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Folter in der BRD - Social History portal

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I - des versuchten Mordes im S<strong>in</strong>ne des § 211 StGB, wobei wir die Tatbestandsmerk-<br />

I male <strong>der</strong> heimtückischen und grausamen Begehungsweise bejahen,<br />

- <strong>der</strong> Körperverletzung im Amt im S<strong>in</strong>ne des §340 StGB,<br />

- <strong>der</strong> Freiheitsberaubung im S<strong>in</strong>ne des § 239 SiGB.<br />

1. Die Zwangsbetäubung e<strong>in</strong>es Menschen ist schlechth<strong>in</strong> rechtswidrig.<br />

Die Anwendung unmittelbaren Zwangs, die durch den richterlichen Beschluß vom<br />

15.3.1972 für zulässig erklärt wurde, schließt niemals das Recht e<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en<br />

Menschen durch gewaltsame Betäubung zu e<strong>in</strong>em absolut willenlosen Werkzeug<br />

zu machen. E<strong>in</strong>e gesetzliche o<strong>der</strong> rechtliche Vorschrift, die zu e<strong>in</strong>er Zwangsbetäubung<br />

ermächtigt, besteht nicht.<br />

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2.<br />

Das Vorgehen gegenüber unserer Mandant<strong>in</strong> ist nichts als nackte Brutalität. Es<br />

kennzeichnet e<strong>in</strong>e ungeheuerliche Mißachtung <strong>der</strong> Menschenwürde, <strong>der</strong> immer<br />

noch geltenden elementaren Verfassungsgrundsätze <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland und <strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem Staat als Gesetz geltenden Konvention zum<br />

Schutze <strong>der</strong> Menschenrechte.<br />

Die Zwangsbetäubung unserer Mandant<strong>in</strong> kann somit unter ke<strong>in</strong>en Umständen<br />

mit <strong>der</strong> richterlich angeordneten Abnahme von F<strong>in</strong>gerabdrücken gerechtfertigt<br />

werden.<br />

Aus ärztlicher Sicht war die Äthernarkose, die unserer Mandant<strong>in</strong> gegen ihren<br />

Willen »unter Anwendung unmittelbaren Zwangs« verpaßt wurde, nicht zu verantworten.<br />

Die mit e<strong>in</strong>er Äthernarkose für unsere Mandant<strong>in</strong> verbundene Lebensgefahr<br />

war so groß, daß <strong>der</strong> verantwortliche Arzt mit e<strong>in</strong>em tödlichen Ausgang <strong>der</strong><br />

Narkose rechnen mußte, selbst wenn er darauf vertraut haben mag, unsere<br />

Mandant<strong>in</strong> werde die Zwangsbetäubung überstehen.<br />

Die Grenze zwischen bed<strong>in</strong>gtem Tötungsvorsatz und <strong>der</strong> sogenannten »bewußten<br />

Fahrlässigkeit« wurde <strong>in</strong> diesem Fall überschritten.<br />

E<strong>in</strong>e Äthernarkose wird von <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Wissenschaft durchweg abgelehnt<br />

und heute praktisch nicht mehr angewendet. Gegen e<strong>in</strong>en Menschen, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Erregungszustand bef<strong>in</strong>det und sich psychisch und physisch gegen die<br />

Betäubung sträubt, darf e<strong>in</strong>e Äthernarkose wegen <strong>der</strong> Unmöglichkeit, das Narkotikum<br />

auch nur e<strong>in</strong>igermaßen h<strong>in</strong>reichend zu dosieren, überhaupt nicht angewendet<br />

werden.<br />

Die Zwangsbetäubung unserer Mandant<strong>in</strong> wurde unter Umständen durchgeführt,<br />

die mit e<strong>in</strong>er erheblichen Lebensgefahr für unsere Mandant<strong>in</strong> verbunden waren.<br />

Im vorliegenden Fall bestand <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Gefahr, daß die Zunge unserer<br />

Mandant<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Hals rutscht und Tod durch Ersticken e<strong>in</strong>tritt. Darauf deuten<br />

auch die von unserer Mandant<strong>in</strong> geschil<strong>der</strong>ten Verletzungen am Hals und Unterkiefer<br />

h<strong>in</strong>.<br />

Diese Verletzungen zeigen mit Sicherheit, daß die Zwangsbetäubung ke<strong>in</strong>eswegs<br />

komplikationslos verlaufen ist.<br />

IV.<br />

Wir müssen Sie bitten, die Ermittlungen unverzüglich und ohne Ansehung <strong>der</strong> für die<br />

Zwangsbetäubung verantwortlichen Personen e<strong>in</strong>zuleiten und durchzuführen.<br />

