 unerreichbar weit von seinem Kyoto-Ziel entfernt. In <strong>den</strong> USA,<br />
Kanada und Japan sind die Emissionen ebenfalls angestiegen, wohingegen<br />
die Kyoto-Verpflichtungen dieser Länder Emissionssenkungen<br />
vorsehen, die kaum mehr erreichbar scheinen, vor allem <strong>für</strong> Kanada.<br />
Bereits eine Umkehr der bislang steigen<strong>den</strong> Emissionstrends wäre <strong>für</strong><br />
diese Länder als ein Erfolg anzusehen, an eine Einhaltung der Kyoto-<br />
Ziele ist hingegen kaum zu <strong>den</strong>ken.<br />
113<br />
Quelle Abbildung 2: UNFCCC (2010) | GHG Total Emissions including LULUCF<br />
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Quelle Abbildungen 3/4: Cerina (2010) | Weltweite CO2-Emissionen: Länderranking 2009<br />
Veränderung des CO2-Ausstoßes bedeutender<br />
Emittenten von 1990 – 2009<br />
Abbildung 3<br />
Kyoto-Ziele<br />
Veränderungen der aktuellen Emissionen (2009) zum Basisjahr (1990)<br />
– 5,2 %<br />
– 6 %<br />
– 7 %<br />
– 6 %<br />
0 %<br />
0 %<br />
– 8 %<br />
– 3,2 %<br />
– 21 %<br />
– 22,5 %<br />
8 %<br />
9 %<br />
3,9 %<br />
24,9 %<br />
38 %<br />
27,1 %<br />
144,2 %<br />
202,9 %<br />
–50% 0% 50% 100% 150% 200% 250%<br />
China<br />
Indien<br />
Australien<br />
Alle Länder<br />
Kanada<br />
USA<br />
Japan<br />
EU (EU-15)<br />
Deutschland<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
114<br />
Dies dürfte zusammen mit <strong>den</strong> substantiellen Kosten, die <strong>für</strong><br />
<strong>den</strong> <strong>Klimaschutz</strong> aufzubringen sind, wesentlicher Grund da<strong>für</strong> gewesen<br />
sein, dass selbst Staaten wie Kanada, die durch das Kyoto-Protokoll<br />
vertraglich gebun<strong>den</strong> sind, davon Abstand nehmen (Böhringer,<br />
Rutherford 2010). Dies ist wohl auch auf das Fehlen von wirksamen<br />
Sanktionen zurückzuführen (Böhringer 2010:60). Insgesamt sind die<br />
weltweiten CO 2 -Emissionen trotz der erfolgreichen Minderungsanstrengungen<br />
der Europäischen Union zwischen 1990 und 2008 um<br />
rund 37 % gestiegen (Abbildung 3), anstatt um 5,2 % zu sinken, wie im<br />
Kyoto-Protokoll vorgesehen ist.<br />
Allem Eifer der Kommission sind aber nicht zuletzt auch dadurch<br />
Grenzen gesetzt, dass der Anteil der EU-15 an <strong>den</strong> weltweiten<br />
CO 2 -Emissionen relativ gering ist und im Jahr 2008 knapp 12 % betrug<br />
(Abbildung 4). Ohne ein Mitwirken Chinas und der USA, der bei<strong>den</strong><br />
bedeutendsten Emittentenländer, deren Anteile an <strong>den</strong> globalen<br />
CO 2 -Emissionen 2008 bei 21,4 % und 19,1 % lagen, können die globalen<br />
Emissionen in keinem Fall gesenkt wer<strong>den</strong>, wie die Vergangenheit klar<br />
gezeigt hat.<br />
Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU
CO2-Emissionen der bedeutendsten Emittentenländer<br />
im Jahr 2009<br />
Abbildung 4<br />
31.098<br />
Alle Länder<br />
5.951<br />
7.426<br />
China<br />
USA<br />
3.381<br />
EU (EU-15)<br />
1.534<br />
1.529<br />
1.225<br />
797<br />
664<br />
606<br />
544<br />
544<br />
531<br />
463<br />
441<br />
438<br />
415<br />
403<br />
390<br />
385<br />
342<br />
279<br />
Russland<br />
Indien<br />
Japan<br />
Deutschland<br />
Südkorea<br />
Kanada<br />
Saudi Arabien<br />
Iran<br />
Großbritannien<br />
Südafrika<br />
Mexiko<br />
Italien<br />
Brasilien<br />
Frankreich<br />
Indonesien<br />
Australien<br />
Spanien<br />
Ukraine<br />
115<br />
0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
116<br />
Tatsächlich lautet die unbequeme Wahrheit, dass der Treibhausgasminderung<br />
in der Europäischen Union im globalen Kontext lediglich<br />
eine sehr untergeordnete Bedeutung zukommt (Böhringer 2010:56).<br />
So haben sich die CO 2 -Emissionen in China zwischen 1990 und 2009<br />
mehr als verdreifacht (Abbildung 3) und stiegen von 2,45 auf 7,43 Mrd.<br />
Tonnen, wohingegen die CO 2 -Emissionen der EU-15-Staaten um 3,2 %<br />
gesunken sind (Abbildung 3), von 3,49 auf 3,38 Mrd. Tonnen (Cerina<br />
2010). Der Minderung der EU-15-Staaten um 0,11 Mrd. Tonnen stand somit<br />
ein Zuwachs an Emissionen in China von knapp 5 Mrd. Tonnen gegenüber.<br />
Auch im Vergleich zu <strong>den</strong> zu erwarten<strong>den</strong> Emissionsanstiegen<br />
in Entwicklungs- und Schwellenländern wie China, Russland oder Indien<br />
wird die Emissionsentwicklung in der EU oder anderen Industrieländern<br />
weiterhin eine untergeordnete Rolle spielen, wie die folgende<br />
Abbildung 5 zeigt.<br />
Würde der CO 2 -Ausstoß in <strong>den</strong> OECD-Ländern bis 2050 tatsächlich<br />
um 83 % gesenkt wer<strong>den</strong>, wie es der nach <strong>den</strong> US-Kongressabgeordneten<br />
Waxman und Markey benannte Plan vorsieht, könnte<br />
der künftige Anstieg der globalen Emissionen allenfalls moderat<br />
gedämpft wer<strong>den</strong>, wie Abbildung 5 zeigt. Der Emissionspfad ohne<br />
Minderungen der OECD-Länder, wie sie der Waxman-Markey-Plan<br />
vorsieht, entspricht dabei dem wirtschaftsorientierten A1-Szenario<br />
des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC 2010), das<br />
eine zunehmende Globalisierung unterstellt. Gemäß dem A1-Szenario<br />
dreht sich der Trend zu höheren weltweiten Emissionen erst im<br />
Jahr 2070 um. Hauptursache da<strong>für</strong> ist der unterstellte Rückgang der<br />
Weltbevölkerung.<br />
Kurzum: Selbst wenn die EU zusammen mit allen anderen OECD-<br />
Ländern ihre CO 2 -Emissionen im Laufe der nächsten Jahrzehnte auf<br />
Null zurückführen würde, hätte dies auf <strong>den</strong> globalen CO 2 -Ausstoß lediglich<br />
eine sehr beschränkte Wirkung. Im Klartext: Ohne drastische<br />
Einschränkungen der künftigen Pro-Kopf-Emissionen in <strong>den</strong> prosperieren<strong>den</strong><br />
Schwellenländern, welche bislang noch relativ niedrig aus-<br />
Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU
fallen, ist der Anstieg der weltweiten Emissionen in Zukunft kaum zu<br />
dämpfen, geschweige <strong>den</strong>n, dass der globale Treibhausgasausstoß gegenüber<br />
dem heutigen Niveau gesenkt wer<strong>den</strong> kann.<br />
Künftiger CO2-Ausstoß im A1-Szenario des IPCC (2010)<br />
und bei Umsetzung des Waxman-Markey-Plans<br />
Abbildung 5<br />
Globale Emissionen A1 IPCC<br />
Globale Emissionsreduktionen Waxman-Markey<br />
80<br />
OECD-1990 Emissionen A1 IPCC<br />
OECD-1990 Emissionsreduktionen Waxman-Markey<br />
117<br />
70<br />
60<br />
Mrd. Tonnen CO2 (Gt CO2)<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2060 2070 2080 2090<br />
Quelle: Authors Calculations and IPCC (2001) | Special Report on Emissions Scenarios,<br />
Intergovernmental Panel on Climate Change.<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
3.<br />
Kontraproduktive<br />
internationale<br />
Rückwirkungen<br />
119<br />
Die einseitigen Bemühungen der Kommission zur Treibhausgasminderung<br />
können nicht zuletzt auch deshalb wenig zur Dämpfung des weltweiten<br />
Emissionsanstiegs beitragen, weil sie kontraproduktive internationale<br />
Rückwirkungen haben können (Böhringer 2010:58). So könnten<br />
Länder ihre Minderungsanstrengungen nach <strong>den</strong> Erkenntnissen der<br />
umweltökonomischen Literatur zurücknehmen, wenn sich eine Nation<br />
oder eine Staatengemeinschaft wie die Europäische Union weithin erkennbar<br />
und mit hoher Glaubwürdigkeit auf verstärkte Anstrengungen<br />
zur Emissionsvermeidung festlegt (Beirat BMF 2010:14).<br />
Denn: Je stärker eine Staatengemeinschaft wie die EU zur Dämpfung<br />
des Anstiegs oder gar Senkung der weltweiten Emissionen beiträgt,<br />
desto kleiner wer<strong>den</strong> die Vorteile eines anderen Staates aus<br />
dessen eigenen Minderungsanstrengungen (Beirat BMF 2010:16). In<br />
anderen Worten: Der Grenznutzen der Vermeidungsmaßnahmen der<br />
übrigen Staaten nimmt mit <strong>den</strong> zunehmen<strong>den</strong> EU-Bemühungen ab.<br />
Bei sinkendem Grenznutzen ist es folglich <strong>für</strong> die Nicht-EU-Staaten<br />
reizvoll, ihre eigenen Anstrengungen infolge der EU-Ambitionen einzuschränken.<br />
Andere Länder profitieren daher in doppelter Hinsicht von <strong>den</strong><br />
Anstrengungen der EU. Zum einen steigt deren Wohlfahrt in unmittelbarer<br />
Weise durch die verstärkten Emissionsminderungen der EU-<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
120<br />
Länder, falls diese überhaupt einen positiven Effekt auf das Weltklima<br />
haben. Zum anderen sinken infolge der verstärkten Vermeidungsanstrengungen<br />
der EU die <strong>Klimaschutz</strong>kosten der übrigen Staaten, wenn<br />
diese ihre Emissionsminderungsmaßnahmen entsprechend zurückschrauben.<br />
Kurzum: Die Änderung in ihrem Kosten-Nutzen-Kalkül führt<br />
dazu, dass die Nicht-EU-Länder ihre Treibhausgasminderungspolitik<br />
ten<strong>den</strong>ziell weniger restriktiv bzw. ambitioniert ausgestalten könnten<br />
als ohne die EU-Anstrengungen, sodass die Nicht-EU-Länder ihre<br />
Treibhausgasvermeidungskosten reduzieren könnten (Hoel 1991,<br />
Warr 1993). Die Wirkung der Selbstverpflichtung, die sich die Kommission<br />
durch die Verkündung des 20-%-Ziels auferlegt hat, besteht<br />
somit in einer als Crowding-Out bezeichneten Verdrängung der Vermeidungsanstrengungen<br />
anderer Länder. Unter sehr plausiblen Annahmen<br />
kann dies zu einem teilweisen oder gar nahezu gänzlichen<br />
Ausgleich der durch die EU bewirkten Emissionsreduktionen führen<br />
(Beirat BMF 2010:14).<br />
Wenn folglich die Kommission eine einseitige Selbstverpflichtung<br />
zu hohen Emissionsminderungen eingeht, mag sie darauf hoffen,<br />
damit ein positives Beispiel zu setzen, dem andere Länder folgen.<br />
In einer realen Welt, in der die Emissionen aller Länder durch deren<br />
individuelles Kosten-Nutzen-Kalkül bestimmt sind, ist dies jedoch<br />
eine fromme Hoffnung (Beirat BMF 2010:14). Es besteht vielmehr die<br />
große Gefahr, dass andere Länder durch die starke Vorreiterrolle der<br />
EU nicht mehr, sondern weniger Anstrengungen zur Verringerung der<br />
globalen Emissionen unternehmen wer<strong>den</strong>. Die kurzfristigen Wohlfahrtswirkungen<br />
einer solchen Vorreiterpolitik sind eindeutig: Die<br />
Wohlfahrt in der sich selbst verpflichten<strong>den</strong> EU sinkt, während sich<br />
die Wohlfahrt aller anderen Länder – zumindest auf kurze Sicht – erhöht<br />
(Beirat BMF 2010:14).<br />
Bei einer unilateralen Minderungspolitik der EU kommt es insbesondere<br />
zu Verlagerungen der Emissionen in Länder ohne Emissions-<br />
Kontraproduktive internationale Rückwirkungen
eschränkungen (Hoel 1991, Felder, Rutherford 1993), ein Effekt, der<br />
unter dem Begriff Emissions oder Carbon Leakage bekannt ist. Darunter<br />
versteht man das Phänomen, dass die einseitige Belastung der energieintensiven<br />
europäischen Industrie zu Erhöhungen der Emissionen<br />
in Länder außerhalb der EU führen, in <strong>den</strong>en keine vergleichbaren <strong>Klimaschutz</strong>kosten<br />
anfallen. Dadurch stehen <strong>den</strong> Emissionssenkungen in<br />
Europa erhöhte Emissionen im Nicht-EU-Ausland gegenüber (Oliveira-<br />
Martins et al. 1992).<br />
Da<strong>für</strong> gibt es drei Gründe: Erstens kann es zu Standortverlagerungen<br />
umwelt- und energieintensiver Industrien ins Nicht-EU-Ausland<br />
kommen. Kritiker halten dem entgegen, dass Umweltregulierung nur<br />
einer von vielen Standortfaktoren wäre, räumen die Möglichkeit der<br />
Standortverlagerung jedoch ein (Hentrich, Matschoss 2006:51). Zweitens<br />
können Importe umweltintensiver Güter die Produktion in Europa<br />
verdrängen. Dies dürfte nach <strong>den</strong> Ergebnissen einer empirischen<br />
Studie von Demailly und Quirion (2006) beispielsweise bei Zement<br />
in nicht unerheblichem Maße der Fall sein. Drittens könnte ein substantieller<br />
Nachfragerückgang in Ländern mit starken Emissionsminderungen<br />
zu weltweit geringeren Energiepreisen führen, sodass postwen<strong>den</strong>d<br />
die Nachfrage nach fossilen Energierohstoffen in <strong>den</strong> übrigen<br />
