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Realitätscheck für den Klimaschutz

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<strong>Realitätscheck</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>den</strong><br />

<strong>Klimaschutz</strong><br />

Globale Klimapolitik zwischen<br />

Anspruch und Wirklichkeit<br />

Herausgeber<br />

Steffen Hentrich<br />

Holger Krahmer


<strong>Realitätscheck</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong> <strong>Klimaschutz</strong>


<strong>Realitätscheck</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong> <strong>Klimaschutz</strong><br />

Globale Klimapolitik zwischen<br />

Anspruch und Wirklichkeit<br />

Eine vernünftige<br />

Klimapolitik<br />

in einer Welt voller<br />

Unsicherheiten<br />

Ross McKitrick<br />

Die EU-Klimapolitik:<br />

Teuer und ineffektiv<br />

Manuel Frondel<br />

Herausgeber<br />

Steffen Hentrich<br />

Holger Krahmer


© 2011<br />

Die Autoren und Herausgeber<br />

Herausgeber<br />

Steffen Hentrich<br />

Holger Krahmer<br />

Autoren<br />

Ross McKitrick<br />

Manuel Frondel<br />

Titelgestaltung, Layout, Satz<br />

RAUM II<br />

Agentur <strong>für</strong> visuelle Kommunikation<br />

Christoph Jahn | Frank Ekelmann<br />

www.raum-zwei.com<br />

Übersetzung aus dem Englischen<br />

Tanja Felder<br />

www.sprachfelder.de<br />

Lektorat<br />

Ewald Oetzel<br />

Druck<br />

Förster & Borries GmbH & Co. KG<br />

www.foebo.de<br />

Steffen Hentrich<br />

Friedrich-Naumann-Stiftung <strong>für</strong> die Freiheit<br />

Liberales Institut<br />

Referent | Senior Research Fellow<br />

Karl-Marx-Straße 2<br />

14482 Potsdam<br />

Telefon +49 331 7019129<br />

steffen.hentrich@freiheit.org<br />

www.freiheit.org<br />

Holger Krahmer<br />

Mitglied des Europäischen Parlaments<br />

Abgeordnetenbüro ‘krahmerla<strong>den</strong>’<br />

Nonnenmühlgasse 1<br />

04109 Leipzig<br />

Telefon +49 341 2535580<br />

info@holger-krahmer.de<br />

www.holger-krahmer.de<br />

Erste Auflage<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

Dieses Werk oder Teile des Werkes dürfen<br />

nicht ohne die schriftliche Genehmigung der<br />

Herausgeber vervielfältigt, in Datenbanken<br />

gespeichert oder in irgendeiner Form<br />

übertragen wer<strong>den</strong>.<br />

Papier<br />

Inhalt: Profibulk 1.3, 115 g/m²<br />

Bezug: Profisilk, 140 g/m²<br />

ISBN 978-3-00-036040-4 | Print<br />

ISBN 978-3-00-03604 1- 1 | eBook<br />

Printed in Germany


Inhalt<br />

Vorwort 7<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik 13<br />

in einer Welt voller Unsicherheiten<br />

Ross McKitrick<br />

1. Einleitung 15<br />

2. Theoretische Grundlagen der Klimapolitik 29<br />

3. Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s 47<br />

4. Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse 79<br />

bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise<br />

5. Schlussfolgerungen 91<br />

Literatur 95<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv 103<br />

Manuel Frondel<br />

1. Einleitung 105<br />

2. Der geringe Effekt der 109<br />

Treibhausgasminderungspolitik der EU<br />

3. Kontraproduktive internationale Rückwirkungen 119<br />

4. Mangelnde Kosteneffizienz der 123<br />

Treibhausgasminderungspolitik der EU<br />

5. Schlechte Chancen <strong>für</strong> ein globales 135<br />

Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung<br />

6. Erfolgsträchtigere Alternativen 141<br />

7. Anpassung an die globale Erwärmung 149<br />

8. Zusammenfassung und Schlussfolgerung 155<br />

Literatur 159<br />

Die Autoren und Herausgeber 167


Vorwort<br />

Steffen Hentrich | Holger Krahmer<br />

Die derzeitige klimapolitische Diskussion geht von der Prämisse aus,<br />

dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das globale Klima und<br />

<strong>den</strong> darauf wirken<strong>den</strong> Einfluss des Menschen hinreichend sind, um daraus<br />

schon heute klare Handlungsempfehlungen <strong>für</strong> eine langfristige<br />

Klimapolitik ableiten zu können. Ebenso vorherrschend ist der Glaube,<br />

dass internationale Abkommen möglich und derzeit praktizierte und<br />

geplante <strong>Klimaschutz</strong>maßnahmen wirksam sind. Bei näherer Betrachtung<br />

wird jedoch die Realitätsferne dieser Annahmen offensichtlich.<br />

Tatsächlich gehen die Einschätzungen über die Validität der herrschen<strong>den</strong><br />

wissenschaftlichen Lehre über die Ursachen und das Ausmaß des<br />

Klimawandels unter <strong>den</strong> Experten der unterschiedlichsten wissenschaftlichen<br />

Disziplinen weit auseinander. Um Klimamodelle und Klimadaten<br />

gibt es einen intensiven wissenschaftlichen Disput.<br />

Doch nicht nur die naturwissenschaftliche Dimension des Klimawandels<br />

ist heiß umstritten, sondern auch die Frage nach einer angemessenen<br />

Reaktion auf die globalen Klimaveränderungen und die geeignete<br />

Implementierung klimapolitischer Maßnahmen. Obwohl sich<br />

Klimawissenschaftler ebenso wie Umweltpolitiker der herrschen<strong>den</strong><br />

Unsicherheiten bewusst sein sollten, wer<strong>den</strong> die damit verbun<strong>den</strong>en<br />

Herausforderungen <strong>für</strong> die menschliche Handlungsfähigkeit in der<br />

internationalen Klimapolitikarena selten zugegeben. Hinter dieser<br />

Kulisse der Sicherheit sind die unterschiedlichsten Interessengruppen<br />

schon längst dabei, die Löcher der wissenschaftlichen Erkenntnis mit<br />

7<br />

Vorwort


8<br />

<strong>den</strong> notwendigen Zutaten <strong>für</strong> die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen<br />

zu stopfen. Kein Wunder, dass es dem Sammelsurium der derzeitig<br />

praktizierten <strong>Klimaschutz</strong>instrumente an Effektivität und Effizienz<br />

fehlt. Selbst in der heilen Welt des Klimakonsenses kommt man nicht<br />

umhin, die Risse in der Fassade der wackligen Konstruktion internationaler<br />

Vereinbarungen anzuerkennen. Wo politische Entscheidungslogik,<br />

Lobbyismus und der Glaube an eine ökologisch motivierte Wirtschaftslenkung<br />

geprägte Ideologie regiert, ist wenig Platz <strong>für</strong> Rationalität<br />

und wirtschaftliche Freiheit.<br />

Rationale Klimapolitik muss sich der Herausforderung der naturwissenschaftlichen<br />

und sozioökonomischen Unsicherheiten stellen,<br />

nicht nur um <strong>den</strong> derzeitigen Stillstand der internationalen Klimaverhandlungen<br />

zu been<strong>den</strong>. Der Wohlstand der Menschen in der entwickelten<br />

Welt steht ebenso auf dem Spiel wie die Entwicklungsoptionen<br />

in <strong>den</strong> ärmsten Regionen unseres Planeten. Unter <strong>den</strong> gegebenen<br />

technologischen Bedingungen ist die künstliche Verknappung von<br />

reichlich vorhan<strong>den</strong>en und kostengünstig nutzbaren fossilen Energieträgern<br />

ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis <strong>für</strong> Produktivitätsfortschritte,<br />

die notwendig sind, Millionen Menschen auf der Erde angemessen<br />

zu ernähren sowie menschenwürdige Lebensbedingungen<br />

und realistische Entwicklungschancen zu ermöglichen. Wir wissen bis<br />

heute nicht, ob eine Konzentration auf die Vermeidung von Treibhausgasemissionen<br />

in der Klimapolitik ein wirksamer Weg zur Verhinderung<br />

der be<strong>für</strong>chteten Folgen eines globalen Klimawandels ist. Unter<br />

<strong>den</strong> Bedingungen ungenauer Kenntnis der Zusammenhänge zwischen<br />

klimatischen Veränderungen und wirtschaftlichen Aktivitäten und<br />

<strong>den</strong> hohen Unsicherheiten über die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung<br />

ist ein verantwortlicher Umgang mit knappen Ressourcen<br />

unumgänglich, will eine Gesellschaft Hemmnisse <strong>für</strong> ihre zukünftigen<br />

Entwicklung möglichst gering halten. Mehr Wohlstand und weniger<br />

Umweltverschmutzung sind gemeinsam nur zu erreichen, wenn wir<br />

mit <strong>den</strong> uns zur Verfügung stehen<strong>den</strong> Mitteln so effizient wie möglich<br />

Steffen Hentrich | Holger Krahmer


umgehen. Wenn nicht, riskieren wir wertvolle Entwicklungsoptionen<br />

<strong>für</strong> die heute leben<strong>den</strong> Menschen und zukünftige Generationen.<br />

Doch nicht nur die sozioökonomischen Folgen des herrschen<strong>den</strong><br />

klimapolitischen Paradigmas geben Anlass zur Sorge, auch die im<br />

Namen des <strong>Klimaschutz</strong>es immer stärker um sich greifende Erosion<br />

bürgerlicher Freiheiten ist alarmierend. Grundlegende Menschenrechte<br />

stehen ebenso auf dem Spiel wie Entwicklung und Fortschritt.<br />

Auch aus diesem Grund ist eine flexiblere und effiziente Klimapolitik<br />

unumgänglich, eine Klimapolitik, die sich statt an starren Zielen<br />

am sich wandeln<strong>den</strong> Wissen orientiert und sich auf Maßnahmen beschränkt,<br />

die nachweislich die Belastungen <strong>für</strong> die Bürger minimieren.<br />

Das bedeutet eine Kombination eines maßvollen Einsatzes effizienter<br />

Instrumente zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen<br />

und von Maßnahmen zur Anpassung an <strong>den</strong> Klimawandel, die mit<br />

einem Minimum an Eingriffen in Märkte und die individuellen Rechte<br />

der Bürger auskommen.<br />

Dieses Buch versucht die Lücke zwischen dem Allmachtsanspruch<br />

der Klimapolitik und dem nach menschlichem Ermessen sinnvollen<br />

Beitrag zur Vorsorge in einer Welt unsicherer zukünftiger Entwicklungen<br />

zu schließen, offensichtliche Schwächen der Klimapolitik aufzudecken<br />

und Alternativen zu beschreiben.<br />

Ross McKitrick analysiert hierzu die wohlfahrtsökonomischen Voraussetzungen<br />

der Klimapolitik unter naturwissenschaftlichen und<br />

sozioökonomischen Unsicherheiten, zeigt diese anhand jüngster Ergebnisse<br />

der empirischen und modellorientierten Klimaforschung auf<br />

und zieht daraus Schlussfolgerungen <strong>für</strong> die praktische Klimapolitik.<br />

Kern seiner Empfehlung ist eine Emissionsabgabe, deren Höhe entsprechend<br />

einer transparent nachvollziehbaren Entscheidungsregel flexibel<br />

an beobachtbare Temperaturentwicklungen angepasst wer<strong>den</strong> kann.<br />

Ein derartiges <strong>Klimaschutz</strong>instrument vermeidet die Gefahr politischer<br />

Überreaktionen oder systematischer Fehleinschätzungen des notwendigen<br />

Umfangs von Vermeidungsmaßnahmen und veranlasst die be-<br />

9<br />

Vorwort


10<br />

troffenen Akteure eigene Prognosen klimatischer Veränderungen ohne<br />

interessengeleitete Manipulation der Ergebnisse zur Verfügung zu stellen.<br />

Eine derartige Abgabe zeichnet sich nicht nur durch ökonomische<br />

Vorteile gegenüber der heutigen Mengensteuerung in der Klimapolitik<br />

aus, sondern vermag auch der sich immer weiter verschärfen<strong>den</strong> Politisierung<br />

der Klimawissenschaft entgegenzuwirken.<br />

Manuel Frondel arbeitet sich durch die Defizite der Klimapolitik<br />

der Europäischen Union und zeigt die Ursachen <strong>für</strong> ihren Mangel an<br />

Wirksamkeit und Effizienz auf. Wirtschaftswissenschaftliche Überlegungen<br />

und praktische Beobachtungen zeigen dabei eindrucksvoll, welche<br />

gefährlichen Folgen der Glaube an eine europäische Vorreiterrolle<br />

in der Klimapolitik haben kann. Klimapolitischer Pragmatismus würde<br />

dahingegen viel stärker auf sich evolutionär entwickelnde Strategien<br />

setzen, die sich auf regional wirksame Anpassungsmaßnahmen und die<br />

Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich emissionsreduzierender<br />

Energieumwandlungstechnologien konzentrieren.<br />

Rationale Klimapolitik kann ohne Opfer an Wohlstand und Freiheit<br />

auskommen. Doch <strong>für</strong> <strong>den</strong> dazu notwendigen Politikwandel ist<br />

eine offene Debatte über Ursachen und Lösungsalternativen der Probleme<br />

des Klimawandels unumgänglich. Dieser Herausforderung will<br />

sich dieses Buch stellen.<br />

Steffen Hentrich | Potsdam<br />

Holger Krahmer | Leipzig<br />

Juli 2011<br />

Steffen Hentrich | Holger Krahmer


Mit besonderem Dank der<br />

Herausgeber an die<br />

Friedrich-Naumann-Stiftung<br />

<strong>für</strong> die Freiheit


Ross McKitrick<br />

Eine vernünftige<br />

Klimapolitik<br />

in einer Welt voller<br />

Unsicherheiten


1.<br />

Einleitung<br />

Zwanzig Jahre Misserfolg<br />

„Wir müssen der unschönen Wahrheit ins Auge blicken und erkennen, dass<br />

der klimapolitische Prozess am Ende ist. 2012 läuft das einzige Abkommen<br />

zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen – das Kyoto-Protokoll – aus. Die<br />

Hoffnung auf <strong>den</strong> Abschluss eines Nachfolgeabkommens vor diesem Zeitpunkt<br />

ist nicht realistisch: Über das bestehende Abkommen wurde fünf lange Jahre<br />

verhandelt; acht weitere gingen ins Land, bevor es schließlich in Kraft trat.<br />

Hinsichtlich einer echten Hoffnung auf globales Handeln gegen <strong>den</strong> Klimawandel<br />

liegen wir heute weit hinter dem Stand von 1997 oder sogar 1992 zurück. Und<br />

dabei geht es nicht nur darum, dass wir 18 wertvolle Jahre verloren haben. In der<br />

Zeit der guten Absichten und großen Worte haben wir letztlich sogar Rückschritte<br />

gemacht. |...| Wie sollen wir mit der Tatsache umgehen, die wir zu verdrängen<br />

suchten, nämlich dass in 18 Jahren vollmundiger Versprechungen und großer<br />

Töne nichts geschehen ist?“<br />

15<br />

George Monbiot<br />

Guardian Newspaper | 20. September 2010<br />

In diesem Beitrag geht es um die Gestaltung einer Politik zur Bekämpfung<br />

der globalen Erwärmung durch eine Reduzierung von Treibhausgasemissionen<br />

(THG), insbesondere Kohlendioxid (CO 2 ). Mit dem Erdgipfel<br />

der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro im Jahr 1992 erlangte<br />

das Thema große politische Aufmerksamkeit. Doch trotz zwanzig<br />

Jahre intensiver Arbeit, die durch ein annähernd globales Einvernehmen<br />

der politischen und gesellschaftlichen Eliten darüber geprägt<br />

war, dass es sich bei der globalen Erwärmung um eine Krise handelt,<br />

die ein unverzügliches und weit reichendes Eingreifen erfordert, so-<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


16<br />

wie wiederholter Äußerungen von Spitzenpolitikern, entschlossen<br />

handeln zu wollen, wur<strong>den</strong> letztlich kaum kohärente politische Maßnahmen<br />

auf <strong>den</strong> Weg gebracht. Im Gegenteil: Die Staaten scheiterten<br />

mehrfach in dem Versuch, sich auf Abkommen oder andere Koordinierungsmechanismen<br />

zu einigen, und auch darüber, was in absehbarer<br />

Zukunft getan wer<strong>den</strong> könnte oder sollte, scheint nur wenig Einigkeit<br />

zu herrschen.<br />

Dieser Umstand ist meiner Meinung nach im Wesentlichen darauf<br />

zurückzuführen, dass es in der Vergangenheit nicht gelungen ist, die<br />

Klimapolitik auf eine ökonomisch vernünftige Grundlage zu stellen.<br />

Ein Großteil der populärsten klimapolitischen Ideen ist aus ökonomischer<br />

Sicht nicht durchführbar und alle dahingehen<strong>den</strong> Bestrebungen<br />

legen letztlich nur das Fundament <strong>für</strong> ihr späteres Scheitern. Ein zufrie<strong>den</strong>stellender<br />

Fortschritt in der Klimapolitik ist daher nicht absehbar,<br />

solange wir uns nicht eingestehen, dass die bestehen<strong>den</strong> globalen<br />

Initiativen auf tönernen Füßen stehen und eine grundlegend andere<br />

Richtung eingeschlagen wird.<br />

In diesem Beitrag möchte ich zunächst die meines Erachtens<br />

bestehen<strong>den</strong> vier grundlegen<strong>den</strong> Mängel der aktuellen Klimapolitik<br />

darlegen: Erstens haben weder die Bürokratie noch die Politik erkannt,<br />

dass es sich bei CO 2 um einen Sonderfall handelt, der nicht in eine Reihe<br />

mit <strong>den</strong> vorherrschen<strong>den</strong> Umweltthemen der 1970er und 1980er<br />

Jahre wie Schwefeldioxid-Emissionen (SO 2 ) und Fluorchlorkohlenwasserstoff-Emissionen<br />

(FCKW) gestellt wer<strong>den</strong> kann, zu deren wirksamer<br />

Bekämpfung konventionelle Institutionen ausreichend waren. Die<br />

Verhandlungsmechanismen und politischen Initiativen zur Lösung<br />

dieser Probleme wur<strong>den</strong> einfach auf die CO 2 -Problematik übertragen,<br />

ohne <strong>für</strong> diese jedoch passende Lösungen bieten zu können.<br />

Zweitens ist es der Politik nicht gelungen, mit dem Anstieg der in<br />

der Ökonomie als Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) bezeichneten<br />

Kostenfunktion der Klimapolitik angemessen umzugehen, d. h. zu verstehen,<br />

in welchem Maße die Kosten <strong>für</strong> die Optionen zur Vermeidung<br />

Einleitung


von CO 2 bei Ausweitung der Ziele zur Emissionsreduzierung steigen.<br />

Das führt dazu, dass politische Ziele verfolgt wer<strong>den</strong>, die höhere Kosten<br />

verursachen, als die Öffentlichkeit zu akzeptieren bereit ist. Einige<br />

Verfechter dieses politischen Vorgehens versuchten zu zeigen, dass die<br />

Politik zur Reduzierung von Treibhausgasen ökonomische Vorteile mit<br />

sich bringen kann. Tatsächlich fußt ein Großteil der Rhetorik der jüngsten<br />

Vergangenheit in Bezug auf eine „grüne Ökonomie“ auf dieser irrigen<br />

Behauptung. In Wahrheit verhält es sich jedoch so, dass politische<br />

Maßnahmen, die ausreichen wür<strong>den</strong>, um die allgemein vorgebrachten<br />

Ziele zur Emissionsreduzierung zu erreichen, mit <strong>den</strong> aktuell existieren<strong>den</strong><br />

Technologien deutlich höhere Kosten verursachen wür<strong>den</strong>, als<br />

die Öffentlichkeit zu tragen bereit ist, und auch deutlich höhere Kosten,<br />

als die Politiker, die diesen Weg verfechten, sich vor Augen zu führen<br />

scheinen. Die Art der von der Politik regelmäßig vereinbarten Ziele<br />

entbehrt folglich, angesichts des dabei ausbleiben<strong>den</strong> Erfolgs, diese zu<br />

erreichen, jeglicher demokratischen Legitimation.<br />

Drittens zeigt eine ökonomische Analyse, dass die Politik zur Reduzierung<br />

der Treibhausgase Emissionspreise anstelle von Emissionsgrenzen<br />

festsetzen sollte. Die Regulierungsbehör<strong>den</strong> haben die Wahl,<br />

ob sie einen Preis <strong>für</strong> Emissionen fixieren und <strong>den</strong> Markt über die<br />

Menge entschei<strong>den</strong> lassen oder ob sie es bevorzugen, ein Emissionsziel<br />

vorzuschreiben und <strong>den</strong> Markt <strong>den</strong> Preis bestimmen zu lassen – beides<br />

zugleich geht nicht. Aus technischen Grün<strong>den</strong> wissenschaftlicher<br />

und ökonomischer Natur sind Preismechanismen geeigneter als eine<br />

Strategie zur Regulierung von Treibhausgasen. Alle bis heute durchgeführten<br />

größeren globalen Initiativen, einschließlich des Kyoto-Protokolls<br />

und ähnlicher Instrumente, legten ihren Schwerpunkt <strong>den</strong>noch<br />

auf Mengenbegrenzungen. Eine Begrenzung der Emissionsmengen<br />

oder, noch schlimmer, indirekte regulatorische Maßnahmen zur Veränderung<br />

des Energieverbrauchsverhaltens sind kostenintensiv, intrusiv<br />

und häufig nutzlos. Eine große Herausforderung, beim Versuch, die<br />

globale Klimapolitik auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, liegt<br />

17<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


18<br />

also darin, die Diskussion auf die Wahl einer Preis- statt einer Mengensteuerung<br />

umzulenken. Richtet sich das Augenmerk hingegen weiter<br />

auf Mengenbegrenzungen, steht fest, dass die kommen<strong>den</strong> zwanzig<br />

Jahre ein ebenso kostenintensiver Misserfolg sein wer<strong>den</strong> wie die vergangenen.<br />

Schließlich ergibt sich <strong>für</strong> die Politik aus <strong>den</strong> großen Unsicherheiten,<br />

<strong>den</strong> langen Planungshorizonten sowie der Erwartung, dass in<br />

<strong>den</strong> kommen<strong>den</strong> Jahren einschlägige neue Informationen über das<br />

Ausmaß der Umweltschädigung durch Treibhausgasemissionen und<br />

die Kosten zu deren Vermeidung vorliegen wer<strong>den</strong>, die Notwendigkeit,<br />

sich primär auf zustandsabhängige (bzw. anpassungsfähige) Preisregelungen<br />

anstatt auf starre, langfristige Verpflichtungen zur Emissionsbegrenzung<br />

zu konzentrieren.<br />

Ziel dieses Beitrags ist es, die konventionelle Auffassung von der<br />

globalen Klimapolitik grundlegend in Frage zu stellen. Wer sich dem<br />

aktuellen politischen Handlungsrahmen stark verbun<strong>den</strong> fühlt und<br />

eine solch umfassende Neubewertung ablehnt oder diese <strong>für</strong> nachteilig<br />

erachtet, sollte versuchen, seine Zweifel über Bord zu werfen und<br />

sich offen auf die Argumente einzulassen. Wer sich ernsthaft eine vernünftige<br />

und wirksame Klimapolitik wünscht, kann mit <strong>den</strong> letzten<br />

zwei Jahrzehnten nicht zufrie<strong>den</strong> sein. Die Zeit ist reif <strong>für</strong> eine tiefgreifende<br />

Neugestaltung.<br />

Emissionsvermeidungspolitik vs. ‘Klimapolitik’<br />

Ich möchte diesen Beitrag ungeachtet des Titels damit beginnen,<br />

zunächst Kritik an dem unpassen<strong>den</strong> Begriff der „Klimapolitik“ anzubringen,<br />

die meines Erachtens besser als Treibhausgas-Emissionsvermeidungspolitik<br />

bezeichnet würde. Diese Unterscheidung ist von<br />

großer Bedeutung. Politiker können zwar langfristig betrachtet <strong>den</strong><br />

Emissionsverlauf der Wirtschaft beeinflussen; das Klima zu verändern,<br />

ist hingegen niemand in der Lage.<br />

Einleitung


Die diesbezügliche Verwirrung führt bisweilen zu einer eigenartigen<br />

Rhetorik. In einer Rede vor dem Toronto Economic Club am<br />

30. Mai 2007 rühmte sich der damalige kalifornische Gouverneur Arnold<br />

Schwarzenegger der starken Begrenzung der Treibhausgasemissionen,<br />

zu der sich sein Bundesstaat verpflichtet hatte (Erreichen der<br />

Ziele von 1990 bis 2020); er sagte: „Ich bin überzeugt, dass wir das Klima<br />

dieses Planeten reparieren können.“ Dieser Ausspruch fand sich<br />

am 31. Mai 2007 auf dem Titel der National Post wieder.<br />

Die Aussage, staatliche Politik könne das Klima des Planeten „reparieren“,<br />

ist grotesk. Es ist vielleicht möglich, das Erscheinungsbild<br />

eines Stuhls oder eines Paars Schuhe zu verändern, wobei auch in<br />

diesen Fällen versucht wird, ein ursprüngliches Erscheinungsbild neu<br />

nachzubil<strong>den</strong>. Doch welches sind die ursprünglichen Bedingungen <strong>für</strong><br />

das Erdklima, wenn es <strong>den</strong>n tatsächlich möglich sein sollte, diese zu<br />

erreichen? Gemessen an einer geologischen Zeitskala wären als Ziel<br />

tropische Bedingungen an <strong>den</strong> Polen oder eine globale Eiszeit vorstellbar<br />

– oder auch irgendetwas dazwischen. Und selbst wenn das Ziel<br />

lautete, zu <strong>den</strong> klimatischen Bedingungen des vergangenen Jahrhunderts<br />

zurückzugelangen, bleibt unklar, wonach genau wir streben. Eine<br />

Entscheidung bspw. <strong>für</strong> <strong>den</strong> Status quo der 1930er, 1950er oder 1970er<br />

Jahre würde voraussetzen, man sitze dem Irrtum auf, es gäbe einen optimalen<br />

Klimazustand und jegliches Abweichen von diesem, in welch<br />

geringem Maße auch immer, käme einer Katastrophe gleich.<br />

Was Gouverneur Schwarzenegger offenkundig meinte war, dass<br />

die von ihm vorgeschlagenen Treibhausgasemissionsziele seiner Ansicht<br />

nach erreichbar wären. Das mag richtig sein, ist jedoch mit hohem<br />

Kostenaufwand verbun<strong>den</strong>. In weiten Teilen seiner Rede lobte<br />

Schwarzenegger die Marktchancen <strong>für</strong> neue Technologien (wie Elektroautos<br />

und Solarzellen), deren Einsatz in Kalifornien er fördern wollte.<br />

Doch zeigt seine eigene Politik, dass zu ihrer Umsetzung höhere<br />

Subventionen und strenge gesetzliche Vorgaben vonnöten wären, und<br />

zwar aus dem einfachen Grund, dass sie nicht profitabel bzw. ganz ein-<br />

19<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


20<br />

fach teuer sind. Das Erreichen dieser Ziele erfordert mehr als einige<br />

kleinere Verbesserungen bei der Energieeffizienz und optimistische<br />

Rhetorik; um diese Ziele zu erreichen, müssen die Menschen bereit<br />

sein, enorme Kosten zu tragen.<br />

Ein weitaus gravierenderes Problem in der Denkweise von Arnold<br />

Schwarzenegger (und vielen anderen Spitzenpolitikern auf dieser Welt)<br />

liegt darin, dass die tatsächliche Emissionsreduzierung im Rahmen eines<br />

je<strong>den</strong> Ziels, das vernünftigerweise als bezahlbar erachtet wer<strong>den</strong><br />

kann, so gering ausfällt, dass die Folgen <strong>für</strong> das Klimasystem nahezu<br />

unbemerkt bleiben. In diesem Sinne gibt es so etwas wie „Klimapolitik“<br />

nicht. Niemand kann das Klima direkt beeinflussen. Wenn diejenigen<br />

also, die spezifische Maßnahmen vorschlagen, von „Klimapolitik“ sprechen,<br />

erwecken sie <strong>den</strong> Eindruck, ihre Ideen hätten direkten, vorhersagbaren<br />

und unmittelbaren Einfluss auf das globale Klima. Im Ergebnis<br />

wer<strong>den</strong> die möglichen Kosten des globalen Klimawandels bisweilen mit<br />

<strong>den</strong> Kosten der jeweiligen lokalen Politikmaßnahmen zur Emissionskontrolle<br />

verglichen und, wenn letztere gegenüber ersteren gering ausfallen,<br />

von <strong>den</strong> Urhebern dieser Politik als Beleg da<strong>für</strong> herangezogen,<br />

dass diese umgesetzt wer<strong>den</strong> sollte. Diese Argumentation lässt sich<br />

jedoch nicht aufrechterhalten, da die lokale Politik zur Emissionskontrolle<br />

im Allgemeinen geringen bzw. überhaupt keinen Einfluss auf die<br />

künftige Entwicklung des globalen Klimas hat. Selbst wenn multilaterale<br />

Abkommen wie das Kyoto-Protokoll umgesetzt wür<strong>den</strong>, so wäre<br />

der Nutzen <strong>für</strong> das Klima äußerst gering. Belegt wird dies in komplexen<br />

Modellsimulationen (z. B. Wigley et al. 1998), doch ist die dem zugrundeliegende<br />

Argumentation leicht nachvollziehbar.<br />

> > Der Einfluss von Treibhausgasen auf die Veränderung des Klimas ist<br />

von der in der Atmosphäre vorhan<strong>den</strong>en Menge dieser Gase abhängig,<br />

nicht von <strong>den</strong> jährlichen Emissionen.<br />

> > Aktuell befin<strong>den</strong> sich etwa 750 Gigatonnen CO 2 (in Kohlenstoffäquivalent)<br />

in der Atmosphäre (Houghton 1997).<br />

Einleitung


Die weltweiten jährlichen Emissionen liegen bei 8,4 Gigatonnen, von<br />

<strong>den</strong>en etwa 3 auf natürliche Weise sequestriert wer<strong>den</strong> (Marland et<br />

al. 2010).<br />

> > Von <strong>den</strong> etwa 5,4 Gigatonnen Nettoemissionen stammt die Hälfte<br />

aus <strong>den</strong> Industriestaaten.<br />

> > Diese 2,7 Gigatonnen an Emissionen sollten laut Kyoto-Protokoll auf<br />

etwa 5 % unter das Emissionsniveau von 1990 bzw. um etwa 0,7 Gigatonnen<br />

ausgehend vom heutigen Stand reduziert wer<strong>den</strong>.<br />

> > Es wird erwartet, dass auch wenn die Teilnehmer des Kyoto-Protokolls<br />

ihre Pflichten vollständig erfüllen, ein Teil dieser Emissionen durch<br />

das Phänomen der Carbon Leakage – das Entstehen höherer Emissionen<br />

andernorts durch die Verlagerung von Produktionsprozessen<br />

in Länder ohne Emissionsbeschränkungen – aufgewogen wird. Veröffentlichte<br />

Schätzungen dieser Leckrate reichen je nach angenommenen<br />

Marktstrukturen und Merkmalen der Brennstoffbeschaffung<br />

von Null bis über 100 %. Wenn wir von einer Leckrate von 20 % ausgehen,<br />

entspräche dies einer Reduzierung des Emissionsvolumens<br />

durch das Kyoto-Protokoll um etwa 0,6 Gigatonnen und damit einer<br />

Reduzierung des in der Atmosphäre gespeicherten Kohlenstoffs um<br />

etwa 0,08 %.<br />

21<br />

Selbst wenn also die Vorgaben des Kyoto-Protokolls eingehalten wür<strong>den</strong>,<br />

hätte dies nur geringe Emissionsreduzierungen mit minimalen<br />

Auswirkungen auf die globale Kohlendioxidkonzentration zur Folge.<br />

Und <strong>für</strong> die meisten Länder erwies sich die Umsetzung des Kyoto-Protokolls<br />

als zu kostspielig und schwierig. Ich wiederhole noch einmal:<br />

Ziele zur Emissionsreduzierung, die hinreichend weit angelegt sind,<br />

um spürbare Auswirkungen zu zeitigen, sind in ihrer Umsetzung zu<br />

teuer. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass nichts getan wer<strong>den</strong><br />

sollte; doch es bedeutet sehr wohl, dass die gesetzten Ziele und Fristen<br />

sich an der Realität orientieren müssen und nicht bloße Rhetorik oder<br />

Wunsch<strong>den</strong>ken sein sollten.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


22<br />

Es ist falsch, auf die potenziellen Kosten des globalen Klimawandels<br />

zu verweisen und diese mit <strong>den</strong> potenziellen Kosten lokaler politischer<br />

Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen zu vergleichen.<br />

Richtig wäre es hingegen, die Kosten der lokalen politischen Maßnahmen<br />

zur Emissionsreduzierung zu ermitteln und diese mit <strong>den</strong> Vorteilen<br />

der anzunehmen<strong>den</strong> Veränderungen einer potenziellen künftigen<br />

Entwicklung des globalen Klimas zu vergleichen. Erzielt eine Politik<br />

zur Emissionsreduzierung solch geringe Auswirkungen auf die globale<br />

Atmosphäre, dass ein Land daraus in der Zukunft keinen Einfluss auf<br />

das Klima erwarten kann, liegt der Nutzen einer solchen Politik in Bezug<br />

auf die Verringerung klimabedingter Schä<strong>den</strong> bei null.<br />

Die besonderen Herausforderungen der Kontrolle von<br />

CO 2 -Emissionen<br />

Es mag allzu pessimistisch erscheinen zu sagen, dass die finanzierbaren<br />

Ziele zur Emissionsreduzierung nicht weit genug reichen, um spürbare<br />

Auswirkungen auf das Klima zu zeitigen. Doch spiegelt diese Aussage<br />

die Wirklichkeit <strong>für</strong> Kohlendioxid – im Gegensatz zu anderen Formen<br />

der Luftverschmutzung – wider. So ist es in Nordamerika und Europa<br />

beispielsweise gelungen, die Schwefeldioxid-Problematik erfolgreich in<br />

<strong>den</strong> Griff zu bekommen. Politische Maßnahmen, die sowohl auf lokaler<br />

als auch auf nationaler Ebene umgesetzt wur<strong>den</strong>, führten seit <strong>den</strong><br />

1970er Jahren zu einer umfangreichen Reduzierung der SO 2 -Emissionen<br />

und -Konzentrationen zu durchaus erschwinglichen Kosten. Vor<br />

diesem Hintergrund könnte man der Versuchung erliegen zu glauben,<br />

auch <strong>für</strong> CO 2 ließen sich zu geringen Kosten Programme zur Reduzierung<br />

der Emissionen mit ähnlich überzeugen<strong>den</strong> Ergebnissen auflegen.<br />

Doch dieses Argument hinkt, da es <strong>für</strong> CO 2 im Vergleich zu SO 2 nur sehr<br />

wenige Möglichkeiten gibt, die Emissionen zu reduzieren.<br />

Tabelle 1 zeigt die wesentlichen Optionen zur Emissionsreduzierung<br />

sowie deren Verfügbarkeit in Bezug auf CO 2 und SO 2 .<br />

Einleitung


VERMEIDUNGSOPTIONEN UND -KOSTEN<br />

Vermeidungsoption<br />

Verfügbarkeit<br />

Relative Kosten SO 2 CO 2<br />

Schornsteine mit Abluftwäscher Niedrig Ja Nein<br />

Umstieg auf sauberere Version Niedrig Ja Nein<br />

desselben Brennstoffs<br />

Umstieg auf anderen Brennstoff Hoch Ja Ja<br />

Gesamtverbrauch senken Hoch Ja Ja<br />

Die vier verfügbaren Vermeidungsoptionen sind: Installation von<br />

Abluftwäschern auf Schornsteinen, Umstieg auf eine sauberere Version<br />

desselben Brennstoffs (z. B. von stark schwefelhaltiger Kohle auf<br />

schwach schwefelhaltige Kohle), Umstieg auf einen anderen Brennstoff<br />

(z. B. von Kohle auf Erdgas) und Einschränkung des Umfangs der<br />

produktiven Tätigkeit. Die bei<strong>den</strong> ersten sind die billigsten Optionen.<br />

Im Falle der Erfüllung der Clean Air Act Amendments von 1990 (US-<br />

Luftreinhaltungsgesetze), in deren Rahmen die Schwefelemissionen in<br />

<strong>den</strong> USA um etwa 40 % gesenkt wur<strong>den</strong>, nahmen die Installation von<br />

Abluftwäschern sowie der Umstieg auf andere Kohlearten 45 bzw. 55 %<br />

der gesamten in Phase I erzielten Emissionssenkungen, insbesondere<br />

des starken Emissionsrückgangs zwischen 1994 und 1996, ein (Schmalensee<br />

et al. 1998). Doch stehen alle genannten Optionen, auf die damals<br />

zur Senkung der SO 2 -Emissionen zurückgegriffen wurde, <strong>für</strong> die<br />

CO 2 -Kontrolle nicht zur Verfügung:<br />

23<br />

> > Schwach schwefelhaltige Kohle existiert, schwach kohlenstoffhaltige<br />

Kohle dagegen nicht.<br />

> > Für CO 2 gibt es keine Abluftwäscher.<br />

Der zweite Punkt ist <strong>den</strong> Kraftwerksbetreibern wohlbekannt. In einer<br />

Studie über die Optionen zur Vermeidung luftverschmutzender Emis-<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


sionen kam die Ontario Power Authority (2007) zu dem Schluss, dass<br />

simulierte CO 2 -Emissionsveränderungen vollständig durch geschätzte<br />

Veränderungen der Ausstoßniveaus verursacht wur<strong>den</strong>:<br />

„[Geplante] Reduzierungen der CO 2 -Emissionen zwischen 2010 und 2014<br />

wur<strong>den</strong> viel mehr durch Reduzierungen der kohle[-befeuerten Elektrizitäts-]<br />

Produktion erzielt als durch Emissionskontrollen. Es gibt derzeit keine realisierbare<br />

Kontrolltechnologie zur Reduzierung der CO 2 -Emissionen aus Kohlekraftwerken.<br />

Die CO 2 -Reduzierungen sind daher bei allen Alternativen i<strong>den</strong>tisch.“<br />

OPA | 2007 | Seite 5<br />

24<br />

Ausgehend davon sind die einzigen Möglichkeiten, die CO 2 -Emissionen<br />

einzudämmen, die kostenintensiveren Optionen des Umstiegs<br />

auf andere Brennstoffe und der Senkung des Verbrauchs. Kraftwerke<br />

können Kessel durch gasbefeuerte Anlagen ersetzen oder <strong>den</strong> Gesamtbrennstoffverbrauch<br />

senken, was im Allgemeinen eine Reduzierung<br />

der gesamten Energieproduktion erfordert.<br />

Der Umstieg von Kohle auf andere Brennstoffe ist nicht nur aufgrund<br />

der Kapitalkosten teuer, sondern auch wegen des langfristigen<br />

Anstiegs der Erdöl- und Gaspreise gegenüber Kohle. Abbildung 1 zeigt<br />

die (inflationsbereinigten) jeweils auf <strong>den</strong> Wert 100 indexierten Realpreise<br />

der drei zentralen fossilen Energiequellen auf dem US-Markt<br />

zwischen 1949 und 2009. Die Kohlepreise haben sich danach kaum<br />

verändert, wohingegen der Gaspreis nach seinem jüngsten, um das<br />

18-Fache höheren Spitzenwert achtmal höher liegt. Der Ölpreis hat sich<br />

nach einem um das Fünffache höher liegen<strong>den</strong> Spitzenwert gegenüber<br />

Kohle verdoppelt. Bezogen auf die relativen Kosten und die preisliche<br />

Volatilität ist Kohle damit nach wie vor die beste Energiequelle.<br />

Einleitung


Reale Preise von Kohle, Erdgas und Erdöl 1949 – 2009,<br />

indexiert auf 1949 = 100<br />

Abbildung 1<br />

2.000<br />

1.800<br />

1.600<br />

Kohle Erdgas Erdöl<br />

1.400<br />

1.200<br />

1.000<br />

800<br />

25<br />

600<br />

400<br />

200<br />

0<br />

1949 1954 1959 1964 1969 1974 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009P<br />

Quelle: US Energy Information Administration | http://www.eia.doe.gov/overview_hd.html<br />

