Folter in der BRD - Social History portal
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des Bundesgerichtshofes Buddenberg durch Beschluß vom 22. März 1972<br />
(I BJs 6171 - I BGs 82/72) den Antrag <strong>der</strong> Verteidiger, Manfred Grashof<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e öffentliche Krankenanstalt zu überführen, abgelehnt.<br />
Bei <strong>der</strong> Untersuchungsgefangenen Monika Berberich konnte Richter Buddenberg<br />
am 8. Ir. 1972 den Antrag auf Verlängerung <strong>der</strong> »Freistunde« <br />
die <strong>in</strong> Wahrheit nur e<strong>in</strong>e halbe Stunde dauert - um e<strong>in</strong>e weitere halbe<br />
Stunde mit dem H<strong>in</strong>weis ablehnen, nach Äußerung des Anstaltsarztes sei<br />
e<strong>in</strong>e Verlängerung »zur Zeit nicht unbed<strong>in</strong>gt erfor<strong>der</strong>lich«. Der Arzt<br />
orientiert sich also an den Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Haftanstalt und wartet zu,<br />
obwohl er vom ärztlichen Standpunkt aus gegen jede E<strong>in</strong>kerkerung für<br />
23% Stunden pro Tag vorgehen müßte.<br />
Ausschaltung von Wi<strong>der</strong>stand<br />
Humanwissenschaft verkehrt sich <strong>in</strong> ihr Gegenteil, wenn sie im Bereich<br />
<strong>der</strong> Straf justiz an <strong>der</strong> Unterwerfung des Inhaftierten und se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>ordnung<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong> hoffnungsloses Dase<strong>in</strong> mitwirkt. Das wird im Schlußabsatz<br />
e<strong>in</strong>es Beschlusses <strong>der</strong> »E<strong>in</strong>weisungskommission« <strong>der</strong> Vollzugsanstalt<br />
Stammheim über den - zu lebenslanger Strafhaft verurteilten - Gefangenen<br />
Ulrich Luther deutlich. Die E<strong>in</strong>weisungskommission entscheidet <strong>in</strong><br />
Baden-Württemberg zentral darüber, wie und <strong>in</strong> welcher Anstalt <strong>der</strong><br />
Strafvollzug von verurteilten Gefangenen durchgeführt werden soll. Der<br />
E<strong>in</strong>weisungskommission gehören u. a. Psychologen an. In dem erwähnten<br />
Beschluß heißt es abschließend über Ulrich Luther:<br />
»Die künftige Entwicklung wird sehr von den Bezugspersonen abhängen, d. h. von<br />
<strong>der</strong>en Verständnis für Ulrich Luthers beson<strong>der</strong>e Lage und von se<strong>in</strong>em Akzeptierenkönnen<br />
dieser Personen. Sollte das politische Engagement die e<strong>in</strong>zige Alternative<br />
zur Hoffnungslosigkeit se<strong>in</strong>es Dase<strong>in</strong>s bleiben, wird er wohl kaum <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong><br />
bestehendes soziales Gefüge zurückf<strong>in</strong>den können. Ulrich Luther ersche<strong>in</strong>t zur Zeit<br />
nicht geme<strong>in</strong>schaftsfähig.«<br />
Frei von sozialwissenschaftlicher Verbrämung heißt dies nichts an<strong>der</strong>es<br />
als: Die Lage des Gefangenen ist hoffnungslos. Die Alternative hierzu ist<br />
das politische Engagement. Davor aber wird er gewarnt. Gegebenenfalls<br />
wird er isoliert. »Geme<strong>in</strong>schaftsfähig« ist <strong>der</strong> Gefangene nur, wenn er die<br />
Hoffnungslosigkeit se<strong>in</strong>es Dase<strong>in</strong>s akzeptiert. Derartige Beschlüsse sagen<br />
mehr aus über ihre Urheber als über die Betroffenen und mehr noch über<br />
die »Geme<strong>in</strong>schaft«, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie möglich s<strong>in</strong>d.<br />
Wie mit Hilfe von Ärzten politischer Wi<strong>der</strong>stand gebrochen werden soll,<br />
sei an drei Beispielen illustriert.<br />
a) Der Fall Andreas Baa<strong>der</strong><br />
Andreas Baa<strong>der</strong>, <strong>der</strong>zeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> JV A SchwalmstadtlZiegenha<strong>in</strong> (Hessen) <strong>in</strong><br />
Strafhaft, begann am 8.5.73 zusammen mit ca. 80 an<strong>der</strong>en Gefangenen<br />