Ländern steigt (Böhringer 2010:58).<br />
Um diese kontraproduktiven Rückwirkungen abzuschwächen,<br />
kann es sinnvoll sein, energie- und handelsintensive Industrien<br />
weniger stark zu belasten, konstatieren Böhringer und Schwager<br />
(2003:213), so wie dies etwa im Zusammenhang mit der Erhebung der<br />
Stromsteuer in Deutschland bislang geschieht. Auch die Kommission<br />
hat die Relevanz des Leakage-Effekts erkannt und wird die Unternehmen<br />
der handels- und zugleich energieintensiven Industriesektoren<br />
von der Verpflichtung der Ersteigerung der von ihnen benötigten<br />
Zertifikate ab dem Jahr 2013 teilweise ausnehmen. Unter die Ausnahmenregelungen<br />
fallen diejenigen Sektoren, bei <strong>den</strong>en die durch <strong>den</strong><br />
Emissionshandel verursachten zusätzlichen Energiekosten mindes-<br />
121<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
122<br />
tens 5 % der Bruttowertschöpfung betragen und deren Handelsintensität<br />
17 zugleich über 10 % liegt. Als vom Carbon Leakage besonders<br />
betroffen − und deshalb ebenfalls ausgenommen − gelten sodann<br />
diejenigen Sektoren, <strong>für</strong> die bereits eines dieser bei<strong>den</strong> Kriterien bei<br />
über 30 % liegt.<br />
Bei diesen Ausnahmeregelungen ist allerdings zu beachten, dass<br />
sie die so i<strong>den</strong>tifizierten Unternehmen nicht vollständig von <strong>den</strong><br />
CO 2 -Kosten entlasten. Vielmehr erhalten die energieintensiven Unternehmen,<br />
die sich erwiesenermaßen im internationalen Wettbewerb<br />
behaupten müssen, in der kommen<strong>den</strong> Handelsperiode (2013 – 2020)<br />
eine Gratiszuteilung der Zertifikate lediglich in einer Höhe, die sich<br />
nach einem sektorspezifischen Benchmark bemisst (BMU 2008). Zur<br />
Festlegung der EU-einheitlichen Benchmarks wer<strong>den</strong> jeweils die effizientesten<br />
10 % der Anlagen einer Branche in der EU betrachtet. Jene<br />
Unternehmen aber, die bei weitem nicht zu <strong>den</strong> 10 % der effizientesten<br />
ihrer Branche gehören, könnten trotz Gratiszuteilung in Höhe des<br />
Benchmarks mit erheblichen Kosten infolge des Erwerbs der darüber<br />
hinaus benötigten Zertifikate konfrontiert sein.<br />
Eine allzu ambitionierte unilaterale Klimapolitik, die in Zukunft<br />
immer strengere <strong>Klimaschutz</strong>ziele verfolgt, kann schließlich auch<br />
dazu führen, dass fossile Energieressourcen schneller gefördert wer<strong>den</strong>,<br />
weil die Rohstoffanbieter be<strong>für</strong>chten könnten, dass infolge künftig<br />
verstärkter <strong>Klimaschutz</strong>bemühungen die Nachfrage und damit die<br />
Preise nach Energierohstoffen fallen. Nach dem „grünen Paradoxon“<br />
von Sinn (2008:140) könnte so der weltweite Ausstoß an Treibhausgasen<br />
paradoxerweise sogar höher ausfallen als ohne <strong>Klimaschutz</strong>bemühungen.<br />
17 Die Handelsintensität ist die Summe aus Importen und Exporten dividiert durch die Summe aus<br />
dem in der EU erzielten Umsatz und <strong>den</strong> Importen (BMU 2008).<br />
Kontraproduktive internationale Rückwirkungen
4.<br />
Mangelnde<br />
Kosteneffizienz der<br />
Treibhausgasminderungspolitik<br />
der EU<br />
123<br />
Auch wenn die Klimapolitik der Kommission nach <strong>den</strong> vorangehen<strong>den</strong><br />
Erläuterungen im weltweiten Maßstab wenig oder gar Kontraproduktives<br />
bewirkt, stellt sich die Frage nach der Kosteneffizienz<br />
der einseitigen EU-Politik. An der Kosteneffizienz lässt sich aber vor<br />
allem aus folgen<strong>den</strong> Grün<strong>den</strong> zweifeln (Böhringer 2010:63): Erstens<br />
sind Mehrkosten dadurch vorprogrammiert, dass neben dem im Jahr<br />
2005 eigens zum Zwecke der Treibhausgasminderung etablierten <strong>Klimaschutz</strong>instrument<br />
des Handels von CO 2 -Emissionszertifikaten eine<br />
Vielzahl von sich überlagern<strong>den</strong> Regulierungsinstrumenten in der EU<br />
zum Einsatz kommen, obwohl laut umweltökonomischer Literatur die<br />
Minderung von Treibhausgasen mit dem Emissionshandel auf kurze<br />
Sicht zu <strong>den</strong> geringsten gesamtwirtschaftlichen Kosten erreicht wer<strong>den</strong><br />
kann: Durch dieses <strong>Klimaschutz</strong>instrument können Emissionsminderungsziele<br />
nicht nur ökologisch treffsicher, sondern – zumindest<br />
in statischer bzw. kurzfristiger Betrachtungsweise – auch ökonomisch<br />
effizient realisiert wer<strong>den</strong> (Bonus 1998:7).<br />
Zweitens entstehen auch dadurch erhebliche Mehrkosten, dass<br />
der Emissionshandel bislang auf die Europäische Union begrenzt ist<br />
(Nordhaus 2009:50). Eine Ausweitung des EU-Emissionshandelssystems<br />
auf weitere Regionen, welche insbesondere die größten Emitten-<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
124<br />
ten wie die USA und China einschließen, würde die Vermeidung ein<br />
und derselben Emissionsmenge zu günstigeren Kosten erlauben, da<br />
mit Hilfe dieses Instrumentes die Emissionen dort gemindert wer<strong>den</strong>,<br />
wo es am kostengünstigsten ist (Böhringer 2010:64). Mit einer internationalen<br />
Ausweitung des Emissionshandels sollte sich die Anzahl<br />
an zur Verfügung stehen<strong>den</strong> kostengünstigen Vermeidungsoptionen<br />
vergrößern. Im Ergebnis führt dies zu einer Senkung der Kosten <strong>für</strong> die<br />
Erreichung einer bestimmten Emissionsminderung.<br />
Zu einer Ausweitung des EU-Emissionshandelssystem auf einen<br />
weltweiten Handel besteht aber wenig Hoffnung, da dies ein weltumspannendes<br />
klimapolitisches Abkommen voraussetzt. Die Aussichten<br />
auf <strong>den</strong> Abschluss eines wirkungsvollen internationalen Klimaabkommens<br />
mit völkerrechtlich bin<strong>den</strong><strong>den</strong> Minderungszielen der bedeutendsten<br />
Emittenten sind allerdings sehr schlecht (Beirat BMF 2010:7),<br />
wie im nächsten Abschnitt erläutert wird. Ein Hauptgrund da<strong>für</strong> ist,<br />
dass es keine Weltregierung gibt und es wenig wahrscheinlich ist, dass<br />
es eine solche jemals geben wird.<br />
Drittens ist die Europäische Union trotz der als positiv hervorzuheben<strong>den</strong><br />
Etablierung und Weiterentwicklung des Emissionshandels<br />
noch weit von einer kohärenten Klimapolitik entfernt (Böhringer<br />
2010:66). Dies ist vorwiegend dem Umstand geschuldet, dass in<br />
<strong>den</strong> Emissionshandel bislang nur der Stromerzeugungssektor und<br />
die energieintensiven Produktionsbetriebe einbezogen sind, welche<br />
zusammen <strong>für</strong> etwa 40 % der EU-weiten CO 2 -Emissionen verantwortlich<br />
sind. Andere Bereiche wie der Verkehrssektor oder die Sektoren<br />
der privaten Haushalte oder der Gewerbe-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen<br />
sind hingegen nicht in <strong>den</strong> Emissionshandel<br />
integriert. Anstatt <strong>den</strong> Emissionshandel auf andere Bereiche auszuweiten,<br />
besteht in der Europäischen Union die Ten<strong>den</strong>z, je<strong>den</strong> Sektor<br />
spezifisch zu regulieren, um so das EU-weite Minderungsziel zu<br />
erreichen. Dies hat erhebliche Effizienzverluste zur Folge (Böhringer<br />
et al. 2005).<br />
Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU
So ist im Bereich des privaten Pkw-Verkehrs künftig ein spezifischer<br />
Emissionsstandard das von der Kommission präferierte Regulierungsinstrument<br />
(Frondel, Schmidt 2008:330). Mit der EU-Verordnung<br />
443/2009 ist ab 2012 <strong>für</strong> Neuwagen ein zulässiges Höchstmaß an<br />
spezifischen CO 2 -Emissionen je Kilometer vorgeschrieben, das mit der<br />
Masse des Fahrzeugs ansteigen darf (Frondel, Schmidt 2009:179). Mit<br />
dieser Art der Regulierung sind CO 2 -Vermeidungskosten verbun<strong>den</strong>,<br />
die zwischen 475 und 950 Euro je Tonne CO 2 liegen können (Frondel,<br />
Schmidt, Vance 2010), während der CO 2 -Zertifikat-Preis im Rahmen<br />
des Emissionshandels bislang noch nicht über 30 Euro je Tonne hinausging.<br />
Die hohen Vermeidungskosten, die mit dieser Regulierung<br />
verbun<strong>den</strong> sein können, gehen bei einer zwar weitgehend unbekannten,<br />
aber definitiv endlichen Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung<br />
<strong>für</strong> Klima- bzw. Umweltschutz unmittelbar zu Lasten anderer, kostengünstigerer<br />
Treibhausgasvermeidungsmaßnahmen.<br />
Der Existenz des Emissionshandels zum Trotz gibt es zusätzlich<br />
dazu eine Vielzahl von Maßnahmen und Politikinstrumente, zu deren<br />
Rechtfertigung die Kommission die Verringerung des Treibhausgasausstoßes<br />
zumindest als eines von mehreren Motiven angibt. An<br />
erster Stelle sind dabei Richtlinien zur Steigerung der Energieeffizienz<br />
sowie zum Ausbau des Einsatzes von erneuerbaren Energietechnologien<br />
zu nennen. Damit sollen die im Energie- und <strong>Klimaschutz</strong>paket<br />
genannten 20-20-20-Ziele erreicht wer<strong>den</strong>. Dabei stellt die Minderung<br />
der Treibhausgasemissionen um 20 % gegenüber 1990 eines der<br />
Ziele <strong>für</strong> das Jahr 2020 dar, während die Ausweitung des Beitrags der<br />
erneuerbaren Energietechnologien zur Deckung des Primärenergieverbrauchs<br />
in der EU auf 20 % bis 2020 sowie die Steigerung der Energieeffizienz<br />
um 20 % gegenüber dem Weiter-wie-Bisher die übrigen<br />
Zielmarken sind.<br />
Zu dem Bündel an Regulierungen zur Erreichung dieser Ziele zählt<br />
nicht zuletzt auch das am 1. September 2009 erlassene sukzessive Verbot<br />
des Verkaufs herkömmlicher Glühbirnen, das bis spätestens 31. Au-<br />
125<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
126<br />
gust 2012 <strong>den</strong> Verkauf sämtlicher Arten von Glühbirnen in der EU verbietet<br />
(EU-Verordnung 244/2009) und daher unter dem Begriff „Glühbirnenverbot“<br />
firmiert. Dieses Verbot wird von der Kommission vor<br />
allem mit zwei Argumenten gerechtfertigt (Frondel, Lohmann 2010).<br />
Erstens wür<strong>den</strong> energieeffiziente Energiesparlampen <strong>den</strong> privaten<br />
Haushalten und übrigen Stromverbrauchern helfen, Strom und damit<br />
Kosten zu sparen, sodass deren Stromrechnungen signifikant sinken.<br />
Frondel, Lohmann (2010) halten dem entgegen, dass die Verwendung<br />
von Energiesparlampen zwar bei häufiger Nutzung große Kostenvorteile<br />
aufweist. Bei sehr geringen Nutzungszeiten, wie dies etwa bei der<br />
Keller- und Dachbo<strong>den</strong>beleuchtung der Fall ist, erlei<strong>den</strong> die Verbraucher<br />
durch dieses Verbot aber wirtschaftlichen Scha<strong>den</strong>. Allein aus<br />
diesem Grund ist das generelle Glühbirnenverbot der EU-Kommission<br />
unangebracht und sollte wieder zurückgenommen wer<strong>den</strong>.<br />
Mit <strong>den</strong> Einsparungen an Strom infolge des Glühbirnenverbots<br />
kann nach Auffassung der Kommission zweitens der Ausstoß an Treibhausgasen<br />
verringert wer<strong>den</strong>, der mit der konventionellen Erzeugung<br />
von Strom auf Basis fossiler Brennstoffe wie Kohle oder Gas verbun<strong>den</strong><br />
ist. Tatsächlich aber ist der Nettoeffekt dieses Verbotes bei einer<br />
Koexistenz mit dem 2005 etablierten Emissionshandel gleich Null,<br />
ebenso wie bei allen anderen Maßnahmen, die auf eine Absenkung<br />
des Stromverbrauchs und des damit verbun<strong>den</strong>en CO 2 -Ausstoßes<br />
abzielen: Da der Emissionshandel eine bin<strong>den</strong>de Obergrenze <strong>für</strong> die<br />
CO 2 -Emissionen vorgibt, können mit Maßnahmen wie etwa dem Erneuerbare-Energien-Gesetz<br />
(EEG) zur Förderung alternativer Stromerzeugungstechnologien<br />
in Deutschland keinerlei weitere Einsparungen<br />
erzielt wer<strong>den</strong> (Frondel, Ritter, Schmidt 2008:4201).<br />
Die via EEG geförderte Stromerzeugung sorgt zwar <strong>für</strong> geringere<br />
Emissionen im deutschen Stromsektor, weshalb die Zertifikatpreise<br />
niedriger ausfallen als ohne EEG. Dadurch wer<strong>den</strong> jedoch Vermeidungsmaßnahmen<br />
in anderen am Emissionshandel beteiligten Sektoren<br />
