Folter in der BRD - Social History portal
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Auch Straf- und Untersuchungsgefangene, die ursprünglich nicht als politische<br />
Häftl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong>haftiert wurden, die Gefangenschaft jedoch als Unterdrückungsmittel<br />
politisch begreifen gelernt haben, werden <strong>der</strong> gleichen<br />
Isolationsfolter ausgesetzt wie die Politischen Gefangenen. Die Isolationsfolter<br />
wird zur Diszipl<strong>in</strong>ierung e<strong>in</strong>gesetzt gegen jeden, <strong>der</strong> im Gefängnis<br />
gegen die fortdauernden Mißstände Wi<strong>der</strong>stand leistet. ,<br />
Die von dieser unmenschlichen Haftpraxis Betroffenen können nicht<br />
selbst an die öffentlichkeit appellieren. Sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihren Zellen vere<strong>in</strong>zelt<br />
und von <strong>der</strong> Offentlichkeit abgeschirmt. Ihnen steht nur das Mittel des<br />
Hungerstreiks zur Verfügung.<br />
Wir wollen daher aufgrund unserer konkreten Sachkenntnis die öffentlichkeit<br />
aufklären über die rechtsstaatswidrige Praxis des Haftvollzugs <strong>in</strong><br />
den Gefängnissen <strong>der</strong> <strong>BRD</strong>.<br />
Alle, die mit uns <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung s<strong>in</strong>d, daß diese Haftpraxis mit den freiheitlichen<br />
und demokratischen Grundsätzen unserer Verfassung unvere<strong>in</strong>bar<br />
ist, for<strong>der</strong>n wir auf, sich mit folgen<strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung zu solidarisieren:<br />
Aufhebung<br />
<strong>der</strong> Isolationsfolter<br />
diese rechts<br />
Wir rufen auf zur Bildung von Komitees, die es verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n,<br />
staatswidrige Haftpraxis fortzusetzen.<br />
Rechtsanwälte Eberhard Becker, Heidelberg / Marieluise Becker, Heidelberg<br />
/ Ottmar Bergmann, Frankfurt / Ulrich Cassel, Stuttgart / Klaus<br />
Croissant, Stuttgart / Klaus Eschen, Berl<strong>in</strong> / Arm<strong>in</strong> Golzem, Frankfurt /<br />
Kurt Groenewold, Hamburg / He<strong>in</strong>rich Hannover, Bremen / Dieter<br />
Hoffmann, Berl<strong>in</strong> / Hartmu t Jacobi, Hamburg / Bernd Koch, Frankfurt /<br />
Henner Kraetsch, Berl<strong>in</strong> / Jörg Lang, Stuttgart / Jürgen Laubscher,<br />
Heidelberg / Rupert von Plottnitz, Frankfurt / Ulrich Preuß, Berl<strong>in</strong> /<br />
Helmut Riedel, Frankfurt / Johannes Riemann, Frankfurt / Wolf-Dieter<br />
Re<strong>in</strong>hard, Hamburg / Christian Ströbele, Berl<strong>in</strong><br />
Inzwischen wurden <strong>in</strong> folgenden Städten Komitees gegen die <strong>Folter</strong> <strong>in</strong><br />
westdeutschen Gefängnissen gegründet:<br />
Berl<strong>in</strong>, Frankfurt, Hamburg, Heidelberg, Kassel, Köln, München, Münster,<br />
Stuttgart, Tüb<strong>in</strong>gen.<br />
Kontaktadresse: Jürgen Roth, 6 Frankfurt/Ma<strong>in</strong>, Hermannstraße 8<br />
182 Anhang: Resolutionen<br />
XV. DEUTSCHER EVANGELISCHER KIRCHENTAG, DÜSSELDORF, JUNI 1973<br />
Resolution<br />
Seit dem 8. Mai dieses Jahres bef<strong>in</strong>den sich zahlreiche Gefangene <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>BRD</strong> und <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em unbefristeten Hungerstreik, um gegen die<br />
Haftbed<strong>in</strong>gungen und Behandlungsmethoden zu protestieren, die sie »<strong>Folter</strong><br />
