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HANS RUDOLF LAVATER<br />

<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong><br />

Der Bieler Dekan Jakob Funcklin und die Anfänge der<br />

«Holzsparkunst» (1555–1576) Ce sont de petites boîtes carrées en métal et<br />

en poterie avec deux ouvertures, l’une placée<br />

en avant pour y déposer du combustible,<br />

l’autre placée en haut pour diriger sur le toit,<br />

par une <strong>ch</strong>eminée qui fume, 95 pour 100 de<br />

ce combustible. (Victor-Charles Joly, 1873) 1<br />

1. Hölzernes Zeitalter<br />

1.1. «ku nstli<strong>ch</strong>e werck vnd fu nd»<br />

An Regentagen pflegte Gargantua mit seinen Le<strong>hr</strong>meistern die vers<strong>ch</strong>iedensten<br />

Werkstätten aufzusu<strong>ch</strong>en, «et par tout donnans le vin, aprenoient,<br />

et consideroient lindustrie et inuention des mestiers» 2 . Was bei<br />

François Rabelais (1532) in der Folge nur wenige Zeilen beanspru<strong>ch</strong>t,<br />

bläht der kongeniale Strassburger Kollege Johann Fis<strong>ch</strong>art (1546/47–<br />

1591) auf das Siebenfa<strong>ch</strong>e auf. In seiner Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tklitterung (1575) lässt<br />

er den armen «discipel Gargantzumal» ni<strong>ch</strong>t weniger als 212 «ku nstli<strong>ch</strong>e<br />

Werck vnd fu nd [Erfindungen] bes<strong>ch</strong>awen» 3 , was Fis<strong>ch</strong>art Gelegenheit<br />

gibt, die ganze «ku nstlerzunft» mitsamt i<strong>hr</strong>en bombastis<strong>ch</strong> klingenden<br />

Nutzlosigkeiten, an denen dieses lange 16. Ja<strong>hr</strong>hundert (Heinz S<strong>ch</strong>illing)<br />

ni<strong>ch</strong>t arm war, zu karikieren. Das unlängst in Mode gekommene paracel-<br />

<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Den Herren Prof. Dr. phil. Max S<strong>ch</strong>iendorfer, Univ. Züri<strong>ch</strong> und Dr. rer. oec. Renato<br />

C. Müller, Univ. Bern, danke i<strong>ch</strong> se<strong>hr</strong> herzli<strong>ch</strong> für die kundige Lektorierung.<br />

V[ictor] Ch[arles] Joly: Traité pratique du <strong>ch</strong>auffage, de la ventilation et de la distribution<br />

des eaux dans les habitations particulières, 2. Aufl., Paris 1873, 82.<br />

[François Rabelais:] La vie très horrifique du grand Gargantua, père de Pantagruel,<br />

2. Aufl., Lyon 1547, 70 rv .<br />

[Johann Fis<strong>ch</strong>art:] Affentheuerli<strong>ch</strong> Naupengeheuerli<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tklitterung, 4.<br />

Aufl., [Strassburg] 1594, 186 v –188 r .<br />

____________________________________________________________________________<br />

Separatum aus: Ulri<strong>ch</strong> Gäbler / Martin Sallmann / Hans S<strong>ch</strong>neider [Hg.], S<strong>ch</strong>weizer Kir<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te – neu reflektiert.<br />

Festsc<strong>hr</strong>ift für Rudolf Dellsperger zum 65. Geburtstag. (Basler und Berner Studien zur historis<strong>ch</strong>en und systematis<strong>ch</strong>en<br />

Theologie, Bd. 73). Bern / Berlin / Bruxelles / Frankfurt am Main / New York / Oxford / Wien 2011, S. 63-145.


64<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

sis<strong>ch</strong>en Neophytentum muss ebenso dran glauben wie die «Holtzsparkunst»<br />

und diesbezügli<strong>ch</strong>e Patente:<br />

Es le<strong>hr</strong>t do<strong>ch</strong> der Obercelsis<strong>ch</strong> Theop<strong>hr</strong>astus in seiner Metaformirung, wie man<br />

Riesen vnnd Zwerglin soll im Perdmist [!] außbru ten vnnd Kinder ohn Weiber ma<strong>ch</strong>en.<br />

[…] Dise Spagiris<strong>ch</strong>e Kunden werden bald […] ein Weibsparkunst erfinden,<br />

wie jene die Holtzsparkunst. Hierzu werden die Weiber keim [keinem]<br />

Priuilegy geben. 4<br />

Offenbar konnte Fis<strong>ch</strong>art voraussetzen, dass seine Leser Begriffli<strong>ch</strong>keit<br />

und Anspielungen auf Anhieb verstehen würden. Wenn ‹Holtzsparkunst›<br />

die Kunst war, «das zu allerley Bedürfnissen, besonders aber das zur<br />

Feuerung nöthige Holz zu sparen» 5 – inwiefern war sie denn um 1575<br />

ein offenkundiges Thema?<br />

Eine Untersu<strong>ch</strong>ung, die, wie die vorliegende, den Fokus auf die<br />

te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Realisierung und die Diffusion der Holzsparkunst im s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>-oberdeuts<strong>ch</strong>en<br />

Raum wä<strong>hr</strong>end des Zeitraumes 1555–1576 legt,<br />

darf si<strong>ch</strong> mit drei kurzen Antworten begnügen: a) Seit Mitte des 16.<br />

Ja<strong>hr</strong>hunderts gibt es als Topos der im 18. Ja<strong>hr</strong>hundert si<strong>ch</strong> häufenden<br />

Holzsparliteratur das Stereotyp der herrs<strong>ch</strong>enden oder drohenden Holzknappheit.<br />

b) Ob diesem eine allgemeine Holzkrise zugrundelag, wie<br />

Rolf-Jürgen Gleitsmann und Rolf Peter Sieferle annahmen, 6 oder ob es<br />

si<strong>ch</strong> vielme<strong>hr</strong> um eine künstli<strong>ch</strong>e Verknappung handelte, mittels derer<br />

konkurrierende Ambitionen anderer Grossverbrau<strong>ch</strong>er bekämpft werden<br />

4<br />

5<br />

6<br />

Fis<strong>ch</strong>art, Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tklitterung (wie Anm. 3), 106 r im Zusammenhang mit Gargantuas<br />

extrauteriner Geburt. ‹weibsparkunst› ist somit die Kunst, Weiber zu sparen.<br />

Corr. die Konjektur in DWb 10, 1781 «ein weibsparkunst erfinden wie jene (weiber)<br />

die holzsparkunst», ebenso die Behauptung, Fis<strong>ch</strong>art akzentuiere hier die<br />

Holzsparkunst als eine «Weibskunst» [!] bei Karin Hausen: Häusli<strong>ch</strong>er Herd und<br />

Wissens<strong>ch</strong>aft. Zur frühneuzeitli<strong>ch</strong>en Debatte über Holznot und Holzsparkunst in<br />

Deuts<strong>ch</strong>land, in: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Emanzipation (FG Reinhard Rürup), hg. v. Mi<strong>ch</strong>ael<br />

Grüttner, Rüdiger Ha<strong>ch</strong>tmann u. Heinz-Gerhard Haupt, Frankfurt a. M. 1999,<br />

700–727, 714. Davon unberü<strong>hr</strong>t bleibt Hausens plausible Darstellung, wie die te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e<br />

Ausstattung des Haushalts me<strong>hr</strong> und me<strong>hr</strong> zum experimentellen Tummelfeld<br />

aufgeklärter Männer wird.<br />

Johann C<strong>hr</strong>istoph Adelung: Grammatis<strong>ch</strong>-kritis<strong>ch</strong>es Wörterbu<strong>ch</strong> der Ho<strong>ch</strong>deuts<strong>ch</strong>en<br />

Mundart, 4 Bde., Leipzig, 1793–1801, Bd. 2, 1276.<br />

Rolf-Jürgen Gleitsmann: Rohstoffmangel und Lösungsstrategien. Das Problem<br />

vorindustrieller Holzknappheit, in: Te<strong>ch</strong>nologie und Politik 16 (1980), 104–154;<br />

Rolf Peter Sieferle: Der unterirdis<strong>ch</strong>e Wald. Energiekrise und industrielle Revolution,<br />

Mün<strong>ch</strong>en 1982.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 65<br />

sollten, wie Joa<strong>ch</strong>im Radkau und Ingrid S<strong>ch</strong>äfer mit guten Gründen vors<strong>ch</strong>lugen,<br />

7 ist hier ni<strong>ch</strong>t zu untersu<strong>ch</strong>en. c) Der hohe Anteil der holzsparenden<br />

Te<strong>ch</strong>nologien an den seit 1550 im Rei<strong>ch</strong> und in den Territorien<br />

erteilten Privilegien (Abb. 1) ist ein Indiz dafür, dass die ‹gefühlte› Holzknappheit<br />

jedenfalls ein signifikantes Phänomen war. 8<br />

1.2. Holz- und Geldfresser<br />

Na<strong>ch</strong> dem bekannten Ausspru<strong>ch</strong> Werner Sombarts (1916) bildete die<br />

Zentralressource Holz in den vorindustriellen Gesells<strong>ch</strong>aften Europas<br />

«so se<strong>hr</strong> den allgemeinen Stoff aller Sa<strong>ch</strong>dinge, daß alle Kultur vor dem<br />

7<br />

8<br />

Joa<strong>ch</strong>im Radkau: Zur angebli<strong>ch</strong>en Energiekrise des 18. Ja<strong>hr</strong>hunderts. Revisionistis<strong>ch</strong>e<br />

Betra<strong>ch</strong>tungen über die «Holznot», in: VSWG 73 (1986), 1–37; Ingrid S<strong>ch</strong>äfer:<br />

Im Vorfeld der industriellen Revolution – Höhepunkt oder Ende des «hölzernen<br />

Zeitalters», in: Ferrum 63 (1991), 27–33. Über die divergierenden<br />

Nutzungsinteressen in Oberhasli vgl. zuletzt Martin Stuber: Waldwirts<strong>ch</strong>aft, in:<br />

Berns mä<strong>ch</strong>tige Zeit, hg. v. André Holenstein u. a., Bern 2006, 411–416, 413f.<br />

(Lit.). Zur «Holznot» als Argument zur Dur<strong>ch</strong>setzung von Reformen im Raum<br />

Nordosts<strong>ch</strong>weiz, Züri<strong>ch</strong> und Graubünden vgl. Katja Hürlimann: S<strong>ch</strong>lussberi<strong>ch</strong>t<br />

Projekt «Holznot» (18./19. Jh.), Internes Papier ETH Züri<strong>ch</strong>, Departement Umweltwissens<strong>ch</strong>aften,<br />

Arbeitsberei<strong>ch</strong> Wald- und Forstges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, 2004.<br />

Quellen: Österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>es Staatsar<strong>ch</strong>iv / Haus-, Hof und Staatsar<strong>ch</strong>iv / Rei<strong>ch</strong>shofrat<br />

(im Folgenden: OeStA/HHStA/RHR): Gratialia et Feudalia / Gewerbe-, Fabriksund<br />

Handlungsprivilegien 1489–1802 (digitaler Katalog); Fritz Hoffmann: Beiträge<br />

zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Erfindungss<strong>ch</strong>utzes in Deuts<strong>ch</strong>land im se<strong>ch</strong>zehnten Ja<strong>hr</strong>hundert,<br />

in: Zeitsc<strong>hr</strong>ift für Industriere<strong>ch</strong>t 10 (1915), 85–98; Hans Müller: Patents<strong>ch</strong>utz<br />

im deuts<strong>ch</strong>en Mittelalter, in: Gewerbli<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz und Urheberre<strong>ch</strong>t 44<br />

(1939), 936–953; Hansjörg Pohlmann: Neue Materialien zur Frühentwicklung des<br />

deuts<strong>ch</strong>en Erfinders<strong>ch</strong>utzes im 16. Ja<strong>hr</strong>hundert, in: Gewerbli<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz und<br />

Urheberre<strong>ch</strong>t 62 (1960), 272–283; Charles Hiegel: Les essais de réduction de la<br />

consommation de bois des salines lorraines (1572–1630). Progrès te<strong>ch</strong>nique ou<br />

<strong>ch</strong>imères?, in: Actes du 103 e congrès national des sociétés savantes (Nancy-Metz<br />

1978), Paris 1979, 303–318; Hans-Jürgen Creutz: Die Herausbildung des Erfindungss<strong>ch</strong>utzes<br />

in Sa<strong>ch</strong>sen im 15. und 16. Ja<strong>hr</strong>hundert, in: JWG 23 (1983), 91–110;<br />

Rolf-Jürgen Gleitsmann: «Wir wissen aber, Gott Lob, was wir thuen»: Erfinderprivilegien<br />

und te<strong>ch</strong>nologis<strong>ch</strong>er Wandel im 16. Ja<strong>hr</strong>hundert, in: Zeitsc<strong>hr</strong>ift für Unternehmensges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

30 (1985), 69–95; François J. Fu<strong>ch</strong>s: Re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>es te<strong>ch</strong>niques au<br />

XVI e siècle. De quelques essais de réduction de consommation de bois à Strasbourg,<br />

in: Ho<strong>ch</strong>finanz Wirts<strong>ch</strong>aftsräume Innovation (FG Wolfgang von Stromer),<br />

hg. v. Uwe Bestmann u. a., 3 Bde., Trier 1987, Bd. 3, 1099–1114.


66<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

19. Ja<strong>hr</strong>hundert ein ausgespro<strong>ch</strong>en hölzernes Gepräge trägt» 9 . Dabei rangierte<br />

Holz als Brennstoff im Berei<strong>ch</strong> der Privathaushalte (Heizen, Ko<strong>ch</strong>en,<br />

Was<strong>ch</strong>en), der so genannten Feuergewerbe (S<strong>ch</strong>miede, Brauer, Bäcker,Töpfer,<br />

Ziegler, Glasma<strong>ch</strong>er) und des Grossgewerbes (Erzhütten,<br />

Salinen, Glashütten) mit 90% deutli<strong>ch</strong> vor Holz als Werkstoff. 10<br />

Abb. 1: Bestandesentwicklung der bisher na<strong>ch</strong>gewiesenen holzsparenden<br />

Te<strong>ch</strong>nologien (Holzsparkünste) 1501–1600 im Verglei<strong>ch</strong> zu den glei<strong>ch</strong>zeitigen<br />

Erfinderprivilegien im Rei<strong>ch</strong>.<br />

Die bes<strong>ch</strong>eidene Energieeffizienz der vormodernen Produktionsmittel 11<br />

(Tab. 1, Abb. 2 und 3) fü<strong>hr</strong>te dazu, dass in ho<strong>ch</strong> industrialisierten Regionen<br />

das Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>spotential der Wälder, die Transportkapazitäten und<br />

9<br />

10<br />

11<br />

Werner Sombart: Der moderne Kapitalismus, Bd. 2/2, 3. Aufl., Mün<strong>ch</strong>en u. a.<br />

1919, 1139. Vgl. Joa<strong>ch</strong>im Radkau: Das «hölzerne Zeitalter» und der deuts<strong>ch</strong>e Sonderweg<br />

in der Forstte<strong>ch</strong>nik, in: «Nützli<strong>ch</strong>e Künste». Kultur- und Sozialges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

der Te<strong>ch</strong>nik im 18. Ja<strong>hr</strong>hundert, hg. v. Ulri<strong>ch</strong> Troitzs<strong>ch</strong>, Münster u. a. 1999, 97–<br />

118, 97f.<br />

Joa<strong>ch</strong>im Radkau unter Mitarbeit von Ingrid S<strong>ch</strong>äfer: Holz – Wie ein Naturstoff<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te sc<strong>hr</strong>eibt, Mün<strong>ch</strong>en 2007, 21.<br />

Zur Beurteilung des Wirkungsgrade frühneuzeitli<strong>ch</strong>er Verbrennungsanlagen vgl.<br />

Radkau, Holz (wie Anm. 10), 90–93.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 67<br />

die Bedarfsanforderungen der Industrie zunehmend auseinander klafften,<br />

was die Kommerzialisierung und die Verteuerung des Holzes deutli<strong>ch</strong><br />

bes<strong>ch</strong>leunigte.<br />

Tab. 1: A: Nutzwirkungsgrad von Heizanlagen, B: Produkt-Holzverhältnis ausgewählter<br />

Erzeugnisse.<br />

A: Nutzwirkungsgrade 12 [%]<br />

Offenes Feuer auf ebener Erde 10<br />

Offene Siedepfannen (Salinen) 25 bis 20. Ja<strong>hr</strong>hundert<br />

Offener Kamin 5–35<br />

Eiserne Öfen 65–70 ab 20. Ja<strong>hr</strong>hundert<br />

Ka<strong>ch</strong>elofen 65–75 ab 20. Ja<strong>hr</strong>hundert<br />

B: Produkt-Holz-Verhältnis 13 (Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittswerte 16.–18. Ja<strong>hr</strong>hunert)<br />

Salz (Verdampfung der Sole) 1:7<br />

Roheisen 1:15<br />

S<strong>ch</strong>miedeeisen 1:30<br />

Silber 1:200<br />

Pottas<strong>ch</strong>e 1:700 Bu<strong>ch</strong>e<br />

1:2’000 Fi<strong>ch</strong>te<br />

Glas 1:2’400 (1 kg 0.5 ha Ei<strong>ch</strong>enwald)<br />

Der geringe thermis<strong>ch</strong>e Wirkungsgrad der frühneuzeitli<strong>ch</strong>en häusli<strong>ch</strong>en<br />

Heiz- und Ko<strong>ch</strong>anlagen – no<strong>ch</strong> 1833 war «je Feuerstelle der jä<strong>hr</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s eines Hektars Bu<strong>ch</strong>enwald zu verans<strong>ch</strong>lagen» 14 – belastete<br />

die Haushaltungskasse empfindli<strong>ch</strong>. Ende 1556 klagt Wolfgang Musculus<br />

(1497–1563): «Das holtz gestadt [kostet] mi<strong>ch</strong> jars bitz [bis] uff die<br />

10 cronen; ist ein zimli<strong>ch</strong>s lo<strong>ch</strong> in myn besoldung» 15 . Im Verhältnis zu<br />

12<br />

13<br />

14<br />

15<br />

Alfred Faber: Entwicklungsstufen der häusli<strong>ch</strong>en Heizung, Mün<strong>ch</strong>en 1957, 50, 65,<br />

148; Rolf-Jürgen Gleitsmann: Aspekte der Ressourcenproblematik in historis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t, in: Scripta Mercaturae 15 (1981), 33–90, 35; Gleitsmann, Erfinderprivilegien<br />

(wie Anm. 8), 112; Radkau, Holz (wie Anm. 10), 204; Hermann Recknagel, Eberhard<br />

Sprenger u. Ernst-Rudolf Sc<strong>hr</strong>amek (Hg.): Tas<strong>ch</strong>enbu<strong>ch</strong> für Heizung + Klimate<strong>ch</strong>nik<br />

07/08, 73. Aufl., Mün<strong>ch</strong>en 2007, 510, 513.<br />

Radkau, Holz (wie Anm. 10), 115; Gleitsmann, Ressourcenproblematik (wie Anm.<br />

12), 51, 56f.<br />

Gleitsmann, Ressourcenproblematik (wie Anm. 12), 57.<br />

StAZH E II 360, 213 (W. Musculus an H. Bullinger, 31. Dezember 1556), freundli<strong>ch</strong>er<br />

Hinweis von Herrn lic. theol. Rainer Henri<strong>ch</strong>.


68<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

Abb. 2: Spinnstube. Holzs<strong>ch</strong>nitt von Bartel<br />

Beham, um 1524 16 (Auss<strong>ch</strong>nitt). Infolge<br />

seiner grossvolumigen Auslegung, des Abbrandes<br />

auf der Sohle des Unterbaus ohne<br />

Luftzufu<strong>hr</strong> und fehlender Rau<strong>ch</strong>gasfü<strong>hr</strong>ung<br />

verhindert dieser Ka<strong>ch</strong>elofen traditioneller<br />

Bauart jegli<strong>ch</strong>e Heizökonomie.<br />

Abb. 3: Bierbrauer. Holzs<strong>ch</strong>nitt von<br />

Jost Ammann, um 1568 17 (Auss<strong>ch</strong>nitt).<br />

Im Hintergrund rü<strong>hr</strong>t der Gehilfe bei<br />

grosser Flamme in der Würzpfanne.<br />

Diese Anlage arbeitete mit einem Nutzwirkungsgrad<br />

unter 50%.<br />

seinem Ja<strong>hr</strong>esgehalt von 150 kr 18 errei<strong>ch</strong>ten die Energiekosten des Berner<br />

Theologieprofessors einen Anteil von 6.7%, ein Aufwand, der mit<br />

entspre<strong>ch</strong>enden Ausgaben in Konstanz (um 1557: 18 fl 10.8 kr) und<br />

der Nürnberger Patrizierhaushalte Tu<strong>ch</strong>er (1507–1517: 6.2–7.9%) und<br />

Behaim (1548/49: 13.48 fl) verglei<strong>ch</strong>bar ist. 19<br />

16<br />

17<br />

18<br />

19<br />

Abb. aus Alison G. Stewart: Distaffs and Spindles, in: Saints, Sinners, and Sisters:<br />

Gender and Northern Art in Medieval and Early Modern Europe, hg. v. Jane L.<br />

Carroll, Ashgate 2003, 127–154, 128.<br />

Abb. aus Hans Sa<strong>ch</strong>s: Eygentli<strong>ch</strong>e Besc<strong>hr</strong>eibung aller Sta nde, Frankfurt 1568,<br />

M iij r .<br />

Musculus bezog 1554 nebst freier Wohnung 120 fl in bar und 130 fl in Wein,<br />

Dinkel und Hafer, vgl. Reinhard Bodenmann: Wolfgang Musculus (1497–1563),<br />

Genève 2000, 41, n. 99.<br />

Vgl. C<strong>hr</strong>istoph S<strong>ch</strong>ulthaiß: Collectaneen zum Ja<strong>hr</strong>e 1557, StadtA Konstanz, Hs. A I<br />

8, Teilband VIII, 38½–39 (vgl. Anh. 2). Herrn Mi<strong>ch</strong>ael Kuthe, Konstanz, danke i<strong>ch</strong><br />

für die bes<strong>ch</strong>leunigte Bes<strong>ch</strong>affung dieser wi<strong>ch</strong>tigen Ar<strong>ch</strong>ivalie. Zu S<strong>ch</strong>ulthaiß:<br />

J[ohann] Marmor (Hg.): Constanzer Bisthums-C<strong>hr</strong>onik von C<strong>hr</strong>istoph S<strong>ch</strong>ulthaiß,


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 69<br />

Den thermis<strong>ch</strong>en Mängeln damaliger Heizanlagen gesellte si<strong>ch</strong> die<br />

Belästigung dur<strong>ch</strong> Rau<strong>ch</strong>gase hinzu. Bekannt sind die wiederholten Klagen<br />

des Erasmus über den neuen wels<strong>ch</strong>en Kamin, den ihm der Drucker<br />

Johannes Froben im Haus ‹Zur alten Treu› hatte einbauen lassen. Na<strong>ch</strong><br />

nur einer Heizperiode erwägt der Humanistenfürst im Februar 1522 die<br />

Emigration «ob nidorem hypocaustorum» 20 . Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> um die ges<strong>ch</strong>lossenen<br />

Öfen stand es in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t offenbar ni<strong>ch</strong>t viel besser. Im Juni<br />

1528 wurden im Pfarrhaus Sumiswald ein neuer «ba<strong>ch</strong>offen und stubenoffen»<br />

gesetzt, was offenbar ni<strong>ch</strong>t verhindern konnte, dass si<strong>ch</strong> der Prädikant<br />

Lucius Danner im Januar 1529 veranlasst sah, Zwingli einen seufzenden<br />

Gruss «aus unserem verrussten (fuliginosa) Amt und Häus<strong>ch</strong>en<br />

in Sumiswald» zu s<strong>ch</strong>icken. 21<br />

Angesi<strong>ch</strong>ts der soeben skizzierten objektiv vorhandenen oder subjektiv<br />

empfundenen Holzengpässe, des s<strong>ch</strong>ieren Sparzwangs oder der<br />

blossen Spartugend und der gestiegenen Ansprü<strong>ch</strong>e an einen minimalen<br />

Wohnkomfort, bestand ebensoviel Handlungsbedarf wie Entwicklungspotential.<br />

Als historis<strong>ch</strong>e Lösungsstrategien, deren «Zielsetzung über die<br />

reine ‹Mangelverwaltung› hinausgingen», besc<strong>hr</strong>ieb Rolf-Jürgen Gleitsmann<br />

1981 im Wesentli<strong>ch</strong>en a) die Sparstrategien (rationellere Erzeugung<br />

und Nutzung des Brennstoffes Holz), b) die Verlagerungsstrategien<br />

(Substitution dur<strong>ch</strong> Torf und Kohle) und c) die Haubergwirts<strong>ch</strong>aft (regenerative<br />

Nutzung der Wälder). 22 Historis<strong>ch</strong> hat si<strong>ch</strong> erwartungsgemäss<br />

die Verlagerungsstrategie dur<strong>ch</strong>gesetzt. Unsere Untersu<strong>ch</strong>ung besc<strong>hr</strong>änkt<br />

si<strong>ch</strong> indessen auf die nördli<strong>ch</strong> der Alpen seit 1550 einsetzenden systematis<strong>ch</strong>en<br />

Versu<strong>ch</strong>e rationellerer Brennholznutzung und deren Vermarktung.<br />

20<br />

21<br />

22<br />

in: Freiburger Diöcesan-Ar<strong>ch</strong>iv 8 (1874), 3–101, 3–5; Ulf Dirlmeier: Untersu<strong>ch</strong>ungen<br />

zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeuts<strong>ch</strong>en<br />

Städte des Spätmittelalters (Mitte 14. bis Anfang 16. Ja<strong>hr</strong>hundert), Heidelberg<br />

1978, 255, 418.<br />

Vgl. Z VII, Nr. 175 (J. Nepos an H. Zwingli, ca. 21. März 1521). P[ercy] S[tafford]<br />

Allen u. a. (Hg.): Opus epistolarum Des. Erasmi Roterdami, 12 Bde., Oxford 1906–<br />

1958, Bd. 5, Nr. 1248 (Erasmus an M. S<strong>ch</strong>inner, 14. Dezember 1521); Nr. 1258<br />

(Erasmus an M. Davidts, 9. Februar 1522).<br />

Z X, Nr. 800 (L. Danner an H. Zwingli, 19. Januar 1529).<br />

Gleitsmann, Ressourcenproblematik (wie Anm. 12), 120–135.


70<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

2. «kunst unnd gottesgab»<br />

Der in der frühen Neuzeit vermutli<strong>ch</strong> mit einem hohen Aufmerksamkeitswert<br />

versehene Neologismus ‹Holtzsparkunst› verbindet die Zentralressource<br />

‹Holz› mit der ‹Sparsamkeit› als einer Kardinaltugend aller<br />

‹guten Policey und Oeconomie› 23 . Der Wortteil kunst (ars) verheisst zudem<br />

ein innovatives te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>es Wissen und Können, 24 das die gottgegebene<br />

Holznot zu wenden, wenn ni<strong>ch</strong>t gar zu «überlisten» 25 vermag.<br />

Glei<strong>ch</strong>zeitig meint kunst das «te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Hilfsmittel und Sa<strong>ch</strong>system»<br />

selbst, und dies in einem dur<strong>ch</strong>aus modernen, konkret-instrumentellen<br />

Sinne. 26<br />

Auf unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Weise geben die Zeitgenossen der ‹nüw erfundnen<br />

khunst deß holtzsparens› i<strong>hr</strong>er Ahnung um die grundsätzli<strong>ch</strong>e<br />

Di<strong>ch</strong>otomie von ars und natura Ausdruck. Patentgebende Gremien neigen<br />

dazu, die «nova inventa» religiös zu legitimieren. 27 So versi<strong>ch</strong>ern die<br />

Obrigkeiten von Strassburg und Züri<strong>ch</strong> im Ingress i<strong>hr</strong>er Privilegien, es<br />

habe der Erfinder<br />

uß sonderer verlyhung vnd gnaden des alme<strong>ch</strong>tigen ein söli<strong>ch</strong> kunst erfunden, das<br />

in einheitzung der stuben und ko<strong>ch</strong>en [!] ungeuarli<strong>ch</strong> der halb theil holtzes […]<br />

erspart […] werden mag. 28<br />

Au<strong>ch</strong> der Winterthurer C<strong>hr</strong>onist Ulri<strong>ch</strong> Meyer (1502–1576/77) sieht in<br />

der Holzsparkunst einen Beweis für die «groß wunderbarli<strong>ch</strong> alme<strong>ch</strong>tig-<br />

23<br />

24<br />

25<br />

26<br />

27<br />

28<br />

Vgl. Paul Mün<strong>ch</strong>: Ordnung, Fleiss und Sparsamkeit. Texte und Dokumente zur<br />

Entstehung der «bürgerli<strong>ch</strong>en Tugenden», Mün<strong>ch</strong>en 1984, passim.<br />

Vgl. Matthias Lexer: Mittelho<strong>ch</strong>deuts<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong>, 3 Bde., Leipzig 1872–<br />

1878, Bd. 1, 1780–1782 (kunst).<br />

Petrus Dasypodius: Dictionarium Latinogermanicum, 9. Aufl. (?), Strassburg 1559<br />

[ohne Paginierung]: «Ars: Kunst, listigkeyt. Artifex: Ein ku nstler oder handwercks<br />

man».<br />

Vgl. Wilfried Seibicke: Te<strong>ch</strong>nik, Versu<strong>ch</strong> einer Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Wortfamilie um<br />

in Deuts<strong>ch</strong>land vom 16. Ja<strong>hr</strong>hundert bis etwa 1830, Düsseldorf 1968, 276f.<br />

Vgl. die expliziten c<strong>hr</strong>istli<strong>ch</strong>en Deutungsmuster bezügli<strong>ch</strong> der zeitgenössis<strong>ch</strong>en<br />

Mas<strong>ch</strong>inente<strong>ch</strong>nik bei Johann Mathesius: Sarepta oder Bergpostill, Nürnberg 1562,<br />

Vorrede aiij v –aviij r . Zur Thematik immer no<strong>ch</strong> wegleitend: Ansgar Stöcklein: Leitbilder<br />

der Te<strong>ch</strong>nik. Biblis<strong>ch</strong>e Tradition und te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>er Fortsc<strong>hr</strong>itt, Mün<strong>ch</strong>en 1969.<br />

ZBZH, Ms. S 89, 94 (29. Juni 1555).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 71<br />

keitt Gottes, die er würckett im mens<strong>ch</strong>en vnd dur<strong>ch</strong> inn, das semli<strong>ch</strong>e<br />

kunst zur letsten zitt [neuli<strong>ch</strong>] erfunden ist worden.» 29<br />

Anders und nü<strong>ch</strong>terner der Bieler C<strong>hr</strong>onist Bendi<strong>ch</strong>t Re<strong>ch</strong>berger<br />

(1509–1566), wel<strong>ch</strong>er der «nüwen holtzersparungskunst» die ewige<br />

Kunst Gottes gegenüber stellt: «Aber die vralty kunst von gott ers<strong>ch</strong>affen<br />

fartt für vnd fältt nitt» 30 .<br />

Die Konkretisierung des Abstraktums kunst im Sinne von Mas<strong>ch</strong>ine<br />

(Pumpwerk) etablierte si<strong>ch</strong> gegen Ende des 13. Ja<strong>hr</strong>hunderts im Bergbau<br />

31 und bereitete die im letzten Drittel des 16. Ja<strong>hr</strong>hunderts vollzogene<br />

dauerhafte Verbindung von kunst qua Kü<strong>ch</strong>enherd bzw. Stubenofen vor,<br />

wie sie Friedri<strong>ch</strong> Staub, der Mitbegründer des S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Idiotikons,<br />

1877 an einem s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Beispiel aus dem Ja<strong>hr</strong>e 1557 ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong><br />

illustriert hat. 32 Das Spektrum der zwis<strong>ch</strong>en 1555 und 1560<br />

auftau<strong>ch</strong>enden Neologismen ist breit: Mit «ars de parcendis lignis in<br />

coquendo ac calefaciendo conclavia» bietet der Arzt und poeta laureatus<br />

Mi<strong>ch</strong>ael Toxites s<strong>ch</strong>on 1556 eine griffige Terminologie. 33<br />

29<br />

30<br />

31<br />

32<br />

33<br />

Ulri<strong>ch</strong> Meyer: Winterthurer C<strong>hr</strong>onik 1540–1573, Stadtbibliothek Winterthur Ms.<br />

4° 102, 94 r –95 r , 95 r . Transkription des Holzspar-Abs<strong>ch</strong>nitts bei: G[ustav] Geilfus:<br />

Lose Blätter aus der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von Winterthur, 4 Teile in 1 Bd., Winterthur 1867–<br />

1871, Teil 3, 34f.; F[riedri<strong>ch</strong>] Staub: Ein s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>-alemannis<strong>ch</strong>es Lautgesetz,<br />

in: Fromanns Deuts<strong>ch</strong>e Mundarten 7 (NF 1) (1877), 18–36, 191–207, 333–389,<br />

201f. Herrn Prof. Dr. Max S<strong>ch</strong>iendorfer danke i<strong>ch</strong> für die freundli<strong>ch</strong>e Überlassung<br />

der entspre<strong>ch</strong>enden Digitalisate. Zu Ulri<strong>ch</strong> Meyer vgl. Georg von Wyss: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

der Historiographie in der S<strong>ch</strong>weiz, Züri<strong>ch</strong> 1895, 221f. «kunst unnd gottesgab»<br />

(Kft. Ottheinri<strong>ch</strong> v. d. Pfalz an Kft. August v. Sa<strong>ch</strong>sen, 1. Oktober 1556), zitiert<br />

na<strong>ch</strong> Hoffmann, Beiträge (wie Anm. 8), 92.<br />

Bendi<strong>ch</strong>t Re<strong>ch</strong>berger: Bieler C<strong>hr</strong>onik, StadtA Biel, CCXLIX, Nr. 12, 111f. An dieser<br />

Stelle sei der Stadtar<strong>ch</strong>ivarin, Frau lic. phil. Chantal Greder-Fournier, für i<strong>hr</strong>e<br />

freundli<strong>ch</strong>e und kenntnisrei<strong>ch</strong>e Hilfestellung herzli<strong>ch</strong> gedankt. Zu Re<strong>ch</strong>berger und<br />

seiner C<strong>hr</strong>onik vgl. Werner Bourquin u. Walter Bourquin: Biel. Stadtges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es<br />

Lexikon, 2. Aufl., Biel 2008, 320.<br />

Marcus Popplow: Neu, nützli<strong>ch</strong>, erfindungsrei<strong>ch</strong>. Die Idealisierung von Te<strong>ch</strong>nik in<br />

der frühen Neuzeit, Münster u. a. 1998, 22.<br />

Staub, Lautgesetz (wie Anm. 29), 201f. Die etymologis<strong>ch</strong>e Herleitung von kunst<br />

qua Herd von (ustrina) findet si<strong>ch</strong> nur no<strong>ch</strong> in der älteren Literatur, vgl.<br />

Franz Joseph Stalder: Versu<strong>ch</strong> eines s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Idiotikon, 2 Bde., Aarau<br />

1812, Bd. 2, 144.<br />

«Kunst Holz zu sparen beim Ko<strong>ch</strong>en und Heizen», StAZH E II 345, 421 (M. Toxites<br />

an H. Bullinger, 24. September 1556). Zu Toxites: Herbert Jaumann: Handbu<strong>ch</strong><br />

Gele<strong>hr</strong>tenkultur der Frühen Neuzeit, bisher 1 Bd., Berlin u. a. 2004, 663 (Lit.).


