Folter in der BRD - Social History portal
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Nach Anwaltsbesuchen wurde ich anfangs mit, später dann ohne (also<br />
gegen) richterlichen Beschluß befummelt. Taschen<strong>in</strong>halte gleich zu Beg<strong>in</strong>n<br />
zwangsenteignet. Zuvor im Knast e<strong>in</strong> päckchen Zigaretten aus dem<br />
Automat gezogen, dann gleich abgenommen gekriegt, weil ich denen pr<strong>in</strong>zipiell<br />
ke<strong>in</strong>e Unterschrift gebe. Deshalb auch Armbanduhr weggenommen.<br />
Als sie merkten, daß das alles nicht verfängt, kriege ich sie nach<br />
e<strong>in</strong>igen Tagen (halb kaputt) wie<strong>der</strong> zurück. E<strong>in</strong>ige Monate später flüstert<br />
mir e<strong>in</strong> Mitgefangener beim Essenverteilen zu: »... die haben gesagt, sie<br />
täten nicht locker lassen, bis sie dich moralisch zur Sau gemacht<br />
haben.«<br />
In den Nachbarzellen - vom Abspeisezeremoniell abgesehen - absolute<br />
Stille. Nach Monaten wird klar, daß das alles Kalfaktoren und beson<strong>der</strong>s<br />
zuverlässige Strafgefangene s<strong>in</strong>d, die sich tagsüber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche o<strong>der</strong><br />
sonstwo aufhalten, abends <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er weiter entfernten Zelle Skat spielen.<br />
Ke<strong>in</strong>erlei geistige Abführmittel, sogar vom Kirchgang ausgeschlossen. Zeitungen<br />
über die Anstaltsleitung (d. h. wenn die sie genehmigt; z. B.<br />
würden sie Bayernkurier und Nationalzeitung ohne weiteres genehmigen,<br />
die Pek<strong>in</strong>g-Rundschau dagegen auf ke<strong>in</strong>en Fall: Auskunft auf schriftliche<br />
Anfrage). Bücherei: außer Sowjetmensch von Klaus Mehnert hätten sie<br />
nichts, was für mich <strong>in</strong> Betracht käme. Später stellt sich heraus, daß sie<br />
außerdem noch Gedichte von Mao <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausleihe haben. Die Besuche<br />
Angehöriger versuchen sie mit ihrem eigenen Gequatsche anzureichern<br />
und selbstverständlich mit kle<strong>in</strong>lichsten Schikanen. Von me<strong>in</strong>er Seite<br />
kommt nur Politisches und Krach, klar. Allmählich gehen die meisten<br />
dazu über, <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Anwesenheit die Klappe zu halten. Ansonsten<br />
werden laufend Briefe beschlagnahmt o<strong>der</strong> nicht beför<strong>der</strong>t; ums Porto<br />
beschissen etc., wie bekannt.<br />
Unwillkürliche Reaktionen von me<strong>in</strong>er Seite auf das Ganze: Vegetatives<br />
Gewitter mit Brechreiz, Durchfall, Gewichtszunahme (I p), Tachycardie<br />
<strong>in</strong> Ruhe und paroxysmal, Anwandlungen von Escapismus mit Schlafbedürfnis,<br />
Sehstörungen (zirkulationsbed<strong>in</strong>gt kurzfristig), körperliche Entfremdungserlebnisse,<br />
als ob Bewegungsfähigkeit, statische Funktionen,<br />
Sprechwerkzeuge, Gehör e<strong>in</strong>gerostet wären, morgens trotz ausreichendem<br />
Schlaf antriebsgem<strong>in</strong><strong>der</strong>t. Träume: a la Häckselmasch<strong>in</strong>e und Gehäckseltes.<br />
Willkürliche Reaktionen: Als ich ke<strong>in</strong> Schreibzeug bekomme, schreibe ich<br />
auf Klosettpapier. Schicke es als Brief ab. Wird von Staatsanwalt als<br />
Beweismittel für krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung beschlagnahmt. Breche E<strong>in</strong>zelhofgang<br />
nach kurzer Zeit ab, um mit dem Schnüffelbullen zusammenzuprallen,<br />
<strong>der</strong> gerade mit <strong>der</strong> »täglichen gründlichen Zellenkontrolle«<br />
begonnen hat. Gel<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>ige Male. Ist denen gar nicht angenehm. Lasse<br />