durch Isolation« nennen. Diese Häftl<strong>in</strong>ge - zeitweilig über hun<strong>der</strong>t, e<strong>in</strong><br />
Teil von ihnen wird <strong>in</strong>zwischen zwangsernährt - verstehen sich selber als<br />
»Politische Gefangene«, es s<strong>in</strong>d Angehörige <strong>der</strong> ehemaligen Baa<strong>der</strong><br />
Me<strong>in</strong>hof-Gruppe und des Sozialistischen Patientenkollektivs Heidelberg.<br />
Nach <strong>der</strong> Auffassung <strong>der</strong> Behörden gibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> ke<strong>in</strong>e Politischen<br />
Gefangenen, aber die Behandlung, die diese Häftl<strong>in</strong>ge erfahren, ist ungewöhnlich<br />
und extrem: sie werden konsequent und total isoliert, und das<br />
über Jahre.<br />
Isolierungshaft bedeutet: Der Häftl<strong>in</strong>g lebt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>zelhaft, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
sonst unbewohnten Flur, manche Zellen s<strong>in</strong>d ohne Fenster, nur mit Sichtblenden<br />
versehen. Während e<strong>in</strong>iger Monate waren Häftl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> sogenannten<br />
»toten Trakten« <strong>der</strong> totalen Schallisolierung ausgesetzt. E<strong>in</strong>zelbad und<br />
schwer bewachter E<strong>in</strong>zelhofgang isolieren weiter von je<strong>der</strong> Art menschlichem<br />
Kontakt. Gespräche f<strong>in</strong>den nur mit den Anwälten und den nächsten<br />
Angehörigen statt. Besuche und jeglicher Postverkehr außer von den<br />
engsten Angehörigen s<strong>in</strong>d verboten. Politisch nicht genehme Bücher werden<br />
zurückgewiesen, Tageszeitungen werden zensiert und von bestimmten<br />
Meldungen, z. B. über die Häftl<strong>in</strong>ge selber, gere<strong>in</strong>igt.<br />
Diese Isolierungsmaßnahmen können nicht mehr damit gerechtfertigt<br />
werden, daß sie die Flucht <strong>der</strong> Gefangenen verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n sollen. Was <strong>in</strong><br />
Gefängnissen normalerweise vorübergehend als Hausstrafe verhängt wird,<br />
ist für die Politischen Gefangenen zum Teil seit über zwei Jahren e<strong>in</strong><br />
Dauerzustand. Praktisch ist die Isolierung <strong>in</strong> ihrer Konsequenz als e<strong>in</strong>e<br />
psychische Zerstörung <strong>der</strong> Häftl<strong>in</strong>ge anzusehen. Was diese Art Haft über<br />
Monate und Jahre h<strong>in</strong> bedeutet, schil<strong>der</strong>te He<strong>in</strong>z Brandt (IG Metall,<br />
Frankfurt), <strong>der</strong> sowohl unter den Nazis <strong>in</strong> Konzentrationslagern wie <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> DDR <strong>in</strong> Isolierungshaft gefangen war. Brandt sagte am I I. 5.1973:<br />
»Ich habe e<strong>in</strong>e solche Nazi-KZ-Haft erlebt, die ke<strong>in</strong>e unmittelbare<br />
Ausrottungshaft war, sonst könnte ich heute hier nicht sprechen ... , aber<br />
ich muß aus eigener Erfahrung sagen, die Isolierungshaft, die ich durchgemacht<br />
habe ... , ist schlimmer, gefährlicher, zermürben<strong>der</strong> und den Menschen<br />
<strong>in</strong> allen Auswirkungen zerstören<strong>der</strong>, als es für mich und alle me<strong>in</strong>e<br />
Genossen und Wi<strong>der</strong>standskämpfer das KZ gewesen ist ... , weil wir eben<br />
183 XV. Deutscher Evangelischer Kirchentag