01.11.2013 Aufrufe

Folter in der BRD - Social History portal

Folter in der BRD - Social History portal

Folter in der BRD - Social History portal

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

1<br />

I<br />

'I<br />

~ -<br />

I<br />

I<br />

1<br />

I<br />

i »Sprache« spricht, können Strafverfolgungsbehörden heute, an<strong>der</strong>s als die<br />

<strong>Folter</strong>knechte <strong>der</strong> Vergangenheit, auf Aussagen und Geständnisse allerd<strong>in</strong>gs<br />

verzichten.<br />

Die Zwangsermittlungsmaßnahmen und die ihnen zugrunde liegenden<br />

Beschlüsse haben noch e<strong>in</strong>en letzten Aspekt: wie kaum irgende<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />

Anordnung ergeben sie, daß die beteiligten Richter es auf e<strong>in</strong>e überzeugende<br />

juristische E<strong>in</strong>kleidung ihrer Entscheidungen gar nicht mehr anlegen.<br />

Die »Begründungen« s<strong>in</strong>d <strong>der</strong>art abgefaßt, wie das nur geschehen<br />

kann, wenn sicher ist, daß deswegen niemand zur Rechenschaft gezogen<br />

wird, schon gar nicht unter dem Gesichtspunkt juristischer Stichhaltigkeit.<br />

Auch hier ist die Rechtslage e<strong>in</strong>fach: Niemand braucht gegen sich selbst<br />

auszusagen, und niemand braucht sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Strafverfahren sonstwie<br />

selbst zu belasten. In je<strong>der</strong> Vernehmung zur Sache darf <strong>der</strong> Beschuldigte<br />

sich ausschweigen. »Die Freiheit <strong>der</strong> Willensentschließung und <strong>der</strong> Willensbetätigung<br />

des Beschuldigten darf nicht bee<strong>in</strong>trächtigt werden durch<br />

Mißhandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen E<strong>in</strong>griff, durch Verabreichung<br />

von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung o<strong>der</strong> durch<br />

Hypnose« (§ 136a <strong>der</strong> Strafprozeßordnung). Alle diese Methoden s<strong>in</strong>d<br />

verboten, wo sie dazu dienen sollen, den Beschuldigten gegen se<strong>in</strong>en<br />

Willen zu Selbstbelastungen zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Gegenüberstellungen s<strong>in</strong>d immer zugleich Vernehmungen, auch für den<br />

Beschuldigten. Ihre zwangsweise Durchsetzung, noch dazu, nachdem<br />

durch körperlichen E<strong>in</strong>griff das Aussehen des Beschuldigten zu e<strong>in</strong>em<br />

belastenden Beweismittel gemacht wurde, ist schlechth<strong>in</strong> und unter jedem<br />

rechtlichen Gesichtspunkt unzulässig.<br />

Der Bundesgerichtshof und se<strong>in</strong>e Ermittlungsrichter nehmen als Rechtsgrundlage<br />

für die angeordneten Zwangse<strong>in</strong>griffe die §§ 81a und 81b <strong>der</strong><br />

Strafprozeßordnung <strong>in</strong> Anspruch. Daß diese Vorschriften die angeordneten<br />

E<strong>in</strong>griffe nicht decken, ergibt sich beim ersten Zusehen. § 81a gestattet<br />

körperliche E<strong>in</strong>griffe zum Zweck <strong>der</strong> Untersuchung e<strong>in</strong>es Beschuldigten<br />

durch e<strong>in</strong>en Arzt, § 81b Identijizierungsmaßnahmen wie das Fotografieren,<br />

die Vornahme von Messungen und <strong>der</strong>gleichen - von <strong>der</strong> Zulässigkeit<br />

von Zwangsrasuren, Zwangshaarschnitten nirgends e<strong>in</strong> Wort. Von Verteidigern<br />

darauf h<strong>in</strong>gewiesen, läßt Bundesrichter Dr. Knoblich die Bundesanwaltschaft<br />

»Stellung nehmen« und macht sich ihre Stellungnahme zu<br />

eigen. Was er den Verteidigern von Holger Me<strong>in</strong>s und Gerhard Müller am<br />