72<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

An zeitgenössis<strong>ch</strong>en Synonymen bilden si<strong>ch</strong> heraus: kunst des holzsparens,<br />

holtz(er)spar(ungs)kunst, holtzsparung (lignorum parsimonia,<br />

, xylophidia, ), ars focaria der holtzsparkunst,<br />

oder au<strong>ch</strong> nur holtzkunst (ars lignaria). 34 Die Erfinder gelten als holtzku<br />

nstler, i<strong>hr</strong> Produkt sind die nüw kunstöffen, lignaria fornaces, bzw. das<br />

organum hypocausticum, coquinarium, pistorium oder lignaria fornaces.<br />

Se<strong>hr</strong> viel seltener meint kunst das neue Verfa<strong>hr</strong>en (ignaria ratio). So hat<br />

der C<strong>hr</strong>onist Meyer «no<strong>ch</strong> nie […] kein offen gese<strong>ch</strong>en, dar inn dise<br />

künst probiertt sige worden» 35 .<br />

Die Amalgamierung von <strong>ch</strong>unst und Herd (Abb. 4) war in der deuts<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>weiz eine derart gründli<strong>ch</strong>e, dass die alte abstrakte Wortbedeutung<br />

hier «teilweise erst dur<strong>ch</strong> die Sc<strong>hr</strong>iftspra<strong>ch</strong>e wieder vermittelt wurde»<br />

36 . Entgegen der Darstellung in Grimms Deuts<strong>ch</strong>em Wörterbu<strong>ch</strong><br />

1873 37 blieb die furnologis<strong>ch</strong>e Konnotation des Wortes ni<strong>ch</strong>t nur auf die<br />

S<strong>ch</strong>weiz besc<strong>hr</strong>änkt. In den hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Absatzgebieten der neuen<br />

Heizte<strong>ch</strong>nologie, d. h. in weiten Teilen der deuts<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>weiz, in Baden-Württemberg,<br />

im Elsass, in Bayern, in der Pfalz, in Deuts<strong>ch</strong>-Lot<strong>hr</strong>ingen<br />

und im Vorarlberg bezei<strong>ch</strong>nete die <strong>ch</strong>unst (<strong>ch</strong>ôst, <strong>ch</strong>oust, <strong>ch</strong>ûst,<br />

au<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>oustli, <strong>ch</strong>üüstli) bis weit ins 20. Ja<strong>hr</strong>hundert a) den Kü<strong>ch</strong>enherd,<br />

b) den dur<strong>ch</strong> das Kü<strong>ch</strong>enfeuer beheizten Stubenofen (daher oft der<br />

<strong>ch</strong>oust) mit Sitzgelegenheit oder c) den Ofentritt. Zahlrei<strong>ch</strong> sind die<br />

Komposita (kunstherd, k.lo<strong>ch</strong>, k.ring, k.ro<strong>hr</strong>, etc.). 38<br />

34<br />

35<br />

36<br />

37<br />

38<br />

Der Begriff Holtzkunst blieb offenbar ein «völlig deuts<strong>ch</strong>er Gegenstand». Jedenfalls<br />

vermo<strong>ch</strong>te der französis<strong>ch</strong>e Übersetzer von J. Hallers Ephemeriden in der «ars<br />

lignaria» ni<strong>ch</strong>ts anderes als «la science de la baguette devinatoire» zu sehen, vgl.<br />

Spicilège ou extrait anecdotique des ephémèrides de Jean Haller, Doyen de Berne,<br />

in: Le Conservateur Suisse 11 (1829), 357–372, 369.<br />

Meyer, Winterthurer C<strong>hr</strong>onik (wie Anm. 29), 95 r .<br />

Friedri<strong>ch</strong> Staub, Ludwig Tobler u. a.: Wörterbu<strong>ch</strong> der s<strong>ch</strong>weizerdeuts<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e,<br />

bisher 16 Bde., Frauenfeld 1881–2009 (im Folgenden: S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Idiotikon),<br />

Bd. 3, 367–369, 368.<br />

DWb 11, 2667–2684.<br />

S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Idiotikon 3, 367–369; Ernst O<strong>ch</strong>s u. a. (Hg.): Badis<strong>ch</strong>es Wörterbu<strong>ch</strong>,<br />

bisher 5 Bde., La<strong>hr</strong> 1925–2000, Bd. 3, 329; Hermann S<strong>ch</strong>illi: Das S<strong>ch</strong>warzwaldhaus,<br />

Stuttgart 1955, 62–65; Adelbert v. Keller u. a. (Hg.): S<strong>ch</strong>wäbis<strong>ch</strong>es<br />

Wörterbu<strong>ch</strong>, 7 Bde., Tübingen 1904–1936, Bd. 4, 854f.; Ernst Martin u. a. (Hg.):<br />

Wörterbu<strong>ch</strong> der elsässis<strong>ch</strong>en Mundarten, 2 Bde., Strassburg 1899, Bd. 1, 451b–<br />

453a; Johann S<strong>ch</strong>meller u. a. (Hg.): Bayeris<strong>ch</strong>es Wörterbu<strong>ch</strong>, 2 Bde., 2. Aufl.,<br />

Stuttgart 1872–1877, Bd. 1, 1266; Ernst C<strong>hr</strong>istmann u. a. (Hg.): Pfälzis<strong>ch</strong>es Wör-


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 73<br />

Abb. 4: Emmentaler Bauernstube<br />

mit Chunst und<br />

Fuulbett.<br />

«Bloß vom Ko<strong>ch</strong>en, also<br />

von der Chunst der Kü<strong>ch</strong>e<br />

her einigermaßen erwärmt<br />

und daher bisweilen selber<br />

Chunst oder au<strong>ch</strong> ‹Kunstofen›<br />

genannt, leistet der<br />

untere Ofenteil in der äußern<br />

Stube seine besonders<br />

ausdauernden und lei<strong>ch</strong>t zu<br />

erlangenden Dienste.» 39<br />

3. Der Konstanzer Holzspar-Cluster<br />

3.1. «Konstanz, o weh, am Bodensee …»<br />

39<br />

40<br />

Neuere Te<strong>ch</strong>niktheorien gehen ni<strong>ch</strong>t me<strong>hr</strong> vom Konzept des individuellen<br />

Erfinders aus, sondern vielme<strong>hr</strong> von einem kontinuierli<strong>ch</strong>en Variationsprozess,<br />

der die bestehenden Te<strong>ch</strong>nologien den si<strong>ch</strong> graduell verändernden<br />

sozialen Kontextbedingungen anpasst: «Au<strong>ch</strong> eine neue<br />

Te<strong>ch</strong>nik, die im Na<strong>ch</strong>hinein als revolutionäre Erfindung bezei<strong>ch</strong>net wird,<br />

ist emergentes Produkt dieses Prozesses der kleinteiligen Variation» 40 .<br />

Diese allgemeine Feststellung trifft mit hoher Wa<strong>hr</strong>s<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit au<strong>ch</strong><br />

auf die Mitte der 1550er Ja<strong>hr</strong>e in Ers<strong>ch</strong>einung tretende «nüwe holtzkunst»<br />

zu, deren Entwicklung, Finanzierung und europaweite Vermarkterbu<strong>ch</strong>,<br />

6 Bde., Wiesbaden u. a. 1965–1997, Bd. 5, 228; Ferdinand Follmann<br />

(Hg.): Wörterbu<strong>ch</strong> der deuts<strong>ch</strong>-lot<strong>hr</strong>ingis<strong>ch</strong>en Mundarten, Leipzig 1909, 320a–<br />

321a.<br />

Emanuel Friedli: Bärndüts<strong>ch</strong> als Spiegel bernis<strong>ch</strong>en Volkstums, 8 Bde., Bern<br />

1905–1927, Bd. 1: Lützelflüh, 228, 231.<br />

Helmut Bremer u. Andrea Lange-Vester: Soziale Milieus und Wandel der Sozialstruktur.<br />

Die gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Herausforderungen und die Strategien der sozialen<br />

Gruppen, Wiesbaden 2006, 190.


74<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

tung einem we<strong>ch</strong>selseitig verwandten oder befreundeten Cluster von<br />

Konstanzern im Exil zugeordnet werden kann (Abb. 5).<br />

Abb. 5: Die Hauptakteure des Holzspar-Konsortiums Frommer & Zwick in i<strong>hr</strong>en Ges<strong>ch</strong>äftsbeziehungen<br />

1554–1576. 41<br />

Wegen i<strong>hr</strong>er herois<strong>ch</strong>en Weigerung, si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem verlorenen S<strong>ch</strong>malkaldis<strong>ch</strong>en<br />

Krieg dem Augsburger Interim zu unterwerfen, war die dur<strong>ch</strong><br />

Fernhandel begüterte Freie Rei<strong>ch</strong>sstadt Konstanz mit der Rei<strong>ch</strong>sa<strong>ch</strong>t und<br />

einem Embargo belegt worden. 42 Am 13. Oktober 1548 musste sie kapi-<br />

41<br />

42<br />

Quellen: Blarer BW; Literatur (vgl. die jeweiligen Namenregister): Ri<strong>ch</strong>ard E<strong>hr</strong>enberg:<br />

Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Creditverke<strong>hr</strong> im 16. Ja<strong>hr</strong>hundert,<br />

2 Bde., Jena 1896; Ascan Westermann: Die Zahlungseinstellung der Handlungsgesells<strong>ch</strong>aft<br />

der Gebrüder Zangmeister zu Memmingen 1560, in: VSWG 6 (1908),<br />

460–516; Aloys S<strong>ch</strong>ulte: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Großen Ravensburger Handelsgesells<strong>ch</strong>aft,<br />

3 Bde., Stuttgart u. a. 1923; Friedri<strong>ch</strong> Wielandt: Das Konstanzer Leinengwerbe,<br />

2 Bde., Konstanz 1950/1953; Anne Brückner: Das Ges<strong>ch</strong>äftsbu<strong>ch</strong> des Konstanzer<br />

Tu<strong>ch</strong>händlers Peter Kintzer aus den Ja<strong>hr</strong>en 1554–1566, in: Sc<strong>hr</strong>iften des<br />

Vereins für die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Bodensees 109 (1991), 21–92; Frank Göttmann,<br />

Andreas Nutz (Hg.): Die Firma Felix und Jakob Grimmel zu Konstanz und Memmingen.<br />

Quellen und Materialien zu einer oberdeuts<strong>ch</strong>en Handelsgesells<strong>ch</strong>aft aus<br />

der Mitte des 16. Ja<strong>hr</strong>hunderts, Stuttgart 1999.<br />

Anton Maurer: Der Übergang der Stadt Konstanz an das Haus Österrei<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem<br />

s<strong>ch</strong>malkaldis<strong>ch</strong>en Kriege (Diss. phil. Basel), Frauenfeld 1904.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 75<br />

tulieren und «spanis<strong>ch</strong> lernen» 43 . Wä<strong>hr</strong>end die Stadt mit dem Verlust der<br />

Rei<strong>ch</strong>sunmittelbarkeit bestraft wurde, sahen si<strong>ch</strong> die politis<strong>ch</strong>-religiösen<br />

Fü<strong>hr</strong>ungsspitzen 44 der dur<strong>ch</strong> sc<strong>hr</strong>iftgemässe Predigt, Kir<strong>ch</strong>enzu<strong>ch</strong>t und<br />

einen rei<strong>ch</strong>en Lieders<strong>ch</strong>atz weit ausstrahlenden Reformation zum Exil<br />

gezwungen. Unter all jenen, «denen unser C<strong>hr</strong>istli<strong>ch</strong>e religion und ri<strong>ch</strong>sfrihait<br />

lieber was dan unser vatterland, huß und hof, hab und gut» 45 , befanden<br />

si<strong>ch</strong> mit i<strong>hr</strong>en Familien die Brüder Ambrosius und Thomas Blarer,<br />

deren Vetter Konrad Zwick und der junge Prädikant Jakob Funcklin.<br />

Abb. 6: Planvedute der Stadt Biel. Holzs<strong>ch</strong>nitt von Heinri<strong>ch</strong> Vogtherr d.<br />

Ä. (?), um 1547/48. 46<br />

3.2. Jakob Funcklin (1522/23–1565)<br />

Als Sohn des früh verstorbenen Stadtsc<strong>hr</strong>eibers Jakob Funcklin, aufgewa<strong>ch</strong>sen<br />

im reformatoris<strong>ch</strong>en Umfeld der politis<strong>ch</strong>-geistigen Fü<strong>hr</strong>ungss<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t<br />

seiner Heimatstadt Konstanz, wirbt s<strong>ch</strong>on der zehnjä<strong>hr</strong>ige (Jo-<br />

43<br />

44<br />

45<br />

46<br />

Emil Bloes<strong>ch</strong>: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>-reformierten Kir<strong>ch</strong>en, 2 Bde., Bern<br />

1898–1899, Bd. 1, 313.<br />

Hans Rudolf Lavater: Regnum C<strong>hr</strong>isti etiam externum. Huldry<strong>ch</strong> Zwinglis Brief<br />

vom 4. Mai 1528 an Ambrosius Blarer in Konstanz, in: Zwa 15 (1981), 338–381<br />

(Lit.).<br />

ZBZH, Ms. A 83, 165 r (Gregor Mangolt: Konstanzer C<strong>hr</strong>onik). Die transkribierte<br />

Exulantenliste verdanke i<strong>ch</strong> Herrn Pfr. Dr. h. c. Alfred Vögeli †, Frauenfeld.<br />

Abbildung aus Johannes Stumpf: Gemeiner lobli<strong>ch</strong>er Eydgnos<strong>ch</strong>aft Stetten, Landen<br />

vnd Völckeren C<strong>hr</strong>onickwirdiger thaaten besc<strong>hr</strong>eybung, 2 Bde., Züri<strong>ch</strong> 1547–1548,<br />

Bd. 2, 267 v , vgl. Bourquin, Biel (wie Anm. 30), 435.


76<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

hann) Jakob Funcklin 47 in treuherzigem Latein um die Freunds<strong>ch</strong>aft<br />

Ambrosius Blarers, dem er «lieber als ein Sohn» werden wird. Na<strong>ch</strong> dem<br />

Besu<strong>ch</strong> der Konstanzer Lateins<strong>ch</strong>ule (Lopadius) studiert Funcklin 1536–<br />

1541 in Basel (Grynäus), Tübingen, Strassburg (Dasypodius) und Isny<br />

(Fagius). Anfang 1542 heiratet er die vermögende Konstanzerin Anna<br />

Grützer, die ihm vier Tö<strong>ch</strong>ter s<strong>ch</strong>enken wird. Als Blarers Famulus lernt<br />

der junge Funcklin die Fü<strong>hr</strong>er der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>-oberdeuts<strong>ch</strong>en Reformation<br />

persönli<strong>ch</strong> kennen. Weiterhin unterhält er die in Isny begründete<br />

Privatburse für die zahlrei<strong>ch</strong>en jungen Söhne der Familien Blarer und<br />

Zwick. Im November 1542 avanciert er zum vierten der neun Konstanzer<br />

Stadtpfarrer, an deren Spitze Ambrosius Blarer stand. Na<strong>ch</strong> der Katastrophe<br />

von 1548 findet Funcklin mit Familie und S<strong>ch</strong>ützlingen Zuflu<strong>ch</strong>t in<br />

St. Gallen. Au<strong>ch</strong> das Pfarramt Tägerwilen, das er seit Frühja<strong>hr</strong> 1549 versieht,<br />

erweist si<strong>ch</strong> als Dur<strong>ch</strong>gangsstation auf dem Weg in den zweiten<br />

Lebensabs<strong>ch</strong>nitt. In den ersten Tagen des Ja<strong>hr</strong>es 1550 errei<strong>ch</strong>t ihn aus<br />

Biel am Jura die Einladung zur Präsentation. Der Lokalc<strong>hr</strong>onist Re<strong>ch</strong>berger<br />

notiert:<br />

Ist also har komen her Jacob Fünklÿ, bürtig von Costentz, für einen predicanten<br />

angnomen vff dem 7. tag Jenners; mornendes sin erstÿ predig gethon. 48<br />

Die seit Konstanz sistierten literaris<strong>ch</strong>en Aktivitäten hat Funcklin trotz<br />

zunehmender Amtsbürden als Pfarrer, Chorri<strong>ch</strong>ter und S<strong>ch</strong>ulherr se<strong>hr</strong><br />

bald wieder aufgenommen. Im August 1550 bringt er zusammen mit<br />

Bieler Bürgern seine Tragœdi von dem Ry<strong>ch</strong>en Mann vnd armen Lazaro<br />

zur Auffü<strong>hr</strong>ung. Dem gemeindekate<strong>ch</strong>etis<strong>ch</strong> motivierten Primeur sollten<br />

si<strong>ch</strong> bis März 1565 ni<strong>ch</strong>t weniger als 16 weitere aktenkundige Inszenierungen<br />

ans<strong>ch</strong>liessen. Seit Ende August 1551 mit dem geistli<strong>ch</strong>en Nä<strong>hr</strong>vater<br />

Ambrosius Blarer wiedervereint, der auf Ersu<strong>ch</strong>en und Betreiben<br />

47<br />

48<br />

Vgl. neuerdings Max S<strong>ch</strong>iendorfer: Die Bühne als Kanzel. Der Bieler Prädikant<br />

und Dramatiker Jakob Funcklin (1522/23–1565), in: Nova Acta Paracelsica NF<br />

22/23 (2008/09), 151–174 (Lit.). Herr Prof. Dr. Max S<strong>ch</strong>iendorfer gewä<strong>hr</strong>te mir zudem<br />

freien Einblick in den umfangrei<strong>ch</strong>en biografis<strong>ch</strong>en Teil seiner in Entstehung<br />

begriffenen Gesamtausgabe der Werke Funcklins, wofür i<strong>ch</strong> ihm se<strong>hr</strong> herzli<strong>ch</strong> danke.<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene willkommene Materialien zu Funcklin überliess mir in verdankenswerter<br />

Weise Frau Dr. Margrit Wick-Werder, Biel.<br />

Re<strong>ch</strong>berger, C<strong>hr</strong>onik (wie Anm. 30), 76.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 77<br />

der Bieler Obrigkeit die zweite Praedikatur versieht, 49 wä<strong>hr</strong>end Funcklin<br />

das Dekanat übertragen wird, errei<strong>ch</strong>t das na<strong>ch</strong> Konstanzer Vorbild reorganisierte<br />

c<strong>hr</strong>istli<strong>ch</strong>e Gemeinwesen am Südfuss des Jura in geistiger<br />

Verbindung mit Calvin und regem Austaus<strong>ch</strong> mit den bena<strong>ch</strong>barten Kollegen<br />

Farel, Viret und Beza seine hohe reformatoris<strong>ch</strong>e Blüte. Alten<br />

Konstanzer Geist atmen namentli<strong>ch</strong> die von Bullinger und Haller glei<strong>ch</strong>ermassen<br />

getadelte Zu<strong>ch</strong>tordnung von 1552 sowie der auf der Grundlage<br />

des erweiterten Konstanzer Nüw gesangbü<strong>ch</strong>le 1540 und einiger erst<br />

in den 1560er Ja<strong>hr</strong>en publizierter geistli<strong>ch</strong>er Lieder Funcklins eingefü<strong>hr</strong>te<br />

Gemeindegesang.<br />

Na<strong>ch</strong> Blarers Weggang Ende August 1559 beteiligt si<strong>ch</strong> Funcklin<br />

als federfü<strong>hr</strong>ender (Co-) Autor der revidierten Chor- und Ehegeri<strong>ch</strong>tssatzung<br />

1559/60, der Synodalstatuten 1562 und der S<strong>ch</strong>ulordnung 1564/65.<br />

Seit Herbst 1559 verwitwet, vermählt er si<strong>ch</strong> im Sommer 1560 mit Anna<br />

Jeger, der i<strong>hr</strong>erseits verwitweten S<strong>ch</strong>wester des angesehenen Bieler Ratsherrn<br />

Heinri<strong>ch</strong> Jeger, die zwei Tö<strong>ch</strong>ter in die Ehe bringt. Anfang 1564<br />

errei<strong>ch</strong>en die Spitzen des besonders aggressiven Pestzuges, der s<strong>ch</strong>on<br />

1563 aus dem Elsass und der Lombardei in die S<strong>ch</strong>weiz vorgedrungen<br />

war, au<strong>ch</strong> Biel. 50 Dem C<strong>hr</strong>onisten Re<strong>ch</strong>berger zufolge sterben hier bis<br />

Mitte 1566 insgesamt 640 Personen, unter ihnen am 3. November 1565<br />

au<strong>ch</strong> der «wolgelertt herr Jacob Fünckly» 51 .<br />

3.3. Konrad Zwick (1500–1557)<br />

Anders als sein jüngerer und bekannterer Bruder Johannes hat Konrad<br />

Zwick bisher no<strong>ch</strong> keinen Biografen gefunden. 52 Na<strong>ch</strong> Studien in Freiburg<br />

(«medicus») und Bologna (stud. iur.), 1525 Grossrat, 1526–1548<br />

Kleinrat. Von Beruf Kaufmann, mit Beteiligung an vers<strong>ch</strong>iedenen Han-<br />

49<br />

50<br />

51<br />

52<br />

Vgl. Rudolf Pfister: Ambrosius Blarer in der S<strong>ch</strong>weiz 1548–1564, in: Der Konstanzer<br />

Reformator Ambrosius Blarer 1492–1564. Gedenksc<strong>hr</strong>ift zu seinem 400.<br />

Todestag, hg. v. Bernd Moeller, Konstanz u. a. 1964, 205–227 (revisionsbedürftig).<br />

Markus Mattmüller: Bevölkerungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der S<strong>ch</strong>weiz, 2 Bde., Basel 1987, Bd.<br />

1, 228–236 (Lit.).<br />

Re<strong>ch</strong>berger, C<strong>hr</strong>onik (wie Anm. 30), 147f.<br />

Vgl. Bernd Moeller: Johannes Zwick und die Reformation in Konstanz, Gütersloh<br />

1961 (QFRG 28) (Lit.); Jörg Vögeli (Hg.): Sc<strong>hr</strong>iften zur Reformation in Konstanz<br />

1519–1538, 3 Bde., Tübingen u. a. 1972–1973 (SKRG 39–41), Bd. 2/2, 1222–1224<br />

(biografis<strong>ch</strong>e Skizze).


78<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

delsgesells<strong>ch</strong>aften (Abb. 5), verheiratet mit Amalia Muntprat, me<strong>hr</strong>ere<br />

Söhne. Neben seinem Vetter («consobrinus»), dem Bürgermeister und<br />

Rei<strong>ch</strong>svogt Thomas Blarer, fü<strong>hr</strong>ender Aussenpolitiker und Gesandter des<br />

reformatoris<strong>ch</strong>en Konstanz von zuweilen prophetis<strong>ch</strong>-herbem Ton. Innenpolitis<strong>ch</strong><br />

profiliert si<strong>ch</strong> Konrad Zwick vor allem dur<strong>ch</strong> die Erarbeitung<br />

und Dur<strong>ch</strong>setzung der Konstanzer Zu<strong>ch</strong>tordnung 1531. 53<br />

Na<strong>ch</strong> dem Fall von Konstanz findet Konrad Zwick seit Spätherbst<br />

1548 Zuflu<strong>ch</strong>t auf dem Landgut Ro<strong>hr</strong> bei Fällanden in der Vogtei Greifensee.<br />

Unter die «perpetuo conscripti» gezählt und zur Maximalbusse<br />

von 1’000 Gulden unter Bes<strong>ch</strong>lagnahme der Güter verurteilt, beginnt für<br />

die exilierten Vettern Blarer und Zwick eine s<strong>ch</strong>wierige Zeit der ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Unsi<strong>ch</strong>erheit, 54 obs<strong>ch</strong>on es an s<strong>ch</strong>önen Beweisen der Solidarität<br />

ni<strong>ch</strong>t fehlt:<br />

Kann i<strong>ch</strong> Deinem Bruder, der fast sein ganzes Vermögen verloren haben soll, oder<br />

Zwick dienen, so mögen sie über mi<strong>ch</strong> gebieten, 55<br />

sc<strong>hr</strong>eibt der Freund aller Exulanten, Heinri<strong>ch</strong> Bullinger, an Ambrosius<br />

Blarer. No<strong>ch</strong> 1557 erinnert Thomas Blarer den Bruder an die symbiotis<strong>ch</strong>e<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft mit Konrad Zwick und an das anspru<strong>ch</strong>svolle Ethos,<br />

das beide im Dienst am c<strong>hr</strong>istli<strong>ch</strong>en Gemeinwesen beseelte:<br />

Diese strenge Gesinnung veranlaßte mi<strong>ch</strong>, mit dem Genossen in der Leitung des<br />

Staatswesens au<strong>ch</strong> in Privatsa<strong>ch</strong>en zusammenzugehen, und hat mi<strong>ch</strong> in S<strong>ch</strong>aden<br />

gestürzt, besonders dur<strong>ch</strong> die Verbindung mit Hatzenberg, die er ausgesonnen hatte,<br />

damit wir uns der c<strong>hr</strong>istli<strong>ch</strong>en Gestaltung der Stadt widmen und die Sorge für<br />

das Vermögen andern übertragen könnten, deren Treue glei<strong>ch</strong>en Gewinn verspra<strong>ch</strong>,<br />

wie i<strong>hr</strong> Trug S<strong>ch</strong>aden bra<strong>ch</strong>te: Bernbecius und Holzeius meine i<strong>ch</strong>; […] So hängt<br />

no<strong>ch</strong> ein großer Teil meines Besitzes von Zwicks Erfolg ab. 56<br />

Im Rahmen unserer Untersu<strong>ch</strong>ung muss dieser Briefabs<strong>ch</strong>nitt genügen,<br />

um die makroökonomis<strong>ch</strong>e Situation zu illustrieren, in der si<strong>ch</strong> die meisten<br />

oberdeuts<strong>ch</strong>en Handelshäuser unter den Bedingungen des Frühkapi-<br />

53<br />

54<br />

55<br />

56<br />

Fritz Hauss: Zu<strong>ch</strong>tordnung der Stadt Konstanz 1531, La<strong>hr</strong> 1931.<br />

Davon zeugen um die 180 Abs<strong>ch</strong>nitte im Blarer-Briefwe<strong>ch</strong>sel zwis<strong>ch</strong>en Herbst<br />

1548 (Blarer BW 2, Nr. 1582) und Frühja<strong>hr</strong> 1566 (Blarer BW 3, Nr. 2655).<br />

Blarer BW 3, Nr. 1582 (H. Bullinger an A. Blarer, 20. Oktober 1548).<br />

Blarer BW 3, Nr. 2090 (T. Blarer an A. Blarer, 4. März 1557).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 79<br />

talismus befanden: 57 a) Übli<strong>ch</strong> war die Kapitalbes<strong>ch</strong>affung vorzugsweise<br />

im Kreis von Familienangehörigen, Freunden und Mitarbeitern des Unternehmens.<br />

b) Allenthalben ging die markante Zunahme der Kreditvolumina<br />

mit einer von überhöhten Agrar- und Landpreisen mit verursa<strong>ch</strong>ter<br />

Inflation einher. c) Das sol<strong>ch</strong>ermassen angeheizte Klima des Wu<strong>ch</strong>ers<br />

und der hektis<strong>ch</strong>en Spekulation verleitete viele zu unrealistis<strong>ch</strong>en Hoffnungen<br />

und unbeda<strong>ch</strong>ten Geldanlagen.<br />

Im letzten Lebensdrittel befasste si<strong>ch</strong> Konrad Zwick beharrli<strong>ch</strong><br />

und verbissen mit einer «kriegskunst» und einer «holtzsparkunst», was<br />

zum «phantastis<strong>ch</strong>en Kopf» 58 und zur zeitweiligen Melan<strong>ch</strong>olie, 59 von<br />

der die Freunde wussten, zu passen s<strong>ch</strong>eint. Was anfängli<strong>ch</strong> den Ans<strong>ch</strong>ein<br />

der «Liebhaberei» 60 hatte, konnte unter gewandelten Bedingungen<br />

dur<strong>ch</strong>aus zum ernsthaften Einsatz kommen: die Kriegskunst im S<strong>ch</strong>malkaldis<strong>ch</strong>en<br />

Krieg (1546/48) bei der gegebenenfalls notwendigen militäris<strong>ch</strong>en<br />

Verteidigung des Reformationswerks, die Holzsparkunst im Exil<br />

zur Aufbesserung der familiären Finanzen.<br />

Bei den Täufern soll Konrad Zwick zuletzt «seine spirituelle Heimat»<br />

gefunden haben. 61 No<strong>ch</strong> bevor er seine Erfindungen finanziell ver-<br />

57<br />

58<br />

59<br />

60<br />

61<br />

Vgl. Otto Sigg: Konkurs und Wu<strong>ch</strong>er in der Stadt und Lands<strong>ch</strong>aft Züri<strong>ch</strong> um 1570.<br />

Zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Frühkapitalismus, in: Zür<strong>ch</strong>er Tas<strong>ch</strong>enbu<strong>ch</strong> NF 102 (1982),<br />

13–25; Wolfgang Reinhard: Oligar<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Verfle<strong>ch</strong>tung und Konfession in oberdeuts<strong>ch</strong>en<br />

Städten, in: Klientelsysteme im Europa der Frühen Neuzeit, hg. v. Antoni<br />

Maczak, Mün<strong>ch</strong>en 1988, 47–62; Franz Mathis: Die deuts<strong>ch</strong>e Wirts<strong>ch</strong>aft im 16.<br />

Ja<strong>hr</strong>hundert, Mün<strong>ch</strong>en 1992; Mark Häberlein: Brüder, Freunde und Betrüger. Soziale<br />

Beziehungen, Normen und Konflikte in der Augsburger Kaufmanns<strong>ch</strong>aft um<br />

die Mitte des 16. Ja<strong>hr</strong>hunderts, Berlin 1998; Mi<strong>ch</strong>ael North: Kommunikation, Handel,<br />

Geld und Banken in der Frühen Neuzeit, Mün<strong>ch</strong>en 2000.<br />

Moeller, Zwick (wie Anm. 52), 13. Ein ni<strong>ch</strong>t namentli<strong>ch</strong> genannter Sohn Konrad<br />

Zwicks hatte visionäre Anwandlungen, vgl. Blarer BW 3, Nrn. 1723, 1729.<br />

Blarer BW 3, 2001 (J. Jung an A. Blarer, 8. Juli 1555).<br />

Vögeli, Sc<strong>hr</strong>iften (wie Anm. 52), 1224.<br />

Ohne Beleg: Paul Gerhard Aring: Art. Zwick, Konrad, in: BBKL 14 (1998), 671f.;<br />

vgl. Johannes Ficker: Das Konstanzer Bekenntnis für den Rei<strong>ch</strong>stag zu Augsburg<br />

1530, in: Theologis<strong>ch</strong>e Abhandlungen (FG Julius Holtzmann), Tübingen u. a.<br />

1902, 243–297, 275. Wi<strong>ch</strong>tigster Beleg: Blarer BW 3, Nr. 1948 (A. Blarer an T.<br />

Blarer, 5. November 1554): «Doleo supra modum illius vicem, cum audiam doctis<br />

nonnullis ac praestantissimis viris anabaptistam nunc et nescio quem fanaticum<br />

hominem videri […]. C<strong>hr</strong>istus fü<strong>hr</strong>e ihn zurück!» Übrigens sympathisierten die mit<br />

den Zwick und den Blarer ges<strong>ch</strong>äftli<strong>ch</strong> liierten Peter S<strong>ch</strong>er d. J., Klaus von Grafeneck<br />

(Verfasser von Ayn newes wunderbarli<strong>ch</strong>s ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t von Mi<strong>ch</strong>el Sattler z Rottenburg<br />

am Necker, Nürnberg 1527), Johann Winther von Anderna<strong>ch</strong> und Mi<strong>ch</strong>ael


80<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

werten konnte, ist er am 6. Februar 1557 na<strong>ch</strong> kurzer Krankheit gestorben.<br />

62 Vom ehemaligen Mentor Jakob Funcklin und den Brüdern Blarer<br />

tatkräftig unterstützt, übernahm der älteste (?) Sohn Jakob Zwick 63 von<br />

seinem Vater einen S<strong>ch</strong>uldenberg und die Verantwortung für Mutter<br />

Amalia und die Ges<strong>ch</strong>wister.<br />

4. Konrad Zwicks Erfindungen<br />

4.1. Kriegskunst<br />

Die Begriffsinkonsistenz ma<strong>ch</strong>t es s<strong>ch</strong>wierig, die von Konrad Zwick Anfang<br />

der 1540er Ja<strong>hr</strong>e entwickelte Kriegskunst (Abb. 5 und 7) näher zu<br />

bestimmen. Wä<strong>hr</strong>end kriegskunst (ars bellica) die strategis<strong>ch</strong>e Fähigkeit<br />

meint, 64 weisen die in den Quellen vorkommenden Termini kriegswerkzeug,<br />

kriegstück, kriegsrüstung in die Ri<strong>ch</strong>tung einer Kriegsmas<strong>ch</strong>ine 65<br />

im Sinne von «Ges<strong>ch</strong>ütz und Feuerro<strong>hr</strong>» 66 . Seitdem die Artillerie bei<br />

Agnadello 1509 erstmals zum offensiven Einsatz gekommen war und in<br />

den ans<strong>ch</strong>liessenden oberitalienis<strong>ch</strong>en Kriegen i<strong>hr</strong> kriegsents<strong>ch</strong>eidendes<br />

62<br />

63<br />

64<br />

65<br />

66<br />

Toxites mit S<strong>ch</strong>wenckfeld. Vgl. Caroline Grits<strong>ch</strong>ke: «Via Media». Spiritualistis<strong>ch</strong>e<br />

Lebenswelten und Konfessionalisierung. Das süddeuts<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>wenckfeldertum im<br />

16. und 17. Ja<strong>hr</strong>hundert, Berlin 2006 (Reg.).<br />

Vögeli, Sc<strong>hr</strong>iften (wie Anm. 52), 1224 (Gregor Mangolt), vgl. Blarer BW 3, Nrn.<br />

2086, 2088.<br />

Nur wenig ist über ihn bekannt: Seit Mai 1559? (vgl. Blarer BW 3, Nr. 2353, 17.<br />

Mai 1559) Pfleger des soeben säkularisierten Klosters Zimmern bei Nördlingen,<br />

1564 Konsistorialrat. Vgl. Reinhold Herold: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Reformation in der<br />

Grafs<strong>ch</strong>aft Oettingen 1522–1569, Halle 1902, 64.<br />

DWb 11, 2279; Georg Karl Friedri<strong>ch</strong> Viktor von Alten (Hg.): Handbu<strong>ch</strong> für Heer<br />

und Flotte. Enzyklopädie der Kriegswissens<strong>ch</strong>aften und verwandter Gebiete, 6<br />

Bde., Berlin 1911–1914, Bd. 5, 602.<br />

DWb 11, 2279: kriegskünstler (ma<strong>ch</strong>inator bellicus).<br />

Friedri<strong>ch</strong> Kü<strong>ch</strong> (Hg.): Politis<strong>ch</strong>es Ar<strong>ch</strong>iv des Landgrafen Philipp des Großmütigen<br />

von Hessen, 4 Bde., Leipzig u. a. 1904–1959, Bd. 1, Nr. 892 (K. Zwick an Ldgf.<br />

Ph. v. Hessen, Februar 1546 / Januar 1547): «Seltsame Ges<strong>ch</strong>ütze und Feuerro<strong>hr</strong>e.<br />

Erfindung eines Kriegswerkzeugs».


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 81<br />

Potential geoffenbart hatte, 67 war das Interesse der Erfinder und der Potentaten<br />

an optimierten Ges<strong>ch</strong>ützen gestiegen, 68 im Falle Zwicks dasjenige<br />

Philipps von Hessen und Ferdinands von Österrei<strong>ch</strong>. Der beharrli<strong>ch</strong>en<br />

Überzeugungsarbeit Ambrosius Blarers und Heinri<strong>ch</strong> Bullingers in<br />

den Ja<strong>hr</strong>en 1544/45 ist es letztli<strong>ch</strong> zu verdanken, dass der Erfinder Geheimhaltung<br />

verspra<strong>ch</strong> und si<strong>ch</strong> bereit erklärte, sein «kriegstück» lieber<br />

den Evangelis<strong>ch</strong>en – die Rede ist von Züri<strong>ch</strong>, Konstanz, den «Eidgenossen»,<br />

von «Deuts<strong>ch</strong>land» – für den ni<strong>ch</strong>t unwa<strong>hr</strong>s<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>en Fall defensiver<br />

Handlungen zur Verfügung zu stellen. 69 Wä<strong>hr</strong>end des S<strong>ch</strong>malkaldis<strong>ch</strong>en<br />

Krieges verhandelte Zwick erneut mit dem Landgrafen von<br />

Hessen, 1547/48 au<strong>ch</strong> mit dem Stellvertreter Sebastian S<strong>ch</strong>ertlins, Marcell<br />

Dietri<strong>ch</strong> von S<strong>ch</strong>anckwitz, der ebenfalls eine Kriegsmas<strong>ch</strong>ine erfunden<br />

haben soll. 70<br />

Abb. 7: Gegen feindli<strong>ch</strong>e Kavallerie geri<strong>ch</strong>tete grosskalibrige Ges<strong>ch</strong>ütze,<br />

Holzs<strong>ch</strong>nitt um 1540. 71<br />

67<br />

68<br />

69<br />

70<br />

71<br />

Vgl. Bernd von Guseck: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Kriegskunst für Militairakademien und<br />

Offiziere aller Grade, 3. Aufl., Berlin 1867, 101; Hans Delbrück: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />

Kriegskunst im Rahmen der politis<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, 4 Bde., Berlin 1900–1920, Bd.<br />

4, 102–107.<br />

Von Alten, Handbu<strong>ch</strong> (wie Anm. 64), Bd. 4, 190–195, 208 (Lit.).<br />

Vgl. die Dokumente aus dem Zeitraum Januar 1544 bis Juli 1546 in Blarer BW 2,<br />

Nrn. 1057, 1060, 1071f., 1082, 1154f., 1157, 1161f., 1177, 1188, 1193, 1196,<br />

1201, 1207, 1214f., 1217, 1219, 1306.<br />

Blarer BW 2, Nrn. 1464, 1487, 1583, vgl. Alfred Hartmann u. Beat Rudolf Jenny<br />

(Hg.): Die Amerba<strong>ch</strong>korrespondenz, bisher 12 Bde., Basel 1942–1995 (im Folgenden:<br />

Amerba<strong>ch</strong> BW), Bd. 8, 36f.<br />

Abb. aus: Vannoccio Biringuccio: De la Pirote<strong>ch</strong>nia, (1. Ausg. 1540), na<strong>ch</strong> der<br />

französis<strong>ch</strong>en Ausgabe, Paris 1572, 163 v .


82<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

No<strong>ch</strong> zu Lebzeiten s<strong>ch</strong>eint Zwick die «wunderbarli<strong>ch</strong> kriegsrüstung»<br />

dem Pfalzgrafen Ottheinri<strong>ch</strong> verpfändet zu haben. 1557 meldet «der<br />

treffli<strong>ch</strong>e Gönner der Erben, Graf Ludwig [von Oettingen]», sein Interesse<br />

an der Erfindung an, wä<strong>hr</strong>end «Freund F[uncklin] ohne Auftrag in<br />

Bern und Züri<strong>ch</strong>» verhandelt. 72 1558 ersu<strong>ch</strong>t Klaus von Grafeneck, der<br />

Amtmann des Grafen von Oettingen, Herzog C<strong>hr</strong>istoph von Württemberg<br />

um Vermittlung beim Verkauf seines kriegsstücks um 20’000 Kronen<br />

an König Philipp. 73 Spätestens 1576 s<strong>ch</strong>eint die Höllenmas<strong>ch</strong>ine<br />

wieder in Zwick’s<strong>ch</strong>en Familienbesitz zurück geke<strong>hr</strong>t zu sein, da si<strong>ch</strong><br />

Jakob Zwick bei der Supplikation um Verlängerung des Holzsparkunst-<br />

Rei<strong>ch</strong>spatentes von 1557 auf die jüngst stattgefundene «allerunderthenigste<br />

eroffnung aines gehaimen kriegsstuckhs» bezieht. 74<br />

4.2. Die Holzsparkunst von Frommer & Zwick<br />

Im Folgenden beziehen si<strong>ch</strong> die [Nummern] in eckigen Klammern auf den Überblick<br />

«Verbreitung der Holzsparkunst von Frommer & Zwick 1554–1576» (Tab.2).<br />

4.2.1. Die Väter<br />

[1] Konrad Zwicks wenig erfolgrei<strong>ch</strong>e Versu<strong>ch</strong>e mit «seiner neuen Erfindung<br />

wegen des Holzes» bes<strong>ch</strong>äftigen die Gebrüder Blarer erstmals<br />

im November 1554. 75 Da es si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei diesem «novum inventum»<br />

vermutli<strong>ch</strong> eher um eine handwerkli<strong>ch</strong>-empiris<strong>ch</strong>e Optimierung bekannter<br />

Prinzipien und vorhandener Konstruktionen als um eine e<strong>ch</strong>te Basisinnovation<br />

handelt, stellt si<strong>ch</strong> die Frage na<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong>en inspirierenden<br />

Vorlagen. Aktenkundiger Primeur ist die holzsparende Biersiedepfanne<br />

72<br />

73<br />

74<br />

75<br />

Blarer BW 2, Nr. 2104 (T. Blarer an A. Blarer, ca. Mitte August 1557).<br />

Vgl. Viktor Ernst (Hg.): Briefwe<strong>ch</strong>sel des Herzogs C<strong>hr</strong>istoph von Wirtemberg, 4<br />

Bde., Stuttgart 1899–1907 (im Folgenden: BW Wirtemberg), Bd. 4, Nr. 418 (Anm.<br />

2).<br />

OeStA/HHStA/RHR, Grat Feud Gewerbe-, Fabriks- und Handlungsprivilegien 11–<br />

59, 611f. (vor dem 17. August 1576).<br />

Blarer BW 3, Nrn. 1948 (A. Blarer an T. Blarer, 5. November 1554), 2001 (J. Jung<br />

an A. Blarer, 8. Juli 1555).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 83<br />

des Conrad von Gittelt, für die er 1550 eine böhmis<strong>ch</strong>e, 1551 eine kaiserli<strong>ch</strong>e<br />

und 1552 eine sä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>e Freiheit erlangt hatte. 76<br />

Tab. 2: «Verbreitung der Holzsparkunst von Frommer & Zwick 1554–1576».<br />

76<br />

Creutz, Herausbildung (wie Anm. 8), 98f. Zu den Anfängen der Holzsparkunst in<br />

der Antike vgl. K[arl] A[ugust] Böttiger: Zur Holzsparkunst der alten Römer, in:<br />

Der neue Teuts<strong>ch</strong>e Merkur 2 (1794), 283–305.


