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Folter in der BRD - Social History portal

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lassen sich welche Tabletten für dies und jenes verordnen, kl<strong>in</strong>geln den<br />

ganzen Tag und die halbe Nacht danach, und wenn <strong>der</strong> Bulle sie ihnen <strong>in</strong><br />

die Hand drückt, dann schmeißen sie sie <strong>in</strong>s Klo und drücken die Wasserspülung.<br />

Wortlos, ohne Rede und Gegenrede.<br />

Beim Hungerstreik <strong>der</strong> Rechtsanwälte gebe ich <strong>der</strong>en Erklärung demonstrativ<br />

e<strong>in</strong>em Essenverteiler. E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Bullen nimmt sie ihm sofort aus <strong>der</strong><br />

Hand. Erkläre daraufh<strong>in</strong> dem Mitgefangenen mündlich, worum es sich<br />

handelt und warum ich wie<strong>der</strong> hungere (kann übrigens wie<strong>der</strong>, 143<br />

Pfd.) ;<br />

Am nächsten Morgen kommt <strong>der</strong> Chefbulle: M<strong>in</strong>isterialdirigent Räuschenbach<br />

vom Stuttgarter Justizm<strong>in</strong>isterium komme zur Insepktion, dem<br />

solle ich doch »das alles« mal vortragen. Falle, klar. Das Schlitzohr kriegt<br />

von mir ke<strong>in</strong>e Antwort. Informiere stattdessen beim Geme<strong>in</strong>schaftshofgang<br />

die an<strong>der</strong>en. Wir kommen zu dem Schluß, daß e<strong>in</strong>er von ihnen dem<br />

Chefbullen sagt, daß wir uns nicht verarschen und für dumm verkaufen<br />

lassen; weil wir das Scheißspiel kennen. Zwei Tage später f<strong>in</strong>de ich <strong>in</strong> die<br />

übliche Zeitung, die <strong>der</strong> Bulle br<strong>in</strong>gt, die Neue Bildpost mit e<strong>in</strong>em Hetzartikel<br />

e<strong>in</strong>gewickelt. überschrift: Wollt ihr den totalen Terror? Nehme das<br />

D<strong>in</strong>g zum Hofgang mit, m<strong>in</strong>destens vier Mal, lese es vor, lasse es lesen, wir<br />

diskutieren, kommentieren, lachen, und die Bullen, <strong>der</strong> überbr<strong>in</strong>ger dabei,<br />

stehen auf ihrem Podest und s<strong>in</strong>d sauer.<br />

Die zunehmende Une<strong>in</strong>igkeit unter den Bullen wird auch für e<strong>in</strong>ige Mitgefangene<br />

deutlich. Die meisten seien untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verwandt o<strong>der</strong> verschwägert;<br />

e<strong>in</strong> Laden, <strong>in</strong> dem die E<strong>in</strong>käufe (und <strong>der</strong> Beschiß) für die<br />

Gefangenen betätigt werden, hänge da auch noch mit dr<strong>in</strong>. Mir fällt auf,<br />

daß die Fraktion um den Chefbullen - unabhängig von Verwandtschaft<br />

und Drum und Dran - sich vergleichsweise zurückhält, während <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>ere<br />

Rest mit Sanitäter im Zentrum ke<strong>in</strong>e Gelegenheit zu Schikanen ungenutzt<br />

läßt (tagelanges Nichtverteilen von Post und Zeitung, übergehen<br />

beim Essenausteilen, als <strong>der</strong> Hungerstreik schon vorbei ist, genaue<br />

E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> Besuchszeit, möglichst dann, wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Schulferien<br />

zu Besuch kommen, etc.). Laufend Gerüchte über Verlegung <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Zelle, obgleich ich seit Monaten von <strong>der</strong> Dreck- und Verekelungstaktik<br />

abgerückt b<strong>in</strong>.<br />

Den Vorwand für die Verlegung, den sie brauchen, liefert schließlich die<br />

Ankunft <strong>der</strong> streng isolierten I. M. Immerh<strong>in</strong> dauert es über 14 Tage, bis<br />

die soweit s<strong>in</strong>d, sich durchgesetzt zu haben.<br />

Freitag, 17. 3. 73 gegen 15.00 Uhr knallt <strong>der</strong> Sanitäter die Tür auf:<br />

»Sofort Ihr Sach alles zammepacke, Se werre verlegt!« (Beschluß?<br />

Verlange sofort Telefonat mit RA. Woh<strong>in</strong>?): »I b<strong>in</strong> net verpflicht<br />