(Daten <strong>für</strong> 2009, vorläufig [P])<br />

Europa vs. USA: andere Rhetorik, gleiches Ergebnis<br />

Die Europäische Union unterzeichnete und ratifizierte das Kyoto-<br />

Protokoll 2002 mit dem Versprechen, die Treibhausgasemissionen<br />

bis 2008 gegenüber dem Stand von 1990 um 8 % zu senken. Die USA<br />

haben dies nicht getan und sich auf keine verbindlichen Ziele zur Senkung<br />

der Emissionen eingelassen. Stattdessen kündigte der damalige<br />

Präsi<strong>den</strong>t George W. Bush 2002 das unverbindliche Ziel an, die Emissionsintensität<br />

(Treibhausgase je Dollar BIP) bis 2012 um 18 % gegenüber<br />

dem Stand von 2002 zu senken – was allein durch Beibehaltung<br />

des nach <strong>den</strong> 1980er Jahren eingeschlagenen Entwicklungstrends der<br />

Emissionen erreicht wer<strong>den</strong> konnte. Die bei<strong>den</strong> genannten großen<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


26<br />

Akteure haben somit nahezu das gesamte vergangene Jahrzehnt zwei<br />

völlig unterschiedliche Ziele verfolgt: Business as usual in <strong>den</strong> USA,<br />

tiefgreifende Emissionseinschnitte in der EU.<br />

Ein Blick auf die Daten zeigt jedoch, dass beide Regionen hinsichtlich<br />

der Emissionsintensität nicht allzu unterschiedlich abgeschnitten<br />

haben. Zwischen 1995 und 2007 ging die Treibhausgasemissionsintensität<br />

in der gesamten EU (einschließlich Deutschland) um etwa 32 %<br />

zurück (Marland et al. 2010). In <strong>den</strong> USA sank die Emissionsintensität<br />

innerhalb desselben Zeitraums um 23 %. Ohne es überhaupt zu versuchen,<br />

ist es <strong>den</strong> USA gelungen, die Emissionsintensität ihrer Produktion<br />

annähernd so weit zu senken wie in Europa. Wie Abbildung 2<br />

zeigt, besteht der einzige Unterschied zwischen <strong>den</strong> USA und Europa<br />

hinsichtlich der Emissionsintensität ausschließlich in der Geschwindigkeit,<br />

nicht in der Richtung.<br />

Treibhausgasemissionsintensität in <strong>den</strong><br />

USA und Europa (EU-25)<br />

Abbildung 2<br />

EU<br />

USA<br />

100,0 100,0 96,5 98,4 90,6 96,8 86,5 92,9 83,4 89,8 81,1 89,1 81,2 86,4 78,5 85,9 76,9 83,7 73,4 82,4 71,9 80,5 70,5 77,3 67,8 76,7<br />

120,0<br />

100,0<br />

80,0<br />

60,0<br />

40,0<br />

20,0<br />

0,0<br />

1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />

Quelle: EU http://epp.eurostat.ec.europa.eu | USA http://www.gpoaccess.gov/eop/tables10.html<br />

und http://cdiac.ornl.gov/trends/emis/usa.html | Berechnungen des Verfassers<br />

Einleitung


Wie oben erwähnt, setzt eine Senkung der CO 2 -Emissionen eine<br />

Senkung des Energieverbrauchs voraus. Was bedeutet das <strong>für</strong> das Wirtschaftswachstum?<br />

Zentrale Frage hierbei ist, ob ein höherer Energieverbrauch<br />

einen Anstieg des BIP bedingt oder durch einen Anstieg<br />

des BIP bedingt wird. Diese Unterscheidung ist von großer Bedeutung.<br />

Ist ein höherer Energieverbrauch eine bloße Nebenerscheinung<br />

von Wachstum, könnte er gedeckelt und ohne Beeinträchtigung des<br />

Wirtschaftswachstums gesenkt wer<strong>den</strong>. Wirkt ein höherer Energieverbrauch<br />

hingegen wachstumsfördernd, ist eine Abkoppelung des einen<br />

vom anderen nicht ohne weiteres möglich.<br />

Um in Zeitreihendaten eine Kausalitätsrichtung (bzw. „Granger-<br />

Kausalität“, wie sie in der Ökonomie fachsprachlich bezeichnet wird)<br />

erkennen zu können, sind statistische Techniken wie die so genannte<br />

Kointegrationsanalyse und die Vektorautoregression erforderlich. Mithilfe<br />

dieser Techniken wur<strong>den</strong> Daten aus <strong>den</strong> USA (Stern 2000), Kanada<br />

(Ghali und El-Sakka 2004) und anderen Ländern ausgewertet. Die<br />

Ergebnisse zeigen, dass der Energieverbrauch das Wirtschaftswachstum<br />

bedingt und die Kausalität in einzelnen Fällen in beide Richtungen<br />

verläuft. Das Magazin Stern zieht daraus folgen<strong>den</strong> Schluss:<br />

27<br />

„Die multivariate Analyse zeigt, dass die Energie das BIP wie in dem ersten<br />

der drei untersuchten Modelle entweder einseitig oder möglicherweise in einer<br />

wechselseitig kausalen Beziehung im Sinne der Granger-Kausalität bedingt. |...|<br />

Die in diesem Beitrag vorgestellten Ergebnisse stärken meinen früheren Schluss,<br />

dass Energie ein das Wirtschaftswachstum begrenzender Faktor ist. Auf die<br />

Energieversorgung einwirkende Schocks wer<strong>den</strong> die Produktion daher eher<br />

einschränken.“<br />

Stern | 2000 | Seite 281<br />

Der Satz „Energie ist ein das Wirtschaftswachstum begrenzender Faktor“<br />

ist dabei besonders wichtig. Der Energieverbrauch ist keine bloße<br />

Nebenerscheinung, die vom BIP-Wachstum abgekoppelt wer<strong>den</strong> kann.<br />

Eine bewusste Senkung des Energieverbrauchs wird das Wirtschafts-<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


28<br />

wachstum voraussichtlich ausbremsen und dabei die negativen Folgen<br />

<strong>für</strong> Politiker steigern, die versuchen, entsprechende politische<br />

Maßnahmen umzusetzen.<br />

Ferner wirken die steigen<strong>den</strong> Elektrizitätspreise regressiv, sodass<br />

die Kostenlast Haushalte mit geringerem Einkommen im Verhältnis<br />

stärker trifft als Haushalte mit höherem Einkommen. Einige Untersuchungen<br />

über Kohlenstoffsteuern (Jorgensen et al. 1992) haben sich<br />

mit der Frage der Regressivität befasst und herausgefun<strong>den</strong>, dass die<br />

Tatsache, ob eine Kohlenstoffsteuer regressiv wirkt oder nicht, davon<br />

abhängt, wie sie umgesetzt (und wie Ungleichheit gemessen) wird.<br />

Dinan und Rogers (2002) zeigten, dass die Einführung eines Capand-Trade-Systems<br />

mit gratis zu vergeben<strong>den</strong> Genehmigungen <strong>für</strong><br />

die gesamte US-Wirtschaft höchst regressiv wirken würde, wobei die<br />

ärmsten Haushalte jährlich 500 USD verlieren, die reichsten dagegen<br />

jährlich 1.000 USD gewinnen wür<strong>den</strong>. Der finanzielle Vorteil <strong>für</strong> die<br />

Haushalte mit höherem Einkommen ergäbe sich dabei daraus, dass ihnen<br />

die Unternehmen, die die wertvollen Genehmigungen entgeltlos<br />

erhielten, gehören.<br />

Einleitung


2.<br />

Theoretische Grundlagen<br />

der Klimapolitik<br />

Grenzschä<strong>den</strong> und Grenzvermeidungskosten<br />

29<br />

Um das Versagen der Klimapolitik in vollem Umfang verstehen zu<br />

können, muss man zunächst einige der Anreizmechanismen verstehen,<br />

welche die Volkswirtschaften mit der Umwelt verbin<strong>den</strong>. Treibende<br />

Kraft der wirtschaftlichen Entwicklung ist in erster Linie die Interaktion<br />

zwischen „Konsumentenpräferenzen und Technologie“, anders<br />

gesagt, der beständige Fluss von Signalen zwischen <strong>den</strong> Präferenzen<br />

der Verbraucher und <strong>den</strong> Kapazitäten der Produzenten. Verbraucher<br />

verlangen nach Waren und Dienstleistungen, die ihre Wünsche und<br />

Bedürfnisse erfüllen. Unternehmen entwerfen Produktionspläne, um<br />

ihren Gewinn zu maximieren. Diese Kräfte von Angebot und Nachfrage<br />

bil<strong>den</strong> die Grundlage des preisbasierten Marktsystems.<br />

Die ökonomische Umweltanalyse betrachtet Umweltverschmutzung<br />

als ein „Versagen des Marktes“. Unternehmen können ihre Gewinne<br />

durch eine stärkere Verursachung von Umweltverschmutzung<br />

(anders formuliert: dadurch, dass sie kein Geld <strong>für</strong> die Vermeidung von<br />

Verschmutzung ausgeben) steigern, während Verbraucher weniger Verschmutzung<br />

bevorzugen. Da <strong>den</strong> Verbrauchern kein Mechanismus zur<br />

Verfügung steht, Unternehmen <strong>für</strong> ihre Verschmutzung bezahlen zu<br />

lassen, gibt es keine Preissignale und es kommt zu einer übermäßigen<br />

Verschmutzung. Dieses Standardargument <strong>für</strong> ein Eingreifen des Staates<br />

bietet jedoch keine Begründung <strong>für</strong> ein unbegrenztes Eingreifen. Vor<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


30<br />

allen Dingen rechtfertigt die ökonomische Analyse von Umweltproblemen<br />

keine Politiken, die mehr kosten als nutzen. Der Staat ist vielmehr<br />

angehalten ein deutliches Preissignal zu setzen oder die Umweltverschmutzung<br />

auf ein Niveau zu regulieren, das bei Vorliegen eines angemessenen<br />

Marktpreissignals erreicht wor<strong>den</strong> wäre. Um eine Aussage<br />

über die optimale Form politischen Eingreifens treffen zu können, müssen<br />

wir verstehen, auf welche Weise der Markt ein Preissignal <strong>für</strong> Umweltschä<strong>den</strong><br />

aussen<strong>den</strong> würde, wenn die Mechanismen von Angebot<br />

und Nachfrage tatsächlich greifen wür<strong>den</strong>.<br />

Die Analyse von Angebot und Nachfrage beruht auf der Untersuchung<br />

schrittweiser Veränderungen, da es immer einen Ausgangspunkt<br />

gibt, von dem aus der Weg in eine bestimmte Richtung führt.<br />

Hinsichtlich der Verschmutzung geht es <strong>für</strong> die Regulierer <strong>für</strong> gewöhnlich<br />

darum, ob die zulässigen Grenzwerte gegenüber dem aktuellen<br />

Stand erhöht oder gesenkt wer<strong>den</strong> sollten. Es wird daher unterschie<strong>den</strong><br />

zwischen Grenzschä<strong>den</strong>, d. h. <strong>den</strong> zusätzlichen Kosten einer geringfügig<br />

höheren Verschmutzung <strong>für</strong> die Gesellschaft, und Grenzvermeidungskosten,<br />

also dem Kostenzuwachs (aus Sicht der Gesellschaft), der eine<br />

geringfügige Reduzierung der Verschmutzung mit sich bringt.<br />

Beide Konzepte sind in Abbildung 3 grafisch dargestellt, Emissionen<br />

(e) auf der horizontalen, der Wert in Dollar (bzw. Euro) je Emissionseinheit<br />

auf der vertikalen Achse. Die ansteigende Grenzscha<strong>den</strong>kurve<br />

(GS) gibt an, dass mit steigen<strong>den</strong> Emissionen die gesellschaftlichen<br />

Kosten <strong>für</strong> jede weitere höhere Verschmutzungseinheit ebenfalls<br />

zunehmen. Die Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) fällt von links<br />

nach rechts betrachtet ab. Von rechts nach links gesehen ist diese Kurve<br />

ansteigend und gibt an, dass mit sinken<strong>den</strong> Emissionen die Grenzkosten<br />

weiterer Emissionsreduzierungen ansteigen.<br />

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik


Grenzscha<strong>den</strong>, Grenzvermeidungskosten<br />

und optimales Emissionsniveau<br />

Abbildung 3<br />

USD pro Tonne<br />

P*<br />

Grenzvermeidungskosten<br />

GVK<br />

Grenzschä<strong>den</strong><br />

GS<br />

a<br />

b<br />

c<br />

31<br />

e* ē Emissionen<br />

Beide Kurven können in Abhängigkeit vom Emissionsniveau jeweils<br />

als aufsteigend bzw. als abfallend gelesen wer<strong>den</strong>. Formal betrachtet<br />

entspricht die GS-Kurve nicht <strong>den</strong> Kosten <strong>für</strong> die Beseitigung<br />

der Schä<strong>den</strong> der Verschmutzung, sondern einer auf mikroökonomischen<br />

Modellen öffentlicher Güter beruhen<strong>den</strong> konzeptuellen Größe.<br />

In aufsteigender Richtung betrachtet lautet die ökonomische Definition<br />

von Grenzschä<strong>den</strong>, dass diese der Höhe des zusätzlichen Einkommens<br />

entsprechen, das die von der Verschmutzung betroffenen Personen<br />

erhalten müssten, um mit <strong>den</strong> zusätzlichen Emissionen ebenso<br />

gut dazustehen wie ohne sie. Mit anderen Worten handelt es sich hierbei<br />

um eine Kompensationsmaßnahme, und der Bereich unterhalb<br />

der GS-Kurve innerhalb eines bestimmten Intervalls gibt an, welche<br />

Kompensation angesichts des Umfangs steigender Emissionen, wie<br />

ihn das Intervall darstellt, erforderlich wäre.<br />

Vergleichen wir beispielsweise <strong>den</strong> Anfangspunkt der Kurve mit<br />

dem Emissionsniveau e*, gibt das Feld a an, welche Kompensation<br />

<strong>für</strong> die dargestellte Gesellschaft insgesamt erforderlich wäre, um mit<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


32<br />

Emissionen e* ebenso gut dazustehen wie ohne. Steigen die Emissionen<br />

um eine Einheit, gibt die Höhe der Grenzscha<strong>den</strong>skurve an, welche<br />

zusätzliche Kompensation, in diesem Falle P*, erforderlich ist. Steigen<br />

die Emissionen auf ē , müsste die zusätzliche Kompensation b+c<br />

betragen.<br />

Liest man die GVK-Kurve von links nach rechts, gibt sie <strong>den</strong> Grenznutzen<br />

an, der sich <strong>für</strong> <strong>den</strong> Verursacher (üblicherweise ein Unternehmen<br />

oder Industriebetrieb) aus der Erlaubnis ergibt, seine Emissionen<br />

um eine Einheit zu erhöhen. Für aktuelle Emissionen im Umfang von<br />

e* ergeben sich <strong>für</strong> das Unternehmen aus der Notwendigkeit, seine<br />

Emissionen um eine Einheit zu senken, die Kosten P*; umgekehrt beläuft<br />

sich der Nutzen <strong>für</strong> das Unternehmen durch die Erlaubnis, eine<br />

Einheit mehr auszustoßen, auf P*. Nutzen bzw. Kosten bezeichnen<br />

hierbei nicht nur die Aufwendungen, die <strong>für</strong> die Anschaffung von Ausrüstungen<br />

zur Emissionsvermeidung anfallen, sondern die Veränderung<br />

des Unternehmensgewinns insgesamt. Diese Veränderung ergibt<br />

sich teilweise aus der Anschaffung von Ausrüstungen zur Emissionsvermeidung,<br />

umfasst jedoch auch die Folgen der Anpassung des Investitions-<br />

bzw. Produktionsniveaus.<br />

Die Veränderung des Unternehmensgewinns ist aus zwei Grün<strong>den</strong><br />

ein Hinweis auf die gesellschaftlichen Kosten eines Wechsels in<br />

der Umweltpolitik: Zum einen steigen die Gewinne eines Unternehmens<br />

immer dann, wenn seine Produktion mehr einbringt, als es da<strong>für</strong><br />

an Produktionsfaktoren aufwen<strong>den</strong> muss. Der Markt sendet so das<br />

Signal aus, dass das Unternehmen <strong>den</strong> Haushalten einen Nettonutzen<br />

verschafft. In diesem Sinne sind Gewinne kein Signal da<strong>für</strong>, dass Unternehmen<br />

der Gesellschaft Wohlstand entziehen – im Gegenteil: es<br />

zeigt, dass die Unternehmen <strong>den</strong> von ihnen genutzten Produktionsfaktoren<br />

einen Mehrwert hinzufügen. Eine Drosselung der Tätigkeit,<br />

die einen Mehrwert schafft, kommt <strong>für</strong> eine Gesellschaft allgemein<br />

einem Verlust gleich. Zum anderen wer<strong>den</strong> Gewinne als Einkünfte an<br />

Anteilseigner, wie etwa Investoren oder Beziehern von Firmenrenten,<br />

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik


weitergegeben. Sinkende Gewinne sind demnach in Form geringerer<br />

Einkünfte <strong>für</strong> Anteilseigner spürbar.<br />

Angenommen, ein Verschmutzung verursachendes Unternehmen<br />

wird zunächst verpflichtet, seine Emissionen auf das Niveau e* zu<br />

beschränken, und anschließend wer<strong>den</strong> alle Emissionsbeschränkungen<br />

aufgehoben. Das Unternehmen wird beginnen, seine Emissionen<br />

zu steigern, da der Grenznutzen einer solchen Maßnahme positiv ist,<br />

nämlich P*. Die Emissionen wer<strong>den</strong> daraufhin so lange weiter steigen,<br />

bis der Grenznutzen <strong>den</strong> Wert null erreicht, also bis zu dem Punkt, an<br />

dem die GVK-Kurve die horizontale Achse bei ē schneidet. Der Gesamtnutzen,<br />

der sich <strong>für</strong> das Unternehmen aus der Erlaubnis ergibt, seine<br />

Emissionen von e* auf ē zu steigern, beläuft sich auf <strong>den</strong> zwischen<br />

diesen bei<strong>den</strong> Punkten liegen<strong>den</strong> Bereich b unterhalb der GVK-Kurve.<br />

Müsste das Unternehmen hingegen seine Emissionen von ē auf e* senken,<br />

lägen die Grenzvermeidungskosten insgesamt bei b.<br />

Bei einem Emissionsniveau von ē , also einem Emissionsniveau<br />

ohne Regulierung, sind die Grenzschä<strong>den</strong> gegenüber <strong>den</strong> Grenzvermeidungskosten<br />

vergleichsweise hoch. Folglich ist es gesellschaftlich<br />

erstrebenswert, die Emissionen zu senken. Dies bleibt so bis zum Erreichen<br />

des Emissionswerts e*. An diesem Punkt belaufen sich die Grenzvermeidungskosten<br />

der letzten Einheit der Emissionsreduzierung auf<br />

P* und entsprechen damit der Reduzierung des Grenzscha<strong>den</strong>s. Wer<strong>den</strong><br />

die Emissionen unter diesen Punkt reduziert, wür<strong>den</strong> die da<strong>für</strong><br />

entstehen<strong>den</strong> Grenzvermeidungskosten <strong>den</strong> Nutzen (der Reduzierung<br />

des Grenzscha<strong>den</strong>s) übersteigen. Das gesellschaftlich optimale Emissionsreduzierungsziel<br />

in diesem Fall ist folglich e*.<br />

Liegen die Emissionen hingegen anfänglich bei null, ist es ratsam,<br />

eine Zunahme der Emissionen zu gestatten, da die Grenzvermeidungskosten<br />

über dem Grenzscha<strong>den</strong> liegen bzw., anders gesagt, der<br />

Grenznutzen der Emissionen höher ist als der Grenzscha<strong>den</strong>. Eine solche<br />

Emissionssteigerung ist bis zu e* ratsam, da an diesem Punkt der<br />

Grenznutzen der Emissionen genau mit <strong>den</strong> Grenzkosten P* zusam-<br />

33<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


34<br />

menfällt. Über diesem Punkt verursachen zusätzliche Emissionen einen<br />

Grenzscha<strong>den</strong>, der über dem entsprechen<strong>den</strong> Nutzen (GVK) liegt,<br />

sodass eine weitere Zunahme nicht empfehlenswert ist.<br />

Nehmen wir e* als optimales Emissionsniveau an. Es handelt sich<br />

dabei um das Niveau, bei dem die Nettogewinne der verschmutzen<strong>den</strong><br />

Tätigkeit bzw. der Nettonutzen der Verschmutzungsreduzierung<br />

ihren Höchststand erreichen.<br />

Jedem Punkt auf der GS- und der GVK-Kurve ist ein Preis zugeordnet.<br />

Dies ist eine der wichtigsten prinzipiellen Unterscheidungen der<br />

ökonomischen Analyse von Umweltverschmutzungen und der Umweltschutzanalyse<br />

in <strong>den</strong> Umwelt-, Rechts- oder Politikwissenschaften.<br />

Die ökonomische Analyse der Umweltverschmutzung geht bei der Wahl<br />

eines bestimmten Emissionsniveaus e von einem entsprechen<strong>den</strong> Preis<br />

entsprechend der Position auf der GS- und der GVK-Kurve aus.<br />

Die Antwort eines Emittenten auf umweltpolitische Maßnahmen<br />

wird durch die Kurve der Grenzvermeidungskosten (GVK) bestimmt.<br />

Angesichts einer Emissionssteuer in Höhe von P* wür<strong>den</strong> Unternehmen<br />

bis zum Punkt e*, jedoch nicht darüber hinaus Emissionen ausstoßen.<br />

Andernfalls würde der Grenznutzen <strong>für</strong> die Unternehmen<br />

– abzulesen an der GVK-Kurve – unter <strong>den</strong> Betrag P* je Emissionseinheit<br />

fallen, <strong>den</strong> sie an Steuern auf die zusätzlichen Emissionen zahlen<br />

müssten. Mit anderen Worten: Sie könnten Vermeidungsstrategien<br />

anwen<strong>den</strong>, die weniger kosten als die Steuern, und einen finanziellen<br />

Vorteil aus der Senkung der Emissionen ziehen. Statt eine Emissionssteuer<br />

von bspw. 50 USD/Tonne zu bezahlen, wer<strong>den</strong> Unternehmen es<br />

vorziehen, Vermeidungsoptionen zu wählen, solange diese weniger als<br />

50 USD/Tonne kosten.<br />

Der Emissionssteuersatz gibt folglich <strong>den</strong> zusätzlichen Wert an, der<br />

sich <strong>für</strong> ein Unternehmen aus der Möglichkeit, seine Emissionen um<br />

eine weitere Einheit erhöhen zu dürfen, ergibt. So gesehen entspricht<br />

die GVK-Kurve im Grunde einer Nachfragekurve <strong>für</strong> Emissionen, wie<br />

sie in jedem volkswirtschaftlichen Einführungswerk zu fin<strong>den</strong> ist.<br />

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik


Das der GS-Kurve entsprechende Preisniveau gibt <strong>den</strong> Geldbetrag<br />

an, der als Kompensation <strong>für</strong> eine weitere Einheit Verschmutzung erforderlich<br />

wäre. In dieser Hinsicht entspricht die GS-Kurve einer konventionellen<br />

Angebotskurve, die <strong>den</strong> Betrag angibt, der bezahlt wer<strong>den</strong><br />

müsste, damit die Menschen bereit wären, eine Erlaubnis <strong>für</strong> eine weitere<br />

Verschmutzungseinheit „anzubieten“.<br />

Durch die Kombination aus Preis- und Mengenachse sieht Abbildung<br />

3 wie ein herkömmliches Angebots- und Nachfragemodell aus<br />

jedem Wirtschaftslehrbuch aus. Wie bereits angedeutet, ist diese Ähnlichkeit<br />

nicht dem bloßen Zufall geschuldet. Die ansteigende GS-Kurve<br />

gleicht einer Angebotskurve, die abfallende GVK-Kurve einer Nachfragekurve.<br />

Der Unterschied gegenüber gewöhnlichen Angebots- und<br />

Nachfragekurven besteht darin, dass in einem regulären Markt Produktions-<br />

und Verbrauchsentscheidungen durch das Preissignal hin zu<br />

dem Punkt geführt wer<strong>den</strong>, an dem sich die Kurven schnei<strong>den</strong>. Im Falle<br />

von Schadstoffemissionen hingegen wird kein Preissignal ausgesendet,<br />

sodass eine Koordinierung der Emissionsniveaus nicht möglich ist.<br />

Die Politik sollte daher nach Möglichkeit darauf abzielen, das Versagen<br />

des Marktes durch die Einführung eines Preismechanismus zu<br />

korrigieren, der <strong>den</strong> Menschen ermöglicht ihre eigenen Reaktionen<br />

auf die Preissignale zu fin<strong>den</strong>. Eine auf Grundlage von marktwirtschaftlichen<br />

Prinzipien gestaltete Politik wird sich im Ergebnis dem<br />

optimalen Emissionsniveau e* annähern. Etwas komplexer wird die<br />

Angelegenheit, wenn, wie in Abschnitt 4 erläutert, darüber hinaus Unsicherheit,<br />

Dynamik und ähnliche Faktoren berücksichtigt wer<strong>den</strong>. Als<br />

Grundgedanke der ökonomischen Betrachtung umweltpolitischer Fragen<br />

gilt, dass die Lösung <strong>für</strong> das Verschmutzungsproblem entweder in<br />

der Einrichtung geeigneter Preissignale oder in der Festlegung einer<br />

Emissionsmenge liegt, die sich aus der Existenz eines Marktpreissignals<br />

ergeben hätte.<br />

35<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


Preisregulierung vs. Mengenregulierung<br />

36<br />

Ein Preissignal kann entweder durch die Festlegung eines Emissionspreises<br />

(mit Hilfe einer Schadstoffsteuer bzw. -abgabe) oder durch die<br />

Begrenzung der Emissionsmenge ausgesendet wer<strong>den</strong>. Dies erfolgt<br />

über eine Emissionssteuer bzw. die Ausgabe einer fixen Anzahl von Genehmigungen,<br />

<strong>für</strong> die sich anschließend durch einen Handel auf dem<br />

Markt ein Preis herausbildet. Anders ausgedrückt: Der Regulierer kann<br />

einen Preis bestimmen und <strong>den</strong> Markt die Menge festlegen lassen oder<br />

umgekehrt eine Menge bestimmen und dem Markt die Preisfindung<br />

überlassen. Beides gleichzeitig ist nicht möglich.<br />

Wie bereits erwähnt, wer<strong>den</strong> Unternehmen im Falle der Festsetzung<br />

einer Emissionssteuer in Höhe P* maximal eine Menge e* emittieren.<br />

Wer<strong>den</strong> demgegenüber Emissionsgenehmigungen bis zu einer<br />

Menge e* ausgegeben, wer<strong>den</strong> die Unternehmen <strong>für</strong> diese bereit sein<br />

auf dem Markt <strong>den</strong> Gleichgewichtspreis P* zu bieten. Mehr als diesen<br />

Preis wer<strong>den</strong> sie nicht zu bezahlen bereit sein, da sie ihre Emissionen<br />

auch unter Aufwendung von Grenzkosten in Höhe von P* selbst vermei<strong>den</strong><br />

könnten, anstatt zu einem höheren Preis eine weitere Emissionsgenehmigung<br />

zu erwerben. Andererseits wird auf dem Markt auch<br />

kein niedrigerer Preis Bestand haben, da die Unternehmen eher die<br />

günstigere Genehmigung kaufen wür<strong>den</strong>, als Grenzvermeidungskosten<br />

in Höhe von P* einzugehen. Liegt die Menge der Genehmigungen<br />

bei e*, beträgt der sich daraus ergebende Marktpreis P*.<br />

Da die vorliegende Argumentation genau derjenigen einer beliebigen<br />

anderen Nachfragekurve entspricht, kann die GVK-Kurve als die<br />

„Nachfragekurve <strong>für</strong> Emissionen“ bezeichnet wer<strong>den</strong>.<br />

Aufgrund der bestehen<strong>den</strong> Unsicherheiten ist es jedoch wichtig,<br />

sich vor Augen zu führen, über welche Informationen ein Regulierer bei<br />

der Wahl des geeigneten Umweltschutzinstruments realistischerweise<br />

verfügen kann. In <strong>den</strong> meisten Umweltfragen kann der Regulierer sich<br />

bestenfalls einiger weniger wichtiger Details sicher sein. Es sind dies:<br />

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik


A die aktuelle Emissionsmenge,<br />

B die ungefähre Steigung der Grenzvermeidungskostenkurve bei<br />

sinken<strong>den</strong> Emissionen,<br />

C die annähernde Steigung der Grenzscha<strong>den</strong>skurve bei steigen<strong>den</strong><br />

Emissionen.<br />

Der erste Punkt wird durch einfache Beobachtung ermittelt. Der zweite<br />

Punkt kann anhand technischer bzw. ökonomischer Analysen oder<br />

auf Grundlage von Informationen von Unternehmen, die mit einer<br />

möglichen Regulierung konfrontiert sind, geschätzt wer<strong>den</strong>. Bisweilen,<br />

jedoch nicht in jedem Fall, können Unternehmen versucht sein,<br />

ihre Vermeidungskosten zu übertreiben. 1 Der dritte Punkt kann durch<br />

Analysen ermittelt wer<strong>den</strong>, die ökologische Informationen mit ökonomischen<br />

Daten kombinieren, z. B. durch die so genannte kontingente<br />

Bewertungsmethode oder andere empirische Modellversuche.<br />

Die Regulierer können typischerweise keine präzisen Informationen<br />

bezüglich der Werte auf der vertikalen Achse der dargestellten<br />

Diagramme erhalten. So ist zwar möglicherweise bekannt, dass die GS-<br />

Kurve im Rahmen des zu regulieren<strong>den</strong> Emissionsintervalls eher flach<br />

verläuft. Eine genauere Aussage über die Höhe des Wertes ist jedoch<br />

nicht möglich, sodass sich lediglich eine Spannweite, die zwischen 10<br />

und 30 USD/Tonne liegen dürfte, angeben lässt.<br />

Nichtsdestoweniger sind die unter a bis c genannten Parameter<br />

ausreichend, um zu entschei<strong>den</strong>, ob eine Regulierung des Emissionspreises<br />

oder der Emissionsmenge vorzuziehen ist. Der Ökonom, der<br />

dies zuerst formulierte, war Martin Weitzman (1974), und seine Analyse<br />

wurde seither umfassend rezipiert. Sein Ansatz ist folgender:<br />

37<br />

1 Dies ist von der Art der Politik abhängig, die Unternehmen erwarten. Siehe McKitrick (2010a),<br />

Kapitel 5.1.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


38<br />

Angenommen, die Situation stellt sich wie in Abbildung 4 dar, in<br />

welcher die Steigung der GS-Kurve gegenüber dem Anstieg der GVK-<br />

Kurve über dem <strong>für</strong> <strong>den</strong> Regulierer relevanten Emissionsbereich als<br />

verhältnismäßig flach angenommen wird. Das optimale Emissionsniveau<br />

liegt bei e*; wo genau sich dieses Niveau befindet, ist jedoch unbekannt.<br />

Unternimmt man <strong>den</strong> Versuch, die richtige Emissionsmenge<br />

zu erraten, führen geringfügige Fehler im Umfeld von e* (horizontaler<br />

Pfeil) zu groben Fehlern in Bezug auf <strong>den</strong> optimalen Preis (vertikaler<br />

Pfeil), d. h. <strong>den</strong> entsprechen<strong>den</strong> Preisbereich auf der GVK- bzw. Emissionsnachfragekurve.<br />

Das große Ausmaß dieser Fehler schlägt sich<br />

in unerwartet hohen Risiken <strong>für</strong> emittierende Unternehmen und die<br />

Wirtschaft allgemein nieder. Der durch die Pfeile abgegrenzte Bereich<br />

spiegelt <strong>den</strong> Bereich wider, in dem sich die Emissionspolitik als störend,<br />

kostspielig und chaotisch <strong>für</strong> die Wirtschaft erweist.<br />

Im Gegensatz dazu führen Fehler auf der Preisachse jedoch bei<br />

einem beliebig gewählten Preis lediglich zu relativ geringfügigen Fehlern<br />

auf der Mengenachse. Ist die Festlegung des optimalen Preises<br />

<strong>für</strong> Emissionen fehlerbehaftet (Abweichung nach oben oder unten),<br />

kommt das Ergebnis dem optimalen Emissionsniveau gleichwohl recht<br />

nah und die Gefahr einer unerwartet hohen Volatilität ist relativ gering.<br />

Es ist daher besser zu versuchen, <strong>den</strong> Preis möglichst genau zu schätzen<br />

und <strong>den</strong> Markt die Menge bestimmen zu lassen, als umgekehrt.<br />

Verläuft die GVK-Kurve relativ flach, geht die Argumentation in<br />

die andere Richtung, d. h., es wäre besser zu versuchen, die optimale<br />

Emissionsmenge zu ermitteln und <strong>den</strong> Markt <strong>den</strong> Preis bestimmen zu<br />

lassen, anstatt einen Preis festzulegen und möglicherweise starke und<br />

teure Ausschläge auf der Mengenachse in Kauf zu nehmen.<br />

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik


In Abbildung 4 ist die Situation <strong>für</strong> CO 2 schematisch dargestellt.<br />

> > Die GS-Kurve verläuft relativ flach, da es sich bei CO 2 um ein globales<br />

Gas handelt, d. h. das Klima wird nicht durch örtliche Emissionen in<br />

Mitlei<strong>den</strong>schaft gezogen, sondern durch <strong>den</strong> global vorhan<strong>den</strong>en Bestand.<br />

Hinsichtlich der Emissionen einer einzelnen Nation wird der<br />

Grenzscha<strong>den</strong> der ersten Emissionseinheit derjenigen der letzten<br />

Einheit entsprechen, da sich die global vorhan<strong>den</strong>e Treibhausgasmenge<br />

infolge der jährlichen Emissionen eines Landes, wenn überhaupt,<br />

nur unwesentlich verändert.<br />

39<br />

Wahlmöglichkeiten der Politik angesichts<br />

bestehender Unsicherheiten<br />

Abbildung 4<br />

USD pro Tonne<br />

Grenzvermeidungskosten<br />

GVK<br />

P*<br />

Grenzschä<strong>den</strong><br />

GS<br />

e* ē Emissionen<br />

> > Die GVK-Kurve verläuft sehr steil, da, wie oben erläutert, nur sehr<br />

wenige Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Kurzfristig besteht<br />

<strong>für</strong> Haushalte und Unternehmen der einzige Weg, ihre Emissionen<br />

zu senken, darin, ihren Energieverbrauch zu senken. Längerfristig<br />

wird die Reduzierung der Emissionen angesichts teurerer<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


40<br />

Brennstoffe oder alternativer Energien höhere Kapitalinvestitionen<br />

erforderlich machen. Zwei Indikatoren legen eine steile GVK-Kurve<br />

nahe. Erstens hat der europäische Emissionsmarkt angesichts einer<br />

vergleichsweise geringen Mengenvolatilität eine recht hohe Preisvolatilität<br />

gezeigt (Ellerman und Joskow 2008), wobei dies jedoch teilweise<br />

darauf zurückzuführen war, dass in der ersten Phase des europäischen<br />

Programms keine Genehmigungen auf spätere Handelsperio<strong>den</strong><br />

übertragen wer<strong>den</strong> konnten. Und zweitens haben sich die<br />

europäischen Emissionen trotz jahrelanger Bemühungen kaum verändert.<br />

Dieser Umstand wird durch <strong>den</strong> Zusammenbruch der DDR<br />

und anderer Übergangswirtschaften sowie durch die Umstellung der<br />

Energiewirtschaft Großbritanniens von Kohle auf Gas in <strong>den</strong> frühen<br />

1990er Jahren verschleiert, wodurch die CO 2 -Emissionen eine einmalige<br />

Reduzierung erfuhren. Diakoulaki und Madaraka (2007) haben<br />

die steigen<strong>den</strong> CO 2 -Emissionswerte aus 14 EU-Ländern im Zeitraum<br />

1990 bis 2003 unter Berücksichtigung der von allen Ländern<br />

außer Spanien umgesetzten politischen Maßnahmen untersucht.<br />

In allen Ländern, außer Großbritannien und Deutschland, wo sich<br />

alle fertigungsbedingten Reduzierungen vor 1997 vollzogen und anschließend<br />

ein Anstieg zu verzeichnen war, wur<strong>den</strong> gleichbleibende<br />

oder steigende Emissionen verzeichnet. Die Autoren kamen zu dem<br />

Schluss, „dass keine systematischen Anzeichen da<strong>für</strong> vorliegen, das<br />

sich das Verhalten der untersuchten Länder in der Zeit vor und nach<br />

Kyoto unterscheidet“ (Seite 655).<br />

Angesichts der Tatsache, dass Emissionspolitik unter unsicheren Bedingungen<br />

gemacht wird, wäre es folglich besser, statt einer Menge einen<br />

Preis festzulegen. Für eine Preissteuerung der Emissionen anstelle<br />

einer Emissionsgrenze sprechen zudem zwei weitere Gründe.<br />

Erstens gestaltet sich die Verwaltung eines Systems handelbarer<br />

Genehmigungen deutlich schwieriger, da der Regulierer zunächst eine<br />

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik


Erstzuweisung (mittels einer Auktion, einer Bestandsregelung oder einer<br />

anderen Methode) vornehmen und die <strong>für</strong> <strong>den</strong> Handel mit diesen Genehmigungen<br />

entstehen<strong>den</strong> Märkte einer Prüfung unterziehen muss.<br />

Zweitens haben Regierungen die Genehmigungen in der Praxis <strong>für</strong> gewöhnlich<br />

kostenlos ausgegeben, anstatt eine Auktion durchzuführen,<br />

was sowohl im Falle des US-Marktes <strong>für</strong> Schwefeldioxidgenehmigungen<br />

als auch im Falle des neuen EU-Marktes <strong>für</strong> Kohlenstoff-Emissionszertifikate<br />

so geschah. Die heute übliche Vorstellung einer „doppelten<br />

Divi<strong>den</strong>de“ beruht darauf, dass die durch die Verschmutzungspolitik<br />

erhöhten Einnahmen des Staates darauf verwendet wer<strong>den</strong> können,<br />

die Steuerlast an anderer Stelle zu reduzieren. Ein System handelbarer<br />

Genehmigungen jedoch, in dem Genehmigungen kostenlos an die Verursacher<br />

von Verschmutzung ausgegeben wer<strong>den</strong>, steht dem im Wege,<br />

sodass keine steuerliche Verrechnung möglich ist. Empirische Arbeiten<br />

in Bezug auf die USA haben verdeutlicht, dass nicht auf dem Wege einer<br />

Auktion vergebene CO 2 -Emissionsquoten die gesellschaftlichen Kosten<br />

der Politik drastisch erhöhen (Parry 2003, 2004). Die Quoten schaffen<br />

ähnlich wie bei Marketing-Gesellschaften <strong>für</strong> landwirtschaftliche Erzeugnisse<br />

und städtischen Vergabesystemen <strong>für</strong> Taxilizenzen Kartelleinkünfte<br />

<strong>für</strong> die Empfänger und erhöhen im Grunde die finanzielle<br />

Belastung der Haushalte durch die Förderung von Marktlagengewinnen<br />

(sogenannte „Windfall Profits“) <strong>für</strong> Emittenten.<br />

41<br />

Fünf Grundsätze rationaler Klimapolitik<br />

Die obige Analyse führt uns zu fünf wesentlichen ökonomischen<br />

Grundsätzen einer rationalen Klimapolitik:<br />

1 PREISGESTALTUNG: Eine Politik zur Senkung der Treibhausgasemissionen<br />

ist weniger marktverzerrend und kostspielig, wenn sie auf<br />

einem festgelegten Emissionspreis anstatt auf einem festgelegten<br />

Ziel zur Emissionsreduzierung beruht.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


42<br />

2 REALISMUS: Da die GVK-Kurve aktuell sehr steil verläuft, liegt das<br />

optimale Emissionsniveau derzeit nicht weit unter dem unregulierten<br />

Emissionsniveau. Jedes Mal, wenn die Politik neue Pläne<br />

offenlegt, die Emissionsgrenzen zu verschärfen, steigen die ökonomischen<br />

Kosten der Vermeidung rasant an und führen zu heftigen<br />

Reaktionen auf je<strong>den</strong> Versuch, über das optimale Ziel der Emissionsreduzierung<br />

hinauszugehen. Es wäre demnach besser, <strong>den</strong> Anstieg<br />

der GVK-Kurve durch die Beobachtung der Mengenanpassung<br />

als Reaktion auf ein bestimmtes Preissignal zu ermitteln, anstatt<br />

tiefgreifende Emissionseinschnitte vorzuschreiben und angesichts<br />

einer irrational hohen Kostenexplosion sehen<strong>den</strong> Auges in eine unvermeidbare<br />