84<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

Eine hohe Übereinstimmung in theoretis<strong>ch</strong>er wie in praktis<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

weisen die 1556/57 optimierten Zwick’s<strong>ch</strong>en Sparöfen mit den Darlegungen<br />

des genialen Girolamo Cardano (1501–1576) auf. In De subtilitate<br />

libri XXI, 1. Aufl. Nürnberg 1550, hatte der Mailänder Universalgele<strong>hr</strong>te<br />

u. a. eine bisher übersehene revolutionäre Flammentheorie entwickelt,<br />

die im Unters<strong>ch</strong>ied zu der no<strong>ch</strong> im späten 18. Ja<strong>hr</strong>hundert im<br />

S<strong>ch</strong>wange gehenden Phlogistonle<strong>hr</strong>e die Anwesenheit von Luft als Voraussetzung<br />

für jegli<strong>ch</strong>en Verbrennungsvorgang postulierte und die Entstehung<br />

gasförmiger Verbrennungsprodukte besc<strong>hr</strong>ieb. 77 Im Folgewerk<br />

De rerum varietate libri XVII, 1. Aufl. Basel 1557, besc<strong>hr</strong>ieb Cardano<br />

sodann einen von der Te<strong>ch</strong>nikges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t weniger verna<strong>ch</strong>lässigten<br />

gemauerten Ko<strong>ch</strong>herd mit Rost und As<strong>ch</strong>enfall und aufliegender kupferner<br />

Ofenplatte mit versenkten Kasserollen, wie er gegenwärtig in Mailand<br />

in Gebrau<strong>ch</strong> sei:<br />

Clibanus ad coquendum multa, simul utilis, nunc in usu Mediolani, […] quoniam<br />

conclusus ignis, triplo efficaciores vires habet. 78<br />

[2] Na<strong>ch</strong> viermonatiger Abwesenheit 79 kann Konrad Zwick den Vettern<br />

Blarer Anfang Juni 1555 einen «verheißungsvollen Anfang seines Glückes»<br />

in Aussi<strong>ch</strong>t stellen 80 – um bereits einen Monat später wieder in<br />

nörgelnde «Grämli<strong>ch</strong>keit» zu verfallen, was die Freunde befür<strong>ch</strong>ten<br />

lässt, «der Erfolg entspre<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> hierin dem Wuns<strong>ch</strong> und Aufwand<br />

ni<strong>ch</strong>t» 81 . Was war ges<strong>ch</strong>ehen? Die spärli<strong>ch</strong>en Quellen lassen die Annahme<br />

zu, Zwick habe in eben diesen Tagen von einem ernstzunehmenden<br />

Konkurrenten in Strassburg erfa<strong>hr</strong>en. Dort nämli<strong>ch</strong> hatte der Magistrat<br />

am 29. Juni 1555 dem Bürger Friedri<strong>ch</strong> Frommer bestätigt, dieser habe<br />

auß sonnderer verlyhung unnd genad deß Allme<strong>ch</strong>tigen newli<strong>ch</strong> ein slli<strong>ch</strong> kunst erfunden,<br />

das inn einheitzung der stuben und ko<strong>ch</strong>en ungeverli<strong>ch</strong> der halb theyl holtz<br />

77<br />

78<br />

79<br />

80<br />

81<br />

«Est enim flamma nihil aliud, quam aër accensus», Hieronymus Cardanus: De<br />

subtilitate Libri XXI, Lyon 1559, 51f.<br />

Hieronymus Cardanus: De rerum varietate Libri XVII, Basel 1557, 663. Vgl. hierzu<br />

Abb. 13 unten.<br />

Blarer BW 3, Nrn. 1960, 1970, 1980.<br />

Blarer BW 3, Nr. 1994 (A. Blarer an T. Blarer, 5. Juni 1555).<br />

Blarer BW 3, Nr. 2001 (J. Jung an A. Blarer, 8. Juni 1555).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 85<br />

[…] erspart […] werden […] mag […] vnd also zgli<strong>ch</strong> rÿ<strong>ch</strong>en vnnd armen zgebru<strong>ch</strong>en<br />

seer nutzli<strong>ch</strong>. 82<br />

Aufgrund widersprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Aussagen muss die Frage na<strong>ch</strong> dem «primus<br />

inventor et ar<strong>ch</strong>itectus» offen bleiben. Für seine Freunde und Bekannten<br />

kam diese E<strong>hr</strong>e selbstverständli<strong>ch</strong> Konrad Zwick zu. 83 Differenzierter<br />

stellt Ambrosius Blarer den Sa<strong>ch</strong>verhalt dar. Calvin gegenüber<br />

rühmt er im Dezember 1556 «das erstaunli<strong>ch</strong>e und hö<strong>ch</strong>st zuverlässige<br />

Verfa<strong>hr</strong>en [ratio], das von meinem Vetter Konrad Zwick und einigen<br />

andern [paucis aliis] erfunden worden ist.» 84<br />

Über die Identität der «pauci alii» geben jene Bes<strong>ch</strong>eid, die zu diesen<br />

oder zu weiteren Akteuren der neuen Te<strong>ch</strong>nologie in Beziehung stehen.<br />

So kennt der mit Ambrosius Blarer und Funcklin vertraute Bieler<br />

C<strong>hr</strong>onist Re<strong>ch</strong>berger drei glei<strong>ch</strong>zeitige Väter der «nüwen holtzersparungskunst»:<br />

«Erstli<strong>ch</strong> ist sy erfunden worden dur<strong>ch</strong> die wolerfarnen und<br />

gelerten herren Frydri<strong>ch</strong> Frömer, burger zu Straßburg, Cunrad Zwyck jm<br />

Ror, jm Züri<strong>ch</strong>erbiett gelegen, vnd Hans Vlri<strong>ch</strong> Kündigman, burger jn<br />

Costantz.» 85<br />

Wiederum anders der mit Kundigmann bekannte Konstanzer C<strong>hr</strong>onist<br />

C<strong>hr</strong>istoph S<strong>ch</strong>ulthaiß. Dieser bringt Re<strong>ch</strong>bergers Namen in eine<br />

zeitli<strong>ch</strong>e Abfolge und stellt die Wiege der Holzsparkunst unmissverständli<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong> Strassburg. Zudem weiss er von «anderen», die die Erfindung<br />

optimiert und vertrieben haben:<br />

Dise kunst hat erstli<strong>ch</strong> erda<strong>ch</strong>t M. Fridri<strong>ch</strong> [Lakune; gemeint ist Friedri<strong>ch</strong> Frommer],<br />

tis<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>er zu Strasburg, darna<strong>ch</strong> hat ou<strong>ch</strong> Conrat Zwick, sesshafft im Ror<br />

in Züri<strong>ch</strong>biett, vnd Hans Vlri<strong>ch</strong> Kundigmann, stürsc<strong>hr</strong>iber hie, vnd andere söl<strong>ch</strong>s<br />

verbessert vnd volgend in das werck gebra<strong>ch</strong>t. 86<br />

4.2.2. Anfänge des Konsortiums Frommer & Zwick<br />

[3] Mit der Absi<strong>ch</strong>t, die obrigkeitli<strong>ch</strong> beglaubigte Erfindung grossräumiger<br />

zu verwerten, hatte Frommer bereits im Sommer 1555 einen Antrag<br />

82<br />

83<br />

84<br />

85<br />

86<br />

ZBZH Ms. S 89, 94 (29. Juni 1555); Hoffmann, Beiträge (wie Anm. 8), 91 (s. d. =<br />

vor 16. Mai 1556).<br />

So M. Toxites (StAZH E II 345, 421), J. Jung (Blarer BW 3, Nr. 2001), W. Musculus<br />

(StAZH E II 359, 2960).<br />

CO 15, Nr. 2559 (12. Dezember 1556) = Blarer BW 3, Nr. 2079 (lat.).<br />

Re<strong>ch</strong>berger, C<strong>hr</strong>onik (wie Anm. 30), 111.<br />

S<strong>ch</strong>ulthaiß, Collectaneen (wie Anm. 19), 39.


86<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

(«supplication») auf ein Rei<strong>ch</strong>spatent gestellt. Das dur<strong>ch</strong> den Rei<strong>ch</strong>stag<br />

zu Augsburg (5.2.–25.9.1555) huldvoll entgegengenommene Gesu<strong>ch</strong><br />

musste jedo<strong>ch</strong> wegen ges<strong>ch</strong>äftli<strong>ch</strong>er Überlastung auf den nä<strong>ch</strong>sten<br />

Rei<strong>ch</strong>stag vers<strong>ch</strong>oben werden. 87 Die Frommer auferlegte Wartezeit gab<br />

Konrad Zwick Gelegenheit zur Kontaktaufnahme mit dem Konkurrenten.<br />

Vermutli<strong>ch</strong> kam es zu dem von S<strong>ch</strong>ulthaiß angedeuteten Te<strong>ch</strong>nologieabglei<strong>ch</strong>,<br />

mit Si<strong>ch</strong>erheit zur Gesells<strong>ch</strong>aftsgründung. Mitte Mai 1556<br />

hört man erstmals von ni<strong>ch</strong>t namentli<strong>ch</strong> genannten «verwandten [Teilhabern]<br />

der holtzsparung, so newli<strong>ch</strong> erfunden ist» 88 .<br />

Die Zeit bis zum Rei<strong>ch</strong>stag von Regensburg (13.7.1556–16.3.1557)<br />

nutzt das Konsortium zum Anti<strong>ch</strong>ambrieren und Lobbyieren. Dabei verfa<strong>hr</strong>en<br />

die «gesandten [Anwälte] der Konsorten» in den Formen, wie sie<br />

das Patentprüfungsverfa<strong>hr</strong>en vor dem Rei<strong>ch</strong>shofrat vorsieht. 89 Dieses<br />

verlangt a) eine Beglaubigung («transsumt»), dass der Antragsteller im<br />

Besitz des Urheberre<strong>ch</strong>ts sei – hierzu kann Frommers Strassburger<br />

Kunds<strong>ch</strong>aftsbrief vorgelegt werden. Sodann sind na<strong>ch</strong>zuweisen b) die<br />

Neuheit der Erfindung («neu erfundne khunst deß holtzsparenns»), c) der<br />

gemeine Nutzen («rei<strong>ch</strong>en und armen zum besten») und d) die Praxistaugli<strong>ch</strong>keit<br />

des Objekts bzw. des Verfa<strong>hr</strong>ens. Für die drei ersten anwaltli<strong>ch</strong>en<br />

Aspekte war se<strong>hr</strong> wa<strong>hr</strong>s<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> der ehemalige Diplomat Zwick<br />

zuständig, wä<strong>hr</strong>end der Handwerker Frommer für die Erklärung der<br />

te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Zei<strong>ch</strong>nung und des Modells (Kleine Probe, «visierung») und<br />

für die praktis<strong>ch</strong>e Vorfü<strong>hr</strong>ung (Grosse Probe) besser qualifiziert war.<br />

[4–6] Zuallererst ersu<strong>ch</strong>t das neue Holzsparkonsortium die bekanntermassen<br />

innovationsfreudigen Territorialfürsten C<strong>hr</strong>istoph von Württemberg<br />

90 und den unlängst zum Kurfürsten erhobenen Ottheinri<strong>ch</strong> von<br />

87<br />

88<br />

89<br />

90<br />

Hoffmann, Beiträge (wie Anm. 8), 91, (s. d. = vor 16. Mai 1556); OeStA/HHStA/<br />

RHR, Grat Feud Gewerbe-, Fabriks- und Handlungsprivilegien 11–59, 609 r –610 v ,<br />

613 r (13. März 1557).<br />

Hoffmann, Beiträge (wie Anm. 8), 90f. (Kft. Ottheinri<strong>ch</strong> an Kft. August, 16. Mai<br />

1556). Darauf bezieht si<strong>ch</strong> A. Blarer, wenn er Bullinger gegenüber «die Erfindung<br />

des Vetters C. Z. und der Seinen [et suorum]» erwähnt, CO 15, Nr. 2559 (12. Dezember<br />

1556). «et suorum» steht für den aktienre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Terminus mitverwandte,<br />

Konsorten, Teilhaber.<br />

Stefan E<strong>hr</strong>enpreis: Kaiserli<strong>ch</strong>e Geri<strong>ch</strong>tsbarkeit und Konfessionskonflikt. Der<br />

Rei<strong>ch</strong>shofrat unter Rudolf II. 1576–1612, Göttingen 2006, 67 (Lit.).<br />

Vgl. Franz Brendle: Dynastie, Rei<strong>ch</strong> und Reformation: Die württembergis<strong>ch</strong>en<br />

Herzöge Ulri<strong>ch</strong> und C<strong>hr</strong>istoph, die Habsburger und Frankrei<strong>ch</strong>, Stuttgart 1998<br />

(Lit.).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 87<br />

der Pfalz 91 um Unterstützung des laufenden Patentantrages bei den<br />

Rei<strong>ch</strong>sständen. Weitere Anträge gehen na<strong>ch</strong> Dresden und Mün<strong>ch</strong>en. In<br />

Stuttgart oder Neuburg sind «proben» der neuen Erfindung vorgesehen.<br />

Dies alles ges<strong>ch</strong>ieht, «na<strong>ch</strong>dem der erfinder [sc. Frommer] ausskhaufft<br />

worden und wir die mittl zu unseren handen gebra<strong>ch</strong>t» 92 . Die Einzelheiten<br />

kennt S<strong>ch</strong>ulthaiß:<br />

Conrat Zwick hat M. Fridri<strong>ch</strong>en mit ainliff [elf] tausend gulden von diser holtz<br />

kunst hingelöst [ausgekauft] vermeinende, dardur<strong>ch</strong> ain vil merers ze vberkummen,<br />

wel<strong>ch</strong>es im aber wit gefelt, denn söl<strong>ch</strong>e kunst bald in verklainerung kom. 93<br />

Die Usanz, Privilegierungen zu kaufen oder zu pa<strong>ch</strong>ten und sie mit<br />

we<strong>ch</strong>selnden Personen und Namen zu betreiben, 94 erregte indessen die<br />

Ungnade des ebenfalls angefragten Kurfürsten August von Sa<strong>ch</strong>sen:<br />

Daß wir aber denen, so die Holzersparung ni<strong>ch</strong>t erfunden, sondern nur um i<strong>hr</strong>es eigenen<br />

Nutzens willen von dem Erfinder an si<strong>ch</strong> gekauft und damit fast das ganze<br />

Rei<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>atzen [hier: mit Nutzungsgebü<strong>hr</strong>en belegen] und bes<strong>ch</strong>weren wollen,<br />

zu i<strong>hr</strong>em eigennützigen Vornehmen zehnjä<strong>hr</strong>igen Consens geben sollten, das haben<br />

wir unseres Era<strong>ch</strong>tens billig Bedenken. 95<br />

Wie wenig jedo<strong>ch</strong> die bemerkenswerte Begründung in diesem Falle zutraf,<br />

belegen spätere Abgeltungsverhandlungen der Teilhaber mit dem<br />

dur<strong>ch</strong>aus ges<strong>ch</strong>äftstü<strong>ch</strong>tigen «Erfinder», die darin gipfelten, dass der<br />

Graf von Oettingen Anfang 1560 beim Strassburger Rat intervenieren<br />

musste, damit Frommer ni<strong>ch</strong>t «so vnmilt vnnd vnc<strong>hr</strong>istli<strong>ch</strong>» mit den<br />

Zwick verfa<strong>hr</strong>e, und «dasz er bedencken wolle, dasz er dieser kunst nit<br />

91<br />

92<br />

93<br />

94<br />

95<br />

Vgl. Hans Ammeri<strong>ch</strong> (Hg.): Kurfürst Ottheinri<strong>ch</strong> und die humanistis<strong>ch</strong>e Kultur in<br />

der Pfalz, Speyer 2008. Von 1555/56 datieren Hans Kilians Zei<strong>ch</strong>nungen von Ottheinri<strong>ch</strong>s<br />

al<strong>ch</strong>emistis<strong>ch</strong>em Laborinventar, Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod.<br />

Pal. germ. 302.<br />

Hoffmann, Beiträge (wie Anm. 8), 91 (Holzspar-Konsorten an Kft. Ottheinri<strong>ch</strong>, vor<br />

16. Mai 1556).<br />

S<strong>ch</strong>ulthaiß, Collectaneen (wie Anm. 19), 39.<br />

Gleitsmann, Erfinderprivilegien (wie Anm. 8), 94; Marc Silberstein: Erfindungss<strong>ch</strong>utz<br />

und merkantilistis<strong>ch</strong>e Gewerbeprivilegien, Winterthur 1961, 99.<br />

Hoffmann, Beiträge (wie Anm. 8), 92 (Kft. August an Kft. Ottheinri<strong>ch</strong>, 20. Oktober<br />

1556), vgl. Johannes Falke: Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Kurfürsten August von Sa<strong>ch</strong>sen in<br />

volkswirths<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Beziehung, Leipzig 1868, 244f.


88<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

wenig genossen» 96 . Der von Thomas Blarer sekundierte Jakob Zwick<br />

errei<strong>ch</strong>te am 14. Januar 1560 für seine finanziell gebeutelte Familie immerhin<br />

soviel, dass Frommer 2’000 Goldgulden in zwei Tran<strong>ch</strong>en rückvergütete.<br />

97<br />

5. … bis na<strong>ch</strong> Rom und Konstantinopel<br />

5.1. «lignariae artis Chananeus»<br />

Am 6. Februar 1557 war Konrad Zwick na<strong>ch</strong> kurzer Krankheit gestorben.<br />

98 Unter der Rubrik «Holzsparkunst» sc<strong>hr</strong>eibt der Berner Dekan Johannes<br />

Haller am 16. Juni 1557 in sein Tagebu<strong>ch</strong>:<br />

I<strong>hr</strong> erster Urheber war Konrad Zwick aus Konstanz, ein ges<strong>ch</strong>ickter und erfinderis<strong>ch</strong>er<br />

Mann. Aber er starb, als man si<strong>ch</strong> ans<strong>ch</strong>ickte, sie bekannt zu ma<strong>ch</strong>en. Seine<br />

Na<strong>ch</strong>folger, von wel<strong>ch</strong>en in den Na<strong>ch</strong>barländern Helvetiens Jakob Funkli, Pfarrer<br />

von Biel, diese Sa<strong>ch</strong>e mit Ges<strong>ch</strong>ick betrieb, verbreiteten die Kunst, na<strong>ch</strong>dem hiezu<br />

von allen Seiten viel Geld aufgebra<strong>ch</strong>t worden war, bis na<strong>ch</strong> Rom und Konstantinopel<br />

und erwirkten viele Privilegien von Kaisern, Königen, Fürsten und Republiken.<br />

99<br />

Mit Dekan Haller in der Sa<strong>ch</strong>e übereinstimmend, notiert Re<strong>ch</strong>berger<br />

zum Ja<strong>hr</strong>esanfang 1557 – Kriterium ist offenbar das in diesem Ja<strong>hr</strong> erteilte<br />

Rei<strong>ch</strong>spatent:<br />

vnd aber des geda<strong>ch</strong>ten Hans Vlri<strong>ch</strong>s Kündigmans re<strong>ch</strong>ter bruder muterhalb, herr<br />

Jacob Fünckelin, vnser predicantt zu Bielln, gemeltÿ holtzersparungskunst jn der<br />

96<br />

97<br />

98<br />

99<br />

Fu<strong>ch</strong>s, Re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>es (wie Anm. 8), 1109, n. 15a (= Strasbourg, Procès verbaux des<br />

XXI, 1560, 2v°).<br />

Blarer BW 3, Nr. 2215 (T. Blarer an A. Blarer, 13. Januar 1560). Vgl. au<strong>ch</strong> die<br />

Nrn. 2173, 2207, 2208, 2210, 2214. Die gute Beziehung zu Frommer blieb intakt:<br />

Am 14. August 1560 lässt T. Blarer launig den «zweifa<strong>ch</strong>en Daedalus Friedri<strong>ch</strong><br />

Frommer und Frau» grüssen, Blarer BW 3, Nr. 2269, vgl. Nr. 2380 (26. August<br />

1561).<br />

Blarer BW 3, Nrn. 2086, 2088<br />

Eduard Bähler (Hg.): Das Tagebu<strong>ch</strong> Johannes Hallers aus den Ja<strong>hr</strong>en 1548–1561,<br />

in: AHVKB 23 (1917), 238–355, 275.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 89<br />

Eÿdsgnoßs<strong>ch</strong>afftt, als zu Bernn, zu Lucern, jn den andren vier ortenn, zu Basell, zu<br />

Millhusenn, vnd anders<strong>ch</strong>wo jn der Eÿdsgnoßs<strong>ch</strong>afftt, ou<strong>ch</strong> vßerthalb, als zu Jenff<br />

vßgebra<strong>ch</strong>tt vnd gelernett [gele<strong>hr</strong>t] hat. 100<br />

Bevor wir die dur<strong>ch</strong> zwei voneinander unabhängige Zeitzeugen festgestellte<br />

erstaunli<strong>ch</strong> weiträumige Diffusion der neuen Heiz- und Ko<strong>ch</strong>te<strong>ch</strong>nologie<br />

auf i<strong>hr</strong>en Realitätsgehalt untersu<strong>ch</strong>en, soll die Rolle i<strong>hr</strong>es Hauptagenten<br />

Jakob Funcklin mit wenigen Stri<strong>ch</strong>en angedeutet werden.<br />

Abb. 8: Untersc<strong>hr</strong>ift Jakob Funcklins (StadtA Biel LII 30, 10. März<br />

1558).<br />

Es war auf Ambrosius Blarers ausdrückli<strong>ch</strong>e Bitte hin, dass Funcklin die<br />

Ges<strong>ch</strong>äfte des verstorbenen Konrad Zwick im Dienst und Interesse der<br />

Erbengemeins<strong>ch</strong>aft weiter fü<strong>hr</strong>te. 101 Funcklin besass indessen au<strong>ch</strong> genügend<br />

intrinsis<strong>ch</strong>e Motive für sein selbstloses Handeln, stand er do<strong>ch</strong> zur<br />

Familie, deren Söhne er von 1541 bis mindestens 1550 als Tutor in Isny<br />

wie als Privatle<strong>hr</strong>er in Konstanz, St. Gallen, Tägerwilen und no<strong>ch</strong> in Biel<br />

mit erzogen hatte, in einem nahezu verwandts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Verhältnis. 102<br />

Der erstaunli<strong>ch</strong>e Systemdruck, den Funcklin in nur kurzer Zeit aufbaute,<br />

und seine oftmals überbordenden Ideen und Fähigkeiten erfüllten<br />

die Freunde mit wa<strong>ch</strong>sender Besorgnis:<br />

Au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>te, dass ein anderer statt Funklis si<strong>ch</strong> der Zwick annähme; do<strong>ch</strong><br />

treue Verwalter sind selten, und sein Dienst für die Erben des um die c<strong>hr</strong>istli<strong>ch</strong>e<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft ho<strong>ch</strong>verdienten Mannes ist viel wert. 103<br />

100<br />

101<br />

102<br />

103<br />

Re<strong>ch</strong>berger, C<strong>hr</strong>onik (wie Anm. 30), 111f.<br />

Blarer BW 3, Nr. 2133 (1. März 1558).<br />

Blarer BW 2, Nr. 944; HBBW 12, Nr. 1632 (22. Mai 1542). Funcklins 1546 und<br />

1547 geborenen Tö<strong>ch</strong>tern Anna und Katrina war Amalia Zwick-Muntprat Patin,<br />

vgl. Hans-C<strong>hr</strong>istoph Rublack: Die Einfü<strong>hr</strong>ung der Reformation in Konstanz von<br />

den Anfängen bis zum Abs<strong>ch</strong>luß 1531, Gütersloh u. a. 1971 (QFRG 40), 153.<br />

Blarer BW 3, Nr. 2119 (A. Blarer an T. Blarer, 28. November 1557).


90<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

Im Falle Funcklins ging es ni<strong>ch</strong>t nur um Nebenbes<strong>ch</strong>äftigungen, denen<br />

die meisten zeitgenössis<strong>ch</strong>en Amtsbrüder in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>em Umfang<br />

na<strong>ch</strong>gingen, 104 sondern in wa<strong>ch</strong>sendem Masse um die grundsätzli<strong>ch</strong>e<br />

Vereinbarkeit von Pfarramt und europaweit angelegtem Salesmanagement<br />

und Nebenerwerb: 105<br />

Wolan, i<strong>ch</strong> wuns<strong>ch</strong> von hertzen, das es alles gerathe z dem pryß Gottes vnd vffbuwung<br />

siner kir<strong>ch</strong>en, vnd das der gt ho<strong>ch</strong>begabet mann ni<strong>ch</strong>ts thu e, das seinem<br />

ampt ubel zymme vnd z ergernusß gerathe. 106<br />

S<strong>ch</strong>on ein flü<strong>ch</strong>tiger Blick auf das Itinerar Funcklins vom Ja<strong>hr</strong> 1557<br />

(Tab. 2) zeigt, wieviel si<strong>ch</strong> der Bieler Dekan und sein Amtsbruder Ambrosius<br />

Blarer die Freundespfli<strong>ch</strong>t gegenüber den Zwick kosten liessen.<br />

Im Januar 1557 sc<strong>hr</strong>eibt Blarer seinem Bruder:<br />

Deine Briefe vom 7. und 30. November habe i<strong>ch</strong> zusammen am 6. Dezember erhalten,<br />

wegen der ständigen Predigten infolge Abwesenheit Funklis und sonstiger Ges<strong>ch</strong>äfte<br />

aber ni<strong>ch</strong>t eher Zeit zur Beantwortung gefunden. 107<br />

104<br />

105<br />

106<br />

107<br />

Eine Studie über die von Theologen und Gemeindepfarrern der Reformationszeit<br />

getriebene Allotria ist ein altes Desiderat. Sie dürfte den Farel-S<strong>ch</strong>üler Antoine de<br />

Froment (1509–1581) ni<strong>ch</strong>t vergessen, der neben dem Pfarramt mit Gewürzen,<br />

Wein und Öl handelte, si<strong>ch</strong> als Steuereinnehmer betätigte und zuletzt den Betrieb<br />

eines Mäd<strong>ch</strong>enpensionats ins Auge fasste, vgl. Henri Vuilleumier: Histoire de<br />

l’église réformée du pays de Vaud sous le régime bernois, 4 Bde., Lausanne 1927–<br />

1933, Bd. 1, 384f. Für das 18.–20. Ja<strong>hr</strong>hundert vgl. ansatzweise Uwe Albre<strong>ch</strong>t:<br />

Himmelrei<strong>ch</strong> auf Erden. Evangelis<strong>ch</strong>e Pfarrer als Naturfors<strong>ch</strong>er und Entdecker,<br />

Stuttgart 2007.<br />

Pfarrer Johannes Mathesius (1504–1565) finanzierte aus dem Erlös einer ergiebigen<br />

Ze<strong>ch</strong>e im böhmis<strong>ch</strong>en Joa<strong>ch</strong>imsthal die dortige Lateins<strong>ch</strong>ulbibliothek, vgl.<br />

Herbert Wolf: Art. Johannes Mathesius, in: NDB 16 (1990), 369f. Der reformierte<br />

Pfarrer Johannes Rhenanus (um 1528–1581) erwarb si<strong>ch</strong> internationalen Ruf als<br />

Sa<strong>ch</strong>verständiger in der Salinente<strong>ch</strong>nik. 1563 experimentierte er mit der Substitution<br />

von Holz- dur<strong>ch</strong> Steinkohle. Sein Wissen legte er 1567–1585 in seiner bislang<br />

ungedruckten 2000-seitigen «Salzbibel» nieder, vgl. Hans Henning Walter: Art. Johannes<br />

Rhenanus, in: ADB 21 (2003), 494f.<br />

Vgl. Blarer BW 3, Nr. 2592 (A. Blarer an Katharina Blarer, 3. März 1564), hier<br />

na<strong>ch</strong> der freundli<strong>ch</strong> überlassenen Transkription ab originali von Herrn Prof. Dr.<br />

Max S<strong>ch</strong>iendorfer.<br />

Blarer BW 3, Nr. 2084 (A. Blarer an T. Blarer, 18. Januar 1557).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 91<br />

Erstaunli<strong>ch</strong> übrigens au<strong>ch</strong> die Na<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>t des Bieler Rates, musste do<strong>ch</strong><br />

die Gemeinde wä<strong>hr</strong>end Wo<strong>ch</strong>en und Monaten auf die Anwesenheit i<strong>hr</strong>es<br />

Vorstehers verzi<strong>ch</strong>ten. Selten genug liess si<strong>ch</strong> aus der Not eine Tugend<br />

ma<strong>ch</strong>en, etwa, wenn si<strong>ch</strong> die Obrigkeit im Frühja<strong>hr</strong> 1558 eine Ges<strong>ch</strong>äftsreise<br />

Funcklins zu nutze ma<strong>ch</strong>te, um seine diplomatis<strong>ch</strong>en Dienste am<br />

Frankfurter Rei<strong>ch</strong>stag in Anspru<strong>ch</strong> zu nehmen, – was «herrn Jacob»<br />

Gelegenheit gab, no<strong>ch</strong> länger ausser Landes zu bleiben:<br />

Wellendt mir min vsspliben z gt halten, vnd allso früntli<strong>ch</strong> ein zÿtlin no<strong>ch</strong> gedult<br />

haben, dann mir nitt zwÿfelt, so jr, min herren, herna<strong>ch</strong> vff min ankunft wie si<strong>ch</strong> all<br />

mine sa<strong>ch</strong>en zgetragen verstendigt, werden jr ni<strong>ch</strong>ts an mi<strong>ch</strong> zürnen künden, so<br />

bin i<strong>ch</strong> gts willens vnd fürhabens, diss, so i<strong>ch</strong> die zyt versumpt, herna<strong>ch</strong> mitt der<br />

gnad Gottes z eruollen vnd erstatten. 108<br />

In Frankfurt traf Funcklin den Berner Kollegen Haller, der mit der übli<strong>ch</strong>en<br />

kleinen Bosheit na<strong>ch</strong> Züri<strong>ch</strong> rapportierte: «Au<strong>ch</strong> Funcklin war dort,<br />

der Eiferer in der Holzkunst» – «lingnariae [!] artis Chananaeus» 109 .<br />

Funcklins Eifer s<strong>ch</strong>eint si<strong>ch</strong> indessen ni<strong>ch</strong>t auf Verkaufsgesprä<strong>ch</strong>e<br />

und kommentierte Vorfü<strong>hr</strong>ungen besc<strong>hr</strong>änkt zu haben. Letztere wusste<br />

der Dramatiker in ihm allerdings re<strong>ch</strong>t wirkungsvoll zu inszenieren, wie<br />

Haller seinem Tagebu<strong>ch</strong> anvertraut:<br />

Übrigens hatte diese Kunst wirkli<strong>ch</strong> einen gewissen S<strong>ch</strong>ein für si<strong>ch</strong>, namentli<strong>ch</strong>,<br />

wenn man sie mit s<strong>ch</strong>önen Worten, mit kunstvoller Demonstration und Gestikulation<br />

herausstri<strong>ch</strong>. 110<br />

Handwerkli<strong>ch</strong>-te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> offenbar ni<strong>ch</strong>t weniger begabt, 111 legte Funcklin<br />

anfängli<strong>ch</strong> sogar im operativen Berei<strong>ch</strong> des Unternehmens Hand an. So<br />

war er Anfang 1557 damit bes<strong>ch</strong>äftigt, «Muster der Kunst» anzufertigen,<br />

112 womit ni<strong>ch</strong>t etwa jene verkleinerten Ofenmodelle gemeint waren,<br />

wel<strong>ch</strong>e die Hafner zu Werbezwecken in i<strong>hr</strong>en Werkstätten aufzustellen<br />

108<br />

109<br />

110<br />

111<br />

112<br />

StadtA Biel LII, Nr. 30 (J. Funcklin an den Rat zu Biel, 10. März 1558).<br />

StAZH E II 370, 253 (Johannes Haller an Heinri<strong>ch</strong> Bullinger, 12. April 1558).<br />

Chananeus: «Simon Chananaeus ipse est qui ab alio Evangelista scribitur Zelotes,<br />

Chana quippe zelus interpretatur», Thomas von Aquin: Catena ad Matthaeum 10:4.<br />

Tagebu<strong>ch</strong> J. Haller (wie Anm. 99), 275.<br />

1554 bittet Gerwig Blarer Funcklin um sein Rezept für rote und s<strong>ch</strong>warze Tinte,<br />

Blarer BW 3, Nr. 1923 (9. Mai 1554).<br />

Blarer BW 3, Nr. 2088 (W. Musculus an A. Blarer, 16. Februar 1557).