20. November 1972 schreibt, läßt endlich offen jeden Versuch beiseite,<br />

Machtsprüche als Rechtssprüche zu verkleiden: die Gefangenen können<br />

sich den beson<strong>der</strong>en Ermittlungshandlungen nicht wi<strong>der</strong>setzen, weil sie<br />

Gefangene s<strong>in</strong>d, weil »ihr Aufenthalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Untersuchungshaft den Strafverfolgungsbehörden<br />

die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit eröffnet,<br />

82 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong><br />

sich ihrer als Anschauungsobjekt für, Zeugen zu bedienen und ihren<br />

Versuch, dies zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, zu unterb<strong>in</strong>den«.<br />

Der Ermittlungsrichter<br />

des Bundesgerichtshofes<br />

1 BJs 6/71<br />

11 BGs 414/72<br />

Herren<br />

Rechtsanwälte Golzem, v. Plottnitz,<br />

Riedel und Koch<br />

Betr.: Ermittlungsverfahren gegen Horst Mahler u. a.<br />

hier: Holger Me <strong>in</strong>s und<br />

Gerhard Müller[ ... ]<br />

Bezug: Schreiben vom 27. Oktober 1972 - R/-1126 _ [... ]<br />

Der Herr Generalbundesanwalt<br />

75 Karlsruhe 1, den 20. November 1972<br />

hat wie folgt Stellung genommen:<br />

Die bisher mit den Beschuldigten Müller und Me<strong>in</strong>s durchgeführten Gegenüberstellungen<br />

und die hierzu ergangenen Anordnungen geben zu den von den Verteidigern<br />

nen<br />

<strong>der</strong><br />

Anlaß.<br />

Beschuldigten <strong>in</strong> vorbezeichnetem Schreiben erhobenen Beanstandungen kei­<br />

Diesen Ermittlungshandlungen, die nicht Teil e<strong>in</strong>er Vernehmung s<strong>in</strong>d, können sich<br />

die Beschuldigten nicht mit Erfolg wi<strong>der</strong>setzen, da ihr Aufenthalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Untersuchungshaft<br />

den Strafverfolgungsbehörden die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit<br />

eröffnet, sich ihrer als Anschauungsobjekt für Zeugen zu bedienen und ihren<br />

Versuch, dies zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, zu unterb<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>es Rückgriffs auf die §§ 81a und 81b<br />

StPO bedarf es hierzu nicht. Diese Vorschriften zeigen jedoch, daß die Strafverfolgungsbehörden<br />

zur Vornahme schwererer E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> die Rechtssphäre ohne<br />

E<strong>in</strong>schaltung e<strong>in</strong>es Ermittlungsrichters berechtigt s<strong>in</strong>d.<br />

Auch die §§ 133, 134 StPO lassen ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>en Schlüsse zu, da sie ke<strong>in</strong>en<br />

vergleichbaren Tatbestand regeln.<br />

In Übere<strong>in</strong>stimmung mit dem Herrn Generalbundesanwalt sehe ich zu beson<strong>der</strong>en<br />

Anweisungen an die mit den Ermittlungen beauftragten Beamten ke<strong>in</strong>en Anlaß.<br />

2. Der Fall Carmen Roll<br />

(Dr. Knoblich)<br />

Richter am Bundesgerichtshof<br />

Am 16. März 1972 wird Carmen Roll <strong>in</strong> <strong>der</strong> Justizvollzugsanstalt Aichach<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Arztzimmer geführt, dort von mehreren Krim<strong>in</strong>albeamten angefallen,<br />

mit Gewalt auf e<strong>in</strong>e Art gynäkologischen Stuhl gezerrt und mit<br />

Le<strong>der</strong>gurten an Armen und Be<strong>in</strong>en gefesselt. Jemand stülpt ihr e<strong>in</strong>e Äthermaske<br />

über das Gesicht. Als sie aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht, ist ihre<br />

untere Kieferpartie geschwollen, die rechte Halsseite ist übersät mit Kratzund<br />

Würgemalen.<br />

Je<strong>der</strong> Arzt weiß, daß e<strong>in</strong>e Zwangsbetäubung<br />

83 Beson<strong>der</strong>e Ermittlungsmethoden<br />

erregter und sich wehren<strong>der</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!