Folter in der BRD - Social History portal
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i »Sprache« spricht, können Strafverfolgungsbehörden heute, an<strong>der</strong>s als die<br />
<strong>Folter</strong>knechte <strong>der</strong> Vergangenheit, auf Aussagen und Geständnisse allerd<strong>in</strong>gs<br />
verzichten.<br />
Die Zwangsermittlungsmaßnahmen und die ihnen zugrunde liegenden<br />
Beschlüsse haben noch e<strong>in</strong>en letzten Aspekt: wie kaum irgende<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />
Anordnung ergeben sie, daß die beteiligten Richter es auf e<strong>in</strong>e überzeugende<br />
juristische E<strong>in</strong>kleidung ihrer Entscheidungen gar nicht mehr anlegen.<br />
Die »Begründungen« s<strong>in</strong>d <strong>der</strong>art abgefaßt, wie das nur geschehen<br />
kann, wenn sicher ist, daß deswegen niemand zur Rechenschaft gezogen<br />
wird, schon gar nicht unter dem Gesichtspunkt juristischer Stichhaltigkeit.<br />
Auch hier ist die Rechtslage e<strong>in</strong>fach: Niemand braucht gegen sich selbst<br />
auszusagen, und niemand braucht sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Strafverfahren sonstwie<br />
selbst zu belasten. In je<strong>der</strong> Vernehmung zur Sache darf <strong>der</strong> Beschuldigte<br />
sich ausschweigen. »Die Freiheit <strong>der</strong> Willensentschließung und <strong>der</strong> Willensbetätigung<br />
des Beschuldigten darf nicht bee<strong>in</strong>trächtigt werden durch<br />
Mißhandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen E<strong>in</strong>griff, durch Verabreichung<br />
von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung o<strong>der</strong> durch<br />
Hypnose« (§ 136a <strong>der</strong> Strafprozeßordnung). Alle diese Methoden s<strong>in</strong>d<br />
verboten, wo sie dazu dienen sollen, den Beschuldigten gegen se<strong>in</strong>en<br />
Willen zu Selbstbelastungen zu br<strong>in</strong>gen.<br />
Gegenüberstellungen s<strong>in</strong>d immer zugleich Vernehmungen, auch für den<br />
Beschuldigten. Ihre zwangsweise Durchsetzung, noch dazu, nachdem<br />
durch körperlichen E<strong>in</strong>griff das Aussehen des Beschuldigten zu e<strong>in</strong>em<br />
belastenden Beweismittel gemacht wurde, ist schlechth<strong>in</strong> und unter jedem<br />
rechtlichen Gesichtspunkt unzulässig.<br />
Der Bundesgerichtshof und se<strong>in</strong>e Ermittlungsrichter nehmen als Rechtsgrundlage<br />
für die angeordneten Zwangse<strong>in</strong>griffe die §§ 81a und 81b <strong>der</strong><br />
Strafprozeßordnung <strong>in</strong> Anspruch. Daß diese Vorschriften die angeordneten<br />
E<strong>in</strong>griffe nicht decken, ergibt sich beim ersten Zusehen. § 81a gestattet<br />
körperliche E<strong>in</strong>griffe zum Zweck <strong>der</strong> Untersuchung e<strong>in</strong>es Beschuldigten<br />
durch e<strong>in</strong>en Arzt, § 81b Identijizierungsmaßnahmen wie das Fotografieren,<br />
die Vornahme von Messungen und <strong>der</strong>gleichen - von <strong>der</strong> Zulässigkeit<br />
von Zwangsrasuren, Zwangshaarschnitten nirgends e<strong>in</strong> Wort. Von Verteidigern<br />
darauf h<strong>in</strong>gewiesen, läßt Bundesrichter Dr. Knoblich die Bundesanwaltschaft<br />
»Stellung nehmen« und macht sich ihre Stellungnahme zu<br />
eigen. Was er den Verteidigern von Holger Me<strong>in</strong>s und Gerhard Müller am<br />
20. November 1972 schreibt, läßt endlich offen jeden Versuch beiseite,<br />
Machtsprüche als Rechtssprüche zu verkleiden: die Gefangenen können<br />
