Folter in der BRD - Social History portal
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DIE SCHLECHTESEITEIST ES, WELCHEDIE BEWEGUNGINS LEBENRUFT,<br />
WELCHEDIEGESCHICHTEMACHT,DADURCH, DASSIEDENKAMPFZEITIGT.<br />
Je<strong>der</strong> Gefangene, da brauchts ke<strong>in</strong>e 48 Stunden, ist erst mal kl<strong>in</strong>isch<br />
krank, sobald er im Knast ist. Die Arbeit muß genau da ansetzen. H. <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>em von <strong>der</strong> RH München veröffentlichten Brief hat das auch gemerkt.<br />
Er schreibt, daß er trotz massenhaftem Material und genügend Gelegenheit<br />
nicht weiter kommt, weil er glaubt, nicht genügend davon zu verstehen.<br />
An<strong>der</strong>e werden nicht fertig, das, was sie »Knastologen«, »Zuhälter«<br />
und sonst was nennen, ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zutüfteln und <strong>in</strong> die Ecke zu stellen (<strong>in</strong><br />
die rechte natürlich). Das, wor<strong>in</strong> sich alle Gefangenen spontan gleichsetzen,<br />
dreht sich immer um Krankheit.<br />
Sie glauben, daß ihr Zustand vom Knast kommt, davon jedenfalls nicht<br />
besser wird. Je<strong>der</strong> kapiert das Mißverhältnis zwischen Dauerwichsen nach<br />
Onanievorlage und ausbleiben<strong>der</strong> Befriedigung (Dauerbrunst bei Haustieren,<br />
weil sie e<strong>in</strong>gesperrt s<strong>in</strong>d), je<strong>der</strong> den Wi<strong>der</strong>spruch zwischen sich fettfressen<br />
und s<strong>in</strong>nloser Arbeit. Je<strong>der</strong> spürt am eigenen Leib, daß ihn <strong>der</strong><br />
Sexualfetischismus <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Beziehung auf den Hund, aber nie (mehr) auf<br />
was an<strong>der</strong>es (den Menschen) br<strong>in</strong>gt, weiß, daß er sich dem um Jahre<br />
vorverlegten Verrecken entgegenfrißt, spürt den Umschlag von energetischem<br />
Stau <strong>in</strong> Mattigkeit.<br />
Aber je<strong>der</strong> hälts für Sp<strong>in</strong>nerei, daß er wegen Verstoß gegen das Mord- und<br />
Eigentums-(Raub)monopol <strong>der</strong> Herrschenden im Knast sitzt, daß er folglich<br />
Politischer Gefangener ist. Mal abgesehen davon, daß sich rumgesprochen<br />
hat, daß <strong>der</strong>gleichen nicht wohl gelitten ist, Nachteile br<strong>in</strong>gt.<br />
Aber <strong>der</strong> Zuhälter kommt auf den Trichter, wenn er an se<strong>in</strong>e Syphilis, an<br />
se<strong>in</strong>en Tripper denkt, weil nämlich <strong>der</strong> BASF-Bonze sich im Unterschied<br />
zu ihm den Blasenkrebs (vergleichsweise) nicht holt, weil er se<strong>in</strong>e Arbeiter<br />
auf den Strich schickt, die ihn dann auch prompt (Anil<strong>in</strong>krebs) kriegen. So<br />
kommt er drauf, daß er nicht schlechter ist als <strong>der</strong> BASF-Bonze, bloß<br />
schlechter dran. Er fühlt sich moralisch bestätigt, aber politisch vernichtet.<br />
Jetzt wissen es se<strong>in</strong>e Innereien und er, auf welche Seite er gehört. Er kann<br />
es sogar sagen, den an<strong>der</strong>n nämlich, daß alle Politische Gefangene s<strong>in</strong>d,<br />
daß sie sp<strong>in</strong>nen. Und er macht das auch. Macht zum ersten Mal und<br />
erstmal bewußt Front gegen die Bullen. Und die lumpenproletarische<br />
Moral, faschistische Struktur, kle<strong>in</strong>bürgerliches Bewußtse<strong>in</strong> und was noch<br />
alles? Die braucht er, benützt er hundsgeme<strong>in</strong> als Waffe.<br />
(Falls e<strong>in</strong>er unter denen, die das lesen, orthodoxer »ML« ist: das Lumpenproletariat<br />
von Louis Bonaparte, dem Primordialfaschisten, ist heute auch<br />
nicht mehr, was es mal war. Schon Len<strong>in</strong> ist es so vorgekommen, als sei<br />
