Folter in der BRD - Social History portal
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nung« o<strong>der</strong> die »freiheitlich demokratische Grundordnung« <strong>der</strong> <strong>BRD</strong>, alle<br />
möglichen rechtswidrigen Maßnahmen begründet, von mediz<strong>in</strong>ischen E<strong>in</strong>griffen<br />
bis zur Beschlagnahmung von Briefen - weil sie »<strong>in</strong> ihrer Grundtendenz<br />
zweifelsfrei .gegen die verfassungsmäßige Ordnung <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
Deutschland gerichtet s<strong>in</strong>d; dies bedarf ke<strong>in</strong>er weiteren Begründung<br />
... « (Beschluß des Amtsgerichts Heidelbergvom 1.7. 1971, s. u. S. 56).<br />
Was hier ke<strong>in</strong>er weiteren Begründung bedarf, kann auch nicht weiter<br />
begründet werden: die »verfassungsmäßige Ordnung« wird im Grundgesetz<br />
nicht def<strong>in</strong>iert; sie taucht dort (neben dem »Sittengesetz« und dem<br />
»Gedanken <strong>der</strong> Völkerverständigung«) als e<strong>in</strong>e Art Dachordnung auf. Aus<br />
den relevanten Artikeln - Art. 2 Abs. I und Art. 9 Abs. 2 GG - folgt eigentlich<br />
nur, daß es e<strong>in</strong>e Konkurrenz gibt zwischen den Grundrechten bzw. den<br />
Strafgesetzen und <strong>der</strong> verfassungsmäßigen Ordnung, an die aber (laut<br />
Art. 20 Abs. 3 GG) die Gesetzgebung »gebunden« ist. Viel S<strong>in</strong>n ergibt das<br />
nicht. Dafür liegt hier, wie Ulrich Preuß (a.a.O., S. 22) ausführt,<br />
»<strong>der</strong> Keim für e<strong>in</strong>e Entwicklung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> ,verfassungsmäßige Ordnung. nicht identisch ist<br />
mit dem ,Grundgesetz., son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e ... eigenständige und qualifizierte Bedeutung<br />
erlangt. Sie läßt sich dann <strong>in</strong>terpretieren als Inbegriff <strong>der</strong> dem Grundgesetz zugrunde<br />
liegenden Wertentscheidungen und würde sich zum Grundgesetz verhalten wie die politische<br />
Substanz zu ihrer legalen Form: Der Berufung auf e<strong>in</strong>zelne Bestimmungen des<br />
Grundgesetzes könnte stets die politische Substanz <strong>der</strong> ,verfassungsmäßigen Ordnung.<br />
entgegengehalten werden ... «<br />
Wie es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat geschieht (vgl. Dokumentation), beson<strong>der</strong>s unter Berufung<br />
auf den zweiten Dachbegriff des Grundgesetzes, die »freiheitlich demokratische<br />
Grundordnung« , die dort ebensowenig def<strong>in</strong>iert wird, son<strong>der</strong>n nur<br />
als etwas <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tritt, das nicht »mißbraucht«, »beseitigt« o<strong>der</strong><br />
»bee<strong>in</strong>trächtigt« werden darf (Art. 18, Grundrechtsverwirkung; Art. 2I<br />
Abs. 2, Organisationsverbot). Welche Verfassungsgrundsätze zum Begriff<br />
dieser Grundordnung gehören, ist ke<strong>in</strong>eswegs ausgemacht. Es wird vom<br />
Bundesverfassungsgericht ad hoc entschieden. Woraus wie<strong>der</strong>um folgt,<br />
».•• daß aus e<strong>in</strong>em Sammelbegriff e<strong>in</strong> Substanzbegriff geworden ist: ,freiheitlich demokratische<br />
Grundordnung. ist die existentielle Wertentscheidung für die ,freiheitliche<br />
Demokratie •... Nicht <strong>der</strong> Zusammenhang des Verhaltens <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Subjekte zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
begründet demnach den Begriff <strong>der</strong> Verfassung, son<strong>der</strong>n die Wertentscheidung für<br />
bestimmte Normen, <strong>der</strong>en Verwirklichung das Verhalten <strong>der</strong> Subjekte zu dienen hat.«<br />
(Preuß, a.a.O., S. 24)<br />
So kann etwa die vom Grundgesetz garantierte Freiheit <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ungsäußerung<br />
schon e<strong>in</strong>geschränkt werden, wenn man frei äußern will, sie sei<br />
e<strong>in</strong>geschränkt (vgl. BVerfGE 28, S. 49 f.). Der existentielle Verfassungsbegriff<br />