92<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

pflegten, 113 sondern um einen regelre<strong>ch</strong>ten Studierzimmerofen, den<br />

Musculus na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit im Pfarrhaus Am Ring Nr. 4 besi<strong>ch</strong>tigen<br />

wollte. 114<br />

5.2. Auf dem Weg zum Rei<strong>ch</strong>spatent<br />

[7] Im Februar 1555 bes<strong>ch</strong>affen si<strong>ch</strong> Jakob Funcklin und Ulri<strong>ch</strong> Kundigmann<br />

eine Konstanzer Aufenthaltsgenehmigung, 115 kurz davor oder<br />

dana<strong>ch</strong> kommt Konrad Zwick na<strong>ch</strong> Biel. 116 Anfang November 1556 reist<br />

Funcklin in Begleitung des einflussrei<strong>ch</strong>en Ratsherrn Heinri<strong>ch</strong> Jeger,<br />

seines späteren S<strong>ch</strong>wagers, über Züri<strong>ch</strong> (Heinri<strong>ch</strong> Bullinger, Thomas<br />

Blarer, Konrad Zwick?), Griesenberg (Barbara von Ulm) wiederum na<strong>ch</strong><br />

Konstanz, wo vermutli<strong>ch</strong> Verhandlungen mit Kundigmann stattfinden. 117<br />

Ende 1556 s<strong>ch</strong>einen si<strong>ch</strong> die massgebli<strong>ch</strong>en Protagonisten der Holzsparkunst<br />

– Agenten wie Aktionäre – gefunden zu haben (vgl. Abb. 5).<br />

[8] Territorialherrli<strong>ch</strong>e Freiheiten zu besitzen, eine sol<strong>ch</strong>e vom prestigeträ<strong>ch</strong>tigen<br />

Stadtstaat Bern zumal, 118 erhöhte die Aussi<strong>ch</strong>t auf ein<br />

Rei<strong>ch</strong>spatent um ein Beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es. «Vergeßt die Holzkunst ni<strong>ch</strong>t!»,<br />

mahnt der s<strong>ch</strong>on früh eingeweihte Wolfgang Musculus im Oktober 1556<br />

die Freunde in Biel. 119 Am 11. Dezember werden Funcklin und Kundigmann<br />

von einem si<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gelangweilten Rat empfangen: «I<strong>ch</strong> […] erfu<strong>hr</strong><br />

gestern, daß man das große Gut wenig s<strong>ch</strong>ätzt», verrät Musculus<br />

113<br />

114<br />

115<br />

116<br />

117<br />

118<br />

119<br />

Harald Rosmanitz: Exkurs: Der Ka<strong>ch</strong>elofen und seine Entwicklung bis ins 18.<br />

Ja<strong>hr</strong>hundert, in: 1200 Ja<strong>hr</strong>e Ettlingen. Ar<strong>ch</strong>äologie einer Stadt. Beiheft zur Ausstellung,<br />

Ar<strong>ch</strong>äologis<strong>ch</strong>e Informationen aus Baden-Württemberg 4 (1988), 87–92.<br />

Blarer BW 3, Nr. 289 (W. Musculus an A. Blarer, 2. März 1557). Zu Funcklins<br />

mutmassli<strong>ch</strong>er Adresse vgl. Bourquin, Biel (wie Anm. 30), 333.<br />

Wolfgang Wimmermann: Rekatholisierung, Konfessionalisierung und Ratsregiment,<br />

Sigmaringen 1994, 92, Anm. 135. (2. Februar 1555).<br />

StadtA Biel CCXCI, Bd. 32 (Seckelamtsre<strong>ch</strong>nung 1555), freundli<strong>ch</strong>er Hinweis von<br />

Herrn Prof. Dr. Max S<strong>ch</strong>iendorfer.<br />

Blarer BW 3, Nrn. 2077 (5. November 1556), 2078 (5. November 1556 ); StadtA<br />

Biel CCXCI, Bd. 32, (sub 22./23. Dezember 1556).<br />

Die Holzsparkunst in Bern s<strong>ch</strong>ildert quellenmässig nahezu ers<strong>ch</strong>öpfend Hans Morgenthaler:<br />

Bern und die Holzsparkunst im 16. Ja<strong>hr</strong>hundert, in: AnzSG 18 (1920),<br />

93–105. Zusammenfassend: Martin Stuber: Der Holzsparofen von Jakob Funkli<br />

1556/57, in: Holenstein, Berns mä<strong>ch</strong>tige Zeit (wie Anm. 7), 419.<br />

Blarer BW 3, Nr. 2074 (20. Oktober 1556).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 93<br />

Ambrosius Blarer. Er selber wäre gerne bereit, das Sparpotential der<br />

neuen Te<strong>ch</strong>nologie gegen eine Gebü<strong>hr</strong> zu nutzen. 120<br />

[9] In eben diesen Tagen geht der Bieler Ratsherr Stephan Wyttenba<strong>ch</strong><br />

auf Blarers Veranlassung auf promotional tour na<strong>ch</strong> Genf. Blarer<br />

legt Calvin die Erfindungen («inventa») des Vetters Zwick ans Herz und<br />

empfiehlt die breite Produktepalette von «camini» 121 , «furni» und «fornaces»<br />

aufs Wärmste. 122 Konkrete Verhandlungen mit dem Genfer Rat<br />

s<strong>ch</strong>einen Funcklin und Kundigmann jedo<strong>ch</strong> erst na<strong>ch</strong> Neuja<strong>hr</strong> 1557 gefü<strong>hr</strong>t<br />

zu haben. 123<br />

[10] In der Weihna<strong>ch</strong>tswo<strong>ch</strong>e 1556 finden vor dem Rat der Stadt<br />

Basel Demonstrationen statt, die no<strong>ch</strong> an der Zurza<strong>ch</strong>er Herbstmesse<br />

1557 zu reden geben. Der opinion leader Bonifatius Amerba<strong>ch</strong> übt si<strong>ch</strong><br />

indessen in Zurückhaltung und lässt es lieber «ander lüt brobieren» 124 .<br />

[11] Der am 9. Dezember 1556 dur<strong>ch</strong> «Frideri<strong>ch</strong>en Frommers holtzsparungs<br />

kunst verwandtenn» beim Supplikationsauss<strong>ch</strong>uss in Mainz<br />

eingerei<strong>ch</strong>te Patentantrag wird am 31. Dezember vom Fürstenrat beraten<br />

und an den Rei<strong>ch</strong>shofrat überwiesen. 125<br />

120<br />

121<br />

122<br />

123<br />

124<br />

125<br />

Blarer BW 3, Nr. 2080 (12. Dezember 1556).<br />

Vorne offene Feuerstätten, DWb 11, 100. Der mit den Brüdern Blarer befreundete<br />

Strassburger Arzt und Universalgele<strong>hr</strong>te Johann Winter von Anderna<strong>ch</strong> (vgl. Anm.<br />

61) gab in De pestilentia commentarius in quatuor dialogos distinctus, Strassburg<br />

1565, den «wels<strong>ch</strong>en caminen» (camini Gallici sive Italici) bei der Pesthygiene den<br />

Vorzug vor den Ka<strong>ch</strong>elöfen (hypocausta apud Germanos), vgl. Joseph Krieger:<br />

Beiträge zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Volksseu<strong>ch</strong>en. Zur medicinis<strong>ch</strong>en Statistik und Topographie<br />

von Strassburg im Elsass, Strassburg 1879, 137. Im so genannten Troja-<br />

Kamin auf S<strong>ch</strong>loss Nesselrode-Hugenpoet (Westfalen) s<strong>ch</strong>eint si<strong>ch</strong> ein wels<strong>ch</strong>er<br />

Holzspar-Kamin von 1577 erhalten zu haben. Vgl. Fr[iedri<strong>ch</strong>] Tophof: Kamin im<br />

S<strong>ch</strong>losse Nesselrode-Hugenpoet, in: Zeitsc<strong>hr</strong>ift für Bauwesen 27 (1877), 91–98,<br />

96: «Der innere Raum hinter dem Kaminaufbau ist hohl und na<strong>ch</strong> Art der Ka<strong>ch</strong>elöfen<br />

zur Ansammlung und für den Dur<strong>ch</strong>zug der warmen Luft eingeri<strong>ch</strong>tet [steigende<br />

und stürzende Rau<strong>ch</strong>gaszüge, HRL]. Den glei<strong>ch</strong>en Zweck haben zwei senkre<strong>ch</strong>te<br />

Kanäle im Mauerkörper der aufgehenden Wände, die Absperrung und<br />

Regulierung der Luft erfolgt dur<strong>ch</strong> Klappen.»<br />

Dasypodius, Dictionarium (wie Anm. 25): caminus = offen, bzw. kemmin; furnus =<br />

ba<strong>ch</strong> off; fornax = brenofen (Blarer BW 3, Nr. 2080: ba<strong>ch</strong>ofen).<br />

Blarer BW 3, Nr. 2079 = CO 15, Nr. 2559 (12. Dezember 1556); Blarer BW 3, Nr.<br />

2081 = CO 16, Nr. 2571 (31. Dezember 1556).<br />

BW Amerba<strong>ch</strong> 10/2, Nr. 4228, Anm. 6 (= StABS Fin G 18).<br />

OeStA/HHStA/MEA-RTA 42, 4 r (1. Supplikationsauss<strong>ch</strong>uß-Protokoll) (9. Dezember<br />

1556); 525 r (2. Fürstenratsprotokoll) (RK RTA 39) (31. Dezember 1556).<br />

Herrn Prof. Dr. Rolf Decot, Mainz, danke i<strong>ch</strong> für die freundli<strong>ch</strong>e Überlassung sei-


94<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

[12] Re<strong>ch</strong>berger zufolge soll Funcklin die Holzsparkunst au<strong>ch</strong> «zu<br />

Lucern, jn den andren vier ortenn [Uri, S<strong>ch</strong>wyz, Ob- und Nidwalden,<br />

Zug] […] vßgebra<strong>ch</strong>tt vnd gelernett [gele<strong>hr</strong>t]» haben. 126 Die im Einzelnen<br />

ni<strong>ch</strong>t dokumentierte Ges<strong>ch</strong>äftsreise wird wä<strong>hr</strong>end jener Januartage<br />

1557 stattgefunden haben, als Ambrosius Blarer dem Bruder seine Überlastung<br />

«infolge Abwesenheit Funklis» klagte und glei<strong>ch</strong>zeitig der Hoffnung<br />

Ausdruck gab, «dass der große Rei<strong>ch</strong>tum des Vetters (auf den i<strong>ch</strong><br />

me<strong>hr</strong> nur im Traum hoffe), au<strong>ch</strong> Dir zu Nutzen komme» 127 .<br />

[13] Auf Anfang 1557 zu datieren ist wohl au<strong>ch</strong> die Abfu<strong>hr</strong>, wel<strong>ch</strong>e<br />

Funcklin seitens des reformierten Glarner Landammanns Joa<strong>ch</strong>im Bäldi<br />

«mit dem Hinweis auf die stolzen Forste» zuteil wurde. 128<br />

[14] Gemäss Re<strong>ch</strong>berger soll «herr Jacob» die «edle kunst» au<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong> dem oberelsässis<strong>ch</strong>en Mülhausen getragen haben. Zu diesem Zugewandten<br />

Ort der Eidgenossens<strong>ch</strong>aft besass Funcklin, wie si<strong>ch</strong> weisen<br />

wird, eine besondere Affinität. 129<br />

[15] Vermutli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Bullingers Vermittlung haben die Agenten<br />

des Holzsparkonsortiums im Januar 1557 Gelegenheit, vor einem Ratsauss<strong>ch</strong>uss<br />

der Stadt Züri<strong>ch</strong> eine «grosse Probe» mit «Stubenofen, Ko<strong>ch</strong>herd<br />

und Backofen» im weitläufigen Kloster Oetenba<strong>ch</strong> abzulegen. 130<br />

[16] Von erfolgrei<strong>ch</strong>en Demonstrationen vor dem Rat zu Strassburg<br />

weiss Johannes Sturm Anfang Januar 1557 dem König C<strong>hr</strong>istian III. von<br />

Dänemark zu beri<strong>ch</strong>ten: «pecuniam non paruam pro se & ciuibus dedit»,<br />

es kam, mit anderen Worten, zu einem Nutzungsvertrag. Neben dem<br />

ganzen Spektrum der häusli<strong>ch</strong>en Holzsparte<strong>ch</strong>nik hat das Konsortium offenbar<br />

grosste<strong>ch</strong>nologis<strong>ch</strong>e und militäris<strong>ch</strong>e (?) Anwendungen im Kö<strong>ch</strong>er:<br />

«alia adhuc habent secretiora quae ad salinas, & ad tincturam, & ad<br />

126<br />

127<br />

128<br />

129<br />

130<br />

ner Transkripte. Vgl. Hauptstaatsar<strong>ch</strong>iv Stuttgart (im Folgenden: HStA Stuttgart) H<br />

262, Bd. 47, 524 r –526 r (31. Dezember 1556).<br />

Re<strong>ch</strong>berger, C<strong>hr</strong>onik (wie Anm. 30), 111f. (sub 1557).<br />

Blarer BW 3, Nr. 2084 (18. Januar 1557).<br />

Georg Thürer: Kultur des alten Landes Glarus, Glarus 1936, 326 (ohne Beleg).<br />

Bäldi hatte 1548 mit dem Freiberg Kärpf 1548 das älteste Wildreservat der<br />

S<strong>ch</strong>weiz gegründet, vgl. Veronika Feller: Art. Joa<strong>ch</strong>im Bäldi, in HLS 1 (2002),<br />

677.<br />

Vgl. unten Abs<strong>ch</strong>n. 7.2.2. c).<br />

Blarer BW 3, Nr. 2085 (1. Februar 1557); CO 16, Nr. 2595 (8. Februar 1557).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 95<br />

rationem militarem, aliasque commoditates pertinent» 131 . Am 1. April<br />

meldet Sturm die Anwesenheit von zwei auswärtigen Holzkünstlern<br />

(Funcklin und Kundigmann?), die unlängst ein Rei<strong>ch</strong>spatent erlangt hätten,<br />

«quorum alter multis principibus et magistratibus <strong>ch</strong>arus et acceptus<br />

est» 132 . Über Musteröfen, die er bei Sturm gesehen hat, wird der Jurist<br />

François Hotman Calvin Ende Mai ausfü<strong>hr</strong>li<strong>ch</strong> Beri<strong>ch</strong>t erstatten. 133<br />

5.3. Im Zenith<br />

[17] Vier Tage vor Abs<strong>ch</strong>luss des Rei<strong>ch</strong>stages zu Regensburg, am 13.<br />

März 1557, erteilt König Ferdinand I.<br />

den erfindern, als obgemeltem Fridri<strong>ch</strong> Frommer, Konrad Zwicken zue Rhor seligen<br />

verlaßnen khindern unnd erben, unnd Hanns Ulri<strong>ch</strong> Kündigman, Burger zue<br />

Costentz, unnser kunigli<strong>ch</strong>e freyhait […] im einheitz, ko<strong>ch</strong>en, ba<strong>ch</strong>en vnnd<br />

iebung der wels<strong>ch</strong>en caminen. 134<br />

Das 10-jä<strong>hr</strong>ige Rei<strong>ch</strong>spatent ist in den kaiserli<strong>ch</strong>en Erblanden und in den<br />

Rei<strong>ch</strong>sstädten direkt verwertbar 135 und mit dem Re<strong>ch</strong>t verbunden, die<br />

«khunst» gegen eine Lizenzgebü<strong>hr</strong> von einem Drittel der eingesparten<br />

Heizkosten zu vertreiben, bei einer Busse von «zwainzig Markh lo tigs<br />

goldts» für jede Urheberre<strong>ch</strong>tsverletzung. Die erfolgverspre<strong>ch</strong>ende Urkunde<br />

gibt das Konsortium umgehend in den Druck:<br />

131<br />

132<br />

133<br />

134<br />

135<br />

Andreas S<strong>ch</strong>uhma<strong>ch</strong>er (Hg.): Briefe gele<strong>hr</strong>ter Männer an die Könige in Dänemark<br />

vom Ja<strong>hr</strong> 1522 bis 1663, 3 Bde., Kopenhagen u. a. 1758f. (im Folgenden: Dänemark<br />

BW), Bd. 2, 345f. (3. Januar 1557).<br />

Dänemark BW 2, 349 (1. April 1557).<br />

CO 16, Nr. 2638, vgl. unten, Anh. 1. Zur Holzsparkunst in Strassburg vgl. Fu<strong>ch</strong>s,<br />

Re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>es (wie Anm. 8).<br />

OeStA/HHStA/RHR Grat Feud Gewerbe-, Fabriks- und Handlungsprivilegien 11–<br />

59, 609 r –610 v .613 r (13. März 1557), «Collationata na<strong>ch</strong> dem re<strong>ch</strong>ten haupt-originalbrieff<br />

von Regenspurg, den 18 ten Augustj Anno 76». Vgl. au<strong>ch</strong>: OeStA/HHStA/<br />

MEA RTA 42, 63ff. (1. Supplikationsauss<strong>ch</strong>uß-Protokoll) (15. März 1557 [!]).<br />

Herrn Prof. Dr. Rolf Decot danke i<strong>ch</strong> für die freundli<strong>ch</strong>e Überlassung au<strong>ch</strong> dieses<br />

Transkriptes.<br />

Zum Geltungsberei<strong>ch</strong> der kaiserli<strong>ch</strong>en Privilegien vgl. Silberstein, Erfindungss<strong>ch</strong>utz<br />

(wie Anm. 94), 61–64.


96<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

Copey vnnd Abtruck der Rö[mis<strong>ch</strong>en] Kön[igli<strong>ch</strong>en] May[estät] Freyheit / den erfündern<br />

der Holtzersparungskunst / auff Jüngst gehaltnem Rei<strong>ch</strong>stag zu Regenspurg<br />

/ diß lauffenden Lvij. Jars gegeben, Strassburg (S. Emmel) 1557, 4°. 136<br />

[18] Na<strong>ch</strong> wie vor sind in Bern nur wenige, dafür umso einflussrei<strong>ch</strong>ere<br />

Persönli<strong>ch</strong>keiten an der neuen Erfindung interessiert. Es sind dies, ausser<br />

den Theologen Musculus und Haller, denen Ambrosius Blarer ein «organum<br />

hypocausticum» gezeigt hatte, der Generalkommissär der Waadt<br />

Niklaus Zurkinden 137 sowie drei weitere Burger. Diesen Kreisen verdankt<br />

es Funcklin, dass er die «visirung vnnd munster [!] ettli<strong>ch</strong>er stu -<br />

cken» in der Ratstube vorfü<strong>hr</strong>en darf, worüber ihm die Staatskanzlei «vff<br />

sin begär» am 23. März 1557 eine Beglaubigung ausstellt. 138<br />

[19] Eine Kopie des Berner Kunds<strong>ch</strong>aftsbriefs s<strong>ch</strong>ickt Funcklin am<br />

31. März an Calvin zuhanden des Staatssekretärs Mi<strong>ch</strong>el Roset. Die Angelegenheit<br />

ist mit diesem abgespro<strong>ch</strong>en: «is curabit negotium senatui<br />

proponi. Tu si quid potes, promoveto id diligenter» 139 .<br />

[20] Am glei<strong>ch</strong>en Tag überbringt Funcklin einen Brief ähnli<strong>ch</strong>en Inhalts<br />

dem Freund Farel na<strong>ch</strong> Neuenburg. 140<br />

[21] Dank der erfolgrei<strong>ch</strong>en Probe, die der «landtsëß Jacob Zwick<br />

z Ror vnnd anndere der holtzsparung kunst verwandten» vor einem<br />

136<br />

137<br />

138<br />

139<br />

140<br />

Vorhanden in: Göttingen, Niedersä<strong>ch</strong>s. Staats- und Universitätsbibliothek, 8 OEC<br />

I, 3838; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, H: L 338.4° Helmst. (6); London,<br />

British Museum 9325.b.24, vgl. Miriam Usher C<strong>hr</strong>isman: Bibliography of<br />

Strasbourg imprints, 1480–1599, New Haven u. a. 1982, 41. Früheste Erwähnung<br />

bei Johann Jacob S<strong>ch</strong>übler: Nützli<strong>ch</strong>e Vorstellung und deutli<strong>ch</strong>er Unterri<strong>ch</strong>t von<br />

Zierli<strong>ch</strong>en, bequemen und Holtz ersparenden Stuben-Oefen, Nürnberg 1728, Vorberi<strong>ch</strong>t,<br />

1, sowie Johann Heinri<strong>ch</strong> Zedler: Universal-Lexicon, 64+4 Bde., Leipzig<br />

1731–1754, Bd. 14 (1739), 711.<br />

Bekannt sind Zurkindens mathematis<strong>ch</strong>e und physikalis<strong>ch</strong>e Interessen, Eduard<br />

Bähler: Nikolaus Zurkinden von Bern 1506–1588, Züri<strong>ch</strong> 1912, 173f. 1584 demonstrierte<br />

der greise Zurkinden ein die Me<strong>ch</strong>anik der Handfeuerwaffen revolutionierendes<br />

S<strong>ch</strong>nellfeuergewe<strong>hr</strong> mit drehbarer Ladetrommel, vgl. Organ der Militärwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Vereine 10 (1875), XCIII.<br />

StABE A II 211, 43 (23. März 1557); A I 347, 671 (23. März 1557); Burgerbibliothek<br />

Bern Mss. h.h. I 117, 32 r (Berner C<strong>hr</strong>onik J. Haller d. Ae.), vgl. StABE DQ 14<br />

(Berner C<strong>hr</strong>onik von J. Haller und W. Müslin, Absc<strong>hr</strong>ift), 49 (23. März 1557).<br />

CO 16, Nr. 2611 (31. März 1557).<br />

Bibliothèque des Pasteurs Neu<strong>ch</strong>âtel [Depositum im Staatsar<strong>ch</strong>iv Neu<strong>ch</strong>âtel] portefeuille<br />

IX, liasse IV, no. 29 (31. März 1557), freundli<strong>ch</strong>er Hinweis von Herrn lic.<br />

theol. Rainer Henri<strong>ch</strong>, vgl. Blarer BW 3, S. 861, Anh. 3 (1. April 1557).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 97<br />

Ratsauss<strong>ch</strong>uss in Züri<strong>ch</strong> abgelegt haben, 141 und in Würdigung der «von<br />

ettli<strong>ch</strong>en potentaten vnnd herrs<strong>ch</strong>afften» ausgestellten Kunds<strong>ch</strong>aftsbriefe,<br />

erlangt das Konsortium, das einen Werbefeldzug «bÿ vnnseren get<strong>hr</strong>üwen<br />

lieben Eÿdtgnossen» beabsi<strong>ch</strong>tigt, am 3. April 1557 ein günstiges<br />

Zeugnis. 142<br />

[22] Eben davon s<strong>ch</strong>eint man in Bern weitere Verhandlungen abhängig<br />

gema<strong>ch</strong>t zu haben. Eine Einladung der «holtz ku nstler von Byel<br />

jn miner H[erren] costen» fällt genau auf jenen 2. Juni 1557, als der Rat<br />

eine empfindli<strong>ch</strong>e Reduktion der Holzdeputate aus dem Bremgartenwald<br />

bes<strong>ch</strong>liessen sollte. 143 «Lignariae fornaces hic nunc eriguntur Funcklio<br />

authore», meldet Haller am 9. Juni na<strong>ch</strong> Züri<strong>ch</strong>, was wohl soviel heisst,<br />

dass ansässige Hafner unter Funcklins Anleitung daran waren, eine grosse<br />

Probe aufzubauen. 144 Eine Wo<strong>ch</strong>e später ist es so weit:<br />

Am 16. Juni [1557] fand ein gemeinsames Mittagessen des Rates zu Predigern<br />

[ehem. Dominikanerkloster] mit Jakob Funkli statt zur Erprobung der Holzsparkunst.<br />

Das Gastmahl gefiel einigen besser als diese Kunst, die si<strong>ch</strong> später als ni<strong>ch</strong>tig<br />

erwies. […] Unsere Obrigkeit gab ihnen 1’000 Pfund. Na<strong>ch</strong>dem aber das Aktienkapital<br />

(pecunia quaestuaria) zusammengebra<strong>ch</strong>t worden war, versagte diese<br />

Kunst zur grossen Entrüstung derer, die, zum Besten gehalten, grosse und vergebli<strong>ch</strong>e<br />

Opfer dafür gebra<strong>ch</strong>t hatten. 145<br />

Hallers retrospektiver «Tage»bu<strong>ch</strong>eintrag, in wel<strong>ch</strong>em subjektive und<br />

objektive Negativeins<strong>ch</strong>ätzungen si<strong>ch</strong> vermis<strong>ch</strong>en, 146 sollte in der berni-<br />

141<br />

142<br />

143<br />

144<br />

145<br />

146<br />

Funcklin war in diesen Tagen na<strong>ch</strong>weisli<strong>ch</strong> in Züri<strong>ch</strong>, Blarer BW 3, Nr. 2094 (A.<br />

Blarer an H. Bullinger, 15. April 1557).<br />

ZBZH, Ms. S 89, 95 (3. April 1557) = Ms. S 89, 94 (Simleriana; vgl. S. 145, Nr. 4).<br />

StABE A II 211, 302 (31. Mai 1557); A II 211, 311 (2. Juni 1557), vgl. Morgenthaler,<br />

Holzsparkunst (wie Anm. 118), 97–99 (Quellen).<br />

StAZH E II 370a, 578 (W. Musculus an H. Bullinger, 9. Juni 1557). Autor ist «ein<br />

vrheber eins dings, der den anfang tht oder rhat gibt», Dasypodius, Dictionarium<br />

(wie Anm. 25). Ortsansässige Handwerker kamen 1557 in Ulm wie in Züri<strong>ch</strong> zum<br />

Einsatz, vgl. die Nummern [22] und [33] im Text.<br />

Tagebu<strong>ch</strong> J. Haller (wie Anm. 99), 275f.; vgl. C<strong>hr</strong>onik Haller/Müslin (wie Anm.<br />

138), 34 r : «Am 17.[!] Junij.»<br />

Hallers Reserviertheit Funcklin gegenüber ist alt: Als «iuvenem satis sibi fidentem,<br />

ut audio» bezei<strong>ch</strong>net der Berner Dekan den glei<strong>ch</strong>altrigen Bieler Kollegen von Anfang<br />

an, StAZH E II 370, 112 (J. Haller an H. Bullinger, 17. Januar 1550), vgl.<br />

au<strong>ch</strong> Blarer BW 3, Nr. 1983 (W. Musculus an A. Blarer, 30. April 1555). Zu den<br />

entrüsteten Aktionären gehörte mögli<strong>ch</strong>erweise au<strong>ch</strong> jener Niklaus IV. (?) Diesba<strong>ch</strong>,<br />

dem Funcklin bzw. dessen Witwe 3’000 Kronen s<strong>ch</strong>uldig geblieben war,


98<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

s<strong>ch</strong>en Historiographie perpetuieren. Am deutli<strong>ch</strong>sten bei dem ebenso<br />

quellenkundigen wie obrigkeitstreuen Mi<strong>ch</strong>ael Stettler (1580–1642), 147<br />

der die ganze Holzsparkunst als eine einzige Beutels<strong>ch</strong>neiderei darstellt,<br />

inszeniert dur<strong>ch</strong><br />

etli<strong>ch</strong>e betru ger, vermeinte künstler vndt hungerige landtstrÿ<strong>ch</strong>er, deren der a<strong>ch</strong>tbariste<br />

von Costentz bürtig.» 148 – «Diese betrieger flicketen si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in die statt<br />

Bern mit glatten worten ein. […] Deß gelts war viel, deß vortheils aber wenig. 149<br />

Von alledem ist im Frühsommer 1557 jedo<strong>ch</strong> weder etwas zu hören no<strong>ch</strong><br />

zu lesen. Im Gegenteil: Am 21. Juni erlangen Funcklin und Konsorten<br />

einen feierli<strong>ch</strong>en Kunds<strong>ch</strong>aftsbrief in zweifa<strong>ch</strong>er Ausfü<strong>hr</strong>ung (Abb. 9).<br />

H Jacob Füncklin vnd | sinen mittverwandten holtz | künstlern<br />

ein s<strong>ch</strong>ÿn oder | kundts<strong>ch</strong> brieff der holtzkunst halb<br />

wie | jnen die statt Züri<strong>ch</strong> einen | gäben. 150<br />

Abb. 9: Bern, Ratsmanual:<br />

Eintrag des<br />

Ratssc<strong>hr</strong>eibers unter<br />

dem 21. Juni 1557.<br />

Ausserdem wird den Holzkünstlern zugesi<strong>ch</strong>ert, dass die bernis<strong>ch</strong>en<br />

Tagsatzungs-Abgeordneten mit den Boten der anderen Orte über allfällige<br />

Privilegien «inn den Frÿen Ämpteren vnnd Gemeÿn Vogtÿen der<br />

Eydtgnoss<strong>ch</strong>afft» verhandeln würden. 151 Der am 24. Juni den Hafnern<br />

abverlangte Eid, die «nu w erfundne kunst des holtzsparens» nur gegen<br />

147<br />

148<br />

149<br />

150<br />

151<br />

StAZH E II 344, 33 (J. Finsler an H. Bullinger, 21. März 1572). Die Kenntnis beider<br />

Briefe an Bullinger verdanke i<strong>ch</strong> Herrn lic. theol. Rainer Henri<strong>ch</strong>.<br />

Zu Mi<strong>ch</strong>ael Stettler: Urs Martin Zahnd: «Wir sind willens ein kronick besc<strong>hr</strong>iben<br />

ze lassen». Bernis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tssc<strong>hr</strong>eibung im 16. und 17. Ja<strong>hr</strong>hundert, in: Berner<br />

Zeitsc<strong>hr</strong>ift für Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Heimatkunde 67 (2005), 37–61, 43–46 (Lit.).<br />

StABE DQ 11 (Stettler C<strong>hr</strong>onik, Manuskript), 171 r .<br />

Mi<strong>ch</strong>ael Stettler, C<strong>hr</strong>onicon, 2 Teile in 1 Bd., o. O. [Bern] 1626, Theil II, 195.<br />

StABE A II 212, 24 (Ratsmanual); A I 347, 768 (Missive).<br />

StABE A II 212, 24 (21. Juni 1557) (Ratsmanual); A IV 194, 152 v f. (27. Juni 1557)<br />

(Instruktion).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 99<br />

eine Lizenzgebü<strong>hr</strong> «zeoffnen», 152 verleiht dem bernis<strong>ch</strong>en «s<strong>ch</strong>ÿn» den<br />

Charakter eines regelre<strong>ch</strong>ten Privilegs.<br />

[23] Da der Stand Bern in den Deuts<strong>ch</strong>en Gemeinen Vogteien ledigli<strong>ch</strong><br />

die Grafs<strong>ch</strong>aft Baden mitverwaltete, bedurfte das Konsortium zur<br />

grossräumigen Diffusion seiner Produkte der Unterstützung Züri<strong>ch</strong>s. Um<br />

si<strong>ch</strong> diese zu si<strong>ch</strong>ern, s<strong>ch</strong>eint Zwick S<strong>ch</strong>ulthaiß zufolge dem Stand Züri<strong>ch</strong><br />

die unentgeltli<strong>ch</strong>e Nutzung der Holzsparkunst angeboten zu haben:<br />

Conrat Zwick hat denen von Zuri<strong>ch</strong> als siner oberkait freÿ<br />

vergebens [unentgeltli<strong>ch</strong>] mit gethailt. 153<br />

An jenem 16. Juni 1557, als Jakob Funcklin sein Glück in Bern versu<strong>ch</strong>t,<br />

fü<strong>hr</strong>t Jakob Zwick eine Demonstration auf dem elterli<strong>ch</strong>en Landgut «Im<br />

Ro<strong>hr</strong>» dur<strong>ch</strong>. Der Grossveranstaltung war na<strong>ch</strong> dem Winterthurer C<strong>hr</strong>onisten<br />

Meyer ein Werberummel mit «brummen [beru men = prahlen] vnd<br />

vßsc<strong>hr</strong>ygen vnd erbietung» vorangegangen. Geladen waren Hafnermeister<br />

und interessierte Bürger von Züri<strong>ch</strong>, S<strong>ch</strong>affhausen, Diessenhofen,<br />

Stein am Rhein, Frauenfeld, Wil, Winterthur, Rapperswil und «au<strong>ch</strong> ander<br />

vmligend stett»:<br />

Diesen hand da die fro mden meyster yre kunst probiertt mit ba<strong>ch</strong>en, süden vnd<br />

bratten, alles uon einem für [Feuer], vnd das uon lüczell [wenig] holcz. I<strong>ch</strong> hab<br />

no<strong>ch</strong> nie […] kein offen gese<strong>ch</strong>en, darin diße kunst probiert sige worden, woll<br />

[obwohl] etli<strong>ch</strong> burger gsin sind, die willens sind, ein semli<strong>ch</strong>en offen laßen ma<strong>ch</strong>en.<br />

154<br />

[24] Gemäss Meyer sind die «fro mden meister» au<strong>ch</strong> «für die Drÿg<br />

Pündt [Drei Bünde] gen Chur uffhin kerrtt», und zwar in Begleitung des<br />

Baumeisters Othmar Laubi, des späteren S<strong>ch</strong>ultheissen von Winter-<br />

152<br />

153<br />

154<br />

StABE A II 212, 32. Ni<strong>ch</strong>t alle Ofenbauer s<strong>ch</strong>einen si<strong>ch</strong> daran gehalten zu haben,<br />

vgl. Blarer BW 3, Nr. 2113 (W. Musculus an A. Blarer, 5. Oktober 1557). In Bern<br />

waren etwa vier Hafnermeister glei<strong>ch</strong>zeitig tätig, vgl. Adriano Bos<strong>ch</strong>etti-Maradi:<br />

Berner Hafner – zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te eines Handwerks, in: Holenstein, Berns mä<strong>ch</strong>tige<br />

Zeit (wie Anm. 7), 438 (Lit.).<br />

S<strong>ch</strong>ulthaiß, Collectaneen (wie Anm. 19), 39. Diese Mitteilung bezieht si<strong>ch</strong> vermutli<strong>ch</strong><br />

eher auf Konrads Sohn Jakob Zwick, da zu Lebzeiten des älteren Zwick das<br />

neue Heizprinzip ni<strong>ch</strong>t einmal im engsten Freundeskreis enthüllt worden war, vgl.<br />

Blarer BW 3, Nr. 2088 (W. Musculus an A. Blarer, 16. Februar 1557).<br />

Meyer, Winterthurer C<strong>hr</strong>onik (wie Anm. 29), 94 rv .


100<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

thur, 155 «der ist ÿr redner gsin, hand ÿn blo net [ents<strong>ch</strong>ädigt]». Zu einem<br />

Ges<strong>ch</strong>äftsabs<strong>ch</strong>luss kommt es jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, da der Freistaat Graubünden<br />

das Ergebnis der laufenden Tagsatzungsverhandlungen abwartet: «Was<br />

vnsere Eÿdgnossen thu gind, das wellind sÿ au<strong>ch</strong> thn.» 156<br />

[25] An der Badener Ja<strong>hr</strong>re<strong>ch</strong>nung vom 27. Juni 1557 ist das Holzsparges<strong>ch</strong>äft<br />

ni<strong>ch</strong>t traktandiert. Am 4. September erteilt Bern seinen<br />

Boten wiederum eine Instruktion, do<strong>ch</strong> am 5. müssen die «erfinder der<br />

nüwen holtz sparungskunst» – Funcklin oder J. Zwick – i<strong>hr</strong> Anliegen in<br />

Abwesenheit der Berner Gesandts<strong>ch</strong>aft vorbringen. Wegen «vnglÿ<strong>ch</strong>er<br />

meÿnung» wird das Ges<strong>ch</strong>äft «ad referendum» genommen. Da einzelne<br />

Orte mit den Holzkünstlern in der Zwis<strong>ch</strong>enzeit bereits verhandelt hatten,<br />

ents<strong>ch</strong>eidet die Tagsatzung am 30. November 1557, allfällige «stürr<br />

vnnd handdtrei<strong>ch</strong>ung an iren [sc. der Holzkünstler] gehepten costen»<br />

jedem Ort freizustellen. Au<strong>ch</strong> die Kir<strong>ch</strong>en und Klöster in den Gemeinen<br />

Vogteien, «wel<strong>ch</strong>e dann große fhürr bru<strong>ch</strong>en», sollten si<strong>ch</strong> gegebenenfalls<br />

«mit den erfindern diser holtzkunst gu ttli<strong>ch</strong> vert<strong>hr</strong>agen» 157 . Mit diesem<br />

Ergebnis konnte das Konsortium zufrieden sein oder au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t.<br />

[26] In Entspre<strong>ch</strong>ung einer Supplikation Funcklins «innamen vnd<br />

von wägen deß edlen vesten Jacob Zwicken z Ror vnd siner mithafften»,<br />

erweitert der Rat zu Bern am 23. Juli 1557 den Kunds<strong>ch</strong>aftsbrief<br />

vom 21. Juni zu einer «Holzku nstleren frÿheit»:<br />

Den erfindern der holtz ersparung kunst ein priuilegium, dz M[ine] h[erren] jnen<br />

vergöndt, x. jar lang mit der landts<strong>ch</strong>afft derohalb zeüberkhommen, wie sÿ es begärdt.<br />

Vnd sol den amptluthen allenthalben gsc<strong>hr</strong>iben werden, wär die kunst bru<strong>ch</strong>te<br />

vor und ee er si<strong>ch</strong> mit den künstlern gsetzt hette, das derselb Mh. x. lb verfallen<br />

sin sölle. 158<br />

155<br />

156<br />

157<br />

158<br />

Eidgnößis<strong>ch</strong>-S<strong>ch</strong>weytzeris<strong>ch</strong>er Regiments E<strong>hr</strong>en-Spiegel, Zug 1706, 89; HBLS 4<br />

(1927), 612.<br />

Meyer, Winterthurer C<strong>hr</strong>onik (wie Anm. 29), 95 v .<br />

StABE A II 212, 272; A III 30, 600 (4. September 1557); A IV 38, 167 (5. September<br />

1557), vgl. Joseph Karl Kruetli (Bearb.): Die eidgenössis<strong>ch</strong>en Abs<strong>ch</strong>iede aus<br />

dem Zeitraume von 1556 bis 1586 (Die Amtli<strong>ch</strong>e Sammlung der älteren Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />

Abs<strong>ch</strong>iede, Bd. 4,2a), Bern 1861 (im Folgenden: EA 4,2a), 48f.; StABE A<br />

IV 194, 297 v (30. November 1557); A IV 38, 214f. (31.[!] November 1557), vgl.<br />

EA 4,2a, 56.<br />

StABE A II 212, 120; A I 348, 28–31 (23. Juli 1557).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 101<br />

Am 4. September wird den «holtzku nstlern» die hohe E<strong>hr</strong>e zuteil, «den<br />

offen jn der rhatstuben allhie» ma<strong>ch</strong>en zu dürfen, na<strong>ch</strong> dessen Fertigstellung<br />

300 Kronen – der seinen O<strong>hr</strong>en ni<strong>ch</strong>t trauende Ratsc<strong>hr</strong>eiber notiert<br />

«iij c gulden» – zur Auszahlung kommen sollen. 159 Der stolze Betrag<br />

spri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> herum, wie Musculus na<strong>ch</strong> Biel meldet:<br />

Über die Holzsparkunst ist das Gerü<strong>ch</strong>t entstanden, es werde hier ni<strong>ch</strong>t angeboten,<br />

was anderswo günstiger geliefert werde, weshalb viele si<strong>ch</strong> über Herrn Jakob aufregen<br />

und wenig freundli<strong>ch</strong> von der ganzen Erfindung reden. 160<br />

[27] Um einiges entspannter gestalten si<strong>ch</strong> die Verhältnisse in Konstanz,<br />

wo seit Juli 1557 neue Stubenöfen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>art in den<br />

Amtsräumen des Holzspar-Konsorten und «raitesc<strong>hr</strong>eibers» (Sekretär<br />

des Almosenamts) Ulri<strong>ch</strong> Kundigmann stehen, aber au<strong>ch</strong> anderswo in<br />

der Stadt. Öfen zum Erwärmen der Was<strong>ch</strong>lauge («b<strong>ch</strong>ofen»), Backund<br />

Ko<strong>ch</strong>öfen runden das Sortiment ab, über dessen Taugli<strong>ch</strong>keit C<strong>hr</strong>istoph<br />

S<strong>ch</strong>ulthaiß allerdings eine ernü<strong>ch</strong>ternde Eins<strong>ch</strong>ätzung abgibt: «I<strong>ch</strong><br />

hab ain bu<strong>ch</strong>offen lassen ma<strong>ch</strong>en, was [war] gut; das ander alles solt<br />

[taugte] gar ni<strong>ch</strong>ts.» 161<br />

[28] In Neuenburg bringt es Funcklins Propaganda zuwege, dass<br />

einzelne Bauherren Bereits<strong>ch</strong>aft zeigen, i<strong>hr</strong>e Häuser mit holzsparenden<br />

Öfen auszustatten. Auf die lizenzierten Hafner warten sie freili<strong>ch</strong> bis<br />

September 1557 vergebli<strong>ch</strong>, da Funcklin ohne das verspro<strong>ch</strong>ene Neuenburger<br />

Privileg ni<strong>ch</strong>ts unternehmen will. 162<br />

[29] Au<strong>ch</strong> in Lausanne wundert man si<strong>ch</strong> Mitte September 1557,<br />

«daß die Ersteller der neuen Öfen so lange zögern». Man erwartet sie<br />

tägli<strong>ch</strong>, «besonders Beza, aber au<strong>ch</strong> Viret». Am 1. Oktober stellt Ambro-<br />

159<br />

160<br />

161<br />

162<br />

StABE A II 212, 272 (4. September 1557). Auszahlungen: StABE B VII 458d, 17 v<br />

(100 kr, 2. November 1557); B VII 694c, 58 (150 kr, Ende 1558); B VII 458d, 15 v<br />

(50 kr, 9. Januar 1559).<br />

«De xylophidia rumor hoc increbuit esse hic non ea proposita, quam iam commodiora<br />

alibi traduntur, eamque ob causam multi succensent D. Iacobo et parum amice<br />

de toto invento loquuntur», Blarer BW 3, Nr. 2113 (W. Musculus an A. Blarer,<br />

5. Oktober 1557).<br />

S<strong>ch</strong>ulthaiß, Collectaneen (wie Anm. 19), 39.<br />

Blarer BW 3, Nr. 2107 (C. Fabri an A. Blarer, 2. September 1557); Nr. 2110 (C.<br />

Fabri an A. Blarer, 17. September 1557).


