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Folter in der BRD - Social History portal

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was dieser ablehnte: er selbst habe nicht den nötigen Sachverstand, er<br />

richte sich ausschließlich nach den Anweisungen <strong>der</strong> Ärzte. Er versicherte<br />

aber, die Anwälte würden über die Baa<strong>der</strong> gereichten Flüssigkeitsmengen<br />

fortan korrekt <strong>in</strong>formiert. RA Becker mußte am Nachmittag das Gespräch<br />

mit Baa<strong>der</strong> abbrechen, weil Besuch <strong>in</strong>s Haus stehe. Der Besuch war Justizm<strong>in</strong>ister<br />

Kar! Hemfler. Nachdem er wortlos bei Baa<strong>der</strong> re<strong>in</strong>geschaut<br />

hatte, wurde diesem mitgeteilt, e<strong>in</strong>e Anstaltsärztekonferenz <strong>in</strong> Wiesbaden<br />

habe entschieden, ihm ab sofort wie<strong>der</strong> das Wasser zu sperren. Ke<strong>in</strong>e<br />

Information an die Anwälte, auch ke<strong>in</strong>e an die Presse, die weiterh<strong>in</strong><br />

verbreitete, <strong>der</strong> Wasserentzug sei aufgehoben.<br />

3 I. 5. (Himmelfahrtstag): Die Ärzte hatten sich nicht mehr blicken lassen,<br />

die Beamten teilten Baa<strong>der</strong> mit, e<strong>in</strong>e Zwangsernährung werde nicht mehr<br />

durchgeführt. Symptomatik: Flecken und Flimmern vor den Augen,<br />

Schmerzen im Hals (wahrsche<strong>in</strong>lich Schilddrüse), Schmerzen <strong>in</strong> den Nieren,<br />

Ziehen am ganzen Körper. - In e<strong>in</strong>em von den Anwälten angefordeten<br />

neutralen ärztlichen Gutachten vom 2. 6. heißt es:<br />

••Der gesunde menschliche Organismus benötigt unter Ruhebed<strong>in</strong>gungen und bei<br />

normaler Temperatur durchschnittlich 1200-1500 ml Wasser, um die Temperaturregelung<br />

aufrechtzuerhalten und die harnpflichtigen Substanzen aus dem Körper zu<br />

elim<strong>in</strong>ieren. Wenn es durch Hungern zu e<strong>in</strong>em Nahrungsdefizit kommt, fallen durch<br />

erhöhten Eiweißkatabolismus auch vermehrt harnpflichtige Substanzen an. Um<br />

diese ausscheiden zu können, muß dem Organismus entsprechend mehr Wasser<br />

zugeführt werden. Diese Wassermenge richtet sich dann auch nach <strong>der</strong> Temperatur<br />

und darf nicht unter 2000 ml täglich liegen.<br />

Aus dem mitgeteilten Sachverhalt ergibt sich, daß <strong>der</strong> Patient Baa<strong>der</strong> im Laufe von<br />

acht Tagen <strong>in</strong>sgesamt nicht mehr als höchstens 1112 I Wasser zu sich genommen hat.<br />

Somit wäre die erfor<strong>der</strong>liche M<strong>in</strong>destmenge an Flüssigkeit bei weitem nicht erreicht.<br />

In diesem Falle können die harnpflichtigen Substanzen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch die<br />

Harnsäure. nicht ausgeschieden werden. Es kommt zu e<strong>in</strong>er Anreicherung dieser<br />

Stoffe <strong>in</strong> den Nieren und dem Blut. Für die Nieren besteht die Gefahr <strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>bildung<br />

mit <strong>der</strong> Konsequenz e<strong>in</strong>er Pyelonephritis. E<strong>in</strong>e Vergiftung des Blutes mit harnpflichtigen<br />

Substanzen führt zu e<strong>in</strong>er Urämie. In den vom Patienten angegebenen<br />

Symptomen: Nierenschmerzen, Augenflimmern und Flecken vor den Augen könnte<br />

sich e<strong>in</strong>e katastrophale Situation ankündigen. Um diese drohende Gefahr abzuwenden.<br />

muß dem Patienten unverzüglich <strong>in</strong> ausreichen<strong>der</strong> Menge Wasser zugeführt<br />

werden. E<strong>in</strong>e Urämie führt unbehandelt zum Tode.«<br />

Tatsächlich hatte Baa<strong>der</strong> <strong>in</strong>nerhalb von 8 Tagen nur etwa 1J2 Liter Wasser<br />

bekommen (statt I % Liter, wie vom Gutachter angenommen). Die<br />

Anwälte erfuhren erst am 2.6. (Samstag) von Baa<strong>der</strong> selbst, daß er seit<br />

dem 30. 5. ohne jedes Wasser war. Der Anstaltsleiter Metz hatte die<br />

Anwälte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben vom I. 6. lediglich wissen lassen, daß er ihren<br />