nicht ergriffen, weil es kostengünstiger ist, stattdessen Zertifikate<br />
Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU
zu kaufen. Andere Stromerzeugungssektoren in der EU sowie die Industriesektoren,<br />
die in <strong>den</strong> Emissionshandel eingebun<strong>den</strong> sind, weisen<br />
folglich höhere Emissionen auf und gleichen so die Emissionseinsparungen,<br />
die im deutschen Stromerzeugungssektor durch das EEG<br />
ausgelöst wer<strong>den</strong>, gänzlich aus.<br />
Im Ergebnis ergibt sich lediglich eine Emissionsverlagerung,<br />
der durch das EEG bewirkte CO 2 -Einspareffekt ist aber de facto Null<br />
(BMWA 2004:8, Morthorst 2003). So kann es sich bei einem starken<br />
Ausbau der erneuerbaren Energien in der EU und <strong>den</strong> damit verbun<strong>den</strong>en<br />
signifikanten <strong>den</strong> CO 2 -Preis senken<strong>den</strong> Wirkungen gerade <strong>für</strong><br />
die Betreiber alter Kohlekraftwerke eher lohnen, ihre wenig effizienten,<br />
emis sionsintensiven Anlagen weiterzubetreiben, als <strong>den</strong> Anteil der Erneuerbaren<br />
weiter zu steigern. Durch die Regulierungsüberlagerung<br />
kommt es somit sogar zu paradoxen Folgen (Böhringer 2010:69).<br />
Letztlich wer<strong>den</strong> vergleichsweise kostengünstige Maßnahmen<br />
nicht ergriffen, die in der kontrafaktischen Situation ohne ein deutsches<br />
EEG und mit <strong>den</strong> in <strong>den</strong> übrigen EU-Staaten existieren<strong>den</strong> Instrumenten<br />
zur Förderung erneuerbarer Energietechnologien umgesetzt<br />
wor<strong>den</strong> wären. Stattdessen wird gerade mit der Solarstromproduktion<br />
die teuerste aller derzeit in der Diskussion befindlichen<br />
Technologien zur Vermeidung von CO 2 -Emissionen umgesetzt (Abbildung<br />
6). So taxieren Frondel, Ritter, Schmidt, Vance (2010a:119) die<br />
mit der Förderung der Photovoltaik in Deutschland einhergehen<strong>den</strong><br />
Vermeidungskosten auf mehr als 600 Euro je Tonne CO 2 . Die Internationale<br />
Energieagentur geht sogar von einem höheren Wert von rund<br />
1.000 Euro je Tonne aus (IEA 2007:74).<br />
127<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Emissionsvermeidungskosten verschie<strong>den</strong>er<br />
technologischer Maßnahmen<br />
Abbildung 6<br />
128<br />
Euro pro Tonne CO2<br />
700<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
0<br />
–100<br />
–200<br />
611<br />
585<br />
540<br />
415<br />
420<br />
326<br />
254<br />
215<br />
190<br />
75 91<br />
34<br />
102<br />
7<br />
29 37 52<br />
–5<br />
–21<br />
Kernenergie (EPR)<br />
Erdgas-GuD-Kraftwerk<br />
Solarthermie<br />
Windkraftwerk<br />
Effiziente Diesel-Pkw<br />
–113<br />
Wärmedämmung EFH<br />
Effiziente Benzin-Pkw<br />
Geothermie<br />
Biokraftstoffe<br />
Photovoltaik<br />
Quelle: Fahl (2006)<br />
Als Folge davon summieren sich die realen Nettokosten <strong>für</strong> alle<br />
zwischen 2000 und 2009 in Deutschland installierten Photovoltaikmodule<br />
auf rund 52,3 Mrd. Euro (Frondel, Ritter, Schmidt, Vance<br />
2010b:4051). Dies konterkariert das Prinzip des Emissionshandels, <strong>den</strong><br />
Treibhausgasausstoß dort zu verringern, wo es am kostengünstigsten<br />
ist, bzw. die Treibhausgase mit <strong>den</strong> kosteneffizientesten Technologien<br />
zu reduzieren.<br />
Diese theoretische Argumentation wird durch die numerische<br />
Analyse von Traber und Kemfert (2009) <strong>für</strong> Deutschland untermauert.<br />
Danach ändert sich der CO 2 -Ausstoß auf europäischer Ebene<br />
Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU
kaum, obwohl die Emissionen im deutschen Stromerzeugungssektor<br />
durch das EEG um 11 % reduziert wer<strong>den</strong>. Der Grund da<strong>für</strong> ist, dass die<br />
Stromerzeugung auf Basis erneuerbarer Technologien in Deutschland<br />
die Dringlichkeit der Emissionsreduktion in <strong>den</strong> übrigen EU-Ländern<br />
verringert, indem die EU-weit gelten<strong>den</strong> Preise <strong>für</strong> CO 2 -Zertifikate gegenüber<br />
einer Situation ohne ein deutsches EEG um 15 % niedriger ausfallen<br />
(Traber, Kemfert 2009:169).<br />
Nun wird häufig argumentiert, man könne die ökologische Unwirksamkeit<br />
des EEG bzw. des EU-weiten Ausbaus der Erneuerbaren<br />
dadurch beheben, dass das Emissionsbudget beim Emissionshandel<br />
um die zu erwarten<strong>den</strong> CO 2 -Minderungsbeiträge infolge des Ausbaus<br />
der regenerativen Stromerzeugung reduziert wird (Diekmann, Kemfert<br />
2005; Kemfert, Diekmann 2009). So sei in der EU-weit gelten<strong>den</strong><br />
Emissionsobergrenze <strong>für</strong> 2020 der CO 2 -senkende Einfluss des Zubaus<br />
regenerativer Stromerzeugungstechnologien berücksichtigt wor<strong>den</strong><br />
(COM 2008) und der Ausbau erneuerbarer Energien hätte daher sehr<br />
wohl eine CO 2 -senkende Wirkung. Diese Argumentation ist unzutreffend,<br />
da es allein das Instrument des Emissionshandels ist, das die Einhaltung<br />
der Emissionsobergrenze (Cap) garantiert. Diese Obergrenze<br />
würde auch dann eingehalten, wenn auf <strong>den</strong> weiteren Ausbau der erneuerbaren<br />
Energien in sämtlichen EU-Ländern verzichtet würde − zugegeben<br />
eine wenig wahrscheinliche Entwicklung.<br />
Dennoch verdeutlicht diese Überlegung, dass es allein das Instrument<br />
des Emissionshandels ist, das eine Senkung der Treibhausgasemissionen<br />
bewirkt (Häder 2010:14). Dieser kaum bestreitbaren<br />
Tatsache wird häufig entgegengehalten, dass es gerade die Förderung<br />
der erneuerbaren Energien ist, die weit niedrigere zukünftige Obergrenzen<br />
im EU-Emissionshandel erlauben würde als andernfalls.<br />
Dieses Argument ist wenig stichhaltig, da die EU-Länder sich mit<br />
weitaus weniger Subventionen, als die Förderung der erneuerbaren<br />
Energien verschlingt, in die Lage versetzen könnten, niedrige künftige<br />
Emissionsobergrenzen einzuhalten.<br />
129<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
130<br />
Der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke in Deutschland, die nach<br />
geltendem Gesetz bereits nach 32 Jahren Laufzeit abgeschaltet wer<strong>den</strong><br />
sollen, obwohl die technische Lebensdauer bei 60 Jahren und mehr<br />
liegt, wäre nur eines von vielen Beispielen, wie man auf kostengünstige<br />
Weise strengere Emissionsgrenzen anstreben könnte. In diesem<br />
Beispiel wären die volkswirtschaftlichen Kosten sogar negativ: Die<br />
Wohlfahrt in der EU und vor allem in Deutschland würde zweifellos<br />
gesteigert (Energieprognose 2009). Konträr dazu erweisen sich zusätzliche<br />
Politiken zur Förderung erneuerbarer Energien als besonders teuer:<br />
Böhringer et al. (2009a) wiesen darauf hin, dass sich die Kosten <strong>für</strong><br />
die Treibhausgasminderung in der Europäischen Union durch solche<br />
Politikmaßnahmen sogar verdoppeln können.<br />
Ein weiteres Beispiel <strong>für</strong> ein ebenfalls <strong>den</strong> Emissionshandel berührendes<br />
Instrument sind Stromsteuern. Eine solche wurde in<br />
Deutschland unter dem Begriff Ökosteuer im Jahr 1999 eingeführt.<br />
Unternehmen, die sowohl Stromsteuern bezahlen als auch dem<br />
Emissionshandel unterliegen, vermei<strong>den</strong> ineffizient viel (Böhringer<br />
2010:68). Dadurch subventionieren sie indirekt die Unternehmen solcher<br />
EU-Länder, die ebenfalls in <strong>den</strong> Emissionshandel eingebun<strong>den</strong><br />
sind, aber nicht einer Stromsteuer unterworfen sind. Auch hier gilt:<br />
Da die Gesamtemissionen im EU-Emissionshandel gedeckelt sind,<br />
haben zusätzliche Strom- oder CO 2 -Steuern keinen CO 2 -senken<strong>den</strong><br />
Effekt (Böhringer 2010:68). 18<br />
Dies gilt ebenso <strong>für</strong> alle weiteren Instrumente, die auf eine Senkung<br />
des Stromverbrauchs in <strong>den</strong> EU-Ländern abzielen. Dazu gehören<br />
in Deutschland etwa das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz,<br />
das <strong>den</strong> Kauf energieeffizienter Stromgeräte stärkt, die Förderung der<br />
18 Dementsprechend sind die Vermeidungskosten je eingesparter Tonne CO2 im Prinzip unendlich<br />
hoch, da ungeachtet der Höhe der Kosten, die durch die einzelnen Maßnahmen <strong>den</strong> Verbrauchern<br />
auferlegt wird, der CO2-Einspareffekt Null ist und bei der Berechnung der spezifischen<br />
Vermeidungskosten je Tonne CO2 durch Null dividiert wer<strong>den</strong> müsste.<br />
Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU
Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) via KWK-Gesetz oder das Energiebetriebene-Produkte-Gesetz,<br />
das ineffiziente Geräte vom Markt ausschließt.<br />
Infolge der gleichzeitigen Existenz des Emissionshandels sind diese<br />
Gesetze ebenso nutzlos im Hinblick auf Treibhausgaseinsparungen<br />
(Häder 2010:17) wie der in Italien und Großbritannien etablierte Handel<br />
mit sogenannten weißen Zertifikaten, mit dem Stromeinsparungen<br />
erreicht wer<strong>den</strong> sollen.<br />
Aber selbst wenn es keinen CO 2 -Emissionshandel gäbe, wären Weiße-Zertifikate-Systeme<br />
nicht das Instrument 1. Wahl: Jede Politik, die<br />
pauschal an der Nachfrage nach Energie ansetzt, um Umweltexternalitäten<br />
zu verringern, ohne dabei <strong>den</strong> mit dem jeweiligen Energieträger<br />
verbun<strong>den</strong>en spezifischen Umwelteffekten Rechnung zu tragen, ist<br />
ineffizient (Mennel, Sturm 2009:27).<br />
Tatsächlich sind solche auf <strong>den</strong> Emissionshandel aufgesattelten Instrumente<br />
wie auch technologie-spezifische Förderungen, allen voran<br />
die Subventionierung der Erneuerbaren, nicht nur ineffektiv bzw. ökologisch<br />
überflüssig. Sie sind aus ökonomischer Sicht sogar kontraproduktiv,<br />
da <strong>Klimaschutz</strong> damit unnötig teuer wird (Häder 2010:15). Die<br />
Förderung alternativer Technologien zur Produktion „grünen“ Stroms,<br />
welche in Europa mit vielen Milliar<strong>den</strong> Euro im Jahr unterstützt wird −<br />
allein in Deutschland betrugen die Einspeisevergütungen <strong>für</strong> „grünen“<br />
Strom im Jahr 2009 rund 10 Mrd. Euro (Schiffer 2010:83) –, muss sich<br />
daher aus anderen Grün<strong>den</strong> rechtfertigen.<br />
Bedauerlicherweise darf man wegen der massiven finanziellen<br />
Belastungen durch die Erneuerbaren-Politik der Kommission keine<br />
positive Auswirkungen auf Beschäftigung erwarten (Frondel, Ritter,<br />
Schmidt, Vance 2010b:4055). So gehen mit <strong>den</strong> höheren Strompreisen<br />
infolge der Förderung der erneuerbaren Energien, etwa durch das<br />
deutsche Erneuerbaren-Energie-Gesetz (EEG), Kaufkraftverluste von<br />
privaten Haushalten einher. Zusammen mit dem Entzug von Investitionskapital<br />
bei <strong>den</strong> industriellen Stromverbrauchern bewirkt dies<br />
negative Arbeitsplatzeffekte in anderen Sektoren. Indem die Budgets<br />
131<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
132<br />
der industriellen Verbraucher durch höhere Strompreise geschmälert<br />
wer<strong>den</strong>, stehen vor allem weniger Mittel <strong>für</strong> alternative und profitablere<br />
Investitionen zur Verfügung. Daher ist zu bezweifeln, ob die Arbeitsplatzeffekte<br />
des deutschen EEG im Saldo tatsächlich positiv ausfallen<br />
können (Frondel, Ritter, Schmidt, Vance 2010a:123).<br />
Demnach ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich in der Vergangenheit<br />
zahlreiche Studien skeptisch in Bezug auf positive Nettobeschäftigungseffekte<br />
der Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland<br />
äußerten. So konstatiert das Institut <strong>für</strong> Wirtschaftsforschung in<br />
Halle, dass bei Berücksichtigung der Investitionskosten bzw. der Verdrängung<br />
der privaten Verwendung der Investitionsmittel „praktisch<br />
keine Beschäftigungseffekte mehr festgestellt wer<strong>den</strong> könnten“ (IWH<br />
2004:72). Ähnlich äußerten sich Fahl, Küster und Ellersdorfer (2005),<br />
Pfaffenberger (2006) und das RWI (2004) bzw. Hillebrand et al. (2006).<br />