102<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

sius Blarer die Hafner in Aussi<strong>ch</strong>t: «Funkli wird zur letzten Vollendung<br />

na<strong>ch</strong>folgen», was offenbar Anfang Dezember endli<strong>ch</strong> der Fall ist. 163<br />

[30] Ob Funcklins ans<strong>ch</strong>liessende Fa<strong>hr</strong>t na<strong>ch</strong> Genf im Dienste der<br />

Holzsparkunst oder der Kir<strong>ch</strong>e stand oder beidem zuglei<strong>ch</strong>, ist ni<strong>ch</strong>t<br />

me<strong>hr</strong> zu ermitteln. Jedenfalls hofft Ambrosius Blarer, sein Kollege möge<br />

«bald dort sein und unsere Erwartung erfüllen» 164 .<br />

5.4. Rücks<strong>ch</strong>läge<br />

[31] Ganz ergebnislos endet der Versu<strong>ch</strong>, die Holzsparkunst in Polen zu<br />

etablieren. Als Agent fungiert hier der vermutli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Bullinger vermittelte<br />

«Anglo-Züri<strong>ch</strong>er» John Bur<strong>ch</strong>er, 165 dessen Reise na<strong>ch</strong> Polen anfängli<strong>ch</strong><br />

der kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Annäherung gegolten hatte. Mit einer Vollma<strong>ch</strong>t<br />

Jakob Zwicks und einem Empfehlungssc<strong>hr</strong>eiben Bullingers versehen,<br />

errei<strong>ch</strong>t der Engländer Anfang November 1557 Krakau und Piczów, wo<br />

ihn der Reformator Jan aski an den Kurfürsten von Wilna weiter empfiehlt.<br />

Von da erhofft si<strong>ch</strong> Bur<strong>ch</strong>er direkten Zugang zum König: «Privilegium<br />

consequuturum non dubito», beri<strong>ch</strong>tet er na<strong>ch</strong> Hause. Auf das<br />

Vidimus des Königs unter die mittlerweile zugesi<strong>ch</strong>erte Freiheit wartet<br />

der Engländer no<strong>ch</strong> im Februar 1558 in Krakau, wo er «mindestens 500<br />

Bierbrauer» unterri<strong>ch</strong>ten könnte. Ein bes<strong>ch</strong>leunigtes Verfa<strong>hr</strong>en ist allerdings<br />

nur gegen S<strong>ch</strong>miergelder zu haben. Bullinger möge so gut sein<br />

«Master James Zwickius» zu sagen, «how impossible it is to effect a<br />

matter of su<strong>ch</strong> importance with so little means». Am 6. Juni ersu<strong>ch</strong>t Bullinger<br />

aski erneut, «ut omni opera diligentiaque cures privilegium ipsi<br />

concedi». Zehn Tage später drängt die zu Re<strong>ch</strong>t besorgte<br />

Hauptinvestorin Barbara von Ulm-Blarer i<strong>hr</strong>en Bruder Thomas, «über<br />

163<br />

164<br />

165<br />

Blarer BW 3, Nr. 2108 (G. Blarer an A. Blarer, 15. September 1557); Nr. 2112 (A.<br />

Blarer an G. und D. Blarer, 1. Oktober 1557), vgl. Nr. 2128 (23. November 1557);<br />

Nr. 2120 (A. Blarer an J. Calvin, 3. Dezember 1557).<br />

CO 16, Nr. 2770 (A. Blarer an J. Calvin, 3. Dezember 1557, corr. «Fernelius» zu<br />

«Funclius») = Blarer BW 3, Nr. 2120 (corr. «eure Erwartungen» zu «unsere [nostrae]<br />

E.»).<br />

Vgl. Esther Frances Mary Hildebrandt: A Study of the English Protestant Exiles in<br />

Northern Switzerland and Strasbourg 1539–47 and their Role in the English Reformation,<br />

(Ph. D. Thesis, Durham 1982), (Xerokopie), 41–49; Carrie Euler: Couriers<br />

of the Gospel: England and Zuri<strong>ch</strong>, 1531–1558, Züri<strong>ch</strong> 2006 (Zür<strong>ch</strong>er Beiträge<br />

zur Reformationsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te 25), 75f.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 103<br />

die Sa<strong>ch</strong>e, die sie in Polen wegen der Holzsparkunst hat», an Funcklin zu<br />

sc<strong>hr</strong>eiben. Bur<strong>ch</strong>ers letzter Brief aus Polen datiert vom 30. November<br />

1558. Darin bittet er Bullinger um seine Empfehlung beim König und<br />

beim polnis<strong>ch</strong>en Adel. Wenig später s<strong>ch</strong>eint der Glücklose die Heimreise<br />

angetreten zu haben.<br />

Mitte März 1559 fassen die Blarer auf Funcklins Rat hin einen Verkauf<br />

des Polenges<strong>ch</strong>äftes an die Augsburger Fugger ins Auge. Im Februar<br />

1560 wird Bullinger um Rat bei der gütli<strong>ch</strong>en oder re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Lösung<br />

des Vertrags mit Bur<strong>ch</strong>er vor dessen Heimke<strong>hr</strong> na<strong>ch</strong> England<br />

gefragt. Ob Bur<strong>ch</strong>er der Aufforderung na<strong>ch</strong>gekommen ist, «an jenen<br />

, der das königli<strong>ch</strong>e Privilegium in Verwa<strong>hr</strong>ung hat», zu sc<strong>hr</strong>eiben,<br />

bleibt wohl für immer offen. 166<br />

[32] Gemäss Mitteilung des Grafen Ludwig XVI. von Oettingen-<br />

Oettingen an den Herzog von Württemberg haben im Winter 1557/58 die<br />

«maister» der Holzsparkunst Konrad Egloff von Konstanz 167 und Hans<br />

Lobsinger von Nürnberg, 168<br />

weli<strong>ch</strong>er ein sonnderer fürnemer künstler in dern vnnd anndernn sa<strong>ch</strong>en ist, […]<br />

die ko<strong>ch</strong>- vnd stuben ofen […] beÿ mir [S<strong>ch</strong>loss Alerheim?] vffgeri<strong>ch</strong>t. Darjnnen<br />

i<strong>ch</strong> den winter bestenndige vnnd dermassen ersparung im werckh befunden, das i<strong>ch</strong><br />

166<br />

167<br />

168<br />

Hastings Robinson (Hg.): Original Letters relative to the English Reformation,<br />

written during the Reigns of King Henry VIII., King Edward VI., and Queen Mary:<br />

<strong>ch</strong>iefly from the Ar<strong>ch</strong>ives of Zuri<strong>ch</strong>, 2 Bde., Cambridge 1846/1847 (im Folgenden:<br />

Original Letters), Bd. 2, Nr. 328 (J. Bur<strong>ch</strong>er an H. Bullinger, 4. November 1557);<br />

Nr. 329 (J. Bur<strong>ch</strong>er an H. Bullinger, 16. Februar 1558); Nr. 330 (J. Bur<strong>ch</strong>er an H.<br />

Bullinger, 1. März 1558). StAZH E II 342,370 (H. Bullinger an J. aski, 6. Juni<br />

1558). Blarer BW 3, Nr. 2142 (T. Blarer an A. Blarer, 16. Juni 1558). Original Letters<br />

2, Nr. 332 (J. Bur<strong>ch</strong>er an H. Bullinger, 27. Oktober 1558); Nr. 333 (J. Bur<strong>ch</strong>er<br />

an H. Bullinger, 30. November 1558). Blarer BW 3, Nr. 2176 (T. Blarer an A. Blarer,<br />

12. März 1559); Nr. 2224 (A. Blarer an H. Bullinger, 16. Februar 1560), vgl.<br />

Nr. 2238 (H. Bullinger an A. Blarer, 22. April 1560); Nr. 2239 (A. Blarer an H.<br />

Bullinger, 1. Mai 1560).<br />

1535 ist die Frau eines Konrad Egloff von Tägerwilen, Bürger zu Konstanz, bezeugt,<br />

vgl. Konrad Beyerle: Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Chorstifts St. Johann zu Konstanz,<br />

in: Freiburger Diözesan-Ar<strong>ch</strong>iv (NF) 5 (1904), 1–139, 125. 1576 erlangt ein ni<strong>ch</strong>t<br />

näher bestimmter Conrad Egloff als «mitverwandter» von F. Frommer und J.<br />

Zwick ein Rei<strong>ch</strong>spatent, vgl. unten Nr. [45].<br />

Der «Spinnrädlein-Ma<strong>ch</strong>er» Hans Lobsinger (1510–1584) war in der Tat ein vielseitiger<br />

Handwerker und Erfinder, vgl. Albert Bartelmeß: Hans Lobsinger und seine<br />

Erfindungen, in: Mitteilungen des Vereins für Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Stadt Nürnberg 52<br />

(1963/1964), 256–264.


104<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

disen summer [1559] alle öfen auf dieselbigenn gattung will ma<strong>ch</strong>en, vnd daneben<br />

den ko<strong>ch</strong>ofen für mein geprau<strong>ch</strong>, der mir sonderli<strong>ch</strong>en gefelt, do<strong>ch</strong> alles von erden<br />

[gebrannter Ton], vnnd nit ple<strong>ch</strong>. 169<br />

[33] Au<strong>ch</strong> in Ulm versu<strong>ch</strong>en die Konsorten Fuss zu fassen. 170 Im Frühsommer<br />

1557 bauen zwei Meister – Egloff und Lobsinger (?) – 171 unter<br />

Beizug von vereidigten ortsansässigen Hafnern vers<strong>ch</strong>iedene Ofenmodelle.<br />

Ein Kunds<strong>ch</strong>aftsbrief wird den Holzkünstlern verweigert, do<strong>ch</strong><br />

winken ihnen im Falle einer zufriedenstellenden Probezeit von se<strong>ch</strong>s<br />

Monaten 1’500 Gulden. Um die Ja<strong>hr</strong>eswende 1557/58 versu<strong>ch</strong>en die<br />

Holzkünstler den zögernden Rat mit einem Sonderangebot für holzsparende<br />

«Salzpfannen, Ziegel- und Kalköfen, Bierpfannen, Färbereien,<br />

Laug-, Blei<strong>ch</strong>-, Was<strong>ch</strong>- und andere Kessel» günstig zu stimmen. Ein<br />

Brand, den ein neu erri<strong>ch</strong>teter Ofen aus Eisenble<strong>ch</strong> im Rathaus beinahe<br />

verursa<strong>ch</strong>t, 172 fü<strong>hr</strong>t zum klägli<strong>ch</strong>en Abbru<strong>ch</strong> der Ges<strong>ch</strong>äftsbeziehung.<br />

[34] Wä<strong>hr</strong>end der Verhandlungen mit dem Ulmer Rat um die Ja<strong>hr</strong>eswende<br />

1557/58 lassen die Agenten des Holzspar-Konsortiums ni<strong>ch</strong>t<br />

ohne Stolz einfliessen, es habe die Stadt Frankfurt i<strong>hr</strong>e Kunst bereits angenommen.<br />

173<br />

[35] Dass Jakob Zwick 1557 und 1579 au<strong>ch</strong> französis<strong>ch</strong>e Patente erlangt<br />

habe, will Marc Silberstein ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>liessen. 174<br />

[36/37] Mit einem Empfehlungsbrief an Philipp Melan<strong>ch</strong>thon 175<br />

verreitet Funcklin am 13. Januar 1558 na<strong>ch</strong> «Halle in Sa<strong>ch</strong>sen, wo die<br />

Salzpfannen sind» 176 . Die Reise endet jedo<strong>ch</strong> bereits in Frankfurt am<br />

Main, wo er Gelegenheit hat, den Sa<strong>ch</strong>senfürsten am so genannten «Kur-<br />

169<br />

170<br />

171<br />

172<br />

173<br />

174<br />

175<br />

176<br />

HStA Stuttgart, Oettingen 28 (L. v. Oettingen an C. v. Württemberg, 21. Mai<br />

1558), fehlt in BW Wirtemberg 4.<br />

J[ohann] C[<strong>hr</strong>istoph] von S<strong>ch</strong>mid: Beytrag zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Holzsparkunst, in:<br />

Württembergis<strong>ch</strong>e Ja<strong>hr</strong>bü<strong>ch</strong>er 6 (1823), 169–180, leider ohne Datumsangaben.<br />

Diese werden wenig später na<strong>ch</strong> Wien berufen, vgl. unten Nr. [38].<br />

Terminus ante quem ist 24. September 1558, vgl. unten Nr. [39].<br />

V. S<strong>ch</strong>mid, Beytrag (wie Anm. 170), 175.<br />

Silberstein, Erfindungss<strong>ch</strong>utz (wie Anm. 94), 98, Anm. 23. Viellei<strong>ch</strong>t basieren<br />

au<strong>ch</strong> die holzsparenden Salinenpfannen in Lot<strong>hr</strong>ingen auf dem Prinzip Frommer &<br />

Zwick, vgl. Hiegel, Essais (wie Anm. 8), passim.<br />

MBW 8, Nr. 8606. Der me<strong>hr</strong>fa<strong>ch</strong> bezeugte Brief Blarers (Blarer BW 3, Nrn 2129<br />

u. 2131) ist ans<strong>ch</strong>einend ni<strong>ch</strong>t an Melan<strong>ch</strong>thon zugestellt worden.<br />

Der Holzbedarf der Hallenser Saline betrug jä<strong>hr</strong>li<strong>ch</strong> 30’000 Klafter = 100’170m 3 ,<br />

vgl. Otto Fürsen: Die kursä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>en Floßkontrakte mit der Stadt Halle, in: Neues<br />

Ar<strong>ch</strong>iv für Sä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Alterthumskunde 23 (1902), 64–83, 82.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 105<br />

fürstentag» (25. Februar–19. März 1558) zu sehen. Am 8. April ist Herr<br />

Jakob «direkt von Frankfurt heimgeke<strong>hr</strong>t» 177 .<br />

5.5. Funcklins Nebenprojekte<br />

Zu dieser drei ganze Monate dauernden Abwesenheit des Dekans Funcklin<br />

von Herd und Herde geben die Bestände des Bieler Stadtar<strong>ch</strong>ivs willkommene<br />

Hintergrundinformationen.<br />

Anfang März 1558 trifft C<strong>hr</strong>istoffel Wyttenba<strong>ch</strong>, der Meier von<br />

Biel, in Basel zufällig auf Funcklin. Dieser steht kurz vor der Abreise<br />

na<strong>ch</strong> Frankfurt, wohin er si<strong>ch</strong> in Begleitung seines Halbbruders, des<br />

Konstanzer Grossrats Ulri<strong>ch</strong> Kundigmann, und des Amtmanns von Badenweiler,<br />

Ludwig Wolf von Habsberg, 178 begeben will. Ans<strong>ch</strong>einend<br />

hatte der badis<strong>ch</strong>e Junker in die Holzsparkunst investiert und war ausersehen<br />

worden, das Unternehmen am Kurfürstentag in ein nobles Li<strong>ch</strong>t zu<br />

rücken. Die günstige Gelegenheit und Konstellation ausnützend, betraute<br />

der Rat von Biel die drei Ges<strong>ch</strong>äftsleute etwas überstürzt mit der e<strong>hr</strong>envollen<br />

Aufgabe, die alten Freiheitsbriefe der Stadt dur<strong>ch</strong> den am 26. Februar<br />

zum Kaiser ausgerufenen Ferdinand I. bestätigen zu lassen. 179<br />

5.5.1. Silberbergwerk Staufen<br />

Die Vermutung, es sei Anfang 1558 in Basel über das Holzsparges<strong>ch</strong>äft<br />

hinaus zu weiteren Kontrakten zwis<strong>ch</strong>en Funcklin, Kundigmann und<br />

Habsberg gekommen, wird dur<strong>ch</strong> einen Bieler Na<strong>ch</strong>gang im Zusammenhang<br />

mit der Regelung von Funcklins Na<strong>ch</strong>lass bestätigt. Am 20. April<br />

1567 sagt Peter Hans Wis<strong>ch</strong>ing 180 aus:<br />

177<br />

178<br />

179<br />

180<br />

Blarer BW 3, Nr. 2133 (A. Blarer an H. Bullinger, 1. März 1558); Nr. 2141 = CO<br />

17, Nr. 2805 (A. Blarer an J. Calvin, 14. Mai 1558); Blarer BW 3, Nr. 2137 (A.<br />

Blarer an H. Bullinger, 12. April 1558).<br />

Eckdaten bei Julius Kindler von Knoblo<strong>ch</strong>: Oberbadis<strong>ch</strong>es Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terbu<strong>ch</strong>, 3<br />

Bde., Heidelberg 1898–1919, Bd. 1, 592. Habsberg ist 1560 als Stubengeselle der<br />

Basler Herrenzunft «zum Seufzen» bezeugt, Andreas Heusler: Verfassungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

der Stadt Basel im Mittelalter, Basel 1860, 258 (corr. «Habsburg»).<br />

StadtA Biel CXXX.5, 299–303 (5. März 1558); LII 30 (10. März 1558); CXXIII.5,<br />

304f. (13. März 1558). Na<strong>ch</strong> dem Rei<strong>ch</strong>stag nahm si<strong>ch</strong> Kundigmann der Sa<strong>ch</strong>e an:<br />

StadtA Biel CXXIII.5, 307–309 (14. April 1558), 361f. (17. August 1559), 428f.<br />

(zwis<strong>ch</strong>en 24. April u. 3. Mai 1561); CXVII.44 (28. Januar 1563).<br />

Name in Ergänzung zu Bourquin, Biel (wie Anm. 30), 491.


106<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

Item, wie z Stauffen an ein sÿlber ertz sige er [Funcklin] theilhafft gsin, sampt der<br />

von Hapsperg, Doctor Adam von Bodensteÿn 181 vnd einer von Frÿburg im Brißgouw,<br />

vnd villi<strong>ch</strong>t ander mer. Vermeint, es sige vil dahin gewendt [investiert] worden.<br />

182<br />

Die Angabe «z Stauffen» bezieht si<strong>ch</strong> vermutli<strong>ch</strong> auf ein ni<strong>ch</strong>t näher<br />

bestimmbares Gangbergwerk im S<strong>ch</strong>warzwälder Münstertal. 183 Angesi<strong>ch</strong>ts<br />

des notoris<strong>ch</strong>en Silbermangels in der Eidgenossens<strong>ch</strong>aft pflegten<br />

ges<strong>ch</strong>äftstü<strong>ch</strong>tige Privatpersonen Minen im umliegenden Ausland zu<br />

pa<strong>ch</strong>ten oder entspre<strong>ch</strong>ende Beteiligungen zu erwerben. 184 So s<strong>ch</strong>loss der<br />

Rat von Basel am 29. März 1560 mit Ludwig Wolf von Habsberg und<br />

seinen leider ni<strong>ch</strong>t namentli<strong>ch</strong> genannten «mittgewerckenn» einen Vertrag,<br />

womit si<strong>ch</strong> die Stadt die Ausbeute der Gruben am Todtnauer Berg<br />

(«Muggenbrunn» und «Zum Gau<strong>ch</strong>») gegen 10 Gulden die Mark und ein<br />

Darlehen von 2’000 Gulden si<strong>ch</strong>erte. 185 Wegen ungenügender Erträge<br />

musste das Abkommen 1562 sistiert werden. 186<br />

Diese Konnotation ma<strong>ch</strong>t es no<strong>ch</strong> wa<strong>hr</strong>s<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>er, dass Habsberg<br />

& Co die Absi<strong>ch</strong>t hatten, si<strong>ch</strong> anlässli<strong>ch</strong> des Frankfurter Kurfürstentages<br />

1558 au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>ürf- und Exportre<strong>ch</strong>te zu si<strong>ch</strong>ern.<br />

181<br />

182<br />

183<br />

184<br />

185<br />

186<br />

Sohn des Andreas Karlstadt, paracelsis<strong>ch</strong>er Arzt in Basel (1528–1577), vgl. Walther<br />

Killy: Literaturlexikon. Autoren und Werke deuts<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>e, 15 Bde., Gütersloh<br />

u. a. 1988–1993, Bd. 2 (1989), 45f. (Lit.).<br />

StadtA Biel CLXVI.99, 10 r (20. April 1567).<br />

Vgl. die Übersi<strong>ch</strong>tskarten bei Wolfgang Werner u. Volker Dennert: Lagerstätten<br />

und Bergbau im S<strong>ch</strong>warzwald, Freiburg i. Br. 2004, 15, sowie bei Albre<strong>ch</strong>t S<strong>ch</strong>lageter:<br />

Zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Bergbaus im Umkreis des Bel<strong>ch</strong>en, in: Der Bel<strong>ch</strong>en, hg.<br />

v. Frank Baum, Karlsruhe 1989, 127–310, 200. Die im Folgenden skizzierten Gegebenheiten<br />

betra<strong>ch</strong>tet Herr Landesbergdirektor Dipl.-Ing. Volker Dennert, Freiburg,<br />

dem i<strong>ch</strong> für seine wertvollen Auskünfte herzli<strong>ch</strong> danke, als typis<strong>ch</strong>. Soweit<br />

i<strong>ch</strong> sehe, datieren die frühesten im Generallandesar<strong>ch</strong>iv Karlsruhe befindli<strong>ch</strong>en Dokumente<br />

über den Bergbau im Amt Staufen von 1572.<br />

Th[eodor] von Liebenau: Der Streit um das Leberthal-Silber. Ein Beitrag zur<br />

Münzges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des 16. Ja<strong>hr</strong>hunderts, in: Revue Suisse de Numismatique 9 (1899),<br />

265–281.<br />

Rudolf Thommen (Hg.): Urkundenbu<strong>ch</strong> der Stadt Basel, Bd. 10, Basel 1908, 451–<br />

453 (Nr. 425).<br />

Ri<strong>ch</strong>ard Hallauer: Der Basler Stadtwe<strong>ch</strong>sel 1504-1576. Ein Beitrag zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

der Staatsbanken, Basel 1904, 139. Zum Besitzerwe<strong>ch</strong>sel von Bergwerksteilen im<br />

S<strong>ch</strong>auinsland im Ja<strong>hr</strong>e 1563 vgl. Paul Priesner: Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Gemeinde<br />

Hofsgrund (S<strong>ch</strong>auinsland), Bd. 1, Freiburg i. Br. 1987, 46.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 107<br />

5.5.2. Seifengewerbe S<strong>ch</strong>opfheim<br />

Eine weitere Vergesells<strong>ch</strong>aftung Funcklins mit Habsberg und anderen<br />

Personen, unter ihnen der Bieler Ratsherr und Lehensmüller Hans<br />

Glatt 187 und Onop<strong>hr</strong>ius Hürus 188 aus dem alten Konstanzer Bekanntenkreis,<br />

erwähnt der über die si<strong>ch</strong> verzweigenden Unternehmungen des<br />

ehemaligen Amtsbruders zunehmend besorgte Ambrosius Blarer im<br />

März 1564:<br />

Er [Funcklin] we<strong>ch</strong>st in groß ri<strong>ch</strong>tumb, aber no<strong>ch</strong> nun [nur] in der hoffnung. Sollts<br />

fa len, wurde er ou<strong>ch</strong> vnsuber vfston. Wa [wo] er gellt ers<strong>ch</strong>meckt, dz nympt er vff<br />

sampt sinen mitthafften, das sind der von Habsperg, Glatta, Noffel [Onop<strong>hr</strong>ius]<br />

Hürusß, waiß nitt, ob iren me<strong>hr</strong> sind. Habend einen grossen seiffen gwerb vnderhanden<br />

z S<strong>ch</strong>opffein [S<strong>ch</strong>opfheim], ist ein klen stettle vnder Basel; habend z Basel<br />

allein me<strong>hr</strong> dann tusend guldin vffgenommen ou<strong>ch</strong> bi vyl ander leuten. 189<br />

Wie die Witwe Anna Funcklin-Jeger im April 1567 zu Protokoll gibt,<br />

war i<strong>hr</strong> Mann Ende 1564 am Seifengewerbe zu S<strong>ch</strong>opfheim 190 mit 700<br />

Gulden beteiligt:<br />

Item, gly<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Ruppes todt [Funcklins S<strong>ch</strong>wager] habe er [Funcklin] gon Basel<br />

vij c Gulden ges<strong>ch</strong>ickt, weist nit anders, dan er habs im seyff gwerb bru<strong>ch</strong>t. 191<br />

Au<strong>ch</strong> diese Ges<strong>ch</strong>äftsgründung lässt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t datieren. Viellei<strong>ch</strong>t rei<strong>ch</strong>t<br />

die Idee dazu ins Ja<strong>hr</strong> 1557 zurück, als Funcklin Wolfgang Musculus<br />

den Rat erteilte, «zeitig As<strong>ch</strong>e zu sammeln und zu kaufen» 192 , war do<strong>ch</strong><br />

187<br />

188<br />

189<br />

190<br />

191<br />

192<br />

Bourquin, Biel (wie Anm. 30), 163, 419.<br />

Bruder des bekannteren Hieronymus Hürus (Hyrus), HBBW 12, 102f.; des Rates<br />

1538–1548, vgl. Kindler, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terbu<strong>ch</strong> (wie Anm. 177), 185; in den 1560er<br />

Ja<strong>hr</strong>en mit T. Blarer ges<strong>ch</strong>äftli<strong>ch</strong> verbunden, vgl. Blarer BW 3, Nrn. 2231, 2306,<br />

2343.<br />

Kantonsbibliothek St. Gallen, Vad. IX, 154 (A. Blarer an K. Blarer, 3. März 1564),<br />

na<strong>ch</strong> der Transkription ab originali von Herrn Prof. Dr. Max S<strong>ch</strong>iendorfer. Blarer<br />

BW 3, Nr. 2592 übersetzt ungenau «ein großes Gewerbe».<br />

Me<strong>hr</strong>ere Anfragen beim Museum der Stadt S<strong>ch</strong>opfheim blieben leider ohne Antwort.<br />

Zur historis<strong>ch</strong>en Seifenproduktion vgl. Robert Riemers<strong>ch</strong>mid: Die deuts<strong>ch</strong>e<br />

Seifenindustrie. Eine Darstellung der volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Bedeutung i<strong>hr</strong>er te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en<br />

Entwicklung (Diss. rer. oec.), Mün<strong>ch</strong>en 1910.<br />

StadtA Biel CLXVI.99, fol. 13 v .<br />

Blarer BW 3, Nr. 2085 (W. Musculus an A. Blarer, 1. Februar 1557).


108<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

zur Herstellung von 1 kg Pottas<strong>ch</strong>e (K 2 CO 3 ), dem Ausgangsmaterial für<br />

Seife und Glas, die 700 bis 2’000fa<strong>ch</strong>e Menge Holz nötig (Tab. 1).<br />

5.6. Letzte Aktivitäten zu Funcklins Lebzeiten<br />

[38] Auf Ersu<strong>ch</strong>en seines Amtmanns Jakob Zwick ri<strong>ch</strong>tet Ludwig XVI.<br />

von Oettingen-Oettingen am 21. Mai 1558 ein Empfehlungssc<strong>hr</strong>eiben an<br />

den Herzog C<strong>hr</strong>istoph von Württemberg zugunsten der «maister» der<br />

Holzsparkunst. Unter anderem fü<strong>hr</strong>t der Graf aus, Konrad Egloff von<br />

Konstanz habe neuli<strong>ch</strong><br />

z Wien in Österrei<strong>ch</strong> bey der Ko [nigli<strong>ch</strong>en], jetzund Kaÿ[serli<strong>ch</strong>en] M[ajestä]t<br />

[…] die muster irer M[ajestä]t gema<strong>ch</strong>t<br />

und anerbiete si<strong>ch</strong> jetzt, zusammen mit Meister Hans Lobsinger von<br />

Nürnberg in Stuttgart oder wo immer Dur<strong>ch</strong>lau<strong>ch</strong>t es wüns<strong>ch</strong>e, Proben<br />

i<strong>hr</strong>es Könnens abzulegen. 193<br />

[39] Auf dieses Anerbieten reagiert der Württemberger am 28. Mai<br />

bemerkenswert unwillig:<br />

Wir lassen es ain kunst, ain kunst sein und gedenken hinfurter ko<strong>ch</strong>en und braten<br />

ze lassen, wie wir und unsere voreltern bisher au<strong>ch</strong> gethon haben. 194<br />

Der Gesinnungswandel des no<strong>ch</strong> unlängst an der «Holtzkunst» dur<strong>ch</strong>aus<br />

interessierten Fürsten steht vermutli<strong>ch</strong> im Zusammenhang mit dem peinli<strong>ch</strong>en<br />

Zwis<strong>ch</strong>enfall in Ulm, 195 den C<strong>hr</strong>istoph auf der Rückseite eines<br />

Briefes, in wel<strong>ch</strong>em Klaus von Grafeneck um die Empfehlung einer<br />

Kriegsmas<strong>ch</strong>ine höhernorts ersu<strong>ch</strong>t, bissig kommentiert (Abb. 10).<br />

193<br />

194<br />

195<br />

Wie Anm. 169. Zu Egloff und Lobsinger vgl. oben Nr. [32].<br />

BW Wirtemberg 4, Nr. 418 (28. Mai 1558).<br />

Siehe oben Nr. [33].


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 109<br />

Abb. 10: Herzog C<strong>hr</strong>istoph<br />

von Württemberg<br />

über Kriegs- und Holzkünste<br />

(24. September<br />

1558).<br />

«Mags lernen [le<strong>hr</strong>en] wen er will; hatt nit nott meinethalben;<br />

wirdet zuversi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ain holtz kunst geli<strong>ch</strong> sein,<br />

da die von Ulm ir radthauß darob s<strong>ch</strong>ier verbrendt<br />

hetten –.» 196<br />

[40] Au<strong>ch</strong> in Bern ist der Ges<strong>ch</strong>äftsverlauf alles andere als zufriedenstellend.<br />

«Gantz fründtli<strong>ch</strong>» dankt man hier Funcklin am 21. Mai 1558 «für<br />

üwer müy vnd arbeit» und bes<strong>ch</strong>ämt ihn glei<strong>ch</strong>zeitig mit der Anweisung,<br />

er möge über den Ofen, «so ir vnns in vnnsere rhattstuben hand rüsten<br />

laßen», verfügen, da der alte «no<strong>ch</strong> gt vnd beständig» sei. 197 1558/59<br />

muss in der S<strong>ch</strong>miedenpfrund im Burgerspital ein neuer Ofen gesetzt<br />

werden, weil «der nüw kunst offen hat gefält.» 198<br />

196<br />

197<br />

198<br />

HStA Stuttgart, Adel Grafeneck (1558) = BW Wirtemberg IV Nr. 418, Anm. 2.<br />

StABE A II 215, 325; A III 30, 849 (21. Mai 1558), in Beantwortung eines (verlorenen)<br />

Briefes Funcklins vom 19. Mai. Es handelte si<strong>ch</strong> um einen zweiten Ofen, da<br />

der erste gemäss Vertrag vom 24. September 1557 installiert und im Mai 1558 bereits<br />

zu einem Drittel abbezahlt war, vgl. oben Nr. [26].<br />

Vgl. Hans Morgenthaler: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Burgerspitals der Stadt Bern, Bern 1945,<br />

95.


110<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

[41] Es s<strong>ch</strong>eint, als habe die Grosse Probe in Wien 199 den kaiserli<strong>ch</strong>en<br />

Rat und Oberproviantkommissär Martin Peckher 200 bewogen, dem<br />

Holzspar-Konsortium Zwick & Frommer beizutreten und beim Kurfürsten<br />

August von Sa<strong>ch</strong>sen dafür zu werben. Im Hoflager zu Dresden demonstrieren<br />

die konzessionierten Hafner einen stubenoffen und wels<strong>ch</strong>en<br />

camin, desglei<strong>ch</strong>en einen verborgenen stubenoffen, au<strong>ch</strong> ein back- und<br />

ko<strong>ch</strong>offen sambt einem offen in eine badestuben. 201<br />

Gestützt auf das dur<strong>ch</strong>weg zufriedenstellende Resultat und die kaiserli<strong>ch</strong>e<br />

Freiheit von 1557 erlangt der «gesandte und mitconsorte» Peckher<br />

am 13. Juni 1558 – die Aversion des Kurfürsten 202 gegen das Konsortienwesen<br />

s<strong>ch</strong>eint si<strong>ch</strong> mittlerweile gelegt zu haben – ein unbefristetes<br />

kursä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>es Privileg, 203 das die Inhaber alsbald in den Druck geben<br />

(Abb. 11).<br />

Abb. 11: Kurfürstli<strong>ch</strong>-<br />

Sä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>es Privileg vom<br />

13. Juni 1558 für Martin<br />

Peckher & Co. Unicum,<br />

im Angebot des Londoner<br />

Antiquariats von Susanne<br />

S<strong>ch</strong>ulz-Falster: Catalogue<br />

eight, o. O. [London] u. J.<br />

[ca. 2005], Nr. 88.<br />

[42] Ein polnis<strong>ch</strong>es Patent blieb dem Konsortium versagt, hingegen gelingt<br />

es dem Agenten John Bur<strong>ch</strong>er trotz besc<strong>hr</strong>änkter Mittel vor Ende<br />

Oktober 1558 eine litauis<strong>ch</strong>e Urkunde zu erhalten. 204<br />

199<br />

200<br />

201<br />

202<br />

203<br />

204<br />

Siehe oben bei Nr. [38].<br />

Martin Peckher von Wien wurde am 23. November 1560 geadelt, vgl. Franz-Karl<br />

Wißgrill: S<strong>ch</strong>auplatz des landsässigen Nieder-Oesterrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Adels, 2 Bde.,<br />

Wien 1795, Bd. 2, 360.<br />

Hoffmann, Beiträge (wie Anm. 8), 93.<br />

Vgl. bei Anm. 95.<br />

Hoffmann, Beiträge (wie Anm. 8), 93; Müller, Patents<strong>ch</strong>utz (wie Anm. 8), 943,<br />

947.<br />

Siehe oben Nr. [31]. Original Letters 2, Nr. 332 (J. Bur<strong>ch</strong>er an H. Bullinger, 27.<br />

Oktober 1558), vgl. Blarer BW 3, Nr. 2224 (A. Blarer an H. Bullinger, 16. Februar<br />

1560).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 111<br />

[43] Gemäss dem Polyhistor A<strong>ch</strong>illes P. Gasser (1505–1577) versu<strong>ch</strong>te<br />

Jakob Zwick 1559 in Augsburg Fuss zu fassen:<br />

In diesem Ja<strong>hr</strong> kam ein Constantzer, Nahmens Zwick, na<strong>ch</strong> Augspurg, wel<strong>ch</strong>er eine<br />

neue Art von Oefen, wordur<strong>ch</strong> viel Holtz ha tte erspa<strong>hr</strong>et werden sollen, erfunden,<br />

und die Kunst, dieselbe anzulegen, ein- und andere Personen ums Geld gele<strong>hr</strong>et;<br />

es erforderte aber die Zuri<strong>ch</strong>t- und Unterhaltung dieser Oefen so viele Unkosten,<br />

daß diese Kunst bald i<strong>hr</strong>en Credit verlo<strong>hr</strong>en. 205<br />

[44] In den letzten Tagen des Ja<strong>hr</strong>es 1560 wartet Jakob Zwick «bei den<br />

Seinen auf Briefe aus Me<strong>ch</strong>elberga». Offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> waren Funcklins<br />

Bemühungen auf dem Frankfurter Kurfürstentag ni<strong>ch</strong>t vergebli<strong>ch</strong> gewesen,<br />

au<strong>ch</strong> hatte das sä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>e Privileg genügend Wirkung gezeitigt, um<br />

die Betreiber der mecklenburgis<strong>ch</strong>en Salinen zu interessieren. 206 Um<br />

1560 standen in Betrieb die Werke Sülten, Sülze und Conow. 207<br />

6. Letzte Nac<strong>hr</strong>i<strong>ch</strong>ten<br />

6.1. Konkurrenz<br />

Ab 1560 zeigt die Bestandesentwicklung der holzsparenden Te<strong>ch</strong>nologien<br />

im Rei<strong>ch</strong> und in den Territorien ein stetiges Wa<strong>ch</strong>stum (Abb. 1).<br />

Folgeri<strong>ch</strong>tig sah si<strong>ch</strong> das Konsortium Zwick & Frommer in den beiden<br />

Dezennien 1558–1577 dem Druck von mindestens 17 aktenkundigen<br />

Konkurrenzunternehmungen ausgesetzt. 208 Der Wettbewerb war nur<br />

dur<strong>ch</strong> die Optimierung von Prinzip und Te<strong>ch</strong>nik, die Berücksi<strong>ch</strong>tung von<br />

205<br />

206<br />

207<br />

208<br />

Annales Augustani 1576, zitiert bei Paul von Stetten: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Heil. Ro m.<br />

Rei<strong>ch</strong>s Freyen Stadt Augspurg, Frankfurt u. a. 1743, 535.<br />

Vgl. oben, Nrn. [36] und [41], Blarer BW 3, Nr. 2306 (T. Blarer an A. Blarer, 31.<br />

Dezember 1560).<br />

Vgl. Georg C<strong>hr</strong>istian Friedri<strong>ch</strong> Lis<strong>ch</strong>: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Saline zu Sülten bei Brüel,<br />

in: Ja<strong>hr</strong>bü<strong>ch</strong>er des Vereins für Mecklenburgis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Altertumskunde<br />

11 (1846), 157–161; August Theis: Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Saline zu Sülze, Peine<br />

1979; Friedri<strong>ch</strong> Stu<strong>hr</strong>: Zur älteren Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Saline zu Conow, in: Ja<strong>hr</strong>bü<strong>ch</strong>er<br />

des Vereins für Mecklenburgis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Altertumskunde 74 (1909),<br />

200–202.<br />

Vgl. Einzelheiten und Quellenhinweise in der bei Anm. 8 angegebenen Literatur.