Wir bitten um Mitteilung, gegen welche Personen und wegen des Verdachtes<br />

welcher Straftaten das Ermittlungsverfahren geführt wird.<br />

Bei dem Innenm<strong>in</strong>ister des Landes Bayern haben wir gleichzeitig die abschriftlich<br />

beigefügte Dienstaufsichtsbeschwerde e<strong>in</strong>gereicht.<br />

Mit vorzüglicher Hochachtung Rechtsanwalt<br />

(Dr. Croissant)<br />

Die Verteidigung holte e<strong>in</strong> fachärztliches Gutachten e<strong>in</strong>, aus dem sich<br />

e<strong>in</strong>deutig die Unzulässigkeit <strong>der</strong> Zwangsbetäubung ergibt. Trotzdem<br />

wurde das Strafverfahren gegen die Verantwortlichen e<strong>in</strong>gestellt.<br />

Stadt Stuttgart<br />

Kathar<strong>in</strong>enhospital<br />

Anaesthesieabteilung / Ärztlicher Direktor Dr. Bräutigam<br />

Zu dem von <strong>der</strong> Student<strong>in</strong> Carmen Roll [... ]<br />

geschil<strong>der</strong>ten Sachverhalt über e<strong>in</strong>e am 16. 3.1972 zwangsweise durchgeführte Narkose<br />

[... ] gebe ich folgendes<br />

fachärztliches sachverständiges Gutachten<br />

ab.<br />

Es setzt die wahrheitsgemäße Schil<strong>der</strong>ung des Sachverhaltes voraus. Das<br />

Gutachten soll zu <strong>der</strong> Frage Stellung nehmen, ob die bei Fräule<strong>in</strong> Roll durchgeführte<br />

zwangsweise Äthernarkose zu verantworten und nach den Regeln <strong>der</strong> ärztlichen<br />

Kunst durchgeführt worden ist. .<br />

[...]<br />

Bei Würdigung des geschil<strong>der</strong>ten Sachverhaltes fällt auf, daß Fräule<strong>in</strong> Roll zwar lege<br />

artis vor <strong>der</strong> beabsichtigten Narkose nüchtern blieb, daß ihr jedoch ke<strong>in</strong>e Prämedikation<br />

verabreicht wurde.<br />

E<strong>in</strong>e Prämedikation ist vor je<strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>anaesthesie obligat. Sie hat die Aufgabe,<br />

e<strong>in</strong>e Beruhigung des Patienten herbeizuführen, vor unerwünschten Reflexen zu<br />

schützen und die Narkoseführung zu erleichtern.<br />

Für e<strong>in</strong>e hier offensichtlich geplante kurze Narkose wäre zum<strong>in</strong>dest die Gabe von<br />

Atrop<strong>in</strong>, das die Aufgabe hat, den für e<strong>in</strong> gefährliches Reflexgeschehen verantwortlichen<br />

Nervus vagus zu blockieren, zw<strong>in</strong>gend notwendig gewesen.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus muß berücksichtigt werden, daß man auf jeden Fall den psychischen<br />

Erregungszustand von Fräule<strong>in</strong> Roll bedenken mußte. Hier hätte unter allen<br />

Umständen e<strong>in</strong> Medikament mit stark sedieren<strong>der</strong> Wirkung verwendet werden<br />

müssen.<br />

Die Tatsache, daß ke<strong>in</strong>e Prämedikation verabfolgt wurde, zeigt, daß e<strong>in</strong>deutig gegen<br />

die Regeln <strong>der</strong> ärztlichen Kunst verstoßen wurde.<br />

Weiterh<strong>in</strong> muß die Frage gestellt werden, ob aus ärztlicher Sicht gegen den Willen<br />

e<strong>in</strong>es Patienten überhaupt e<strong>in</strong>e Allgeme<strong>in</strong>betäubung durchgeführt werden darf.<br />

Aus dem geschil<strong>der</strong>ten Sachverhalt wissen wir, daß Fräule<strong>in</strong> Roll sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em hochgradigen<br />

Erregungszustand befand. Für e<strong>in</strong>en solchen Fall gilt die ärztliche Regel,<br />

daß jede Narkose, ganz gleich ob es sich um die hier angewandte Äther-Tropfnarkose<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Verfahren handelt, strikt zu unterlassen ist. Zwischenfälle<br />

durch gefährliches Reflexgeschehen bis zum tödlichen Ausgang s<strong>in</strong>d bekannt.<br />

Demgegenüber bleibt die von den Anwälten vertretene Auffassung, daß durch die<br />

zurückfallende Zunge e<strong>in</strong> Tod durch Ersticken e<strong>in</strong>treten konnte, unerheblich. Die<br />

geschil<strong>der</strong>ten Male am Hals und Unterkiefer s<strong>in</strong>d eher als Folgen von Maßnahmen,<br />

den Kiefer nach vorn zu halten, zu deuten.<br />

Zusammenfassend bleibt festzustellen:<br />

1. Die Unterlassung e<strong>in</strong>er Prämedikation für die bei Fräule<strong>in</strong> R. geplante Allgeme<strong>in</strong>narkose<br />

stellt e<strong>in</strong>en Kunstfehler dar.<br />

86 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong><br />

87 Beson<strong>der</strong>e Ermittlungsmethoden

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