e<strong>in</strong>en Hungerstreik, um gegen die Isolation zu protestieren. Nach etwa<br />
e<strong>in</strong>er Woche fand e<strong>in</strong>e erste Zwangsernährung sta tt. Am 22. 5. führten <strong>der</strong><br />
Anstaltsarzt Dr. Degenhardt von Kassel und zehn Aufseher e<strong>in</strong>e neue<br />
Zwangsernährung durch, obwohl Baa<strong>der</strong> sich bereiterklärt hatte, die<br />
Nährlösung mit e<strong>in</strong>em Löffel zu essen. Folge dieser Zwangsmaßnahme<br />
war, daß Baa<strong>der</strong> Blut erbrach, e<strong>in</strong>e Infusion und zwei Injektionen erhielt<br />
und nachmittags bewußtlos war; Rechtsanwalt Bernd Koch, <strong>der</strong> ihn am<br />
Vormittag noch besucht hatte, wurde am Nachmittag e<strong>in</strong>e erneute Besprechung<br />
verweigert. Die Rechtsanwälte Ströbele und Eschen erstatteten<br />
Anzeige gegen den Anstaltsleiter Metz und Dr. Degenhardt. Das Anwaltskollektiv<br />
Frankfurt protestierte mit e<strong>in</strong>em Flugblatt »<strong>Folter</strong> an Andreas<br />
Baa<strong>der</strong>«.<br />
Zwei Tage später - Baa<strong>der</strong> hatte seit Beg<strong>in</strong>n des Hungerstreiks 15 kg<br />
Gewicht verloren (von 73 auf 58 kg) - wurde ihm das Wasser gesperrt, um<br />
ihn zur Aufgabe zu zw<strong>in</strong>gen. Er bekam Milch <strong>in</strong> die Zelle gestellt, die er<br />
nicht trank.<br />
Drei Tage später (Sonntag, 27. 50. die Anwälte hatten jetzt erst von dem<br />
Wasserentzug gehört) versuchte <strong>der</strong> Heidelberger Arzt Dr. Nüssel im Auftrag<br />
von RA Becker, Auskunft über Baa<strong>der</strong>s Gesundheitszustand zu<br />
bekommen: Dr. Degenhardt war verreist, Anstaltsleiter Metz erklärte,<br />
dem Gefangenen gehe es gut, er habe Milch getrunken. Dieser berichtete<br />
später den Anwälten, er habe lediglich Schlafmittel mit drei Löffeln Milch<br />
heruntergespült. E<strong>in</strong> praktischer Arzt aus Ziegenha<strong>in</strong> (Dr. Seibold) habe<br />
ohne Untersuchung festgestellt, daß <strong>der</strong> Stoffwechsel noch nicht wesentlich<br />
gestört sei, ke<strong>in</strong> Azeton im Ur<strong>in</strong> (was an <strong>der</strong> Zwangsernährung liegen<br />
könne), <strong>der</strong> Kreislauf gehe so e<strong>in</strong>igermaßen, kurz, das alles sei ke<strong>in</strong>e richtige<br />
Krankheit, er werde ke<strong>in</strong> Wasser verordnen. (Später zeigte dieser Arzt<br />
»wissenschaftliches« Interesse am Fall Baa<strong>der</strong>: er wolle e<strong>in</strong>en Artikel<br />
schreiben über die erstaunliche Tatsache, daß jemand, ohne zu tr<strong>in</strong>ken, so<br />
lange e<strong>in</strong>en Hungerstreik durchhalten kann.)<br />
29. 5.: RA Becker fand e<strong>in</strong>en Ernährungswissenschaftler von <strong>der</strong> Universität<br />
Heidelberg, <strong>der</strong> bereit war, Baa<strong>der</strong> zu untersuchen. RA Kurt Groenewold<br />
sprach mit Bundesanwalt Zeiß wegen e<strong>in</strong>er Besuchserlaubnis für den<br />
Wissenschaftler; Zeiß sicherte zu, die Anwaltschaft werde unverzüglich<br />
beraten, wenn Bundesermittlungsrichter Dr. Knoblich e<strong>in</strong>en entsprechenden<br />
Antrag stelle. Dieser brach das telefonische Gespräch mit Groenewold<br />
mit dem H<strong>in</strong>weis ab, <strong>der</strong>artige Anträge seien schriftlich e<strong>in</strong>zureichen. <br />
Zur gleichen Zeit erhielt RA Rupert v. Plottnitz von e<strong>in</strong>em Herrn Dahlke<br />
aus dem Justizm<strong>in</strong>isterium Wiesbaden die Zusage, Baa<strong>der</strong> bekomme ab 14<br />
Uhr Wasser. Er bekam zwei Joghurtbecher voll (<strong>in</strong>sgesamt ca. % Liter),<br />
am folgenden Tag dieselbe Menge.<br />
RA Becker for<strong>der</strong>te den Anstaltsleiter auf, Baa<strong>der</strong> mehr Wasser zu geben,<br />
94 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong><br />
95 Der E<strong>in</strong>satz von Arzten und Psychiatern