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Folter in der BRD - Social History portal

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gung von F<strong>in</strong>gerabdrücken die Beugerseite des Endgliedes<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ruhigen<br />

Haltung se<strong>in</strong> muß, um e<strong>in</strong>en verwertbaren F<strong>in</strong>gerabdruck zu erzielen. Dietdazu<br />

erfor<strong>der</strong>liche absolut ruhige Position ist gegen den Willen <strong>der</strong> betreffenden<br />

Person durch mechanische E<strong>in</strong>wirkung kaum zu erreichen. Die gewaltsame<br />

Ruhigstellung br<strong>in</strong>gt im übrigen e<strong>in</strong> nicht unerhebliches Risiko körperlicher<br />

Verletzungen des Betroffenen (Zerrungen, Verrenkungen und möglicherweise<br />

sogar Knochenbrüche <strong>in</strong> diesem Bereich).<br />

Unter den möglichen Narkosearten ist nach den überzeugenden Ausführungen<br />

des Gutachtens vom 14. Juni 1972 ke<strong>in</strong>e ersichtlich, die <strong>in</strong> vorliegendem Falle <strong>in</strong><br />

gleicher Weise geeignet, aber weniger bee<strong>in</strong>trächtigend für die Beschuldigte<br />

gewesen wäre. Im H<strong>in</strong>blick auf den zur Abnahme <strong>der</strong> F<strong>in</strong>gerabdrücke technisch<br />

bed<strong>in</strong>gt erfor<strong>der</strong>lichen Zeitaufwand mußte die Anwendung e<strong>in</strong>es Kurznarkotikums<br />

von vornehere<strong>in</strong> ausscheiden. E<strong>in</strong> <strong>in</strong>travenös zu verabreichendes Narkosemittel<br />

hätte im Vergleich zur Inhalationsnarkose zusätzliche Risiken bedeutet,<br />

weil die Steuerbarkeit e<strong>in</strong>es solchen Narkosemittels nicht <strong>in</strong> gleich gutem Maße<br />

gegeben ist. H<strong>in</strong>zu käme bei e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>travenös zu verabreichenden Narkosemittel<br />

<strong>in</strong> Fällen vorliegen<strong>der</strong> Art e<strong>in</strong> erhöhtes Verletzungsrisiko, da bei körperlichem<br />

Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>liche E<strong>in</strong>stich <strong>in</strong> die Vene nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> gebotenen Präzision<br />

gewährleistet ist. H<strong>in</strong>zu kommt schließlich, daß im Vergleich zur Inhalationsnarkose<br />

die <strong>in</strong>travenös erfolgte Narkose mit e<strong>in</strong>em zusätzlichen E<strong>in</strong>stichschmerz<br />

verbunden ist.<br />

Die Möglichkeit, e<strong>in</strong>e Ruhigstellung <strong>der</strong> Betroffenen dadurch zu erreichen, daß<br />

sie durch Beigabe zur Betäubung geeigneter Mittel zur Nahrung o<strong>der</strong> zu<br />

Getränken o<strong>der</strong> durch die E<strong>in</strong>spritzung <strong>der</strong>artiger Mittel unter die Haut o<strong>der</strong> <strong>in</strong> die<br />

Muskulatur <strong>in</strong> Narkose versetzt wurde, mußte außer Betracht bleiben, da bei<br />

diesen Methoden Intensität und Dauer <strong>der</strong> Narkose nicht gesteuert werden kann<br />

und damit bei vernünftiger Betrachtung ke<strong>in</strong>en Erfolg br<strong>in</strong>gen konnte o<strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

wesentlich höheres Risiko bedeutet hätte.<br />

Bei dem aufzuklärenden Verdacht strafbarer Handlungen <strong>der</strong> Beschuldigten handelte<br />

es sich um Verbrechen erheblichen Gewichts. Die Anwendung unmittelbaren<br />

Zwangs <strong>in</strong> <strong>der</strong> durchgeführten Art und Weise stand nicht außer Verhältnis<br />

zum Ermittlungszweck.<br />

3. Die E<strong>in</strong>leitung und <strong>der</strong> gesamte Ablauf <strong>der</strong> Narkose erfolgten, wie <strong>in</strong> dem Sachverständigengutachten<br />

vom 14. Juni 1972 bestätigt wird, nach den anerkannten<br />

Regeln ärztlicher Kunst. Sie wurde von dem Anstaltsarzt, e<strong>in</strong>em das Narkoseverfahren<br />

beherrschenden Chirurgen, nach vorheriger gründlicher ärztlicher Untersuchung<br />

durchgeführt und unter ständiger Beobachtung von Atmung, Herz- und<br />

Kreislauftätigkeit reguliert.<br />

Gegen<strong>in</strong>dikationen bestanden nicht. Für etwaige unvorhergesehene Komplikationen<br />

waren die erfor<strong>der</strong>lichen Mittel bereitgestellt, Die Narkose verlief von Anfang<br />

bis zur Beendigung ohne jeden Zwischenfall. Intensität und Dauer <strong>der</strong> Zuführung<br />

des Narkosemittels waren den technischen Notwendigkeiten bei <strong>der</strong> Abnahme<br />

<strong>der</strong> F<strong>in</strong>gerabdrücke <strong>in</strong> <strong>der</strong> gebotenen Weise angepaßt.<br />