In jedem Falle sind die durch die Förderung erneuerbarer Energien<br />
geschaffenen Bruttoarbeitsplätze teuer erkauft. So erforderte die<br />
Schaffung von 50.000 „grünen Jobs“ in Spanien Ausgaben von 28,7<br />
Mrd. Euro (Álvarez et al. 2009:24). Pro Arbeitsplatz sind das 574.000<br />
Euro. Ähnlich hohe Subventionen wer<strong>den</strong> in Deutschland <strong>für</strong> je<strong>den</strong> Arbeitsplatz<br />
in der Photovoltaikbranche bezahlt. Auf Basis der Nettokosten<br />
von rund 17,4 Mrd. Euro <strong>für</strong> alle im Jahr 2009 installierten Anlagen<br />
(Frondel, Ritter, Schmidt, Vance 2010b:4051) lägen die Subventionen<br />
pro Kopf bei rund 290.000 Euro, wenn man von 60.000 Beschäftigten<br />
im deutschen Photovoltaiksektor ausgeht (BSW 2009).<br />
Diese Ergebnisse sind nicht weiter überraschend, schließlich ist<br />
der komparative Vorteil der Politik nicht unbedingt in der unmittelbaren<br />
Schaffung von Arbeitsplätzen zu vermuten. So würde man<br />
eher dem Markt, welcher die wettbewerbsfähigen konventionellen<br />
Stromerzeugungstechnologien begünstigen würde, als der Politik,<br />
die sich als Förderer ineffizienter „grüner“ Technologien betätigt, zutrauen,<br />
<strong>für</strong> insgesamt mehr Beschäftigung und somit eine größere<br />
Wohlfahrt zu sorgen.<br />
Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU
Tatsächlich sollte der Handlungsschwerpunkt der Politik nicht in<br />
der Schaffung von Arbeitsplätzen liegen, sondern in der Gestaltung<br />
günstiger Rahmenbedingungen, welche die möglichst kostengünstige<br />
Produktion von Gütern und Dienstleistungen erlauben. Zu diesen Rahmenbedingungen<br />
gehört die allgemeine Förderung der Erforschung<br />
und Entwicklung neuer Produktionsmetho<strong>den</strong>, bei <strong>den</strong>en weniger<br />
Ressourcen an Energie, Umwelt, Kapital oder auch an Arbeit eingesetzt<br />
wer<strong>den</strong>, um <strong>den</strong>selben Output zu erzeugen wie mit <strong>den</strong> bestehen<strong>den</strong><br />
Technologien. Indem die frei wer<strong>den</strong><strong>den</strong> Ressourcen <strong>für</strong> andere Zwecke<br />
verwendet wer<strong>den</strong> können, kann so der Lebensstandard der Bevölkerung<br />
gesteigert wer<strong>den</strong>. Die von der Kommission mit der Steigerung<br />
des Anteils der Erneuerbaren am Energiemix beabsichtigte Technologieförderung<br />
ist in dieser Hinsicht allerdings wenig erfolgreich, wie in<br />
Abschnitt 7 dargestellt wird.<br />
133<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
5.<br />
Schlechte Chancen<br />
<strong>für</strong> ein globales<br />
Klimaabkommen zur<br />
Treibhausgasminderung<br />
135<br />
Nationale Klimapolitiken zur Senkung von Treibhausgasen sehen sich<br />
einem fundamentalen Dilemma ausgesetzt 19 : Die Bürger eines einzelnen<br />
Landes, welche von dessen Regierung die vollen Kosten einer einseitigen<br />
Minderungspolitik aufgebürdet bekommen, profitieren nur<br />
zu einem geringen Teil von dieser Klimapolitik, falls <strong>den</strong>n diese Minderung<br />
der Treibhausgase überhaupt die globale Erwärmung signifikant<br />
beeinflussen kann. Der weit überwiegende Nutzen einer solchen<br />
Politik fällt im Ausland an (Beirat BMF 2010:8).<br />
Aus diesem Grund haben einzelne Länder in der Regel nur geringe<br />
Anreize 20 , erhebliche Kosten <strong>für</strong> Treibhausgasminderungen aufzuwen<strong>den</strong>,<br />
da diese wegen der weltweiten Auswirkungen des Ausstoßes von<br />
Treibhausgasen allen zu Gute kommen, aber im weltweiten Maßstab<br />
19 Das Dilemma wurde von Hardin (1968) als Tragedy of Commons bezeichnet. Damit gemeint ist<br />
die Tragik der Allmende- bzw. öffentlichen Güter, die allen zur Verfügung stehen, dadurch keinen<br />
Preis haben und daher unter Übernutzung lei<strong>den</strong>.<br />
20 Nur wenige Länder beteiligen sich freiwillig an der Vermeidung von Emissionen (Beirat BMF<br />
2010:11). Dass ein Land zu dieser Gruppe gehört, ist umso wahrscheinlicher, je größer und<br />
bevölkerungsreicher das Land ist, je wohlhabender das Land ist, je niedriger die Kosten der<br />
Emissionsvermeidung <strong>für</strong> dieses Land sind, je dramatischer die Veränderung des Klimas<br />
<strong>für</strong> das Land negativ zu Buche schlägt und je bedeutender und politisch einflussreicher die<br />
Ökologiebewegung in einem Land ist.<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
136<br />
wenig bewirken (Abschnitt 2). Im Gegenteil: Ein einzelnes Land hat<br />
vielmehr <strong>den</strong> Anreiz, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten (Weimann<br />
1994:73) und nichts zu tun, um ohne eigenen Kostenaufwand von <strong>den</strong><br />
Anstrengungen der anderen Länder zu profitieren.<br />
Die zentrale Herausforderung ist daher, einen Weg zu fin<strong>den</strong>, mit<br />
dem es gelingen kann, Staaten vom Trittbrettfahrerverhalten abzubringen<br />
und die Chancen <strong>für</strong> das Zustandekommen eines Klimaabkommens<br />
auf globaler Ebene, mit dem sich nahezu alle Staaten oder zumindest<br />
sämtliche bedeuten<strong>den</strong> Emittenten, Treibhausgasrestriktionen<br />
auferlegen, zu erhöhen. Aufgrund des Fehlens einer Weltregierung, die<br />
ein Trittbrettfahrerverhalten wirksam sanktionieren könnte (Weimann<br />
1994:73), welche es aber mit Sicherheit niemals geben wird, besteht internationale<br />
Klimapolitik allerdings allein aus freiwilligem Engagement.<br />
Dabei stellt sich die Frage, welche Rolle Kooperationen einzelner Länder<br />
spielen können, um die Teilnahmebereitschaft der übrigen Länder an<br />
einem globalen Klimaabkommen zu beeinflussen.<br />
Kooperationen einer Teilgruppe von Ländern, etwa der 27 EU-Mitgliedstaaten,<br />
können <strong>für</strong> die einzelnen Teilnehmerstaaten durchaus<br />
attraktiv und ökonomisch rational sein, wie an dem folgen<strong>den</strong> Beispiel<br />
erläutert wer<strong>den</strong> soll. Nehmen wir vereinfachend an, dass sich die 27 EU-<br />
Staaten dazu verpflichten, jeweils dieselbe Emissionsmenge zu vermei<strong>den</strong>.<br />
Diese Verpflichtung lohnt sich <strong>für</strong> ein einzelnes EU-Mitglied genau<br />
dann, wenn seine Emissionsminderungskosten geringer sind als der Nutzen,<br />
<strong>den</strong> die 27-mal so hohe Emissionsminderung, zu der sich die Partnerländer<br />
via Vertrag verpflichtet haben, stiftet. 21 Man würde meinen,<br />
dass die Teilnahme eines Landes an einem solchen Kooperationsvertrag<br />
21 Die vereinfachende Annahme, dass alle Länder sich zur selben Minderungsmenge verpflichten,<br />
ist irrelevant. Tatsächlich spielt es <strong>für</strong> das Kosten-Nutzen-Kalkül eines Landes, das sich zu einer<br />
bestimmten Emissionsminderung verpflichtet, offenkundig keine Rolle, wie die Verteilung<br />
der Minderungsverpflichtungen auf die übrigen Länder ausfällt, solange die gesamte<br />
Minderungsmenge dieselbe bleibt.<br />
Schlechte Chancen <strong>für</strong> ein globales Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung
umso attraktiver ist, je mehr Kooperationspartner sich zu Minderungsanstrengungen<br />
verpflichten, da die eigenen Anstrengungen mit dem entsprechen<strong>den</strong><br />
Vielfachen an Emissionsminderung belohnt wer<strong>den</strong>.<br />
Auf <strong>den</strong> ersten Blick würde man folglich erwarten, dass eine solche<br />
Kooperation einer Teilgruppe von Ländern die Chancen <strong>für</strong> das Zustandekommen<br />
eines globalen Abkommens erhöht, da man sich von dieser<br />
Kooperation eine förderliche Signalwirkung erhoffen könnte und die mit<br />
der Kooperation übernommene Vorreiterrolle sich positiv auf die Erweiterung<br />
des Teilabkommens zu einem globalen Abkommen auswirkt.<br />
Die Antwort der umweltökonomischen Literatur auf die Frage nach<br />
der Bedeutung von Teilkooperationen <strong>für</strong> die Chancen eines weltweiten<br />
Klimaabkommens ist jedoch höchst ernüchternd: Aus genau <strong>den</strong>selben<br />
Grün<strong>den</strong>, die in Abschnitt 3 dargestellt wur<strong>den</strong> und die dazu<br />
führen, dass das übermäßige Engagement eines einzelnen Landes oder<br />
einer Staatengruppe wie der Europäischen Union die Bereitschaft der<br />
übrigen Länder zur Emissionsminderung verringert, kann die Kooperationsbereitschaft<br />
der übrigen Länder durch eine Kooperation einer<br />
Teilgruppe von Staaten reduziert und so das Zustandekommen eines<br />
weltweiten Klimaabkommens sogar erschwert wer<strong>den</strong> (Beirat BMF<br />
2010:16), anstatt die Chancen auf ein solches zu verbessern.<br />
Denn: Je mehr ein Land oder eine Staatengruppe bereit ist zu tun<br />
und dies in einem Kooperationsvertrag zu manifestieren, desto attraktiver<br />
wird es <strong>für</strong> die übrigen Länder, selbst weniger zu vermei<strong>den</strong> und<br />
einem zu erheblichen Anstrengungen verpflichten<strong>den</strong> Abkommen<br />
fernzubleiben, da der Grenznutzen der eigenen Anstrengungen mit<br />
<strong>den</strong> Bemühungen der Vorreiterländer sinkt 22 .<br />
137<br />
22 In der ökonomischen Literatur überwiegt das rationale Kosten-Nutzen-Kalkül als Basis <strong>für</strong><br />
individuelle Entscheidungen. In anderen Sozialwissenschaften wie auch in Teilbereichen der<br />
Ökonomik wer<strong>den</strong> dagegen häufig Entscheidungen mit unvollständiger Information oder<br />
beschränkter Rationalität betrachtet. >><br />
|Fortsetzung der Fußnote am nächsten Seitenende|<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
138<br />
Das Abkommen einer Teilgruppe von Staaten, wie etwa die Selbstverpflichtung<br />
der EU-Staaten auf eine 20-%-Reduktion der Treibhausgase<br />
gegenüber 1990, kann somit die Dynamik zukünftiger Verhandlungen<br />
über ein weltweites Klimaabkommen negativ beeinflussen<br />
(Beirat BMF 2010:17): „Das Vorwegmaschieren einer Teilgruppe von<br />
Ländern und die Einigung auf hohe Emissionsminderungsziele markieren<br />
in der Politik vielleicht einen herausragen<strong>den</strong> moralischen<br />
Sieg. Wenn es darum geht, das Weltklima im Rahmen eines globalen<br />
Umweltabkommens zu retten, ist diese Form des moralischen Handelns<br />
jedoch eher verfehlt. Sie kann eine effiziente Lösung, die ohne<br />
ein Vorwegmarschieren im Bereich des Möglichen gewesen wäre, sogar<br />
verhindern.“<br />
Die Zusammenarbeit einer Teilgruppe von Ländern ist jedoch<br />
nicht nur wenig hilfreich <strong>für</strong> das Zustandekommen eines globalen Klimaabkommens.<br />
Nach der umweltökonomischen Literatur birgt dies<br />
sogar das Risiko einer erheblichen Umverteilung der Kosten zulasten<br />
der Länder, die sich zur Kooperation bereit erklärt haben (Buchholz,<br />
Haslbeck, Sandler 1998, Konrad 2003). Die Kommission sollte daher<br />
diese Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen be<strong>den</strong>ken, wenn<br />
es um die Frage geht, ob die Klimapolitik in <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> der einzelnen<br />
EU-Länder bleiben oder zentral von Brüssel aus koordiniert wer<strong>den</strong><br />
sollte. Während selbst eine koordinierte EU-Klimapolitik nur einen<br />
kleinen Beitrag zur globalen Emissionsminderung leisten kann (Abschnitt<br />
2), wer<strong>den</strong> die Chancen <strong>für</strong> eine weltweit koordinierte Klimapolitik<br />
verringert, aber die Lasten <strong>für</strong> die Emissionsminderung eher <strong>den</strong><br />
>> Abweichungen in dieser Richtung per se lassen allerdings die Ineffizienz noch nicht verschwin<strong>den</strong>.<br />
Wenn beispielsweise die Länder ihre Vermeidungsanstrengungen in einem evolutionären<br />
Prozess – statt über vollständig rationale Wohlfahrtsmaximierung – bestimmen, bleiben<br />
Vorleistungen einzelner Länder ebenfalls wirkungslos. Länder imitieren in einem evolutionären<br />
Prozess erfolgreiche Strategien anderer Länder; und erfolgreicher sind auch hier die Länder, die<br />
nur geringe Vermeidungsanstrengungen leisten. Auch im evolutionären Prozess setzt sich die<br />
ineffizient niedrige Vermeidung durch (Beirat BMF 2010:10).<br />