112<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

Surrogatbrennstoffen (Torf und Steinkohle) und dur<strong>ch</strong> Expansion auf<br />

grosste<strong>ch</strong>nologis<strong>ch</strong>e Anwendungsberei<strong>ch</strong>e zu gewinnen. Ansätze hierzu<br />

zeigte das Konsortium von Anfang an.<br />

Auf vier zum Teil se<strong>hr</strong> erfolgrei<strong>ch</strong> operierende Konkurrenten muss<br />

hier in der gebotenen Kürze hingewiesen werden, deren zeitli<strong>ch</strong>e, geographis<strong>ch</strong>e<br />

und sa<strong>ch</strong>systemis<strong>ch</strong>e Distanz zur Holzsparkunst von Zwick<br />

& Frommer derart gering ist, dass der Gedanke an Werkspionage oder<br />

Raubkopie mindestens ni<strong>ch</strong>t abwegig ers<strong>ch</strong>eint.<br />

6.1.1. Martin Stieber, Nürnberg<br />

1557 ma<strong>ch</strong>t der Nürnberger «cate<strong>ch</strong>ista» Gregor Forwerck, 209 der seinerzeit<br />

als «collaborator» an der Lateins<strong>ch</strong>ule zu Rothenburg o. T. erfa<strong>hr</strong>en<br />

hatte, «was kalt Stuben und teuer Holzkauf sei», den Rothenburger Rat<br />

auf eine erfolgrei<strong>ch</strong>e Holzsparkunst seines Na<strong>ch</strong>barn, des Golds<strong>ch</strong>mieds<br />

Martin Stieber, 210 aufmerksam. Dieser habe dafür eine Freiheit des Erzherzogs<br />

Ferdinand I. und einen Kunds<strong>ch</strong>aftsbrief der Stadt Nürnberg<br />

erlangt. Zudem habe Stieber ein böhmis<strong>ch</strong>es Patent am Laufen. 211<br />

6.1.2. Jeremias Neuner & Co, Strassburg<br />

1571 rei<strong>ch</strong>t der vers<strong>ch</strong>uldete Bü<strong>ch</strong>senma<strong>ch</strong>er Mi<strong>ch</strong>ael Kogmann beim<br />

Rat der Stadt Strassburg ein Unterstützungsgesu<strong>ch</strong> für eine 1563 entwickelte<br />

neue grossraumtaugli<strong>ch</strong>e Ko<strong>ch</strong>herd-Heizofen-Kombination ein,<br />

die ein Drittel des Brennholzes einsparen soll. An deren früherer Veröffentli<strong>ch</strong>ung<br />

habe ihn Friedri<strong>ch</strong> Frommers «holtz ersparungs Khunst, so<br />

zu Regenspurg A° 57 ediert, gehindert». Am 16. Juni 1572 erhalten Mi<strong>ch</strong>ael<br />

Kogmann, der Strassburger Festungsingenieur Jeremias Neuner<br />

209<br />

210<br />

211<br />

Gregor Forwerck von Pirna, 1543 Stadtsc<strong>hr</strong>eiber in Hammelburg, 1545–1548<br />

Le<strong>hr</strong>er in Rothenburg o. T., von 1553 bis zu seinem Tod 1576 Diakon (cate<strong>ch</strong>ista)<br />

an St. Egidien zu Nürnberg, vgl. Johannes Merz: Beziehungsgefle<strong>ch</strong>te von Eliten<br />

als Indikator religiöser Entwicklungslinien. Die Städte der Fürstabtei Fulda im 16.<br />

Ja<strong>hr</strong>hundert, in: AMRhKG 45 (1993), 213–258, 222, Anm. 23.<br />

Martin Stieber (Styber), Golds<strong>ch</strong>miedemeister in Nürnberg 1549/50, gest. 1592,<br />

vgl. Marc Rosenberg: Der Golds<strong>ch</strong>miede Merkzei<strong>ch</strong>en, 3 Bde., 3. Aufl., Frankfurt<br />

1922–1925, Bd. 3, 91 (Nr. 3902).<br />

[August S<strong>ch</strong>mitzlein?]: No<strong>ch</strong> ein Nürnberger Kunststück, in: Die Linde (Beilage<br />

zum Fränkis<strong>ch</strong>en Anzeiger) 10 (1920), 23f. Herrn Dr. Ri<strong>ch</strong>ard S<strong>ch</strong>mitt vom Verein<br />

Alt-Rothenburg danke i<strong>ch</strong> herzli<strong>ch</strong> für die ebenso freundli<strong>ch</strong>e wie ras<strong>ch</strong>e Zustellung<br />

des abgelegenen Artikels.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 113<br />

und der Wirt und Seifensieder Heinri<strong>ch</strong> Kogmann auf eine Holzsparkunst<br />

ein 10-jä<strong>hr</strong>iges kaiserli<strong>ch</strong>es Privileg, das sie no<strong>ch</strong> im glei<strong>ch</strong>en Ja<strong>hr</strong><br />

drucken lassen:<br />

Copey vnnd Abdruck der Roemis<strong>ch</strong>en Kayserli<strong>ch</strong>en Maiestat Freyheit den Erfindern<br />

der Holtzsparrungskunst. Geben zu Wienn am Kayserli<strong>ch</strong>en Hoff. Den 16. Junij<br />

Anno M.D.L.XXII. Getruckt zu Straßburg dur<strong>ch</strong> Theodosium Rihel [1572], 4<br />

Bll. 4°. 212<br />

Absatzgebiete des zunehmend diversifizierenden Konsortiums Neuner &<br />

Kogmann (gelegentli<strong>ch</strong> Neuner & Georg Zol<strong>ch</strong>er) sind: 1572 Lot<strong>hr</strong>ingen<br />

und Hessen, 1574 England, Frankrei<strong>ch</strong> und Kursa<strong>ch</strong>sen, 1580 Burgund.<br />

Dem kursä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>en Privilegierungsvorhaben legte Neuner Transsumpte<br />

über erfolgrei<strong>ch</strong>e Proben in Wien, Fritzlar, Kassel, Mansfeld, Leimba<strong>ch</strong>,<br />

Eisleben und Leipzig bei, zudem eine Empfehlung des Dietri<strong>ch</strong> von Kunowitz<br />

auf Hungaris<strong>ch</strong> Brod und Ostra in Mä<strong>hr</strong>en. 1575 erlangte Neuner<br />

die Erneuerung des Rei<strong>ch</strong>spatentes auf holzsparende Salzpfannen, Badfeuer,<br />

Färbe- und Braukessel sowie Stubenfeuer. 213<br />

6.1.3. Heinri<strong>ch</strong> Meyer von Züri<strong>ch</strong>-Höngg<br />

1575 setzt der Bü<strong>ch</strong>senma<strong>ch</strong>er Heinri<strong>ch</strong> Meyer von Züri<strong>ch</strong>-Höngg 214 auf<br />

dem Zür<strong>ch</strong>er Rathaus einen Stubenofen mit der «nüw erfundenen holltzsparungskunst»,<br />

auf die er ein Patent bege<strong>hr</strong>t. 215 Mit na<strong>ch</strong>haltigem Erfolg<br />

installiert er 1576/77 Stuben- und Bratöfen sowie einen «jngemu<strong>hr</strong>ten<br />

Khessel» in den Häusern der Altbürgermeister von Mülhausen. 216 Einen<br />

Grossteil des Ja<strong>hr</strong>es 1579 verbringt Meyer in Ulm mit dem Bau von<br />

Öfen, Ko<strong>ch</strong>herden und Kesselheizungen. 217 1579 beguta<strong>ch</strong>tet der Hof-<br />

212<br />

213<br />

214<br />

215<br />

216<br />

217<br />

Vorhanden: Strasbourg, Bibliothèque Nationale et Universitaire: M.113.812; Wolfenbüttel,<br />

Herzog August-Bibliothek: H: L 338.4° Helmst. (6); Göttingen: Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>e<br />

Staats- und Universitätsbibliothek: 8 OEC I, 3838.<br />

Vgl. Müller, Patents<strong>ch</strong>utz (wie Anm. 8), 942, Hiegel, Essais (wie Anm. 8), 307f.,<br />

Fu<strong>ch</strong>s, Re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>es (wie Anm. 8), 1101–1104, Gleitsmann, Erfinderprivilegien (wie<br />

Anm. 8), 69, 73, 92.<br />

Teilnehmer an der Zür<strong>ch</strong>er Hirsebreifa<strong>hr</strong>t 1576 na<strong>ch</strong> Strassburg, J[acob] Bä<strong>ch</strong>told:<br />

Das glückhafte S<strong>ch</strong>iff von Züri<strong>ch</strong>, in: Mittheilungen der Antiquaris<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

20 (1880), 85–143, 114.<br />

Samuel Vögelin: Das Alte Züri<strong>ch</strong>, 2. Aufl., Züri<strong>ch</strong> 1878, 178f.<br />

Fu<strong>ch</strong>s, Re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>es (wie Anm. 8), 1106.<br />

V. S<strong>ch</strong>mid, Beytrag (wie Anm. 170), 178–180.


114<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

und Landesar<strong>ch</strong>itekt Heinri<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>ickhardt d. J. (1558–1634) eine Vorfü<strong>hr</strong>ung<br />

der «Holtz Spa<strong>hr</strong> Kunst» des «Heinri<strong>ch</strong> Mäuer von Züri<strong>ch</strong>» in<br />

der Stuttgarter Hofwäs<strong>ch</strong>e. Weitere Na<strong>ch</strong>prüfungen erfolgen zu den von<br />

Meyer bereits umgesetzten Bauten bei einem Färber in der Esslinger<br />

Vorstadt und einem Badekessel in Göppingen. 218 Anfang 1585 erhält<br />

Meyer Gelegenheit zur einer grossen Probe in Bern. Na<strong>ch</strong> 5 Wo<strong>ch</strong>en, bei<br />

glei<strong>ch</strong>zeitiger Instruktion der örtli<strong>ch</strong>en Hafnermeister, erri<strong>ch</strong>tet er im<br />

Grossen Spital «stubenöffen und keßlen, die ingmuret», wofür ihm der<br />

Rat am 15. Februar 1585 ein Zeugnis ausstellt. 219<br />

6.1.4. Georg Waggenbü<strong>ch</strong>el von Konstanz<br />

Am 12. Juni 1575 ersu<strong>ch</strong>t Georg Waggenbü<strong>ch</strong>el die Badener Tagsatzung<br />

um einen eidgenössis<strong>ch</strong>en Kunds<strong>ch</strong>aftsbrief für seine «neue Holzkunst».<br />

Hiefür legt er entspre<strong>ch</strong>ende Beglaubigungen der Stadt Konstanz und des<br />

Abtes von Petershausen vor. 220<br />

6.2. Rinasce più gloriosa<br />

[45] Wie Phönix steigt das tot geglaubte Unternehmen von Zwick &<br />

Frommer na<strong>ch</strong> einer unerklärli<strong>ch</strong>en Quellenlücke von me<strong>hr</strong> als 16 Ja<strong>hr</strong>en<br />

– Jakob Funcklin, die Gebrüder Blarer, Wolfgang Musculus, Johannes<br />

Calvin und Guillaume Farel sind längst tot, Johannes Haller und Heinri<strong>ch</strong><br />

Bullinger 1575 gestorben – no<strong>ch</strong> einmal aus der As<strong>ch</strong>e: Am 17. August<br />

1576 unterzei<strong>ch</strong>net Kaiser Maximilian II. eine «Confirmatio vber<br />

ain holtzersparungskunst fur Jacoben Zwick et consortes» (Abb. 12). 221<br />

Bestätigt wird das Ferdinandeis<strong>ch</strong>e Rei<strong>ch</strong>spatent vom 13. März 1557,<br />

218<br />

219<br />

220<br />

221<br />

HStA Stuttgart N 220 T 11. Zu S<strong>ch</strong>ickhardt: Robert Kretzs<strong>ch</strong>mar (Hg.): Neue<br />

Fors<strong>ch</strong>ungen zu Heinri<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>ickhardt, Stuttgart 2002 (Lit.). S<strong>ch</strong>ickhardt hinterliess<br />

eine bisher zu wenig bea<strong>ch</strong>tete Reihe von kommentierten Quers<strong>ch</strong>nitten dur<strong>ch</strong><br />

holzsparende Öfen und Herde aus dem Zeitraum 1596/1634: HStA Stuttgart N 220<br />

T 47–49 und T 54–55.<br />

Vgl. Morgenthaler, Holzsparkunst (wie Anm. 118), 103f., Morgenthaler, Burgerspital<br />

(wie Anm. 197), 95.<br />

EA 4,2a, 566f.<br />

OeStA/HHStA/RHR, Grat Feud Gewerbe-, Fabriks- und Handlungsprivilegien<br />

607 r –614 r .


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 115<br />

begünstigt sind «Jacob Zwickh» sowie der na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> beigefügte<br />

«Conradt Egloff sambt jren mitverwanten von Costentz» 222 .<br />

Abb. 12: «Confirmatio vber ain holtzersparungskunst fur Jacoben Zwick et consortes»<br />

vom 17. August 1576.<br />

Das Faszikel enthält a) Die «Confirmatio» des Kaiser Maximilian II. (607 r –608 r , 614 r );<br />

b) Das Transsumpt des Rei<strong>ch</strong>sprivilegs vom 13. März 1557 (609 r –610 v , 613 rv ); c) Die<br />

Supplikation von J. Zwick, C. Egloff und Mitverwandten (611 r –612 v ).<br />

222<br />

V. S<strong>ch</strong>mid, Beytrag (wie Anm. 170), 172 nennt überdies einen Veith Ziegler, der<br />

si<strong>ch</strong> «später» Zwick und Egloff anges<strong>ch</strong>lossen haben soll.


116<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

Soweit wir sehen, ist dies die letzte dokumentierte Nac<strong>hr</strong>i<strong>ch</strong>t über die<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft Zwick & Co, dieses Paradigma einer vergessenen Erfindung,<br />

die zu dem no<strong>ch</strong> grösseren Gebiet der fehlges<strong>ch</strong>lagenen Innovationen<br />

gehört. 223 Die deswegen bis heute ausgebliebene te<strong>ch</strong>nikgenetis<strong>ch</strong>e<br />

Wertung und Einordnung soll in den letzten beiden Abs<strong>ch</strong>nitten<br />

initiiert werden.<br />

7. Das Prinzip der «neuwen o ffen»<br />

Da die Urheber te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>er Innovationen jederzeit Na<strong>ch</strong>bauten zu befür<strong>ch</strong>ten<br />

hatten, befanden sie si<strong>ch</strong> auf einer steten «Gratwanderung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Geheimhaltung und öffentli<strong>ch</strong>keitswirksamer Präsentation» 224 . So<br />

finden si<strong>ch</strong> im Sc<strong>hr</strong>iftenverke<strong>hr</strong> zum Privilegierungsverfa<strong>hr</strong>en zwar regelmässig<br />

weits<strong>ch</strong>weifige Aufzählungen aller Vorzüge der «nu w erfundenen<br />

kunst», do<strong>ch</strong> wird das zum Na<strong>ch</strong>bau notwendige Prinzip stets<br />

ausgeblendet. Die ersten Holzkunst-Publikationen im Sinne späterer<br />

Mas<strong>ch</strong>inenbü<strong>ch</strong>er und «books of secrets» 225 ers<strong>ch</strong>einen erst im 17. Ja<strong>hr</strong>hundert,<br />

es sind dies die wegweisende Holtzsparkunst 1618 von Franz<br />

Keßler und die Furnologia 1666 des Georg Andreas Böckler 226 . Immerhin<br />

ermögli<strong>ch</strong>en vier zeitgenössis<strong>ch</strong>en Quellen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Provenienz<br />

einige vorsi<strong>ch</strong>tige Aussagen über die konstruktiven Merkmale und<br />

die Funktionsweise der neuen holzsparenden Feuerungen aus dem Angebot<br />

des Konsortiums Zwick & Frommer.<br />

223<br />

224<br />

225<br />

226<br />

Reinhold Bauer: Brau<strong>ch</strong>en wir eine «Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des S<strong>ch</strong>eiterns»? Fehlges<strong>ch</strong>lagene<br />

Innovationen als Gegenstand der historis<strong>ch</strong>e Te<strong>ch</strong>nikgenesefors<strong>ch</strong>ung, in: Hamburger<br />

Wirts<strong>ch</strong>afts-C<strong>hr</strong>onik NF 4 (2004), 57–84.<br />

Popplow, Idealisierung (wie Anm. 31), Kapitel 3.4, 65–77.<br />

Gleitsmann, Erfinderprivilegien (wie Anm. 8), 84. Vgl. au<strong>ch</strong> William Eamon:<br />

Science and the Secrets of Nature: Books of Secrets in Medieval and Early Modern<br />

Culture, Princeton 1996.<br />

Franz Keßler: Holtzsparkunst. Das ist ein sol<strong>ch</strong> newe, zuvorn niemalhln gemein,<br />

no<strong>ch</strong> am Tag gewesene inuention etli<strong>ch</strong>er unters<strong>ch</strong>iedtli<strong>ch</strong>ere Kunsto fen, Frankfurt<br />

a. M. 1618, vgl. Faber, Entwicklungsstufen (wie Anm. 12), 169f. Georg Andreas<br />

Böckler: Furnologia, oder: Hausha ltli<strong>ch</strong>e Oefen-Kunst, Frankfurt a. M. 1666, vgl.<br />

Faber, Entwicklungsstufen (wie Anm. 12), 118–121.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 117<br />

7.1. «Wie i<strong>ch</strong> ym na<strong>ch</strong>denk …»<br />

7.1.1. Im Ans<strong>ch</strong>luss an Funcklins und Kundigmanns Berner Präsentation<br />

vom 11. Dezember 1556 in Bern versu<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> Wolfgang Musculus<br />

die Wirkungsweise der neuen Ko<strong>ch</strong>herde zure<strong>ch</strong>t zu legen. Aufgefallen<br />

war ihm vor allem die indirekte Erwärmung der Ko<strong>ch</strong>häfen dur<strong>ch</strong> Heissluft:<br />

Wie i<strong>ch</strong> ym na<strong>ch</strong>denk, so würt der ko<strong>ch</strong>ofen uff die wyß syn wie ein distillirofen,<br />

also das das feür under den häfen seye und unders<strong>ch</strong>eiden mit einem interstitio<br />

[Zwis<strong>ch</strong>enraum], also das an die häfen weder flamm no<strong>ch</strong> rau<strong>ch</strong>, sonder allein die<br />

eingefangne hitz unden uffkhumme. 227<br />

7.1.2. Einen ähnli<strong>ch</strong> konstruierten Ko<strong>ch</strong>ofen mit Topfmulden («foramina»,<br />

«vasa») und seitli<strong>ch</strong> einzufü<strong>hr</strong>enden Bratspiessen («verua») hatte<br />

François Hotman wenige Monate später im Mai 1557 bei Johannes<br />

Sturm zu Strassburg gesehen. Als Prinzip aller neuen Öfen hebt Hotman<br />

in einem Brief an Calvin (Anh. 1) hervor: a) die Luftzufu<strong>hr</strong> an das<br />

Brenngut von unten her (so genannte Primärluft), b) die Rostfeuerung<br />

(«craticula»), c) den As<strong>ch</strong>enfall und d) die von Musculus ebenfalls verzei<strong>ch</strong>nete<br />

Trennung von «Rau<strong>ch</strong>» und Wärme dur<strong>ch</strong> den Einsatz eines<br />

Heizkessels («cacabus»). 228 Hotmans verhältnismässig präzise Besc<strong>hr</strong>eibung<br />

erlaubt die Rekonstruktion eines Sparherdmodells frühester Ma<strong>ch</strong>art<br />

na<strong>ch</strong> Zwick & Frommer (Abb. 13).<br />

7.1.3. Von der historis<strong>ch</strong>en Ofenbaukunde gänzli<strong>ch</strong> unbea<strong>ch</strong>tet<br />

enthalten die Collectaneen des C<strong>hr</strong>istoph S<strong>ch</strong>ulthaiß (1512–1584) von<br />

Konstanz eine ausfü<strong>hr</strong>li<strong>ch</strong>e Darstellung und Bewertung von se<strong>ch</strong>s Anlagen<br />

der «Holtz sparung» (Anh. 2), 229 wie sie um 1557/58 in seiner Heimatstadt<br />

aufgestellt worden waren.<br />

227<br />

228<br />

229<br />

Blarer BW 3, Nr. 2080 (W. Musculus an A. Blarer, 12. Dezember 1556). Ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>e<br />

Modelle von zeitgenössis<strong>ch</strong>en Destillieröfen bei Walter Ryff: Das new groß<br />

Distillierbu<strong>ch</strong>, Frankfurt a. M. 1545.<br />

CO 16, Nr. 2638 (F. Hotman an J. Calvin, 28. Mai 1557). François Hotman:<br />

Re<strong>ch</strong>tsgele<strong>hr</strong>ter und politis<strong>ch</strong>er Sc<strong>hr</strong>iftsteller, seit 1556 Professor für römis<strong>ch</strong>es<br />

Re<strong>ch</strong>t in Strassburg, vgl. Mi<strong>ch</strong>ael Hausin: Art. Hotman, François, in: BBKL 29<br />

(2008), 698–701 (Lit.).<br />

S<strong>ch</strong>ulthaiß, Collectaneen (wie Anm. 19), 38½–39.


118<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

Abb. 13: Topfherd na<strong>ch</strong> Zwick & Frommer<br />

1557. (Rekonstruktion H. R. Lavater)<br />

na<strong>ch</strong> der autoptis<strong>ch</strong>en Besc<strong>hr</strong>eibung von<br />

François Hotman, Strassburg.<br />

Abb. 14: «Ko<strong>ch</strong>ofen mit zweyen Ha -<br />

fen», aus Franz Keßler: Holtzsparkunst,<br />

Frankfurt 1618 (Fig. 30 zu<br />

Kap. 26).<br />

a) Bei Stubenofen I handelt es si<strong>ch</strong> um einen Plattenofen mit Brat- und<br />

Koc<strong>hr</strong>ö<strong>hr</strong>e. Die hohe Dampfemission ma<strong>ch</strong>te ihn indessen für den<br />

Wohnberei<strong>ch</strong> ungeeignet. b) Charakteristis<strong>ch</strong> für Stubenofen II sind drei<br />

aus einem Feuerkasten heraus gefü<strong>hr</strong>te, untereinander verbundene Heizro<strong>hr</strong>e<br />

(viellei<strong>ch</strong>t ähnli<strong>ch</strong> Abb. 15). Diese Radiatoren unterlagen offenbar<br />

vors<strong>ch</strong>nellem Vers<strong>ch</strong>leiss. c) Stubenofen III mit Luftzufu<strong>hr</strong> von unten<br />

und Rostfeuerung weist die von Hotman festgestellten Hauptmerkmale<br />

des Strassburger Ofens auf. Zusätzli<strong>ch</strong> werden hier die brennenden<br />

Rau<strong>ch</strong>gase aus dem Feuerungsraum in einen oberen Brennraum oder liegenden<br />

Zug («boden») geleitet, wo sie zu weiterer Nutzwärme verbrennen,<br />

bevor sie dur<strong>ch</strong> einen Sturzzug («ain ror von ziegeln») in den Kamin<br />

geleitet werden (für das Prinzip vgl. Abb. 16). Dur<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>liessen<br />

aller Öffnungen und der Drosselklappe («das ober rô<strong>ch</strong>lo<strong>ch</strong>») na<strong>ch</strong> dem<br />

Abbrand wird die Wärme im Ofen behalten. «Das was die best gattung»,<br />

lautet das Urteil des dur<strong>ch</strong>aus kritis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ulthaiß. d) Mit dem Spareffekt<br />

des im Feuerungsberei<strong>ch</strong> analog konstruierten beheizbaren Was<strong>ch</strong>kessels<br />

(vgl. Abb. 17) war S<strong>ch</strong>ulthaiß ebenfalls zufrieden: «I<strong>ch</strong> hab ain<br />

bü<strong>ch</strong>offen lassen ma<strong>ch</strong>en; was gut.» e) Weniger brau<strong>ch</strong>bar s<strong>ch</strong>eint der<br />

zweistöckige Backofen gewesen zu sein, bei wel<strong>ch</strong>em der untere «boden»<br />

den oberen erwärmen sollte. g) Der mit Hotmans Topfofen (Abb.<br />

13) bauähnli<strong>ch</strong>e Ko<strong>ch</strong>ofen – er besass statt der Bratspiesse ein Bratro<strong>hr</strong> –


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 119<br />

hatte zwar einen annehmbaren Wirkungsgrad, war aber umständli<strong>ch</strong> zu<br />

bedienen.<br />

Abb. 15: S<strong>ch</strong>iffs- oder<br />

Kontorofen aus Georg<br />

Andreas Böckler: Furnologia,<br />

Frankfurt 1666<br />

(Fig. G zu Kap. VIII).<br />

Abb. 16: «Ein se<strong>hr</strong> nutzbare<br />

arth s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes<br />

[s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>tes] Kunstofens»,<br />

aus Franz Keßler: Holtzsparkunst,<br />

Frankfurt 1618<br />

(Fig. 25 zu Kap. 23).<br />

Abb. 17: «Braw-, Fa rb-,<br />

Siedt- oder Was<strong>ch</strong>kessel»,<br />

aus Franz Keßler: Holtzsparkunst,<br />

Frankfurt 1618<br />

(Fig. 31 zu Kap. 28).<br />

7.2. Die ‹Mülhauser Holzkunst›<br />

7.2.1. Die se<strong>ch</strong>s Ofen- und Herdmodelle<br />

1832 fanden die Holzs<strong>ch</strong>nitte eines anonymen Mülhauser Druckes von<br />

1564 (Abb. 18b) mit dem etwas seltsamen Titel Holtzkunst / Verzei<strong>ch</strong>nuß<br />

der figuren und neuwen o fen / von der ersparung der neuwen erfundenen<br />

Holtzkunst erstmals die Aufmerksamkeit der Kunsthistoriker, 230 wenig<br />

später der Antiquare und der Bibliophilen. So bes<strong>ch</strong>enkte der Strassburger<br />

Privatgele<strong>hr</strong>te, Bibliomane und Drucker Paul Heitz 1886 seine<br />

Freunde mit einem unkommentierten Faksimile der ‹Mülhauser Holzkunst›,<br />

wie wir sie abkürzend nennen wollen, «na<strong>ch</strong> dem Unicum in der<br />

Zür<strong>ch</strong>er Stadtbibliothek» 231 . Do<strong>ch</strong> bereits 1888 ma<strong>ch</strong>te Charles S<strong>ch</strong>midt<br />

230<br />

231<br />

Vgl. unten, Kap. 7.2.4.<br />

Vgl. unten, Anh. 3 C.


120<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

in seiner Toxites-Biographie auf eine frühere Auflage von 1563 aufmerksam<br />

(Abb. 18a). 232<br />

Abb. 18a (Ai r ) Abb. 18b (Ai r )<br />

Titelblätter der 1563 und 1564 bei Peter S<strong>ch</strong>mid zu Mülhausen gedruckten anonymen<br />

Bildflugsc<strong>hr</strong>ift mit fünfzehn Holzs<strong>ch</strong>nitten von holzsparenden Stuben-, Brat-, Ko<strong>ch</strong>und<br />

Backöfen. (Besc<strong>hr</strong>eibung der Drucke in Anh. 3a.b.)<br />

Seither fü<strong>hr</strong>en die furnologis<strong>ch</strong>e Standardwerke die ‹Mülhauser Holzkunst›<br />

gerne als illustratives Beispiel für erste Holzsparversu<strong>ch</strong>e aus der<br />

zweiten Hälfte des 16. Ja<strong>hr</strong>hunderts an, ohne jedo<strong>ch</strong> über den Sitz im<br />

Leben dieser erratis<strong>ch</strong>en Publikation Genaues beizubringen. 233<br />

Da die s<strong>ch</strong>male Bros<strong>ch</strong>üre nur aus Titelblatt, Übersc<strong>hr</strong>iften, kargen Legenden<br />

und Holzs<strong>ch</strong>nitten ohne erklärenden Text besteht, ist es zu verstehen,<br />

dass diese Holtzkunst im Unters<strong>ch</strong>ied zu den Holzkünsten von<br />

Keßler und Böckler in der eins<strong>ch</strong>lägigen Historiographie bislang wenig<br />

Bea<strong>ch</strong>tung gefunden hat. Die 15 Illustrationen von insgesamt se<strong>ch</strong>s<br />

Ofen- und Herdmodellen laden indessen zum Blättern ein.<br />

a) «Der erst Stobenofen» (Abb. 19a) besitzt einen dur<strong>ch</strong> verzierte<br />

s<strong>ch</strong>male Eckka<strong>ch</strong>eln begrenzten massiven langre<strong>ch</strong>teckigen Unterbau.<br />

232<br />

233<br />

C[harles] S<strong>ch</strong>midt: Mi<strong>ch</strong>ael S<strong>ch</strong>ütz genannt Toxites, Strassburg 1888, 60, Anm. 50.<br />

Vgl. etwa Faber, Entwicklungsstufen (wie Anm. 12), 91f. (Druckja<strong>hr</strong> 1567); 364,<br />

Anm. 44 (Druckja<strong>hr</strong> 1564). Rosemarie Franz: Der Ka<strong>ch</strong>elofen, 2. Aufl., Graz 1981,<br />

74 (Autor: Peter S<strong>ch</strong>mid).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 121<br />

Unklar ist die materielle Bes<strong>ch</strong>affenheit der grossen Mittelfelder. 234 Eine<br />

Seite des Feuerungskastens ist mit der Wand verbunden, dur<strong>ch</strong> die er<br />

von aussen beheizt wird. Der bogenförmige Eins<strong>ch</strong>nitt des Sockels gibt<br />

den Blick frei auf den ummauerten Teil des Luft- bzw. As<strong>ch</strong>enlo<strong>ch</strong>s.<br />

Darüber erhebt si<strong>ch</strong> wa<strong>hr</strong>s<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> ein Heizkessel, 235 dessen Abwärme<br />

dur<strong>ch</strong> den Gitterrost im oberen Abs<strong>ch</strong>luss des Unterbaus entwei<strong>ch</strong>en<br />

kann. Zusätzli<strong>ch</strong>e Konvektionswärme wird dur<strong>ch</strong> die Radiatoren des<br />

vierfa<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>bro<strong>ch</strong>enen, vermutli<strong>ch</strong> keramis<strong>ch</strong>en Oberbaus abgegeben.<br />

236 Die Verlängerung der Rau<strong>ch</strong>gaswege und deren Ableitung auf<br />

Höhe der freiplastis<strong>ch</strong> gestalteten Bekrönung mit dem Zür<strong>ch</strong>er und Bieler<br />

Wappen verspri<strong>ch</strong>t zusätzli<strong>ch</strong>e Holzökonomie.<br />

b) «Der ander Stobenofen» (Abb. 19b) s<strong>ch</strong>eint in einigem Abstand<br />

von der Wand zu stehen. Dadur<strong>ch</strong> kann in Verbindung mit dem von vier<br />

Füssen gestützten, frei über dem Boden erhobenen Feuerungskasten ein<br />

beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Zuwa<strong>ch</strong>s an Wärmestrahlung errei<strong>ch</strong>t werden. Der Unterbau<br />

besitzt eine seitli<strong>ch</strong>e Feuertüre und ein von vorne bes<strong>ch</strong>ickbares<br />

Bratro<strong>hr</strong> («Ko<strong>ch</strong>ka<strong>ch</strong>el») mit hinauf klappbarer Doppeltüre. 237 Besonders<br />

aufwändig gehalten sind die Füllungen des dreifa<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>bro<strong>ch</strong>enen<br />

Oberofens (antithetis<strong>ch</strong>e Delphine, kämpfende Reiter) sowie die von<br />

zwei vollplastis<strong>ch</strong>en fackeltragenden Putten gehaltene krönende Halbtonne<br />

mit dem Mülhauser Wappen im Bogenfeld.<br />

c) «Der dritte Stobenofen» (Abb. 19c) übernimmt auf doppelbogigem<br />

Sockel vom ersten Ofen den Unterbau und vom zweiten den Oberbau,<br />

diesen allerdings ohne Füllungen. Im Bogenfeld der rollwerkgekrönten<br />

Halbtonne das Basler Wappen. Auf und neben dem As<strong>ch</strong>ekasten<br />

findet si<strong>ch</strong> die Signatur des Forms<strong>ch</strong>neiders (vgl. au<strong>ch</strong> Abb. 23).<br />

234<br />

235<br />

236<br />

237<br />

Eine «Kombination von Eisenplatten und Ka<strong>ch</strong>eln» vermutet Ingeborg Unger: Kölner<br />

Ofenka<strong>ch</strong>eln. Die Bestände des Museums für Angewandte Kunst und des Kölnis<strong>ch</strong>en<br />

Stadtmuseums, Köln 1988, 10. 1558 wollte si<strong>ch</strong> der Graf von Oettingen einen<br />

holzsparenden Ko<strong>ch</strong>ofen «von erden vnd nit ple<strong>ch</strong>» setzen lassen, vgl. oben bei<br />

Anm. 169.<br />

Faber, Entwicklungsstufen (wie Anm. 12), 91 denkt an einen «mitten dur<strong>ch</strong> den<br />

Feuerraum gelegten Warmlufts<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>t», viellei<strong>ch</strong>t Hotmans «cacabus», vgl. Anh. 1.<br />

Unger, Ofenka<strong>ch</strong>eln (wie Anm. 233), 41f. spri<strong>ch</strong>t diesen Aufbauten «reinen<br />

S<strong>ch</strong>muckzweck» zu. Drei nebeneinander angeordnete Ro<strong>hr</strong>e erwähnt S<strong>ch</strong>ulthaiß,<br />

vgl. Anh. 2, [2].<br />

Vgl. den Stuben-Ko<strong>ch</strong>ofen bei S<strong>ch</strong>ulthaiß, Anh. 2, [1].


122<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

Abb. 19a (Aij r ) Abb. 19b (Aij v ) Abb. 19c (Aiij r )<br />

Abb. 19a–c: Die drei holzsparenden Stubenöfen aus der ‹Mülhauser Holtzkunst› 1563<br />

bzw. 1564.<br />

Abb. 20a (Aiij v ) Abb. 20b (Aiiij r )<br />

Abb. 20 a–b: Zwei holzsparende Brat- und Ko<strong>ch</strong>öfen aus der ‹Mülhauser Holtzkunst›<br />

1563 bzw. 1564.<br />

d) Die «bratt vnd ko<strong>ch</strong>o fen» gab es in zwei lei<strong>ch</strong>t differierenden Ausfü<strong>hr</strong>ungen.<br />

1) Ein kombinierter Back-/Ko<strong>ch</strong>herd auf drei Etagen mit wandseitigem<br />

Bratro<strong>hr</strong>, berostetem Feuerungsraum und Luftlo<strong>ch</strong>/As<strong>ch</strong>efall;<br />

vorgelagert ein analog befeuerter Topfherd mit drei Ko<strong>ch</strong>mulden; 238<br />

238<br />

Vgl. die Topfherde bei Hotman (Abb. 13), S<strong>ch</strong>ulthaiß (Anh. 2, [6]).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 123<br />

dazwis<strong>ch</strong>en ein von den bena<strong>ch</strong>barten Ofenteilen erwärmter Backofen 239<br />

(Abb. 20a). 2) Die Illustration des bauähnli<strong>ch</strong>en zweiten Modells ist<br />

zweigeteilt: oben ein Brat-/Kasserollenherd mit zwei Ko<strong>ch</strong>mulden, unten<br />

der Herdsockel mit einem System von liegenden Rau<strong>ch</strong>gaszügen (Abb.<br />

20b).<br />

e) Die nä<strong>ch</strong>sten drei Blätter zeigen einen «ba<strong>ch</strong>ofen mit seinen<br />

bo den stuckweisz», d. h. eine von unten na<strong>ch</strong> oben gehende Explosivdarstellung<br />

der se<strong>ch</strong>s Etagen in Draufsi<strong>ch</strong>t (Abb. 21 re<strong>ch</strong>ts) sowie die Aussenansi<strong>ch</strong>t<br />

des ganzen Backofens (Abb. 21 links), der mit dem von<br />

S<strong>ch</strong>ulthaiß besc<strong>hr</strong>iebenen Modell Nr. 5 identis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eint. 240<br />

Abb. 21: Holzsparender Backofen aus der ‹Mülhauser Holtzkunst› 1563 bzw. 1564.<br />

links: ba<strong>ch</strong>ofen gantz mit dreyen thürlein oder mundlo <strong>ch</strong>ern (Av v ).<br />

re<strong>ch</strong>ts: Explosionsdarstellung der se<strong>ch</strong>s bo den (Av v –Av r ), (Montage H. R. Lavater).<br />

Legende: (1) Sockel mit Lufftlo<strong>ch</strong> oder a s<strong>ch</strong>enlo<strong>ch</strong> A. (2) Feuerraum mit Rost und Befülltüre<br />

B für Brennholz (das eynfeüren). (3) Backro<strong>hr</strong> (kast) mit Befülltür C für das<br />

Backgut (Eyns<strong>ch</strong>iessen). Steigende Züge (ho ly) auf drei Seiten. c: S<strong>ch</strong>ieber oder Stopfen<br />

für die Luftzufu<strong>hr</strong> oder die Dampfableitung (?). (4) Liegende Züge (ho ly). Rau<strong>ch</strong>gaswege<br />

unklar. (5) analog 3. (6) Steigende Züge (seitli<strong>ch</strong>: Rau<strong>ch</strong>, Mitte: Dampf?). (7) Abde-<br />

239<br />

240<br />

Vgl. das bei S<strong>ch</strong>ulthaiß, Anh. 2, [5] besc<strong>hr</strong>iebene Prinzip.<br />

S<strong>ch</strong>ulthaiß, Anh. 2, [5].


124<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

ckung (der oberste boden des ba<strong>ch</strong>ofens) mit Drosselklappe (fürs<strong>ch</strong>ub) b und Ableitung<br />

der Rau<strong>ch</strong>gase in den Kamin.<br />

1–7 = bo den; B, C, E = thürlein oder mundlo <strong>ch</strong>er.<br />

Unter der Voraussetzung ri<strong>ch</strong>tiger Interpretation der unklaren Massangabe bei boden B<br />

und der Masshaltigkeit der Darstellung, hätte dieser Backofen (1 Zoll = 2.5cm) die Abmessungen<br />

H 87.5 x B 75 x T 62.5 cm.<br />

7.2.2. Zuordnung des anonymen Druckes von 1563 und 1564<br />

Die erstmals von Rolf-Jürgen Gleitsmann 1985 geäusserte Vermutung,<br />

es könnte zwis<strong>ch</strong>en der ‹Mülhauser Holzkunst› und den «Aktivitäten des<br />

seit 1556 se<strong>hr</strong> erfolgrei<strong>ch</strong> agierenden Fromers<strong>ch</strong>en Holzsparkonsortiums»<br />

ein Zusammenhang bestehen, 241 kann dur<strong>ch</strong> me<strong>hr</strong>ere Beoba<strong>ch</strong>tungen<br />

bestätigt werden: a) Die von François Hotman und C<strong>hr</strong>istoph S<strong>ch</strong>ulthaiß<br />

besc<strong>hr</strong>iebenen Ofenmodelle des Konsortiums Zwick & Frommer<br />

lassen si<strong>ch</strong> allesamt zwanglos auf die Illustrationen des Mülhauser Druckes<br />

beziehen. b) Alle drei dort abgebildeten Stubenöfen fü<strong>hr</strong>en in i<strong>hr</strong>en<br />

freiplastis<strong>ch</strong> gestalteten Kranzka<strong>ch</strong>eln (Abb. 22), Trophäen glei<strong>ch</strong>, die<br />

Hoheitszei<strong>ch</strong>en von Städten, zu denen das Konsortium Zwick & Frommer<br />

erwiesenermassen ges<strong>ch</strong>äftli<strong>ch</strong>e Beziehungen hatte: Züri<strong>ch</strong>, Biel,<br />

Mülhausen und Basel. c) Für die Drucklegung der Holtzkunst in Mülhausen<br />

spre<strong>ch</strong>en die freunds<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und ges<strong>ch</strong>äftli<strong>ch</strong>en Kontakte, die<br />

Jakob Funcklin na<strong>ch</strong> diesem Zugewandten Ort der Eidgenossens<strong>ch</strong>aft<br />

pflegte. In Mülhausen versah der mit Funcklin glei<strong>ch</strong>zeitig aus Konstanz<br />

vertriebene Martin Wetzler seit 1554 ein Pfarramt. 242 Mit einem persönli<strong>ch</strong>en<br />

Einsatz von 51 fl hatte der Exulant im Frühsommer 1557 zur<br />

Gründung der vom Rat mit 400 fl kreditierten ersten Mülhauser Druckerei<br />

Peter S<strong>ch</strong>mid & Hans S<strong>ch</strong>irenbrand beigetragen. 243 Anfang 1557 (?)<br />

241<br />

242<br />

243<br />

Gleitsmann, Erfinderprivilegien (wie Anm. 8), 84f., 91 (Ausgabe 1563). Den wertvollen<br />

briefli<strong>ch</strong>en Austaus<strong>ch</strong> mit dem Autor (Anfang 1987) verdanke i<strong>ch</strong> der<br />

freundli<strong>ch</strong>en Vermittlung von Herrn Prof. Dr. Hans-Jürgen Goertz, Hamburg. Die<br />

Autors<strong>ch</strong>aft Frommers zieht der Katalog der BNU Strasbourg (Holtzkunst 1564)<br />

aufgrund einer handsc<strong>hr</strong>iftli<strong>ch</strong>en Notiz von [Johann Wilhelm] Baum (1809–1878)<br />

in Erwägung.<br />

Ernest Meininger: Les Pasteurs à Mulhouse, in Mitteilungen des Historis<strong>ch</strong>en<br />

Museums von Mülhausen 43 (1923), 65–112, 76. Rublack, Einfü<strong>hr</strong>ung (wie Anm.<br />

102), 161.<br />

Vgl. neuerdings C<strong>hr</strong>istoph Reske: Die Bu<strong>ch</strong>drucker des 16. und 17. Ja<strong>hr</strong>hunderts<br />

im deuts<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebiet, Wiesbaden 2007, 621f. (Lit.), leider ohne Berücksi<strong>ch</strong>-


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 125<br />

Abb. 22: Kranzka<strong>ch</strong>eln der Stubenöfen<br />

(Abb. 19a–c) mit den Hoheitszei<strong>ch</strong>en<br />

der Städte Züri<strong>ch</strong> und Biel<br />

(oben), Mülhausen (Mitte), Basel<br />

(unten).<br />

Abb. 23: Monogramm des Forms<strong>ch</strong>neiders<br />

‹HBW› mit S<strong>ch</strong>neidmesser<br />

auf dem Sockel dritten Stubenofens<br />

(vgl. Abb. 19c).<br />

fand hier Funcklins «edle kunst» Absatz und Werts<strong>ch</strong>ätzung, 244 wie die<br />

Kranzka<strong>ch</strong>el von Stubenofen II (Abb. 22) stolz verkündet. Zur besseren<br />

Bewerbung seiner Produkte s<strong>ch</strong>eint das von Funcklin vertretene Konsortium<br />

re<strong>ch</strong>t bald, spätestens 1563, den Druck einer illustrierten Kundenmappe<br />

(«Verzei<strong>ch</strong>nuß der figuren»!) ins Auge gefasst zu haben – im 16.<br />

Ja<strong>hr</strong>hundert ein absolutes Novum, gab es do<strong>ch</strong><br />

wä<strong>hr</strong>end dieser Zeitspanne, viellei<strong>ch</strong>t mit Ausnahme einer 1563 bei Peter S<strong>ch</strong>midt<br />

zu Mühlhausen [!] gedruckten Bildflugsc<strong>hr</strong>ift, keine einzige im te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Sinne<br />

hinrei<strong>ch</strong>end aufs<strong>ch</strong>lußrei<strong>ch</strong>e Publikation zum Themenkomplex Holzsparkünste. 245<br />

244<br />

245<br />

Ein diesbezügli<strong>ch</strong>er Druckauftrag Funcklins an die unterstützungsbedürftige<br />

Mülhauser Offizin hatte dieser und deren Kreditoren gegenüber<br />

den Charakter einer Gefälligkeit und eines Gegenges<strong>ch</strong>äfts – ni<strong>ch</strong>t weniger<br />

als jene Anthologie von Predigten Ambrosius Blarers «wider tod<br />

vnnd sterben», die Funcklin im Frühsommer 1561 bei Peter S<strong>ch</strong>mid hatte<br />

herausbringen wollen, samt einer Dedikation an den «Burgermeister vnd<br />

Rat der statt Mülhusen […] gegen vilfaltiger Eer, liebe vnnd fründtung<br />

der wi<strong>ch</strong>tigen Korrektur von Rainer Henri<strong>ch</strong>: Neues über Fros<strong>ch</strong>auers Korrektor<br />

Peter S<strong>ch</strong>mid von Bis<strong>ch</strong>ofszell, in: Zwa 18 (1990/91), 390–392.<br />

Vgl. oben im Text bei Anm. 129.<br />

Gleitsmann, Erfinderprivilegien (wie Anm. 8), 84.


