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Folter in der BRD - Social History portal

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VIII. DER EINSATZVONÄRZTENUNDPSYCHIATERN Der Leiter <strong>der</strong><br />

Justizvollzugsanstalt<br />

Düsseldorf<br />

4000 Düsseldorf, den 30. 1. 1973<br />

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Ärzte, die im Bereich <strong>der</strong> Straf justiz arbeiten, laufen Gefahr, ihre<br />

Aufgabe, ausschließlich Leben und Gesundheit <strong>der</strong> Patienten zu för<strong>der</strong>n,<br />

zu vergessen und zu Handlangern <strong>der</strong> Inhumanität zu werden.<br />

Anstaltsärzte wirken an <strong>der</strong> Bestrafung von Gefangenen mit, wenn sich<br />

die Justiz von ihnen die »Haftfähigkeit« <strong>der</strong> <strong>in</strong> die Vollzugsanstalten<br />

Verbrachten attestieren läßt.<br />

Doppelt anstößig s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong> den Vollzugsanstalten üblichen Unbedenklichkeitsbesche<strong>in</strong>igungen<br />

<strong>der</strong> Ärzte für die Fälle, <strong>in</strong> denen renitente Gefangene<br />

<strong>in</strong> Arrest- und »Beruhigungs«zellen e<strong>in</strong>er Son<strong>der</strong>bestrafung mit Fesselung,<br />

teilweisem Nahrungsentzug und sonstigen »Schärfungen« unterzogen<br />

werden. Die »Glocke«- und »Silversmith«-Fälle, bei denen die Betroffenen<br />

zu Tode kommen und dies auch <strong>in</strong> die Presse dr<strong>in</strong>gt, s<strong>in</strong>d nur die<br />

Betriebsunfälle e<strong>in</strong>er unmenschlichen und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Offentlichkeit weitgehend<br />

verdrängten Praxis.<br />

E<strong>in</strong> weiterer Mißbrauch <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> ist die <strong>in</strong> Haftanstalten übliche<br />

exzessive Verabreichung von Schlafmitteln und Sedativa aller Art.<br />

Auch bei <strong>der</strong> Behandlung Politischer Gefangener läßt sich <strong>der</strong> pervertierte<br />

E<strong>in</strong>satz von Ärzten gegen die Gefangenen beobachten, unter verschiedenen<br />

Gesichtspunkten, die sich jedoch oft überschneiden.<br />

Mitwirkung an Ermittlungen gegen die Betroffenen<br />

Wie auf Seite 83 ff. geschil<strong>der</strong>t, wurde die Untersuchungsgefangene Carmen<br />

Roll am 27.3.1972 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vollzugsanstalt Aichach gegen ihren heftigen<br />

Wi<strong>der</strong>stand zwangsbetäubt, um ihr F<strong>in</strong>gerabdrücke und mutmaßlich auch<br />

Speichelproben sowie Körper- und Haupthaare zu entnehmen. Der<br />

Anstaltsarzt Dr. Weilacher hat diese Zwangsnarkotisierung ausdrücklich<br />

genehmigt und maßgeblich an ihr mitgewirkt, obwohl die Zwangsbetäubung<br />

mit Äther <strong>in</strong> Erregungszuständen lebensgefährlich ist.<br />

Mediz<strong>in</strong>ische Sanktionierung von Haftmaßnahmen<br />

Im folgenden Schreiben des Leiters <strong>der</strong> Justizvollzugsanstalt Düsseldorf<br />

vom 3°.1. 1973 wird - gestützt auf e<strong>in</strong>e gutachtliche Stellungnahme des<br />

Leitenden Arztes des Chirurgischen Krankenhauses Düsseldorf - e<strong>in</strong>e Verzögerung<br />

<strong>der</strong> Gesundung des Gefangenen Andreas Baa<strong>der</strong> durch die<br />

Unterbr<strong>in</strong>gung im Gefängnis ausdrücklich <strong>in</strong> Kauf genommen:<br />

An die<br />

Rechtsanwälte Eschen, Mahler,<br />

Ströbele<br />

Betr.: Strafgefangenen Andreas Baa<strong>der</strong><br />

Sehr geehrte Herren!<br />

Auf Ihr Schreiben vom 22. 12. 1972 habe ich den Leitenden Arzt des hiesigen Chirurgischen<br />