Schlechte Chancen <strong>für</strong> ein globales Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung
Mitgliedsstaaten aufgebürdet, wohingegen die übrigen OECD-Staaten<br />
ten<strong>den</strong>ziell eher entlastet wer<strong>den</strong> (Beirat BMF 2010:14).<br />
Abgesehen davon, dass die Klimapolitik der Kommission eher kontraproduktiv<br />
wirkt, stehen die Chancen <strong>für</strong> ein globales Klimaabkommen,<br />
das zu einer nennenswerten Verringerung der globalen Emissionen<br />
führt oder zumindest zu einer weitgehen<strong>den</strong> Stagnation, ohnehin<br />
<strong>den</strong>kbar schlecht, falls dieses Abkommen auf die Beschränkung des<br />
Treibhausgasausstoßes der Staaten mit dem umfangreichsten Treibhausgasausstoß<br />
abzielt. So wird sich der weltweit größte Treibhausgasemittent<br />
China mit Sicherheit keinerlei Emissionsbeschränkung<br />
unterwerfen wollen, wenn diese zulasten der wachsen<strong>den</strong> Prosperität<br />
dieses Landes gehen würde.<br />
Zu Recht würde China stattdessen zuerst von <strong>den</strong>jenigen Ländern<br />
ihren substantiellen Tribut verlangen, die in der Vergangenheit vorwiegend<br />
<strong>für</strong> <strong>den</strong> Anstieg der Treibhausgaskonzentration maßgeblich<br />
verantwortlich waren. Mit dem ebenso berechtigten Hinweis auf die<br />
geringe Effektivität verweigert der zweitgrößte Emittent, die USA, bereits<br />
heute einschnei<strong>den</strong>de Vermeidungsmaßnahmen, falls Schwellenländer<br />
wie China oder Indien sich nicht ebenfalls zu Minderungsanstrengungen<br />
verpflichten, die <strong>den</strong> künftigen Anstieg ihrer Emissionen<br />
deutlich dämpfen. Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma, der<br />
nicht unmittelbar bei der Vermeidung von Emissionen ansetzt, präsentiert<br />
der folgende Abschnitt.<br />
139<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
6.<br />
Erfolgsträchtigere<br />
Alternativen<br />
Aussichtsreichere Alternativen zur Auferlegung von Emissionsrestriktionen<br />
bestehen in solchen Strategien und Politiken, bei <strong>den</strong>en die<br />
einzelnen Länder in erster Linie selbst von <strong>den</strong> zu ergreifen<strong>den</strong> Maßnahmen<br />
profitieren und daher ein hohes Eigeninteresse an deren Umsetzung<br />
haben. Dazu gehören Anpassungsmaßnahmen an <strong>den</strong> Klimawandel,<br />
die wie der Bau von Deichen zum Schutz vor einem Anstieg<br />
des Meeresspiegels darauf abzielen, die Folgekosten der globalen Erwärmung<br />
zu reduzieren, und damit unmittelbar der Bevölkerung desjenigen<br />
Landes zugute kommen, das diese Maßnahmen durchführt.<br />
Zusätzlich zu einer solchen Politik, deren Umsetzungsgrad vor allem<br />
im Ermessen des einzelnen Landes liegt, könnten sich Länder in<br />
einem weltweiten Abkommen zu einer sukzessiven Erhöhung ihrer<br />
Ausgaben <strong>für</strong> die Forschung und Entwicklung (F&E) von Energieumwandlungs-<br />
und -speichertechnologien verpflichten. 23 Mit derartigen<br />
F&E-Maßnahmen wer<strong>den</strong> zwar nicht unmittelbar Treibhausgasminderungen<br />
erzielt. Über Zeiträume von einigen Jahrzehnten hinweg<br />
141<br />
23 Weil davon auszugehen ist, dass von <strong>den</strong> Früchten der F&E-Investitionen zum großen<br />
oder gar überwiegen<strong>den</strong> Teil die investieren<strong>den</strong> Länder selbst profitieren, sollte das<br />
Trittbrettfahrerverhalten in Form von nicht investieren<strong>den</strong> Ländern geringer sein als bei<br />
Aktivitäten zur Treibhausgasvermeidung. Allerdings ist zu konzedieren, dass einzelne Länder<br />
deshalb zu wenig in F&E investieren könnten, weil Kosten und Nutzen dieser Investitionen zeitlich<br />
weit auseinander fallen können und der eigene Nutzen der F&E-Investitionen nicht korrekt bzw.<br />
zu niedrig eingeschätzt wird.<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
142<br />
können F&E-Investitionen in revolutionäre Technologien nichtsdestotrotz<br />
zu sehr hohen Treibhausgasminderungserfolgen führen.<br />
Ein Beispiel <strong>für</strong> eine solche Technologie ist die Kernfusion. Diese<br />
stellt eine CO 2 -freie Technologie zur Stromerzeugung dar, der ein großes<br />
Potential attestiert wird, langfristig in großem Umfang zu einer<br />
sauberen, versorgungssicheren und gefahrlosen Stromversorgung<br />
beizutragen (DPG 2010:122). Im Gegensatz zu Kernkraftwerken würde<br />
der Betrieb von Fusionskraftwerken keine radioaktiven Abfälle hinterlassen.<br />
Im Erfolgsfall des praktischen Einsatzes, <strong>den</strong> die Deutsche<br />
Physikalische Gesellschaft bei der derzeitigen vergleichsweise geringen<br />
Forschungsförderung <strong>für</strong> die Mitte dieses Jahrhunderts erwartet<br />
(DPG 2010:122), könnte die europäische Stromerzeugung bis 2100 allein<br />
auf Basis dieser Technologie wohl gänzlich emissionsfrei erfolgen.<br />
In Kombination mit <strong>den</strong> erneuerbaren Energietechnologien sowie mit<br />
der Kernkraft könnte so bereits ab der Mitte dieses Jahrhunderts eine<br />
weitgehende Dekarbonisierung des Stromerzeugungssektors Realität<br />
wer<strong>den</strong>, so wie dies von Deutschland heute bereits angepeilt wird, allerdings<br />
allein auf Basis von erneuerbaren Energietechnologien.<br />
Das Beispiel des experimentellen Reaktors ITER, dessen Bau in Südfrankreich<br />
in weltweiter Zusammenarbeit begonnen wurde, zeigt, dass<br />
ein globales Abkommen über Verpflichtungen der Länder zu wachsen<strong>den</strong><br />
F&E-Anteilen am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt im Bereich des<br />
Möglichen liegt. Mit einem derartigen Abkommen über Quoten zu F&E-<br />
Förderausgaben <strong>für</strong> Energieumwandlungs- und -speichertechnologien<br />
können auf lange Sicht negative externe Umwelteffekte verringert, aber<br />
auch die typischen positiven Spill-Over-Effekte von F&E-Aktivitäten erzielt<br />
wer<strong>den</strong> (Jaffe, Newell, Stavins 2002). Somit haben F&E-Ausgaben<br />
eine doppelte Divi<strong>den</strong>de, eine Umwelt- und eine Technologiedivi<strong>den</strong>de,<br />
die zwar allen Ländern, aber in hohem Maße auch demjenigen Land zugutekommen,<br />
das diese Ausgaben finanziert. Im Erfolgsfall einer weitreichen<strong>den</strong><br />
Diffusion einer Technologie profitieren davon insbesondere<br />
diejenigen Unternehmen, die diese Technologien vertreiben.<br />
Erfolgsträchtigere Alternativen
Darüber hinaus kann ein Land mit einer sukzessiven Steigerung<br />
seiner F&E-Ausgabenanteile ein chronisches Manko beseitigen. So fällt<br />
die von privaten Marktakteuren finanzierte Forschungsleistung ten<strong>den</strong>ziell<br />
zu gering aus (Nelson 1959). Dabei liegt aus volkswirtschaftlicher<br />
Sicht ein Zuwenig an Forschung vor, wenn die Ausgaben geringer<br />
ausfallen als die daraus zu erwarten<strong>den</strong> Erträge. Vor allem an der<br />
Finanzierung von Grundlagenforschung dürften private Akteure ein<br />
sehr geringes Interesse zeigen, da bei dieser die Wahrscheinlichkeit <strong>für</strong><br />
die unmittelbare marktwirtschaftliche Nutzung von Forschungserfolgen<br />
relativ klein ist und die Erfolge in der Regel allen zugutekommen.<br />
In diesem Falle von Marktversagen ist es Aufgabe des Staates, die Forschungs-<br />
und Technologieförderung voranzutreiben.<br />
Die staatliche Forschungs- und Technologieförderung sollte allerdings<br />
ungezielt betrieben wer<strong>den</strong>, da die Politik die zukünftig erfolgreichen<br />
Technologien nicht Jahrzehnte im Voraus i<strong>den</strong>tifizieren kann<br />
(Karl, Wink 2006:275-276). Von Hayek (1978) führt dies vor allem auf<br />
das Informationsdefizit des Staates zurück, der in der Regel nicht über<br />
die notwendigen Informationen verfügt. Demnach sollte der Staat viele<br />
verschie<strong>den</strong>e Technologien gleichermaßen fördern, nicht zuletzt<br />
auch deshalb, weil eine Bevorzugung einer Technologie, etwa aus industriepolitischen<br />
Motiven, zugleich immer auch eine Diskriminierung<br />
anderer technologischer Entwicklungen bedeutet (Kronberger<br />
Kreis 2009:34).<br />
Mit der höchst privilegierten EEG-Förderung der Photovoltaik, die in<br />
Deutschland mit Abermilliar<strong>den</strong> Euro in exorbitantem Ausmaße gefördert<br />
wird, geschieht indessen das Gegenteil: Der Staat maßt sich mit der<br />
drastischen Überförderung der Photovoltaik nicht vorhan<strong>den</strong>es Wissen<br />
an. Die Photovoltaik erhält im Vergleich zum damit erzielten Stromoutput<br />
mit Abstand die meisten Subventionen (Frondel, Ritter, Schmidt,<br />
Vance 2010a:116): Für alle zwischen 2000 und 2010 in Deutschland installierten<br />
Photovoltaikmodule belaufen sich die Nettokosten real auf<br />
rund 81,5 Mrd. Euro (Frondel, Ritter, aus dem Moore, Schmidt 2011)).<br />
143<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
144<br />
Mit ihrer Erneuerbaren-Politik verstößt auch die Kommission gegen<br />
das Prinzip der Technologieoffenheit einer guten F&E-Förderung<br />
in eklatanter Weise. Mittels symbolischer Ziele, deren Zielwerte nicht<br />
das Resultat rationaler Optimierungsüberlegungen sind, sondern offenkundig<br />
mit dem Zieljahr zusammenhängen, wie dies etwa beim<br />
20-%-Anteil der Erneuerbaren <strong>für</strong> das Jahr 2020 der Fall ist, soll der<br />
Ausbau der erneuerbaren Energietechnologien vorangetrieben wer<strong>den</strong>,<br />
obwohl diese Privilegierung der Erneuerbaren bei einer Koexistenz<br />
mit dem Emissionshandel nicht durch die Beseitigung negativer<br />
externer <strong>Klimaschutz</strong>effekte gerechtfertigt wer<strong>den</strong> kann.<br />
Wenn die Kommission mit ihrem Erneuerbaren-Ziel <strong>für</strong> 2020<br />
eine Technologieförderung im Sinn hat, so sollte außerdem die<br />
Wahl des Förderinstruments nicht <strong>den</strong> Mitgliedsländern überlassen<br />
bleiben. Besonders ineffektiv ist diesbezüglich das in Deutschland<br />
verwendete Einspeisevergütungssystem, bei dem die Forschung<br />
und Entwicklung (F&E) lediglich auf indirekte Art gefördert wird. In<br />
Deutschland hat dies in der Praxis nicht zu hohen Forschungsaufwendungen<br />
der durch das EEG begünstigten Unternehmen geführt:<br />
Obwohl sich die EEG-Vergütungen zwischen 2000 und 2009 mehr<br />
als verzehnfacht haben und von etwa 0,9 auf rund 10 Mrd. Euro gestiegen<br />
sind (BDEW 2001, 2009), waren die Ausgaben der Privatwirtschaft<br />
<strong>für</strong> die Energieforschung in Deutschland allgemein rückläufig.<br />
Investierte die Wirtschaft im Jahr 1991 noch etwa 503 Mio. Euro in<br />
die Energieforschung, so waren es im Jahr 2007 nur noch 139 Mio.<br />
Euro (BMWi 2010). Im Vergleich zu <strong>den</strong> Vergütungen <strong>für</strong> erneuerbare<br />
Energien von 7,6 Mrd. Euro im Jahr 2007 sind 139 Mio. Euro ein geringer<br />
Betrag, welcher nicht einmal der Erforschung regenerativer Technologien<br />
allein diente, sondern der Forschungsförderung sämtlicher<br />
Energietechnologien.<br />
Dass die Ausgaben <strong>für</strong> Forschung und Entwicklung im Bereich<br />
erneuerbare Energien sowohl in absoluter Höhe wie auch in Relation<br />
zu <strong>den</strong> erzielten Umsätzen gering ausfallen, wird durch Zahlen zu <strong>den</strong><br />
Erfolgsträchtigere Alternativen
Forschungsausgaben von Photovoltaikunternehmen bestätigt. Die<br />
bei<strong>den</strong> größten deutschen Solarunternehmen, Q-Cells und Solarworld,<br />
gaben im Jahr 2009 mit 26,5 Mio. Euro bzw. 12,0 Mio. Euro lediglich<br />
rund 1,2% bzw. 3,3% ihres Umsatzes <strong>für</strong> Forschung aus (Breyer 2010).<br />
Damit liegen diese noch vergleichsweise jungen Unternehmen weit<br />
hinter <strong>den</strong> F&E-Ausgaben traditioneller Firmen zurück. Siemens etwa<br />
investierte im Jahr 2008 mit 3,8 Mrd. Euro etwa 4,9% des Umsatzes in<br />
Forschung und Entwicklung, während Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich<br />
üblicherweise sehr hohe Forschungsausgaben tätigen. So<br />
investierte Roche 5,6 Mrd. Euro bzw. bis zu 19,4% ihres Umsatzes des<br />
Jahres 2008 in F&E (Booz & Company 2009).<br />