126<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

s<strong>ch</strong>afft, so mir von euwer F[ürsi<strong>ch</strong>tigen] E[rsamen] W[ysheit] mermalen<br />

erzeigt vnnd bewisen worden» 246 . d) Anfang 1557 bat Wolfgang Musculus<br />

die Zwick um allfällige Unterlagen über die neuen Sparöfen. Jakob<br />

Zwick verspra<strong>ch</strong> zwar umgehend «das Beste», ersu<strong>ch</strong>te ihn jedo<strong>ch</strong>, «die<br />

Enthüllung abzuwarten» 247 , stand do<strong>ch</strong> die Erfindung unmittelbar vor<br />

i<strong>hr</strong>er Rei<strong>ch</strong>sprivilegierung, die denn am 13. März au<strong>ch</strong> erfolgen sollte.<br />

Dass es zu diesem Zeitpunkt eine Besc<strong>hr</strong>eibung der Holtzkunst und vermutli<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>ende Zei<strong>ch</strong>nungen gab, die man hätte enthüllen<br />

können, darf vorausgesetzt werden, mussten do<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e bereits anlässli<strong>ch</strong><br />

des Patentantrages eingerei<strong>ch</strong>t werden. 248 Es war ein besonderer<br />

Vertrauensbeweis, dass Ambrosius Blarer dem ungeduldigen Freund Ende<br />

Februar 1557 ein Exemplar «organum hypocausticum» vorzeitig zur<br />

Ansi<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>ickte. Gerne, sc<strong>hr</strong>ieb Musculus zurück, würde er jetzt au<strong>ch</strong><br />

no<strong>ch</strong> «die anderen organa, coquinarium et pistorium», sehen: «I<strong>ch</strong> werde<br />

sie zurückgeben und s<strong>ch</strong>weigen» 249 . Bei dieser Aufzählung muss auffallen,<br />

dass die von Musculus genannten organa mit den Übersc<strong>hr</strong>iften der<br />

‹Mülhauser Holzkunst› in Nomenklatur und Abfolge exakt übereinstimmen:<br />

«organum hypocausticum»: «stobenofen», «organum coquinarium»:<br />

«nun volgent die bratt vnd ko<strong>ch</strong>o fen», «organum pistorium»:<br />

«ba<strong>ch</strong>ofen». – Gab es denn eine ‹Mülhauser Holtzkunst› vor 1563?<br />

7.2.3. ‹Mülhauser Holtzkunst› 1557<br />

Im April 1559 trennten si<strong>ch</strong> die Partner der Offizin S<strong>ch</strong>mid & S<strong>ch</strong>irenbrand.<br />

Das bei dieser Gelegenheit erstellte und glückli<strong>ch</strong>erweise erhaltene<br />

«Verzei<strong>ch</strong>nuss der Truckery zn Barfssern» nennt unter der Rubrik<br />

«ges<strong>ch</strong>nittenen figuren und alphabet» unter anderen au<strong>ch</strong> «15 figuren in<br />

die holtzkunst». Darunter verstand Joseph Coudre, der frankophone Herausgeber<br />

des historis<strong>ch</strong>en Inventars, «les bois de différents modèles<br />

246<br />

247<br />

248<br />

249<br />

Funcklins Vorrede vom 1. März 1561, 3 v . Da Blarer Funcklins eigenmä<strong>ch</strong>tige<br />

Drucklegung in Mülhausen erfolgrei<strong>ch</strong> hintertrieben hatte, ers<strong>ch</strong>ien die Predigtsammlung<br />

na<strong>ch</strong> einem hüben wie drüben s<strong>ch</strong>arf gefü<strong>hr</strong>ten Briefwe<strong>ch</strong>sel s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong><br />

in Züri<strong>ch</strong>: Ambrosius Blarer: Der geistli<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>atz C<strong>hr</strong>istenli<strong>ch</strong>er vorbereitung<br />

vnd glo ubigs trosts wider tod vnnd sterben, Züri<strong>ch</strong> (C<strong>hr</strong>. Fros<strong>ch</strong>auer) 1561, vgl.<br />

Blarer BW 3, Nr. 2368 (J. Funcklin an A. Blarer, 21. Juli 1561).<br />

Blarer BW 3, Nr. 2088 (W. Musculus an A. Blarer, 16. Februar 1557).<br />

Vgl. Pohlmann, Materialien (wie Anm. 8), 275; Hoffmann, Beiträge (wie Anm. 8),<br />

88, Anm. 22; Müller, Patents<strong>ch</strong>utz (wie Anm. 8), 940 (Abb. 9).<br />

Blarer BW 3, Nr. 2089 (W. Musculus an A. Blarer, 2. März 1557).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 127<br />

dont nos imprimeurs se servaient en guise de fleurons et de culs-delampe»<br />

250 . Die im 16. Ja<strong>hr</strong>hundert seltene Konnotation von «holtzkunst»<br />

qua Holzs<strong>ch</strong>nitt, 251 namentli<strong>ch</strong> aber die Gegebenheit, dass beide Ausgaben<br />

der Holtzkunst aus der Offizin Peter S<strong>ch</strong>mid genau 15 Holzs<strong>ch</strong>nitt-<br />

Illustrationen beinhalten und laut Titel ein «Verzei<strong>ch</strong>nuß der figuren […]<br />

der neuwen erfundenen Holtzkunst» sein wollen, bestärkt uns in der Annahme,<br />

dass es vor April 1559 entweder 15 einzelne «figuren» der neuen<br />

Sparöfen, wenn ni<strong>ch</strong>t gar eine erste Auflage der Holtzkunst gegeben hat.<br />

Die Veranlassung des Druckes im Umfeld des Patentierungsvorganges<br />

zu su<strong>ch</strong>en (1. Antrag: Frühsommer 1555, 2. Antrag: Spätja<strong>hr</strong><br />

1556, Freiheit: Frühja<strong>hr</strong> 1557), legt unter anderem die Beoba<strong>ch</strong>tung nahe,<br />

dass die 8 Abbildungen des «ba<strong>ch</strong>ofen» mit Legenden, Massangaben<br />

und Referenzbu<strong>ch</strong>staben versehen sind. Da die Illustrationen weder für<br />

eine Patentprüfungskommission selbsterklärend waren, no<strong>ch</strong> einem Hafner<br />

als Bauanleitung dienen konnten, steht zu vermuten, dass zum «Verzei<strong>ch</strong>nuß<br />

der figuren» au<strong>ch</strong> eine zugehörige Besc<strong>hr</strong>eibung existierte.<br />

Charles S<strong>ch</strong>midt 1888 und Esther Hildebrandt 1982 glaubten eine sol<strong>ch</strong>e<br />

in jener «ars de parcendis lignis in coquendo ac calefaciendo conclavia»<br />

erkennen zu können, die Mi<strong>ch</strong>ael Toxites im September 1556 erwähnt 252<br />

und zu deren Verbreitung er aus Sympathie zu Konrad Zwick und Interesse<br />

an der Sa<strong>ch</strong>e hatte beitragen wollen: «Toxites […] had offered<br />

Zwick his help in developing and publicising his invention by translating<br />

Zwick’s work into Latin» 253 .<br />

Unabhängig davon: terminus ante quem für die erste ‹Mülhauser<br />

Holzkunst› ist das Gründungsdatum der Druckerei S<strong>ch</strong>mid & S<strong>ch</strong>irenbrand<br />

im Frühsommer 1557, terminus post quem ist das Inventurdatum<br />

April 1559. Für die letzte uns bekannte Ausgabe 1564 ist der terminus<br />

250<br />

251<br />

252<br />

253<br />

Joseph Coudre: Inventaire inédit d’une imprimerie et imagerie populaire de Mulhouse<br />

1557–1559, in: Bulletin du Musée Historique de Mulhouse 2 (1877), 41–92,<br />

48, 61.<br />

So etwa in Paul Behaims bekanntem Verzei<strong>ch</strong>nus und Registratur der Kupfersti<strong>ch</strong>e<br />

und Holzs<strong>ch</strong>nitte (1618), Friedri<strong>ch</strong> Leits<strong>ch</strong>uh (Hg.): Katalog der Handsc<strong>hr</strong>iften der<br />

Königli<strong>ch</strong>en Bibliothek zu Bamberg, 2 Bde., Leipzig 1887, Bd. 1, 96f., Nr. 301.<br />

DWb 10, 1775 hat nur scientia lignorum mit Hinweis auf Colerus’ Hausbu<strong>ch</strong><br />

1595/97.<br />

Vgl. oben im Text bei Anm. 33.<br />

Hildebrandt, Exiles (wie Anm. 165), 46, vgl. S<strong>ch</strong>midt, Toxites (wie Anm. 231), 60.<br />

ars kann si<strong>ch</strong> auf eine Sc<strong>hr</strong>ift dieses Titels beziehen, oder au<strong>ch</strong> nur auf das neue<br />

heizte<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Verfa<strong>hr</strong>en im Allgemeinen.


128<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

post quem Peter S<strong>ch</strong>mids Wegzug na<strong>ch</strong> Frankfurt im Mai 1564. 254 Dass<br />

die Ausgaben 1563 und 1564 in eine Zeit fallen, als der quellenkundige<br />

Zenith des Unternehmens bereits übersc<strong>hr</strong>itten war, kann irritieren. Oder<br />

war die späte Drucklegung etwa Teil einer Vorwärtsstrategie angesi<strong>ch</strong>ts<br />

der rü<strong>hr</strong>igen Konkurrenz?<br />

7.2.4. Autors<strong>ch</strong>aft der Holzs<strong>ch</strong>nitte<br />

Seit François Brulliot 1832 hält si<strong>ch</strong> die hartnäckige Behauptung, das am<br />

Unterbau des dritten Stubenofens angebra<strong>ch</strong>te Monogramm des Forms<strong>ch</strong>neiders<br />

HB (HBW!) mit S<strong>ch</strong>neidmesser (Abb. 23) sei dem Maler<br />

Hans Bocksberger d. J. (geb. 1539), 255 bzw. Johann Mel<strong>ch</strong>ior Bocksberger<br />

(gest. um 1587) 256 zuzusc<strong>hr</strong>eiben, dies, obwohl Georg Nagler s<strong>ch</strong>on<br />

1863 hiefür weder Belege no<strong>ch</strong> Gründe hatte finden können, da Hans<br />

Bocksberger «Maler, und ni<strong>ch</strong>t Forms<strong>ch</strong>neider von Profession war» 257 ,<br />

was übrigens au<strong>ch</strong> auf Johann Mel<strong>ch</strong>ior Bocksberger zutrifft. Die von<br />

Johann D. Passavant 1863 mit einem Fragezei<strong>ch</strong>en versehene Zusc<strong>hr</strong>eibung<br />

an den Xylographen Bernard Jobin 258 s<strong>ch</strong>eitert unseres Era<strong>ch</strong>tens<br />

bereits am Monogramm. So müssen denn der entwerfende wie der ausfü<strong>hr</strong>ende<br />

Illustrator der ‹Mülhauser Holzkunst› mit Nagler weiterhin zu<br />

den unbekannten Meistern gezählt werden. Dass der Forms<strong>ch</strong>neider<br />

HBW in Beziehung zur Offizin S<strong>ch</strong>mid & S<strong>ch</strong>irenbrand gestanden hatte,<br />

belegt eine von diesem monogrammierte «Contrafactur der Lo bli<strong>ch</strong>en<br />

Statt Mülhusen» 259 .<br />

254<br />

255<br />

256<br />

257<br />

258<br />

259<br />

L[éonard] G[éorges] Werner: La première Imprimerie Mulhousienne, in: Bulletin<br />

du Musée Historique de Mulhouse 49 (1929), 59–107, 65.<br />

François Brulliot: Dictionnaire des Monogrammes, marques figurées, lettres initiales,<br />

noms abrégés, première partie, Mün<strong>ch</strong>en 1832, 18. Vgl. Charles Le Blanc: Manuel<br />

de l’amateur d’estampes, 4 Bde., Bd. 1, Paris 1854, 394f.; Katalog der ZBZH<br />

(Alte Drucke 14.42,8); neuerdings Urs B. Leu, Raffael Keller u. Sandra Weidmann:<br />

Konrad Gessner’s Private Library, Leiden u. a. 2008, 75, Nr. 61.<br />

Katalog der Biblioteca Vaticana, Data record 940527.<br />

Georg Kaspar Nagler: Die Monogrammisten, 5 Bde., Bd. 4, Mün<strong>ch</strong>en 1863, Nr.<br />

607, 191f.; Susanne Kaeppele: Die Malerfamilie Bocksberger aus Salzburg, Salzburg<br />

2003, 180, 294. Frau Dr. Susanne Kaeppele, Mannheim, danke i<strong>ch</strong> für den erhellenden<br />

Briefkontakt.<br />

J[ohann] D[avid] Passavant: Le Peintre-Graveur, 6 Bde., Bd. 4, Leipzig 1863, 330–<br />

332.<br />

Edouard Benner: Notice sur une vue de Mulhouse du XVI e siècle, in: Bulletin du<br />

Musée Historique de Mulhouse 15 (1890), 37–46. HBW s<strong>ch</strong>eint 1556 au<strong>ch</strong> für Fro-


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 129<br />

8. S<strong>ch</strong>lussbilanz<br />

8.1. «hat übel hußgehalten …»<br />

Bendi<strong>ch</strong>t Re<strong>ch</strong>bergers kurzes Summar der Vita Jakob Funcklins endet<br />

mit einem Missklang. Auf die dur<strong>ch</strong>weg positive Würdigung, wona<strong>ch</strong><br />

der wolgelertt herr Jacob Fünckly unser predicantt by 15. joren gwesenn hie z<br />

Bielln und uns gar wol gelertt, Gott sy lob, und helff uns allen zu einem seligen<br />

end, Amen,<br />

folgt die lakonis<strong>ch</strong>e Feststellung: «Hatt übel hußghalten» 260 . Gerne bedienten<br />

si<strong>ch</strong> dieser vermutli<strong>ch</strong> erst na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong>, spätestens 1566, angehängten<br />

Qualifikation die wenig zahlrei<strong>ch</strong>en Biographen Funcklins für<br />

Anspielungen «Er [Funcklin] s<strong>ch</strong>eint au<strong>ch</strong> im Leben ein Vielbrau<strong>ch</strong>er<br />

gewesen zu sein» 261 oder Behauptungen auf s<strong>ch</strong>maler Quellenbasis: «F.s<br />

Bemühungen um die Verbreitung der Holzsparkunst […] fü<strong>hr</strong>ten ihn in<br />

den Ruin.» 262<br />

Funcklins gewiss ni<strong>ch</strong>t weg zu diskutierende, vom Bieler Rat spätestens<br />

seit Januar 1556 vermutete persönli<strong>ch</strong>e Vers<strong>ch</strong>uldung 263 lässt si<strong>ch</strong><br />

im Dreisatzverfa<strong>hr</strong>en weder ermitteln no<strong>ch</strong> erklären. Sie ist re<strong>ch</strong>t eigentli<strong>ch</strong><br />

die Vektorenresultante aus c<strong>hr</strong>istli<strong>ch</strong>er Uneigennützigkeit, ho<strong>ch</strong>fliegenden<br />

Plänen, ökonomis<strong>ch</strong>er Unkenntnis und einer Vielzahl von harten<br />

Fakten. So ist daran zu erinnern, dass Funcklins Projekte mit Krise und<br />

Verfall grosser oberdeuts<strong>ch</strong>er Handelshäuser zeitli<strong>ch</strong> zusammenfielen, 264<br />

sowie dass mindestens zwei prominente Teilhaber an den Zwick’s<strong>ch</strong>en<br />

Unternehmungen (Abb. 5) Anfang der 1560er Ja<strong>hr</strong>e insolvent geworden<br />

waren: 1560 fallierte der grosse Memminger Tu<strong>ch</strong>händler Eberhard<br />

Zangmeister, 1562 der s<strong>ch</strong>illernde Augsburger Kapitalist Jakob Herbrot,<br />

260<br />

261<br />

262<br />

263<br />

264<br />

ben gearbeitet zu haben, vgl. Rudolf Wackernagel (Hg.): Re<strong>ch</strong>nungsbu<strong>ch</strong> der Froben<br />

& Episcopius, Bu<strong>ch</strong>drucker und Bu<strong>ch</strong>händler zu Basel 1557–1564, Basel 1881,<br />

108.<br />

Re<strong>ch</strong>berger, C<strong>hr</strong>onik (wie Anm. 30), 147f.<br />

Emil Ermatinger: Di<strong>ch</strong>tung und Geistesleben der deuts<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>weiz, Mün<strong>ch</strong>en<br />

1933, 205.<br />

Pars pro toto: Hans-Beat Flückiger: Art. Fünklin, Jakob, in: HLS 5 (2006), 24.<br />

StadtA Biel CXXIII, Nr. 5, 581f. (Biel an Konstanz, 26. Januar 1556).<br />

Vgl. Mathis, Wirts<strong>ch</strong>aft (wie Anm. 57), 81 (Lit.).


130<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

dessen Passiven si<strong>ch</strong> auf sagenhafte 554623 fl bzw. 766029 fl belaufen<br />

haben sollen. 265<br />

Über Jakob Funcklins Ges<strong>ch</strong>äftsgebaren ist, soweit wir sehen, nur<br />

so viel beizubringen, wie dieses Gegenstand obrigkeitli<strong>ch</strong>er Erbs<strong>ch</strong>aftserkundigungen<br />

war. Dass er ein ordentli<strong>ch</strong>es Ges<strong>ch</strong>äftsbu<strong>ch</strong> («s<strong>ch</strong>uldtb<strong>ch</strong>»)<br />

gefü<strong>hr</strong>t hat, geht aus einer se<strong>hr</strong> aufs<strong>ch</strong>lussrei<strong>ch</strong>en Aussage der<br />

To<strong>ch</strong>ter Anna Chuard-Funcklin vom 12. April 1567 hervor:<br />

Item, als Heinri<strong>ch</strong> Jeger uff ein mol sin s<strong>ch</strong>wöster fragt, who irs eemans seligen<br />

testament wäre, da bra<strong>ch</strong>t sy im sin s<strong>ch</strong>uldt b<strong>ch</strong> dar. Und hat darby heymli<strong>ch</strong> ein<br />

fäderen in der handt, die gab sy irem brder, der tilckett [stri<strong>ch</strong>] damit ettwas uß<br />

dem b<strong>ch</strong>, laß drin und spra<strong>ch</strong>: Er hat vil gts geordnet und gema<strong>ch</strong>t; wan man nun<br />

[nur] wüßte, who daß wäre. Also gab er daß b<strong>ch</strong> siner s<strong>ch</strong>wöster wider. 266<br />

Dass Funcklins Witwe und S<strong>ch</strong>wager vor und wä<strong>hr</strong>end der Erri<strong>ch</strong>tung<br />

des Erbs<strong>ch</strong>aftsinventars konspiriert hatten, war au<strong>ch</strong> von Aussenstehenden<br />

beoba<strong>ch</strong>tet worden. Wirkli<strong>ch</strong> bemerkenswert ers<strong>ch</strong>eint jedo<strong>ch</strong>, dass<br />

der bilanzkundige Ratsherr Heinri<strong>ch</strong> Jeger na<strong>ch</strong> Einsi<strong>ch</strong>t in Funcklins<br />

Journal keinen dur<strong>ch</strong>weg katastrophalen Finanzstatus, sondern vielme<strong>hr</strong><br />

eine Anzahl von transitoris<strong>ch</strong>en Aktiven hatte feststellen können.<br />

Die ni<strong>ch</strong>t in allen Teilen transparente Erbs<strong>ch</strong>aftssa<strong>ch</strong>e veranlasste<br />

Biel, si<strong>ch</strong> im Januar 1566 in Konstanz zu erkundigen, «mitt wasserley<br />

gewerber by sinem läbenn vmbgangen», und ob dessen<br />

Halbbruder und Teilhaber an der Holzkunst, «Vlri<strong>ch</strong> Kündigman Steürsc<strong>hr</strong>yber<br />

vnnd deß rhats by v<strong>ch</strong>, siner handlung halben ettwäs zwüssen<br />

sin mö<strong>ch</strong>te» 267 . Die im April 1567 mit 18 Bielerinnen und Bielern dur<strong>ch</strong>gefü<strong>hr</strong>ten<br />

Einvernahmen trugen zur Klärung der finanziellen Verhältnisse<br />

wenig bei, liessen jedo<strong>ch</strong> das verdunkelnde Verhalten der Witwe<br />

Funcklin umso deutli<strong>ch</strong>er hervortreten. 268 Ein vom Ehemann beim Landvogt<br />

von Nidau (Jakob Mi<strong>ch</strong>el) aufgenommenes Darlehen von 600 kr,<br />

dessen Rückzahlung sie verspro<strong>ch</strong>en, aber nie getätigt hatte, trug Anna<br />

265<br />

266<br />

267<br />

268<br />

Vgl. Westermann, Zahlungseinstellung (wie Anm. 45); E<strong>hr</strong>enberg, Fugger (wie<br />

Anm. 45), 235.<br />

StadtA Biel CLXVI Nr. 99, 5 rv .<br />

StadtA Biel CXXIII.5, 581f. (Biel an Konstanz, 25. Januar 1566).<br />

StadtA Biel CLXVI, Nr. 99: Kunnts<strong>ch</strong>afft Brief antreffendt herr Jacob Funcklins<br />

verlassne husfrouw (12.–30. April 1567), 20 Seiten in f°, Absc<strong>hr</strong>ift von 1572.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 131<br />

Funcklin-Jeger im Oktober 1568 einige Tage Beugehaft ein. 269 Von einer<br />

fünfmal höheren Forderung hat der Bieler Pfarrer Josua Finsler im März<br />

1572 gehört:<br />

Diese Wo<strong>ch</strong>e forderte ein Junker Diesba<strong>ch</strong> 270 3’000 Kronen von der Witwe Funcklins,<br />

meines Vorgängers; darüber wird jedo<strong>ch</strong> weiterhin gestritten. 271<br />

Ein letztes Mal fällt der Name Funcklin im März 1574 anlässli<strong>ch</strong> der<br />

Na<strong>ch</strong>lassregelung seines einstigen «mithaften» im Seifengewerbe, Hans<br />

Glatt. Mit diesem zusammen, sc<strong>hr</strong>eibt Biel an Bern, habe der einstige<br />

vorstender vnnserer kil<strong>ch</strong>en alhie […] ettli<strong>ch</strong>erleÿ gewerb getrÿben vnnd si<strong>ch</strong> gegen<br />

Einanderen versc<strong>hr</strong>ÿben vnnd Jre vberkhomnus nÿemandt offenbaren wöllen,<br />

dardur<strong>ch</strong> sÿ vill s<strong>ch</strong>ulden gema<strong>ch</strong>t. 272<br />

Wie ho<strong>ch</strong> diese S<strong>ch</strong>ulden s<strong>ch</strong>lussendli<strong>ch</strong> waren, lässt si<strong>ch</strong> vermutli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t me<strong>hr</strong> ermitteln. Na<strong>ch</strong> Einbezug aller eins<strong>ch</strong>lägigen Quellen 273 beziffern<br />

wir Jakob Funcklins Ausgabenübers<strong>ch</strong>uss auf etwa 7000 kr.<br />

Diese Summe entspra<strong>ch</strong> annähernd 46 Ja<strong>hr</strong>essalären des Bieler Dekans.<br />

274<br />

269<br />

270<br />

271<br />

272<br />

273<br />

274<br />

StABE A II 245, 256 sowie StadtA Biel LIX, Nr. 231 (Bern an Biel, 6. Oktober<br />

1568). Zu Jakob Mi<strong>ch</strong>el vgl. Alfred S<strong>ch</strong>eidegger: Die Berner Glasmalerei von 1540<br />

bis 1580, Bern 1947, 132.<br />

Mögli<strong>ch</strong>erweise Niklaus IV. Diesba<strong>ch</strong> (1503–1585), vgl. zu diesem Rudolf Dellsperger:<br />

Wolfgang Musculus (1497–1563). Leben und Werk, in: Wolfgang Musculus<br />

(1497–1563), hg. v. Rudolf Dellsperger, Rudolf Freudenberger u. Wolfgang<br />

Weber, 23–36, 34.<br />

«Hac septimana nobilis quidam Diesba<strong>ch</strong>ius 3’000 coronatos petijt a vidua Funclii,<br />

praedecessoris mei; de his autem adhuc litigatur», StAZH E II 344,33 (J. Finsler an<br />

B. Leemann, 21. März 1572), freundli<strong>ch</strong>er Hinweis von Herrn lic. theol. Rainer<br />

Henri<strong>ch</strong>.<br />

StadtA Biel CXXIII, Nr. 5, 798f. (Bern an Biel, 20. März 1574), freundli<strong>ch</strong>er Hinweis<br />

von Herrn Prof. Dr. Max S<strong>ch</strong>iendorfer.<br />

StABE A II 212, 272; Blarer BW 3, Nrn. 2145, 2322f., 2561, 2592, 2625; StadtA<br />

Biel CLXVI Nr. 99; StAZH E II 344,33; StadtA Biel CXXIII.5.<br />

Lohnsumme na<strong>ch</strong> StadtA Biel CXXXI.15 (2. März 1561): 100 fl zuzügli<strong>ch</strong> 15<br />

Viertel Korn und 14 Saum Wein. Aequivalente bere<strong>ch</strong>net na<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>berger, C<strong>hr</strong>onik<br />

(wie Anm. 30), 85 (Preise 1555).


132<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

8.2. «rÿ<strong>ch</strong>en vnnd armen zgebru<strong>ch</strong>en seer nutzli<strong>ch</strong>»<br />

Den theoretis<strong>ch</strong>en Wert der historis<strong>ch</strong>en Sparofenliteratur – und somit<br />

wohl au<strong>ch</strong> des praktis<strong>ch</strong>en Ofenbaues – s<strong>ch</strong>ätzte Joa<strong>ch</strong>im Radkau 2007<br />

als gering ein: Zwar habe sie «einige wi<strong>ch</strong>tige te<strong>ch</strong>nologis<strong>ch</strong>e Grundeinsi<strong>ch</strong>ten»<br />

enthalten, do<strong>ch</strong> sei ohne Regelungste<strong>ch</strong>nik und Gasanalyse<br />

«ni<strong>ch</strong>t einmal das Problem klar zu formulieren» gewesen. 275 Umso höher<br />

beurteilte Alfred Faber 1950 die Mögli<strong>ch</strong>keiten der Empirie, wenn er der<br />

‹Frankfurter Holzsparkunst 1618› des Franz Keßler (Abb. 14, 16, 17)<br />

attestierte, «die feuerungste<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Vorgänge im Stubenofen ri<strong>ch</strong>tig<br />

erkannt», bzw. «alle wesentli<strong>ch</strong>en Merkmale eines neuzeitli<strong>ch</strong>en Zimmerofens<br />

[…] vorweggenommen» zu haben. 276 An wel<strong>ch</strong>en theoretis<strong>ch</strong>en<br />

und praktis<strong>ch</strong>en Standards der Neuzeit ist ein frühneuzeitli<strong>ch</strong>er<br />

Sparofen zu messen?<br />

8.2.1. Holzverbrennung<br />

Bei der Holzverbrennung wird die photosynthetis<strong>ch</strong> gespei<strong>ch</strong>erte <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>e<br />

Energie zu Wärmeenergie gewandelt. Feuer ist die Wa<strong>hr</strong>nehmungsform<br />

dieser Umwandlung. Idealerweise verläuft die kontrollierte Holzverbrennung<br />

in einem Ofen in zwei teilweise sync<strong>hr</strong>onen Stufen: 277<br />

Der energieverbrau<strong>ch</strong>ende (endotherme) erste Teilprozess beinhaltet<br />

die Trocknung, die Zersetzung und die Vergasung des Holzes im Glutbett<br />

(ab 250° C), wobei 85 Gew.% der trockenen Holzmasse als brennbare<br />

flü<strong>ch</strong>tige Gase (v. a. CO, H 2 , C x H y ) freigesetzt werden und 15 Gew.%<br />

als energierei<strong>ch</strong>e Holzkohle auf dem Rost verbleiben. Zur Überfü<strong>hr</strong>ung<br />

der festen Holzstoffe in den gasförmigen Zustand wird so genannte Primärluft<br />

(O 2 +N 2 ) benötigt, die dur<strong>ch</strong> den Feuerungsrost dem unteren Teil<br />

des Feuerraums zugefü<strong>hr</strong>t wird.<br />

Im energieliefernden (exothermen) zweiten Teilprozess vergast die<br />

Holzkohle (ab 500° C) und oxidieren die brennbaren Gase (ab ca. 700° C<br />

bis ca. 1’500° C) zu CO 2 und H 2 O. Der Ausbrand der Gase wird dur<strong>ch</strong> so<br />

genannte Sekundärluft unterstützt, die in den oberen Teil des Feuerrau-<br />

275<br />

276<br />

277<br />

Radkau, Holz (wie Anm. 10), 201f.<br />

Alfred Faber: 1000 Ja<strong>hr</strong>e Werdegang von Herd und Ofen, Mün<strong>ch</strong>en u. a. 1950<br />

(Deuts<strong>ch</strong>es Museum, Abhandlungen und Beri<strong>ch</strong>te 18, H. 3), 29. Vgl. Franz, Ka<strong>ch</strong>elofen<br />

(wie Anm. 232), 74.<br />

Thomas Nussbaumer: Holzenergie. Teil 1: Grundlagen der Holzverbrennung,<br />

Blauen 2000 (S<strong>ch</strong>weizer Baudokumentation August 2000, 1–8).


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 133<br />

mes eingeleitet wird. Die Oxidation der Holzkohle setzt der Energie<br />

frei, wä<strong>hr</strong>end die doppelt so s<strong>ch</strong>nell ablaufende Oxidation der Vergasungsprodukte<br />

der thermis<strong>ch</strong>en Energie erbringt. Diese teilt si<strong>ch</strong> über<br />

die Flamme an die Ofenwände und den na<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>obenen Brennstoff<br />

mit.<br />

8.2.2. Der ideale Sparofen<br />

Zur Errei<strong>ch</strong>ung einer vollständigen Verbrennung bzw. eines optimalen<br />

thermis<strong>ch</strong>en Wirkungsgrades ergeben si<strong>ch</strong> aus der Verbrennungstheorie<br />

und dem praktis<strong>ch</strong>en Abbrandverhalten von Holz eine Reihe von Anforderungen,<br />

278 die eine Sparofenkonstruktion zu erfüllen hat, nämli<strong>ch</strong>: a)<br />

Trennung von Feuer und As<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> Einziehen eines freien Feuerungsrostes,<br />

279 b) ges<strong>ch</strong>lossener, auf die Rostgrösse abgestimmter, mögli<strong>ch</strong>st<br />

kleiner Feuerraum, c) regulierbare Zufu<strong>hr</strong> von Sauerstoff im Übers<strong>ch</strong>uss<br />

unterhalb des Rostes (Primärluft) und im oberen Berei<strong>ch</strong> des Feuerraums<br />

(Sekundärluft), d) optimale Dur<strong>ch</strong>mis<strong>ch</strong>ung der Sekundärluft mit den<br />

brennbaren Gasen, e) ausrei<strong>ch</strong>ende Verweilzeit der Gase in der heissen<br />

Zone, d. h. gebremster Wärmeabzug dur<strong>ch</strong> Verlängerung der Rau<strong>ch</strong>gaswege<br />

mittels steigenden, liegenden, stürzenden Zügen, Zirkulierro<strong>hr</strong>en,<br />

Drosselklappe im Rau<strong>ch</strong>gasweg; im Falle der Ko<strong>ch</strong>öfen: Kasserollenherd<br />

mit maximaler Wärmeeinwirkung auf den Ko<strong>ch</strong>topf, f) Vergrösserung<br />

der Ofenoberflä<strong>ch</strong>e: Se<strong>ch</strong>splattenofen (Ofen von der Wand abgerückt<br />

und auf Füssen), Ka<strong>ch</strong>elaufsätze, Dur<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>ten, Radiatoren,<br />

Zirkulierro<strong>hr</strong>e, g) gut ziehender S<strong>ch</strong>ornstein.<br />

Na<strong>ch</strong> eingehender Prüfung der in der ‹Mülhauser Holzkunst<br />

1563/64› dargestellten Öfen und Herde 280 anhand der obgenannten Kriterien<br />

für ökonomis<strong>ch</strong> und funktional befriedigende Öfen ergibt si<strong>ch</strong> der<br />

eindrückli<strong>ch</strong>e Befund, dass die Holzverbrennungsanlagen na<strong>ch</strong> Zwick &<br />

Frommer gut 50 Ja<strong>hr</strong>e vor der bahnbre<strong>ch</strong>enden ‹Frankfurter Holzkunst<br />

1618› des Franz Keßler sämtli<strong>ch</strong>e prinzipiellen und konstruktiven Merkmale<br />

neuzeitli<strong>ch</strong>en Ofenbaus aufweisen oder erkennen lassen, die auf<br />

278<br />

279<br />

280<br />

Umfassend: Faber, Entwicklungsstufen (wie Anm. 12), 196–209.<br />

Radkau, Holz (wie Anm. 10), 201: «S<strong>ch</strong>on mit einer so simplen Innovation wie<br />

dem eisernen Rost ließ si<strong>ch</strong> die Regelung des Feuers und die Brennstoffnutzung<br />

erhebli<strong>ch</strong> verbessern.»<br />

Vgl. oben Kap. 7.


