Folter in der BRD - Social History portal
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Nach Kenntnisnahme dieser Stellungnahme hat die Staatsanwaltschaft noch geltend<br />
gemacht, daß die genannten Anwälte bisher stets erklärt hätten, <strong>der</strong> Beschuldigte<br />
habe e<strong>in</strong>e Erholungsreise angetreten; se<strong>in</strong> Aufenthalt sei ihnen unbekannt. Dem<br />
gegenüber beriefen sie sich jetzt auf e<strong>in</strong>e mündlich und schriftlich erteilte Vollmacht,<br />
die nicht vor Antritt <strong>der</strong> Reise gegeben worden se<strong>in</strong> konnte, da das Ermittlungsverfahren<br />
erst e<strong>in</strong>geleitet und bekannt geworden sei, als <strong>der</strong> Beschuldigte sich bereits<br />
verborgen hielt.<br />
Dem Antrag <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft war stattzugeben. Nach § 1 BRAO ist <strong>der</strong><br />
Rechtsanwalt e<strong>in</strong> unabhängiges Organ <strong>der</strong> Rechtspflege. Er hat nach § 3 Abs. 1<br />
BRAO se<strong>in</strong>e beratende und vertretende Tätigkeit <strong>in</strong> allen Rechtsangelegenheiten<br />
unabhängig auszuüben; ist dies im E<strong>in</strong>zelfall nicht möglich, ist er zu beraten<strong>der</strong> und<br />
vertreten<strong>der</strong> Tätigkeit nicht berufen; er darf das Mandat nicht annehmen o<strong>der</strong> hat es<br />
nach Kenntnis <strong>der</strong> Umstände, die se<strong>in</strong>e Unabhängigkeit gefährden, nie<strong>der</strong>zulegen .<br />
Tut dies e<strong>in</strong> als Verteidiger gewählter Anwalt nicht, ist <strong>der</strong> von ihm unterlassene<br />
Schritt auf dem Wege <strong>der</strong> Ausschließung durch das Gericht zu ersetzen (vgl. Kle<strong>in</strong>knecht<br />
Vorbemerkung 2 zu § 137 StPO).<br />
Zur persönlichen Unabhängigkeit des Anwalts gehört nicht nur die äußere, son<strong>der</strong>n<br />
auch die <strong>in</strong>nere Unabhängigkeit. Er hat sich daher von allen E<strong>in</strong>flüssen, die nicht aus<br />
<strong>der</strong> Sache kommen, freizuhalten, se<strong>in</strong>e Entscheidung für se<strong>in</strong>e Rechtsvertretung<br />
alle<strong>in</strong> aus dem Gesetz und aus se<strong>in</strong>em Gewissen zu entnehmen. Er muß bei se<strong>in</strong>er<br />
Vertretung se<strong>in</strong>es Auftraggebers <strong>in</strong>nerlich frei und ohne Hemmungen se<strong>in</strong> und darf<br />
sich nicht E<strong>in</strong>flüssen aussetzen, die, wenn auch nur im Unterbewußtse<strong>in</strong>, geeignet<br />
s<strong>in</strong>d, die ihm obliegende Treuepflicht se<strong>in</strong>em Auftrag gegenüber zu bee<strong>in</strong>flussen<br />
(Kaisbach, Standesrecht des Rechtsanwalts. §8 111). Dies gilt im beson<strong>der</strong>en Maße<br />
für den Strafverteidiger (vgl. Kle<strong>in</strong>knecht. StPO, E<strong>in</strong>l. 3 Ca). E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne<br />
ordnungsgemäße, dem Gesetz entsprechende Verteidigung ist nicht gewährleistet.<br />
wenn für den Verteidiger bei <strong>der</strong> Wahrnehmung se<strong>in</strong>er Schutzaufgabe auch eigene<br />
Interessen <strong>in</strong> starkem Umfange berührt werden. Das ist hier <strong>der</strong> Fall, weil <strong>der</strong><br />
Beschuldigte das Mandat e<strong>in</strong>er Sozietät erteilt hat, <strong>der</strong> er selbst angehört. Dies stößt<br />
schon deshalb auf Bedenken, weil e<strong>in</strong> Beschuldigter sich nicht selbst als Verteidiger<br />
wählen darf, selbst wenn er Rechtsanwalt ist (Kle<strong>in</strong>knecht Anm. 1 zu § 138 StPO),<br />
und weil außerdem jedes Mitglied e<strong>in</strong>er Sozietät für diese handelt (Kaisbach,<br />
Bundesrechtsanwaltsordnung, Anm. 3 I zu § 21 <strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ien gemäß § 177 11 2<br />
BRAO). Deshalb können auch die an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sozietät <strong>in</strong> dem Verfahren<br />
gegen den Beschuldigten nicht als Verteidiger zugelassen werden. Das gilt umsomehr,<br />
als <strong>der</strong> Beschuldigte die Beihilfe zum Mordversuch und zur Gefangenenbefreiung<br />
unter Ausnutzung se<strong>in</strong>er beruflichen Stellung als Anwalt begangen haben<br />
soll. Sollte er nämlich dieser ihm zur Last gelegten überaus schweren und auch<br />
beson<strong>der</strong>s ehrenrührigen Tat überführt werden, so würde dies schwerwiegende<br />
Folgen für die Sozietät haben; <strong>der</strong> Vertrauensschwund für die Sozietät hätte dann<br />
e<strong>in</strong>schneidende wirtschaftliche E<strong>in</strong>bußen für die an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sozietät zur<br />