Krise zu schlittern.<br />

3 REDUNDANZVERMEIDUNG: Marktmechanismen sollten anstelle<br />

von regulatorischen Mechanismen zum Einsatz kommen, nicht<br />

ergänzend dazu. Nach der Festlegung eines Emissionspreises (bzw.<br />

einer Emissionsmenge) durch die Politik, sollte von weiteren überflüssigen<br />

technischen Regulierungen und Verhaltenskontrollen<br />

zur Überwachung der Einhaltung der bestehen<strong>den</strong> politischen<br />

Maßnahmen Abstand genommen wer<strong>den</strong>. Wird Kraftwerken beispielsweise<br />

der Erwerb von Emissionszertifikaten vorgeschrieben,<br />

so reicht diese Maßnahme aus, ihre Emissionen zu regulieren. Darüber<br />

hinaus weitere Vorschriften zu erlassen, in <strong>den</strong>en Haushalten<br />

vorgeschrieben wird, welche Glühbirnen oder Haushaltsgeräte<br />

sie verwen<strong>den</strong> dürfen, oder Kraftwerksbetreibern vorzuschreiben,<br />

dass sie einen bestimmten Anteil ihrer Energie über <strong>den</strong> Ankauf<br />

von Win<strong>den</strong>ergie abdecken müssen, ist redundant. Das einzige, was<br />

dadurch erreicht wird, sind höhere Kosten und eine verständliche<br />

Ablehnung des gesamten Konzepts der Klimapolitik durch die Bevölkerung.<br />

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik


4 KOSTENEFFIZIENZ: Um die mögliche Vermeidung mithilfe der begrenzten<br />

Ressourcen, die eine Gesellschaft da<strong>für</strong> zu geben bereit ist,<br />

zu maximieren, müssen die Vermeidungsoptionen ohne Wenn und<br />

Aber dahingehend überprüft wer<strong>den</strong>, ob die Grenzkosten die besten<br />

Schätzungen der Grenzschä<strong>den</strong> übersteigen. Bei Vorliegen eines<br />

Preisgestaltungsinstruments erfolgt dies automatisch in umfassender<br />

Weise. Angesichts der aktuellen technologischen Vermeidungsmöglichkeiten<br />

ergibt sich daraus eine vermutlich eher geringe<br />

Vermeidung; doch mit zunehmender technologischer Entwicklung<br />

und Abflachung der GVK-Kurve wird auch das Emissionsniveau automatisch<br />

sinken.<br />

43<br />

5 ZIELAUSRICHTUNG: Politische Maßnahmen einschließlich von<br />

Preisgestaltungsinstrumenten sollten an der jeweiligen Zielvariablen<br />

ausgerichtet wer<strong>den</strong>, in diesem Zusammenhang, an <strong>den</strong> CO 2 -Emissionen.<br />

Allzu häufig wen<strong>den</strong> Politiker Regeln auf andere Variablen (z. B.<br />

Kraftstoffverbrauchsregeln, Größe von Haushaltsgeräten, Art der zu<br />

verwen<strong>den</strong><strong>den</strong> Glühbirnen usw.) an, die nur indirekt mit dem eigentlichen<br />

Umweltproblem verbun<strong>den</strong> sind. Die Emissionsreduzierung<br />

wird dadurch nur unnötig verteuert und verliert an Effizienz.<br />

Die Irrationalität der ‘grünen Ökonomie’<br />

Dank obiger Analyse können wir nun das Problem der weit verbreiteten<br />

Vorstellung einer „grünen Ökonomie“ verstehen. Der Begriff der „grünen<br />

Ökonomie“ bezeichnet Ten<strong>den</strong>zen zahlreicher Länder auf der ganzen<br />

Welt – vor allem der Industrienationen –, sich spezieller Vorschriften<br />

und Subventionen zu bedienen, um <strong>den</strong> Übergang von konventionellen<br />

Energieträgern auf alternative Quellen wie Wind- und Solarenergie zu<br />

fördern und auf kleinerer Ebene <strong>den</strong> Elektrizitäts- und Brennstoffverbrauch<br />

der Haushalte durch detaillierte Beschränkungen der zulässigen<br />

Geräte, Fahrzeuge und anderen Bedarfsartikel vorzuschreiben.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


44<br />

Die Motivation <strong>für</strong> diese Art von Politik ist nicht ganz klar. Manchmal<br />

wird behauptet, das Ziel sei die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die<br />

Behauptung, dass durch Subventionen oder Vorschriften Arbeitsplätze<br />

in einer bestimmten Branche geschaffen wer<strong>den</strong> könnten, ist alt<br />

und stößt immer wieder auf dieselben Schwierigkeiten. Arbeitet die<br />

Industrie profitabel, braucht sie keine Subventionen oder speziellen<br />

Vorschriften, um zu wachsen. Ist sie nicht profitabel, sollte sie vom<br />

Staat nicht subventioniert oder begünstigt wer<strong>den</strong>. Unter normalen<br />

Umstän<strong>den</strong> zeigt ein Unternehmen dadurch, dass es kontinuierlich<br />

Geld verliert, dass seine Erzeugnisse weniger wert sind als die Mittel,<br />

die es in seinen Produktionsprozess investiert hat. Zwingt die Politik<br />

die Industrie nun, <strong>den</strong>noch zu wachsen, muss dies zwangsläufig zu einer<br />

Zerstörung von Wohlstand in der Wirtschaft führen. Berücksichtigt<br />

man diesen Wohlstandsverlust sowie die Kosten, die <strong>den</strong> Steuerzahlern<br />

aufgebürdet wer<strong>den</strong>, das Subventionsprogramm zu finanzieren, zeigt<br />

sich in der Regel, dass durch derlei Maßnahmen mehr Arbeitsplätze<br />

verloren gehen, als neue geschaffen wer<strong>den</strong>. Wenn die subventionsbzw.<br />

regulierungsgesteuerte Ausweitung einer Branche tatsächlich ein<br />

verlässlicher Mechanismus zur Schaffung von Arbeitsplätzen wäre,<br />

dürfte es angesichts der häufigen Versuche vieler Regierungen schon<br />

längst keine Arbeitslosigkeit mehr geben.<br />

Bisweilen geben Politiker vor, die „grüne Ökonomie“ ziele darauf<br />

ab, die Vorteile revolutionärer neuer Technologien zu nutzen, um<br />

nicht Gefahr zu laufen, im Wettbewerb um deren Einführung „ins<br />

Hintertreffen zu geraten“. Gelegentlich treten tatsächlich echte neue<br />

Technologien auf <strong>den</strong> Plan – wie beispielsweise das Internet oder der<br />

Verbrennungsmotor oder tragbare Computer. Doch die Produktion<br />

und Nutzung solcher Güter findet allein aufgrund der Tatsache weltweite<br />

Verbreitung, dass die Menschen diese kaufen wollen und Unternehmer<br />

davon profitieren, in Unternehmen zu investieren, die diese<br />

anbieten können. Zu einer Verbreitung neuer Technologien kommt es<br />

<strong>für</strong> gewöhnlich nicht, weil der entsprechende Industriezweig von der<br />

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik


Regierung gefördert wird. Handelt es sich um echte brauchbare Innovationen,<br />

regeln Angebot und Nachfrage <strong>den</strong> Markt von selbst. Anders<br />

gesagt: echte brauchbare Technologien fin<strong>den</strong> <strong>den</strong> Weg zu <strong>den</strong> geeigneten<br />

Nutzern über <strong>den</strong> Markt. Gelingt es der Technologie nicht, sich<br />

allein durchzusetzen, steht zu vermuten, dass es sich entweder technologisch<br />

oder wirtschaftlich – oder aus beiderlei Hinsicht – nicht um<br />

eine brauchbare Technologie handelt.<br />

Schließlich wird die „grüne Ökonomie“ häufig als eine Form der<br />

Umweltpolitik angepriesen, deren Ziel in der Regel die Reduzierung<br />

der Treibhausgasemissionen ist. In diesem Fall jedoch verdeutlicht die<br />

Tatsache, dass sie <strong>den</strong> oben genannten fünf Grundsätzen zuwiderläuft,<br />

dass es sich um ein <strong>für</strong> <strong>den</strong> gewünschten Zweck im Grunde äußerst unwirksames<br />

Instrument handelt. Die Subventionierungen industrieller<br />

Windkraftanlagen und riesiger Solarparks sind indirekte Maßnahmen<br />

zur Umsetzung willkürlicher Mengenziele (wie bspw. die Forderung,<br />

10 % der Elektrizität müssten aus Win<strong>den</strong>ergie stammen), die ungeachtet<br />

dessen verfolgt wer<strong>den</strong>, ob die Grenzkosten <strong>den</strong> Grenznutzen<br />

übersteigen und sie angesichts anderer Maßnahmen zur direkten<br />

Emissionsbegrenzung redundant sind. Geht es der Politik tatsächlich<br />

um Treibhausgasemissionen, sollte sie eine auf Treibhausgasemissionen<br />

ausgerichtete Preispolitik gestalten. Maßnahmen im Rahmen einer<br />

„grünen Ökonomie“ sind bestenfalls überflüssig, schlimmstenfalls<br />

verschwenderisch und wirtschaftsschädigend.<br />

45<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


3.<br />

Unsicherheit bezüglich<br />

des Grenzscha<strong>den</strong>s<br />

Wen<strong>den</strong> wir uns nun einer genaueren Diskussion der Grenzscha<strong>den</strong>skurve<br />

(GS-Kurve) zu. Angenommen, die optimale Politik besteht in<br />

einer Emissionssteuer, so stehen wir <strong>den</strong>noch vor der großen Herausforderung,<br />

uns nicht nur darüber zu einigen, auf welchem Niveau diese<br />

Steuer einsetzen, sondern auch wie sie sich mit der Zeit entwickeln<br />

sollte. Um diese Fragen beantworten zu können, ist eine Betrachtung<br />

der potenziellen Schä<strong>den</strong> erforderlich, die durch CO 2 -Emissionen verursacht<br />

wer<strong>den</strong> können. Dieses Kapitel befasst sich mit der allgemeinen<br />

Frage, ob CO 2 -Emissionen als extreme Gefahr, die ein drastisches<br />

Eingreifen erfordert, als triviale Erscheinung, die ignoriert wer<strong>den</strong><br />

kann, oder als irgendetwas dazwischen betrachtet wer<strong>den</strong> sollten. Ich<br />

argumentiere wie folgt:<br />

47<br />

1 Es gibt genügend Anlass, CO 2 -Emissionen als Besorgnis erregend zu<br />

betrachten, auch wenn nicht feststeht, in welchem Maße.<br />

2 Die Auswirkungen der CO 2 -Emissionen (und anderer Treibhausgase)<br />

auf die Umwelt sind von komplexen natürlichen Rückkopplungen<br />

abhängig, deren Ausmaß nicht einfach anhand bekannter<br />

physikalischer Grundprinzipien ermittelt wer<strong>den</strong> kann und damit<br />

zwangsläufig auf Modellannahmen beruht.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


3 Modellannahmen sind <strong>für</strong> sich genommen kein Beweis <strong>für</strong> das Ausmaß<br />

der gesamten ökologischen Auswirkungen von CO 2 und müssen<br />

anhand konkreter Daten überprüft wer<strong>den</strong>.<br />

48<br />

4 Die verfügbaren Daten variieren in Bezug auf Qualität und Zeitraum<br />

ihrer Verfügbarkeit. Die längsten Datenreihen sind <strong>für</strong> gewöhnlich<br />

von geringerer Qualität und umgekehrt. Einige der hochwertigsten<br />

Datenreihen sind inzwischen allerdings ausreichend<br />

lang, um eine aussagekräftige Überprüfung von Modellannahmen<br />

zu ermöglichen.<br />

5 Zwischen <strong>den</strong> Klimamodellprognosen und <strong>den</strong> Beobachtungen<br />

bestehen signifikante statistische (und klimatologische) Diskrepanzen,<br />

die darauf hinweisen, dass die Rückkopplungen geringer ausfallen<br />

als in <strong>den</strong> Klimamodellen angenommen.<br />

6 Die derzeit existieren<strong>den</strong> Überwachungssysteme wer<strong>den</strong> innerhalb<br />

des nächsten Jahrzehnts ausreichend Daten hoher Qualität bieten,<br />

um die bestehen<strong>den</strong> Fragen bezüglich der Auswirkungen von CO 2<br />

auf das globale Klima zu beantworten.<br />

In <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Abschnitten wer<strong>den</strong> die genannten Fragen genauer<br />

erörtert.<br />

CO 2 -bedingte Erwärmung und Rückkopplungen<br />

Die Energie der Sonne erwärmt die Erd- und die Meeresoberfläche.<br />

Um das energetische Gleichgewicht zu wahren, muss die Erde dieselbe<br />

Menge Energie wieder abgeben, die sie von der Sonne erhält. Die Erdund<br />

Meeresoberflächen der Erde geben auf zweierlei Arten Energie ab:<br />

durch Radiation und durch Konvektion. Bei Radiation handelt es sich<br />

um die Emission von Infrarotenergie in die Atmosphäre. Konvektion<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


entsteht durch <strong>den</strong> Austausch von Warmluft nahe der Erdoberfläche<br />

und Kaltluft aus <strong>den</strong> oberen Schichten der Atmosphäre, wodurch Luftströmungsmuster,<br />

Windsysteme, Wolken und Stürme sowie andere<br />

Wettererscheinungen entstehen (Held und So<strong>den</strong> 2000, Houghton<br />

1997, Essex 1991).<br />

CO 2 -Emissionen und andere Treibhausgase lassen die Luft <strong>für</strong><br />

Infrarotstrahlen undurchlässiger wer<strong>den</strong>, wodurch die Effizienz der<br />

Atmosphäre bei der Abgabe von Energie an <strong>den</strong> Weltraum gemindert<br />

wird. Eine Aufrechterhaltung der Emissionsintensität verursacht einen<br />

Anstieg der atmosphärischen Temperatur und Veränderungen der konvektiven<br />

Aktivität. Während die Temperaturveränderung <strong>für</strong> gewöhnlich<br />

als relativ vorhersagbar gilt, ergeben sich aus <strong>den</strong> Veränderungen<br />

der konvektiven und zirkulativen Aktivität Turbulenzprobleme, die<br />

anhand der bekannten Grundprinzipien der Atmosphärenphysik nicht<br />

vorhergesagt wer<strong>den</strong> können. Aus diesem Grund kommen numerische<br />

Klimamodelle oder allgemeine Zirkulationsmodelle (General Circulation<br />

Models, GCM) zum Einsatz. Das auch <strong>den</strong> Modellen des IPCC-Berichts<br />

von 2007 zugrundeliegende aktuelle Schema geht davon aus, dass eine<br />

Verdoppelung der in der Atmosphäre vorhan<strong>den</strong>en CO 2 -Menge einen<br />

relativ geringen Anstieg der Durchschnittstemperatur um etwa 1 °C<br />

(siehe Held und So<strong>den</strong> 2000) nach sich ziehen würde. Das wiederum<br />

führt zu einer Erhöhung des Wasserdampfgehalts der Atmosphäre und<br />

nach Berücksichtigung der Rückkopplungsprozesse, insbesondere eben<br />

dieser Ansammlung von Wasserdampf in der Atmosphäre, zu einer<br />

mindestens doppelt so hohen Erwärmung von zwei bis vier Grad. Ein<br />

Großteil der Sorgen in der Politik bezüglich der CO 2 -Emissionen ist auf<br />

das Ausmaß der potenziellen Rückkopplungsprozesse zurückzuführen<br />

und weniger auf die Folgen von CO 2 selbst.<br />

Klimamodelle rechnen nicht einfach auf Grundlage der zugrundeliegen<strong>den</strong><br />

physikalisch-theoretischen Formeln, da die Bewegungsgleichungen<br />

zwar auf lokaler Ebene wie bspw. in Bezug auf ideale Gase<br />

oder isolierte Volumina Gültigkeit haben, nicht jedoch in bekannter<br />

49<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


50<br />

Form auf globaler Ebene anwendbar sind. Die Modelle beruhen daher<br />

immer auf vereinfachten Darstellungen, so genannten „Parametrisierungen“,<br />

die einfache Näherungswerte unter Verwendung von empirischen<br />

oder auf Grundlage von Näherungsprozessen hergeleiteten<br />

Koeffizienten heranziehen (Knutti 2008).<br />

Wolken beispielsweise entstehen durch Tröpfchenbildung auf<br />

molekularer Ebene. Da die Gleichungen, anhand derer die Tröpfchenbildung<br />

beschrieben wird, nicht <strong>für</strong> allgemeingültige Aussagen<br />

bezüglich der durchschnittlichen Wolkendecke herangezogen wer<strong>den</strong><br />

können, müssen empirische Näherungsmodelle entwickelt wer<strong>den</strong>,<br />

die von anderen in der Atmosphäre über einer bestimmten Region<br />

herrschen<strong>den</strong> Bedingungen wie Temperatur, Windmuster, Atmosphärenchemie<br />

usw. ausgehen, um die durchschnittliche Wolkendecke<br />

über großen Regionen und lange Zeiträume vorherzusagen. Schwankungen<br />

in der modellhaften Darstellung des Wolkenverhaltens sind<br />

die Ursache <strong>für</strong> einige der größten Abweichungen von einem Modell<br />

zum anderen (Kiehl 2007, CCSP 2008, Seite 41). Bereits geringfügige<br />

Schwankungen beim Ausmaß der Rückkopplungsprozesse können zu<br />

großen Abweichungen bei der simulierten Klimasensitivität gegenüber<br />

Treibhausgasen führen.<br />

Da viele der Prozesse, die <strong>für</strong> das Ausmaß der Rückkopplung<br />

grundlegend sind, auf empirischen Näherungswerten beruhen, ist<br />

eine Prüfung der GCM-Ergebnisse in Bezug auf Daten aus Beobachtungen<br />

<strong>für</strong> die Bestätigung oder Ablehnung der <strong>den</strong> GCM in Form von<br />

Parametrisierungen zugrundeliegen<strong>den</strong> Annahmen von wesentlicher<br />

Bedeutung. Weder können Modellversuche als Prüfung <strong>für</strong> die Gültigkeit<br />

von Modellen dienen, noch kann die Ähnlichkeit von Modellversuchen<br />

in verschie<strong>den</strong>en Modellgruppen als Nachweis <strong>für</strong> die Gültigkeit<br />

von Modellen dienen, da allen dieselben Fehler zugrundeliegen können.<br />

Modelle müssen daher immer in Bezug auf aus Beobachtungen<br />

gewonnenen Daten geprüft wer<strong>den</strong>.<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


Klimadaten<br />

Um überhaupt eine Aussage über potenzielle Schä<strong>den</strong> treffen zu können,<br />

die auf die globale Erwärmung zurückzuführen sind, ist eine Messung<br />

der Klimaveränderungen erforderlich. Nachfolgend wer<strong>den</strong> die<br />

im Allgemeinen herangezogenen Datenquellen untersucht. 2<br />

Daten in Bezug auf die Erdoberfläche<br />

Bezüglich der Erdoberfläche gibt es drei zentrale globale Temperaturdatenreihen.<br />

Das Institut <strong>für</strong> Klimaforschung der Universität von East<br />

Anglia (Climate Research Unit, CRU) veröffentlicht die CRUTEM-Daten,<br />

die in Jones et al. (1999) beschrieben sind, sowie die aktualisierten Fassungen<br />

CRUTEM2 (Jones und Moberg 2003) und CRUTEM3 (Brohan et<br />

al. 2006). Die abweichungsbereinigte Fassung ist unter der Bezeichnung<br />

CRUTEM3v bekannt. Eine weitere Datenreihe stammt vom Goddard<br />

Institute of Space Studies (GISS) der NASA, eine dritte von der USamerikanischen<br />

National Oceanic and Atmospheric Administration<br />

(NOAA). Alle drei Datenreihen greifen auf das als GHCN – Global Historical<br />

Climatology Network – bekannte Wetterdatenarchiv zurück. 3<br />

51<br />

2 Dieser Abschnitt greift auf zuvor in McKitrick (2010d) veröffentlichte Daten zurück.<br />

3 Die Internetadresse des GHCN lautet http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/ghcn-monthly/<br />

index.php. Eine Liste der Quellen findet sich unter http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/ghcnmonthly/source-table1.html.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


GHCN-Zahlung der Wetterstationen<br />

Abbildung 5<br />

Unbereinigte GHCN-Daten<br />

Um fehlende Daten und Mehrfachzählungen bereinigte GHCN-Daten<br />

6.000<br />

Global<br />

6.000<br />

Nördliche<br />

Hemisphäre<br />

6.000<br />

Südliche<br />

Hemisphäre<br />

4.500<br />

4.500<br />

4.500<br />

52<br />

3.000<br />

3.000<br />

3.000<br />

1.500<br />

1.500<br />

1.500<br />

0<br />

0<br />

1910 1950 1990 1910 1950 1990<br />

1910 1950 1990<br />

0<br />

Datenquelle: GHCN | Für detailierte Berechnungen vgl. McKitrick (2010d)<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


Das GHCN wurde in <strong>den</strong> frühen 1990er Jahren als Kooperationsprojekt<br />

des Carbon Dioxide Information and Analysis Center (CDIAC)<br />

und des National Climatic Data Center (NCDC) ins Leben gerufen. Ziel<br />

war der Aufbau eines gegenüber <strong>den</strong> damals über das CRU oder andere<br />

Forschungsinstitute erhältlichen Daten umfassenderen Temperaturdatenarchivs.<br />

Die erste Version wurde im Jahr 1992 (Vose et al. 1992)<br />

auf Grundlage von Bestandsdaten ohne Korrektur von Inhomogenitäten<br />

veröffentlicht 4 . Die zweite Version (GHCN v2) erschien im Jahr<br />

1997 und ist in Peterson und Vose (1997) beschrieben. Erläuterungen<br />

zu <strong>den</strong> Metho<strong>den</strong> der Qualitätssicherung fin<strong>den</strong> sich in Peterson et al.<br />

(1998). Während der Vorbereitung von GHCN v2 nahmen die Autoren<br />

einige Korrekturen von Inhomogenitäten vor und ergänzten die Daten<br />

der Messstationen im Hinblick auf ein besseres Verständnis der<br />

Quellenqualität durch die Nutzer um Metadaten wie die umliegende<br />

Bevölkerung sowie um genaue Informationen zu <strong>den</strong> Standorten der<br />

einzelnen Messstationen.<br />

Wie Abbildung 5 zeigt, stehen <strong>für</strong> die nördliche Hemisphäre fünfmal<br />

mehr Wetteraufzeichnungen zur Verfügung als <strong>für</strong> die südliche<br />

Hemisphäre. Die Gesamtanzahl der Wetteraufzeichnungen des GHCN<br />

erreichte in <strong>den</strong> 1960er und 1970er Jahren einen Höhepunkt und<br />

nahm seitdem in bei<strong>den</strong> Hemisphären deutlich ab. Dieser Trend setzte<br />

sich nach 1989 fort, bis schließlich im Jahr 2005 ein schwerer Einbruch<br />

zu verzeichnen war. Der mittlere bzw. linke Teil der Abbildung<br />

53<br />

4 Der Begriff „Inhomogenitäten“ ist in Bezug auf Temperaturdaten eher untechnisch definiert<br />

und bezeichnet ursprünglich eine durch Veränderungen der Gerätschaften, Veränderungen der<br />

Beobachtungszeit, die Verlegung einer Wetterstation o. Ä. hervorgerufene Messdiskontinuität.<br />

Einige Autoren verwen<strong>den</strong> <strong>den</strong> Begriff auch, um Messabweichungen aufgrund von Urbanisierung,<br />

Veränderungen der Landnutzung und anderen nichtklimatischen Einflüssen abzubil<strong>den</strong>, auch<br />

wenn hier<strong>für</strong> viele Autoren auf eine unterschiedliche Begrifflichkeit zurückgreifen. Wenn also<br />

in Bezug auf ein Archiv wie dem GHCN von einer „Korrektur von Inhomogenitäten“ die Rede ist,<br />

kann dies daher als „Korrektur von Messdiskontinuitäten“, nicht notwendigerweise jedoch als<br />

„Korrektur von durch lokale, nichtklimatische Einflüsse hervorgerufenen Messabweichungen“<br />

ausgelegt wer<strong>den</strong>.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


54<br />

zeigt die nördliche bzw. südliche Hemisphäre und belegt, dass es sich<br />

bei der sinken<strong>den</strong> Anzahl von Wetterstationen um ein globales Phänomen<br />

handelte. Der Messumfang ist von seinem Höhepunkt Anfang<br />

der 1970er Jahre um etwa 75 % auf <strong>den</strong> tiefsten Wert seit dem Ende des<br />

neunzehnten Jahrhunderts gesunken. Aktuell erfasst das GHCN weniger<br />

Temperaturdaten als zu Ende des Ersten Weltkrieges.<br />

Während GHCN v2 zumindest über Daten aus nahezu allen Gegen<strong>den</strong><br />

der Welt verfügt, liegen <strong>für</strong> das gesamte 20. Jahrhundert weitestgehend<br />

auf die USA, Südkanada, Europa und einige wenige andere<br />

Standorte beschränkte Daten vor. Die globale Abdeckung mit vollständigen<br />

täglichen Aufzeichnungen (einschließlich der Ablesung der<br />

Höchst- und Tiefstwerte sowie von Durchschnittswerten) ist seit 1900<br />

äußerst unvollständig. Abgesehen von <strong>den</strong> USA, Südkanada und <strong>den</strong><br />

australischen Küstenregionen liegen nur wenige entsprechende Aufzeichnungen,<br />

<strong>für</strong> das Landesinnere ganzer Teile von Südamerika, Afrika,<br />

Europa und Asien überhaupt keine Beobachtungen vor (Peterson<br />

und Vose 1997, Abbildungen 3 und 4).<br />

Von <strong>den</strong> 31 <strong>für</strong> das GHCN herangezogenen Datenquellen sind nur<br />

<strong>für</strong> drei regelmäßige monatliche Aktualisierungen erhältlich. Bei zweien<br />

davon handelt es sich um US-Netzwerke, bei dem dritten um ein<br />

aus 1.500 Stationen bestehendes Netzwerk, das über das so genannte<br />

CLIMAT-Netzwerk automatisch Wetterdaten übermittelt.<br />

Die Veränderung der verwendeten Datenquellen erfolgte in Bezug<br />

auf die Art der Quellen nicht einheitlich. So haben sich die Messungen<br />

beispielsweise hin zu Flughafenstandorten verlagert, die dem Problem<br />

unterworfen sind, dass sie sich häufig an urbanen oder suburbanen<br />

Standorten befin<strong>den</strong>, die in <strong>den</strong> vergangenen Jahrzehnten errichtet<br />

wur<strong>den</strong>. Zudem hat der zunehmende globale Luftverkehr zu einer<br />

Erwärmung durch Faktoren wie Verkehr, Straßenwege, Gebäude und<br />

Abfall geführt, die ausnahmslos nur schwer aus <strong>den</strong> Temperaturaufzeichnungen<br />

herausgenommen wer<strong>den</strong> können. Wie Abbildung 6 zu<br />

entnehmen ist, kam es infolge der oben gezeigten Stationsverluste<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


zu einer Zunahme der Beobachtungen von Flughafenstandorten. Die<br />

meisten Regionen wiesen hier mit 40 % oder mehr im Jahr 1980 bereits<br />

zu Beginn hohe Werte auf. Gegenüber knapp über 20 % in <strong>den</strong><br />

späten 1920er Jahren stammt heute mindestens die Hälfte der regionalen<br />

Messungen von Flughäfen.<br />

Die CRUTEM-Daten beruhen fast vollständig auf dem GHCN. Infolge<br />

eines 2007 gestellten Antrags gemäß dem Freedom of Information<br />

Act 5 , der allen US-Bürgern freien Zugang zu <strong>den</strong> Akten, Unterlagen<br />

und Informationen der Verwaltung gewährt, gab das CRU offiziell<br />

an, dass die von ihm verwendeten Stationsdaten aus zwei Quellen<br />

stammten: dem GHCN und dem US-amerikanischen National Center<br />

for Atmospheric Research (NCAR) in Form der Datensätze ds540.0<br />

und ds570.0. Auf der NCAR-Website entspricht ds540.0 im Wesentlichen<br />

dem GHCN v2 (http://dss.ucar.edu/datasets/ds564.0/). Bei dem<br />

Datensatz ds570.0 handelt es sich um die World Monthly Surface Station<br />

Climatology (http://dss.ucar.edu/datasets/ds570.0/), die größte<br />

Einzelkomponente des GHCN-v2-Archivs (Peterson und Vose (1997),<br />

Tabelle 1). In einer weiteren Darstellung gab das CRU <strong>den</strong> Anteil der aus<br />

diesen Quellen stammen<strong>den</strong> Daten mit etwa 98 % an.<br />

55<br />

5 Das Korrespon<strong>den</strong>zarchiv findet sich im Internet unter http://climateaudit.files.wordpress.<br />

com/2008/05/cru.correspon<strong>den</strong>ce.pdf.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


Anzahl GHCN-Stationen an Flughäfen in Prozent<br />

im Zeitraum 1890 – 2009<br />

Abbildung 6<br />

80<br />

Global<br />

80<br />

Nördliche<br />

Hemisphäre<br />

80<br />

Südliche<br />

Hemisphäre<br />

60<br />

60<br />

60<br />

56<br />

40<br />

40<br />

40<br />

20<br />

20<br />

20<br />

0<br />

0<br />

0<br />

1890 1930 1970 2010 1890 1930 1970 2010 1890 1930 1970 2010<br />

Quelle: GHCN | Für detaillierte Berechnungen siehe McKitrick (2010d)<br />

Die globalen Temperaturdaten des Goddard Institute of Space Studies<br />

der NASA gehen auf drei Ausgangsarchive zurück: GHCN v2 <strong>für</strong><br />

die gesamte Welt mit Ausnahme der USA und der Antarktis, das US<br />

Historical Climatology Network (USHCN, ebenfalls ein NCDC-Produkt)<br />

sowie ein Archiv der Antarktisstationen des Scientific Committee on<br />

Antarctic Research 6 . Der größte Teil der von <strong>den</strong> USA in das GHCN eingespeisten<br />

Daten stammt aus dem USHCN, das jedoch auch seine eigenen<br />

Anpassungen zur Qualitätssicherung vornimmt.<br />

6 http://data.giss.nasa.gov/gistemp/sources/gistemp.html<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


Die NOAA veröffentlicht monatlich eine Übersicht über globale<br />

Temperaturanomalien (http://www.ncdc.noaa.gov/cmb-faq/anomalies.html).<br />

Auf der NOAA-Website findet sich der Hinweis, dass die Landaufzeichnungen<br />

aus dem GHCN-Archiv stammen. Weitere Quellen<br />

sind nicht aufgeführt. Die drei zentralen Rasterdatensätze in Bezug<br />

auf globale Temperaturanomalien beruhen daher ausschließlich bzw.<br />

nahezu ausschließlich auf Daten aus dem GHCN-Archiv. Die Probleme<br />

des GHCN wie Messdiskontinuitäten und Verunreinigungen durch<br />

Urbanisierung und andere Formen veränderter Landnutzung wirken<br />

sich daher auch auf die Daten des CRU, des GISS und der NOAA aus.<br />

Die mit der Zeit abnehmende Qualität der GHCN-Daten führt damit<br />

zu einer ebenfalls abnehmen<strong>den</strong> Qualität der Datensätze des CRU, des<br />

GISS und der NOAA sowie zu einem stärkeren Einfluss durch Datenanpassungen<br />

zum Ausgleich von Messabweichungen.<br />

57<br />

Daten in Bezug auf die Meeresoberfläche<br />

Alle historischen Daten bezüglich der Meeresoberflächentemperatur<br />

(Sea Surface Temperature, SST) sind dem International Comprehensive<br />

Ocean-Atmosphere Data Set (ICOADS, http://icoads.noaa.gov/) oder<br />

einem seiner Vorgängerarchive entnommen. Das ICOADS kombiniert<br />

etwa 125 Millionen SST-Datensätze aus Schiffsaufzeichnungen sowie<br />

weitere 60 Millionen Werte aus Bojen und anderen Quellen (Woodruff<br />

et al. 2005). Das ICOADS stützt sich auf eine große Sammlung von Eingangsdaten,<br />

wobei jedoch darauf hingewiesen wer<strong>den</strong> sollte, dass sich<br />

bspw. aufgrund von Veränderungen der räumlichen Abdeckung, der<br />

Beobachtungsinstrumente und der Messzeiten sowie der Größe und<br />

Geschwindigkeit des Schiffes gravierende Schwierigkeiten ergeben. Im<br />

Grunde handelt es sich bei <strong>den</strong> ICOADS-Datensätzen um eine große<br />

Ansammlung problematischer Daten.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


58<br />

Das britische Hadley Centre erstellt hinsichtlich der Meeresoberflächentemperatur<br />

zwei gerasterte Datensatzsammlungen: HADSST2<br />

und HADISST (Beschreibungen fin<strong>den</strong> sich unter www.hadobs.org).<br />

Die in der Sammlung HADSST2 verzeichneten Datensätze wer<strong>den</strong><br />

mit <strong>den</strong> CRUTEM-Daten <strong>für</strong> die Erdoberfläche zu dem so genannten<br />

globalen HADCRU-Datensatz kombiniert. Die HADSST2 zugrundeliegen<strong>den</strong><br />

Metho<strong>den</strong> sind in Rayner et al. (2006) dargestellt. Bis 1997<br />

verwendete HADSST2 die ICOADS-Daten, 1998 erfolgte die Umstellung<br />

auf ein ICOADS-Teilsystem namens Near Real-Time (NRT) Marine<br />

Observations (http://icoads.noaa.gov/nrt.html). Das ICOADS weist<br />

darauf hin, dass beide nicht vollständig konsistent sind (siehe http://<br />

icoads.noaa.gov/products.html). Ende 2010 läuft das NRT-System<br />

aus, da das ICOADS-System nunmehr hinreichend automatisiert ist,<br />

um kontinuierlich aktualisiert wer<strong>den</strong> zu können; das Hadley Centre<br />

wird in der Folge vermutlich wieder auf die ICOADS-Daten als Quelle<br />

zurückgreifen.<br />

Die HADSST2-Datensatzsammlung weist Lücken und spärliche<br />

Daten in der Oberflächenabdeckung auf. Die HADISST-Datensatzsammlung<br />

bietet unter Verwendung von Interpolationsmetho<strong>den</strong><br />

eine „vollständige“ globale Abdeckung bzw. anders ausgedrückt Zahlen<br />

<strong>für</strong> jede Rasterzelle. Wichtigste Datenquelle ist die britische Met<br />

Office’s Marine Data Bank, die bis 1995 durch ICOADS-Daten aufgefüllt<br />

wurde. Fehlende Rasterzellen wer<strong>den</strong> durch eine auf Hauptkomponentenanalysen<br />

beruhende numerische Methode ergänzt. Nach 1982 flossen<br />

Satellitendaten in <strong>den</strong> Interpolationsalgorithmus ein.<br />

Die NOAA verwendet zur Ermittlung der so genannten Extended<br />

Reconstruction Sea Surface Temperature (ERSST) ICOADS-Daten. Seit<br />

1985 griff die NOAA zur Abdeckung in <strong>den</strong> Polargebieten auf Satellitenbeobachtungen<br />

des Advanced Very High Resolution Radiometer (AV-<br />

HRR) zurück, stellte dabei jedoch einen leichten Rückgang des Trends<br />

fest und führte diesen Effekt auf systematisch zu niedrig gemessene<br />

Temperaturen (Cold Bias) zurück, sodass die Satellitendaten in der<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


Folge entfernt wur<strong>den</strong> (siehe http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/<br />

research/sst/ersstv3.php).<br />

Das GISS verwendet andere NOAA-Daten, nämlich die Optimal Interpolation<br />

Version 2 (OI.v2) Datenbank von Reynolds et al. (2008), die<br />

bis 1998 auf ICOADS-Daten beruhte. Anschließend erfolgte wie beim<br />

Hadley Centre eine Umstellung auf ein kontinuierlich aktualisiertes<br />

Teilsystem, wodurch mit einem Mal etwa 20 % der Messungen verloren<br />

gingen. Das aktualisierte Teilsystem wird durch Bojendaten ergänzt, da<br />

viele Schiffsaufzeichnungen nur als Hardcopy vorgelegt wer<strong>den</strong>. Die<br />

OI.v2-Datenbank greift zudem auf AVHRR-Satellitendaten zurück, um<br />

die Interpolation <strong>für</strong> Regionen, in <strong>den</strong>en keine Messungen stattfin<strong>den</strong>,<br />

zu verbessern. Im Gegensatz zum ERSST-Datensatz fin<strong>den</strong> die Satellitendaten<br />

in <strong>den</strong> OI.v2-Datensatz nach wie vor Eingang.<br />

Bis in die 1930er Jahre beschränkte sich die Meeresdatenerfassung<br />

auf die Gebiete, in <strong>den</strong>en Schiffsverkehr herrschte. In <strong>den</strong> meisten Regionen<br />

des Südpazifik, in etwa in dem Bereich südlich einer Linie von<br />

der Halbinsel Baja California bis zur Südspitze Afrikas, wur<strong>den</strong> innerhalb<br />

eines Jahrzehnts weniger als 99, in vielen Gebieten überhaupt keine<br />

Messungen durchgeführt. In <strong>den</strong> 1970er Jahren war die Abdeckung<br />

mit Ausnahme von Südaustralien, Südamerika und Afrika nahezu<br />

komplett. Heute fehlen auf der Karte nur noch einige Polargebiete<br />

(Woodruff et al. 2008, Abbildung 5).<br />

Die Daten <strong>für</strong> die Zeit vor 1978 stammen nahezu vollständig aus<br />

Schiffsaufzeichnungen. Seit 1978 erfolgt die Datenerfassung hauptsächlich<br />

mittels Treib- und Mooringbojen (Woodruff et al. 2008). Messungen<br />

auf Schiffen und Bojen wer<strong>den</strong> als In-Situ-Messungen bezeichnet.<br />

Eine weitere Datenquelle, die in <strong>den</strong> vergangenen Jahrzehnten an<br />

Bedeutung gewann, sind Satellitenbeobachtungen der Meeresoberfläche,<br />

die dazu dienen, die Abdeckung auch auf Gebiete außerhalb der<br />

In-Situ-Gebiete auszuweiten. Rayner et al. (2003) weisen jedoch darauf<br />

hin, dass auch Satellitensysteme mit Schwierigkeiten verbun<strong>den</strong><br />

sind. Satellitenmessungen der Meeresoberflächentemperatur weisen<br />

59<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


60<br />

Ungenauigkeiten auf, sobald eine Wolkendecke vorhan<strong>den</strong> ist und es<br />

zu Schwankungen hinsichtlich des Staubs und der Aerosole in der Atmosphäre<br />

kommt. Infrarotdaten aus dem AVHRR-System können die<br />

SST zwar exakt messen, müssen jedoch gegenüber <strong>den</strong> bestehen<strong>den</strong><br />

SST-Datensätzen kalibriert wer<strong>den</strong>, um Messgeräteabweichungen zu<br />

vermei<strong>den</strong>. Bei tief hängen<strong>den</strong> Wolkendecken und hoher Aerosolbelastung<br />

sind die Messungen unzuverlässig. Neue Satellitenplattformen<br />

wie die Tropical Rainfall Measuring Mission (TRMM) und das Advanced<br />

Microwave Scanning Radiometer (AMSR-E) haben in <strong>den</strong> vergangenen<br />

Jahren die Möglichkeiten der Datenerfassung bei Vorliegen von<br />

Wolken und Aerosolen deutlich verbessert.<br />

Schiffsdaten wer<strong>den</strong> aufgrund der Vermischung von zwei unterschiedlichen<br />

Messtypen skeptisch beäugt. Früher wurde zur Messung<br />

der SST ein Eimer Wasser von der Meeresoberfläche an Deck eines<br />

Schiffes gezogen und die Temperatur des Wassers mit einem Thermometer<br />

gemessen. Je nachdem, was <strong>für</strong> ein Eimer da<strong>für</strong> verwendet<br />

wurde – bspw. ein Holzeimer oder ein vom Wetteramt ausgegebener<br />

Segeltucheimer –, wur<strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>e Messergebnisse erzielt, die in<br />

Bezug auf die tatsächliche Temperatur häufig nach unten abwichen<br />

(Thompson et al. 2008). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgten die<br />

