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Folter in der BRD - Social History portal

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wird im Interesse <strong>der</strong> Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Ordnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Haftanstalt und <strong>der</strong><br />

ordnungsgemäßen Durchführung <strong>der</strong> Postkontrolle <strong>der</strong> Postverkehr <strong>der</strong>/des<br />

Beschuldigten dah<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschränkt, daß <strong>der</strong>/die Beschuldigte jeweils wöchentlich<br />

zwei zweiseitige Briefe im Format D<strong>in</strong> A 4 sowie zwei Postkarten schreiben und e<strong>in</strong>e<br />

ebensolche Anzahl empfangen darf. Alle darüber h<strong>in</strong>aus an den/die Beschuldigte(n)<br />

gerichteten Postsendungen s<strong>in</strong>d unter H<strong>in</strong>weis auf die angeordnete Beschränkung<br />

an die Absen<strong>der</strong> zurückzuschicken.<br />

Der dem/<strong>der</strong> Beschuldigten genehmigte Bezug von Zeitungen und Zeitschriften wird<br />

von diesem Beschluß nicht berührt.<br />

(Buddenberg)<br />

Bundesrichter<br />

Akustische Isolierung<br />

Astrid Proll war jahrelang - wie später auch Ulrike Me<strong>in</strong>hof - <strong>in</strong>nerhalb<br />

e<strong>in</strong>es beson<strong>der</strong>en »toten Trakts« <strong>der</strong> Vollzugsanstalt Köln-Ossendorf<br />

<strong>der</strong>art isoliert, daß sie praktisch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em akustischen Vakuum lebte.<br />

Die totale Isolierung von Astrid Prall wird mittelbar deutlich aus e<strong>in</strong>em<br />

Vorgang um die Genehmigung e<strong>in</strong>er Schreibmasch<strong>in</strong>e für den Untersuchungsgefangenen<br />

Jan-Carl Raspe, <strong>der</strong> zugleich zeigt, mit welchen fadensche<strong>in</strong>igen<br />

Argumenten die Benutzung e<strong>in</strong>er Schreibmasch<strong>in</strong>e versagt werden<br />

kann:<br />

Durch Beschluß vom 3 I. 8.1972 (I BJs 6/71 - II BGs 286/72) lehnt <strong>der</strong><br />

Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes Dr. Knoblich für Jan-Carl<br />

Raspe die beantragte Benutzung e<strong>in</strong>er Schreibmasch<strong>in</strong>e ab. Er begründet<br />

dies mit <strong>der</strong> Stellungnahme des Leiters <strong>der</strong> Justizvollzugsanstalt Köln, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> es heiß t:<br />

»Durch ihre vielen, nicht o<strong>der</strong> nur schwer e<strong>in</strong>zusehenden Hohlräume bietet sich e<strong>in</strong>e<br />

Schreibmasch<strong>in</strong>e als Versteck für verbotene Gegenstände (Feilen, Sägen, Kassiber<br />

etc.) geradezu an. Weiter führen die mit <strong>der</strong> Benutzung zwangsläufig verbundenen<br />

Geräusche zu e<strong>in</strong>er erheblichen Lärmbelästigung. Die Bauweise <strong>der</strong> hiesigen Justizvollzugsanstalt-<br />

die Zellen s<strong>in</strong>d aus Beton gegossen und im Fertigbauverfahren aufbzw.<br />

nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gestellt - garantiert nur e<strong>in</strong>e ungenügende Schallisolierung, so<br />

daß die <strong>in</strong> den angrenzenden Zellen untergebrachten Gefangenen <strong>in</strong> ihrer Ruhe<br />

gestört würden .••<br />

Die daraufh<strong>in</strong> für Jan-Carl Raspe e<strong>in</strong>gelegte Beschwerde <strong>der</strong> Verteidigung<br />

wurde u. a. damit begründet, daß auch an<strong>der</strong>e Gefangene wie Astrid Proll<br />

e<strong>in</strong>e Schreibmasch<strong>in</strong>e benutzen dürften. Sie wird vom 3. Strafsenat des<br />

Bundesgerichtshofes durch Beschluß vom 13.10.1972 verworfen (I BJs<br />

6/71 - StB 52/72). Die Richter Scharpenseel, Dr. Wiefels und Neifer<br />

begründen dies u. a. wie folgt:<br />

»Daß <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Vollzugsanstalt bef<strong>in</strong>dlichen Beschuldigten Proll die Benutzung<br />

e<strong>in</strong>er Schreibmasch<strong>in</strong>e gestattet worden ist, vermag e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Beurteilung<br />

nicht zu rechtfertigen. Astrid Proll ist im Gegensatz zum Beschwerdeführer so<br />