Krankenhauses um e<strong>in</strong>e gutachtliche Stellungnahme gebeten. Danach ist<br />

zwar durch e<strong>in</strong>e medicomechanische Behandlung Ihres Mandanten e<strong>in</strong>e schnellere<br />

Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> vollen Beweglichkeit möglich. Der Heilverlauf könnte durch<br />

e<strong>in</strong> solches Verfahren u.U. auch beschleunigt werden. E<strong>in</strong> irreparabler gesundheitlicher<br />

Schaden wird entgegen Ihrer Auffassung jedoch auch bei Nichtdurchführung<br />

<strong>der</strong> vorgenannten Behandlung auf ke<strong>in</strong>en Fall e<strong>in</strong>treten. Es besteht hiernach ke<strong>in</strong>e<br />

Veranlassung, e<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Unterbr<strong>in</strong>gung Ihres Mandanten <strong>in</strong> Erwägung zu<br />

ziehen.<br />

Ich darf noch bemerken, daß Ihrem Mandanten die Wahrnehmung <strong>der</strong> täglichen Freistunde<br />

niemals verwehrt worden ist. In den Fällen, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e Freistunde nicht<br />

durchgeführt wurde, geschah dies auf se<strong>in</strong>en ausdrücklichen Wunsch.<br />

Ihrem Antrag vom 22.1.1973, dem Verurteilten e<strong>in</strong> stundenweises Zusammense<strong>in</strong><br />

sowie die Durchführung <strong>der</strong> Freistunde mit an<strong>der</strong>en Gefangenen zu gestatten,<br />

vermag ich aus Sicherheitsgründen<br />

nicht zu entsprechen.<br />

Mit vorzüglicher<br />

Hochachtung<br />

(Mies)<br />

Ähnlich zynisch rechtfertigt e<strong>in</strong>e Stellungnahme des Chefarztes des Zentralkrankenhauses<br />

des Strafvollzugsamts Hamburg, Dr. Mairose, vom<br />

15.3.1972 die Unterbr<strong>in</strong>gung des 13 Tage zuvor bei se<strong>in</strong>er Verhaftung<br />

schwerverletzten Untersuchungsgefangenen Manfred Grashof <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Sicherungszelle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Untersuchungshaftanstalt,<br />

••da z. Zt. im Zentral krankenhaus geeignete E<strong>in</strong>zelräume für die Unterbr<strong>in</strong>gung<br />

solcher Gefangener nicht zur Verfügung stehen. [... ]<br />

Der Raum, <strong>in</strong> dem Herr G. untergebracht ist, wird auch sonst für beson<strong>der</strong>e Kranke,<br />

die e<strong>in</strong>er strengen Isolierung und Überwachung bedürfen, gebraucht und gehört zum<br />

Zentral krankenhaus. Der Gesundheitszustand des Herrn G. gestattet die Unterbr<strong>in</strong>gung<br />

auf dieser Sicherheitszelle. Inzwischen ist <strong>der</strong> Haftraum mit e<strong>in</strong>em Bett mit<br />

verstellbarem Rücken- und Kopf teil ausgerüstet worden. [... ]<br />

Die kieferchirurgische Behandlung wird voraussichtlich noch 5-6 Wochen dauern. Es<br />

ist anzunehmen, daß nach dieser Zeit Herr G. gesundheitlich soweit wie<strong>der</strong> hergestellt<br />

ist, daß e<strong>in</strong>e Krankenhausbehandlung nicht mehr erfor<strong>der</strong>lich ist, und er dann<br />

<strong>in</strong> jede gewünschte Haftanstalt verlegt werden kann.«<br />

Als direktes Ziel <strong>der</strong> ärztlichen Behandlung ersche<strong>in</strong>t hier die unbeschränkte<br />

»gewünschte« Haftfähigkeit.<br />

Gestützt auf diese Stellungnahme des Arztes hat <strong>der</strong> Ermittlungsrichter<br />

92 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong><br />

93 Der E<strong>in</strong>satz von Arzten und Psychiatern

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