Messungen angesichts der Ablösung von Segelschiffen durch Motorschiffe<br />

zunehmend über Sensoren, welche die Temperatur des in das<br />

Motorkühlsystem eingesaugten Wassers überwachten. Diese Daten<br />

weichen gegenüber der tatsächlichen SST <strong>für</strong> gewöhnlich nach oben<br />

ab (Thompson et al. 2008). Insgesamt wird davon ausgegangen, dass<br />

US-amerikanische Schiffe recht schnell auf diese motorgetriebenen<br />

Ansaugsysteme umgestellt haben, wohingegen britische Schiffe ihre<br />

Messungen deutlich länger mithilfe der Eimermethode durchführten.<br />

In jüngerer Zeit wur<strong>den</strong> von einigen Schiffen über Rumpfsensoren ermittelte<br />

Messdaten übermittelt, und durch veränderte Schiffsgrößen<br />

fan<strong>den</strong> zudem künstliche Trends Eingang in die ICOADS-Datensätze<br />

(Kent et al. 2007).<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


Bis vor kurzem ging man davon aus, dass der Übergang von unisolierten<br />

bzw. teilisolierten Eimern hin zu Ansaugsystemen plötzlich<br />

im Dezember 1941 mit Eintritt der USA in <strong>den</strong> Zweiten Weltkrieg erfolgte<br />

(Folland und Parker 1995). Das Hadley Centre korrigierte daraufhin<br />

seine SST-Daten aus der Zeit vor 1941 aufgrund der Annahme,<br />

die Eimermessung sei zu diesem Zeitpunkt eingestellt wor<strong>den</strong>, nach<br />

oben. Als Kent et al. (2007) jedoch kürzlich Schiffsmetadaten zusammentrugen,<br />

stießen sie darauf, dass in <strong>den</strong> von Schiffen stammen<strong>den</strong><br />

ICOADS-Daten im Jahr 1980 nach wie vor etwa die Hälfte aus solchen<br />

Eimermessungen stammte.<br />

Bei der Verwendung der Kent-Daten legten Thompson et al. (2008)<br />

ein weiteres Problem im Zusammenhang mit <strong>den</strong> SST-Daten in <strong>den</strong><br />

Jahren 1945 und 1946 offen: zwischen 1940 und 1945 war der Anteil<br />

der von US-Schiffen stammen<strong>den</strong> Daten explosionsartig auf mehr als<br />

80 % der Proben angestiegen; mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

hingegen stieg der Anteil der Daten aus Großbritannien innerhalb<br />

eines Jahres von etwa 0 % auf etwa 50 % der Gesamtdaten an, wohingegen<br />

die USA weniger Daten lieferten als zuvor. Gleichzeitig fiel der<br />

ICOADS-Durchschnitt um etwa 0,5 °C, was einer starken Verfälschung<br />

gleichkommt, die in <strong>den</strong> veröffentlichten globalen Temperaturreihen<br />

sichtbar wird. Thompson et al. weisen darauf hin, dass die Auswirkungen<br />

der Korrektur dieses Temperaturknicks in der Mitte des Jahrhunderts<br />

erheblich sein können. Wird diese Diskontinuität zur Anpassung<br />

an die vor 1945 erfassten Datenreihen durch Erhöhung der nach<br />

1945 erhobenen Daten gelöst, flachen die Reihen ab und lassen <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong> Zeitraum von etwa 1940 bis in die späten 1990er Jahre keinerlei<br />

Rückschlüsse auf eine Erwärmung zu. Das im 20. Jahrhundert vorherrschende<br />

Verständnis der Erderwärmung wird dadurch drastisch verändert.<br />

Wird die Diskontinuität hingegen gelöst, indem die nach 1945 erfassten<br />

Datenreihen durch eine Verringerung der vor 1945 erhobenen<br />

Daten harmonisiert wer<strong>den</strong>, führt dies zu einem deutlich längeren<br />

und über das gesamte 20. Jahrhundert anhalten<strong>den</strong> Erwärmungstrend<br />

61<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


62<br />

als angenommen. In bei<strong>den</strong> Fällen wird die wie auch immer geartete<br />

Entscheidung über die Beseitigung dieser kürzlich entdeckten schwer<br />

i<strong>den</strong>tifizierbaren Diskontinuität in <strong>den</strong> SST-Datenreihen eine weit gefasste<br />

Überprüfung des aktuellen Verständnisses der globalen Erwärmung<br />

zur Folge haben.<br />

Eine weitere Schwierigkeit zeigt sich, ähnlich wie bei <strong>den</strong> Erdoberflächendaten,<br />

in einem beständigen Rückgang der Anzahl von Schiffen,<br />

die sich in <strong>den</strong> vergangenen Jahren bereit erklärt haben, Daten <strong>für</strong><br />

das ICOADS zu liefern. Die neue weltweite ARGO-Flotte (www.argo.net)<br />

deckt seit 2003 <strong>für</strong> die gesamten Weltmeere bis in eine Tiefe von 2.000<br />

Metern die Messungen von Temperatur, Salzgehalt und Strömungen<br />

ab. Einen vollständigen Ausgleich der immer weniger wer<strong>den</strong><strong>den</strong><br />

Schiffsdaten kann diese Flotte jedoch nicht leisten, da sie keine direkten<br />

Messungen der SST vornimmt. Stattdessen beginnt ihr Profiling in<br />

einer Tiefe von 10 Metern unter dem Meeresspiegel, wohingegen ihre<br />

Ansaugpumpen in einer Tiefe von 8 Metern unter dem Meeresspiegel<br />

automatisch abschalten.<br />

Eine weitere Herausforderung stellt das Meereis dar. Die Schifffahrt<br />

in eisbedeckten Regionen ist gefährlich, sodass aus der Zeit vor<br />

dem Einsatz von Satelliten (etwa ab 1978) nur spärliche Daten vorliegen.<br />

Für die Zeit zwischen 1901 und 1995 liegen zwar Diagramme<br />

über die Meereiskonzentration in der nördlichen Hemisphäre vor,<br />

doch können nur die Ränder beobachtet wer<strong>den</strong> und die darüber hinausgehende<br />

Abdeckung ist als einheitlich anzunehmen (Rayner et al.<br />

2003). Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass <strong>für</strong> die Herbstund<br />

Wintermonate (September bis März) überhaupt keine Daten<br />

vorliegen, sodass die Meereiskonzentration in <strong>den</strong> Randgebieten auf<br />

Grundlage der Daten aus <strong>den</strong> Sommermonaten geschätzt wer<strong>den</strong><br />

muss. Daten über das in der Antarktis vorhan<strong>den</strong>e Meereis wur<strong>den</strong><br />

erst ab 1973 mit Beginn der Satellitenbeobachtungen verfügbar. Aus<br />

früheren Jahren liegen nur einige Beobachtungen von Forschungsexpeditionen<br />

vor. Die HADISST-Datenreihe des Hadley Centre greift <strong>für</strong><br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


die Jahre zwischen 1929 und 1939 auf Daten aus Deutschland zurück<br />

und rechnet auf deren Grundlage zurück bis in das Jahr 1871. Für <strong>den</strong><br />

Zeitraum 1947 – 1962 dienen russische Forschungsdaten als Grundlage,<br />

Daten <strong>für</strong> andere Jahre wur<strong>den</strong> bis zu <strong>den</strong> ersten Satellitenmessungen<br />

durch Interpolation gewonnen.<br />

Für die Erstellung globaler Datensätze wird die SST in der Annahme<br />

mit <strong>den</strong> GHCN-Daten <strong>für</strong> die Erdoberfläche kombiniert, beide zusammen<br />

ergeben einen Durchschnittswert <strong>für</strong> die oberflächennahe<br />

Lufttemperatur. Aufzeichnungen der Meereslufttemperatur (Marine<br />

Air Temperature [MAT] im Gegensatz zur SST) gibt es nur sehr wenige,<br />

die zudem durch die im Verlaufe des Jahrhunderts zunehmende<br />

Schiffshöhe beeinträchtigt wur<strong>den</strong> und daher im Zeitverlauf, außer in<br />

<strong>den</strong> Fällen, in <strong>den</strong>en die Messung auf gleicher Höhe erfolgt ist, nicht<br />

streng vergleichbar sind. Die Übereinstimmung zwischen SST- und<br />

Lufttemperaturtrends wurde in einigen wenigen Fällen untersucht.<br />

Christy et. al. (2001) konzentrierten sich dabei auf Standorte, an <strong>den</strong>en<br />

sie die Luft- und die SST-Messungen an ein und demselben Ort direkt<br />

miteinander vergleichen konnten. Die Untersuchung umfasste von<br />

Schiffen erfasste Daten bezüglich der Meereslufttemperatur sowie Daten<br />

von Wettersatelliten, Wetterballons und einer Reihe von Bojen im<br />

tropischen Pazifik. Die Daten aus dem Bojennetz sind dabei besonders<br />

hilfreich, da diese an ein und demselben Ort sowohl die Temperatur<br />

einen Meter unter der Oberfläche als auch drei Meter über der Oberfläche<br />

messen. Bei allen Vergleichen der SST mit der Lufttemperatur trat<br />

zutage, dass das Meer sich gegenüber der Luft erwärmt hat, was darauf<br />

hindeutet, dass die SST gegenüber <strong>den</strong> Lufttemperaturtrends zu hoch<br />

angegeben wurde. Darüber hinaus weisen drei der Lufttemperatur-Datensätze<br />

(Satellit, Ballon und Reanalyse) darauf hin, dass sich die Meereslufttemperatur<br />

direkt über der Meeresoberfläche in <strong>den</strong> Tropen seit<br />

1979 alle zehn Jahre um durchschnittlich 0,01 bis 0,06 °C abgekühlt<br />

hat, während die SST-Daten auf eine Erwärmung schließen ließen. Die<br />

Autoren berechneten daher die globalen Durchschnittstemperaturen<br />

63<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


<strong>für</strong> <strong>den</strong> Zeitraum von 1979 bis 1999 <strong>für</strong> Zeiträume, <strong>für</strong> die Lufttemperaturdaten<br />

anstelle von SST-Daten vorlagen, neu, woraus sich eine<br />

Reduzierung des globalen Trends um 0,05 °C pro Jahrzehnt ergab.<br />

Messungen der Lufttemperatur per Satellit<br />

64<br />

Eine Alternative zu Oberflächendaten eröffnete sich, als Spencer und<br />

Christy (1990) neue Klimadatenreihen veröffentlichten, die auf einer<br />

Auswertung von Daten der von der National Oceanographic and Atmospheric<br />

Administration (NOAA) der USA 1979 ins All geschickten<br />

Wettersatelliten Tiros-N geliefert wor<strong>den</strong> waren. Diese Satelliten sind<br />

mit so genannten Microwave Sounding Units (MSU) ausgestattet, die<br />

die von Sauerstoffmolekülen in verschie<strong>den</strong>en Schichten der Atmosphäre<br />

abgegebene Strahlung messen und so täglich eine nahezu vollständige<br />

Übersicht über die gesamte Tropos- und Stratosphäre liefern.<br />

Jede Messung kann dabei stellvertretend <strong>für</strong> <strong>den</strong> Gesamtdurchschnitt<br />

der Lufttemperatur betrachtet wer<strong>den</strong>.<br />

Der Vorteil der MSU-Reihe besteht darin, dass Spencer und Christy<br />

durch die Kalibrierung der MSU-Daten gegenüber Messungen der<br />

Lufttemperatur aus einem globalen Radioson<strong>den</strong>netz 7 in der Lage waren,<br />

die erste auf einer konsistenten Probenmethode beruhende globale<br />

Durchschnittstemperaturreihe <strong>für</strong> die gesamte Atmosphäre und<br />

vor allem die besonders wichtige Troposphäre vorzulegen. Allerdings<br />

zeigten sich unter anderem auch folgende Nachteile:<br />

7 Bei Radioson<strong>den</strong> handelt es sich um auf Wetterballons montierte Thermometer, die aus<br />

unterschiedlicher Höhe Temperaturmessdaten an am Bo<strong>den</strong> befindliche Monitore übermitteln.<br />

Ein Netzwerk meteorologischer Stationen wird so mit globalen Daten gespeist.<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


Die Messdatenreihen reichen nur bis 1979 zurück. Auch wenn auf<br />

diesem Wege also inzwischen Messdaten aus <strong>den</strong> 30 Jahren vorliegen,<br />

in <strong>den</strong>en die Erdoberfläche sich am stärksten erwärmt hat, können<br />

daraus keine Schlüsse bezüglich der Erwärmungsmuster in der<br />

Mitte des 20. Jahrhunderts gezogen wer<strong>den</strong>.<br />

> > An verschie<strong>den</strong>en Punkten der Reihen wur<strong>den</strong> Satelliten ausgetauscht,<br />

sodass der Trend durch die Messpunktkalibrierung beeinflusst<br />

wor<strong>den</strong> sein kann.<br />

Die Daten von Spencer und Christy wer<strong>den</strong> üblicherweise nach <strong>den</strong><br />

Initialen der Universität von Alabama in Huntsville, an der die bei<strong>den</strong><br />

Forscher tätig sind, als UAH-Reihe bezeichnet. Ein unabhängiger Algorithmus<br />

zur Auswertung der MSU-Daten wurde von dem kalifornischen<br />

Forschungsunternehmen Remote Sensing Systems (RSS) entwickelt<br />

(Mears et al 2003). Beide existieren<strong>den</strong> Versionen ähneln sich außerhalb<br />

der Tropen stark, wohingegen die RSS-Reihen über <strong>den</strong> Tropen<br />

einen deutlich höheren Trend aufweisen, was mit einem stufenartigen<br />

Anstieg um 1992 zusammenzuhängen scheint, der sich zeitgleich mit<br />

einem Satellitenaustausch ereignete (Christy et al. 2010). Aus <strong>den</strong><br />

RSS-Daten lässt sich <strong>für</strong> die Zeit nach 1993 relativ zu Wetterballondaten<br />

(Randall und Herman 2008) und Reanalysedaten 8 (Bengtsson und<br />

Hod ges 2010) sowie im Vergleich zu einigen anderen regionalen Datensätzen<br />

(Christy et al. 2010) eine Erwärmung ablesen.<br />

Durch das RSS-Team wurde als Problem erkannt, dass es aufgrund<br />

eines Höhenverlustes durch veränderte Satellitenbahnen mit der Zeit zu<br />

verfälschten Abkühlungstrends kommen könnte. Sowohl die UAH- als<br />

65<br />

8 Reanalysedaten wer<strong>den</strong> auf Grundlage von Wetterprognosen <strong>für</strong> die nächsten 6 und 12 Stun<strong>den</strong><br />

gewonnen. Die Wettermodelle wer<strong>den</strong> auf Grundlage von Beobachtungen definiert und liefern<br />

vollständige räumliche Daten <strong>für</strong> unterschiedliche Atmosphäreschichten. Da kurzfristige<br />

Prognosen die höchste Zuverlässigkeit aufweisen, stellen diese eine gute Datenquelle zum<br />

Vergleich mit direkten Beobachtungen dar.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


auch die RSS-Forscher haben als Ausgleich <strong>für</strong> diesen Effekt historische<br />

Korrekturen entwickelt. Nach 2002 begann das UAH-Team mit der Integration<br />

von MSU-Daten aus dem so genannten AQUA-Satellitensystem,<br />

das dank eines eigenen Antriebssystems auf konstanter Höhe gehalten<br />

wer<strong>den</strong> kann. Von RSS wer<strong>den</strong> keine AQUA-Daten verwendet.<br />

Abschließende Bemerkungen<br />

66<br />

Mein Eindruck der verschie<strong>den</strong>en zur Messung des globalen Klimawandels<br />

zur Verfügung stehen<strong>den</strong> Datensammlungen ist, dass die<br />

längsten Datenreihen, d. h. die Datenreihen in Bezug auf die Erd- und<br />

die Meeresoberfläche, gravierende Probleme hinsichtlich ihrer Erhebung,<br />

Kontinuität und Qualität aufweisen, sodass eine langfristige<br />

Kontinuität der Daten illusorisch ist. Die Schwierigkeiten im Zusammenhang<br />

mit der Erhebung von Daten <strong>für</strong> die Erdoberfläche haben<br />

sich in <strong>den</strong> vergangenen Jahrzehnten ausgeweitet. Ferner kann der<br />

Aussage, der Abgleich der drei globalen Datenreihen untereinander<br />

komme einer Qualitätsprüfung gleich, nicht zugestimmt wer<strong>den</strong>, da<br />

alle auf <strong>den</strong>selben Archiven basieren und damit eine nur unzureichende<br />

Unabhängigkeit aufweisen. Die MSU-Satellitendatenreihe ist<br />

kürzer, verfügt jedoch hinsichtlich von Konsistenz und Vollständigkeit<br />

der Datenerfassung, der Qualität der Geräteausstattung sowie der Validierung<br />

gegenüber unabhängigen Beobachtungsplattformen über<br />

klare Vorteile. Für Zwecke der politischen Entscheidungsfindung halte<br />

ich die MSU-Daten <strong>für</strong> das am meisten geeignete System.<br />

Vergleich von Modelldaten<br />

Parametrisierungen sind in Modellen unvermeidbar. Daher ist es<br />

umso wichtiger, dass die verschie<strong>den</strong>en Klimamodelle zur Beurteilung<br />

der Qualität der empirischen Näherungswerte konkreten Daten<br />

gegenübergestellt wer<strong>den</strong>. Einfache eindimensionale Vergleiche der<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


anhand von Modellen generierten globalen Durchschnittstemperatur<br />

mit auf Beobachtungen basieren<strong>den</strong> globalen Durchschnittswerten<br />

fin<strong>den</strong> sich im 20. Jahrhundert vielfach (z. B. Knutson et al.<br />

2006, CCSP 2008). Der globale Durchschnitt wird jedoch von einem<br />

langsamen und stetigen Aufwärtstrend beherrscht; die Entwicklung<br />

eines Modells, das einen einfachen Aufwärtstrend aufweist, ist nicht<br />

schwierig. Angesichts der großen Zahl widersprüchlicher Hypothesen,<br />

die zu einer solchen Form führen können, ist die Feststellung<br />

einer Übereinstimmung zwischen Beobachtungen und Modellen des<br />

globalen Durchschnitts allein als Beweis nicht ausreichend. Knutti<br />

(2008), CCSP (2008, Seite 44), Knutti und Hegerl (2008), Kiehl (2007),<br />

Hegerl et al. (2007, Seite 678), Schwartz et al. (2007) und andere haben<br />

darauf verwiesen, dass der beobachtete globale Durchschnittstrend<br />

gleichermaßen konsistent mit stärkeren und schwächeren Annahmen<br />

bezüglich der Sensitivität gegenüber einer durch Treibhausgase<br />

verursachten Erwärmung sein kann, wenn er mit ausgleichen<strong>den</strong><br />

Annahmen bezüglich einer aerosolbedingten Abkühlung, einer Wärmeaufnahme<br />

durch die Weltmeere oder anderen Mechanismen in<br />

Verbindung gebracht wird. In der Praxis weisen Modelle, die von einer<br />

stärkeren Sensitivität gegenüber Treibhausgasen ausgehen, in einem<br />

Maße eine Ten<strong>den</strong>z zu einem stärken Ausgleich durch Abkühlungsmechanismen<br />

auf, das nicht zufällig erscheint (Kiehl 2007).<br />

Die GCM-Auswertung gemäß Kapitel 8 des vierten Berichts des<br />

Zwischenstaatlichen Ausschusses <strong>für</strong> Klimaänderungen (IPCC) (Randall<br />

et al. 2007) besteht vorrangig aus statischen Reproduktionstests,<br />

die Aussagen über die Verteilung der Durchschnittstemperatur und<br />

der Niederschlagshöhen ermöglichen, jedoch keine weltweiten Trends<br />

reproduzieren, und a priori-Kontrollen, um festzustellen, ob bekannte<br />

meteorologische Prozesse in die Modelle Eingang gefun<strong>den</strong> haben.<br />

Der IPCC weist darauf hin, dass relativ wenige Studien die Frage aufgeworfen<br />

haben, ob die empirische Treue zwischen <strong>den</strong> Modellsimulationen<br />

der Vergangenheit und <strong>den</strong> dazugehörigen Beobachtungsda-<br />

67<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


68<br />

ten die Genauigkeit von Klimatrendprognosen verbessern (Randall et<br />

al. 2007, Seite 594). Daher sind Metho<strong>den</strong> zur Bewertung der Modelle<br />

entsprechend ihrer Fähigkeit, verschie<strong>den</strong>e räumliche Trendmuster zu<br />

erfassen, erforderlich. Berk et al. (2001) verwiesen diesbezüglich darauf,<br />

dass nur wenige quantitative Vergleiche von Modellergebnissen und<br />

mit aus Beobachtungen gewonnenen Daten vorlägen, die sich zudem<br />

noch „extrem auf subjektive Bewertungen stützen“ (Berk et al., Seite<br />

126). Die Situation hat sich seit 2001 kaum verändert. Weder die Überprüfung<br />

der GCM durch das US-amerikanische Climate Change Science<br />

Program (CCSP 2008) noch der jüngste Bericht des IPCC liefern statistische<br />

Untersuchungen darüber, wie gut Klimamodelle das räumliche<br />

Temperaturtrendmuster der vergangenen Jahrzehnte reproduzieren.<br />

Stattdessen verlassen sie sich auf subjektive Bewertungen. In Kapitel 9<br />

des IPCC-Berichts (Hegerl et al. 2007) fin<strong>den</strong> sich die Diskussion eines<br />

Diagramms (Abbildung 9.6, Seite 684 – 686) über die durchschnittlichen<br />

Ergebnisse aus 58 GCM-Simulationen und das besondere Temperaturmuster<br />

von Trends an der Erdoberfläche zwischen 1979 und 2005,<br />

wobei Modellsimulationen, die von der Annahme ausgehen, das Klima<br />

würde durch Treibhausgase nicht erwärmt, Modellsimulationen gegenübergestellt<br />

wer<strong>den</strong>, die auf der Annahme beruhen, dass dies sehr wohl<br />

der Fall sei. In diesem Zusammenhang wird behauptet, letztere Annahme<br />

passe besser zu <strong>den</strong> Beobachtungsdaten; ein quantitativer Beleg<br />

wird jedoch nicht erbracht. Der CCSP-Bericht (2008) enthält einen<br />

visuellen Vergleich hinsichtlich der Übereinstimmung der zwischen<br />

1979 und 2003 beobachteten und <strong>den</strong> von der GISS in ihrem Modell<br />

ausgearbeiteten Trendmustern. Auch diese Diskussion ist rein qualitativ<br />

– dem Leser wird noch nicht einmal ein Korrelationskoeffizient,<br />

geschweige <strong>den</strong>n eine Reihe von Signifikanztests vorgelegt.<br />

Einer der zentralen Tests <strong>für</strong> die Qualität von GCM ist es, zu prüfen,<br />

ob sie geeignet sind, das Verhalten der riesigen tropischen Region korrekt<br />

dazustellen. Die allgemeine atmosphärische Zirkulation entsteht<br />

im Wesentlichen durch die unterschiedlich starke Erwärmung der Erde<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


am Äquator und an <strong>den</strong> Polen. 9 Durch die starke Sonneneinstrahlung<br />

und die damit verbun<strong>den</strong>e Erwärmung am Äquator steigt heiße und<br />

feuchte Luft auf, die sich in der Höhe abkühlt und um etwa 30 Breitengrade<br />

in Richtung der Pole strömt. Dort sinkt sie wieder ab und strömt<br />

in Bo<strong>den</strong>nähe zurück zum Äquator. Ein Teil der absteigen<strong>den</strong> Luft wird<br />

abgelenkt und vermischt sich mit einer Luftströmung in Richtung der<br />

Pole, die in verschie<strong>den</strong>en, an <strong>den</strong> Polen en<strong>den</strong><strong>den</strong> Zirkulationen verläuft.<br />

Globale Atmosphärenmodelle müssen diese Prozesse auf einer<br />

rotieren<strong>den</strong> Kugel unter Berücksichtigung geeigneter Verteilungen hinsichtlich<br />

von Feuchtigkeit, Impuls und Energie abbil<strong>den</strong>. Im Rahmen<br />

von auf diesen Modellen beruhen<strong>den</strong> Experimenten wurde regelmäßig<br />

gezeigt, dass die stärkste Erwärmung aufgrund der Konzentrationserhöhung<br />

von Treibhausgasen in der tropischen Troposphäre erfolgt. Held<br />

und So<strong>den</strong> (2000, Seite 464) beschreiben, dass Modelle etwa 60 % der<br />

globalen atmosphärischen Wasserdampfrückkopplung der oberen Troposphäre<br />

über <strong>den</strong> Tropen in einem Gebiet zwischen 30 Grad nördlicher<br />

Breite und 30 Grad südlicher Breite zuordnen, während nur 40 %<br />

der Rückkopplung auf die übrigen Breiten entfallen. 10<br />

Alle Klimamodelle sagen eine außergewöhnlich starke und<br />

schnelle durch Treibhausgase verursachte Erwärmung der Troposphäre<br />

(d. h. in einer Höhe von 1 – 16 km) über <strong>den</strong> Tropen vorher.<br />

Dieses Phänomen ist in Abbildung 10.7 des Berichts der IPCC-Arbeitsgruppe<br />

I, die im Internet unter http://www.ipcc.ch/graphics/<br />

ar4-wg1/jpg/fig-10-7.jpg erhältlich ist, dargestellt. Ursprünglich wur<strong>den</strong><br />

vom IPCC zwölf Klimamodellprognosen <strong>für</strong> <strong>den</strong> vierten IPCC-<br />

69<br />

9 Eine einfache schematische Beschreibung der allgemeinen Zirkulation findet sich bei Lockwood<br />

(1979), Kapitel 4.<br />

10 Dieses Verhältnis bezieht sich auf die „freie Atmosphäre“ bzw. Troposphäre oberhalb der<br />

Grenzschicht (d. h. der unteren 1 – 2 km). 10 % des globalen Effekts schlagen sich in dieser<br />

Grenzschicht nieder, sodass sich <strong>für</strong> die Troposphäre ein Verhältnis von 55 % Tropen und 35 %<br />

Nicht-Tropen ergibt.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


70<br />

Sachstandsbericht archiviert, die entsprechende Internetseite wurde<br />

zwischenzeitlich jedoch entfernt. 11 Diese Modellexperimente folgen<br />

dem A1B-Emissionsszenario, das <strong>für</strong> die Emissionsentwicklung bis<br />

2100 einen mittleren Pfad beschreitet. Die durchschnittliche globale<br />

Oberflächenerwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts beträgt laut<br />

GISS-Modell etwa 2,3 °C. 12 Der troposphärische Durchschnitt liegt mit<br />

5 °C in etwa doppelt so hoch, und das fokale Muster in der tropischen<br />

Troposphäre tritt zu Beginn des Prognosezeitraums auf. Das Muster<br />

war in allen <strong>für</strong> <strong>den</strong> IPCC-Bericht von 2007 erstellten 12 Klimamodellsimulationen<br />

klar zu erkennen.<br />

Abbildung 9.1 13 des IPCC-Berichts von 2007 enthält ferner einen<br />

Modelltest (sogenannter „Hindcast“), in dem modellbasierte Klimamuster<br />

<strong>für</strong> <strong>den</strong> Zeitraum von 1890 bis 1999 mit Hilfe historischer<br />

Klimadaten überprüft wer<strong>den</strong>. Hierbei zeigt sich dasselbe Muster, das<br />

von einem bereits in Gang befindlichen starken, gegenüber allen übrigen<br />

Antrieben vorherrschen<strong>den</strong>, Erwärmungstrend in der tropischen<br />

Troposphäre ausgeht.<br />

Ein i<strong>den</strong>tisches Muster ist auch in einem modellbasierten Modelltest<br />

dargestellt, der die klimatischen Veränderungen zwischen 1958<br />

und 1999 unter der Annahme einer starken THG-Erwärmung simuliert<br />

und <strong>für</strong> <strong>den</strong> Bericht des US-amerikanischen Climate Change Science<br />

Program (CCSP 2006) angefertigt wurde; siehe Seite 25, Abbildung 1.3 A<br />

und F, im Internet abrufbar unter http://www.climatescience.gov/Library/sap/sap1-1/finalreport/default.htm.<br />

Auch in dieser Darstellung ist<br />

die helle Scheibe als Temperaturindikator der tropischen Troposphäre<br />

besonders dominant.<br />

11 Eine unvollständige Archivversion findet sich unter http://web.archive.org/web/20070925231825/<br />

http://ipcc-wg1.ucar.edu/wg1/Report/suppl/Ch10/Ch10_indiv-maps.html.<br />

12 Vierter IPCC-Sachstandsbericht (Arbeitsgruppe I), Kapitel 10, Abbildung 10.5<br />

13 Online unter http://www.ipcc.ch/graphics/ar4-wg1/jpg/fig-9-1.jpg<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


Vergleich beobachteter und modellierter Temperaturtrends<br />

von 1979 – 2009 in der tropischen Troposphäre<br />

Abbildung 7<br />

0,30<br />

°C Untere Troposphäre Mittlere Troposphäre<br />

0,20<br />

0,10<br />

0,00<br />

71<br />

-0,10<br />

Modelle<br />

Beobachtungen<br />

Modelle<br />

RSS<br />

UAH<br />

Modelle<br />

Satelliten<br />

Radioson<strong>den</strong><br />

Quelle: McKitrick, McIntyre und Herman (2010)<br />

Insgesamt betrachtet stimmen alle Modelle darin überein, dass<br />

bereits heute ein Muster einer starken Erwärmung der tropischen Troposphäre<br />

zu beobachten sein müsste, wenn die durch THG verursachte<br />

Erwärmung tatsächlich der vorherrschende, langfristig auf unser<br />

Klima einwirkende Effekt wäre und auch die künftigen Klimaveränderungen<br />

dominiert. Einig sind sich die Modelle weiterhin darüber, dass<br />

die Erwärmung der oberen Troposphäre in <strong>den</strong> Tropen stärker als in<br />

der übrigen Troposphäre und in der Höhe stärker als an der Oberfläche<br />

ausfallen wird.<br />

Dessen ungeachtet lässt sich das erwartete Muster <strong>für</strong> die tropische<br />

Troposphäre in <strong>den</strong> Daten nicht beobachten. Dies führt zu zweierlei<br />

Diskrepanzen:<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


72<br />

> > Auf Ebene der unteren und der mittleren Troposphäre über <strong>den</strong> Tropen<br />

sagen die Klimamodelle eine zwei- bis viermal so hohe Erwärmung<br />

voraus, als zwischen 1979 und 2009 beobachtet wurde (siehe<br />

Abbildung 7). Während bis 1999 laufende frühere Untersuchungen<br />

von Messungen davon ausgingen, dass zwar die Erwärmung in <strong>den</strong><br />

Modellen zu hoch prognostiziert würde, Modelle und Beobachtungen<br />

jedoch aufgrund breiter Konfi<strong>den</strong>zintervalle vereinbar seien, gelang<br />

es McKitrick et al. (2010) anhand von bis Ende 2009 reichen<strong>den</strong><br />

Daten aufzuzeigen, dass die Erwärmung in <strong>den</strong> Modellen deutlich<br />

zu hoch prognostiziert wird. Zudem ließ sich unter Einsatz zuverlässiger<br />

parametrischer und nichtparametrischer Tests nachweisen,<br />

dass sich Modelle und Daten bei einem Signifikanzniveau von 99 %<br />

statistisch signifikant voneinander unterschei<strong>den</strong>. Grundlage da<strong>für</strong><br />

waren multivariate Vergleiche unter Einbeziehung aller verfügbaren<br />

Klimamodelle sowie der gesamten von Satelliten- und Wetterballons<br />

ermittelten Datensätze.<br />

> > In <strong>den</strong> Modellen wird weiterhin eine stärkere Erwärmung der oberen<br />

Troposphäre als in Oberflächennähe prognostiziert, wobei das Verhältnis<br />

der Trends dabei mit etwa 1,4:1 angegeben wird. Christy et al.<br />

(2010) ist jedoch anhand umfassender Beobachtungsdatensätze der<br />

Nachweis gelungen, dass die in <strong>den</strong> Tropen in der Höhe beobachtete<br />

Erwärmung in Wirklichkeit geringer ausfällt als an der Oberfläche,<br />

wobei das beobachtete Verhältnis mit etwa 0,8 angegeben wird. Dieses<br />

Ergebnis lässt auf eine deutliche Inkonsistenz zwischen Modellen<br />

und Daten schließen.<br />

Anders ausgedrückt: Für die Tropen prognostizieren alle Modelle in<br />

der Höhe einheitlich eine stärkere Erwärmung und einen stärkeren<br />

Vervielfachungsfaktor, als beobachtet wird.<br />

Dieses Problem wurde im Jahr 2006 vom US Climate Change Science<br />

Program (CCSP 2006) erkannt. Die Modelle sagen <strong>für</strong> die tropische<br />

Troposphäre ein vertikales Muster vorher, das <strong>den</strong> Ergebnissen<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


aus 7 von 8 im Rahmen des CCSP 14 untersuchten Vergleichen (der<br />

achte Vergleich ließ keine Schlussfolgerungen zu) widersprach. Ferner<br />

ergab sich aus keiner der verfügbaren troposphärischen Datenreihen<br />

eine statistisch signifikante Erwärmung der Troposphäre. Bezogen auf<br />

die Äquatorregion zwischen dem 20. Grad nördlicher Breite und dem<br />

20. Grad südlicher Breite, enthält der Bericht zusammenfassend folgende<br />

Aussage:<br />

Auch wenn die Mehrheit der Beobachtungsdatensätze auf eine an der<br />

Oberfläche gegenüber der Troposphäre höhere Erwärmung schließen<br />

lässt, zeigen einige Beobachtungsdatensätze ein gegenteiliges Verhalten.<br />

Nahezu alle Modellsimulationen weisen auf eine stärkere Erwärmung<br />

in der Troposphäre als an der Oberfläche hin. Diese Diskrepanz<br />

zwischen Modellen und Beobachtungen ist möglicherweise auf Fehler<br />

in allen Modellen, auf Fehler in <strong>den</strong> Beobachtungsdatensätzen oder<br />

auf eine Kombination der bei<strong>den</strong> genannten Alternativen zurückzuführen.<br />

Die zweite Erklärung erscheint plausibler, die Frage ist allerdings<br />

noch offen.<br />

73<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Klimamodelle, die <strong>den</strong> Treibhauseffekt<br />

auf die Annahme einer starken positiven Rückkopplung<br />

stützen, unisono einen in der tropischen Troposphäre zu beobachten<strong>den</strong><br />

starken Erwärmungstrend von mindestens 0,2 Grad/Jahrzehnt<br />

prognostizieren. Die Temperaturen in diesem Bereich der Atmosphäre<br />

wer<strong>den</strong> von Wettersatelliten und Wetterballons überwacht. Nachweise<br />

<strong>für</strong> eine solche Prognose gibt es nicht. Der von der RSS-Satellitenreihe<br />

gezeigte deutliche Erwärmungstrend ist möglicherweise auf eine Abweichung<br />

nach oben aufgrund von Schwierigkeiten bei der Satellitenkalibrierung<br />

zurückzuführen. Die übrigen Datenreihen (UAH und<br />

14 Siehe Bericht, Seite 111, Abbildung 5.4 G<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


74<br />

Radioson<strong>den</strong>) stimmen in ihren in <strong>den</strong> meisten Fällen unerheblichen<br />

Trends von 0,1 °C/Jahrzehnt oder weniger überein. Das erwartete vertikale<br />

Muster wird nicht beobachtet: die Erwärmung in der Höhe ist<br />

gegenüber der Oberflächenerwärmung nicht erhöht. Insgesamt können<br />

wir <strong>den</strong> aktuellen Daten daher entnehmen, dass die CO 2 -bedingte<br />

Erderwärmung im unteren Bereich der getroffenen Prognosen liegen<br />

dürfte. Daraus folgt, dass sich die auf CO 2 zurückzuführen<strong>den</strong> Umweltschä<strong>den</strong><br />

sehr wahrscheinlich im unteren Bereich der veröffentlichten<br />

Schätzungen bewegen wer<strong>den</strong>.<br />

Ökonomische Grenzscha<strong>den</strong>modelle<br />

Über die von Treibhausgasen verursachten Grenzschä<strong>den</strong> gibt es<br />

zahlreiche Studien, die auf Grundlage der Annahme berechnet wur<strong>den</strong>,<br />

dass die Ergebnisse der Klimamodellprognosen als realistische<br />

Schätzungen akzeptiert wer<strong>den</strong> können. Tol (2005) untersuchte<br />

mehr als 100 dieser Berechnungen. Während hinsichtlich der Metho<strong>den</strong><br />

und Annahmen große Vielfalt herrschte, nahmen alle Studien<br />

einheitlich Klimaprognosen als Grundlage und wiesen <strong>den</strong> globalen<br />

Auswirkungen von Emissionen bestimmte Dollarwerte zu. Der einzige<br />

Unterschied bestand in der Art und Weise der Bewertung dieser<br />

Auswirkungen, die Ergebnisse insgesamt wiesen überraschende Ähnlichkeit<br />

auf.<br />

Eine starke Modalwertkonzentration zeigte sich zwischen 0 und<br />

10 USD/Tonne Kohlenstoff. 15 Der Modus lag bei 2 USD/Tonne Kohlen-<br />

15 An dieser Stelle ist eine begriffliche Klärung erforderlich: Schä<strong>den</strong> aufgrund von Erwärmung sind<br />

auf Kohlendioxid im Gegensatz zu „Kohlenstoff“ (einem Begriff, der Rußpartikel und Aerosole<br />

beinhalten kann) zurückzuführen. Emissionen und Kosten wer<strong>den</strong> hingegen <strong>für</strong> gewöhnlich<br />

in Tonnen Kohlenstoff, nicht in Tonnen Kohlendioxid angegeben. Das Verhältnis zwischen<br />

Kohlenstoff und Kohlendioxid beträgt 11:3, d. h., eine Tonne Kohlenstoff entspricht 3,67 Tonnen<br />

CO2. Eine Steuer in Höhe von 37 USD/Tonne Kohlenstoff entspräche folglich in etwa einer Steuer<br />

in Höhe von 10 USD/Tonne Kohlendioxid.<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


stoff, der Median bei 14 USD/Tonne und das arithmetische Mittel bei 93<br />

USD/Tonne (25 USD/Tonne CO 2 ). Tol schloss in seine Untersuchungen<br />

zunächst auch graue Literatur mit Schätzungen bis zu 800 USD/Tonne<br />

ein. Bei ausschließlicher Berücksichtigung von Fachliteratur fallen<br />

der Mittelwert auf 43 USD/Tonne und der Modus auf 1,50 USD/Tonne,<br />

wobei Tol die letzte Zahl <strong>für</strong> eine verlässliche Angabe im Hinblick auf<br />

viele Qualitätsgewichtungskonfigurationen hält. Wer<strong>den</strong> Aufsätze, die<br />

ausschließlich eine Zeitpräferenzrate von unter 3 % anwen<strong>den</strong>, nicht<br />

berücksichtigt, fällt der Median auf etwa 6 USD/Tonne (Tol, 2005, Abbildung<br />

5). Die Hälfte der in der Fachliteratur veröffentlichten Studien, die<br />

auf eine konventionelle Diskontierung zurückgreifen, setzt die Kosten<br />

damit auf 6 USD/Tonne oder weniger fest.<br />

2007 legte Tol eine aktualisierte Untersuchung vor, in der mehr<br />

als 200 Studien über die gesellschaftlichen Kosten von CO 2 -Emissionen<br />

(in Kohlenstoffäquivalenten) berücksichtigt wur<strong>den</strong>. Die durchschnittliche<br />

Schätzung der Grenzschä<strong>den</strong> aller Studien aus Fachliteratur<br />

und grauer Literatur gleichermaßen lag bei 127 USD/Tonne<br />

Kohlenstoff (35 USD/Tonne CO 2 ). Bei <strong>den</strong> Fachstudien beliefen sich<br />

das Mittel bzw. der Modus auf 71 bzw. 20 USD/Tonne. Die Studien, die<br />

eine reine Zeitpräferenz von 3 % anwendeten, kamen zu einem Mittel<br />

von 24 USD/Tonne und einem Modus von 14 USD/Tonne. Tol stellte<br />

weiterhin fest, dass der durchschnittlich geschätzte Scha<strong>den</strong> mit der<br />

Zeit abgenommen hat und der Mittelwert der nach 2001 durchgeführten<br />

Studien weniger als die Hälfte der vor 1996 veröffentlichen<br />

Studien beträgt.<br />

Selbst wenn wir also die grundlegende Unsicherheit bezüglich der<br />

Auswirkungen von CO 2 auf das Klima ignorieren, besteht nur wenig<br />

Unsicherheit hinsichtlich der Grenzschä<strong>den</strong> von Kohlenstoff. Die gesellschaftlichen<br />

