Folter in der BRD - Social History portal
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lungen ergeben, daß Frau Herzog <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit von August bis November 1972 dreizehn<br />
Briefe an Sie gesandt hat. Von hier aus wurde ke<strong>in</strong> Brief ohne Beschluß angehalten.<br />
Staatsanwalt Br<strong>in</strong>kmann hat versichert, bei ihm befände sich ke<strong>in</strong>e Post mehr, er<br />
habe alles sofort weitergegeben. Ich kann mich auch er<strong>in</strong>nern, daß während me<strong>in</strong>er<br />
Zuständigkeit ab Ende September zahlreiche Briefe an Sie weitergeleitet worden<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
Die Justizvollzugsanstalt Köln hat auf schriftliche Anfrage und auf Mahnung schließlich<br />
mitgeteilt, daß dort ke<strong>in</strong>e freigegebene Post angehalten worden sei. Es liegen<br />
dort ke<strong>in</strong>e Aushändigungsquittungen vor, was auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> UVolizO nicht vorgesehen<br />
ist. Ich kann Ihnen daher nur mitteilen, daß die Post auf dem Wege von <strong>der</strong> Abteilung<br />
931 des Amtsgerichts Frankfurt/Ma<strong>in</strong> zu Ihnen verloren gegangen ist.<br />
(Hausmann)<br />
Richter<br />
Zensur, wie sie <strong>in</strong> den bisher zitierten Beschlüssen auftritt, wendet sich mit<br />
ihrer Willkür und ihrem Zynismus gegen jeden Gefangenen. Sie zielt<br />
gerade auch auf den »unpolitischen Gefangenen«, wo dieser gegen Agitation<br />
und Propaganda abgeschirmt werden soll.<br />
Gegen den Politischen Gefangenen jedoch, <strong>der</strong> den Schritt vom Erkennen<br />
zum Handeln schon gegangen und an dem <strong>in</strong>sofern die Zensur gescheitert<br />
ist, erhält die politische Zensur e<strong>in</strong>e weitere Qualität. Auch sie wirkt<br />
objektiv und subjektiv als Methode <strong>der</strong> <strong>Folter</strong>.<br />
Für den Politischen Gefangenen ist es Teil se<strong>in</strong>er Persönlichkeit und<br />
bestimmend für se<strong>in</strong>e Identität, Erfahrungen, Informationen, se<strong>in</strong>e überzeugung,<br />
politisches Wissen, Kampfziele und Kampfmethoden nicht nur<br />
zu haben, son<strong>der</strong>n sie zu betätigen, sie auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Haft zu diskutieren,<br />
weiterzuentwickeln, weiterzugeben - kurz: politisches Subjekt zu se<strong>in</strong>.<br />
Solange er es ist, übersteht er auch die Haft. Auch wenn er äußerlich<br />
isoliert und von lebendigen Beziehungen zu se<strong>in</strong>en Genossen abgeschnitten<br />
ist, bleibt er politisches Subjekt. Er hat das richtige Bewußtse<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Lage<br />
und <strong>der</strong> Verhältnisse, <strong>der</strong>en Ausdruck sie ist. Se<strong>in</strong> Bewußtse<strong>in</strong> und die Solidarität<br />
<strong>der</strong> Genossen draußen geben ihm Kraft zur Artikulation, zur politischen<br />
Arbeit und zum Wi<strong>der</strong>stand.<br />
Deswegen sucht die politische Justiz ihn gerade da zu treffen, wo se<strong>in</strong>e<br />
Stärke liegt. Sie geht darauf aus, se<strong>in</strong>e Wi<strong>der</strong>standskraft, se<strong>in</strong>e Ges<strong>in</strong>nung,<br />
se<strong>in</strong>e Identität schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Untersuchungshaft zu brechen. Nachdem sie<br />
sich se<strong>in</strong>es Körpers bemächtigt hat, will sie sich nun se<strong>in</strong>es Geistes bemächtigen:<br />