Auch die Deutsche Physikalische Gesellschaft kritisiert in ihrer<br />
Studie vom Juni 2010, dass trotz des massiv über das EEG unterstützten<br />
Marktes die F&E-Intensität der Photovoltaikindustrie in <strong>den</strong> vergangenen<br />
Jahren von 2 % auf unter 1,5 % des Umsatzes gesunken ist,<br />
wohingegen forschungsintensive Unternehmen wie große Pharmaunternehmen<br />
eine Forschungsintensität von 15 – 20 % aufweisen; Firmen<br />
der Computerbranche wie Intel oder Microsoft haben entsprechende<br />
F&E-Quoten von 15,2 % bzw. 13,8%. Zudem konzentrierten sich die geringen<br />
F&E-Aktivitäten der Solarbranche vorwiegend auf fertigungsnahe<br />
Aspekte (DPG 2010:102).<br />
Anstatt zur Technologieförderung, zu der die Finanzierung von<br />
Prototypen genügt (Kronberger Kreis 2009:34), wur<strong>den</strong> die Fördergelder<br />
<strong>für</strong> Erneuerbare folglich in weit überwiegendem Maße zur flächendecken<strong>den</strong><br />
Verbreitung von Anlagen benutzt. Von der so geförderten<br />
Verbreitung von Anlagen profitieren neben <strong>den</strong> heimischen<br />
auch ausländische Unternehmen. So stieg das 2001 gegründete chinesische<br />
Unternehmen Suntech Power vor allem aufgrund der deutschen<br />
Einspeisevergütungen in die Weltspitze der Photovoltaikmodulhersteller<br />
auf, während es in China bislang keine nennenswerte<br />
Förderung gab. Einspeisevergütungssysteme wie das EEG verschaffen<br />
der Konkurrenz offenkundig genau dieselben Chancen auf technolo-<br />
145<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
146<br />
gische Entwicklung und Export wie <strong>den</strong> heimischen Unternehmen.<br />
Wenngleich dies unter Wohlfahrtsgesichtspunkten nicht negativ bewertet<br />
wer<strong>den</strong> muss, entspricht dies nicht unbedingt der Zielsetzung<br />
der Förderung.<br />
Um die Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen zu verbessern,<br />
wäre folglich jeder Staat gut beraten, wenn er direkt auf F&E-Förderung<br />
setzen würde, anstatt auf die gießkannenartige und indirekte<br />
Förderung mittels Einspeisevergütungen, von der ausländische Unternehmen<br />
ebenso profitieren können und die nicht notwendigerweise<br />
zu hohen Forschungsaufwendungen privater Unternehmen führen.<br />
Entschei<strong>den</strong>d <strong>für</strong> die Erlangung tatsächlicher Wettbewerbsvorteile ist,<br />
dass gezielte Anreize geboten wer<strong>den</strong>, die zur Entwicklung besserer<br />
Technologien führen. In dieser Hinsicht versagt ein Einspeisevergütungssystem<br />
nahezu auf ganzer Linie, da es die Anreize <strong>für</strong> Innovationen<br />
weitgehend dadurch erstickt, dass jede Technologie Subventionen<br />
entsprechend ihres Wettbewerbsdefizits erhält. 24<br />
Die Internationale Energieagentur (IEA 2007:74,77) schlägt daher<br />
in ihrem Länderbericht zur Energiepolitik Deutschlands vor, andere<br />
24 Auch mit dem immer wieder angeführten Argument des First-Mover-Vorteils von Ländern,<br />
die im weltweiten Markt frühzeitig Fuß fassen und sich so vermeintlich langfristige Vorteile<br />
verschaffen könnten, ist es nicht weit her. Dass dieses Argument wenig haltbar ist, zeigt<br />
aktuell das Beispiel Deutschlands, das die Photovoltaiktechnologie nun seit einer Dekade<br />
mittels Einspeisevergütungen fördert − seit 2005 in extrem steigendem Maße − und <strong>den</strong>noch<br />
zunehmend mit der Dominanz der asiatischen Hersteller − vor allem aus China − auf dem<br />
Weltmarkt zu kämpfen hat. Obwohl die chinesischen Firmen sich keiner so exorbitanten<br />
nationalen Förderung erfreuen durften wie die deutschen Hersteller, konnten sich diese<br />
keinen entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Vorteil gegenüber <strong>den</strong> asiatischen Herstellern sichern. Im Gegenteil:<br />
Es ist wahrscheinlich, dass die hohen EEG-Vergütungen <strong>für</strong> Solarstrom eine Mitschuld an<br />
<strong>den</strong> Effizienznachteilen deutscher Unternehmen tragen, da die Anreize zu entsprechen<strong>den</strong><br />
Effizienzanstrengungen gefehlt haben. Bei dem Argument des First-Mover-Vorteils sollte zudem<br />
bedacht wer<strong>den</strong>, dass die Förderung der erneuerbaren Energietechnologien immer auch zu Lasten<br />
anderer Sektoren geht, die diese Vorreiterrolle mit zu finanzieren haben. Im Saldo betrachtet<br />
sind negative makroökonomische Effekte sehr wahrscheinlich, da produktive, wettbewerbsfähige<br />
Sektoren zugunsten der ansonsten nicht wettbewerbsfähigen Erneuerbaren-Branche<br />
geschwächt wer<strong>den</strong>. Um ein Bild zu verwen<strong>den</strong>: Es ist wenig wahrscheinlich, dass Deutschland<br />
im ökonomischen Wettlauf um die höchsten Wachstumsraten unter <strong>den</strong> besten Ländern sein<br />
wird, wenn es seine schnellsten Läufer dazu verpflichtet, ihr Tempo zugunsten seiner weniger<br />
konkurrenzfähigen Läufer zu drosseln, um diesen als Wasserträger zu dienen.<br />
Erfolgsträchtigere Alternativen
Instrumente als Einspeisevergütungen zur Förderung der Photovoltaik<br />
zu benutzen, welche vorwiegend die Forschung und Entwicklung<br />
dieser Technologie fördern und nicht deren flächendeckende Verbreitung.<br />
Diesem Ratschlag sollte die Kommission folgen und zu einer<br />
F&E-Förderung sämtlicher Energieumwandlungs- und -speichertechnologien<br />
übergehen, anstatt durch die Vorgabe symbolischer Ziele <strong>für</strong><br />
<strong>den</strong> Anteil der Erneuerbaren am Energiemix allein die Verbreitung<br />
von erneuerbaren Energietechnologienanlagen zu forcieren. Dies<br />
verhilft diesen Technologien nicht zu <strong>den</strong> entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> internationalen<br />
Wettbewerbsvorteilen, wie das Negativbeispiel der deutschen<br />
Photovoltaikförderung zeigt.<br />
Erfolgversprechender sollte ein Weg sein, bei dem die Kommission<br />
<strong>den</strong> Mitgliedsländern zur Energietechnologieförderung F&E-Ausgaben-Quoten<br />
in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) vorgibt.<br />
Damit kann eine sehr viel stärkere Forschungsförderung erfolgen als<br />
mit der Vorgabe von Erneuerbaren-Energien-Anteilen. Der Weg der<br />
sukzessiven Steigerung der F&E-Ausgabenanteile <strong>für</strong> Energietechnologien<br />
dürfte wegen der damit verbun<strong>den</strong>en Spill-Over-Effekte gleichzeitig<br />
auch umso effektiver <strong>für</strong> die langfristige Senkung der globalen<br />
Treibhausgasemissionen sein, je mehr Nachahmung das Beispiel weltweit<br />
findet. Der Weg zu einem globalen Abkommen mit Energieforschungsförderungszielen<br />
dürfte dann nicht mehr weit sein.<br />
147<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
7.<br />
Anpassung an die<br />
globale Erwärmung<br />
Zusätzlich zur Vermeidung von Emissionen gibt es die Möglichkeit,<br />
<strong>den</strong> Folgen der Klimaerwärmung durch Anpassung zu begegnen. Bestehen<br />
die Folgen etwa in einer Zunahme der Häufigkeit und Intensität<br />
von Stürmen, wo<strong>für</strong> es bislang allerdings keinen wissenschaftlichen<br />
Beweis gibt (Bouwer 2010), kann eine Anpassungsreaktion seitens des<br />
Staates in baurechtlichen, städtebaulichen und land- oder forstwirtschaftliche<br />
Maßnahmen bestehen.<br />
Zu <strong>den</strong> Anpassungsprozessen können viele andere Maßnahmen<br />
gehören, wie die Gewinnung neuer Anbauflächen und Siedlungsgebiete<br />
in derzeit noch zu kalten Regionen, falls diese durch die globale<br />
Erwärmung weniger unwirtlich wer<strong>den</strong>, Änderungen in der landwirtschaftlichen<br />
Produktion, die Umsiedelung der Bevölkerung von Inseln,<br />
die durch einen Meeresspiegelanstieg bedroht sind, oder eine Verbesserung<br />
der Malariaprävention.<br />
Emissionsvermeidung und Anpassung sind selbstverständlich<br />
keine Substitute hinsichtlich der Senkung von Emissionen. 25 Wohl aber<br />
149<br />
25 Zwischen der Vermeidungs- und Anpassungsstrategie gibt es einen Zusammenhang, der bisher in<br />
der politischen Debatte wie auch in der ökonomischen Literatur wenig Beachtung gefun<strong>den</strong> hat<br />
(Tol 2005): Setzt ein Land verstärkt auf Anpassungsmaßnahmen und reduziert demzufolge seine<br />
Minderungsanstrengungen, könnte dies in Umkehrung der Argumentation von Abschnitt 3 dazu<br />
führen, dass die übrigen Länder höhere Vermeidungsbemühungen unternehmen und so höhere<br />
Kosten übernehmen. >><br />
|Fortsetzung der Fußnote am nächsten Seitenende|<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
150<br />
sind beide Strategien substitutiv, wenn es darum geht, die Folgekosten<br />
der globalen Erwärmung zu minimieren. Denn man kann die Folgekosten<br />
entweder dadurch verringern, dass man weniger CO 2 emittiert<br />
oder dass man sich auf die mit dem CO 2 -Ausstoß verbun<strong>den</strong>en Folgen<br />
besser einstellt (Beirat BMF 2010:26).<br />
Die Anpassungsstrategie wurde bereits zu Beginn der Klimadebatte<br />
von Autoren wie William Nordhaus (1994) sehr ernsthaft diskutiert.<br />
Wenngleich diese Strategie in der aktuellen Klimadebatte etwas im<br />
Hintergrund steht, hat Deutschland erste wichtige Schritte in Richtung<br />
einer umfassenderen Anpassungsstrategie übernommen (Beirat<br />
BMF 2010:25). So wur<strong>den</strong> in der im Dezember 2008 beschlossenen<br />
„Deutschen Anpassungsstrategie an <strong>den</strong> Klimawandel“ zahlreiche Bereiche<br />
wie die Landwirtschaft oder das Gebiet der Gesundheit i<strong>den</strong>tifiziert,<br />
<strong>für</strong> die Bund und Länder bis 2011 einen detaillierten Aktionsplan<br />
vorlegen sollen.<br />
Der Grund ist, dass je nach Anpassungsmaßnahme diese vernünftigerweise<br />
auf einer von vielen unterschiedlichen Ebenen angesiedelt<br />
sein sollte, entweder auf internationaler, nationaler, Länder-,<br />
kommunaler oder gar individueller Ebene. So könnte es allein Sache<br />
der Hauseigentümer sein, ihr Wohneigentum durch bauliche Maßnahmen<br />
individuell gegen Sturmschä<strong>den</strong> zu wappnen. Alternativ<br />
oder ergänzend könnten entsprechende Versicherungen abgeschlossen<br />
wer<strong>den</strong>. Dieses Beispiel zeigt: Bei vielen Anpassungsmaßnahmen<br />
kann davon ausgegangen wer<strong>den</strong>, dass die individuellen Anpassungsentscheidungen<br />
auch sozial optimal sind und ein Staatseingriff nicht<br />
>> Eine solche Strategie kann in Umkehrung der Argumentation von Abschnitt 5 ferner dazu<br />
führen, dass sich die Chancen <strong>für</strong> das Zustandekommen eines weltweiten Klimaabkommens<br />
verbessern: „Sollte es auf der Seite der weniger entwickelten und armen Länder unrealistisch<br />
hohe oder übertriebene Erwartungen hinsichtlich der tatsächlichen Opferbereitschaft der<br />
Industrieländer geben, kann eine sichtbare und konsequent verfolgte Anpassungsstrategie<br />
seitens der entwickelten Industrienationen diese Erwartungen korrigieren helfen und so zu einer<br />
internationalen Konsensfindung beitragen“ (Beirat BMF 2010:27).<br />
Anpassung an die globale Erwärmung
notwendig ist, da individuelle und kollektive Kosten-Nutzen-Kalküle<br />
übereinstimmen.<br />
„Wer sein Haus gegen vermehrt drohende Sturmschä<strong>den</strong> absichert,<br />
berücksichtigt im Wesentlichen alle relevanten Vor- und Nachteile<br />
einer solchen Anpassungsmaßnahme. Hier muss und soll der<br />
Staat in die individuellen Anpassungsmaßnahmen nicht eingreifen.<br />
Lediglich wenn das individuelle vom kollektiven Kosten-Nutzen-Kalkül<br />
abweicht, ist der Staat in der Pflicht“ (Beirat BMF 2010:28). Dies ist<br />
etwa bei der Erhöhung von Deichen zum Schutz aller Einwohner einer<br />
Region vor <strong>den</strong> Folgen von Stürmen der Fall.<br />
Im Vergleich zu Anstrengungen zur Emissionsminderung haben<br />
Anpassungsmaßnahmen einige Vorteile. Erstens: Derjenige, der die<br />
Kosten der Anpassungsmaßnahme zu tragen hat, wie etwa ein Hausbesitzer,<br />
der die Dachbedeckung sturmtauglicher macht, hat <strong>den</strong> alleinigen<br />
oder zumindest <strong>den</strong> überwiegen<strong>den</strong> Nutzen davon. Im Gegensatz<br />