Kosten von Kohlenstoff auf globaler Ebene liegen mit<br />

an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unter 50 USD/Tonne<br />

und vermutlich sogar unter 20 USD/Tonne. Ein Preis von circa 15 USD/<br />

Tonne Kohlenstoff (rund 4 USD/Tonne CO 2 ) wäre somit angesichts der<br />

75<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


aktuellen Scha<strong>den</strong>schätzungen ein vernünftiger Ausgangspunkt <strong>für</strong><br />

eine Kohlenstoffsteuer, sofern CO 2 tatsächlich ursächlich <strong>für</strong> die globale<br />

Erwärmung verantwortlich ist.<br />

Zusammenfassung der Herausforderungen<br />

76<br />

Nehmen wir die aktuellen Klimamodelle <strong>für</strong> bare Münze, können wir<br />

eine niedrige Kohlenstoffsteuer auf der Grundlage rechtfertigen, dass<br />

die Emissionen dadurch nur unwesentlich gesenkt wer<strong>den</strong> könnten<br />

und die Steuer stattdessen einzig der Internalisierung externer Kosten<br />

dienen würde. Angesichts dessen, dass die Emissionen kaum gesenkt<br />

wür<strong>den</strong>, könnte man berechtigterweise die Frage stellen, wozu<br />

eine solche Steuer überhaupt erforderlich sein sollte. Es herrscht noch<br />

immer die Angst, dass das Problem der globalen Erwärmung zu einer<br />

Beschleunigung der Schä<strong>den</strong> in der Zukunft führen oder unerwartet<br />

gravierende Folgen haben könnte, die heute noch nicht vorhergesehen<br />

wer<strong>den</strong> können. Diese Möglichkeit ist der Grund <strong>für</strong> die anhalten<strong>den</strong><br />

Rufe nach einer deutlichen Reduzierung der Emissionen. Da es sich jedoch<br />

um nicht mehr als eine Vermutung handelt, die noch dazu von<br />

<strong>den</strong> aktuell vorliegen<strong>den</strong> Daten nicht gestützt wird, bildet diese Begründung<br />

keine überzeugende Grundlage <strong>für</strong> die hohen Kosten einer<br />

groß angelegten Reduzierung der CO 2 -Emissionen.<br />

All das bedeutet nicht, dass in <strong>den</strong> nächsten Jahren nicht möglicherweise<br />

neue Informationen in Form besserer Klimadaten oder<br />

neuer technologischer Innovationen vorliegen wer<strong>den</strong>, die <strong>für</strong> eine<br />

Reduzierung der Emissionen sprechen. Aus diesem Grund ist ein politischer<br />

Mechanismus erforderlich, der neue Informationen automatisch<br />

berücksichtigt, sobald diese verfügbar sind, und die Klimapolitik<br />

je nachdem verschärft oder lockert. Die aktuelle Politik ergeht sich in<br />

wiederholten Ankündigungen von weit in der Zukunft liegen<strong>den</strong> festen<br />

Emissionszielen. Abgesehen davon, dass solche Ziele selten eingehalten<br />

wer<strong>den</strong>, besteht das Problem dabei darin, dass die Ankündigung<br />

Unsicherheit bezüglich des Grenzscha<strong>den</strong>s


eines festen Ziels <strong>für</strong> einen Zeitpunkt in zehn oder zwanzig Jahren davon<br />

ausgeht, dass wir in der Zwischenzeit keine neuen Erkenntnisse<br />

gewinnen, die <strong>für</strong> die Festlegung des optimalen politischen Weges relevant<br />

wären. Das ist jedoch nicht zutreffend. Denn einer Sache können<br />

wir trotz aller klimatischer Unsicherheiten sicher sein: Es gibt viel zu<br />

lernen und in <strong>den</strong> kommen<strong>den</strong> Monaten und Jahren wer<strong>den</strong> mit Sicherheit<br />

relevante neue Informationen verfügbar sein.<br />

Abschließend möchte ich mich nun noch mit der Frage beschäftigen,<br />

inwiefern die Aussicht auf neue Informationen bei der Festlegung<br />

der Klimapolitik berücksichtigt wer<strong>den</strong> sollte. 77<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


4.<br />

Die Berücksichtigung<br />

neuer Erkenntnisse bei<br />

der Gestaltung künftiger<br />

Emissionspreise<br />

79<br />

Integrierte Bewertungsmodelle und pseudooptimale Lösungen<br />

Dem Problem der dynamischen Unsicherheit bei der Gestaltung der<br />

Klimapolitik wurde mit vielerlei Lösungsansätzen beizukommen versucht.<br />

16 Der Ansatz eines integrierten Bewertungsmodelles (Integrated<br />

Assessment Model, IAM) nach Nordhaus et al. (2007) geht von der<br />

Kenntnis von zentralen Parametern in <strong>den</strong> Funktionen zur Beschreibung<br />

von Wirtschaft und Klima aus, auf deren Grundlage eine sanfte<br />

politische „Rampe“ in Form einer im Zeitverlauf ansteigen<strong>den</strong> Besteuerung<br />

von CO 2 -Emissionen eingerichtet wer<strong>den</strong> solle. Diese Lösung<br />

kann nur unter der Annahme korrekter Modellparameter als optimal<br />

gelten, die jedoch starken Unsicherheiten unterworfen sind. Die suggerierte<br />

politische Rampe ist daher dahingehend nur pseudooptimal,<br />

dass sie nur unter strengen Annahmen bezüglich zentraler funktionaler<br />

Formen und Parameter gültig ist, die bei Einführung einer solchen<br />

Politik keinen Prüfungen unterzogen wer<strong>den</strong>.<br />

16 Dieser Abschnitt greift auf in McKitrick (2010b) vorgestellte Materialien zurück.<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


Bayes’sche Lernmodelle<br />

80<br />

Kelly und Kolstad (1999) sowie Leach (2007) näherten sich dem Problem<br />

auf andere Weise, indem sie die Möglichkeit der Beobachtung<br />

der Reaktion des Klimas auf politische Maßnahmen untersuchten<br />

und die aus dieser Untersuchung gewonnenen Informationen in eine<br />

Bayes’sche Lernroutine einfügten. Ziel des Analysemodells des politischen<br />

Systems ist es, genügend Informationen zu sammeln, um<br />

<strong>den</strong> politischen Entscheidungsträgern die Möglichkeit zu bieten, die<br />

Hypothese, dass die richtige Politik verfolgt wird, mit 95-prozentiger<br />

statistischer Sicherheit zu überprüfen. In Anwendung auf <strong>den</strong> Klimawandel<br />

fan<strong>den</strong> sie heraus, dass bereits die Unsicherheit bezüglich eines<br />

oder zweier zentraler struktureller Parameter ausreicht, um die<br />

Ermittlung eines als optimal erwarteten Politikpfades um Hunderte<br />

von Jahren zu verzögern. Leach (2007) legte ein demjenigen von Nordhaus<br />

ähnliches Modell vor, in dem die politischen Entscheidungsträger<br />

alle neuen Informationen hinsichtlich der Reaktionen des Klimas<br />

auf politisch motivierte Emissionsveränderungen nutzen. Die gestellte<br />

Frage lautete, wie lange es (unter Annahme verschie<strong>den</strong>er Voraussetzungen)<br />

dauern würde, bis genügend Informationen vorlägen, um<br />

mit 95-prozentiger Signifikanz eine falsche Nullhypothese über die<br />

Bedeutung des zugrundeliegen<strong>den</strong> Problems zu widerlegen. Unterliegen<br />

nur zwei Modellparameter Unsicherheiten, variiert die Lernzeit<br />

je nach Emissionszunahme im Basisfall von mehreren Hundert bis<br />

mehreren Tausend Jahren.<br />

Eine erweiterte Version des Modells, die eine einfache Produktionsfunktion<br />

und eine zeitübergreifende Kapitalanlagestruktur<br />

modelliert, führt nicht nur zu einer in Jahrhunderten gemessenen<br />

Lernzeit, selbst wenn die meisten Modellparameter als bekannt vorausgesetzt<br />

wer<strong>den</strong> und nur entsprechend <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en Klimadatensätzen<br />

variieren, sondern sogar dazu, dass der eingeschlagene<br />

politische Weg nie das richtige Ziel erreicht.<br />

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise


Dieses Ergebnis mag übermäßig pessimistisch erscheinen, da die<br />

politischen Entscheidungsträger Jahrhunderte warten müssen, um herauszufin<strong>den</strong>,<br />

ob der eingeschlagene Weg der richtige war. Die Antwort<br />

kommt zu spät, um relevant zu sein. Jedoch verhält es sich nicht so,<br />

dass das IAM oder der pseudooptimale Ansatz besser wären. Der wahre<br />

Unterschied besteht darin, dass der Bayes’sche Ansatz zumindest die<br />

Möglichkeit bietet, irgendwann zu erkennen, ob der eingeschlagene<br />

Weg falsch ist, was bei Verwendung des IAM nicht möglich ist.<br />

Versicherung und Fat Tails<br />

81<br />

Martin L. Weitzman (2009) näherte sich dem Problem der Wahl einer<br />

Politik gegen die globale Erwärmung, indem er versuchte, einen<br />

Preis <strong>für</strong> einen Versicherungsvertrag festzulegen, wenn eine ernst zu<br />

nehmende Wahrscheinlichkeit extremer Schä<strong>den</strong> besteht. Unter bestimmten<br />

Bedingungen ist es unmöglich, einen begrenzten Wert <strong>für</strong><br />

einen Vollversicherungsvertrag festzulegen. Das Modell von Weitzman<br />

beruht auf einer Reihe spezifischer Annahmen, von <strong>den</strong>en einige recht<br />

konventionell sind und andere nicht. Eine übliche Annahme lautet,<br />

dass die Möglichkeit einer unendlichen (positiven oder negativen) Klimasensitivität<br />

besteht oder dass die Möglichkeit eines extremen Klimawandels<br />

(zwanzig Grad oder mehr) zwar gering ist, jedoch, gleich<br />

in welchem Umfang, nicht vollständig ausgeschlossen wer<strong>den</strong> kann.<br />

Darüber hinaus beinhaltet die Theorie beispielsweise Annahmen darüber,<br />

wie Veränderungen der Temperatur die Einkommen beeinflussen.<br />

Beruhend auf diesem Aufbau führt Weitzman eine Finanzanalyse<br />

durch, um daraus die Kosten <strong>für</strong> eine vollständige Absicherung gegen<br />

das Risiko einer Klimakatastrophe abzuleiten. Das Ergebnis deckt sich<br />

zufällig mit einer Gleichung aus der mathematischen Statistik, der so<br />

genannten momenterzeugen<strong>den</strong> Funktion einer Verteilung t. Statistische<br />

Lehrbücher warnen, dass diese Gleichung zu keinem endlichen<br />

Ergebnis führe. Weitzman interpretiert dies so, als sei das Ergebnis un-<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


82<br />

endlich, was bedeutet, dass die heutige Gesellschaft bereit sein sollte,<br />

ihr gesamtes aktuelles Einkommen darauf zu verwen<strong>den</strong>, sich gegen<br />

eine möglicherweise in der Zukunft eintretende Katastrophe zu versichern.<br />

Um diese unrealistische Konsequenz zu umgehen, muss die<br />

Verteilung der möglichen Klimasensitivitätswerte im Rahmen dieses<br />

Modells als begrenzt angenommen bzw. davon ausgegangen wer<strong>den</strong>,<br />

dass sie „Thin Tails“ aufweist. Weitzman gibt jedoch zu be<strong>den</strong>ken, dass<br />

das bedeute, dass die optimale Versicherungspolitik von Annahmen<br />

bezüglich der Verteilung möglicher Klimaänderungen in Regionen<br />

abhängig sei, <strong>für</strong> die zu wenige Beobachtungen vorliegen, um sichere<br />

Aussagen treffen zu können. So wie die Dinge derzeit liegen, verordnet<br />

das „Dismal Theorem“ von Weitzman weniger eine unendlich<br />

hohe Versicherungsprämie, sondern verweist vielmehr darauf, dass<br />

die Kosten-Nutzen-Analyse laut IAM nur pseudooptimal ist und sich<br />

unter <strong>den</strong> annahmegemäß ausgeschlossenen Unsicherheiten auch<br />

diejenigen befin<strong>den</strong>, die <strong>für</strong> eine Versicherungslösung gegen extreme<br />

Ereignisse sprechen.<br />

Der zustandsabhängige Ansatz<br />

Angesichts des Scheiterns früherer Metho<strong>den</strong> im Hinblick darauf, eine<br />

plausible Lösung <strong>für</strong> das Problem der langfristigen Preisfestsetzung<br />

<strong>für</strong> THG-Emissionen zu fin<strong>den</strong>, habe ich einen neuen Ansatz vorgeschlagen,<br />

der anstelle einer statischen langfristigen Emissionsbegrenzung<br />

die Entwicklung einer dynamischen Preisgestaltung vorsieht.<br />

Im Rahmen des üblichen ökonomischen Modells (gemäß Abschnitt 2<br />

oben) wer<strong>den</strong> aktuelle Schä<strong>den</strong> als direkte Folge aktueller Emissionen<br />

betrachtet:<br />

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise


Aktuelle<br />

Emissionen<br />

Aktuelle<br />

Schä<strong>den</strong><br />

In Bezug auf THG gestaltet sich die Situation angesichts zweier<br />

weiterer Komplexitäten jedoch anders: Emissionen können verzögerte<br />

Auswirkungen haben und die Dauer der Verzögerung ist möglicherweise<br />

unbekannt. Wir müssen uns also nicht nur um die unmittelbaren<br />

Folgen aktueller Emissionen Gedanken machen, sondern auch um<br />

ihre möglichen zukünftigen Folgen. Anders betrachtet erleben wir aktuell<br />

nicht nur die Folgen der heutigen Emissionen, sondern auch von<br />

Emissionen, die weit in der Vergangenheit entstan<strong>den</strong> sind.<br />

Erschwerend kommt hinzu, dass Emissionen Schä<strong>den</strong> nicht direkt<br />

verursachen, sondern Einfluss auf bestimmte Umweltaspekte (wie die<br />

durchschnittliche Lufttemperatur) nehmen, die dann wiederum Schä<strong>den</strong><br />

verursachen. CO 2 -Emissionen sind an und <strong>für</strong> sich nicht schädlich.<br />

Mögliche Schä<strong>den</strong> entstehen aus der Veränderung des Klimazustands.<br />

Mit anderen Worten: Emissionen beeinflussen eine messbare<br />

Zustandsvariable und Veränderungen der Zustandsvariablen verursachen<br />

Schä<strong>den</strong>. Oben stehende Darstellung muss demnach wie folgt<br />

angepasst wer<strong>den</strong>.<br />

83<br />

Aktuelle<br />

und<br />

vergangene<br />

Emissionen<br />

Zustandsvariable<br />

Aktuelle<br />

Schä<strong>den</strong><br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


84<br />

Der Einfluss aktueller und vergangener Emissionen auf die Zustandsvariable<br />

ist komplex und von Unsicherheit geprägt. Dieser<br />

Umstand erschwert nicht nur die Entscheidung darüber, wie aktuelle<br />

Emissionen preislich zu behandeln sind, sondern führt uns zudem vor<br />

Augen, dass die Zustandsvariable Informationen über die zeitlichen<br />

Folgen von Emissionen beinhaltet, die zur Verringerung der Unsicherheit<br />

herangezogen wer<strong>den</strong> können.<br />

Angenommen, CO 2 -Emissionen wer<strong>den</strong> in Höhe eines veränderlichen<br />

Betrages besteuert und dieser Betrag ist an Bewegungen einer beobachtbaren<br />

Zustandsvariablen, z. B. eine Messung der Lufttemperatur,<br />

gekoppelt. Wenn aktuelle und vergangene Emissionen nahezu keine<br />

Auswirkungen auf die Zustandsvariable haben, bleibt der Emissionspreis<br />

unverändert. Zeigen sich hingegen starke Auswirkungen und eine<br />

steigende Temperatur, so steigt auch der Emissionspreis. In McKitrick<br />

(2010b) habe ich aufgezeigt, dass es möglich ist, mithilfe einer einfachen<br />

Formel, die sich obige Beobachtungen hinsichtlich von Zustandsvariablen<br />

und Emissionsdaten zunutze macht, der auf der zeitübergreifen<strong>den</strong><br />

Grenzscha<strong>den</strong>funktion beruhen<strong>den</strong>, nicht beobachtbaren<br />

optimalen dynamischen Emissionssteuer sehr nahe zu kommen. Diese<br />

Formel <strong>für</strong> eine zustandsabhängige Steuer t lautet:<br />

Dabei bezeichnen y eine Konstante, e die aktuellen Emissionen, ē<br />

<strong>den</strong> gleiten<strong>den</strong> Durchschnitt aus aktuellen und vergangenen Emissionen<br />

(wobei so weit in die Vergangenheit zurückgegangen wer<strong>den</strong> kann,<br />

wie eine Beeinflussung des aktuellen Zustands durch die Emissionen<br />

angenommen wird) und s die aktuelle Beobachtung der Zustandsvariablen.<br />

In diesem Ansatz ist y frei wählbar, sodass der Steuersatz t bei<br />

einem dem politischen Entscheidungsträger aktuell sinnvoll erschei-<br />

e<br />

t = y x – x s<br />

ē<br />

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise


nen<strong>den</strong> Wert beginnt. Anschließend wird die Entwicklung der Steuer<br />

vorrangig durch die Entwicklung von s gesteuert.<br />

Um <strong>den</strong> aktuellen Wert der Emissionssteuer zu berechnen, sind<br />

einzig Daten bezüglich aktueller und vergangener Emissionen sowie<br />

der aktuelle Wert der Zustandsvariablen erforderlich. Im Falle von THG<br />

stehen Emissionsdaten auf nationaler und globaler Ebene fertig zur<br />

Verfügung. Europäische Daten sind über Eurostat (http://epp.eurostat.ec.europa.eu),<br />

Daten <strong>für</strong> alle übrigen Länder (mit einigen Jahren<br />

Rückstand) über das US-amerikanische Oak Ridge National Lab (Marland<br />

et al. 2010; im Internet abrufbar unter http://cdiac.ornl.gov/<br />

trends/emis/tre_regn.html) erhältlich.<br />

Bei der Wahl der Zustandsvariablen s sind das zugrunde liegende<br />

wissenschaftliche Vorgehen sowie die verschie<strong>den</strong>en Qualitätsprobleme<br />

klimatischer Daten zu berücksichtigen. Wie oben in Abschnitt 3<br />

aufgezeigt wurde, weisen die Daten <strong>für</strong> die Erd- und Meeresoberfläche<br />

ernsthafte Qualitätsprobleme auf, sodass es nicht angeraten ist, sie <strong>für</strong><br />

politische Zwecke heranzuziehen. Satellitensysteme, vor allem diejenigen,<br />

die sich zur Beibehaltung einer konstanten Höhe des AMSU-<br />

Systems bedienen, bieten verlässlichere Messergebnisse bezüglich der<br />

Lufttemperaturen. Zur Ermittlung einer passen<strong>den</strong> Zustandsvariablen<br />

lege ich die Verwendung der mittleren Temperatur in der unteren bzw.<br />

mittleren tropischen Troposphäre nahe, da es sich bei dieser um einen<br />

kontinuierlich überwachten Indikator handelt, der gegenüber Treibhausgasen<br />

eine besondere Sensitivität aufzuweisen scheint.<br />

Da zur Ermittlung der Steuer t keine Informationen bezüglich der<br />

Vermeidungskosten verwendet wer<strong>den</strong>, mag es so erscheinen, als könne<br />

es sich nicht um ein umfassendes politisches Modell handeln. Bei<br />

<strong>den</strong> aus integrierten Bewertungsmodellen abgeleiteten steuerlichen<br />

Entscheidungen handelt es sich um Lösungen <strong>für</strong> ein zweiseitiges<br />

Optimierungsproblem, bei <strong>den</strong>en zeitübergreifende Schä<strong>den</strong> gegen<br />

zeitübergreifende Vermeidungskosten aufgerechnet wer<strong>den</strong>. Dabei<br />

darf jedoch nicht vergessen wer<strong>den</strong>, dass die oben genannte Formel<br />

85<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


86<br />

keinen politischen Weg vorschreibt, sondern eine Regel beinhaltet,<br />

die Steuersatz und Umweltzustand aneinander bindet. Die tatsächliche<br />

Höhe der Steuer im Zeitlauf wird durch die Entwicklung der Zustandsvariablen<br />

bestimmt. Die Höhe der Vermeidung wird daraufhin<br />

von <strong>den</strong> Emittenten festgelegt, die entsprechend ihren aktuellen und<br />

künftigen Grenzvermeidungskosten auf die aktuellen und erwarteten<br />

künftigen Steuersätze reagieren. Verfügen die Unternehmen über variables<br />

Kapital, wer<strong>den</strong> sie auf Emissionssteuersätze ähnlich reagieren<br />

wie auf alle anderen veränderlichen Kosten. Ist das Kapital gebun<strong>den</strong><br />

und nimmt der Aufbau neuen Kapitals viel Zeit in Anspruch, wer<strong>den</strong><br />

Unternehmen Prognosen hinsichtlich der künftigen Höhe des Steuersatzes<br />

erstellen müssen, die wiederum von <strong>den</strong> künftigen Werten der<br />

Temperaturvariablen abhängig sind. Die Einführung der zustandsabhängigen<br />

Emissionssteuer schafft damit einen Markt <strong>für</strong> genaue Prognosen<br />

der Umweltzustandsvariablen. Ein derartiger Markt existiert<br />

derzeit nicht, da verschie<strong>den</strong>e Parteien einen Nutzen darin zu sehen<br />

scheinen, die Prognosen bezüglich der globalen Erwärmung je nach<br />

der Politik, die sie beeinflussen wollen, bzw. je nach Aufmerksamkeit,<br />

die sie <strong>für</strong> ihre Arbeit erhalten möchten, über- bzw. unterzubewerten.<br />

Unternehmen jedoch, die versuchen, <strong>den</strong> konkreten künftigen Steuersatz<br />

zu prognostizieren, haben nichts davon, da<strong>für</strong> auf unzutreffende<br />

Prognosen zurückzugreifen, sondern sind ganz im Gegenteil besonders<br />

daran interessiert, möglichst genaue Prognosen <strong>für</strong> die künftige<br />

Entwicklung von s zugrundezulegen. Dieser Markt wird schlechte<br />

Klimamodelle auf diese Weise aussondern und <strong>den</strong> Weg <strong>für</strong> genauere<br />

Klimamodelle frei machen.<br />

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise


Wert der zustandsabhängigen Steuer auf<br />

Treibhausgasemissionen seit 1979<br />

Abbildung 8<br />

Steuer<br />

Durchschnittlicher 3-Jahres-Steuersatz<br />

40<br />

Emissionssteuer USD pro Tonne<br />

20<br />

0<br />

–20<br />

87<br />

–40<br />

1980 1990 2000 2010<br />

Quelle: McKitrick (2010d)<br />

Ein interessantes Merkmal der zustandsabhängigen Steuer ist ihre<br />

potenzielle Fähigkeit, bei einer breiten Interessengemeinschaft auf<br />

Zuspruch zu stoßen. Menschen mit widersprüchlichen Annahmen<br />

hinsichtlich der künftigen Entwicklung der Zustandsvariablen wer<strong>den</strong><br />

nichtsdestoweniger alle erwarten, dass der von ihnen bevorzugte politische<br />

Weg verfolgt wird. Diejenigen, die der Ansicht sind, dass Emissionen<br />

keine Auswirkungen auf das Klima haben, wer<strong>den</strong> in Zukunft<br />

überwiegend niedrige Emissionssteuern erwarten, diejenigen, die Klimaveränderungen<br />

in starkem Maße auf Emissionen zurückführen,<br />

wer<strong>den</strong> eher von einer schnell steigen<strong>den</strong> Steuer ausgehen. Die Tatsache,<br />

dass jeder mit dem von ihm bevorzugten Ergebnis rechnet, kann<br />

die Zustimmung zur Einführung einer Steuer erleichtern. Eine der Herausforderungen<br />

der Klimapolitik besteht darin, auf globaler Ebene eine<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


88<br />

Einigung zu erzielen. Verschie<strong>den</strong>e Regionen haben verschie<strong>den</strong>e Ansichten<br />

über die Dringlichkeit des Problems sowie seiner Auswirkungen<br />

auf ihre jeweiligen volkswirtschaftlichen Prioritäten, was eine Einigung<br />

über die Emissionsziele ebenso wie die Einhaltung früherer Vereinbarungen<br />

praktisch unmöglich macht. Einfacher könnte es hingegen sein,<br />

politische Entscheidungsträger auf der ganzen Welt dazu zu bringen,<br />

sich auf eine zustandsabhängige Steuer zu einigen. Die Steuereinkünfte<br />

wür<strong>den</strong> in <strong>den</strong> einzelnen Ländern verbleiben und das Ungleichgewicht<br />

zwischen <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en Nationen verringern. Während der<br />

Verhandlungen gäbe es <strong>für</strong> Länder mit konträren Ansichten hinsichtlich<br />

der wahrscheinlichen künftigen Temperaturentwicklung, keinen<br />

Grund, auch bezüglich der Frage, ob die Steuer erstrebenswert ist oder<br />

nicht, konträre Ansichten zu vertreten, da jede Partei im Endeffekt das<br />

erhielte, was sie <strong>für</strong> das „richtige“ Ergebnis erachtet.<br />

Wie hätte eine solche Steuer ausgesehen, wenn sie früher eingeführt<br />

wor<strong>den</strong> wäre? In McKitrick (2010b) habe ich zur Berechnung hypothetischer<br />

Werte <strong>für</strong> eine an die mittlere Temperatur der tropischen<br />

Troposphäre gekoppelte Kohlenstoffsteuer sowohl auf UAH- als auch<br />

auf RSS-Daten sowie auf globale CO 2 -Emissionsreihen zurückgegriffen.<br />

Das Ergebnis <strong>für</strong> <strong>den</strong> Zeitraum zwischen 1979 und 2009 ist in Abbildung<br />

8 dargestellt. Der Wert <strong>für</strong> y ist so gewählt, dass der Steuersatz <strong>für</strong><br />

das Jahr 2002 – also etwa <strong>den</strong> Zeitpunkt der Ratifizierung des Kyoto-<br />

Protokolls – bei 15 USD/Tonne Kohlenstoff liegt. Die Entwicklung der<br />

Steuer zeigt einen Aufwärtstrend von etwa fünf Dollar pro Jahrzehnt,<br />

was knapp unter dem von Nordhaus ermittelten Wert von etwa acht<br />

Dollar pro Jahrzehnt liegt. Der Unterschied gegenüber dem Ansatz von<br />

Nordhaus, der eine Verpflichtung zu einer bestimmten Preisentwicklung<br />

<strong>für</strong> viele Jahrzehnte enthält, besteht darin, dass der zustandsabhängige<br />

Ansatz einzig eine Verpflichtung dahingehend erfordert, jährlich<br />

oder, falls gewünscht, monatlich einen neuen Satz festzulegen.<br />

Steigen die Temperaturen schneller als erwartet, steigt auch die Steuer;<br />

steigt die Temperatur langsam, so gilt dies auch <strong>für</strong> die Steuer.<br />

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise


Zwischen dem zustandsabhängigen Ansatz zur Emissionspreisgestaltung<br />

und <strong>den</strong> in der Währungspolitik angewandten Mechanismen<br />

besteht eine gewisse Ähnlichkeit. Die Zentralbanken gehen keine langfristigen<br />

Verpflichtungen zur Festlegung von Zinssätzen oder bezüglich<br />

des Geldmengenwachstums ein. Stattdessen verpflichten sie sich<br />

zur Einhaltung allgemeiner Regeln, die die aktuellen wirtschaftlichen<br />

Bedingungen in aktuelle Werte dieser politischen Ziele übertragen.<br />

Mit einer Verpflichtung der Zentralbanken zu auf zehn oder zwanzig<br />

Jahre festgelegten Zinssätzen wäre niemand einverstan<strong>den</strong>, da in der<br />

Zukunft neue Informationen auftauchen wer<strong>den</strong>, die Einfluss auf die<br />

Wahl des jeweils geeigneten Zinssatzes nehmen. Ebenso ist es <strong>für</strong> die<br />

Politik unsinnig, langfristige Verpflichtungen bezüglich der CO 2 -Emissionspreise<br />

einzugehen, da auch hier in der Zukunft neue Informationen<br />

über die Auswirkungen von Treibhausgasen und die Entwicklung<br />

der Lufttemperaturen zur Verfügung stehen wer<strong>den</strong>. Heute Pläne zu<br />

machen, die davon ausgehen, dass wir in Zukunft nichts darüber erfahren<br />

wer<strong>den</strong>, ob diese Pläne geeignet sind oder nicht, ist ganz einfach<br />

unrealistisch.<br />

Die Anwendung eines zustandsabhängigen Preisgestaltungsinstruments<br />

bedeutet nicht, dass Emissionen mit einem bestimmten<br />

Preis belegt wer<strong>den</strong>, nachdem der Scha<strong>den</strong> bereits erfolgt ist. Unternehmen<br />

sind zukunftsgerichtet. Ihre Investitionspläne wer<strong>den</strong> immer<br />

auf möglichst genauen Prognosen bezüglich der Auswirkungen<br />

von Emissionen auf <strong>den</strong> künftigen Klimawandel beruhen. Mit der Zeit<br />

wer<strong>den</strong> diese Prognosen weiter verbessert und aktualisiert. Unternehmen,<br />

die die künftige Entwicklung einer Emissionssteuer unterschätzen,<br />

wer<strong>den</strong> gegenüber Unternehmen, die ihre Planung auf genauen<br />

Prognosen aufgebaut haben, einen Wettbewerbsnachteil erfahren. Die<br />

Entwicklung der Emissionssteuer zu über- oder unterschätzen, wird<br />

keinen Vorteil bringen. Die optimale Strategie <strong>für</strong> Unternehmen wird<br />

daher darin bestehen, korrekte Schätzungen anzustellen. Steht uns<br />

eine Zeit der schnellen, treibhausgasbedingten Klimaerwärmung be-<br />

89<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


90<br />

vor und sind wir in der Lage, verlässlich vorherzusagen, dass uns eine<br />

solche Zeit bevorsteht, wird die Industrie wissen, dass mit einem stark<br />

steigen<strong>den</strong> Emissionspreis zu rechnen ist. Das wiederum wird zu einer<br />

Reduzierung der Emissionen und zu Investitionen in Technologien<br />

führen, durch die tiefere Emissionseinschnitte verkraftbar sind. Kann<br />

der Nachweis da<strong>für</strong>, dass uns eine solche Klimaerwärmung bevorsteht,<br />

hingegen nicht glaubhaft erbracht wer<strong>den</strong>, investieren Unternehmen<br />

nur geringfügig in Vermeidungsoptionen und warten ab, bis bessere<br />

Informationen vorliegen. Das sind die richtigen Antworten auf die dynamischen<br />

Unsicherheiten, <strong>den</strong>en die Welt heute gegenübersteht.<br />

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise


5.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Es gibt vermutlich keinen anderen politischen Bereich, in <strong>den</strong> über die<br />

vergangenen zwanzig Jahre so viele Anstrengungen und so viele Ressourcen<br />

investiert wur<strong>den</strong> und der so konsequent gescheitert ist wie<br />

die Klimapolitik. Ich bin der Ansicht, dass dies darauf zurückzuführen<br />

ist, dass die Klimapolitik seit langem auf einer falschen ökonomischen<br />

Grundlage steht. Schlecht durchdachte Politik führt immer zum Scheitern.<br />

Um zufrie<strong>den</strong>stellende Fortschritte bei der Ausarbeitung einer<br />

erfolgreichen Klimapolitik erzielen zu können, ist daher ein grundlegendes<br />

Um<strong>den</strong>ken erforderlich.<br />

Ich habe in diesem Beitrag zunächst die meines Erachtens bestehen<strong>den</strong><br />

vier grundlegen<strong>den</strong> Mängel der aktuellen Klimapolitik dargelegt.<br />

Zunächst erkannten weder die Bürokratie noch die Politik, dass es<br />

sich beim Treibhausgas CO 2 um einen Sonderfall handelt, der insbesondere<br />

nicht mit Schwefeldioxid- (SO 2 ) oder Fluorchlorkohlenwasserstoff-<br />

Emissionen (FCKW) vergleichbar ist. In <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> genannten Fällen ist<br />

es <strong>den</strong> Parteien auf dem Verhandlungswege gelungen, sich auf Strategien<br />

zu verständigen, da die Gefahren offenkundiger und die Lösungen<br />

wirtschaftlich deutlich günstiger waren. Die Verhandlungsmechanismen<br />

und politischen Initiativen, die in diesen Fällen Wirksamkeit bewiesen,<br />

wur<strong>den</strong> einfach auf die CO 2 -Problematik übertragen, <strong>für</strong> welche<br />

sie jedoch ungeeignet und weitestgehend nutzlos sind.<br />

Zweitens ist es der Politik nicht gelungen, mit dem Anstieg der<br />

Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) angemessen umzugehen, d. h.<br />

zu verstehen, in welchem Maße die Kosten <strong>für</strong> die Vermeidungsoptionen<br />

bei Ausweitung der Ziele zur Emissionsreduzierung steigen, was<br />

91<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


92<br />

in direktem Zusammenhang mit dem oben genannten ersten Punkt<br />

steht. Das führt dazu, dass politische Ziele verfolgt wer<strong>den</strong>, die ohne<br />

höhere Kosten, als die Öffentlichkeit zu akzeptieren bereit ist, nicht erreicht<br />

wer<strong>den</strong> können. Nun verhält es sich aber so, dass politische Maßnahmen,<br />

die moderat genug sind, um finanzierbar zu sein, angesichts<br />

der aktuell existieren<strong>den</strong> Technologien solch geringe Auswirkungen<br />

auf das Klima zeitigen, dass sie nutzlos sind. Politische Maßnahmen,<br />

die streng genug wären, um die allgemein vorgebrachten Ziele zur Reduzierung<br />

der Emissionen zu erreichen, wür<strong>den</strong> deutlich höhere Kosten<br />

verursachen, als die Öffentlichkeit zu tragen bereit ist, und auch<br />

deutlich höhere Kosten, als die Politiker, die diesen Weg verfechten,<br />

sich vor Augen zu führen scheinen. Das starre Festhalten an der Illusion,<br />

Subventionen und Vorschriften könnte eine erfolgreiche „grüne<br />

Ökonomie“ hervorbringen, hat einzig und allein dazu geführt, die Kosten<br />

der Klimapolitik in die Höhe zu treiben – bedeutende Fortschritte<br />

im Umweltschutz wur<strong>den</strong> dadurch nicht erzielt.<br />

Drittens zeigt eine ökonomische Analyse, dass die Politik zur Reduzierung<br />

der Treibhausgase Emissionen mit Kosten belegen und keine<br />

Emissionsgrenzen festsetzen sollte. Alle bisherigen größeren globalen<br />

Initiativen, einschließlich des Kyoto-Protokolls und ähnlicher<br />

Instrumente, legten ihren Fokus jedoch auf Mengenbegrenzungen<br />

oder, was noch schlimmer ist, auf indirekte regulatorische Maßnahmen<br />

dahingehend, das Energieverbrauchsverhalten zu verändern.<br />

Eine solche Politik ist kostenintensiv, intrusiv und häufig nutzlos. Die<br />

einzig große Herausforderung dahingehend, die globale Klimapolitik<br />

auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, liegt also darin, die Diskussion<br />

in Richtung auf Preismechanismen umzulenken. Diese Herausforderung<br />

ist von grundlegender Bedeutung, wenn in <strong>den</strong> nächsten<br />

zwanzig Jahren die teuren Fehler der vergangenen zwanzig Jahre vermie<strong>den</strong><br />

wer<strong>den</strong> sollen.<br />

Schließlich ergibt sich <strong>für</strong> die Politik aus <strong>den</strong> großen Unsicherheiten,<br />

<strong>den</strong> langen Planungshorizonten sowie der Erwartung, dass in<br />

Schlussfolgerungen


<strong>den</strong> kommen<strong>den</strong> Jahren einschlägige neue Informationen über das<br />

Ausmaß der Umweltschädigung durch Treibhausgasemissionen und<br />

die Kosten zu deren Vermeidung vorliegen wer<strong>den</strong>, die Notwendigkeit,<br />

sich primär auf zustandsabhängige (bzw. anpassungsfähige) Preisregelungen<br />

anstatt auf starre, langfristige Verpflichtungen zur Emissionsbegrenzung<br />

zu konzentrieren.<br />

93<br />

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten


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Literatur


Manuel Frondel<br />

Die EU-<br />

Klimapolitik: Teuer<br />

und ineffektiv


Für wissenschaftliche Vorarbeiten bin ich<br />

Nolan Ritter und Ralf Koßmann besonderen<br />

Dank schuldig.