38 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong><br />

isoliert untergebracht, daß an<strong>der</strong>e Untersuchungsgefangene durch die mit <strong>der</strong><br />

Benutzung <strong>der</strong> Schreibmasch<strong>in</strong>e zwangsläufig verbundenen Geräusche nicht<br />

gestört werden."<br />

Die mo<strong>der</strong>nen Gefängnisbauten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> s<strong>in</strong>d generell darauf angelegt,<br />

jeden nicht direkt kontrollierbaren Kontakt zwischen den Inhaftierten zu<br />

unterb<strong>in</strong>den. Die gegen Ende des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts errichteten Haftanstalten<br />

verfügen noch über große Fensteröffnungen, so daß die Gefangenen<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> sehen und sich zurufen können. Kontakte und Unterhaltungen<br />

von Zelle zu Zelle s<strong>in</strong>d möglich. In den mo<strong>der</strong>nen Betongräbern<br />

von Köln-Ossendorf, Stuttgart-Stammheim, München-Stadelheim usw.<br />

s<strong>in</strong>d die Fenster mit Betonblenden so verstellt, daß die Sicht zu an<strong>der</strong>en<br />

Gefangenen o<strong>der</strong> <strong>in</strong>s Freie überhaupt abgeschnitten ist. Teilweise ersetzen<br />

Glasbauste<strong>in</strong>e mit kle<strong>in</strong>en öffnungen die Fenster. Gespräche von Zelle zu<br />

Zelle s<strong>in</strong>d ausgeschlossen. Sprechanlagen <strong>in</strong> den Zellen machen das<br />

Ersche<strong>in</strong>en <strong>der</strong> Stockwerksbeamten weitgehend überflüssig. Die mo<strong>der</strong>nste<br />

Haftanstalt <strong>der</strong> Bundesrepublik, Frankfurt-Preungesheim, die erst <strong>in</strong><br />

Betrieb genommen wird, ist so gebaut, daß sogar <strong>der</strong> Hofgang <strong>der</strong> Gefangenen<br />

nicht mehr im Freien, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> Spezialetagen ohne Sicht nach<br />

außen stattf<strong>in</strong>det.<br />

Hier läßt sich erkennen, daß die Isolation als mo<strong>der</strong>ne <strong>Folter</strong> systematisiert<br />

und potentiell auf alle Gefangenen ausgedehnt werden kann.<br />

Bei Astrid Prall führten schließlich »mediz<strong>in</strong>ische Gründe« zu <strong>der</strong> Anweisung<br />

des später zuständigen Amtsrichters, daß die Isolationsfolter stundenweise<br />

zu unterbrechen sei. Dieser Beschluß wurde jedoch von <strong>der</strong><br />

Justizvollzugsanstalt Köln ignoriert und nie vollzogen.<br />

Beschluß<br />

In dem Ermittlungsverfahren<br />

gegen Astrid Pro II [... ]<br />

zur Zeit <strong>in</strong> Untersuchungshaft<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Justizvollzugsanstalt Köln [... ]<br />

wird die Justizvollzugsanstalt Köln auf Antrag <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft angewiesen,<br />

die Beschuldigte an e<strong>in</strong>zelnen Geme<strong>in</strong>schaftsveranstaltungen teilnehmen zu lassen,<br />

da es aufgrund <strong>der</strong> Stellungnahme des Anstaltsarztes <strong>der</strong> JVA Köln vom 16. November<br />

1972 aus mediz<strong>in</strong>ischen Gründen geboten ersche<strong>in</strong>t, die strenge Isolierung<br />

<strong>der</strong> Beschuldigten stundenweise zu lockern.<br />

Bei <strong>der</strong> Teilnahme an den Geme<strong>in</strong>schaftsveranstaltungen ist darauf zu achten, daß<br />

<strong>der</strong> Kontakt mit an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Baa<strong>der</strong>-Me<strong>in</strong>hof-Gruppe unterbleibt.<br />

Frankfurt/Ma<strong>in</strong>, den 27. November 1972<br />

Amtsgericht - Abtei lung 931<br />

39 Beson<strong>der</strong>e Schikanen<br />

(Wolfheimer)<br />

Richter

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