Folge. Damit ist für die an <strong>der</strong> Sozietät beteiligten Anwälte e<strong>in</strong> so starkes Eigen<strong>in</strong>teresse<br />
am Ausgang des Verfahrens gegeben, daß ihre <strong>in</strong>nere Unabhängigkeit bei <strong>der</strong><br />
Führung <strong>der</strong> Verteidigung ausgeschlossen ist.<br />
Auch wenn man nicht <strong>der</strong> hier vertretenen Auffassung folgen will, daß die Verteidigung<br />
des Beschuldigten, <strong>der</strong> Rechtsanwalt ist und e<strong>in</strong>er Sozietät angehört. durch<br />
e<strong>in</strong>en Rechtsanwalt, <strong>der</strong> <strong>der</strong>selben Sozietät angehört, wegen des Wesens <strong>der</strong><br />
anwaltlichen Sozietät stets ausgeschlossen ist, also auch <strong>in</strong> weniger bedeutenden<br />
Strafsachen, etwa bei e<strong>in</strong>em fahrlässigen Verkehrsvergehen, und wenn man dies<br />
lediglich als e<strong>in</strong>e Frage des Standesrechts o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Üblichkeit ansehen will, könnte<br />
man <strong>in</strong> diesem Verfahren die Verteidigung des Beschuldigten durch die an<strong>der</strong>en<br />
Mitglie<strong>der</strong> se<strong>in</strong>er Sozietät nicht für vertretbar halten.<br />
Wird nämlich e<strong>in</strong>em Rechtsanwalt - wie <strong>in</strong> diesem Verfahren - zur Last gelegt, als<br />
anwaltlicher Vertreter e<strong>in</strong>es Strafgefangenen dessen Ausführung <strong>in</strong> Kenntnis des<br />
Vorhabens erwirkt zu haben, daß <strong>der</strong> Gefangene bei <strong>der</strong> Ausführung unter Schußwaffengebrauch<br />
befreit werden sollte, haben die an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> se<strong>in</strong>er Sozietät<br />
naturgemäß allen Anlaß, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie ihre eigenen Interessen wahrzunehmen,<br />
zumal nicht verkannt werden darf, daß das von dem befreiten Gefangenen erteilte<br />
Mandat auch ihnen erteilt worden war (vgl. §21 <strong>der</strong> Grundsätze d. anwaltlichen Standesrechts),<br />
so daß sie nicht nur als Zeugen <strong>in</strong> dem Verfahren <strong>in</strong> Betracht kommen,<br />
son<strong>der</strong>n eben auch auf die Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen bedacht se<strong>in</strong><br />
müssen.<br />
Dem gegenüber hält es das Gericht nicht für erheblich. daß sich die Sozietät als<br />
••Sozialistisches Anwaltskollektiv« bezeichnet. Wohl aber ist beachtlich, daß die<br />
Strafprozeßvollmacht ke<strong>in</strong> Datum trägt, ohne daß hierfür von den Rechtsanwälten<br />
Eschen und Ströbele e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>leuchtende Erklärung abgegeben werden kann, und<br />
daß beide Anwälte am 26. Mai 1970 gegenüber dem Krim<strong>in</strong>alhauptkommissar<br />
Werner erklärt hatten, <strong>der</strong> Beschuldigte halte sich an e<strong>in</strong>em unbekannten Ort krankheitshalber<br />
zur Erholung auf, was nach dem jetzigen Stand <strong>der</strong> Ermittlungen nicht<br />
zutraf. Durch diese Umstände wird unterstrichen, daß die an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Sozietät des Beschuldigten nicht imstande s<strong>in</strong>d, die Verteidigung mit <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen<br />
Unbefangenheit zu führen, so daß ihr Ausschluß von <strong>der</strong> Verteidigung zw<strong>in</strong>gend<br />
geboten ist. ohne daß es für diese Entscheidung darauf ankommt, <strong>in</strong> welchem Grade<br />
<strong>der</strong> gegen den Beschuldigten vorliegende Verdacht begründet ist. Das Recht auf<br />
freie Berufsausübung wird durch die Konsequenzen, die sich hier aus dem Sozietätsverhältnis<br />
und <strong>der</strong> Interessenlage ergeben, nicht <strong>in</strong> Frage gestellt.<br />
(Kittel)<br />
Amtsgerichtsrat<br />
Amtsgericht C 14<br />
Karlsruhe<br />
Strafsache gegen<br />
Dr. Wolfgang Huber<br />
Dr. Ursula Huber<br />
Werner Schork<br />
Susanne Herm<strong>in</strong>ghausen<br />
Dalia Michel<br />
Ekkehard Blenck<br />
He<strong>in</strong>z Muhler<br />
Axel Achterath<br />
wegen krim<strong>in</strong>eller Vere<strong>in</strong>igung u. a.<br />
Beschluß<br />
Karlsruhe, den 22. November 1971<br />
Auf Antrag <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft Karlsruhe wird Rechtsanwalt Eberhard Becker,<br />
Heidelberg, von <strong>der</strong> Verteidigung <strong>der</strong> Beschuldigten ausgeschlossen.<br />
Gründe:<br />
Rechtsanwalt Becker ist Wahlverteidiger <strong>der</strong> Beschuldigten, gegen die u. a. wegen<br />
70 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> 71 Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verteidigung