Auskunft zu gebbe. Die Herre vom Landeskrim<strong>in</strong>alamt warte. Mir<br />

verleget Se mit Gewalt, isch uns doch egal!« Im Gegensatz zu sonst hat er<br />

162 Dossier<br />

diesmal ke<strong>in</strong>en Zeugen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe. Als nach e<strong>in</strong>igen M<strong>in</strong>uten e<strong>in</strong>er dazukommt,<br />

stellen sie sich beide an die offene Tür, gehen nicht mehr weg.<br />

Klar, daß ich me<strong>in</strong>en Kram denen nicht <strong>in</strong> die Hände fallen lasse. Also<br />

packen, mit betont mäßiger Eile.<br />

Sechs Kartons zur Pforte schleppen. S<strong>in</strong>d natürlich unverschlossen. Beim<br />

Abstellen kracht e<strong>in</strong>er ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Drei LKA-Bullen verkünden, daß nur<br />

drei Kartons <strong>in</strong> die Transportkarre gehen. Versuche umzupacken. Auffälliges<br />

Drängeln. Br<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>iges als Abfall <strong>in</strong> die Zelle zurück. Sanitätsbulle<br />

bleibt mir dicht auf den Fersen. Drei Kartons mit Wäsche, feucht, frisch<br />

aus <strong>der</strong> Seifenlauge gezogen, und mit Lebensmitteln, Prozeßakten und<br />

sonstigem Krempel bleiben offen im Publikumsverkehr vor <strong>der</strong> Pforte<br />

zurück. Handschellen, zwei, l<strong>in</strong>ks mit dem Handgelenk des Bullen<br />

verbunden, rechts mit dem Türgriff im Bullenkarren (Dienstmercedes).<br />

(übrigens zum Thema Handschellen: Hab da vom ersten Verhandlungstag<br />

her noch e<strong>in</strong>e Lähmung an <strong>der</strong> rechten Hand - n. medianus, ram. cut.<br />

- »Saalwachtmeister« hatte die Kette <strong>der</strong> Handschelle um me<strong>in</strong> Handgelenk<br />

mit <strong>der</strong> Bemerkung zusammengedröselt, daß er jetzt immer fester<br />

zudrehe. Er tat noch mehr, <strong>in</strong>dem er m<strong>in</strong>utenlang nicht mehr lockerließ.<br />

Das voll erschienene und besetzte Gericht sah genüßlich zu. Ich verzichtete<br />

auf Schmerzäußerungen und schrie statt dessen laut und vernehmlich<br />

heraus, was sich da abspielte, hielt deutlich sichtbar die gefesselte Hand<br />

samt <strong>der</strong> des Bullen, <strong>der</strong> ja die Kette zusammengedröselt hielt, nach oben,<br />

erklärte, daß die Blutzufuhr unterbrochen sei, daraus Schäden, u. a.<br />

Nekrosen entstehen, daß je<strong>der</strong> Bulle das wissen muß, weil es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dienstanleitung<br />

über den Umgang mit Handschellen steht, klarer Fall von <strong>Folter</strong><br />

durch e<strong>in</strong>en sog. neutralen Richter etc. Es verg<strong>in</strong>gen noch etwa weitere<br />

zehn M<strong>in</strong>uten, bis »Richter« Gohl befahl, die Fesseln abzunehmen. Me<strong>in</strong>es<br />

Wissens ke<strong>in</strong> Wort darüber im Protokoll. Im Spiegel wurde Gohl als liberaler<br />

Richter gefeiert, von denen es lei<strong>der</strong> viel zu wenig gebe.)<br />

Telefonieren mit RA zwecks Information über Verlegung wird unterwegs<br />

und bei Ankunft <strong>in</strong> Stammheim wie<strong>der</strong>holt verweigert. E<strong>in</strong>er von <strong>der</strong><br />

Soko sagt zu e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>n, er wolle das selbst übernehmen, er sei entsprechend<br />

<strong>in</strong>struiert. Ich: Zeitungen und Kartons nachsenden! Bulle: Sie haben<br />

mir nichts zu befehlen!<br />

Stammheim, seit 17· 3· 73<br />

So sieht sie aus, die von <strong>der</strong> Staatsschutzkammer aufgehobene Isolation:<br />

»Sie dürfen ihrem Rechtsanwalt schreiben, aber nicht telefonieren ... In<br />

Ihren Akten ist was vom Gericht, daß Sie je<strong>der</strong>zeit telefonieren dürfen,<br />

aber das machen wir nicht« (Dienstleiter H.). Mutter bekommt beim<br />

ersten Besuch erst mal Besuchserlaubnisse abgenommen, auch die für<br />

Knast Bühl. Muß neue beantragen und alles Mitgebrachte (das sie im<br />

163 Berichte und Erklärungen von Gefangenen

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