Soweit die Anzeigeerstatter<strong>in</strong> strafbare Handlungen dar<strong>in</strong> sieht, daß sie zur<br />

Ausführung <strong>der</strong> Narkose mit Gewalt auf e<strong>in</strong>en Behandlungstisch fixiert wurde, ist<br />

auch dieser Vorwurf unbegründet, da im H<strong>in</strong>blick auf ihre Gegenwehr e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />

Möglichkeit nicht bestand, um die Narkose lege artis durchzuführen.<br />

4. Auch im übrigen haben sich ke<strong>in</strong>e Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Anzeigeerstatter<strong>in</strong><br />

im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Abnahme <strong>der</strong> F<strong>in</strong>gerabdrücke <strong>in</strong> rechtswidriger<br />

Weise verletzt wurde. Das gilt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für ihr Vorbr<strong>in</strong>gen, sie habe<br />

nach <strong>der</strong> Behandlung am Unterkiefer und am Hals DruckstelIen, Kratz-und<br />

Würgespuren festgestellt. Diese Spuren s<strong>in</strong>d nach den Angaben des Anstaltsarztes,<br />

die <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung stehen mit den Feststellungen des Gutachters, auf<br />

Handgriffe des Narkotiseurs zurückzuführen, die erfor<strong>der</strong>lich waren, um den<br />

Unterkiefer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Position zu br<strong>in</strong>gen, die e<strong>in</strong> Zurückfallen <strong>der</strong> Zunge und e<strong>in</strong><br />

damit verbundens Verschließen <strong>der</strong> Atmungswege verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n sollten und mit<br />

Sicherheit verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n konnten.<br />

Bei dieser Sach- und Rechtslage war das Verfahren gemäß § 170 Abs.2 StPO<br />

e<strong>in</strong>zustellen, da die Ermittlungen e<strong>in</strong>en Tatverdacht auf strafbare Handlungen<br />

gegen die Beschuldigten nicht ergeben haben.<br />

(Dr. Peischer)<br />

Oberstaatsanwalt<br />

Die Beschwerde gegen diesen E<strong>in</strong>stellungsbeschluß wurde vom Generalstaatsanwalt<br />

beim Oberlandesgericht München am 6.12.1972 (VI Zs<br />

1556/72) verworfen.<br />

Zur E<strong>in</strong>stellung ist folgendes anzumerken:<br />

a) Die Staatsanwaltschaft vernachlässigt das von <strong>der</strong> Verteidigung vorgelegte<br />

Gutachten vom 17. 5· 1972 völlig.<br />

b) Mit den entscheidenden Fragen <strong>der</strong> Zwangsbetäubung e<strong>in</strong>es hochgradig<br />

erregten Menschen ohne vorhergehende Prämedikation hat sich das<br />

von <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft Augsburg e<strong>in</strong>geholte Gutachten des Instituts<br />

für Rechtsmediz<strong>in</strong> <strong>der</strong> Universität München vom 14.6.1972 überhaupt<br />

nicht befaßt. Dieses Gutachten hat nur die von <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft<br />

gestellten abstrakten Fragen beantwortet, die nicht an dem tatsächlichen<br />

Sachverhalt orientiert waren. Von Interesse ist, daß <strong>der</strong> die Strafanzeige<br />

bearbeitende Oberstaatsanwalt Beck von dem Vorhaben <strong>der</strong> Zwangsbetäubung<br />

an Carmen Roll unterrichtet gewesen war.<br />

c) Juristisch gesehen läßt sich die Zwangsbetäubung nicht aus § 81a StPO<br />

rechtfertigen. Wie bereits dargelegt, kann zwar e<strong>in</strong> Arzt körperliche<br />

E<strong>in</strong>griffe beim Beschuldigten zu » Untersuchungs« zwecken vornehmen,<br />

wenn ke<strong>in</strong> Nachteil für die Gesundheit zu befürchten ist. Darunter s<strong>in</strong>d<br />

aber ke<strong>in</strong>e Maßnahmen zu verstehen, die den Betroffenen zu e<strong>in</strong>em gänzlich<br />

willenlosen Wer~zeug <strong>der</strong> Ermittlungsbehörden machen. Die völlige<br />

Ausschaltung des Bewußtse<strong>in</strong>s und des Willens e<strong>in</strong>es Beschuldigten, nur zu<br />

dem Zweck, ihm F<strong>in</strong>gerabdrücke abzunehmen, verstößt gegen den Grundsatz<br />

<strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit.<br />

Schließlich steht <strong>der</strong> Zwangsbetäubung zu erkennungsdienstlichen Zwekken<br />

<strong>der</strong> unbed<strong>in</strong>gte Anspruch auf Achtung <strong>der</strong> Menschenwürde nach<br />

Artikel I des Grundgesetzes entgegen. Auch Artikel 3 <strong>der</strong> Menschenrechtskonvention,<br />

wonach niemand <strong>der</strong> <strong>Folter</strong> o<strong>der</strong> unmenschlicher o<strong>der</strong><br />

erniedrigen<strong>der</strong> Strafe o<strong>der</strong> Behandlung unterworfen werden darf, verbietet<br />

e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Behandlung.<br />

90 FoLter <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong><br />

9 I Beson<strong>der</strong>e Ermittlungsmethoden

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