dazu trägt derjenige, der Minderungsmaßnahmen durchführt, die<br />
vollen Kosten da<strong>für</strong>, profitiert aber, wenn überhaupt, nur geringfügig<br />
davon, während der Hauptnutzen auf alle diejenigen entfällt, die unter<br />
der globalen Erwärmung etwas weniger zu lei<strong>den</strong> haben, falls diese<br />
Maßnahme sich als effektiv erweist.<br />
Es gibt daher ein Übergewicht an potentiellen Nutznießern von<br />
Minderungsmaßnahmen, während nur einige wenige die Kosten da<strong>für</strong><br />
zu tragen haben. Der Anreiz zu Minderungsanstrengungen dürfte<br />
demnach ungleich geringer sein als zur Durchführung von Anpassungsmaßnahmen.<br />
Das fundamentale Dilemma des Trittbrettfahrerverhaltens,<br />
das die Chancen auf eine effektive Verringerung der globalen<br />
Treibhausgase gegen Null gehen lässt, tritt folglich bei einer Strategie,<br />
die auf Anpassungsmaßnahmen setzt, nicht auf.<br />
Zweitens: Bei Minderungsanstrengungen gibt es eine große zeitliche<br />
Divergenz von Kosten und potentiellem Nutzen: Während der<br />
Nutzen dieser Maßnahmen sich erst sehr viel später zeigen wird, möglicherweise<br />
erst in Jahrzehnten, fallen die Kosten da<strong>für</strong> unmittelbar<br />
151<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
152<br />
an, wenn sie heute ergriffen wer<strong>den</strong>. Es ist eine höchst strittige gesellschaftliche<br />
Frage der Diskontierung, wie ein erst Jahrzehnte später anfallender<br />
Nutzen im Vergleich zu dem bereits heute anfallen<strong>den</strong> Kostenaufwand<br />
zu bewerten ist (Nordhaus 2007, Weitzman 2007, Stern<br />
2007). Ökonomisch zweifelsfrei ist lediglich, dass Aufwendungen von<br />
einer Milliarde Euro <strong>für</strong> Treibhausgasreduktionen heute höhere Kosten<br />
darstellen als eine Milliarde Euro <strong>für</strong> Anpassungsmaßnahmen in<br />
20 Jahren.<br />
Bei Anpassungsnahmen ist die zeitliche Diskrepanz zwischen Kosten<br />
und Nutzen in der Regel weit geringer. So wird man Maßnahmen<br />
zur Erhöhung von Deichen erst dann treffen, wenn absehbar ist, dass<br />
bei einem weiteren Meeresspiegelanstieg die bestehende Deichhöhe<br />
eventuell nicht mehr ausreicht. Ein wichtiger Vorteil der Anpassungsstrategie<br />
ist folglich, dass kein jahrzehntelanger Vorlauf benötigt wird,<br />
wie bei der Vermeidungspolitik (Beirat BMF 2010:30). Vielmehr können<br />
Anpassungsmaßnahmen relativ zeitnah und als Reaktion auf sich<br />
in ihrem Umfang vergleichsweise klar abzeichnende Umweltveränderungen<br />
ergriffen wer<strong>den</strong>.<br />
Drittens: Der Umfang der mit der globalen Erwärmung einhergehen<strong>den</strong><br />
Schä<strong>den</strong> ist gegenwärtig noch mit einer sehr hohen Unsicherheit<br />
behaftet. Wegen der potentiell irreversiblen Folgen des CO 2 -<br />
Ausstoßes müsste die Politik im Prinzip möglichst früh reagieren und<br />
Maßnahmen zur Senkung der CO 2 -Emissionen ergreifen. Denn: Lässt<br />
man ein zu hohes Emissionsniveau zu, wobei derzeit höchst unklar ist,<br />
was zu hoch bedeutet, könnten eventuelle gravierende Folgeschä<strong>den</strong><br />
nicht mehr vermie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Daher könnte die Politik geneigt sein,<br />
frühzeitig relativ hohe Vermeidungsanstrengungen zu unternehmen.<br />
Dies könnte sich als Fehler herausstellen, wenn die Folgeschä<strong>den</strong><br />
weitaus kleiner als erwartet ausfielen. Zu warten, bis sich die Unsicherheit<br />
über die Folgeschä<strong>den</strong> reduziert hat, wäre in diesem Fall<br />
kostensparend gewesen. Aus Sicht der Politik könnte es sich folglich<br />
lohnen, klimapolitische Maßnahmen in die Zukunft zu verschieben,<br />
Anpassung an die globale Erwärmung
falls die Unsicherheit über die Folgeschä<strong>den</strong> durch weitere Forschung<br />
nach und nach verringert wer<strong>den</strong> könnte. Diese Strategie des Abwartens<br />
könnte die Gesellschaft aber im schlimmsten Fall teuer zu stehen<br />
kommen.<br />
Ein Ausweg aus diesem Dilemma stellt die Anpassungsstrategie<br />
dar, die es zumindest teilweise gestattet, die Kosten sparende Option<br />
zu ergreifen, mit Gegenmaßnahmen zu warten, da man durch Anpassungsmaßnahmen<br />
schwerwiegende Folgen auch noch in Zukunft verringern<br />
kann (Beirat BMF 2010:29). Diese Option spart deshalb Kosten,<br />
weil sie der Politik erlaubt, heute auf teure Vermeidungsmaßnahmen<br />
zu verzichten, um im Eventualfall hohe künftige Folgeschä<strong>den</strong> durch<br />
entsprechend umfangreiche Anpassungsmaßnahmen zu bekämpfen.<br />
Viertens: Es besteht in der Wissenschaft Einigkeit darüber, dass<br />
die globale Erwärmung Verlierer, aber auch Gewinner hervorbringt<br />
(Tol 2010). Anpassungsmaßnahmen wer<strong>den</strong> indessen nur diejenigen<br />
ergreifen, die von der globalen Erwärmung negativ betroffen sind.<br />
Denjenigen Regionen, die von der globalen Erwärmung profitieren,<br />
bleiben bei einer Anpassungsstrategie die Vorteile erhalten. Im Gegensatz<br />
dazu wer<strong>den</strong> durch Minderungsanstrengungen eventuell die<br />
negativen, aber auch die positiven Auswirkungen einer globalen Erwärmung<br />
verringert.<br />
Während es nichtsdestoweniger unklar ist, ob es am Ende nicht wesentlich<br />
teurer kommt, allein auf Anpassungsmaßnahmen zu setzen,<br />
als im Falle, dass ausschließlich Anstrengungen zur Emissionsminderung<br />
ergriffen wer<strong>den</strong>, würde sich die reine Anpassungsstrategie letztlich<br />
in zwei Fällen als überlegen erweisen: Falls es sich herausstellen<br />
sollte, dass Treibhausgase und die anthropogene Beeinflussung ihrer<br />
Konzentration in der Atmosphäre entgegen <strong>den</strong> jetzigen, nicht gesicherten<br />
Erkenntnissen nur einen geringfügigen Einfluss auf die globale<br />
Erwärmung haben und diese weitgehend durch nicht-anthropogene<br />
Ursachen gesteuert wird, könnte es zum einen sein, dass es zu weit<br />
geringeren Auswirkungen auf das Klima kommt, als die heutigen Kli-<br />
153<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
mamodelle vorhersagen. In diesem Falle wür<strong>den</strong> kaum oder gar keine<br />
Anpassungsmaßnahmen erforderlich sein und die Kosten da<strong>für</strong> entsprechend<br />
gering sein oder gar nicht anfallen. Zum anderen könnten<br />
die nicht-anthropogenen Ursachen zu ähnlichen oder gar noch gravierenderen<br />
Auswirkungen führen als von <strong>den</strong> heutigen Klimamodellen<br />
vorhergesagt wird. Dann sind Anpassungsmaßnahmen die adäquatere<br />
Antwort, wohingegen Minderungsmaßnahmen in diesem Fall weitgehend<br />
nutzlos und im ersten Fall sogar überflüssig wären.<br />
154<br />
Anpassung an die globale Erwärmung
8.<br />
Zusammenfassung und<br />
Schlussfolgerung<br />
Klimapolitik ist eindeutig eine ökonomische Angelegenheit: Böhringer<br />
et al. (2010) schätzen, dass die Klimapolitik der Kommission die<br />
EU-Staaten im Jahr 2020 zwischen 1 und 4 % an Wohlfahrt kosten<br />
könnte. Eine gute Klimapolitik orientiert sich grundsätzlich am Prinzip<br />
des rationalen Mitteleinsatzes. Demnach sollte ein Ziel wie die<br />
Vermeidung der negativen Folgen der globalen Erwärmung mit möglichst<br />
geringen volkswirtschaftlichen Kosten umgesetzt wer<strong>den</strong>. In der<br />
Regel wird diesem Prinzip am ehesten ein Mix an kosteneffizienten<br />
Maßnahmen gerecht, der sich sowohl aus Anstrengungen zur Treibhausgasminderung<br />
zusammensetzt, die bis zu einem gewissen Maße<br />
durchgeführt wer<strong>den</strong>, als auch aus Maßnahmen zur Anpassung an die<br />
globale Erwärmung.<br />
Übermäßige Anstrengungen zur Vermeidung von Treibhausgasen<br />
sollten sich hingegen als ineffizient erweisen, vor allem, wenn nur<br />
ein Teil der bedeutendsten Staaten sich dazu verpflichtet (Nordhaus<br />
2009:51): Kosten-Nutzen-Analysen von Maßnahmen zur Treibhausgassenkung<br />
zeigen in der Tat, dass diese lediglich in einem begrenzten<br />
Umfang umgesetzt wer<strong>den</strong> sollten (Tol 2010). So argumentiert<br />
etwa Nordhaus (1993), dass die optimale Emissionsreduktionsrate<br />
gegenüber einem Szenario ohne eine jegliche globale Klimapolitik<br />
bei 10 – 15 % liegt. Demnach wäre die Klimapolitik der EU-Kommission<br />
nicht optimal, da sie <strong>den</strong> Staaten der Europäischen Union bis zum Jahr<br />
2020 eine Emissionsreduktion um 20 % gegenüber 1990 als Ziel ge-<br />
155<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
156<br />
setzt hat. Falls andere bedeutende Industrieländer sich zu ähnlichen<br />
substantiellen Anstrengungen verpflichten, würde die Kommission<br />
das Reduktionsziel <strong>für</strong> das Jahr 2020 sogar auf 30 % erhöhen.<br />
Eine solche Vorreiterrolle der Kommission bei Treibhausgasminderungsmaßnahmen<br />
wäre indessen nicht nur ineffizient, sie wäre sogar<br />
kontraproduktiv: Erstens wer<strong>den</strong> West- bzw. Osteuropa von zahlreichen<br />
Studien als die Gewinnerregionen der globalen Erwärmung<br />
angesehen (Tol 2010:16). So schätzt Maddison (2003), dass sich als Folge<br />
das BIP Westeuropas um 2,5 % erhöhen könnte.<br />
Zweitens können die hohen selbst gesetzten Emissionsminderungsziele<br />
dazu führen, dass andere Länder in ihren klimapolitischen<br />
Anstrengungen nachlassen, statt diese zu erhöhen. Denn: Je mehr die<br />
Europäische Union bereit ist zu tun, desto attraktiver wird es <strong>für</strong> die<br />
übrigen Länder, selbst weniger zu vermei<strong>den</strong>, da der Grenznutzen der<br />
eigenen Anstrengungen mit <strong>den</strong> Bemühungen der EU sinkt. Eine klimapolitische<br />
Vorreiterrolle der EU führt deshalb ten<strong>den</strong>ziell zu hohen<br />
Kosten, ohne dass eine entschei<strong>den</strong>de Reduzierung des globalen Emissionsniveaus<br />
sichergestellt wer<strong>den</strong> kann.<br />
Drittens können die besonderen Anstrengungen der EU die<br />
Chancen <strong>für</strong> das Zustandekommen eines globalen Abkommens verschlechtern,<br />
da die Verringerung des verbleiben<strong>den</strong> Vorteils aus einem<br />
globalen Klimaabkommen dessen Zustandekommen unwahrscheinlicher<br />
machen. Klimaabkommen müssen aber darauf gerichtet<br />
sein, möglichst alle Länder mit einzuschließen. Teilabkommen<br />
zwischen Ländern wie <strong>den</strong> EU-Mitgliedsstaaten führen hingegen aus<br />
<strong>den</strong>selben Grün<strong>den</strong> wie besondere Anstrengungen einer Staatengruppe<br />
wie der EU zu einem Nachlassen der Anstrengungen der übrigen<br />
Länder. Wenn wichtige Länder sich nicht beteiligen, kann es daher<br />
sinnvoll sein, auf ein Abkommen zu verzichten, selbst wenn eine<br />
Teilgruppe von Ländern sich einig sein sollte (Beirat BMF 2010:16), so<br />
wie dies bei <strong>den</strong> Mitgliedstaaten der Europäischen Union weitgehend<br />
der Fall ist.<br />
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
All diese Argumente sprechen gegen einen Alleingang der Europäischen<br />
Union, aber keinesfalls gegen Verhandlungen über ein effektives<br />
weltweites Abkommen. Für ein globales Abkommen über Treibhausgasrestriktionen<br />
stehen die Chancen allerdings <strong>den</strong>kbar schlecht. So<br />
wird sich der weltweit größte Treibhausgasemittent China mit Sicherheit<br />
keinerlei Emissionsbeschränkung unterwerfen wollen, wenn diese<br />
zulasten der wachsen<strong>den</strong> Prosperität dieses Landes gehen würde.<br />
Zu Recht würde China stattdessen zuerst von <strong>den</strong>jenigen Ländern<br />
ihren substantiellen Tribut verlangen, die in der Vergangenheit vorwiegend<br />
<strong>für</strong> <strong>den</strong> Anstieg der Treibhausgaskonzentration maßgeblich<br />
verantwortlich waren. Mit dem ebenso berechtigten Hinweis auf die<br />
geringe Effektivität verweigert der zweitgrößte Emittent, die USA, bereits<br />
heute einschnei<strong>den</strong>de Vermeidungsmaßnahmen, falls Schwellenländer<br />
wie China oder Indien sich nicht ebenfalls zu Minderungsanstrengungen<br />
verpflichten, die <strong>den</strong> künftigen Anstieg ihrer Emissionen<br />
deutlich dämpfen.<br />
Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma besteht in Politikalternativen<br />
zur Auferlegung von Emissionsrestriktionen (The Hartwell<br />
Paper 2010), bei <strong>den</strong>en die einzelnen Länder in erster Linie selbst<br />
von <strong>den</strong> zu ergreifen<strong>den</strong> Maßnahmen profitieren und daher ein hohes<br />
Eigeninteresse an deren Umsetzung haben. So dürfte ein weltweites<br />
Abkommen über eine sukzessive Erhöhung der Ausgaben <strong>für</strong> die Forschung<br />
und Entwicklung (F&E) von Energieumwandlungs- und -speichertechnologien<br />
eine realistische Chance auf ein Zustandekommen<br />
haben. Damit könnte man zwar nicht unmittelbar, so doch innerhalb<br />
einiger Jahrzehnte Treibhausgasminderungen erzielen − möglicherweise<br />
in massiver Weise, wie das Beispiel der Fusionstechnologie zeigt.<br />
Auch bei Anpassungsmaßnahmen an die globale Erwärmung, wie<br />
dem Bau oder der Erhöhung von Deichen, profitieren im Idealfall in<br />
erster Linie diejenigen davon, welche die Kosten da<strong>für</strong> zu tragen haben.<br />
Einer Strategie zur Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen<br />
kommt eine besonders hohe Bedeutung zu, weil zum einen Anstren-<br />
157<br />
Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
158<br />
gungen zur Emissionsminderung letztendlich wenig Aussicht auf<br />
Erfolg haben dürften und diese Strategie zum anderen zumindest<br />
teilweise gestattet, die Kosten sparende Option zu ergreifen, mit Vermeidungsmaßnahmen<br />
zu warten und stattdessen auf die F&E-Förderstrategie<br />
zu setzen. Denn: Durch Anpassungsmaßnahmen kann man<br />
die schwerwiegendsten Folgen auch noch in Zukunft verringern. Diese<br />
Option spart deshalb Kosten, weil sie der Politik erlaubt, heute auf teure<br />
Vermeidungsmaßnahmen zu verzichten, um im Eventualfall hohe<br />
künftige Folgeschä<strong>den</strong> durch Anpassungsmaßnahmen zu bekämpfen,<br />
deren Umfang sich vergleichsweise genau an <strong>den</strong> sich abzeichnen<strong>den</strong><br />
Folgen orientieren kann.<br />
In dasselbe Horn stößt Goklany (2009:35), der zeigt, dass eine fokussierte<br />
Anpassungsstrategie, bei der etwa Malaria direkt bekämpft<br />
wird, anstatt mit Vermeidungsmaßnahmen <strong>den</strong> Klimawandel und somit<br />
indirekt die damit verbun<strong>den</strong>e Verbreitung von Malaria mildern<br />
zu wollen, bei weitem einen größeren Nutzen haben würde als gar die<br />
intensivste Vermeidungsstrategie − und dies zu weitaus geringeren<br />
Kosten von lediglich einem Fünftel der Belastungen, die durch die Umsetzung<br />
des ineffektiven Kyoto--Protokolls zustande kommen (Goklany<br />
2009:30). Während der Nutzen von Vermeidungsmaßnahmen wegen<br />
der Unsicherheit der Wirkungen, die mit dem Klimawandel verbun<strong>den</strong><br />
sind, ebenfalls höchst ungewiss ist und sich erst nach Jahrzehnten herausstellen<br />
wird, gibt es keinen Zweifel, dass fokussierte Anpassungsmaßnahmen<br />
zur Bekämpfung sehr drängender aktueller und schwerwiegender<br />
Probleme wie Malaria, Hungersnöte und Überschwemmungen<br />
ganzer Küstenregionen in kürzester Zeit und mit großer Sicherheit<br />
einen weitaus größeren Nutzen stiften (Goklany 2009:25), da diese<br />
Geißeln der Menschheit derzeit ungleich höhere Schä<strong>den</strong> verursachen<br />
als der häufig in unzutreffender Weise als höchst gravierend dargestellte<br />
Klimawandel.<br />
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Literatur<br />
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Juan Carlos<br />
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BDEW (2001 bis 2009): EEG Jahresabrechnungen, Bundesverband der Energieund<br />
Wasserwirtschaft | Berlin<br />
Beirat BMF (2010): Klimapolitik zwischen Emissionsvermeidung<br />
und Anpassung | Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim<br />
Bundesministerium der Finanzen | Berlin, Januar 2010<br />
159<br />
BMU (2006): Erneuerbare Energien: Arbeitsplatzeffekte, Wirkungen des<br />
Ausbaus erneuerbarer Energien auf <strong>den</strong> deutschen Arbeitsmarkt | Kurzund<br />
Langfassung | Bundesministerium <strong>für</strong> Umwelt, Naturschutz und<br />
Reaktorsicherheit | Berlin<br />
BMU (2008): Kernelemente der neuen EU-Richtlinie zum Emissionshandel |<br />
Bundesministerium <strong>für</strong> Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit | Berlin<br />
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Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
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Wissenschaftliche Beirat der Stiftung Marktwirtschaft. Ihm gehören Juergen<br />
B. Donges, Johann Eekhoff, Lars P. Feld, Werner Möschel und Manfred J. M.<br />
Neumann an.<br />
Lüdecke, H.-J. (2008): CO2 und <strong>Klimaschutz</strong> – Fakten, Irrtümer, Politik |<br />
2. Auflage | Bouvier<br />
Maddison, D.J. (2003): The Amenity Value of the Climate: The Household<br />
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Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
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Weimann, J. (1994): Umweltökonomik, eine theorieorientierte Einführung,<br />
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Weitzman, M. L. (2007): A Review of The Stern Review on the Economics of<br />
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Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv
Die Autoren<br />
Ross McKitrick<br />
Manuel Frondel<br />
Die Herausgeber<br />
Steffen Hentrich<br />
Holger Krahmer
Ross McKitrick<br />
Ross McKitrick ist Professor der Wirtschaftswissenschaften (Umweltökonomie)<br />
an der University of Guelph in Ontario. Außerdem ist<br />
er Senior Fellow des Fraser Institute in Vancouver, ein Mitglied des<br />
Academic Advisory Boards des John Deutsch Institute in Kingston,<br />
Ontario und der Global Warming Policy Foundation in London, Großbritannien.<br />
Seine Forschungsinteressen erstrecken sich auf das Modellieren<br />
des Verhältnisses zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Schadstoffemissionen,<br />
das Design von Regulierungsmechanismen sowie<br />
auf verschie<strong>den</strong>e Aspekte der Wissenschaft und der Politik der globalen<br />
Erwärmung. Seine Forschungsergebnisse wur<strong>den</strong> in führen<strong>den</strong><br />
wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, wie dem Journal<br />
of Environmental Economics and Management, Energy Economics,<br />
Economic Modeling, dem Canadian Journal of Economics, Empirical<br />
Economics, dem Energy Journal sowie Environmental and Resource<br />
Economics. Seine physikalischen Forschungsergebnisse erschienen in<br />
Zeitschriften wie dem Journal of Geophysical Research, <strong>den</strong> Geophysical<br />
Research Letters, <strong>den</strong> Atmospheric Science Letters, dem Journal of<br />
Non-Equilibrium Thermodynamics and <strong>den</strong> Proceedings of the National<br />
Academy of Sciences.<br />
Er ist Autor des Lehrbuchs „Economic Analysis of Environmental<br />
Policy” (University of Toronto Press 2010) und veröffentlichte 2002 zusammen<br />
mit Christopher Essex von der University of Western Ontario<br />
das Buch „Taken by Storm: The Troubled Science, Policy and Politics of<br />
Global Warming” (2. überarbeitete Auflage 2008), ausgezeichnet mit<br />
dem Donner Prize for the Best Book on Canadian Public Policy.<br />
169<br />
Die Autoren und Herausgeber
Manuel Frondel<br />
170<br />
Prof. Dr. Manuel Frondel ist Diplom-Physiker und Diplom-Wirtschaftsingenieur<br />
und führt seit 2003 die Forschungsabteilung <strong>für</strong> Umwelt<br />
und Ressourcen des Rheinisch-Westfälischen Instituts <strong>für</strong> Wirtschaftsforschung<br />
(RWI). Seit 2009 ist er Professor <strong>für</strong> Energieökonomik und<br />
angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2001<br />
bis 2003 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum <strong>für</strong> Europäische<br />
Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim und Professor in<br />
Teilzeit an der Hochschule Heilbronn. Er hat an der wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Fakultät der Universität Heidelberg promoviert.<br />
Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Umwelt-, Ressourcen-<br />
und Energieökonomik. Prof. Frondel hat in führen<strong>den</strong> Zeitschriften,<br />
wie der Review of Economics and Statistics und <strong>den</strong> Economic<br />
Letters, Beiträge veröffentlicht.<br />
Die Autoren und Herausgeber
Steffen Hentrich<br />
Steffen Hentrich ist Referent am Liberalen Institut der Friedrich-<br />
Naumann-Stiftung <strong>für</strong> die Freiheit in Potsdam. Nach seinem Studium<br />
der Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Universität Berlin<br />
war er Mitarbeiter am Institut <strong>für</strong> Wirtschaftsforschung in Halle und<br />
arbeitete <strong>für</strong> mehrere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim<br />
Sachverständigenrat <strong>für</strong> Umweltfragen. Er hat sich auf Umwelt- und<br />
Ressourcenfragen spezialisiert.<br />
171<br />
Die Autoren und Herausgeber
Holger Krahmer<br />
172<br />
Holger Krahmer wurde 1970 in Leipzig geboren. Nach der Schulzeit<br />
und einer Berufsausbildung zum Instandhaltungsmechaniker begann<br />
er 1990 seine berufliche Laufbahn als Bankkaufmann bei der<br />
Commerzbank AG. Seit 1993 ist er Mitglied der FDP und seit 2004 Vorstand<br />
der GANOS Kaffee-Kontor & Rösterei AG in Leipzig.<br />
Im Juni 2004 wurde er erstmals in das Europäische Parlament gewählt.<br />
Er ist Mitglied des Parlamentsausschusses <strong>für</strong> Umwelt, Volksgesundheit<br />
und Lebensmittelsicherheit und stellvertretendes Mitglied<br />
im Ausschuss <strong>für</strong> Industrie, Forschung und Energie. Als Berichterstatter<br />
des Parlaments bzw. der liberal-demokratischen Fraktion ALDE war<br />
er federführend an EU-Gesetzgebungen unter anderem zur Luftreinhaltung,<br />
zur Minderung von CO 2 -Emissionen und der Arzneimittelzulassung<br />
beteiligt. So arbeitete er an <strong>den</strong> EU-Richtlinien <strong>für</strong> Luftqualität,<br />
Industrieemissionen, an Luftschadstoffnormen <strong>für</strong> Pkw, leichte<br />
Nutzfahrzeuge sowie schwere Lkw und Busse. Auch an der Richtlinie<br />
zur Einbeziehung des Luftverkehrs in <strong>den</strong> CO 2 -Emissionshandel und<br />
der Verordnung zur Vermeidung von Arzneimittelfälschungen war er<br />
federführend beteiligt.<br />
Im Jahr 2010 veröffentlichte er die viel diskutierte Schrift „Unbequeme<br />
Wahrheiten über die Klimapolitik und ihre wissenschaftlichen<br />
Grundlagen“.<br />
Die Autoren und Herausgeber
Wissenschaftler, Medien und Politiker scheinen sich einig: Der<br />
Klimawandel ist Realität und der Mensch ist schuld daran. Es<br />
muss etwas geschehen – koste es, was es wolle. Doch der Schein<br />
trügt: Noch steckt die Klimaforschung in <strong>den</strong> Kinderschuhen,<br />
kämpft mit ungenauen Daten und einer Natur, die sich auch mit<br />
<strong>den</strong> komplexesten Modellen nicht zufrie<strong>den</strong>stellend beschreiben<br />
lässt. Zukunftsprognosen bleiben Kaffeesatzleserei.<br />
Angesichts dieser Unsicherheiten zerbrechen sich die Experten<br />
<strong>den</strong> Kopf, wie dem Problem Herr zu wer<strong>den</strong> ist. Für die einen<br />
steht das Klima und damit die Zukunft von Natur und Menschheit<br />
auf dem Spiel, die anderen sehen in klimapolitischem Aktionismus<br />
eine Gefahr <strong>für</strong> Wohlstand und Entwicklung. Folglich<br />
wird auf dem Basar der internationalen Klimapolitik von der Beschleunigung<br />
des grünen Wachstumsmotors bis zum kräftigen<br />
Tritt auf die <strong>Klimaschutz</strong>bremse alles feilgeboten. Kein Wunder,<br />
dass die Verhandlungen feststecken.<br />
Nur ein <strong>Realitätscheck</strong> kann die Situation noch retten. Die Wirtschaftswissenschaftler<br />
Ross McKitrick und Manuel Frondel<br />
decken unangenehme Wahrheiten auf und weisen einen Weg<br />
aus der Sackgasse der Klimapolitik.<br />
ISBN 978-3-00-036040-4 | Print<br />
ISBN 978-3-00-036041-1 | eBook