das <strong>in</strong> die SP(D) gerutscht.)<br />
Die Bullenfront ist spaltbar, weil gespalten (s. Glucksmann). Aber mit<br />
Krankheit als Trennungsstrich. Und jedenfalls hier und vorläufig nicht so,<br />
166 Dossier<br />
r<br />
1<br />
daß man sich an die Spitze <strong>der</strong> pazifischen Faschistenfraktion setzen<br />
könnte. Denn: DIE SCHLECHTESEITEISTES, WELCHEDIE BEWEGUNGINS<br />
LEBENRUFT...<br />
IX.<br />
Brief an die Anwälte<br />
Uber: »nichts mehr zu verlieren haben«<br />
Der Satz ist, als Aussage über e<strong>in</strong>zelne, Kohl. Ke<strong>in</strong> Mensch, mal abgesehen<br />
von den paar Bauern, Nebenerwerbsbetrieben auf dem Land, außer den<br />
Schwe<strong>in</strong>en, hat heute noch e<strong>in</strong>e Kuh o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Gemüsegarten, heißt auch<br />
nur e<strong>in</strong> Stück Brot an<strong>der</strong>s als aus Lohnarbeit, produktiver o<strong>der</strong> eben<br />
unproduktiver. Je<strong>der</strong> lebt von <strong>der</strong> Hand <strong>in</strong> den Mund, es gibt weit und<br />
breit nichts mehr als Proletarier auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und Kapitalisten auf <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Seite, plus <strong>der</strong>en Arschkriecherheer, Manager, Politiker, Journalisten<br />
etc. Das heißt: ke<strong>in</strong> Mensch hat mehr was zu verlieren außer se<strong>in</strong>en<br />
~Ketten, das ist historisch emfach dIe SItuatIOn. Aber nichts klebt eben so<br />
wie diese Ketten: <strong>der</strong> Konsum, die verd<strong>in</strong> lich~te-n-,-v-e-r-a-n-g-s""tI-g"'te-n-,"'k-a-<br />
< ten, unmensc lichen menschlic en Beziehungen _ Faml Ie un er<br />
Bramsch, die Fickgeschichten, <strong>der</strong> private Mikrokosmos <strong>in</strong> den Wohnlöchern,<br />
die Balanceakte auf den Prestigeleitern, die Angstkarrieren, die<br />
verd<strong>in</strong>glichten Hoffnungen, das Gießkannenverhältnis zu den Krankheiten,<br />
dIe Urlaubspläne, dIe Schulden - und <strong>der</strong> erste Schritt zur bzw. <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
revolutionären Aktion ist, sich davon loszumachen.<br />
Die, von denen ihr sagt o<strong>der</strong> die von sich sagen, sie hätten nichts mehr zu<br />
verlieren, haben sehr wohl schon was gewonnen: die Erkenntnis, daß<br />
Klebstoff bloß klebt - was schon mal im Bewußtse<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Schimmer von<br />
Freiheit ist.<br />
Marx' »nichts zu verlieren als ihre Ketten« ist e<strong>in</strong>e historisch-materialistische<br />
Aussa e über die Klasse. Auf Individuen übertra en, ist <strong>der</strong> Satz<br />
Kitsc . Revolutionäre Identität ist eben nicht das von allem ere<strong>in</strong>igte,<br />
a gesc ru te n lVI uum son ern das, das schon was ewonnen at:<br />
ewu tse<strong>in</strong> - woraus freilich erst plus Wi<strong>der</strong>stand Handlun sfreiheit wird<br />
un e 0 e IV g IC elt, von el em Gebrauch zu machen.<br />
"Die Erkenntnis »nichts mehr zu verlieren als die Ketten« heißt, schon mal<br />
e<strong>in</strong>e von mehreren Bed<strong>in</strong>gungen haben für Mehrhaben bis - Alleshaben.<br />
Wenn es so ist, wie ihr sagt, daß ihr die Scheiße nur noch unerträglich<br />
f<strong>in</strong>det, was h<strong>in</strong><strong>der</strong>t euch dann? Denn ke<strong>in</strong> Mensch hat mehr was an<strong>der</strong>es<br />
zu verlieren als se<strong>in</strong>e Ketten. Aber das Problem ist ja gerade, daß trotzdem<br />
so wenig läuft o<strong>der</strong> alles erst anläuft, obwohl die Zeichen <strong>der</strong> Zeit auf<br />
Revolution stehen und auf sonst nichts.<br />
167 Berichte und Erklärungen von Gefangenen