1.<br />

Einleitung<br />

Die sogenannte Klimaerwärmung ist seit geraumer Zeit eines der<br />

weltweit meistdiskutierten Themen. Unter Klimaerwärmung wird<br />

allgemein die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur verstan<strong>den</strong>.<br />

In der Tat ist die Durchschnittstemperatur der Erde im Laufe<br />

der vergangenen hundert Jahre um etwa 0,8 Grad Celsius angestiegen<br />

(IPCC 2008). Ein guter Teil dieses Anstiegs vollzog sich in <strong>den</strong> bei<strong>den</strong><br />

letzten Deka<strong>den</strong> des vergangenen Jahrhunderts.<br />

Für die Klimaerwärmung mit verantwortlich gemacht wird der<br />

anthropogen bedingte Ausstoß von Treibhausgasen, allen voran von<br />

Kohlendioxid (CO 2 ). Dieses Treibhausgas entsteht größtenteils durch<br />

die Verbrennung von fossilen Brennstoffen. In welchem Ausmaß dies<br />

zur Klimaerwärmung beiträgt, ist nach wie vor umstritten, ebenso<br />

wie die Stärke der Bedrohung durch <strong>den</strong> damit einhergehen<strong>den</strong> sogenannten<br />

Klimawandel. So umfasst das Spektrum der Positionen zum<br />

Klimawandel sowohl Einschätzungen, nach <strong>den</strong>en der Beitrag des anthropogen<br />

generierten CO 2 zur globalen Erwärmung vernachlässigbar<br />

klein und unbedeutend ist (Lüdecke 2008:163), als auch Aussagen,<br />

dass die globale Erwärmung größere Schä<strong>den</strong> anrichtet als irgendein<br />

Krieg dies vermag (Stiglitz 2006:1). Damit einhergehen könnten beispielsweise<br />

ein substantieller Anstieg des Meeresspiegels, eine Zunahme<br />

der Häufigkeit und der Intensität von Stürmen oder auch die<br />

Ausdehnung von Wüsten.<br />

Ohne dass eine Einmischung in diese Diskussion erforderlich<br />

wäre, beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit der Effektivität und<br />

105<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


106<br />

der Kosteneffizienz der <strong>Klimaschutz</strong>politik der Europäischen Kommission,<br />

die sich weitgehend auf die Verringerung des Treibhausgasausstoßes<br />

konzentriert, bislang vor allem auf die Verringerung von CO 2 ,<br />

während Maßnahmen zur Anpassung an <strong>den</strong> Klimawandel, wie etwa<br />

die Verstärkung und Erhöhung von Deichen zum Schutz vor einem<br />

Anstieg des Meeresspiegels, eher im Hintergrund stehen.<br />

Der folgende Abschnitt 2 erläutert die treibende Rolle, welche die<br />

Europäische Kommission beim Zustandekommen des unter dem Namen<br />

Kyoto-Protokoll weltbekannten internationalen <strong>Klimaschutz</strong>abkommens<br />

gespielt hat und die sie mit der Bekanntgabe eines unkonditionierten<br />

und ambitionierten Treibhausgasminderungsziels <strong>für</strong> das<br />

Jahr 2020 noch deutlich untermauert hat. Dabei ist das Ziel unabhängig<br />

davon, ob andere bedeutende Emittentenländer wie China oder die<br />

USA ebenfalls Minderungsanstrengungen unternehmen. Die bisherigen<br />

Treibhausgasreduktionsbemühungen der Europäischen Union<br />

(EU) und ihrer Mitgliedstaaten wer<strong>den</strong> daher in Abschnitt 2 mit <strong>den</strong>en<br />

anderer führender Industrie- und Schwellenländer verglichen.<br />

Abschnitt 3 erläutert die kontraproduktiven internationalen Rückwirkungen<br />

der ambitionierten, aber einseitigen Bemühungen der<br />

Kommission zur Treibhausgasminderung. Der vierte Abschnitt stellt<br />

die Frage nach der Kosteneffizienz der einseitigen EU-Politik, an der<br />

sich aus vielfältigen Grün<strong>den</strong> zweifeln lässt. Abschnitt 5 erläutert die<br />

Gründe da<strong>für</strong>, dass die Chancen <strong>für</strong> das Zustandekommen eines globalen<br />

Klimaabkommens zur Treibhausgasminderung schlecht stehen,<br />

obwohl ein solches höchst wünschenswert wäre, da Teilkooperationen<br />

oder gar Alleingänge eher nutzlos verpuffen, wenn nicht gar kontraproduktiv<br />

sind.<br />

Abschnitt 6 diskutiert aussichtsreichere Politikalternativen zur<br />

Auferlegung von Emissionsrestriktionen, bei <strong>den</strong>en die einzelnen<br />

Länder in erster Linie selbst von <strong>den</strong> zu ergreifen<strong>den</strong> Maßnahmen<br />

profitieren und daher ein hohes Eigeninteresse an deren Umsetzung<br />

haben. So hätte ein weltweites Abkommen über eine sukzessive Er-<br />

Einleitung


höhung der Ausgaben <strong>für</strong> die Forschung und Entwicklung (F&E) von<br />

Energieumwandlungs- und -speichertechnologien, mit dem man zwar<br />

nicht unmittelbar, aber doch innerhalb einiger Jahrzehnte Treibhausgasminderungen<br />

erzielen könnte, eine realistische Chance auf ein Zustandekommen.<br />

Abschnitt 7 setzt sich mit <strong>den</strong> Vorteilen von Maßnahmen zur Anpassung<br />

an die globale Erwärmung auseinander, zu <strong>den</strong>en unter anderem<br />

die gezielte Preisgabe von Land gehören könnte sowie die Umsiedelung<br />

der Bevölkerung in weniger gefährdete Landstriche. Einer<br />

Strategie zur Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen kommt insbesondere<br />

deshalb eine hohe Bedeutung zu, weil Anstrengungen zur<br />

globalen Emissionsminderung letztendlich wenig Aussicht auf Erfolg<br />

haben dürften. Der abschließende Abschnitt präsentiert ein Fazit zur<br />

eingeschlagenen Klimapolitikstrategie der Kommission und schlägt<br />

als Schlussfolgerung einen gravieren<strong>den</strong> Strategiewechsel vor.<br />

107<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


2.<br />

Der geringe Effekt der<br />

Treibhausgasminderungspolitik<br />

der EU<br />

109<br />

Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich die Europäische Kommission − im<br />

Folgen<strong>den</strong> kurz (EU-)Kommission genannt − aktiv <strong>für</strong> Maßnahmen zur<br />

Minderung von Treibhausgasen auf internationaler Ebene eingesetzt<br />

(Abbildung 1). Bei der Ratifizierung und Implementierung des Kyoto-<br />

Protokolls übernahm die Kommission sogar eine führende Rolle: Ohne<br />

explizite und vergleichsweise hohe Minderungsziele seitens der EU<br />

wäre das Kyoto-Protokoll wohl kaum 1997 verabschiedet wor<strong>den</strong> und<br />

ohne das strategische Geschick der Kommission wäre nach der US-amerikanischen<br />

Ablehnung des Protokolls im Jahr 2001 der Kyoto-Prozess<br />

vermutlich gescheitert (Böhringer 2010:60). Erst mit der Ratifizierung<br />

des Kyoto-Protokolls durch Russland, dem Land, dem als Zünglein an<br />

der Waage die besondere diplomatische Aufmerksamkeit sowie zahlreiche<br />

Zugeständnisse der Kommission zuteil wur<strong>den</strong> (Requate 2010:1),<br />

konnte das Protokoll als völkerrechtlich bin<strong>den</strong>der Vertrag 2005 in<br />

Kraft treten. Sanktionen bei Nichteinhaltung der im Protokoll vereinbarten<br />

Ziele sind damit allerdings nicht verbun<strong>den</strong>.<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


Wichtige Eckpunkte der Klimapolitik seit 1990<br />

Abbildung 1<br />

Berliner Mandat<br />

fordert<br />

Emissionsziele<br />

<strong>für</strong> die<br />

Industriestaaten<br />

Die USA lehnen eine Umsetzung<br />

des Kyoto-Protokolls ab<br />

Das Kyoto-Protokoll tritt in Kraft<br />

Klimakonferenz<br />

in Kopenhagen<br />

1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010<br />

110<br />

Klimarahmenkonvention<br />

der vereinten Nationen<br />

beschlossen und von der<br />

USA ratifiziert<br />

Kyoto-Protokoll wird beschlossen<br />

Russland ratifiziert das Kyoto-Protokoll<br />

Aktionsplan von Bali: parallele<br />

Verhandlungen, Kyoto-Protokoll<br />

und Klimarahmenkonvention<br />

Klimakonferenz<br />

in Cancún<br />

Mit der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls hat sich die EU verpflichtet,<br />

da<strong>für</strong> Sorge zu tragen, dass der Treibhausgasausstoß der Jahre<br />

2008 – 2012 im Schnitt um 8 % niedriger liegt als im Jahr 1990. Zur Erreichung<br />

dieses <strong>für</strong> die gesamte EU gelten<strong>den</strong> Ziels wurde mit dem sogenannten<br />

EU-Bur<strong>den</strong>-Sharing-Agreement von 1998 festgelegt, welche<br />

Lasten die einzelnen Mitgliedstaaten zu schultern haben. Mit dem Ziel,<br />

die Treib hausgasemissionen um 21 % gegenüber 1990 zu verringern<br />

(Abbil dung 2), trägt Deutschland mit Abstand die höchste Minderungslast:<br />

Die Reduktionsverpflichtung Deutschlands macht rund drei Viertel<br />

der im Kyoto-Protokoll festgelegten Minderungsleistung der EU aus.<br />

Mit einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um 6,5 % gegenüber<br />

1990 waren die EU-15-Staaten im Jahr 2008 ihrem Kyoto-Ziel<br />

einer Minderung um 8 % nahe, auch wenn sich bei einigen Ländern<br />

Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU


wie Dänemark, Österreich, Luxemburg, Italien oder Spanien erhebliche<br />

Schwierigkeiten bei der Zielerreichung andeuten (Abbildung 2).<br />

Andere Mitgliedsländer wie Frankreich, Schwe<strong>den</strong>, das Vereinigte Königreich<br />

oder Deutschland haben hingegen ihre Minderungsziele bereits<br />

erreicht.<br />

Die Einhaltung der eigenen Kyoto-Verpflichtungen stellt selbstre<strong>den</strong>d<br />

eine Grundvoraussetzung <strong>für</strong> die Glaubwürdigkeit der einseitigen<br />

und ambitionierten Minderungsziele dar, die sich die Kommission<br />

<strong>für</strong> das Jahr 2020 gesetzt hat. So wurde im Energie- und Klimapaket<br />

der Kommission Anfang 2009 festgelegt, die EU-weiten Treibhausgasemissionen<br />

bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 % gegenüber dem<br />

Niveau von 1990 zu senken − bei vergleichbaren Anstrengungen bedeutender<br />

anderer Industrienationen ist sogar ein Minderungsziel<br />

von 30 % vorgesehen. Damit hat die Europäische Union endgültig die<br />

Vorreiterrolle bei der Bekämpfung des Treibhausgasausstoßes übernommen.<br />

Andere Staaten haben sich keine derartig anspruchsvollen<br />

Ziele <strong>für</strong> die Zeit nach der Kyoto-Erfüllungsperiode von 2008 – 2012<br />

gesetzt, <strong>für</strong> die es bislang kein dem Kyoto-Protokoll vergleichbares internationales<br />

<strong>Klimaschutz</strong>abkommen gibt.<br />

Zur besseren Einschätzung des <strong>Klimaschutz</strong>ehrgeizes der Kommission<br />

sollte bedacht wer<strong>den</strong>, dass die bisherigen Minderungserfolge<br />

weniger einer stringenten Politik, sondern zu erheblichen Teilen<br />

einmaligen historischen Ereignissen zu verdanken sind. Dazu zählen<br />

der wirtschaftliche Zusammenbruch der ehemaligen Ostblockstaaten<br />

infolge politischer Umwälzungen, die ökonomische Erneuerung<br />

der ostdeutschen Länder nach der deutschen Wiedervereinigung sowie<br />

die tiefgreifende Rezession nach der Banken- und Finanzmarktkrise<br />

am Ende der ersten Dekade dieses Jahrtausends. Laut einer<br />

2009 vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebenen Studie ist<br />

lediglich etwa die Hälfte der Emissionsminderungen in der EU seit<br />

1990 auf einschlägige umweltpolitische Maßnahmen zurückzuführen<br />

(Böhringer 2010:63).<br />

111<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


EU-Bur<strong>den</strong>sharing und Veränderung des<br />

Treibhausgasausstoßes von 1990 – 2008<br />

Abbildung 2<br />

EU-Bur<strong>den</strong>sharing<br />

Veränderung des Treibhausgasausstoßes<br />

15 %<br />

42,3 %<br />

Spanien<br />

27 %<br />

32,3 %<br />

Portugal<br />

112<br />

13 %<br />

23 %<br />

Irland<br />

25 %<br />

22,8 %<br />

Griechenland<br />

– 13 %<br />

10,8 %<br />

Österreich<br />

– 6,5 %<br />

4,7 %<br />

Italien<br />

– 28 %<br />

– 6 %<br />

– 2,4 %<br />

– 4,8 %<br />

– 0,3 %<br />

0 %<br />

Finnland<br />

Niederlande<br />

Luxembourg<br />

– 6,1 %<br />

– 8 %<br />

– 6,5 %<br />

– 7,5 %<br />

– 7,1 %<br />

0 %<br />

Frankreich<br />

EU (EU-15)<br />

Belgien<br />

– 21 %<br />

– 7,3 %<br />

Dänemark<br />

– 21 %<br />

– 22,2 %<br />

– 11,7 %<br />

– 12,5 %<br />

– 18,5 %<br />

4 %<br />

Schwe<strong>den</strong><br />

Großbritannien<br />

Deutschland<br />

–30% –20% –10% 0% 10% 20% 30% 40% 50%<br />

Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU


Darüber hinaus darf die Kommission nicht darüber hinwegsehen,<br />

dass neben einigen europäischen Ländern zahlreiche andere Industrieländer,<br />

die das Kyoto-Protokoll unterzeichnet und gar ratifiziert haben,<br />

von ihren Kyoto-Zielen sehr weit entfernt sind (Abbildung 3). So ist<br />

Australien mit einer Emissionssteigerung um 38 % zwischen 1990 und<br />

2008 unerreichbar weit von seinem Kyoto-Ziel entfernt. In <strong>den</strong> USA,<br />

Kanada und Japan sind die Emissionen ebenfalls angestiegen, wohingegen<br />

die Kyoto-Verpflichtungen dieser Länder Emissionssenkungen<br />

vorsehen, die kaum mehr erreichbar scheinen, vor allem <strong>für</strong> Kanada.<br />

Bereits eine Umkehr der bislang steigen<strong>den</strong> Emissionstrends wäre <strong>für</strong><br />

diese Länder als ein Erfolg anzusehen, an eine Einhaltung der Kyoto-<br />

Ziele ist hingegen kaum zu <strong>den</strong>ken.<br />

113<br />

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Quelle Abbildungen 3/4: Cerina (2010) | Weltweite CO2-Emissionen: Länderranking 2009<br />

Veränderung des CO2-Ausstoßes bedeutender<br />

Emittenten von 1990 – 2009<br />

Abbildung 3<br />

Kyoto-Ziele<br />

Veränderungen der aktuellen Emissionen (2009) zum Basisjahr (1990)<br />

– 5,2 %<br />

– 6 %<br />

– 7 %<br />

– 6 %<br />

0 %<br />

0 %<br />

– 8 %<br />

– 3,2 %<br />

– 21 %<br />

– 22,5 %<br />

8 %<br />

9 %<br />

3,9 %<br />

24,9 %<br />

38 %<br />

27,1 %<br />

144,2 %<br />

202,9 %<br />

–50% 0% 50% 100% 150% 200% 250%<br />

China<br />

Indien<br />

Australien<br />

Alle Länder<br />

Kanada<br />

USA<br />

Japan<br />

EU (EU-15)<br />

Deutschland<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


114<br />

Dies dürfte zusammen mit <strong>den</strong> substantiellen Kosten, die <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong> <strong>Klimaschutz</strong> aufzubringen sind, wesentlicher Grund da<strong>für</strong> gewesen<br />

sein, dass selbst Staaten wie Kanada, die durch das Kyoto-Protokoll<br />

vertraglich gebun<strong>den</strong> sind, davon Abstand nehmen (Böhringer,<br />

Rutherford 2010). Dies ist wohl auch auf das Fehlen von wirksamen<br />

Sanktionen zurückzuführen (Böhringer 2010:60). Insgesamt sind die<br />

weltweiten CO 2 -Emissionen trotz der erfolgreichen Minderungsanstrengungen<br />

der Europäischen Union zwischen 1990 und 2008 um<br />

rund 37 % gestiegen (Abbildung 3), anstatt um 5,2 % zu sinken, wie im<br />

Kyoto-Protokoll vorgesehen ist.<br />

Allem Eifer der Kommission sind aber nicht zuletzt auch dadurch<br />

Grenzen gesetzt, dass der Anteil der EU-15 an <strong>den</strong> weltweiten<br />

CO 2 -Emissionen relativ gering ist und im Jahr 2008 knapp 12 % betrug<br />

(Abbildung 4). Ohne ein Mitwirken Chinas und der USA, der bei<strong>den</strong><br />

bedeutendsten Emittentenländer, deren Anteile an <strong>den</strong> globalen<br />

CO 2 -Emissionen 2008 bei 21,4 % und 19,1 % lagen, können die globalen<br />

Emissionen in keinem Fall gesenkt wer<strong>den</strong>, wie die Vergangenheit klar<br />

gezeigt hat.<br />

Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU


CO2-Emissionen der bedeutendsten Emittentenländer<br />

im Jahr 2009<br />

Abbildung 4<br />

31.098<br />

Alle Länder<br />

5.951<br />

7.426<br />

China<br />

USA<br />

3.381<br />

EU (EU-15)<br />

1.534<br />

1.529<br />

1.225<br />

797<br />

664<br />

606<br />

544<br />

544<br />

531<br />

463<br />

441<br />

438<br />

415<br />

403<br />

390<br />

385<br />

342<br />

279<br />

Russland<br />

Indien<br />

Japan<br />

Deutschland<br />

Südkorea<br />

Kanada<br />

Saudi Arabien<br />

Iran<br />

Großbritannien<br />

Südafrika<br />

Mexiko<br />

Italien<br />

Brasilien<br />

Frankreich<br />

Indonesien<br />

Australien<br />

Spanien<br />

Ukraine<br />

115<br />

0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


116<br />

Tatsächlich lautet die unbequeme Wahrheit, dass der Treibhausgasminderung<br />

in der Europäischen Union im globalen Kontext lediglich<br />

eine sehr untergeordnete Bedeutung zukommt (Böhringer 2010:56).<br />

So haben sich die CO 2 -Emissionen in China zwischen 1990 und 2009<br />

mehr als verdreifacht (Abbildung 3) und stiegen von 2,45 auf 7,43 Mrd.<br />

Tonnen, wohingegen die CO 2 -Emissionen der EU-15-Staaten um 3,2 %<br />

gesunken sind (Abbildung 3), von 3,49 auf 3,38 Mrd. Tonnen (Cerina<br />

2010). Der Minderung der EU-15-Staaten um 0,11 Mrd. Tonnen stand somit<br />

ein Zuwachs an Emissionen in China von knapp 5 Mrd. Tonnen gegenüber.<br />

Auch im Vergleich zu <strong>den</strong> zu erwarten<strong>den</strong> Emissionsanstiegen<br />

in Entwicklungs- und Schwellenländern wie China, Russland oder Indien<br />

wird die Emissionsentwicklung in der EU oder anderen Industrieländern<br />

weiterhin eine untergeordnete Rolle spielen, wie die folgende<br />

Abbildung 5 zeigt.<br />

Würde der CO 2 -Ausstoß in <strong>den</strong> OECD-Ländern bis 2050 tatsächlich<br />

um 83 % gesenkt wer<strong>den</strong>, wie es der nach <strong>den</strong> US-Kongressabgeordneten<br />

Waxman und Markey benannte Plan vorsieht, könnte<br />

der künftige Anstieg der globalen Emissionen allenfalls moderat<br />

gedämpft wer<strong>den</strong>, wie Abbildung 5 zeigt. Der Emissionspfad ohne<br />

Minderungen der OECD-Länder, wie sie der Waxman-Markey-Plan<br />

vorsieht, entspricht dabei dem wirtschaftsorientierten A1-Szenario<br />

des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC 2010), das<br />

eine zunehmende Globalisierung unterstellt. Gemäß dem A1-Szenario<br />

dreht sich der Trend zu höheren weltweiten Emissionen erst im<br />

Jahr 2070 um. Hauptursache da<strong>für</strong> ist der unterstellte Rückgang der<br />

Weltbevölkerung.<br />

Kurzum: Selbst wenn die EU zusammen mit allen anderen OECD-<br />

Ländern ihre CO 2 -Emissionen im Laufe der nächsten Jahrzehnte auf<br />

Null zurückführen würde, hätte dies auf <strong>den</strong> globalen CO 2 -Ausstoß lediglich<br />

eine sehr beschränkte Wirkung. Im Klartext: Ohne drastische<br />

Einschränkungen der künftigen Pro-Kopf-Emissionen in <strong>den</strong> prosperieren<strong>den</strong><br />

Schwellenländern, welche bislang noch relativ niedrig aus-<br />

Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU


fallen, ist der Anstieg der weltweiten Emissionen in Zukunft kaum zu<br />

dämpfen, geschweige <strong>den</strong>n, dass der globale Treibhausgasausstoß gegenüber<br />

dem heutigen Niveau gesenkt wer<strong>den</strong> kann.<br />

Künftiger CO2-Ausstoß im A1-Szenario des IPCC (2010)<br />

und bei Umsetzung des Waxman-Markey-Plans<br />

Abbildung 5<br />

Globale Emissionen A1 IPCC<br />

Globale Emissionsreduktionen Waxman-Markey<br />

80<br />

OECD-1990 Emissionen A1 IPCC<br />

OECD-1990 Emissionsreduktionen Waxman-Markey<br />

117<br />

70<br />

60<br />

Mrd. Tonnen CO2 (Gt CO2)<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2060 2070 2080 2090<br />

Quelle: Authors Calculations and IPCC (2001) | Special Report on Emissions Scenarios,<br />

Intergovernmental Panel on Climate Change.<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


3.<br />

Kontraproduktive<br />

internationale<br />

Rückwirkungen<br />

119<br />

Die einseitigen Bemühungen der Kommission zur Treibhausgasminderung<br />

können nicht zuletzt auch deshalb wenig zur Dämpfung des weltweiten<br />

Emissionsanstiegs beitragen, weil sie kontraproduktive internationale<br />

Rückwirkungen haben können (Böhringer 2010:58). So könnten<br />

Länder ihre Minderungsanstrengungen nach <strong>den</strong> Erkenntnissen der<br />

umweltökonomischen Literatur zurücknehmen, wenn sich eine Nation<br />

oder eine Staatengemeinschaft wie die Europäische Union weithin erkennbar<br />

und mit hoher Glaubwürdigkeit auf verstärkte Anstrengungen<br />

zur Emissionsvermeidung festlegt (Beirat BMF 2010:14).<br />

Denn: Je stärker eine Staatengemeinschaft wie die EU zur Dämpfung<br />

des Anstiegs oder gar Senkung der weltweiten Emissionen beiträgt,<br />

desto kleiner wer<strong>den</strong> die Vorteile eines anderen Staates aus<br />

dessen eigenen Minderungsanstrengungen (Beirat BMF 2010:16). In<br />

anderen Worten: Der Grenznutzen der Vermeidungsmaßnahmen der<br />

übrigen Staaten nimmt mit <strong>den</strong> zunehmen<strong>den</strong> EU-Bemühungen ab.<br />

Bei sinkendem Grenznutzen ist es folglich <strong>für</strong> die Nicht-EU-Staaten<br />

reizvoll, ihre eigenen Anstrengungen infolge der EU-Ambitionen einzuschränken.<br />

Andere Länder profitieren daher in doppelter Hinsicht von <strong>den</strong><br />

Anstrengungen der EU. Zum einen steigt deren Wohlfahrt in unmittelbarer<br />

Weise durch die verstärkten Emissionsminderungen der EU-<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


120<br />

Länder, falls diese überhaupt einen positiven Effekt auf das Weltklima<br />

haben. Zum anderen sinken infolge der verstärkten Vermeidungsanstrengungen<br />

der EU die <strong>Klimaschutz</strong>kosten der übrigen Staaten, wenn<br />

diese ihre Emissionsminderungsmaßnahmen entsprechend zurückschrauben.<br />

Kurzum: Die Änderung in ihrem Kosten-Nutzen-Kalkül führt<br />

dazu, dass die Nicht-EU-Länder ihre Treibhausgasminderungspolitik<br />

ten<strong>den</strong>ziell weniger restriktiv bzw. ambitioniert ausgestalten könnten<br />

als ohne die EU-Anstrengungen, sodass die Nicht-EU-Länder ihre<br />

Treibhausgasvermeidungskosten reduzieren könnten (Hoel 1991,<br />

Warr 1993). Die Wirkung der Selbstverpflichtung, die sich die Kommission<br />

durch die Verkündung des 20-%-Ziels auferlegt hat, besteht<br />

somit in einer als Crowding-Out bezeichneten Verdrängung der Vermeidungsanstrengungen<br />

anderer Länder. Unter sehr plausiblen Annahmen<br />

kann dies zu einem teilweisen oder gar nahezu gänzlichen<br />

Ausgleich der durch die EU bewirkten Emissionsreduktionen führen<br />

(Beirat BMF 2010:14).<br />

Wenn folglich die Kommission eine einseitige Selbstverpflichtung<br />

zu hohen Emissionsminderungen eingeht, mag sie darauf hoffen,<br />

damit ein positives Beispiel zu setzen, dem andere Länder folgen.<br />

In einer realen Welt, in der die Emissionen aller Länder durch deren<br />

individuelles Kosten-Nutzen-Kalkül bestimmt sind, ist dies jedoch<br />

eine fromme Hoffnung (Beirat BMF 2010:14). Es besteht vielmehr die<br />

große Gefahr, dass andere Länder durch die starke Vorreiterrolle der<br />

EU nicht mehr, sondern weniger Anstrengungen zur Verringerung der<br />

globalen Emissionen unternehmen wer<strong>den</strong>. Die kurzfristigen Wohlfahrtswirkungen<br />

einer solchen Vorreiterpolitik sind eindeutig: Die<br />

Wohlfahrt in der sich selbst verpflichten<strong>den</strong> EU sinkt, während sich<br />

die Wohlfahrt aller anderen Länder – zumindest auf kurze Sicht – erhöht<br />

(Beirat BMF 2010:14).<br />

Bei einer unilateralen Minderungspolitik der EU kommt es insbesondere<br />

zu Verlagerungen der Emissionen in Länder ohne Emissions-<br />

Kontraproduktive internationale Rückwirkungen


eschränkungen (Hoel 1991, Felder, Rutherford 1993), ein Effekt, der<br />

unter dem Begriff Emissions oder Carbon Leakage bekannt ist. Darunter<br />

versteht man das Phänomen, dass die einseitige Belastung der energieintensiven<br />

europäischen Industrie zu Erhöhungen der Emissionen<br />

in Länder außerhalb der EU führen, in <strong>den</strong>en keine vergleichbaren <strong>Klimaschutz</strong>kosten<br />

anfallen. Dadurch stehen <strong>den</strong> Emissionssenkungen in<br />

Europa erhöhte Emissionen im Nicht-EU-Ausland gegenüber (Oliveira-<br />

Martins et al. 1992).<br />

Da<strong>für</strong> gibt es drei Gründe: Erstens kann es zu Standortverlagerungen<br />

umwelt- und energieintensiver Industrien ins Nicht-EU-Ausland<br />

kommen. Kritiker halten dem entgegen, dass Umweltregulierung nur<br />

einer von vielen Standortfaktoren wäre, räumen die Möglichkeit der<br />

Standortverlagerung jedoch ein (Hentrich, Matschoss 2006:51). Zweitens<br />

können Importe umweltintensiver Güter die Produktion in Europa<br />

verdrängen. Dies dürfte nach <strong>den</strong> Ergebnissen einer empirischen<br />

Studie von Demailly und Quirion (2006) beispielsweise bei Zement<br />

in nicht unerheblichem Maße der Fall sein. Drittens könnte ein substantieller<br />

Nachfragerückgang in Ländern mit starken Emissionsminderungen<br />

zu weltweit geringeren Energiepreisen führen, sodass postwen<strong>den</strong>d<br />

die Nachfrage nach fossilen Energierohstoffen in <strong>den</strong> übrigen<br />

Ländern steigt (Böhringer 2010:58).<br />

Um diese kontraproduktiven Rückwirkungen abzuschwächen,<br />

kann es sinnvoll sein, energie- und handelsintensive Industrien<br />

weniger stark zu belasten, konstatieren Böhringer und Schwager<br />

(2003:213), so wie dies etwa im Zusammenhang mit der Erhebung der<br />

Stromsteuer in Deutschland bislang geschieht. Auch die Kommission<br />

hat die Relevanz des Leakage-Effekts erkannt und wird die Unternehmen<br />

der handels- und zugleich energieintensiven Industriesektoren<br />

von der Verpflichtung der Ersteigerung der von ihnen benötigten<br />

Zertifikate ab dem Jahr 2013 teilweise ausnehmen. Unter die Ausnahmenregelungen<br />

fallen diejenigen Sektoren, bei <strong>den</strong>en die durch <strong>den</strong><br />

Emissionshandel verursachten zusätzlichen Energiekosten mindes-<br />

121<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


122<br />

tens 5 % der Bruttowertschöpfung betragen und deren Handelsintensität<br />

17 zugleich über 10 % liegt. Als vom Carbon Leakage besonders<br />

betroffen − und deshalb ebenfalls ausgenommen − gelten sodann<br />

diejenigen Sektoren, <strong>für</strong> die bereits eines dieser bei<strong>den</strong> Kriterien bei<br />

über 30 % liegt.<br />

Bei diesen Ausnahmeregelungen ist allerdings zu beachten, dass<br />

sie die so i<strong>den</strong>tifizierten Unternehmen nicht vollständig von <strong>den</strong><br />

CO 2 -Kosten entlasten. Vielmehr erhalten die energieintensiven Unternehmen,<br />

die sich erwiesenermaßen im internationalen Wettbewerb<br />

behaupten müssen, in der kommen<strong>den</strong> Handelsperiode (2013 – 2020)<br />

eine Gratiszuteilung der Zertifikate lediglich in einer Höhe, die sich<br />

nach einem sektorspezifischen Benchmark bemisst (BMU 2008). Zur<br />

Festlegung der EU-einheitlichen Benchmarks wer<strong>den</strong> jeweils die effizientesten<br />

10 % der Anlagen einer Branche in der EU betrachtet. Jene<br />

Unternehmen aber, die bei weitem nicht zu <strong>den</strong> 10 % der effizientesten<br />

ihrer Branche gehören, könnten trotz Gratiszuteilung in Höhe des<br />

Benchmarks mit erheblichen Kosten infolge des Erwerbs der darüber<br />

hinaus benötigten Zertifikate konfrontiert sein.<br />

Eine allzu ambitionierte unilaterale Klimapolitik, die in Zukunft<br />

immer strengere <strong>Klimaschutz</strong>ziele verfolgt, kann schließlich auch<br />

dazu führen, dass fossile Energieressourcen schneller gefördert wer<strong>den</strong>,<br />

weil die Rohstoffanbieter be<strong>für</strong>chten könnten, dass infolge künftig<br />

verstärkter <strong>Klimaschutz</strong>bemühungen die Nachfrage und damit die<br />

Preise nach Energierohstoffen fallen. Nach dem „grünen Paradoxon“<br />

von Sinn (2008:140) könnte so der weltweite Ausstoß an Treibhausgasen<br />

paradoxerweise sogar höher ausfallen als ohne <strong>Klimaschutz</strong>bemühungen.<br />

17 Die Handelsintensität ist die Summe aus Importen und Exporten dividiert durch die Summe aus<br />

dem in der EU erzielten Umsatz und <strong>den</strong> Importen (BMU 2008).<br />

Kontraproduktive internationale Rückwirkungen


4.<br />

Mangelnde<br />

Kosteneffizienz der<br />

Treibhausgasminderungspolitik<br />

der EU<br />

123<br />

Auch wenn die Klimapolitik der Kommission nach <strong>den</strong> vorangehen<strong>den</strong><br />

Erläuterungen im weltweiten Maßstab wenig oder gar Kontraproduktives<br />

bewirkt, stellt sich die Frage nach der Kosteneffizienz<br />

der einseitigen EU-Politik. An der Kosteneffizienz lässt sich aber vor<br />

allem aus folgen<strong>den</strong> Grün<strong>den</strong> zweifeln (Böhringer 2010:63): Erstens<br />

sind Mehrkosten dadurch vorprogrammiert, dass neben dem im Jahr<br />

2005 eigens zum Zwecke der Treibhausgasminderung etablierten <strong>Klimaschutz</strong>instrument<br />

des Handels von CO 2 -Emissionszertifikaten eine<br />

Vielzahl von sich überlagern<strong>den</strong> Regulierungsinstrumenten in der EU<br />

zum Einsatz kommen, obwohl laut umweltökonomischer Literatur die<br />

Minderung von Treibhausgasen mit dem Emissionshandel auf kurze<br />

Sicht zu <strong>den</strong> geringsten gesamtwirtschaftlichen Kosten erreicht wer<strong>den</strong><br />

kann: Durch dieses <strong>Klimaschutz</strong>instrument können Emissionsminderungsziele<br />

nicht nur ökologisch treffsicher, sondern – zumindest<br />

in statischer bzw. kurzfristiger Betrachtungsweise – auch ökonomisch<br />

effizient realisiert wer<strong>den</strong> (Bonus 1998:7).<br />

Zweitens entstehen auch dadurch erhebliche Mehrkosten, dass<br />

der Emissionshandel bislang auf die Europäische Union begrenzt ist<br />

(Nordhaus 2009:50). Eine Ausweitung des EU-Emissionshandelssystems<br />

auf weitere Regionen, welche insbesondere die größten Emitten-<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


124<br />

ten wie die USA und China einschließen, würde die Vermeidung ein<br />

und derselben Emissionsmenge zu günstigeren Kosten erlauben, da<br />

mit Hilfe dieses Instrumentes die Emissionen dort gemindert wer<strong>den</strong>,<br />

wo es am kostengünstigsten ist (Böhringer 2010:64). Mit einer internationalen<br />

Ausweitung des Emissionshandels sollte sich die Anzahl<br />

an zur Verfügung stehen<strong>den</strong> kostengünstigen Vermeidungsoptionen<br />

vergrößern. Im Ergebnis führt dies zu einer Senkung der Kosten <strong>für</strong> die<br />

Erreichung einer bestimmten Emissionsminderung.<br />

Zu einer Ausweitung des EU-Emissionshandelssystem auf einen<br />

weltweiten Handel besteht aber wenig Hoffnung, da dies ein weltumspannendes<br />

klimapolitisches Abkommen voraussetzt. Die Aussichten<br />

auf <strong>den</strong> Abschluss eines wirkungsvollen internationalen Klimaabkommens<br />

mit völkerrechtlich bin<strong>den</strong><strong>den</strong> Minderungszielen der bedeutendsten<br />

Emittenten sind allerdings sehr schlecht (Beirat BMF 2010:7),<br />

wie im nächsten Abschnitt erläutert wird. Ein Hauptgrund da<strong>für</strong> ist,<br />

dass es keine Weltregierung gibt und es wenig wahrscheinlich ist, dass<br />

es eine solche jemals geben wird.<br />

Drittens ist die Europäische Union trotz der als positiv hervorzuheben<strong>den</strong><br />

Etablierung und Weiterentwicklung des Emissionshandels<br />

noch weit von einer kohärenten Klimapolitik entfernt (Böhringer<br />

2010:66). Dies ist vorwiegend dem Umstand geschuldet, dass in<br />

<strong>den</strong> Emissionshandel bislang nur der Stromerzeugungssektor und<br />

die energieintensiven Produktionsbetriebe einbezogen sind, welche<br />

zusammen <strong>für</strong> etwa 40 % der EU-weiten CO 2 -Emissionen verantwortlich<br />

sind. Andere Bereiche wie der Verkehrssektor oder die Sektoren<br />

der privaten Haushalte oder der Gewerbe-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen<br />

sind hingegen nicht in <strong>den</strong> Emissionshandel<br />

integriert. Anstatt <strong>den</strong> Emissionshandel auf andere Bereiche auszuweiten,<br />

besteht in der Europäischen Union die Ten<strong>den</strong>z, je<strong>den</strong> Sektor<br />

spezifisch zu regulieren, um so das EU-weite Minderungsziel zu<br />

erreichen. Dies hat erhebliche Effizienzverluste zur Folge (Böhringer<br />

et al. 2005).<br />

Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU


So ist im Bereich des privaten Pkw-Verkehrs künftig ein spezifischer<br />

Emissionsstandard das von der Kommission präferierte Regulierungsinstrument<br />

(Frondel, Schmidt 2008:330). Mit der EU-Verordnung<br />

443/2009 ist ab 2012 <strong>für</strong> Neuwagen ein zulässiges Höchstmaß an<br />

spezifischen CO 2 -Emissionen je Kilometer vorgeschrieben, das mit der<br />

Masse des Fahrzeugs ansteigen darf (Frondel, Schmidt 2009:179). Mit<br />

dieser Art der Regulierung sind CO 2 -Vermeidungskosten verbun<strong>den</strong>,<br />

die zwischen 475 und 950 Euro je Tonne CO 2 liegen können (Frondel,<br />

Schmidt, Vance 2010), während der CO 2 -Zertifikat-Preis im Rahmen<br />

des Emissionshandels bislang noch nicht über 30 Euro je Tonne hinausging.<br />

Die hohen Vermeidungskosten, die mit dieser Regulierung<br />

verbun<strong>den</strong> sein können, gehen bei einer zwar weitgehend unbekannten,<br />

aber definitiv endlichen Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung<br />

<strong>für</strong> Klima- bzw. Umweltschutz unmittelbar zu Lasten anderer, kostengünstigerer<br />

Treibhausgasvermeidungsmaßnahmen.<br />

Der Existenz des Emissionshandels zum Trotz gibt es zusätzlich<br />

dazu eine Vielzahl von Maßnahmen und Politikinstrumente, zu deren<br />

Rechtfertigung die Kommission die Verringerung des Treibhausgasausstoßes<br />

zumindest als eines von mehreren Motiven angibt. An<br />

erster Stelle sind dabei Richtlinien zur Steigerung der Energieeffizienz<br />

sowie zum Ausbau des Einsatzes von erneuerbaren Energietechnologien<br />

zu nennen. Damit sollen die im Energie- und <strong>Klimaschutz</strong>paket<br />

genannten 20-20-20-Ziele erreicht wer<strong>den</strong>. Dabei stellt die Minderung<br />

der Treibhausgasemissionen um 20 % gegenüber 1990 eines der<br />

Ziele <strong>für</strong> das Jahr 2020 dar, während die Ausweitung des Beitrags der<br />

erneuerbaren Energietechnologien zur Deckung des Primärenergieverbrauchs<br />

in der EU auf 20 % bis 2020 sowie die Steigerung der Energieeffizienz<br />

um 20 % gegenüber dem Weiter-wie-Bisher die übrigen<br />

Zielmarken sind.<br />

Zu dem Bündel an Regulierungen zur Erreichung dieser Ziele zählt<br />

nicht zuletzt auch das am 1. September 2009 erlassene sukzessive Verbot<br />

des Verkaufs herkömmlicher Glühbirnen, das bis spätestens 31. Au-<br />

125<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


126<br />

gust 2012 <strong>den</strong> Verkauf sämtlicher Arten von Glühbirnen in der EU verbietet<br />

(EU-Verordnung 244/2009) und daher unter dem Begriff „Glühbirnenverbot“<br />

firmiert. Dieses Verbot wird von der Kommission vor<br />

allem mit zwei Argumenten gerechtfertigt (Frondel, Lohmann 2010).<br />

Erstens wür<strong>den</strong> energieeffiziente Energiesparlampen <strong>den</strong> privaten<br />

Haushalten und übrigen Stromverbrauchern helfen, Strom und damit<br />

Kosten zu sparen, sodass deren Stromrechnungen signifikant sinken.<br />

Frondel, Lohmann (2010) halten dem entgegen, dass die Verwendung<br />

von Energiesparlampen zwar bei häufiger Nutzung große Kostenvorteile<br />

aufweist. Bei sehr geringen Nutzungszeiten, wie dies etwa bei der<br />

Keller- und Dachbo<strong>den</strong>beleuchtung der Fall ist, erlei<strong>den</strong> die Verbraucher<br />

durch dieses Verbot aber wirtschaftlichen Scha<strong>den</strong>. Allein aus<br />

diesem Grund ist das generelle Glühbirnenverbot der EU-Kommission<br />

unangebracht und sollte wieder zurückgenommen wer<strong>den</strong>.<br />

Mit <strong>den</strong> Einsparungen an Strom infolge des Glühbirnenverbots<br />

kann nach Auffassung der Kommission zweitens der Ausstoß an Treibhausgasen<br />

verringert wer<strong>den</strong>, der mit der konventionellen Erzeugung<br />

von Strom auf Basis fossiler Brennstoffe wie Kohle oder Gas verbun<strong>den</strong><br />

ist. Tatsächlich aber ist der Nettoeffekt dieses Verbotes bei einer<br />

Koexistenz mit dem 2005 etablierten Emissionshandel gleich Null,<br />

ebenso wie bei allen anderen Maßnahmen, die auf eine Absenkung<br />

des Stromverbrauchs und des damit verbun<strong>den</strong>en CO 2 -Ausstoßes<br />

abzielen: Da der Emissionshandel eine bin<strong>den</strong>de Obergrenze <strong>für</strong> die<br />

CO 2 -Emissionen vorgibt, können mit Maßnahmen wie etwa dem Erneuerbare-Energien-Gesetz<br />

(EEG) zur Förderung alternativer Stromerzeugungstechnologien<br />

in Deutschland keinerlei weitere Einsparungen<br />

erzielt wer<strong>den</strong> (Frondel, Ritter, Schmidt 2008:4201).<br />

Die via EEG geförderte Stromerzeugung sorgt zwar <strong>für</strong> geringere<br />

Emissionen im deutschen Stromsektor, weshalb die Zertifikatpreise<br />

niedriger ausfallen als ohne EEG. Dadurch wer<strong>den</strong> jedoch Vermeidungsmaßnahmen<br />

in anderen am Emissionshandel beteiligten Sektoren<br />

nicht ergriffen, weil es kostengünstiger ist, stattdessen Zertifikate<br />

Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU


zu kaufen. Andere Stromerzeugungssektoren in der EU sowie die Industriesektoren,<br />

die in <strong>den</strong> Emissionshandel eingebun<strong>den</strong> sind, weisen<br />

folglich höhere Emissionen auf und gleichen so die Emissionseinsparungen,<br />

die im deutschen Stromerzeugungssektor durch das EEG<br />

ausgelöst wer<strong>den</strong>, gänzlich aus.<br />

Im Ergebnis ergibt sich lediglich eine Emissionsverlagerung,<br />

der durch das EEG bewirkte CO 2 -Einspareffekt ist aber de facto Null<br />

(BMWA 2004:8, Morthorst 2003). So kann es sich bei einem starken<br />

Ausbau der erneuerbaren Energien in der EU und <strong>den</strong> damit verbun<strong>den</strong>en<br />

signifikanten <strong>den</strong> CO 2 -Preis senken<strong>den</strong> Wirkungen gerade <strong>für</strong><br />

die Betreiber alter Kohlekraftwerke eher lohnen, ihre wenig effizienten,<br />

emis sionsintensiven Anlagen weiterzubetreiben, als <strong>den</strong> Anteil der Erneuerbaren<br />

weiter zu steigern. Durch die Regulierungsüberlagerung<br />

kommt es somit sogar zu paradoxen Folgen (Böhringer 2010:69).<br />

Letztlich wer<strong>den</strong> vergleichsweise kostengünstige Maßnahmen<br />

nicht ergriffen, die in der kontrafaktischen Situation ohne ein deutsches<br />

EEG und mit <strong>den</strong> in <strong>den</strong> übrigen EU-Staaten existieren<strong>den</strong> Instrumenten<br />

zur Förderung erneuerbarer Energietechnologien umgesetzt<br />

wor<strong>den</strong> wären. Stattdessen wird gerade mit der Solarstromproduktion<br />

die teuerste aller derzeit in der Diskussion befindlichen<br />

Technologien zur Vermeidung von CO 2 -Emissionen umgesetzt (Abbildung<br />

6). So taxieren Frondel, Ritter, Schmidt, Vance (2010a:119) die<br />

mit der Förderung der Photovoltaik in Deutschland einhergehen<strong>den</strong><br />