134<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

empiris<strong>ch</strong>em Wege damals zu gewinnen waren. 281 Freili<strong>ch</strong> blieben den<br />

Holzsparkünstlern Frommer & Zwick & Egloff und i<strong>hr</strong>en Konkurrenten<br />

gerade jene Aspekte vers<strong>ch</strong>lossen, die den thermis<strong>ch</strong>en Wirkungsgrad<br />

von Heizanlagen am signifikantesten beeinflussen, und deren theoretis<strong>ch</strong>e<br />

Grundlagen erst im letzten Drittel des 18. Ja<strong>hr</strong>hunderts erarbeitet<br />

worden waren, 282 nämli<strong>ch</strong> die Zufu<strong>hr</strong> von Sekundärluft und deren Verwirbelung<br />

mit den Holzgasen.<br />

8.3. Summa summarum<br />

8.3.1. Sparpotential<br />

Mit grossem Engagement hatte Ambrosius Blarer am letzten Tag des<br />

Ja<strong>hr</strong>es 1556 Johannes Calvin für die neue Erfindung zu begeistern versu<strong>ch</strong>t,<br />

indem er deren «ganz unglaubli<strong>ch</strong>e Nützli<strong>ch</strong>keit (commoditas) für<br />

fast die ganze Mens<strong>ch</strong>heit» herausstri<strong>ch</strong>. 283 Mit fast identis<strong>ch</strong>en Worten<br />

erkundigte si<strong>ch</strong> Blarer im Februar 1557 bei Heinri<strong>ch</strong> Bullinger na<strong>ch</strong> dem<br />

Erfolg von Konrad Zwicks «inventum […] omnibus fere mortalibus<br />

utilissimum, de commoda lignorum parsimonia» 284 .<br />

In den Patentanträgen und in der Werbung gaben die Holzkünstler<br />

des 16. Ja<strong>hr</strong>hunderts die erzielbaren Brennstoffeinsparungen verständli<strong>ch</strong>erweise<br />

ni<strong>ch</strong>t allzu niedrig an (Tab. 3). Andererseits besassen die Kunden<br />

bei der Ans<strong>ch</strong>affung eines patentierten Ofens immerhin eine minimale<br />

Garantie, dass dessen Neuheit und Nützli<strong>ch</strong>keit von einem<br />

Expertengremium geprüft worden war. Wenn die Brennstoffnutzung<br />

s<strong>ch</strong>on mit dem Einzug eines Eisenrostes signifikant zu beeinflussen<br />

war, 285 so lassen die in der ‹Mülhauser Holzkunst 1563/64› dokumentier-<br />

281<br />

282<br />

283<br />

284<br />

285<br />

Vgl. Faber, Entwicklungsstufen (wie Anm. 12), 118: «Wenn wir von den anonym<br />

ers<strong>ch</strong>ienenen Entwürfen einiger verbesserter Ka<strong>ch</strong>elöfen im Ja<strong>hr</strong>e 1564 [‹Mülhauser<br />

Holtzsparkunst›] absehen, so gebü<strong>hr</strong>t Keßler jedenfalls die Priorität vor den<br />

späteren Sa<strong>ch</strong>verständigen wie Böckler (1666), Roose, Sturm (1696), Leutmann<br />

(1720), wel<strong>ch</strong>e die te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Neuerung in i<strong>hr</strong>e Öfen übernommen haben.»<br />

Entdeckung des O 2 : C. W. S<strong>ch</strong>eele 1771 und J. Priestley 1774; Oxidationstheorie:<br />

A. Lavoisier 1774; Gasanalyse und ‹Sekundärluftprinzip›: R. W. Bunsen 1838;<br />

Wärmetheorie: R. Mayer 1842.<br />

CO 16, Nr. 2571 = Blarer BW 3, Nr. 2081 (31. Dezember 1556).<br />

CO 16, Nr. 2595 = Blarer BW 3, Nr. 2087 (8. Februar 1557).<br />

Vgl. oben Anm. 278.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 135<br />

ten konstruktiven Neuerungen, nämli<strong>ch</strong>: Primärluftzufu<strong>hr</strong> dur<strong>ch</strong> As<strong>ch</strong>efall<br />

und Rost, verlängerte Rau<strong>ch</strong>gaswege mit Drosselklappe, kompakte<br />

und di<strong>ch</strong>te Bauweise, die verspro<strong>ch</strong>enen Einsparungen von einem Drittel<br />

keineswegs unrealistis<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>einen.<br />

Tab. 3: Nominelle Brennstoffeinsparung vers<strong>ch</strong>iedener Holzkünste (1545–1796) 286<br />

1545 Jan Colterman 50% Brauen, Färben, Seifensieden<br />

1555 Friedri<strong>ch</strong> Frommer «der halb theyl» Heizen und Ko<strong>ch</strong>en<br />

1556 Konrad Zwick «duplo ac triplo paucior» Heizen, Ko<strong>ch</strong>en und Backen<br />

1559 Hans R. Blumenkher «den dritten thail» Salzsieden<br />

1572 Jeremias Neuner «den drittn tail» Heizen<br />

1582 Leonhard Danner > Heizen<br />

1584 Max Zolmeyer 25% Ziegel- und Kalkbrennen<br />

1796 Joseph Danzer > 70% Kasserollenherd<br />

Um no<strong>ch</strong> die letzten Bedenken der Kunden zu zerstreuen, verzi<strong>ch</strong>teten<br />

Zwick & Frommer auf eine feste (einmalige) Lizenzgebü<strong>hr</strong>, sondern kalkulierten<br />

dieselbe in Proportion zu den tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> erzielten Einsparungen.<br />

So statuierten die Patenturkunden von 1557 und 1576, dass der Lizenznehmer<br />

den dritten theil des gellts, so er mit dieser khunst eins einigen Jars an holtz ersparen<br />

mag, den erfündern zue ergetzli<strong>ch</strong>ait zue bezalen s<strong>ch</strong>uldig sein solle. 287<br />

Das Spektrum der aktenkundigen Kundenzufriedenheit rei<strong>ch</strong>t vom Fazit<br />

des Grafen von Oettingen, der im Winter 1557/58 «bestendige und dermassen<br />

ersparung im werckh befunden», dass er alle alten Öfen auszutaus<strong>ch</strong>en<br />

geda<strong>ch</strong>te, bis hin zum verni<strong>ch</strong>tenden Urteil C<strong>hr</strong>istophs von<br />

Württemberg, der die «kunst» zuletzt «ain kunst sein» lassen wollte. 288<br />

286<br />

287<br />

288<br />

Quellen: ZBZH, Ms. S 89, 94; Blarer BW 3, Nr. 2079; Faber, Entwicklungsstufen<br />

(wie Anm. 12), 92, 148; Gleitsmann, Erfinderprivilegien (wie Anm. 8), 87.<br />

OeStA/HHStA/RHR, Grat Feud Gewerbe-, Fabriks- und Handlungsprivilegien,<br />

11–59, f. 610 r (17. August 1576). Bei einer angenommenen Einsparung von seiner<br />

Heizkosten von 10 kr (vgl. Anm. 18) hätte W. Musculus eine Lizenzgebü<strong>hr</strong> von<br />

3.7lb bzw. 1.1 kr bezahlt.<br />

HStA Stuttgart, Oettingen 28 (L. v. Oettingen an C<strong>hr</strong>. v. Württemberg, 21. Mai<br />

1558); BW Wirtemberg 4, Nr. 418 (C<strong>hr</strong>. v. Württemberg an L. v. Oettingen, 28.<br />

Mai 1558).


136<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

8.3.2. Ein S<strong>ch</strong>uss in den Ofen?<br />

Trotz anfängli<strong>ch</strong> vielverspre<strong>ch</strong>ender Ergebnisse und reger Na<strong>ch</strong>frage war<br />

es dem Konsortium Zwick & Frommer und seinem rü<strong>hr</strong>igen Generalagenten<br />

Jakob Funcklin offenbar ni<strong>ch</strong>t gelungen, i<strong>hr</strong>e zukunftsweisende<br />

Holzkunst gewinnbringend zu vermarkten. Die bereits erwähnten Faktoren,<br />

die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ungunstlage, der Konkurrenzdruck und die Misswirts<strong>ch</strong>aft<br />

einzelner Akteure, hatten an diesem Misserfolg gewiss i<strong>hr</strong>en<br />

Anteil.<br />

a) Weitere Gegebenheiten, die den Ges<strong>ch</strong>äftserfolg gefä<strong>hr</strong>deten, waren<br />

Johann C<strong>hr</strong>istoph von S<strong>ch</strong>mid 1823 zufolge «wenigstens zum Theil<br />

ebenso se<strong>hr</strong> dem Neid und der Mißgunst der zum Bauen beigezogenen<br />

heimis<strong>ch</strong>en Handwerksleute und der Sorglosigkeit der Dienstboten im<br />

Holzzulegen, als der zweckwidrigen Bauart der Oefen und dem ungeeigneten<br />

Material, woraus sie gema<strong>ch</strong>t wurden, zuzusc<strong>hr</strong>eiben.» 289 In den<br />

Quellen unseres Untersu<strong>ch</strong>ungsberei<strong>ch</strong>s sind Futterneid und Missgunst<br />

der Hafner kein Thema.<br />

b) Dagegen beoba<strong>ch</strong>tet Alfred Faber 1957 bei den frühneuzeitli<strong>ch</strong>en<br />

Ofenbauern eine generelle, dur<strong>ch</strong> fortsc<strong>hr</strong>ittsfeindli<strong>ch</strong>e Zunftsatzungen<br />

verstärkte gedankenträge Renitenz gegenüber allem Zunftfremden. 290<br />

Diesbezügli<strong>ch</strong>e Erfa<strong>hr</strong>ungen musste der Hamburger Mennonitenprediger<br />

Gerrit Roosen (1612–1711) na<strong>ch</strong> der Publikation einer vielbea<strong>ch</strong>teten<br />

Sc<strong>hr</strong>ift über den Ka<strong>ch</strong>el-Ofen 1695 mit der Altonaer Töpferinnung ma<strong>ch</strong>en.<br />

291<br />

c) Auf einen weiteren erfolgshemmenden Faktor ma<strong>ch</strong>t Joa<strong>ch</strong>im<br />

Radkau 2007 aufmerksam: «Der Ofenbau war traditionell Sa<strong>ch</strong>e der<br />

Töpfer, deren Fähigkeiten dur<strong>ch</strong> eiserne Roste und komplizierte Ro<strong>hr</strong>und<br />

Abzugfü<strong>hr</strong>ungen übersc<strong>hr</strong>itten wurden» 292 . Die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Befähigung<br />

der von den Holzkünstlern vermutli<strong>ch</strong> nur flü<strong>ch</strong>tig instruierten<br />

289<br />

290<br />

291<br />

292<br />

V. S<strong>ch</strong>mid, Beytrag (wie Anm. 170), 175f.<br />

Faber, Entwicklungsstufen (wie Anm. 12), 96.<br />

G[errit] R[oosen]: Nutzba<strong>hr</strong>er und jetzt gründli<strong>ch</strong>er Unterri<strong>ch</strong>t von dem jetzo gewöhnli<strong>ch</strong>en<br />

Brau<strong>ch</strong> und Art der unrahthsahmen Ka<strong>ch</strong>el-Ofen, Hamburg (K. Neumann),<br />

1695; ders.: Appendix an dem Bü<strong>ch</strong>lein von der Verbesserung der Ka<strong>ch</strong>el-<br />

Ofen, Hamburg (K. Neumann), 1695. Zu Roosen: Nanne van der Zijpp: Art. Roosen,<br />

Gerrit, in: ME 4, 357 (ohne Hinweis auf Roosens Holzsparsc<strong>hr</strong>iften, über die<br />

i<strong>ch</strong> gelegentli<strong>ch</strong> zu publizieren gedenke).<br />

Radkau, Holz (wie Anm. 10), 203.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 137<br />

lokalen Ofenbauer s<strong>ch</strong>eint eine plausible Erklärung für den beoba<strong>ch</strong>teten<br />

we<strong>ch</strong>selnden Erfolg der Sparöfen zu sein.<br />

d) Einen optimalen thermis<strong>ch</strong>en Wirkungsgrad erbra<strong>ch</strong>ten die neuen<br />

Ofenkonstruktionen indessen au<strong>ch</strong> nur bei sa<strong>ch</strong>gemässer Bedienung.<br />

Wurden die Ka<strong>ch</strong>elöfen bisher mit unzerkleinerten Klafters<strong>ch</strong>eiten im<br />

Einmalbrand beheizt, so erforderte der enge Feuerungsraum der neuen<br />

Sparöfen eine ganze Reihe von ungewohnten Verri<strong>ch</strong>tungen, wie das<br />

mühsame (zeit- und lohnintensive!) Sägen und Spalten des Holzes in<br />

ofengere<strong>ch</strong>te Portionen («pfunde»), das sorgfältige Aufs<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten der<br />

S<strong>ch</strong>eite auf dem Rost, die ständige Kontrolle der Luftzufu<strong>hr</strong> über das<br />

Mundlo<strong>ch</strong>, das häufige Na<strong>ch</strong>legen zum Weiterbrand sowie das re<strong>ch</strong>tzeitige<br />

Betätigen der Drosselklappe im Rauc<strong>hr</strong>o<strong>hr</strong>. 293 Auf eben diese oftmals<br />

unverständli<strong>ch</strong>en und immer unbeliebten Arbeiten nahm das konkurrierende<br />

Strassburger Konsortium Neuner & Kogmann Bezug, als es<br />

1571 in seiner Supplikation an den Rat darauf hinwies, dass Frommers<br />

Holzkunst<br />

aller hand maengel vnnd ungelegenheyten gehabt und mit vers<strong>ch</strong>eutterung [Zerkleinerung]<br />

des holtz, au<strong>ch</strong> veraenderung der oefen, nit geringen vnkosten nothwendigli<strong>ch</strong><br />

erfodert hat. 294<br />

Demgegenüber garantierte Neuners Rei<strong>ch</strong>spatent 1572, «das [dass] nit<br />

allein der dritte theil Holtz und drueber, sonder au<strong>ch</strong> vil zeit und mühe<br />

ersparet wird.» 295<br />

e) Definitiv absc<strong>hr</strong>eckend wirkten die hohen Installations- und Unterhaltskosten.<br />

Zwar hatte Frommers Strassburger Patent vom Juni 1555<br />

vollmundig verspro<strong>ch</strong>en, dass das neue<br />

wer<strong>ch</strong> ou<strong>ch</strong> also ges<strong>ch</strong>affen, das es am jme nit kostli<strong>ch</strong>, sonder ein jeder na<strong>ch</strong> sinem<br />

vermo gen dasselbig anri<strong>ch</strong>ten , 296<br />

do<strong>ch</strong> musste beispielsweise der Graf von Hohenlohe 1588 für das Setzen<br />

eines «Kunstofens in der neuen Kü<strong>ch</strong>e» 45 Kronen auslegen. 297 Sollte<br />

293<br />

294<br />

295<br />

296<br />

297<br />

Vgl. Faber, Entwicklungsstufen (wie Anm. 12), 212f.<br />

Fu<strong>ch</strong>s, Re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>es (wie Anm. 8), 1102, 1112, n. 33 (Interpunktion HRL).<br />

Fu<strong>ch</strong>s, Re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>es (wie Anm. 8), 1102, 1104 (fehlerhafte Paginierung).<br />

ZBZH, Ms. S 89, 94 (29. Juni 1555).<br />

Jost Weyer: Graf Wolfgang II. von Hohenlohe und die Al<strong>ch</strong>emie, Sigmaringen<br />

1992, 438.


138<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

dieser stolze Betrag den gängigen Ans<strong>ch</strong>affungskosten entspro<strong>ch</strong>en haben,<br />

so waren Kunstöfen für den gemeinen Mann jedenfalls uners<strong>ch</strong>wingli<strong>ch</strong>.<br />

Kostspielig war gemäss dem Augsburger Historiographen<br />

Pirmin Gasser (1576) au<strong>ch</strong> der Unterhalt:<br />

Es erforderte aber die Zuri<strong>ch</strong>t- und Unterhaltung dieser Oefen so viele Unkosten,<br />

daß diese Kunst bald i<strong>hr</strong>en Credit verlo<strong>hr</strong>en. 298<br />

8.3.3. «Wen Gott ein land strafen «will, so nimpt er dem folck for an<br />

die vernuftt»<br />

Um 1509 hatte der 10-jä<strong>hr</strong>ige Walliser Bauernsohn Thomas Platter<br />

(1499–1582) ein numinoses Erlebnis eigener Art:<br />

Als wier über den berg Grimßlen na<strong>ch</strong>tz in ein wirtzhuß kammen, hatt i<strong>ch</strong> nie kein<br />

ka<strong>ch</strong>ell offen gsä<strong>ch</strong>en, und s<strong>ch</strong>ein der man [Mond] in ka<strong>ch</strong>len. Do wond [glaubte]<br />

i<strong>ch</strong>, es weri so ein groß kalb, dan i<strong>ch</strong> gsa<strong>ch</strong> nr zwo ka<strong>ch</strong>len s<strong>ch</strong>inen; das meint i<strong>ch</strong><br />

die ougen. 299<br />

Dieses novum ac tremendum an der Grimsel s<strong>ch</strong>eint neuere ofenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Erkenntnisse zu bestätigen, wona<strong>ch</strong> der Übergang von der<br />

Kamin- zur (Ka<strong>ch</strong>el-) Ofenheizung zu Anfang des 16. Ja<strong>hr</strong>hunderts<br />

breitflä<strong>ch</strong>ig erst in Oberdeuts<strong>ch</strong>land, im s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Mittelland und<br />

in Teilen der Nord- und Osts<strong>ch</strong>weiz erfolgt war, wä<strong>hr</strong>end die westli<strong>ch</strong>en<br />

und südli<strong>ch</strong>en Randregionen der S<strong>ch</strong>weiz no<strong>ch</strong> bis ins 19. Ja<strong>hr</strong>hundert<br />

die Kaminfeuerung favorisierten. 300<br />

Unter dem Eindruck der klimatis<strong>ch</strong>en Ungunstlage (Kleine Eiszeit)<br />

und si<strong>ch</strong> verknappender Holzressourcen erfolgte zeitli<strong>ch</strong> parallel zur<br />

Verbreitung der neuen Heizmethode bereits deren te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Perfektionierung<br />

unter dem S<strong>ch</strong>lagwort ‹Holzkunst›. Der bis in die Intimität der<br />

Stube und Kü<strong>ch</strong>e hinein rei<strong>ch</strong>ende heizte<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Paradigmenwe<strong>ch</strong>sel, 301<br />

bei dem die alltägli<strong>ch</strong>en Verri<strong>ch</strong>tungen des Heizens und Ko<strong>ch</strong>ens von<br />

Grund auf neu erlernt werden mussten, überforderte die Zeitgenossinnen<br />

298<br />

299<br />

300<br />

301<br />

Annales Augustani (wie Anm. 205). S<strong>ch</strong>ulthaiß zufolge unterlagen besonders die<br />

Radiatoren dem Vers<strong>ch</strong>leiss, vgl. Anh. 2, Nr. [2].<br />

Alfred Hartmann (Hg.): Thomas Platter, 2. Aufl., Basel 1999, 36,26–37,1.<br />

Vgl. Martin Illi: Art. Heizung in: HLS 6 (2007), 244f.<br />

Vgl. Hans-Joa<strong>ch</strong>im S<strong>ch</strong>midt: Ist das Neue das Bessere?, in: ders. (Hg.): Tradition,<br />

Innovation, Invention. Fortsc<strong>hr</strong>ittsverweigerung und Fortsc<strong>hr</strong>ittsbewusstsein im<br />

Mittelalter, Berlin 2005, 7–24.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 139<br />

und Zeitgenossen ni<strong>ch</strong>t weniger als die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Funktionstaugli<strong>ch</strong>keit<br />

der neuen Öfen und Herde. Anders als der Herzog C<strong>hr</strong>istoph von<br />

Württemberg, der si<strong>ch</strong> im Mai 1558 in einem zornigen Akt der Verweigerung<br />

vorgenommen hatte, «hinfurter ko<strong>ch</strong>en und braten ze lassen, wie<br />

wir und unsere voreltern bisher au<strong>ch</strong> gethon haben», 302 s<strong>ch</strong>eint si<strong>ch</strong> die<br />

um eine ganze Generation ältere Zurza<strong>ch</strong>er Patrizierin Amalia Re<strong>ch</strong>burger<br />

seufzend in die Erfordernisse der neuen Zeitläufte ergeben zu haben,<br />

wenn sie im Oktober 1557 an Bonifatius Amerba<strong>ch</strong> sc<strong>hr</strong>eibt:<br />

Zum andren so ist das holcz so wolfel [wohlfeil] worden; i<strong>ch</strong> hab no<strong>ch</strong> iij holczer<br />

[Waldstücke]; sie werdend nit mer gelten; dan die holcz kunst kostend so fil, das<br />

i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> miner hölczeren behelfen will. I<strong>ch</strong> hab all min tag gehörtt: Wen Gott ein<br />

land strafen will, so nimpt er dem folck for an die vernuftt. Hans Iackob sagtt mir,<br />

ir wellend es ander lüt brobieren lassen: I<strong>ch</strong> hor sagen, es ma<strong>ch</strong> ein stuben warm;<br />

aber des tagx iiii, v mallen wider wermen [anheizen] mit denen pfunden [Holzportionen],<br />

wil man nit arfruren. 303<br />

Wie immer man über die ‹Mülhauser Holtzkunst› und i<strong>hr</strong>en Hauptagenten<br />

Jakob Funcklin denken mo<strong>ch</strong>te: sie war ein erster bedeutsamer<br />

Sc<strong>hr</strong>itt auf dem no<strong>ch</strong> lange ni<strong>ch</strong>t zu Ende gegangenen Weg zur «Intelligenten<br />

Energie».<br />

Multum egerunt, qui ante nos fuerunt, sed non peregerunt. Suspiciendi tamen sunt.<br />

Seneca, Ep. 64,9f.<br />

<br />

Viel haben sie geleistet, die vor uns waren, do<strong>ch</strong> sie haben ni<strong>ch</strong>t alles vollendet.<br />

Glei<strong>ch</strong>wohl gebü<strong>hr</strong>t ihnen Bewunderung.<br />

302<br />

303<br />

BW Wirtemberg 4, Nr. 418 (28. Mai 1558).<br />

BW Amerba<strong>ch</strong> 10,2, Nr. 4228 (A. Re<strong>ch</strong>burger an B. Amerba<strong>ch</strong>, 19. Oktober 1557).


140<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

Anhang 1: François Hotman an Johannes Calvin, 28. Mai<br />

1557 (CO 16, Nr. 2638)<br />

In eckigen Klammern: Deuts<strong>ch</strong>e Äquivalente na<strong>ch</strong> Petrus Dasypodius: Dictionarivm<br />

latinogermanicum et vice versa, Strassburg 1535.<br />

«Apud Sturmium aliquot aedificati sunt fornaces [brennofen, ba<strong>ch</strong>ofen]<br />

arte nova et mirabili. Vidi heri novum recentique excogitatum hac forma:<br />

[Abb. 24a] Forma est undique quadrata quae quatuor pediculis<br />

sustinetur, ut aer, in quo tota vis artis posita est, subire possit ad ignem<br />

alendum, impositum craticulae, quod in omnibus fornacibus adhibetur.<br />

In medio est ingens cacabus [ein pfan] rotundus sed oblongus, cuius in<br />

fundo, ut dixi, clatrato [gelender, gettere] ignis est qui subtus respirat,<br />

sic ut cinis illuc excidat. Is cacabus opertus est tegmine, cuius in medio<br />

parvum foramen est quo fumus emanat, flamma et calor nullo modo.<br />

Nam hic conclusus vasa [ein ietli<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>irr] omnia imposita quae vides<br />

ita fovet ut carnes elixentur. Ab utraque parte clatratus quoque est, sed<br />

ferrea valva [ein geteylte thür, die zwyfalt auff einander gehet oder fensterlade]<br />

quae detrahi potest munitus. Ad eas fenestras tria et quatuor<br />

verua [bratspyß] apponuntur quibus carnes torrentur. Usitatior forma<br />

tres habet gradus: [Abb. 24b] Infimus cinerem recipit, secundus ignem<br />

habet clatris ferreis impositum, tertius foramina quae ollis [haf, dopff]<br />

impositis obturantur ut calor conclusus fumum exhalare per eam partem<br />

possit quae parieti admovetur. Si mathematicus essem vel pictor, figuram<br />

tibi melius descripsissem. Sed garrire tecum volui.»<br />

Bei Sturm sind ein paar Öfen von neuer und wunderbarer Kunstfertigkeit<br />

gebaut worden. I<strong>ch</strong> habe gestern einen neuen und kürzli<strong>ch</strong> erfundenen<br />

gesehen, der folgendes Aussehen hat:<br />

Die Form ist allseits quadratis<strong>ch</strong>, sie wird von<br />

vier Füss<strong>ch</strong>en gestützt, damit die Luft, auf wel<strong>ch</strong>er<br />

das ganze Prinzip der Kunst beruht, von<br />

unten einströmen kann, um das Feuer zu nä<strong>hr</strong>en,<br />

wel<strong>ch</strong>es auf einem kleinen Rost liegt, was<br />

in allen Öfen zur Anwendung kommt. In der<br />

Mitte befindet si<strong>ch</strong> ein mä<strong>ch</strong>tiger runder, aber<br />

Abb. 24a<br />

längli<strong>ch</strong>er Kessel, auf dessen vergittertem Boden, wie gesagt, Feuer ist,<br />

das unten atmet, so dass die As<strong>ch</strong>e dort hindur<strong>ch</strong> fallen kann. Dieser<br />

Kessel ist mit einem Deckel vers<strong>ch</strong>lossen, in dessen Mitte eine kleine


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 141<br />

Öffnung ist, dur<strong>ch</strong> die der Rau<strong>ch</strong> abzieht, das Feuer und die Wärme [jedo<strong>ch</strong>]<br />

auf keine Weise. Denn wenn dieser [Kessel] ges<strong>ch</strong>lossen ist, heizt<br />

er alle Gefässe, die Du [auf den Ofen] daraufgestellt siehst, derart auf,<br />

dass Fleis<strong>ch</strong>stücke gesotten werden. Auf beiden Seiten ist ebenfalls ein<br />

Gitter, jedo<strong>ch</strong> versehen mit einer geteilten Türe, die man herab ziehen<br />

kann. Zu diesen Fensteröffungen werden drei oder vier Bratspiesse hinzugefü<strong>hr</strong>t,<br />

mit denen man Fleis<strong>ch</strong> brät. Die gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ere Ausfü<strong>hr</strong>ung<br />

hat drei Stufen:<br />

Die unterste nimmt die As<strong>ch</strong>e auf, die zweite trägt auf einem Gitterrost<br />

das Feuer, die dritte [hat] Lö<strong>ch</strong>er, die dur<strong>ch</strong> [darin] eingesetzte Töpfe<br />

verstopft werden, damit die einges<strong>ch</strong>lossene<br />

Hitze dur<strong>ch</strong> jenes Teil den Rau<strong>ch</strong> abgeben<br />

kann, das an die Wand herangefü<strong>hr</strong>t wird.<br />

Wäre i<strong>ch</strong> ein Mathematiker oder ein Maler,<br />

so hätte i<strong>ch</strong> die Form besser besc<strong>hr</strong>ieben.<br />

Abb. 24b<br />

Do<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> wollte mit Dir plaudern.<br />

Anhang 2: C<strong>hr</strong>istoph S<strong>ch</strong>ulthaiß, Collectaneen zum<br />

Ja<strong>hr</strong>e 1557<br />

(StadtA Konstanz Hs. A I 8, Teilband VIII, 38½–39.)<br />

[38½] Anno Domini. 1557. […] Holtz sparung erfunden.<br />

Im Julio hat man angefangen die nüwen öffen der holtzsparung ze ma<strong>ch</strong>en,<br />

vnd erstli<strong>ch</strong> in der Reÿte a vnd Hoffstatt huss b by dem Hegelisthor c ;<br />

da haben Bastion Brunner vnd Ludwig Pantrion, beid haffner, die öffen<br />

gema<strong>ch</strong>t, namli<strong>ch</strong> [1] ainen stubenoffen mit ainem eÿsin kasten, darin<br />

hat man in der stuben geko<strong>ch</strong>ett; eß hatt aber ain grossen dampff in die<br />

stuben geben von der kost, derhalben man in bald geendert hat. [2] Item<br />

a<br />

b<br />

c<br />

Das 1563 erweiterte Raiteamt (heute: Obere Laube 51) war für die Verteilung der<br />

Almosen zuständig, vgl. J[ohannes] Marmor: Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Topographie der Stadt<br />

Konstanz und i<strong>hr</strong>er nä<strong>ch</strong>sten Umgebung, Konstanz 1860, 92. Hier wirkte der weiter<br />

unten erwähnte Associé des Holzsparkonsortiums Frommer & Zwick Ulri<strong>ch</strong> Kundigmann<br />

als Raitesc<strong>hr</strong>eiber.<br />

Verwaltungsgebäude der Sondersie<strong>ch</strong>en, südli<strong>ch</strong> des S<strong>ch</strong>netztors (heute: Hussenstrasse<br />

39), Marmor, Topographie (wie Anm. a), 180.<br />

1837 abgebro<strong>ch</strong>en, Marmor, Topographie (wie Anm. a), 93.


142<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

vnd sunst ain stuben offen one ain söl<strong>ch</strong>en kasten mit dreÿen roren on<br />

ein andern d , dardur<strong>ch</strong> die hitz vnd ro<strong>ch</strong> vom für geloffen bis daß es den<br />

vsgang hat funden. Die ror, so gross vnd lang, haben nit wellen [39]<br />

bestendig sein, derhalben sÿ ou<strong>ch</strong> herna<strong>ch</strong> geendert worden. [3] Sÿ habend<br />

ou<strong>ch</strong> ander stuben öffen gema<strong>ch</strong>t, die habend vnden röst vnd lufft<br />

lö<strong>ch</strong>er vnder dem re<strong>ch</strong>ten mundtlo<strong>ch</strong> e gehabt vnd oben darin ain boden f ,<br />

us dem selbigen boden ist ain ror von ziegeln gema<strong>ch</strong>t hnab gangen,<br />

dardur<strong>ch</strong> der ro<strong>ch</strong> sin usgang hat mögen haben. So dann das für verbrunnen,<br />

hat man vnden das lufft lo<strong>ch</strong>, das mundtlo<strong>ch</strong> wue man jnfu rt,<br />

vnd das ober ro<strong>ch</strong>lo<strong>ch</strong> verma<strong>ch</strong>t, so ist die werme alle im offen belieben,<br />

vnd das was die best gattung. [4] Sÿ habend ou<strong>ch</strong> bü<strong>ch</strong>öffen g gema<strong>ch</strong>t,<br />

die vnden lüfft lö<strong>ch</strong>er oder getter gehabt, darin ou<strong>ch</strong> vil holtz ersparet<br />

wirt. [5] Item, sÿ ma<strong>ch</strong>ten ain ba<strong>ch</strong>offen mit zwaÿen böden ob ein andern;<br />

so man den vndern warmbt, so was der ober ou<strong>ch</strong> warm. Die belaiben<br />

aber ou<strong>ch</strong> nit in die lenge. [6] Item, sie ma<strong>ch</strong>ten ein ko<strong>ch</strong> offen in<br />

die ku<strong>ch</strong>e, in dem man allerlaÿ ko<strong>ch</strong>en mo<strong>ch</strong>t in den heffen, so darin<br />

gema<strong>ch</strong>t wie die s<strong>ch</strong>erer heffen in s<strong>ch</strong>ergaden h . Darnebent was vnden<br />

ain thürle, darin man braten kundt, vnd alles mit wenigem holtz. Die wil<br />

aber söl<strong>ch</strong>es alles ein sundren vliß in dem infüren vnd ko<strong>ch</strong>en erfordert,<br />

ist söl<strong>ch</strong> bald wider abgangen – bis an die stuben öffen vnd bü<strong>ch</strong>öffen<br />

mit den wind- oder lufft lö<strong>ch</strong>ern.<br />

Dise kunst hat erstli<strong>ch</strong> erda<strong>ch</strong>t M. Fridri<strong>ch</strong> i tis<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>er zu Strasburg,<br />

darna<strong>ch</strong> hat ou<strong>ch</strong> Conrat Zwick, sesshafft im Ror in Züri<strong>ch</strong>biett, vnd<br />

Hans Vlri<strong>ch</strong> Kundigmann, stürsc<strong>hr</strong>iber hie, vnd andere söl<strong>ch</strong>s verbessert<br />

vnd volgend in das werck gebra<strong>ch</strong>t. Sÿ habend ou<strong>ch</strong> bÿ der Rö<br />

Kö Mt vnd den stenden des Rÿ<strong>ch</strong>s ain priuilegium j<br />

erworben, das diese kunst niemant bru<strong>ch</strong>en soll, man vertrage si<strong>ch</strong> dann<br />

mit inen vnd gebe inen von dem ersparten holtz, so ainer mit der kunst<br />

d<br />

e<br />

f<br />

g<br />

h<br />

i<br />

j<br />

aneinander.<br />

Ofenlo<strong>ch</strong>, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Idiotikon 3, 1035f.<br />

Stockwerk, vgl. S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Idiotikon 4, 1026 (3.).<br />

b<strong>ch</strong>ofen: Herd, in wel<strong>ch</strong>em die Was<strong>ch</strong>lauge (b<strong>ch</strong>e) zubereitet wird, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es<br />

Idiotikon 1, 112.<br />

Barbierstube, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Idiotikon 2, 119. Abbildungen von «s<strong>ch</strong>erer heffen»,<br />

die von unten beheizt sind, bei Alfred Martin: Deuts<strong>ch</strong>es Badewesen in vergangenen<br />

Tagen, Jena 1906, 80 (Abb. 36) u. 180 (Abb. 82).<br />

Lakune; gemeint ist Friedri<strong>ch</strong> Frommer.<br />

Privileg vom 13. Mai 1557, von dessen Lizenzbestimmungen S<strong>ch</strong>ulthaiß genaue<br />

Kenntnis hat.


<strong>Lignea</strong> <strong>aetas</strong> 143<br />

[in] aim jar ersparen mag, ainen dritten teil, das ist: so ainer hie vor 18<br />

gl vmb holtz ain jar hat müssen geben, das halb thail erspart<br />

er darmit, von dem selben halben thail gehört inen ain dritten theil, das<br />

ist 3 gl.<br />

Conrat Zwick hat M. Fridri<strong>ch</strong>en mit ainliff tausend gulden von diser<br />

holtz kunst hingelöst vermeinende, dardur<strong>ch</strong> ain vil merers ze vberkummen,<br />

wel<strong>ch</strong>es im aber wit gefelt, denn söl<strong>ch</strong>e kunst bald in verklainerung<br />

kom. Conrat Zwick hat denen von Zuri<strong>ch</strong> als siner oberkait freÿ<br />

vergebens mit gethailt l , des gli<strong>ch</strong>en het ou<strong>ch</strong> Hans Vlri<strong>ch</strong> Ku ndigman hie<br />

gethon, wel<strong>ch</strong>s ain rat von im angenommen vnd im lassen sagen, daß ain<br />

rath si<strong>ch</strong> danckbarli<strong>ch</strong> gegen in wel erzaigen.<br />

I<strong>ch</strong> hab ain bü<strong>ch</strong>offen lassen ma<strong>ch</strong>en; was gut; das ander alles solt m gar<br />

ni<strong>ch</strong>ts.<br />

Anhang 3: Die Druckausgaben der ‹Mülhauser Holtzkunst›<br />

(VD 16 H 4556)<br />

A. Ausgabe 1563<br />

[S<strong>ch</strong>warz:] Holtzkunst/ || [Rot:] VEEzei<strong>ch</strong>nuß [!] der figu= || ren vnnd<br />

neuwen o fen / || von der ersparung der neuwen || erfundenen Holtz= ||<br />

kunst. [S<strong>ch</strong>warz:] || [HS<strong>ch</strong>n. in Rot-S<strong>ch</strong>warz: Zwei Löwen halten das<br />

gegeneinander geneigte, vom gekrönten Rei<strong>ch</strong>ss<strong>ch</strong>ild überhöhte Mülhauser<br />

Wappenpaar] || Gedruckt z Mülhausen im || oberen Elsa ß / dur<strong>ch</strong><br />

Pe= || ter S<strong>ch</strong>mid. 1563.||<br />

2°. [5] Bl., unpag.; Bogensignatur Aij–Aiiij (Ai rv und Av rv n. gedr.)<br />

Drucktypen: S<strong>ch</strong>waba<strong>ch</strong>er in vier Sc<strong>hr</strong>iftgraden. Abbildungen: (1) Ai r :<br />

Titelholzs<strong>ch</strong>nitt. (2) Aij r : Unter Übersc<strong>hr</strong>ift Der erst Stobenofen: Ofen<br />

mit kubis<strong>ch</strong>em Feuerkasten und dreifa<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>bro<strong>ch</strong>enem Oberbau. (3)<br />

l<br />

m<br />

«I<strong>ch</strong> bitte, meiner Base [Amalia Zwick] in Ro<strong>hr</strong> und i<strong>hr</strong>en Kindern bei Eueren<br />

Herren zu einem Gnadenbeweis für die ihnen ges<strong>ch</strong>enkte ‹Kunst der Holzsparung›<br />

zu verhelfen», Blarer BW 3, Nr. 2133 (A. Blarer an Bullinger, 1. März 1558).<br />

nüt-söllend: untaugli<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>tsnutzig, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Idiotikon 7, 781f.


144<br />

Hans Rudolf Lavater<br />

Aij v : Der ander Stobenofen: Ofen mit zwei Serviceöffnungen im Unterbau<br />

und zweifa<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>bro<strong>ch</strong>enem Aufsatz. (4) Aiij r : Der dritte Stobenofen:<br />

bauähnli<strong>ch</strong> mit (2), jedo<strong>ch</strong> mit zweifa<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>bro<strong>ch</strong>enem Aufsatz.<br />

Monogramm HBW mit Messer<strong>ch</strong>en. (5) Aiij v : Nun volgent die bratt und<br />

ko<strong>ch</strong>o fen: Kombinierter Back- und Ko<strong>ch</strong>ofen auf drei Etagen mit drei<br />

Ko<strong>ch</strong>mulden. (6) Aiiij r oben: bauähnli<strong>ch</strong> mit (5), jedo<strong>ch</strong> nur zwei Ko<strong>ch</strong>mulden.<br />

(7) Aiiij r unten: Unterteil von (6) mit Einsi<strong>ch</strong>t in das System von<br />

liegenden Rau<strong>ch</strong>gaszügen. – Aiiij v : Der ba<strong>ch</strong>ofen mit seinen bo den<br />

stuckweiß. Auf den folgenden drei Blättern sieben von unten na<strong>ch</strong> oben<br />

gehende Explosivdarstellungen eines Backofens sowie die Aussenansi<strong>ch</strong>t<br />

desselben: (8) Luftlo<strong>ch</strong>, (9) Feuerrost, (10) Backraum 1. – Av r : (11)<br />

Liegende Rau<strong>ch</strong>gaszüge, (12) Backraum 2, (13) Liegende Rau<strong>ch</strong>gaszüge.<br />

– Av r : (14) Abdeckung mit Rau<strong>ch</strong>gasklappe, (15) Backofen mit drei<br />

Türen und zwei S<strong>ch</strong>iebereglern.<br />

Exemplare<br />

1. Wolfenbüttel, Herzog Albre<strong>ch</strong>t Bibliothek, H: O 92.2° Helmst.<br />

URN digitalisierter Volltext: .<br />

Das Exemplar stammt aus der 1576 gegründeten<br />

Academia Julia Carolina (Universität Helmstedt).<br />

2. Basel, Universitätsbibliothek, Js II 1:1.<br />

B. Ausgabe 1564<br />

Wie Ausgabe 1563 (identis<strong>ch</strong>er Fingerprint) mit Ausnahme des Druckja<strong>hr</strong>s<br />

1564.<br />

Exemplare<br />

1. Mün<strong>ch</strong>en, Bayeris<strong>ch</strong>e Staatsbibliothek, Res/2 Crim. 41 Beibd.2.<br />

URN digitalisierter Volltext: nbn:de:bvb:12-bsb00029509-6.<br />

2. Biblioteca Apostolica Vaticana, Stamp.Pal.II.44(int.6).<br />

2° (30 cm). [6] Bl., letztes Bl. n. bedruckt. Letzte Nummer eines<br />

1569 datierten Konvoluts aus dem Besitz des Pfalzgrafen Ludwig<br />

VI. (1539–1583) zusammen mit se<strong>ch</strong>s weiteren Drucken vorwiegend<br />

geometris<strong>ch</strong>-me<strong>ch</strong>anis<strong>ch</strong>en Inhalts aus dem Zeitraum<br />

1546/1567.<br />

Hans Rudolf Lavater-Briner, Pfr. Dr. h. c., Altstadt 5, CH 3235 Erla<strong>ch</strong><br />

h.r.<strong>lavater</strong>@bluewin.<strong>ch</strong>

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