<strong>der</strong> »freiheitlich demokratischen Grundordnung«, <strong>der</strong> stets im Zusammenhang<br />
mit <strong>der</strong> Bekämpfung politischer Gegner (d. h. l<strong>in</strong>ker Gegner)<br />
gebraucht wird, steht also jenseits <strong>der</strong> Legalität, jenseits des Grundgesetzes:<br />
e<strong>in</strong>e Art Super-Legalität, die nur bekannt o<strong>der</strong> geleugnet werden kann (und<br />
6 Zu diesem Heft<br />
e<strong>in</strong>mal geleugnet heißt immer geleugnet). Nach dem vom baden-württembergischen<br />
Innenm<strong>in</strong>ister Schieß am 29. 1. 1973 vorgelegten Entwurf e<strong>in</strong>es<br />
Erlasses zur Durchführung <strong>der</strong> M<strong>in</strong>isterpräsidentenbeschlüsse3 soll <strong>der</strong><br />
Bewerber für den öffentlichen Dienst e<strong>in</strong>e Erklärung unterschreiben, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
es u. a. heißt:<br />
»••• daß ich bereit b<strong>in</strong>, mich je<strong>der</strong>zeit (!) durch me<strong>in</strong> gesamtes (!) Verhalten zu <strong>der</strong><br />
freiheitlich demokratischen Grundordnung im S<strong>in</strong>ne des Grundgesetzes [wo sie nicht<br />
def<strong>in</strong>iert ist] zu bekennen und für <strong>der</strong>en Erhaltung e<strong>in</strong>zutreten ... «<br />
Gefor<strong>der</strong>t wird totale Hörigkeit gegenüber e<strong>in</strong>em unbekannten Wesen.<br />
E<strong>in</strong>mal bestehende Zweifel, das läßt <strong>der</strong> Schieß-Erlaß durchblicken, müssen<br />
vom Verdächtigten selbst ausgeräumt werden, <strong>der</strong> das aber nicht tun kann,<br />
weil er ke<strong>in</strong>e Rechte mehr geltend machen kann, ohne daß vermutet wird,<br />
er wolle sie zum Schaden <strong>der</strong> Grundordnung mißbrauchen. »Im E<strong>in</strong>zelfall<br />
bedeutet das, daß ke<strong>in</strong>er [<strong>der</strong>] Bürger sich auf e<strong>in</strong> Grundrecht berufen<br />
kann, um (!) mit dessen Hilfe die verfassungsmäßige Ordnung zu zerstören«<br />
(OVG Lüneburg, Urteil vom 27.9.1972). Und umgekehrt: »Die Möglichkeit<br />
e<strong>in</strong>er Grundrechtsverletzung [durch die Strafverfolgungsbehörden ]<br />
berührt ... nicht die Verfassungsmäßigkeit des Beschlusses [über Isolationshaft]«<br />
(Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 14. 3. 1973, s. u. S. 33).<br />
b) Die Rettung des Kapitals durch die Grundordnung. Mit <strong>der</strong> Berufung<br />
auf die Super-Legalität <strong>der</strong> »freiheitlich demokratischen Grundordnung«<br />
können nun, ohne Rücksicht auf die Rechtsstaatlichkeit, beliebige Gewaltmaßnahmen<br />
gegen politische Gegner sanktioniert werden. Diese Entwicklung<br />
begann mit den Kommunistenverfolgungen <strong>in</strong> den 50er Jahren. Wenn<br />
im folgenden Jahrzehnt das Bundesverfassungsgericht als» liberaler Garant<br />
<strong>der</strong> Rechtsstaatlichkeit« gelten konnte, so deshalb, weil die Herrschaftsund<br />
Sozialordnung <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> nicht ernsthaft angefochten wurde (es sei denn<br />
gelegentlich von den Herrschenden selbst, <strong>in</strong> welchen Fällen das BVG sich<br />
diplomatisch verhielt). Das hat sich geän<strong>der</strong>t: die Gesellschaftsordnung<br />
selbst erzeugt wachsende Unzufriedenheit mit ihr, produziert ihre Fe<strong>in</strong>de.<br />
Darum muß neuerd<strong>in</strong>gs die durch das Grundgesetz gegebene Möglichkeit,<br />
die bestehende Ordnung durch Organisationsverbote und Grundrechtsverwirkungen<br />
zu schützen, zunehmend ausgeschöpft und ausgeweitet werden.<br />
Das im H<strong>in</strong>blick auf die betreffenden Artikel entstandene Schlagwort<br />
von <strong>der</strong> »streitbaren« o<strong>der</strong> »militanten« Demokratie erfährt dabei e<strong>in</strong>e<br />
Substantialisierung: »Die Streitbarkeit <strong>der</strong> freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung erschöpft sich also nicht <strong>in</strong> diesen vom Grundgesetz vorgesehenen<br />
Möglichkeiten >militanten< Verfassungsschutzes, son<strong>der</strong>n sie ist<br />
ihrem >Wesen