sich den beson<strong>der</strong>en Ermittlungshandlungen nicht wi<strong>der</strong>setzen, weil sie<br />
Gefangene s<strong>in</strong>d, weil »ihr Aufenthalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Untersuchungshaft den Strafverfolgungsbehörden<br />
die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit eröffnet,<br />
82 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong><br />
sich ihrer als Anschauungsobjekt für, Zeugen zu bedienen und ihren<br />
Versuch, dies zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, zu unterb<strong>in</strong>den«.<br />
Der Ermittlungsrichter<br />
des Bundesgerichtshofes<br />
1 BJs 6/71<br />
11 BGs 414/72<br />
Herren<br />
Rechtsanwälte Golzem, v. Plottnitz,<br />
Riedel und Koch<br />
Betr.: Ermittlungsverfahren gegen Horst Mahler u. a.<br />
hier: Holger Me <strong>in</strong>s und<br />
Gerhard Müller[ ... ]<br />
Bezug: Schreiben vom 27. Oktober 1972 - R/-1126 _ [... ]<br />
Der Herr Generalbundesanwalt<br />
75 Karlsruhe 1, den 20. November 1972<br />
hat wie folgt Stellung genommen:<br />
Die bisher mit den Beschuldigten Müller und Me<strong>in</strong>s durchgeführten Gegenüberstellungen<br />
und die hierzu ergangenen Anordnungen geben zu den von den Verteidigern<br />
nen<br />
<strong>der</strong><br />
Anlaß.<br />
Beschuldigten <strong>in</strong> vorbezeichnetem Schreiben erhobenen Beanstandungen kei<br />
Diesen Ermittlungshandlungen, die nicht Teil e<strong>in</strong>er Vernehmung s<strong>in</strong>d, können sich<br />
die Beschuldigten nicht mit Erfolg wi<strong>der</strong>setzen, da ihr Aufenthalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Untersuchungshaft<br />
den Strafverfolgungsbehörden die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit<br />
eröffnet, sich ihrer als Anschauungsobjekt für Zeugen zu bedienen und ihren<br />
Versuch, dies zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, zu unterb<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>es Rückgriffs auf die §§ 81a und 81b<br />
StPO bedarf es hierzu nicht. Diese Vorschriften zeigen jedoch, daß die Strafverfolgungsbehörden<br />
zur Vornahme schwererer E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> die Rechtssphäre ohne<br />
E<strong>in</strong>schaltung e<strong>in</strong>es Ermittlungsrichters berechtigt s<strong>in</strong>d.<br />
Auch die §§ 133, 134 StPO lassen ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>en Schlüsse zu, da sie ke<strong>in</strong>en<br />
vergleichbaren Tatbestand regeln.<br />
In Übere<strong>in</strong>stimmung mit dem Herrn Generalbundesanwalt sehe ich zu beson<strong>der</strong>en<br />
Anweisungen an die mit den Ermittlungen beauftragten Beamten ke<strong>in</strong>en Anlaß.<br />
2. Der Fall Carmen Roll<br />
(Dr. Knoblich)<br />
Richter am Bundesgerichtshof<br />
Am 16. März 1972 wird Carmen Roll <strong>in</strong> <strong>der</strong> Justizvollzugsanstalt Aichach<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Arztzimmer geführt, dort von mehreren Krim<strong>in</strong>albeamten angefallen,<br />
mit Gewalt auf e<strong>in</strong>e Art gynäkologischen Stuhl gezerrt und mit<br />
Le<strong>der</strong>gurten an Armen und Be<strong>in</strong>en gefesselt. Jemand stülpt ihr e<strong>in</strong>e Äthermaske<br />
über das Gesicht. Als sie aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht, ist ihre<br />
untere Kieferpartie geschwollen, die rechte Halsseite ist übersät mit Kratzund<br />
Würgemalen.<br />
Je<strong>der</strong> Arzt weiß, daß e<strong>in</strong>e Zwangsbetäubung<br />
83 Beson<strong>der</strong>e Ermittlungsmethoden<br />
erregter und sich wehren<strong>der</strong>