Vermeidungskosten auf mehr als 600 Euro je Tonne CO 2 . Die Internationale<br />

Energieagentur geht sogar von einem höheren Wert von rund<br />

1.000 Euro je Tonne aus (IEA 2007:74).<br />

127<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


Emissionsvermeidungskosten verschie<strong>den</strong>er<br />

technologischer Maßnahmen<br />

Abbildung 6<br />

128<br />

Euro pro Tonne CO2<br />

700<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

0<br />

–100<br />

–200<br />

611<br />

585<br />

540<br />

415<br />

420<br />

326<br />

254<br />

215<br />

190<br />

75 91<br />

34<br />

102<br />

7<br />

29 37 52<br />

–5<br />

–21<br />

Kernenergie (EPR)<br />

Erdgas-GuD-Kraftwerk<br />

Solarthermie<br />

Windkraftwerk<br />

Effiziente Diesel-Pkw<br />

–113<br />

Wärmedämmung EFH<br />

Effiziente Benzin-Pkw<br />

Geothermie<br />

Biokraftstoffe<br />

Photovoltaik<br />

Quelle: Fahl (2006)<br />

Als Folge davon summieren sich die realen Nettokosten <strong>für</strong> alle<br />

zwischen 2000 und 2009 in Deutschland installierten Photovoltaikmodule<br />

auf rund 52,3 Mrd. Euro (Frondel, Ritter, Schmidt, Vance<br />

2010b:4051). Dies konterkariert das Prinzip des Emissionshandels, <strong>den</strong><br />

Treibhausgasausstoß dort zu verringern, wo es am kostengünstigsten<br />

ist, bzw. die Treibhausgase mit <strong>den</strong> kosteneffizientesten Technologien<br />

zu reduzieren.<br />

Diese theoretische Argumentation wird durch die numerische<br />

Analyse von Traber und Kemfert (2009) <strong>für</strong> Deutschland untermauert.<br />

Danach ändert sich der CO 2 -Ausstoß auf europäischer Ebene<br />

Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU


kaum, obwohl die Emissionen im deutschen Stromerzeugungssektor<br />

durch das EEG um 11 % reduziert wer<strong>den</strong>. Der Grund da<strong>für</strong> ist, dass die<br />

Stromerzeugung auf Basis erneuerbarer Technologien in Deutschland<br />

die Dringlichkeit der Emissionsreduktion in <strong>den</strong> übrigen EU-Ländern<br />

verringert, indem die EU-weit gelten<strong>den</strong> Preise <strong>für</strong> CO 2 -Zertifikate gegenüber<br />

einer Situation ohne ein deutsches EEG um 15 % niedriger ausfallen<br />

(Traber, Kemfert 2009:169).<br />

Nun wird häufig argumentiert, man könne die ökologische Unwirksamkeit<br />

des EEG bzw. des EU-weiten Ausbaus der Erneuerbaren<br />

dadurch beheben, dass das Emissionsbudget beim Emissionshandel<br />

um die zu erwarten<strong>den</strong> CO 2 -Minderungsbeiträge infolge des Ausbaus<br />

der regenerativen Stromerzeugung reduziert wird (Diekmann, Kemfert<br />

2005; Kemfert, Diekmann 2009). So sei in der EU-weit gelten<strong>den</strong><br />

Emissionsobergrenze <strong>für</strong> 2020 der CO 2 -senkende Einfluss des Zubaus<br />

regenerativer Stromerzeugungstechnologien berücksichtigt wor<strong>den</strong><br />

(COM 2008) und der Ausbau erneuerbarer Energien hätte daher sehr<br />

wohl eine CO 2 -senkende Wirkung. Diese Argumentation ist unzutreffend,<br />

da es allein das Instrument des Emissionshandels ist, das die Einhaltung<br />

der Emissionsobergrenze (Cap) garantiert. Diese Obergrenze<br />

würde auch dann eingehalten, wenn auf <strong>den</strong> weiteren Ausbau der erneuerbaren<br />

Energien in sämtlichen EU-Ländern verzichtet würde − zugegeben<br />

eine wenig wahrscheinliche Entwicklung.<br />

Dennoch verdeutlicht diese Überlegung, dass es allein das Instrument<br />

des Emissionshandels ist, das eine Senkung der Treibhausgasemissionen<br />

bewirkt (Häder 2010:14). Dieser kaum bestreitbaren<br />

Tatsache wird häufig entgegengehalten, dass es gerade die Förderung<br />

der erneuerbaren Energien ist, die weit niedrigere zukünftige Obergrenzen<br />

im EU-Emissionshandel erlauben würde als andernfalls.<br />

Dieses Argument ist wenig stichhaltig, da die EU-Länder sich mit<br />

weitaus weniger Subventionen, als die Förderung der erneuerbaren<br />

Energien verschlingt, in die Lage versetzen könnten, niedrige künftige<br />

Emissionsobergrenzen einzuhalten.<br />

129<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


130<br />

Der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke in Deutschland, die nach<br />

geltendem Gesetz bereits nach 32 Jahren Laufzeit abgeschaltet wer<strong>den</strong><br />

sollen, obwohl die technische Lebensdauer bei 60 Jahren und mehr<br />

liegt, wäre nur eines von vielen Beispielen, wie man auf kostengünstige<br />

Weise strengere Emissionsgrenzen anstreben könnte. In diesem<br />

Beispiel wären die volkswirtschaftlichen Kosten sogar negativ: Die<br />

Wohlfahrt in der EU und vor allem in Deutschland würde zweifellos<br />

gesteigert (Energieprognose 2009). Konträr dazu erweisen sich zusätzliche<br />

Politiken zur Förderung erneuerbarer Energien als besonders teuer:<br />

Böhringer et al. (2009a) wiesen darauf hin, dass sich die Kosten <strong>für</strong><br />

die Treibhausgasminderung in der Europäischen Union durch solche<br />

Politikmaßnahmen sogar verdoppeln können.<br />

Ein weiteres Beispiel <strong>für</strong> ein ebenfalls <strong>den</strong> Emissionshandel berührendes<br />

Instrument sind Stromsteuern. Eine solche wurde in<br />

Deutschland unter dem Begriff Ökosteuer im Jahr 1999 eingeführt.<br />

Unternehmen, die sowohl Stromsteuern bezahlen als auch dem<br />

Emissionshandel unterliegen, vermei<strong>den</strong> ineffizient viel (Böhringer<br />

2010:68). Dadurch subventionieren sie indirekt die Unternehmen solcher<br />

EU-Länder, die ebenfalls in <strong>den</strong> Emissionshandel eingebun<strong>den</strong><br />

sind, aber nicht einer Stromsteuer unterworfen sind. Auch hier gilt:<br />

Da die Gesamtemissionen im EU-Emissionshandel gedeckelt sind,<br />

haben zusätzliche Strom- oder CO 2 -Steuern keinen CO 2 -senken<strong>den</strong><br />

Effekt (Böhringer 2010:68). 18<br />

Dies gilt ebenso <strong>für</strong> alle weiteren Instrumente, die auf eine Senkung<br />

des Stromverbrauchs in <strong>den</strong> EU-Ländern abzielen. Dazu gehören<br />

in Deutschland etwa das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz,<br />

das <strong>den</strong> Kauf energieeffizienter Stromgeräte stärkt, die Förderung der<br />

18 Dementsprechend sind die Vermeidungskosten je eingesparter Tonne CO2 im Prinzip unendlich<br />

hoch, da ungeachtet der Höhe der Kosten, die durch die einzelnen Maßnahmen <strong>den</strong> Verbrauchern<br />

auferlegt wird, der CO2-Einspareffekt Null ist und bei der Berechnung der spezifischen<br />

Vermeidungskosten je Tonne CO2 durch Null dividiert wer<strong>den</strong> müsste.<br />

Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU


Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) via KWK-Gesetz oder das Energiebetriebene-Produkte-Gesetz,<br />

das ineffiziente Geräte vom Markt ausschließt.<br />

Infolge der gleichzeitigen Existenz des Emissionshandels sind diese<br />

Gesetze ebenso nutzlos im Hinblick auf Treibhausgaseinsparungen<br />

(Häder 2010:17) wie der in Italien und Großbritannien etablierte Handel<br />

mit sogenannten weißen Zertifikaten, mit dem Stromeinsparungen<br />

erreicht wer<strong>den</strong> sollen.<br />

Aber selbst wenn es keinen CO 2 -Emissionshandel gäbe, wären Weiße-Zertifikate-Systeme<br />

nicht das Instrument 1. Wahl: Jede Politik, die<br />

pauschal an der Nachfrage nach Energie ansetzt, um Umweltexternalitäten<br />

zu verringern, ohne dabei <strong>den</strong> mit dem jeweiligen Energieträger<br />

verbun<strong>den</strong>en spezifischen Umwelteffekten Rechnung zu tragen, ist<br />

ineffizient (Mennel, Sturm 2009:27).<br />

Tatsächlich sind solche auf <strong>den</strong> Emissionshandel aufgesattelten Instrumente<br />

wie auch technologie-spezifische Förderungen, allen voran<br />

die Subventionierung der Erneuerbaren, nicht nur ineffektiv bzw. ökologisch<br />

überflüssig. Sie sind aus ökonomischer Sicht sogar kontraproduktiv,<br />

da <strong>Klimaschutz</strong> damit unnötig teuer wird (Häder 2010:15). Die<br />

Förderung alternativer Technologien zur Produktion „grünen“ Stroms,<br />

welche in Europa mit vielen Milliar<strong>den</strong> Euro im Jahr unterstützt wird −<br />

allein in Deutschland betrugen die Einspeisevergütungen <strong>für</strong> „grünen“<br />

Strom im Jahr 2009 rund 10 Mrd. Euro (Schiffer 2010:83) –, muss sich<br />

daher aus anderen Grün<strong>den</strong> rechtfertigen.<br />

Bedauerlicherweise darf man wegen der massiven finanziellen<br />

Belastungen durch die Erneuerbaren-Politik der Kommission keine<br />

positive Auswirkungen auf Beschäftigung erwarten (Frondel, Ritter,<br />

Schmidt, Vance 2010b:4055). So gehen mit <strong>den</strong> höheren Strompreisen<br />

infolge der Förderung der erneuerbaren Energien, etwa durch das<br />

deutsche Erneuerbaren-Energie-Gesetz (EEG), Kaufkraftverluste von<br />

privaten Haushalten einher. Zusammen mit dem Entzug von Investitionskapital<br />

bei <strong>den</strong> industriellen Stromverbrauchern bewirkt dies<br />

negative Arbeitsplatzeffekte in anderen Sektoren. Indem die Budgets<br />

131<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


132<br />

der industriellen Verbraucher durch höhere Strompreise geschmälert<br />

wer<strong>den</strong>, stehen vor allem weniger Mittel <strong>für</strong> alternative und profitablere<br />

Investitionen zur Verfügung. Daher ist zu bezweifeln, ob die Arbeitsplatzeffekte<br />

des deutschen EEG im Saldo tatsächlich positiv ausfallen<br />

können (Frondel, Ritter, Schmidt, Vance 2010a:123).<br />

Demnach ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich in der Vergangenheit<br />

zahlreiche Studien skeptisch in Bezug auf positive Nettobeschäftigungseffekte<br />

der Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland<br />

äußerten. So konstatiert das Institut <strong>für</strong> Wirtschaftsforschung in<br />

Halle, dass bei Berücksichtigung der Investitionskosten bzw. der Verdrängung<br />

der privaten Verwendung der Investitionsmittel „praktisch<br />

keine Beschäftigungseffekte mehr festgestellt wer<strong>den</strong> könnten“ (IWH<br />

2004:72). Ähnlich äußerten sich Fahl, Küster und Ellersdorfer (2005),<br />

Pfaffenberger (2006) und das RWI (2004) bzw. Hillebrand et al. (2006).<br />

In jedem Falle sind die durch die Förderung erneuerbarer Energien<br />

geschaffenen Bruttoarbeitsplätze teuer erkauft. So erforderte die<br />

Schaffung von 50.000 „grünen Jobs“ in Spanien Ausgaben von 28,7<br />

Mrd. Euro (Álvarez et al. 2009:24). Pro Arbeitsplatz sind das 574.000<br />

Euro. Ähnlich hohe Subventionen wer<strong>den</strong> in Deutschland <strong>für</strong> je<strong>den</strong> Arbeitsplatz<br />

in der Photovoltaikbranche bezahlt. Auf Basis der Nettokosten<br />

von rund 17,4 Mrd. Euro <strong>für</strong> alle im Jahr 2009 installierten Anlagen<br />

(Frondel, Ritter, Schmidt, Vance 2010b:4051) lägen die Subventionen<br />

pro Kopf bei rund 290.000 Euro, wenn man von 60.000 Beschäftigten<br />

im deutschen Photovoltaiksektor ausgeht (BSW 2009).<br />

Diese Ergebnisse sind nicht weiter überraschend, schließlich ist<br />

der komparative Vorteil der Politik nicht unbedingt in der unmittelbaren<br />

Schaffung von Arbeitsplätzen zu vermuten. So würde man<br />

eher dem Markt, welcher die wettbewerbsfähigen konventionellen<br />

Stromerzeugungstechnologien begünstigen würde, als der Politik,<br />

die sich als Förderer ineffizienter „grüner“ Technologien betätigt, zutrauen,<br />

<strong>für</strong> insgesamt mehr Beschäftigung und somit eine größere<br />

Wohlfahrt zu sorgen.<br />

Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU


Tatsächlich sollte der Handlungsschwerpunkt der Politik nicht in<br />

der Schaffung von Arbeitsplätzen liegen, sondern in der Gestaltung<br />

günstiger Rahmenbedingungen, welche die möglichst kostengünstige<br />

Produktion von Gütern und Dienstleistungen erlauben. Zu diesen Rahmenbedingungen<br />

gehört die allgemeine Förderung der Erforschung<br />

und Entwicklung neuer Produktionsmetho<strong>den</strong>, bei <strong>den</strong>en weniger<br />

Ressourcen an Energie, Umwelt, Kapital oder auch an Arbeit eingesetzt<br />

wer<strong>den</strong>, um <strong>den</strong>selben Output zu erzeugen wie mit <strong>den</strong> bestehen<strong>den</strong><br />

Technologien. Indem die frei wer<strong>den</strong><strong>den</strong> Ressourcen <strong>für</strong> andere Zwecke<br />

verwendet wer<strong>den</strong> können, kann so der Lebensstandard der Bevölkerung<br />

gesteigert wer<strong>den</strong>. Die von der Kommission mit der Steigerung<br />

des Anteils der Erneuerbaren am Energiemix beabsichtigte Technologieförderung<br />

ist in dieser Hinsicht allerdings wenig erfolgreich, wie in<br />

Abschnitt 7 dargestellt wird.<br />

133<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


5.<br />

Schlechte Chancen<br />

<strong>für</strong> ein globales<br />

Klimaabkommen zur<br />

Treibhausgasminderung<br />

135<br />

Nationale Klimapolitiken zur Senkung von Treibhausgasen sehen sich<br />

einem fundamentalen Dilemma ausgesetzt 19 : Die Bürger eines einzelnen<br />

Landes, welche von dessen Regierung die vollen Kosten einer einseitigen<br />

Minderungspolitik aufgebürdet bekommen, profitieren nur<br />

zu einem geringen Teil von dieser Klimapolitik, falls <strong>den</strong>n diese Minderung<br />

der Treibhausgase überhaupt die globale Erwärmung signifikant<br />

beeinflussen kann. Der weit überwiegende Nutzen einer solchen<br />

Politik fällt im Ausland an (Beirat BMF 2010:8).<br />

Aus diesem Grund haben einzelne Länder in der Regel nur geringe<br />

Anreize 20 , erhebliche Kosten <strong>für</strong> Treibhausgasminderungen aufzuwen<strong>den</strong>,<br />

da diese wegen der weltweiten Auswirkungen des Ausstoßes von<br />

Treibhausgasen allen zu Gute kommen, aber im weltweiten Maßstab<br />

19 Das Dilemma wurde von Hardin (1968) als Tragedy of Commons bezeichnet. Damit gemeint ist<br />

die Tragik der Allmende- bzw. öffentlichen Güter, die allen zur Verfügung stehen, dadurch keinen<br />

Preis haben und daher unter Übernutzung lei<strong>den</strong>.<br />

20 Nur wenige Länder beteiligen sich freiwillig an der Vermeidung von Emissionen (Beirat BMF<br />

2010:11). Dass ein Land zu dieser Gruppe gehört, ist umso wahrscheinlicher, je größer und<br />

bevölkerungsreicher das Land ist, je wohlhabender das Land ist, je niedriger die Kosten der<br />

Emissionsvermeidung <strong>für</strong> dieses Land sind, je dramatischer die Veränderung des Klimas<br />

<strong>für</strong> das Land negativ zu Buche schlägt und je bedeutender und politisch einflussreicher die<br />

Ökologiebewegung in einem Land ist.<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


136<br />

wenig bewirken (Abschnitt 2). Im Gegenteil: Ein einzelnes Land hat<br />

vielmehr <strong>den</strong> Anreiz, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten (Weimann<br />

1994:73) und nichts zu tun, um ohne eigenen Kostenaufwand von <strong>den</strong><br />

Anstrengungen der anderen Länder zu profitieren.<br />

Die zentrale Herausforderung ist daher, einen Weg zu fin<strong>den</strong>, mit<br />

dem es gelingen kann, Staaten vom Trittbrettfahrerverhalten abzubringen<br />

und die Chancen <strong>für</strong> das Zustandekommen eines Klimaabkommens<br />

auf globaler Ebene, mit dem sich nahezu alle Staaten oder zumindest<br />

sämtliche bedeuten<strong>den</strong> Emittenten, Treibhausgasrestriktionen<br />

auferlegen, zu erhöhen. Aufgrund des Fehlens einer Weltregierung, die<br />

ein Trittbrettfahrerverhalten wirksam sanktionieren könnte (Weimann<br />

1994:73), welche es aber mit Sicherheit niemals geben wird, besteht internationale<br />

Klimapolitik allerdings allein aus freiwilligem Engagement.<br />

Dabei stellt sich die Frage, welche Rolle Kooperationen einzelner Länder<br />

spielen können, um die Teilnahmebereitschaft der übrigen Länder an<br />

einem globalen Klimaabkommen zu beeinflussen.<br />

Kooperationen einer Teilgruppe von Ländern, etwa der 27 EU-Mitgliedstaaten,<br />

können <strong>für</strong> die einzelnen Teilnehmerstaaten durchaus<br />

attraktiv und ökonomisch rational sein, wie an dem folgen<strong>den</strong> Beispiel<br />

erläutert wer<strong>den</strong> soll. Nehmen wir vereinfachend an, dass sich die 27 EU-<br />

Staaten dazu verpflichten, jeweils dieselbe Emissionsmenge zu vermei<strong>den</strong>.<br />

Diese Verpflichtung lohnt sich <strong>für</strong> ein einzelnes EU-Mitglied genau<br />

dann, wenn seine Emissionsminderungskosten geringer sind als der Nutzen,<br />

<strong>den</strong> die 27-mal so hohe Emissionsminderung, zu der sich die Partnerländer<br />

via Vertrag verpflichtet haben, stiftet. 21 Man würde meinen,<br />

dass die Teilnahme eines Landes an einem solchen Kooperationsvertrag<br />

21 Die vereinfachende Annahme, dass alle Länder sich zur selben Minderungsmenge verpflichten,<br />

ist irrelevant. Tatsächlich spielt es <strong>für</strong> das Kosten-Nutzen-Kalkül eines Landes, das sich zu einer<br />

bestimmten Emissionsminderung verpflichtet, offenkundig keine Rolle, wie die Verteilung<br />

der Minderungsverpflichtungen auf die übrigen Länder ausfällt, solange die gesamte<br />

Minderungsmenge dieselbe bleibt.<br />

Schlechte Chancen <strong>für</strong> ein globales Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung


umso attraktiver ist, je mehr Kooperationspartner sich zu Minderungsanstrengungen<br />

verpflichten, da die eigenen Anstrengungen mit dem entsprechen<strong>den</strong><br />

Vielfachen an Emissionsminderung belohnt wer<strong>den</strong>.<br />

Auf <strong>den</strong> ersten Blick würde man folglich erwarten, dass eine solche<br />

Kooperation einer Teilgruppe von Ländern die Chancen <strong>für</strong> das Zustandekommen<br />

eines globalen Abkommens erhöht, da man sich von dieser<br />

Kooperation eine förderliche Signalwirkung erhoffen könnte und die mit<br />

der Kooperation übernommene Vorreiterrolle sich positiv auf die Erweiterung<br />

des Teilabkommens zu einem globalen Abkommen auswirkt.<br />

Die Antwort der umweltökonomischen Literatur auf die Frage nach<br />

der Bedeutung von Teilkooperationen <strong>für</strong> die Chancen eines weltweiten<br />

Klimaabkommens ist jedoch höchst ernüchternd: Aus genau <strong>den</strong>selben<br />

Grün<strong>den</strong>, die in Abschnitt 3 dargestellt wur<strong>den</strong> und die dazu<br />

führen, dass das übermäßige Engagement eines einzelnen Landes oder<br />

einer Staatengruppe wie der Europäischen Union die Bereitschaft der<br />

übrigen Länder zur Emissionsminderung verringert, kann die Kooperationsbereitschaft<br />

der übrigen Länder durch eine Kooperation einer<br />

Teilgruppe von Staaten reduziert und so das Zustandekommen eines<br />

weltweiten Klimaabkommens sogar erschwert wer<strong>den</strong> (Beirat BMF<br />

2010:16), anstatt die Chancen auf ein solches zu verbessern.<br />

Denn: Je mehr ein Land oder eine Staatengruppe bereit ist zu tun<br />

und dies in einem Kooperationsvertrag zu manifestieren, desto attraktiver<br />

wird es <strong>für</strong> die übrigen Länder, selbst weniger zu vermei<strong>den</strong> und<br />

einem zu erheblichen Anstrengungen verpflichten<strong>den</strong> Abkommen<br />

fernzubleiben, da der Grenznutzen der eigenen Anstrengungen mit<br />

<strong>den</strong> Bemühungen der Vorreiterländer sinkt 22 .<br />

137<br />

22 In der ökonomischen Literatur überwiegt das rationale Kosten-Nutzen-Kalkül als Basis <strong>für</strong><br />

individuelle Entscheidungen. In anderen Sozialwissenschaften wie auch in Teilbereichen der<br />

Ökonomik wer<strong>den</strong> dagegen häufig Entscheidungen mit unvollständiger Information oder<br />

beschränkter Rationalität betrachtet. >><br />

|Fortsetzung der Fußnote am nächsten Seitenende|<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


138<br />

Das Abkommen einer Teilgruppe von Staaten, wie etwa die Selbstverpflichtung<br />

der EU-Staaten auf eine 20-%-Reduktion der Treibhausgase<br />

gegenüber 1990, kann somit die Dynamik zukünftiger Verhandlungen<br />

über ein weltweites Klimaabkommen negativ beeinflussen<br />

(Beirat BMF 2010:17): „Das Vorwegmaschieren einer Teilgruppe von<br />

Ländern und die Einigung auf hohe Emissionsminderungsziele markieren<br />

in der Politik vielleicht einen herausragen<strong>den</strong> moralischen<br />

Sieg. Wenn es darum geht, das Weltklima im Rahmen eines globalen<br />

Umweltabkommens zu retten, ist diese Form des moralischen Handelns<br />

jedoch eher verfehlt. Sie kann eine effiziente Lösung, die ohne<br />

ein Vorwegmarschieren im Bereich des Möglichen gewesen wäre, sogar<br />

verhindern.“<br />

Die Zusammenarbeit einer Teilgruppe von Ländern ist jedoch<br />

nicht nur wenig hilfreich <strong>für</strong> das Zustandekommen eines globalen Klimaabkommens.<br />

Nach der umweltökonomischen Literatur birgt dies<br />

sogar das Risiko einer erheblichen Umverteilung der Kosten zulasten<br />

der Länder, die sich zur Kooperation bereit erklärt haben (Buchholz,<br />

Haslbeck, Sandler 1998, Konrad 2003). Die Kommission sollte daher<br />

diese Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen be<strong>den</strong>ken, wenn<br />

es um die Frage geht, ob die Klimapolitik in <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> der einzelnen<br />

EU-Länder bleiben oder zentral von Brüssel aus koordiniert wer<strong>den</strong><br />

sollte. Während selbst eine koordinierte EU-Klimapolitik nur einen<br />

kleinen Beitrag zur globalen Emissionsminderung leisten kann (Abschnitt<br />

2), wer<strong>den</strong> die Chancen <strong>für</strong> eine weltweit koordinierte Klimapolitik<br />

verringert, aber die Lasten <strong>für</strong> die Emissionsminderung eher <strong>den</strong><br />

>> Abweichungen in dieser Richtung per se lassen allerdings die Ineffizienz noch nicht verschwin<strong>den</strong>.<br />

Wenn beispielsweise die Länder ihre Vermeidungsanstrengungen in einem evolutionären<br />

Prozess – statt über vollständig rationale Wohlfahrtsmaximierung – bestimmen, bleiben<br />

Vorleistungen einzelner Länder ebenfalls wirkungslos. Länder imitieren in einem evolutionären<br />

Prozess erfolgreiche Strategien anderer Länder; und erfolgreicher sind auch hier die Länder, die<br />

nur geringe Vermeidungsanstrengungen leisten. Auch im evolutionären Prozess setzt sich die<br />

ineffizient niedrige Vermeidung durch (Beirat BMF 2010:10).<br />

Schlechte Chancen <strong>für</strong> ein globales Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung


Mitgliedsstaaten aufgebürdet, wohingegen die übrigen OECD-Staaten<br />

ten<strong>den</strong>ziell eher entlastet wer<strong>den</strong> (Beirat BMF 2010:14).<br />

Abgesehen davon, dass die Klimapolitik der Kommission eher kontraproduktiv<br />

wirkt, stehen die Chancen <strong>für</strong> ein globales Klimaabkommen,<br />

das zu einer nennenswerten Verringerung der globalen Emissionen<br />

führt oder zumindest zu einer weitgehen<strong>den</strong> Stagnation, ohnehin<br />

<strong>den</strong>kbar schlecht, falls dieses Abkommen auf die Beschränkung des<br />

Treibhausgasausstoßes der Staaten mit dem umfangreichsten Treibhausgasausstoß<br />

abzielt. So wird sich der weltweit größte Treibhausgasemittent<br />

China mit Sicherheit keinerlei Emissionsbeschränkung<br />

unterwerfen wollen, wenn diese zulasten der wachsen<strong>den</strong> Prosperität<br />

dieses Landes gehen würde.<br />

Zu Recht würde China stattdessen zuerst von <strong>den</strong>jenigen Ländern<br />

ihren substantiellen Tribut verlangen, die in der Vergangenheit vorwiegend<br />

<strong>für</strong> <strong>den</strong> Anstieg der Treibhausgaskonzentration maßgeblich<br />

verantwortlich waren. Mit dem ebenso berechtigten Hinweis auf die<br />

geringe Effektivität verweigert der zweitgrößte Emittent, die USA, bereits<br />

heute einschnei<strong>den</strong>de Vermeidungsmaßnahmen, falls Schwellenländer<br />

wie China oder Indien sich nicht ebenfalls zu Minderungsanstrengungen<br />

verpflichten, die <strong>den</strong> künftigen Anstieg ihrer Emissionen<br />

deutlich dämpfen. Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma, der<br />

nicht unmittelbar bei der Vermeidung von Emissionen ansetzt, präsentiert<br />

der folgende Abschnitt.<br />

139<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


6.<br />

Erfolgsträchtigere<br />

Alternativen<br />

Aussichtsreichere Alternativen zur Auferlegung von Emissionsrestriktionen<br />

bestehen in solchen Strategien und Politiken, bei <strong>den</strong>en die<br />

einzelnen Länder in erster Linie selbst von <strong>den</strong> zu ergreifen<strong>den</strong> Maßnahmen<br />

profitieren und daher ein hohes Eigeninteresse an deren Umsetzung<br />

haben. Dazu gehören Anpassungsmaßnahmen an <strong>den</strong> Klimawandel,<br />

die wie der Bau von Deichen zum Schutz vor einem Anstieg<br />

des Meeresspiegels darauf abzielen, die Folgekosten der globalen Erwärmung<br />

zu reduzieren, und damit unmittelbar der Bevölkerung desjenigen<br />

Landes zugute kommen, das diese Maßnahmen durchführt.<br />

Zusätzlich zu einer solchen Politik, deren Umsetzungsgrad vor allem<br />

im Ermessen des einzelnen Landes liegt, könnten sich Länder in<br />

einem weltweiten Abkommen zu einer sukzessiven Erhöhung ihrer<br />

Ausgaben <strong>für</strong> die Forschung und Entwicklung (F&E) von Energieumwandlungs-<br />

und -speichertechnologien verpflichten. 23 Mit derartigen<br />

F&E-Maßnahmen wer<strong>den</strong> zwar nicht unmittelbar Treibhausgasminderungen<br />

erzielt. Über Zeiträume von einigen Jahrzehnten hinweg<br />

141<br />

23 Weil davon auszugehen ist, dass von <strong>den</strong> Früchten der F&E-Investitionen zum großen<br />

oder gar überwiegen<strong>den</strong> Teil die investieren<strong>den</strong> Länder selbst profitieren, sollte das<br />

Trittbrettfahrerverhalten in Form von nicht investieren<strong>den</strong> Ländern geringer sein als bei<br />

Aktivitäten zur Treibhausgasvermeidung. Allerdings ist zu konzedieren, dass einzelne Länder<br />

deshalb zu wenig in F&E investieren könnten, weil Kosten und Nutzen dieser Investitionen zeitlich<br />

weit auseinander fallen können und der eigene Nutzen der F&E-Investitionen nicht korrekt bzw.<br />

zu niedrig eingeschätzt wird.<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


142<br />

können F&E-Investitionen in revolutionäre Technologien nichtsdestotrotz<br />

zu sehr hohen Treibhausgasminderungserfolgen führen.<br />

Ein Beispiel <strong>für</strong> eine solche Technologie ist die Kernfusion. Diese<br />

stellt eine CO 2 -freie Technologie zur Stromerzeugung dar, der ein großes<br />

Potential attestiert wird, langfristig in großem Umfang zu einer<br />

sauberen, versorgungssicheren und gefahrlosen Stromversorgung<br />

beizutragen (DPG 2010:122). Im Gegensatz zu Kernkraftwerken würde<br />

der Betrieb von Fusionskraftwerken keine radioaktiven Abfälle hinterlassen.<br />

Im Erfolgsfall des praktischen Einsatzes, <strong>den</strong> die Deutsche<br />

Physikalische Gesellschaft bei der derzeitigen vergleichsweise geringen<br />

Forschungsförderung <strong>für</strong> die Mitte dieses Jahrhunderts erwartet<br />

(DPG 2010:122), könnte die europäische Stromerzeugung bis 2100 allein<br />

auf Basis dieser Technologie wohl gänzlich emissionsfrei erfolgen.<br />

In Kombination mit <strong>den</strong> erneuerbaren Energietechnologien sowie mit<br />

der Kernkraft könnte so bereits ab der Mitte dieses Jahrhunderts eine<br />

weitgehende Dekarbonisierung des Stromerzeugungssektors Realität<br />

wer<strong>den</strong>, so wie dies von Deutschland heute bereits angepeilt wird, allerdings<br />

allein auf Basis von erneuerbaren Energietechnologien.<br />

Das Beispiel des experimentellen Reaktors ITER, dessen Bau in Südfrankreich<br />

in weltweiter Zusammenarbeit begonnen wurde, zeigt, dass<br />

ein globales Abkommen über Verpflichtungen der Länder zu wachsen<strong>den</strong><br />

F&E-Anteilen am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt im Bereich des<br />

Möglichen liegt. Mit einem derartigen Abkommen über Quoten zu F&E-<br />

Förderausgaben <strong>für</strong> Energieumwandlungs- und -speichertechnologien<br />

können auf lange Sicht negative externe Umwelteffekte verringert, aber<br />

auch die typischen positiven Spill-Over-Effekte von F&E-Aktivitäten erzielt<br />

wer<strong>den</strong> (Jaffe, Newell, Stavins 2002). Somit haben F&E-Ausgaben<br />

eine doppelte Divi<strong>den</strong>de, eine Umwelt- und eine Technologiedivi<strong>den</strong>de,<br />

die zwar allen Ländern, aber in hohem Maße auch demjenigen Land zugutekommen,<br />

das diese Ausgaben finanziert. Im Erfolgsfall einer weitreichen<strong>den</strong><br />

Diffusion einer Technologie profitieren davon insbesondere<br />

diejenigen Unternehmen, die diese Technologien vertreiben.<br />

Erfolgsträchtigere Alternativen


Darüber hinaus kann ein Land mit einer sukzessiven Steigerung<br />

seiner F&E-Ausgabenanteile ein chronisches Manko beseitigen. So fällt<br />

die von privaten Marktakteuren finanzierte Forschungsleistung ten<strong>den</strong>ziell<br />

zu gering aus (Nelson 1959). Dabei liegt aus volkswirtschaftlicher<br />

Sicht ein Zuwenig an Forschung vor, wenn die Ausgaben geringer<br />

ausfallen als die daraus zu erwarten<strong>den</strong> Erträge. Vor allem an der<br />

Finanzierung von Grundlagenforschung dürften private Akteure ein<br />

sehr geringes Interesse zeigen, da bei dieser die Wahrscheinlichkeit <strong>für</strong><br />

die unmittelbare marktwirtschaftliche Nutzung von Forschungserfolgen<br />

relativ klein ist und die Erfolge in der Regel allen zugutekommen.<br />

In diesem Falle von Marktversagen ist es Aufgabe des Staates, die Forschungs-<br />

und Technologieförderung voranzutreiben.<br />

Die staatliche Forschungs- und Technologieförderung sollte allerdings<br />

ungezielt betrieben wer<strong>den</strong>, da die Politik die zukünftig erfolgreichen<br />

Technologien nicht Jahrzehnte im Voraus i<strong>den</strong>tifizieren kann<br />

(Karl, Wink 2006:275-276). Von Hayek (1978) führt dies vor allem auf<br />

das Informationsdefizit des Staates zurück, der in der Regel nicht über<br />

die notwendigen Informationen verfügt. Demnach sollte der Staat viele<br />

verschie<strong>den</strong>e Technologien gleichermaßen fördern, nicht zuletzt<br />

auch deshalb, weil eine Bevorzugung einer Technologie, etwa aus industriepolitischen<br />

Motiven, zugleich immer auch eine Diskriminierung<br />

anderer technologischer Entwicklungen bedeutet (Kronberger<br />

Kreis 2009:34).<br />

Mit der höchst privilegierten EEG-Förderung der Photovoltaik, die in<br />

Deutschland mit Abermilliar<strong>den</strong> Euro in exorbitantem Ausmaße gefördert<br />

wird, geschieht indessen das Gegenteil: Der Staat maßt sich mit der<br />

drastischen Überförderung der Photovoltaik nicht vorhan<strong>den</strong>es Wissen<br />

an. Die Photovoltaik erhält im Vergleich zum damit erzielten Stromoutput<br />

mit Abstand die meisten Subventionen (Frondel, Ritter, Schmidt,<br />

Vance 2010a:116): Für alle zwischen 2000 und 2010 in Deutschland installierten<br />

Photovoltaikmodule belaufen sich die Nettokosten real auf<br />

rund 81,5 Mrd. Euro (Frondel, Ritter, aus dem Moore, Schmidt 2011)).<br />

143<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


144<br />

Mit ihrer Erneuerbaren-Politik verstößt auch die Kommission gegen<br />

das Prinzip der Technologieoffenheit einer guten F&E-Förderung<br />

in eklatanter Weise. Mittels symbolischer Ziele, deren Zielwerte nicht<br />

das Resultat rationaler Optimierungsüberlegungen sind, sondern offenkundig<br />

mit dem Zieljahr zusammenhängen, wie dies etwa beim<br />

20-%-Anteil der Erneuerbaren <strong>für</strong> das Jahr 2020 der Fall ist, soll der<br />

Ausbau der erneuerbaren Energietechnologien vorangetrieben wer<strong>den</strong>,<br />

obwohl diese Privilegierung der Erneuerbaren bei einer Koexistenz<br />

mit dem Emissionshandel nicht durch die Beseitigung negativer<br />

externer <strong>Klimaschutz</strong>effekte gerechtfertigt wer<strong>den</strong> kann.<br />

Wenn die Kommission mit ihrem Erneuerbaren-Ziel <strong>für</strong> 2020<br />

eine Technologieförderung im Sinn hat, so sollte außerdem die<br />

Wahl des Förderinstruments nicht <strong>den</strong> Mitgliedsländern überlassen<br />

bleiben. Besonders ineffektiv ist diesbezüglich das in Deutschland<br />

verwendete Einspeisevergütungssystem, bei dem die Forschung<br />

und Entwicklung (F&E) lediglich auf indirekte Art gefördert wird. In<br />

Deutschland hat dies in der Praxis nicht zu hohen Forschungsaufwendungen<br />

der durch das EEG begünstigten Unternehmen geführt:<br />

Obwohl sich die EEG-Vergütungen zwischen 2000 und 2009 mehr<br />

als verzehnfacht haben und von etwa 0,9 auf rund 10 Mrd. Euro gestiegen<br />

sind (BDEW 2001, 2009), waren die Ausgaben der Privatwirtschaft<br />

<strong>für</strong> die Energieforschung in Deutschland allgemein rückläufig.<br />

Investierte die Wirtschaft im Jahr 1991 noch etwa 503 Mio. Euro in<br />

die Energieforschung, so waren es im Jahr 2007 nur noch 139 Mio.<br />

Euro (BMWi 2010). Im Vergleich zu <strong>den</strong> Vergütungen <strong>für</strong> erneuerbare<br />

Energien von 7,6 Mrd. Euro im Jahr 2007 sind 139 Mio. Euro ein geringer<br />

Betrag, welcher nicht einmal der Erforschung regenerativer Technologien<br />

allein diente, sondern der Forschungsförderung sämtlicher<br />

Energietechnologien.<br />

Dass die Ausgaben <strong>für</strong> Forschung und Entwicklung im Bereich<br />

erneuerbare Energien sowohl in absoluter Höhe wie auch in Relation<br />

zu <strong>den</strong> erzielten Umsätzen gering ausfallen, wird durch Zahlen zu <strong>den</strong><br />

Erfolgsträchtigere Alternativen


Forschungsausgaben von Photovoltaikunternehmen bestätigt. Die<br />

bei<strong>den</strong> größten deutschen Solarunternehmen, Q-Cells und Solarworld,<br />

gaben im Jahr 2009 mit 26,5 Mio. Euro bzw. 12,0 Mio. Euro lediglich<br />

rund 1,2% bzw. 3,3% ihres Umsatzes <strong>für</strong> Forschung aus (Breyer 2010).<br />

Damit liegen diese noch vergleichsweise jungen Unternehmen weit<br />

hinter <strong>den</strong> F&E-Ausgaben traditioneller Firmen zurück. Siemens etwa<br />

investierte im Jahr 2008 mit 3,8 Mrd. Euro etwa 4,9% des Umsatzes in<br />

Forschung und Entwicklung, während Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich<br />

üblicherweise sehr hohe Forschungsausgaben tätigen. So<br />

investierte Roche 5,6 Mrd. Euro bzw. bis zu 19,4% ihres Umsatzes des<br />

Jahres 2008 in F&E (Booz & Company 2009).<br />

Auch die Deutsche Physikalische Gesellschaft kritisiert in ihrer<br />

Studie vom Juni 2010, dass trotz des massiv über das EEG unterstützten<br />

Marktes die F&E-Intensität der Photovoltaikindustrie in <strong>den</strong> vergangenen<br />