die politische Zensur vervollständigt die sensorische Deprivation<br />
durch Isolierung.<br />
Die jetzt folgenden Beschlüsse belegen das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise, die nicht weiter<br />
kommentiert werden muß.<br />
Informationen und E<strong>in</strong>schätzungen über den Verlauf politischer Prozesse<br />
werden ebenso offen unterdrückt wie Berichte über die Haftfolter <strong>der</strong> poli-<br />
60 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong><br />
l<br />
tischen Gefangenen und ihren Kampf dagegen (Beschlüsse des Ermittlungsrichters<br />
des Bundesgerichtshofes Buddenberg vom 3°.3.1972 und<br />
vom 3°.9.1971). Die Zensur stürzt sich auf alle »klassenkämpferischen<br />
Druckerzeugnisse« und »revolutionären Phrasen« (Beschlüsse des Landgerichts<br />
Berl<strong>in</strong> vom 17.1 I. 1972 und des Oberamtsrichters Ehlitt vom<br />
28. I. 1971). Gebeugt werden soll die Ges<strong>in</strong>nung des Gefangenen, se<strong>in</strong>e<br />
ȟbertriebene Kritik an den bestehenden politischen und wirtschaftlichen<br />
Verhältnissen«, se<strong>in</strong>e »negative Haltung gegenüber Staat und Gesellschaft«<br />
(Beschluß des Richters Buddenberg vom 2 I. 8. 1972):<br />
Der Ermittlungsrichter<br />
des Bundesgerichtshofes<br />
1 BJs 6/71<br />
I BGs 96/72<br />
Beschluß<br />
6 I Politische Zensur<br />
75 Karlsruhe 1, den 30. März 1972<br />
In dem Ermittlungsverfahren<br />
gegen<br />
Horst Mahler u. a. [ ]<br />
hier: Astrid Pro II [ ]<br />
z. Zt. <strong>in</strong> Untersuchungshaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Justizvollzugsanstalt Köln,<br />
wird die an die Beschuldigte gerichtete Postsendung des »Rote Robe-Verlag«,<br />
Heidelberg, beanstandet und von <strong>der</strong> Weitergabe an die Beschuldigte ausgeschlossen.<br />
Die Schrift ist zur Habe <strong>der</strong> Beschuldigten zu nehmen.<br />
Ihre Weitergabe ist wegen des beleidigenden Inhalts geeignet, Störungen <strong>der</strong><br />
Anstaltsordnung herbeizuführen.<br />
- § 119 Abs. 3 StPO i. V. m. Nr. 45 UVollzo-<br />
Die Zeitschrift »Rote Robe« Nr. 1/72 enthält neben Artikeln, die gegen e<strong>in</strong>e angebliche<br />
Verfolgungswelle gegen L<strong>in</strong>ke und die Arbeiterklasse polemisieren, Berichte<br />
über die Strafverfahren gegen Karl-He<strong>in</strong>z Ruhland vor dem Oberlandesgericht<br />
Düsseldorf, dem Demonstrationsprozeß vor dem Landgericht Heidelberg und das<br />
Strafverfahren gegen Johann von Rauch vor dem Landgericht München. In den<br />
Berichten wird <strong>der</strong> Bundesanwaltschaft die Diffamierung <strong>der</strong> l<strong>in</strong>ken und demokratischen<br />
Kräfte mit Hilfe Ruhlands unterstellt, um damit e<strong>in</strong>e Welle <strong>der</strong> Unterdrückung<br />
gegen alle l<strong>in</strong>ken Systemgegner zu rechtfertigen und Wi<strong>der</strong>sprüche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
dagegen auszuschalten. Der Vorsitzende <strong>der</strong> mit dem Strafverfahren gegen<br />
Beteiligte an <strong>der</strong> Demonstration am 16.6.1970 <strong>in</strong> Heidelberg befaßten Strafkammer<br />
wird als »Berufsverurteiler« bezeichnet und die Staatsanwaltschaft <strong>in</strong> diesem<br />
Verfahren beschuldigt, sich auf die Seite des Verbrechens zu stellen.<br />
Das mit dem Strafverfahren gegen Johann von Rauch befaßte Münchner Schwurgericht<br />
wird als politische Berufsverfolgungsbehörde bezeichnet.<br />
(Buddenberg)<br />
Bundesrichter