Antrag, Baa<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>en neutralen Arzt untersuchen zu lassen, abgelehnt<br />

habe. In dieser Verfügung heißt es:<br />

96 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong><br />

••Die H<strong>in</strong>zuziehung e<strong>in</strong>es beratenden Arztes auf Kosten des Gefangenen ist nach<br />

Nr. 118 Abs. 3 DVolizO als e<strong>in</strong>e Ausnahmemöglichkeit vorgesehen, die <strong>der</strong> Anstaltsleiter<br />

nach Anhören des Anstaltsarztes dem Verurteilten eröffnen kann. Aus <strong>der</strong><br />

zw<strong>in</strong>genden Voraussetzung <strong>der</strong> vorherigen Anhörung des Anstaltsarztes ergibt sich,<br />

daß ärztliche Gründe für die Unterstützung erkennbar se<strong>in</strong> müssen. Das ist jedoch<br />

nicht <strong>der</strong> Fall.<br />

Der Verurteilte Baa<strong>der</strong> wurde gegen Abend des 29. 5. 1973 e<strong>in</strong>er gründlichen Untersuchung<br />

durch e<strong>in</strong>en beauftragten Arzt unterzogen. Er stellte dabei e<strong>in</strong>en guten<br />

Allgeme<strong>in</strong>zustand fest. Der Ernährungszustand gilt als nur mäßig reduziert. Anzeichen<br />

für irgendwelche Schädigungen se<strong>in</strong>es Allgeme<strong>in</strong>zustandes waren nicht<br />

erkennbar. Die beratende H<strong>in</strong>zuziehung e<strong>in</strong>es Arztes wird ausdrücklich für nicht<br />

erfor<strong>der</strong>lich gehalten und nicht befürwortet.<br />

Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begründung des abgewiesenen Antrags enthaltenen entgegengesetzten<br />

Behauptungen s<strong>in</strong>d zum Teil unrichtig, zum Teil subjektiv verfärbt.<br />

Soweit vorgetragen wird. es läge e<strong>in</strong>e Gewichtsabnahme von 15 kg vor, <strong>der</strong> Verurteilte<br />

beklage ganz bestimmte Schmerzzustände, so mag die Richtigkeit <strong>der</strong><br />

Behauptung zunächst dah<strong>in</strong>stehen. Sie ließen sich unter Umständen unter Beiziehung<br />

des Krankenblattes auch wi<strong>der</strong>legen. Der Untersuchungsbefund vom<br />

29.5.1973 beweist, daß die erhobene Besorgnis unbegründet ist. Auch <strong>der</strong> ärztlich<br />

für erfor<strong>der</strong>lich gehaltene Wasserentzug läßt ke<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Schluß zu, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

nicht den, die Ärzte seien nicht um das gesundheitliche Wohlergehen Andreas<br />

Baa<strong>der</strong>s besorgt.«<br />

Am Sonntag, dem 3.6., fuhren die Anwälte Groenewold und Becker zum<br />

Haftrichter im Frankfurter Polizeipräsidium mit dem Antrag, dem Justizm<strong>in</strong>isterium<br />

und <strong>der</strong> JVASchwalmstadt das Wasserabstellen zu verbieten.<br />

Dem Antrag lag das zitierte ärztliche Gutachten bei. Der Haftrichter<br />

erklärte sich für unzuständig. Niemand wußte, wer Eilrichter am OLG ist.<br />

Generalstaatsanwalt Gauf verwies an den OLG- Vizepräsidenten Zur<br />

Megede. Der war weggefahren. Der Haftrichter (auch Notrichter)<br />

erklärte sich erneut für unzuständig, räumte jedoch e<strong>in</strong>, daß Nothilfe<br />

geboten se<strong>in</strong> könne.<br />

Inzwischen (2.6.) hatte Baa<strong>der</strong> den Hungerstreik unterbrochen und<br />

bekam Wasser; auch als er am 5.6. den Hungerstreik wie<strong>der</strong> aufnahm,<br />

wurde ihm das Wasser nicht abgedreht.<br />

Am I I. 6. brach Baa<strong>der</strong> den Hungerstreik ganz ab, nachdem <strong>in</strong> Blut und<br />

Ur<strong>in</strong> erhebliche Konzentrationen von Eiweiß gefunden worden waren,<br />

was auf e<strong>in</strong>e Nierenerkrankung schließen ließ. E<strong>in</strong> ärztlicher Befund liegt<br />

den Anwälten bislang nicht vor.<br />

b) Der Fall Bernhard Braun<br />

Auch dem <strong>in</strong> <strong>der</strong> JVA München-Stadelheim e<strong>in</strong>sitzenden Untersuchungsgefangenen<br />

Bernhard Braun wurde während se<strong>in</strong>es Hungerstreiks das<br />

Wasser entzogen. Die 4. Strafkammer des Landgerichts München I. sah<br />

dar<strong>in</strong> zwar »e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> das Grundrecht <strong>der</strong> körperlichen Unversehrtheit«<br />

des U-Häftl<strong>in</strong>gs, <strong>der</strong> jedoch »gerechtfertigt« sei als »geeignete<br />

97 Der E<strong>in</strong>satz von .fIrzten und Psychiatern

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