Jahren von 2 % auf unter 1,5 % des Umsatzes gesunken ist,<br />

wohingegen forschungsintensive Unternehmen wie große Pharmaunternehmen<br />

eine Forschungsintensität von 15 – 20 % aufweisen; Firmen<br />

der Computerbranche wie Intel oder Microsoft haben entsprechende<br />

F&E-Quoten von 15,2 % bzw. 13,8%. Zudem konzentrierten sich die geringen<br />

F&E-Aktivitäten der Solarbranche vorwiegend auf fertigungsnahe<br />

Aspekte (DPG 2010:102).<br />

Anstatt zur Technologieförderung, zu der die Finanzierung von<br />

Prototypen genügt (Kronberger Kreis 2009:34), wur<strong>den</strong> die Fördergelder<br />

<strong>für</strong> Erneuerbare folglich in weit überwiegendem Maße zur flächendecken<strong>den</strong><br />

Verbreitung von Anlagen benutzt. Von der so geförderten<br />

Verbreitung von Anlagen profitieren neben <strong>den</strong> heimischen<br />

auch ausländische Unternehmen. So stieg das 2001 gegründete chinesische<br />

Unternehmen Suntech Power vor allem aufgrund der deutschen<br />

Einspeisevergütungen in die Weltspitze der Photovoltaikmodulhersteller<br />

auf, während es in China bislang keine nennenswerte<br />

Förderung gab. Einspeisevergütungssysteme wie das EEG verschaffen<br />

der Konkurrenz offenkundig genau dieselben Chancen auf technolo-<br />

145<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


146<br />

gische Entwicklung und Export wie <strong>den</strong> heimischen Unternehmen.<br />

Wenngleich dies unter Wohlfahrtsgesichtspunkten nicht negativ bewertet<br />

wer<strong>den</strong> muss, entspricht dies nicht unbedingt der Zielsetzung<br />

der Förderung.<br />

Um die Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen zu verbessern,<br />

wäre folglich jeder Staat gut beraten, wenn er direkt auf F&E-Förderung<br />

setzen würde, anstatt auf die gießkannenartige und indirekte<br />

Förderung mittels Einspeisevergütungen, von der ausländische Unternehmen<br />

ebenso profitieren können und die nicht notwendigerweise<br />

zu hohen Forschungsaufwendungen privater Unternehmen führen.<br />

Entschei<strong>den</strong>d <strong>für</strong> die Erlangung tatsächlicher Wettbewerbsvorteile ist,<br />

dass gezielte Anreize geboten wer<strong>den</strong>, die zur Entwicklung besserer<br />

Technologien führen. In dieser Hinsicht versagt ein Einspeisevergütungssystem<br />

nahezu auf ganzer Linie, da es die Anreize <strong>für</strong> Innovationen<br />

weitgehend dadurch erstickt, dass jede Technologie Subventionen<br />

entsprechend ihres Wettbewerbsdefizits erhält. 24<br />

Die Internationale Energieagentur (IEA 2007:74,77) schlägt daher<br />

in ihrem Länderbericht zur Energiepolitik Deutschlands vor, andere<br />

24 Auch mit dem immer wieder angeführten Argument des First-Mover-Vorteils von Ländern,<br />

die im weltweiten Markt frühzeitig Fuß fassen und sich so vermeintlich langfristige Vorteile<br />

verschaffen könnten, ist es nicht weit her. Dass dieses Argument wenig haltbar ist, zeigt<br />

aktuell das Beispiel Deutschlands, das die Photovoltaiktechnologie nun seit einer Dekade<br />

mittels Einspeisevergütungen fördert − seit 2005 in extrem steigendem Maße − und <strong>den</strong>noch<br />

zunehmend mit der Dominanz der asiatischen Hersteller − vor allem aus China − auf dem<br />

Weltmarkt zu kämpfen hat. Obwohl die chinesischen Firmen sich keiner so exorbitanten<br />

nationalen Förderung erfreuen durften wie die deutschen Hersteller, konnten sich diese<br />

keinen entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Vorteil gegenüber <strong>den</strong> asiatischen Herstellern sichern. Im Gegenteil:<br />

Es ist wahrscheinlich, dass die hohen EEG-Vergütungen <strong>für</strong> Solarstrom eine Mitschuld an<br />

<strong>den</strong> Effizienznachteilen deutscher Unternehmen tragen, da die Anreize zu entsprechen<strong>den</strong><br />

Effizienzanstrengungen gefehlt haben. Bei dem Argument des First-Mover-Vorteils sollte zudem<br />

bedacht wer<strong>den</strong>, dass die Förderung der erneuerbaren Energietechnologien immer auch zu Lasten<br />

anderer Sektoren geht, die diese Vorreiterrolle mit zu finanzieren haben. Im Saldo betrachtet<br />

sind negative makroökonomische Effekte sehr wahrscheinlich, da produktive, wettbewerbsfähige<br />

Sektoren zugunsten der ansonsten nicht wettbewerbsfähigen Erneuerbaren-Branche<br />

geschwächt wer<strong>den</strong>. Um ein Bild zu verwen<strong>den</strong>: Es ist wenig wahrscheinlich, dass Deutschland<br />

im ökonomischen Wettlauf um die höchsten Wachstumsraten unter <strong>den</strong> besten Ländern sein<br />

wird, wenn es seine schnellsten Läufer dazu verpflichtet, ihr Tempo zugunsten seiner weniger<br />

konkurrenzfähigen Läufer zu drosseln, um diesen als Wasserträger zu dienen.<br />

Erfolgsträchtigere Alternativen


Instrumente als Einspeisevergütungen zur Förderung der Photovoltaik<br />

zu benutzen, welche vorwiegend die Forschung und Entwicklung<br />

dieser Technologie fördern und nicht deren flächendeckende Verbreitung.<br />

Diesem Ratschlag sollte die Kommission folgen und zu einer<br />

F&E-Förderung sämtlicher Energieumwandlungs- und -speichertechnologien<br />

übergehen, anstatt durch die Vorgabe symbolischer Ziele <strong>für</strong><br />

<strong>den</strong> Anteil der Erneuerbaren am Energiemix allein die Verbreitung<br />

von erneuerbaren Energietechnologienanlagen zu forcieren. Dies<br />

verhilft diesen Technologien nicht zu <strong>den</strong> entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> internationalen<br />

Wettbewerbsvorteilen, wie das Negativbeispiel der deutschen<br />

Photovoltaikförderung zeigt.<br />

Erfolgversprechender sollte ein Weg sein, bei dem die Kommission<br />

<strong>den</strong> Mitgliedsländern zur Energietechnologieförderung F&E-Ausgaben-Quoten<br />

in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) vorgibt.<br />

Damit kann eine sehr viel stärkere Forschungsförderung erfolgen als<br />

mit der Vorgabe von Erneuerbaren-Energien-Anteilen. Der Weg der<br />

sukzessiven Steigerung der F&E-Ausgabenanteile <strong>für</strong> Energietechnologien<br />

dürfte wegen der damit verbun<strong>den</strong>en Spill-Over-Effekte gleichzeitig<br />

auch umso effektiver <strong>für</strong> die langfristige Senkung der globalen<br />

Treibhausgasemissionen sein, je mehr Nachahmung das Beispiel weltweit<br />

findet. Der Weg zu einem globalen Abkommen mit Energieforschungsförderungszielen<br />

dürfte dann nicht mehr weit sein.<br />

147<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


7.<br />

Anpassung an die<br />

globale Erwärmung<br />

Zusätzlich zur Vermeidung von Emissionen gibt es die Möglichkeit,<br />

<strong>den</strong> Folgen der Klimaerwärmung durch Anpassung zu begegnen. Bestehen<br />

die Folgen etwa in einer Zunahme der Häufigkeit und Intensität<br />

von Stürmen, wo<strong>für</strong> es bislang allerdings keinen wissenschaftlichen<br />

Beweis gibt (Bouwer 2010), kann eine Anpassungsreaktion seitens des<br />

Staates in baurechtlichen, städtebaulichen und land- oder forstwirtschaftliche<br />

Maßnahmen bestehen.<br />

Zu <strong>den</strong> Anpassungsprozessen können viele andere Maßnahmen<br />

gehören, wie die Gewinnung neuer Anbauflächen und Siedlungsgebiete<br />

in derzeit noch zu kalten Regionen, falls diese durch die globale<br />

Erwärmung weniger unwirtlich wer<strong>den</strong>, Änderungen in der landwirtschaftlichen<br />

Produktion, die Umsiedelung der Bevölkerung von Inseln,<br />

die durch einen Meeresspiegelanstieg bedroht sind, oder eine Verbesserung<br />

der Malariaprävention.<br />

Emissionsvermeidung und Anpassung sind selbstverständlich<br />

keine Substitute hinsichtlich der Senkung von Emissionen. 25 Wohl aber<br />

149<br />

25 Zwischen der Vermeidungs- und Anpassungsstrategie gibt es einen Zusammenhang, der bisher in<br />

der politischen Debatte wie auch in der ökonomischen Literatur wenig Beachtung gefun<strong>den</strong> hat<br />

(Tol 2005): Setzt ein Land verstärkt auf Anpassungsmaßnahmen und reduziert demzufolge seine<br />

Minderungsanstrengungen, könnte dies in Umkehrung der Argumentation von Abschnitt 3 dazu<br />

führen, dass die übrigen Länder höhere Vermeidungsbemühungen unternehmen und so höhere<br />

Kosten übernehmen. >><br />

|Fortsetzung der Fußnote am nächsten Seitenende|<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


150<br />

sind beide Strategien substitutiv, wenn es darum geht, die Folgekosten<br />

der globalen Erwärmung zu minimieren. Denn man kann die Folgekosten<br />

entweder dadurch verringern, dass man weniger CO 2 emittiert<br />

oder dass man sich auf die mit dem CO 2 -Ausstoß verbun<strong>den</strong>en Folgen<br />

besser einstellt (Beirat BMF 2010:26).<br />

Die Anpassungsstrategie wurde bereits zu Beginn der Klimadebatte<br />

von Autoren wie William Nordhaus (1994) sehr ernsthaft diskutiert.<br />

Wenngleich diese Strategie in der aktuellen Klimadebatte etwas im<br />

Hintergrund steht, hat Deutschland erste wichtige Schritte in Richtung<br />

einer umfassenderen Anpassungsstrategie übernommen (Beirat<br />

BMF 2010:25). So wur<strong>den</strong> in der im Dezember 2008 beschlossenen<br />

„Deutschen Anpassungsstrategie an <strong>den</strong> Klimawandel“ zahlreiche Bereiche<br />

wie die Landwirtschaft oder das Gebiet der Gesundheit i<strong>den</strong>tifiziert,<br />

<strong>für</strong> die Bund und Länder bis 2011 einen detaillierten Aktionsplan<br />

vorlegen sollen.<br />

Der Grund ist, dass je nach Anpassungsmaßnahme diese vernünftigerweise<br />

auf einer von vielen unterschiedlichen Ebenen angesiedelt<br />

sein sollte, entweder auf internationaler, nationaler, Länder-,<br />

kommunaler oder gar individueller Ebene. So könnte es allein Sache<br />

der Hauseigentümer sein, ihr Wohneigentum durch bauliche Maßnahmen<br />

individuell gegen Sturmschä<strong>den</strong> zu wappnen. Alternativ<br />

oder ergänzend könnten entsprechende Versicherungen abgeschlossen<br />

wer<strong>den</strong>. Dieses Beispiel zeigt: Bei vielen Anpassungsmaßnahmen<br />

kann davon ausgegangen wer<strong>den</strong>, dass die individuellen Anpassungsentscheidungen<br />

auch sozial optimal sind und ein Staatseingriff nicht<br />

>> Eine solche Strategie kann in Umkehrung der Argumentation von Abschnitt 5 ferner dazu<br />

führen, dass sich die Chancen <strong>für</strong> das Zustandekommen eines weltweiten Klimaabkommens<br />

verbessern: „Sollte es auf der Seite der weniger entwickelten und armen Länder unrealistisch<br />

hohe oder übertriebene Erwartungen hinsichtlich der tatsächlichen Opferbereitschaft der<br />

Industrieländer geben, kann eine sichtbare und konsequent verfolgte Anpassungsstrategie<br />

seitens der entwickelten Industrienationen diese Erwartungen korrigieren helfen und so zu einer<br />

internationalen Konsensfindung beitragen“ (Beirat BMF 2010:27).<br />

Anpassung an die globale Erwärmung


notwendig ist, da individuelle und kollektive Kosten-Nutzen-Kalküle<br />

übereinstimmen.<br />

„Wer sein Haus gegen vermehrt drohende Sturmschä<strong>den</strong> absichert,<br />

berücksichtigt im Wesentlichen alle relevanten Vor- und Nachteile<br />

einer solchen Anpassungsmaßnahme. Hier muss und soll der<br />

Staat in die individuellen Anpassungsmaßnahmen nicht eingreifen.<br />

Lediglich wenn das individuelle vom kollektiven Kosten-Nutzen-Kalkül<br />

abweicht, ist der Staat in der Pflicht“ (Beirat BMF 2010:28). Dies ist<br />

etwa bei der Erhöhung von Deichen zum Schutz aller Einwohner einer<br />

Region vor <strong>den</strong> Folgen von Stürmen der Fall.<br />

Im Vergleich zu Anstrengungen zur Emissionsminderung haben<br />

Anpassungsmaßnahmen einige Vorteile. Erstens: Derjenige, der die<br />

Kosten der Anpassungsmaßnahme zu tragen hat, wie etwa ein Hausbesitzer,<br />

der die Dachbedeckung sturmtauglicher macht, hat <strong>den</strong> alleinigen<br />

oder zumindest <strong>den</strong> überwiegen<strong>den</strong> Nutzen davon. Im Gegensatz<br />

dazu trägt derjenige, der Minderungsmaßnahmen durchführt, die<br />

vollen Kosten da<strong>für</strong>, profitiert aber, wenn überhaupt, nur geringfügig<br />

davon, während der Hauptnutzen auf alle diejenigen entfällt, die unter<br />

der globalen Erwärmung etwas weniger zu lei<strong>den</strong> haben, falls diese<br />

Maßnahme sich als effektiv erweist.<br />

Es gibt daher ein Übergewicht an potentiellen Nutznießern von<br />

Minderungsmaßnahmen, während nur einige wenige die Kosten da<strong>für</strong><br />

zu tragen haben. Der Anreiz zu Minderungsanstrengungen dürfte<br />

demnach ungleich geringer sein als zur Durchführung von Anpassungsmaßnahmen.<br />

Das fundamentale Dilemma des Trittbrettfahrerverhaltens,<br />

das die Chancen auf eine effektive Verringerung der globalen<br />

Treibhausgase gegen Null gehen lässt, tritt folglich bei einer Strategie,<br />

die auf Anpassungsmaßnahmen setzt, nicht auf.<br />

Zweitens: Bei Minderungsanstrengungen gibt es eine große zeitliche<br />

Divergenz von Kosten und potentiellem Nutzen: Während der<br />

Nutzen dieser Maßnahmen sich erst sehr viel später zeigen wird, möglicherweise<br />

erst in Jahrzehnten, fallen die Kosten da<strong>für</strong> unmittelbar<br />

151<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


152<br />

an, wenn sie heute ergriffen wer<strong>den</strong>. Es ist eine höchst strittige gesellschaftliche<br />

Frage der Diskontierung, wie ein erst Jahrzehnte später anfallender<br />

Nutzen im Vergleich zu dem bereits heute anfallen<strong>den</strong> Kostenaufwand<br />

zu bewerten ist (Nordhaus 2007, Weitzman 2007, Stern<br />

2007). Ökonomisch zweifelsfrei ist lediglich, dass Aufwendungen von<br />

einer Milliarde Euro <strong>für</strong> Treibhausgasreduktionen heute höhere Kosten<br />

darstellen als eine Milliarde Euro <strong>für</strong> Anpassungsmaßnahmen in<br />

20 Jahren.<br />

Bei Anpassungsnahmen ist die zeitliche Diskrepanz zwischen Kosten<br />

und Nutzen in der Regel weit geringer. So wird man Maßnahmen<br />

zur Erhöhung von Deichen erst dann treffen, wenn absehbar ist, dass<br />

bei einem weiteren Meeresspiegelanstieg die bestehende Deichhöhe<br />

eventuell nicht mehr ausreicht. Ein wichtiger Vorteil der Anpassungsstrategie<br />

ist folglich, dass kein jahrzehntelanger Vorlauf benötigt wird,<br />

wie bei der Vermeidungspolitik (Beirat BMF 2010:30). Vielmehr können<br />

Anpassungsmaßnahmen relativ zeitnah und als Reaktion auf sich<br />

in ihrem Umfang vergleichsweise klar abzeichnende Umweltveränderungen<br />

ergriffen wer<strong>den</strong>.<br />

Drittens: Der Umfang der mit der globalen Erwärmung einhergehen<strong>den</strong><br />

Schä<strong>den</strong> ist gegenwärtig noch mit einer sehr hohen Unsicherheit<br />

behaftet. Wegen der potentiell irreversiblen Folgen des CO 2 -<br />

Ausstoßes müsste die Politik im Prinzip möglichst früh reagieren und<br />

Maßnahmen zur Senkung der CO 2 -Emissionen ergreifen. Denn: Lässt<br />

man ein zu hohes Emissionsniveau zu, wobei derzeit höchst unklar ist,<br />

was zu hoch bedeutet, könnten eventuelle gravierende Folgeschä<strong>den</strong><br />

nicht mehr vermie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Daher könnte die Politik geneigt sein,<br />

frühzeitig relativ hohe Vermeidungsanstrengungen zu unternehmen.<br />

Dies könnte sich als Fehler herausstellen, wenn die Folgeschä<strong>den</strong><br />

weitaus kleiner als erwartet ausfielen. Zu warten, bis sich die Unsicherheit<br />

über die Folgeschä<strong>den</strong> reduziert hat, wäre in diesem Fall<br />

kostensparend gewesen. Aus Sicht der Politik könnte es sich folglich<br />

lohnen, klimapolitische Maßnahmen in die Zukunft zu verschieben,<br />

Anpassung an die globale Erwärmung


falls die Unsicherheit über die Folgeschä<strong>den</strong> durch weitere Forschung<br />

nach und nach verringert wer<strong>den</strong> könnte. Diese Strategie des Abwartens<br />

könnte die Gesellschaft aber im schlimmsten Fall teuer zu stehen<br />

kommen.<br />

Ein Ausweg aus diesem Dilemma stellt die Anpassungsstrategie<br />

dar, die es zumindest teilweise gestattet, die Kosten sparende Option<br />

zu ergreifen, mit Gegenmaßnahmen zu warten, da man durch Anpassungsmaßnahmen<br />

schwerwiegende Folgen auch noch in Zukunft verringern<br />

kann (Beirat BMF 2010:29). Diese Option spart deshalb Kosten,<br />

weil sie der Politik erlaubt, heute auf teure Vermeidungsmaßnahmen<br />

zu verzichten, um im Eventualfall hohe künftige Folgeschä<strong>den</strong> durch<br />

entsprechend umfangreiche Anpassungsmaßnahmen zu bekämpfen.<br />

Viertens: Es besteht in der Wissenschaft Einigkeit darüber, dass<br />

die globale Erwärmung Verlierer, aber auch Gewinner hervorbringt<br />

(Tol 2010). Anpassungsmaßnahmen wer<strong>den</strong> indessen nur diejenigen<br />

ergreifen, die von der globalen Erwärmung negativ betroffen sind.<br />

Denjenigen Regionen, die von der globalen Erwärmung profitieren,<br />

bleiben bei einer Anpassungsstrategie die Vorteile erhalten. Im Gegensatz<br />

dazu wer<strong>den</strong> durch Minderungsanstrengungen eventuell die<br />

negativen, aber auch die positiven Auswirkungen einer globalen Erwärmung<br />

verringert.<br />

Während es nichtsdestoweniger unklar ist, ob es am Ende nicht wesentlich<br />

teurer kommt, allein auf Anpassungsmaßnahmen zu setzen,<br />

als im Falle, dass ausschließlich Anstrengungen zur Emissionsminderung<br />

ergriffen wer<strong>den</strong>, würde sich die reine Anpassungsstrategie letztlich<br />

in zwei Fällen als überlegen erweisen: Falls es sich herausstellen<br />

sollte, dass Treibhausgase und die anthropogene Beeinflussung ihrer<br />

Konzentration in der Atmosphäre entgegen <strong>den</strong> jetzigen, nicht gesicherten<br />

Erkenntnissen nur einen geringfügigen Einfluss auf die globale<br />

Erwärmung haben und diese weitgehend durch nicht-anthropogene<br />

Ursachen gesteuert wird, könnte es zum einen sein, dass es zu weit<br />

geringeren Auswirkungen auf das Klima kommt, als die heutigen Kli-<br />

153<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


mamodelle vorhersagen. In diesem Falle wür<strong>den</strong> kaum oder gar keine<br />

Anpassungsmaßnahmen erforderlich sein und die Kosten da<strong>für</strong> entsprechend<br />

gering sein oder gar nicht anfallen. Zum anderen könnten<br />

die nicht-anthropogenen Ursachen zu ähnlichen oder gar noch gravierenderen<br />

Auswirkungen führen als von <strong>den</strong> heutigen Klimamodellen<br />

vorhergesagt wird. Dann sind Anpassungsmaßnahmen die adäquatere<br />

Antwort, wohingegen Minderungsmaßnahmen in diesem Fall weitgehend<br />

nutzlos und im ersten Fall sogar überflüssig wären.<br />

154<br />

Anpassung an die globale Erwärmung


8.<br />

Zusammenfassung und<br />

Schlussfolgerung<br />

Klimapolitik ist eindeutig eine ökonomische Angelegenheit: Böhringer<br />

et al. (2010) schätzen, dass die Klimapolitik der Kommission die<br />

EU-Staaten im Jahr 2020 zwischen 1 und 4 % an Wohlfahrt kosten<br />

könnte. Eine gute Klimapolitik orientiert sich grundsätzlich am Prinzip<br />

des rationalen Mitteleinsatzes. Demnach sollte ein Ziel wie die<br />

Vermeidung der negativen Folgen der globalen Erwärmung mit möglichst<br />

geringen volkswirtschaftlichen Kosten umgesetzt wer<strong>den</strong>. In der<br />

Regel wird diesem Prinzip am ehesten ein Mix an kosteneffizienten<br />

Maßnahmen gerecht, der sich sowohl aus Anstrengungen zur Treibhausgasminderung<br />

zusammensetzt, die bis zu einem gewissen Maße<br />

durchgeführt wer<strong>den</strong>, als auch aus Maßnahmen zur Anpassung an die<br />

globale Erwärmung.<br />

Übermäßige Anstrengungen zur Vermeidung von Treibhausgasen<br />

sollten sich hingegen als ineffizient erweisen, vor allem, wenn nur<br />

ein Teil der bedeutendsten Staaten sich dazu verpflichtet (Nordhaus<br />

2009:51): Kosten-Nutzen-Analysen von Maßnahmen zur Treibhausgassenkung<br />

zeigen in der Tat, dass diese lediglich in einem begrenzten<br />

Umfang umgesetzt wer<strong>den</strong> sollten (Tol 2010). So argumentiert<br />

etwa Nordhaus (1993), dass die optimale Emissionsreduktionsrate<br />

gegenüber einem Szenario ohne eine jegliche globale Klimapolitik<br />

bei 10 – 15 % liegt. Demnach wäre die Klimapolitik der EU-Kommission<br />

nicht optimal, da sie <strong>den</strong> Staaten der Europäischen Union bis zum Jahr<br />

2020 eine Emissionsreduktion um 20 % gegenüber 1990 als Ziel ge-<br />

155<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


156<br />

setzt hat. Falls andere bedeutende Industrieländer sich zu ähnlichen<br />

substantiellen Anstrengungen verpflichten, würde die Kommission<br />

das Reduktionsziel <strong>für</strong> das Jahr 2020 sogar auf 30 % erhöhen.<br />

Eine solche Vorreiterrolle der Kommission bei Treibhausgasminderungsmaßnahmen<br />

wäre indessen nicht nur ineffizient, sie wäre sogar<br />

kontraproduktiv: Erstens wer<strong>den</strong> West- bzw. Osteuropa von zahlreichen<br />

Studien als die Gewinnerregionen der globalen Erwärmung<br />

angesehen (Tol 2010:16). So schätzt Maddison (2003), dass sich als Folge<br />

das BIP Westeuropas um 2,5 % erhöhen könnte.<br />

Zweitens können die hohen selbst gesetzten Emissionsminderungsziele<br />

dazu führen, dass andere Länder in ihren klimapolitischen<br />

Anstrengungen nachlassen, statt diese zu erhöhen. Denn: Je mehr die<br />

Europäische Union bereit ist zu tun, desto attraktiver wird es <strong>für</strong> die<br />

übrigen Länder, selbst weniger zu vermei<strong>den</strong>, da der Grenznutzen der<br />

eigenen Anstrengungen mit <strong>den</strong> Bemühungen der EU sinkt. Eine klimapolitische<br />

Vorreiterrolle der EU führt deshalb ten<strong>den</strong>ziell zu hohen<br />

Kosten, ohne dass eine entschei<strong>den</strong>de Reduzierung des globalen Emissionsniveaus<br />

sichergestellt wer<strong>den</strong> kann.<br />

Drittens können die besonderen Anstrengungen der EU die<br />

Chancen <strong>für</strong> das Zustandekommen eines globalen Abkommens verschlechtern,<br />

da die Verringerung des verbleiben<strong>den</strong> Vorteils aus einem<br />

globalen Klimaabkommen dessen Zustandekommen unwahrscheinlicher<br />

machen. Klimaabkommen müssen aber darauf gerichtet<br />

sein, möglichst alle Länder mit einzuschließen. Teilabkommen<br />

zwischen Ländern wie <strong>den</strong> EU-Mitgliedsstaaten führen hingegen aus<br />

<strong>den</strong>selben Grün<strong>den</strong> wie besondere Anstrengungen einer Staatengruppe<br />

wie der EU zu einem Nachlassen der Anstrengungen der übrigen<br />

Länder. Wenn wichtige Länder sich nicht beteiligen, kann es daher<br />

sinnvoll sein, auf ein Abkommen zu verzichten, selbst wenn eine<br />

Teilgruppe von Ländern sich einig sein sollte (Beirat BMF 2010:16), so<br />

wie dies bei <strong>den</strong> Mitgliedstaaten der Europäischen Union weitgehend<br />

der Fall ist.<br />

Zusammenfassung und Schlussfolgerung


All diese Argumente sprechen gegen einen Alleingang der Europäischen<br />

Union, aber keinesfalls gegen Verhandlungen über ein effektives<br />

weltweites Abkommen. Für ein globales Abkommen über Treibhausgasrestriktionen<br />

stehen die Chancen allerdings <strong>den</strong>kbar schlecht. So<br />

wird sich der weltweit größte Treibhausgasemittent China mit Sicherheit<br />

keinerlei Emissionsbeschränkung unterwerfen wollen, wenn diese<br />

zulasten der wachsen<strong>den</strong> Prosperität dieses Landes gehen würde.<br />

Zu Recht würde China stattdessen zuerst von <strong>den</strong>jenigen Ländern<br />

ihren substantiellen Tribut verlangen, die in der Vergangenheit vorwiegend<br />

<strong>für</strong> <strong>den</strong> Anstieg der Treibhausgaskonzentration maßgeblich<br />

verantwortlich waren. Mit dem ebenso berechtigten Hinweis auf die<br />

geringe Effektivität verweigert der zweitgrößte Emittent, die USA, bereits<br />

heute einschnei<strong>den</strong>de Vermeidungsmaßnahmen, falls Schwellenländer<br />

wie China oder Indien sich nicht ebenfalls zu Minderungsanstrengungen<br />

verpflichten, die <strong>den</strong> künftigen Anstieg ihrer Emissionen<br />

deutlich dämpfen.<br />

Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma besteht in Politikalternativen<br />

zur Auferlegung von Emissionsrestriktionen (The Hartwell<br />

Paper 2010), bei <strong>den</strong>en die einzelnen Länder in erster Linie selbst<br />

von <strong>den</strong> zu ergreifen<strong>den</strong> Maßnahmen profitieren und daher ein hohes<br />

Eigeninteresse an deren Umsetzung haben. So dürfte ein weltweites<br />

Abkommen über eine sukzessive Erhöhung der Ausgaben <strong>für</strong> die Forschung<br />

und Entwicklung (F&E) von Energieumwandlungs- und -speichertechnologien<br />

eine realistische Chance auf ein Zustandekommen<br />

haben. Damit könnte man zwar nicht unmittelbar, so doch innerhalb<br />

einiger Jahrzehnte Treibhausgasminderungen erzielen − möglicherweise<br />

in massiver Weise, wie das Beispiel der Fusionstechnologie zeigt.<br />

Auch bei Anpassungsmaßnahmen an die globale Erwärmung, wie<br />

dem Bau oder der Erhöhung von Deichen, profitieren im Idealfall in<br />

erster Linie diejenigen davon, welche die Kosten da<strong>für</strong> zu tragen haben.<br />

Einer Strategie zur Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen<br />

kommt eine besonders hohe Bedeutung zu, weil zum einen Anstren-<br />

157<br />

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


158<br />

gungen zur Emissionsminderung letztendlich wenig Aussicht auf<br />

Erfolg haben dürften und diese Strategie zum anderen zumindest<br />

teilweise gestattet, die Kosten sparende Option zu ergreifen, mit Vermeidungsmaßnahmen<br />

zu warten und stattdessen auf die F&E-Förderstrategie<br />

zu setzen. Denn: Durch Anpassungsmaßnahmen kann man<br />

die schwerwiegendsten Folgen auch noch in Zukunft verringern. Diese<br />

Option spart deshalb Kosten, weil sie der Politik erlaubt, heute auf teure<br />

Vermeidungsmaßnahmen zu verzichten, um im Eventualfall hohe<br />

künftige Folgeschä<strong>den</strong> durch Anpassungsmaßnahmen zu bekämpfen,<br />

deren Umfang sich vergleichsweise genau an <strong>den</strong> sich abzeichnen<strong>den</strong><br />

Folgen orientieren kann.<br />

In dasselbe Horn stößt Goklany (2009:35), der zeigt, dass eine fokussierte<br />

Anpassungsstrategie, bei der etwa Malaria direkt bekämpft<br />

wird, anstatt mit Vermeidungsmaßnahmen <strong>den</strong> Klimawandel und somit<br />

indirekt die damit verbun<strong>den</strong>e Verbreitung von Malaria mildern<br />

zu wollen, bei weitem einen größeren Nutzen haben würde als gar die<br />

intensivste Vermeidungsstrategie − und dies zu weitaus geringeren<br />

Kosten von lediglich einem Fünftel der Belastungen, die durch die Umsetzung<br />

des ineffektiven Kyoto--Protokolls zustande kommen (Goklany<br />

2009:30). Während der Nutzen von Vermeidungsmaßnahmen wegen<br />

der Unsicherheit der Wirkungen, die mit dem Klimawandel verbun<strong>den</strong><br />

sind, ebenfalls höchst ungewiss ist und sich erst nach Jahrzehnten herausstellen<br />

wird, gibt es keinen Zweifel, dass fokussierte Anpassungsmaßnahmen<br />

zur Bekämpfung sehr drängender aktueller und schwerwiegender<br />

Probleme wie Malaria, Hungersnöte und Überschwemmungen<br />

ganzer Küstenregionen in kürzester Zeit und mit großer Sicherheit<br />

einen weitaus größeren Nutzen stiften (Goklany 2009:25), da diese<br />

Geißeln der Menschheit derzeit ungleich höhere Schä<strong>den</strong> verursachen<br />

als der häufig in unzutreffender Weise als höchst gravierend dargestellte<br />

Klimawandel.<br />

Zusammenfassung und Schlussfolgerung


Literatur<br />

Álvarez, G.C., Jara, R.M., Julián, J.R.R., Bielsa, J.I.G. (2009): Study of the Effects<br />

on Employment of Public Aid to Renewable Energy Sources | Universidad REY<br />

Juan Carlos<br />

www.juandemariana.org/pdf/090327-employment-public-aid-renewable.pdf<br />

BDEW (2001 bis 2009): EEG Jahresabrechnungen, Bundesverband der Energieund<br />

Wasserwirtschaft | Berlin<br />

Beirat BMF (2010): Klimapolitik zwischen Emissionsvermeidung<br />

und Anpassung | Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim<br />

Bundesministerium der Finanzen | Berlin, Januar 2010<br />

159<br />

BMU (2006): Erneuerbare Energien: Arbeitsplatzeffekte, Wirkungen des<br />

Ausbaus erneuerbarer Energien auf <strong>den</strong> deutschen Arbeitsmarkt | Kurzund<br />

Langfassung | Bundesministerium <strong>für</strong> Umwelt, Naturschutz und<br />

Reaktorsicherheit | Berlin<br />

BMU (2008): Kernelemente der neuen EU-Richtlinie zum Emissionshandel |<br />

Bundesministerium <strong>für</strong> Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit | Berlin<br />

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Wissenschaftliche Beirat der Stiftung Marktwirtschaft. Ihm gehören Juergen<br />

B. Donges, Johann Eekhoff, Lars P. Feld, Werner Möschel und Manfred J. M.<br />

Neumann an.<br />

Lüdecke, H.-J. (2008): CO2 und <strong>Klimaschutz</strong> – Fakten, Irrtümer, Politik |<br />

2. Auflage | Bouvier<br />

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Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv


Die Autoren<br />

Ross McKitrick<br />

Manuel Frondel<br />

Die Herausgeber<br />

Steffen Hentrich<br />

Holger Krahmer


Ross McKitrick<br />

Ross McKitrick ist Professor der Wirtschaftswissenschaften (Umweltökonomie)<br />

an der University of Guelph in Ontario. Außerdem ist<br />

er Senior Fellow des Fraser Institute in Vancouver, ein Mitglied des<br />

Academic Advisory Boards des John Deutsch Institute in Kingston,<br />

Ontario und der Global Warming Policy Foundation in London, Großbritannien.<br />

Seine Forschungsinteressen erstrecken sich auf das Modellieren<br />

des Verhältnisses zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Schadstoffemissionen,<br />

das Design von Regulierungsmechanismen sowie<br />

auf verschie<strong>den</strong>e Aspekte der Wissenschaft und der Politik der globalen<br />

Erwärmung. Seine Forschungsergebnisse wur<strong>den</strong> in führen<strong>den</strong><br />

wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, wie dem Journal<br />

of Environmental Economics and Management, Energy Economics,<br />

Economic Modeling, dem Canadian Journal of Economics, Empirical<br />

Economics, dem Energy Journal sowie Environmental and Resource<br />

Economics. Seine physikalischen Forschungsergebnisse erschienen in<br />

Zeitschriften wie dem Journal of Geophysical Research, <strong>den</strong> Geophysical<br />

Research Letters, <strong>den</strong> Atmospheric Science Letters, dem Journal of<br />

Non-Equilibrium Thermodynamics and <strong>den</strong> Proceedings of the National<br />

Academy of Sciences.<br />

Er ist Autor des Lehrbuchs „Economic Analysis of Environmental<br />

Policy” (University of Toronto Press 2010) und veröffentlichte 2002 zusammen<br />

mit Christopher Essex von der University of Western Ontario<br />

das Buch „Taken by Storm: The Troubled Science, Policy and Politics of<br />

Global Warming” (2. überarbeitete Auflage 2008), ausgezeichnet mit<br />

dem Donner Prize for the Best Book on Canadian Public Policy.<br />

169<br />

Die Autoren und Herausgeber


Manuel Frondel<br />

170<br />

Prof. Dr. Manuel Frondel ist Diplom-Physiker und Diplom-Wirtschaftsingenieur<br />

und führt seit 2003 die Forschungsabteilung <strong>für</strong> Umwelt<br />

und Ressourcen des Rheinisch-Westfälischen Instituts <strong>für</strong> Wirtschaftsforschung<br />

(RWI). Seit 2009 ist er Professor <strong>für</strong> Energieökonomik und<br />

angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2001<br />

bis 2003 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum <strong>für</strong> Europäische<br />

Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim und Professor in<br />

Teilzeit an der Hochschule Heilbronn. Er hat an der wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Fakultät der Universität Heidelberg promoviert.<br />

Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Umwelt-, Ressourcen-<br />

und Energieökonomik. Prof. Frondel hat in führen<strong>den</strong> Zeitschriften,<br />

wie der Review of Economics and Statistics und <strong>den</strong> Economic<br />

Letters, Beiträge veröffentlicht.<br />

Die Autoren und Herausgeber


Steffen Hentrich<br />

Steffen Hentrich ist Referent am Liberalen Institut der Friedrich-<br />

Naumann-Stiftung <strong>für</strong> die Freiheit in Potsdam. Nach seinem Studium<br />

der Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Universität Berlin<br />

war er Mitarbeiter am Institut <strong>für</strong> Wirtschaftsforschung in Halle und<br />

arbeitete <strong>für</strong> mehrere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim<br />

Sachverständigenrat <strong>für</strong> Umweltfragen. Er hat sich auf Umwelt- und<br />

Ressourcenfragen spezialisiert.<br />

171<br />

Die Autoren und Herausgeber


Holger Krahmer<br />

172<br />

Holger Krahmer wurde 1970 in Leipzig geboren. Nach der Schulzeit<br />

und einer Berufsausbildung zum Instandhaltungsmechaniker begann<br />

er 1990 seine berufliche Laufbahn als Bankkaufmann bei der<br />

Commerzbank AG. Seit 1993 ist er Mitglied der FDP und seit 2004 Vorstand<br />

der GANOS Kaffee-Kontor & Rösterei AG in Leipzig.<br />

Im Juni 2004 wurde er erstmals in das Europäische Parlament gewählt.<br />

Er ist Mitglied des Parlamentsausschusses <strong>für</strong> Umwelt, Volksgesundheit<br />

und Lebensmittelsicherheit und stellvertretendes Mitglied<br />

im Ausschuss <strong>für</strong> Industrie, Forschung und Energie. Als Berichterstatter<br />

des Parlaments bzw. der liberal-demokratischen Fraktion ALDE war<br />

er federführend an EU-Gesetzgebungen unter anderem zur Luftreinhaltung,<br />

zur Minderung von CO 2 -Emissionen und der Arzneimittelzulassung<br />

beteiligt. So arbeitete er an <strong>den</strong> EU-Richtlinien <strong>für</strong> Luftqualität,<br />

Industrieemissionen, an Luftschadstoffnormen <strong>für</strong> Pkw, leichte<br />

Nutzfahrzeuge sowie schwere Lkw und Busse. Auch an der Richtlinie<br />

zur Einbeziehung des Luftverkehrs in <strong>den</strong> CO 2 -Emissionshandel und<br />

der Verordnung zur Vermeidung von Arzneimittelfälschungen war er<br />

federführend beteiligt.<br />

Im Jahr 2010 veröffentlichte er die viel diskutierte Schrift „Unbequeme<br />

Wahrheiten über die Klimapolitik und ihre wissenschaftlichen<br />

Grundlagen“.<br />

Die Autoren und Herausgeber


Wissenschaftler, Medien und Politiker scheinen sich einig: Der<br />

Klimawandel ist Realität und der Mensch ist schuld daran. Es<br />

muss etwas geschehen – koste es, was es wolle. Doch der Schein<br />

trügt: Noch steckt die Klimaforschung in <strong>den</strong> Kinderschuhen,<br />

kämpft mit ungenauen Daten und einer Natur, die sich auch mit<br />

<strong>den</strong> komplexesten Modellen nicht zufrie<strong>den</strong>stellend beschreiben<br />

lässt. Zukunftsprognosen bleiben Kaffeesatzleserei.<br />

Angesichts dieser Unsicherheiten zerbrechen sich die Experten<br />

<strong>den</strong> Kopf, wie dem Problem Herr zu wer<strong>den</strong> ist. Für die einen<br />

steht das Klima und damit die Zukunft von Natur und Menschheit<br />

auf dem Spiel, die anderen sehen in klimapolitischem Aktionismus<br />

eine Gefahr <strong>für</strong> Wohlstand und Entwicklung. Folglich<br />

wird auf dem Basar der internationalen Klimapolitik von der Beschleunigung<br />

des grünen Wachstumsmotors bis zum kräftigen<br />

Tritt auf die <strong>Klimaschutz</strong>bremse alles feilgeboten. Kein Wunder,<br />

dass die Verhandlungen feststecken.<br />

Nur ein <strong>Realitätscheck</strong> kann die Situation noch retten. Die Wirtschaftswissenschaftler<br />

Ross McKitrick und Manuel Frondel<br />

decken unangenehme Wahrheiten auf und weisen einen Weg<br />

aus der Sackgasse der Klimapolitik.<br />

ISBN 978-3-00-036040-4 | Print<br />

ISBN 978-3-00-036041-1 | eBook

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