systematisch alles total verdrecken (re<strong>in</strong>ige Geschirr nur außen, wo es<br />
160 Dossier<br />
r<br />
Mitgefangene<br />
beim Essenverteilen eventuell anfassen müssen). Nach ca. I I<br />
Monaten entschließen sie sich zum Gegenschlag. Der weiße Bulle (Knastarzt)<br />
muß e<strong>in</strong>e Beschwerde an die Staatsschutzkammer aufsetzen: Zelle<br />
chaotisch, hygienisch untragbar, stelle Antrag, daß Insasse zwangsweise<br />
gebadet wird. Staatsschutzkammer beschließt: ke<strong>in</strong> Zwangsbad, erfor<strong>der</strong>lichenfalls<br />
Wechsel von Geschirr und Zelle. Re<strong>in</strong>gefallen.<br />
Zum Ende des Hungerstreiks wegen dem Schily-Ausschluß haben sie<br />
wie<strong>der</strong> Oberwasser: »Sofortige Verlegung nach Asperg zur Zwangsernährung,<br />
Gerichtsbeschluß wird nachgereicht«. Inzwischen hat die Staatsschutzkammer<br />
die strenge Isolation »als von Anfang an unbegründet«<br />
aufgehoben. Habe daher doppelt Gelegenheit und Anlaß I. zum Boykott<br />
dieses Beschlusses, 2. zur unbefristeten Fortsetzung des Hungerstreiks, den<br />
ich gegen juristische und mediz<strong>in</strong>ische E<strong>in</strong>griffe absichere durch 4 Tage<br />
essen, 10-20 Tage hungern, wobei ich das Essen soweit möglich - d. h.<br />
wenn es nicht durch die Klappe kommt - vor <strong>der</strong>en Augen wegkippe. Sie<br />
unternehmen nichts.<br />
Nach <strong>in</strong>sgesamt I I 7 Tagen Hungerstreik, bei 122 Pfund, setze ich <strong>in</strong><br />
Karslruhe den Beschluß über die Aufhebung <strong>der</strong> Isolation gegen heftigen<br />
Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Bullen <strong>in</strong> Kraft und bestehe darauf, erst recht nach <strong>der</strong><br />
Rückverschleppung nach Rastatt. Die Bullen s<strong>in</strong>d wütend. Beim Geme<strong>in</strong>schaftshofgang<br />
sagen mir Mitgefangene, daß sie täglich über mich verhört<br />
werden, aber nichts sagen, weil sie zum ungläubigen Erstaunen <strong>der</strong> Bullen<br />
gar nichts sagen können; daß die Bullen sie mit Bemerkungen zu kö<strong>der</strong>n<br />
versuchen, z. B. <strong>der</strong>art, daß ich ja <strong>in</strong> vielem sehr recht hätte, daß sie aber<br />
die Aufhebung <strong>der</strong> Isolation ganz schlecht fänden, lieber sich mehr Arbeit<br />
machten etc.<br />
Kirche (alle paar Wochen), Filmvorführung (meist alte, reaktionäre Sch<strong>in</strong>ken<br />
<strong>in</strong> Abständen von Monaten), wöchentliches Fernsehen geben Gelegenheit<br />
zur Politisierung des Alltags, erst recht ihre Besuche beim »Arzt«. Es<br />
kommen spontan von den Mitgefangenen so viele Impulse - nicht nur von<br />
den jüngeren -, daß es meist ohne Antippen läuft. E<strong>in</strong>ige steigen von<br />
Mickymaus und Jerry Cotton auf Rotbücher etc. um. Die sie weitergeben.<br />
Nicht an die Bullen. E<strong>in</strong>ige wollen was über SPK. E<strong>in</strong> Schnüffelbulle sieht<br />
das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zelle herumliegen, kriegt Zustände, rennt zum Chef, <strong>der</strong> es<br />
mir stotternd zurückbr<strong>in</strong>gt: alle an<strong>der</strong>en Bücher ja, aber nichts so Politisches.<br />
Na gut. Versuchen wir es also mit <strong>der</strong> RAF (Verlag Rote Sonne).<br />
F<strong>in</strong>den die Leser Klasse, kriegen Wutanfälle über die dar<strong>in</strong> abgedruckten<br />
»kritischen« Flugblätter, nehmen spontan alles zurück, was sie mal nach<br />
Bild und Welt und Neue Bildpost (gibts gratis im Knast) über »schlechte<br />
Organisation«, »Unschuldige« usw. geäußert haben, und die Reaktion <strong>der</strong><br />
Schnüffelbullen bleibt aus. E<strong>in</strong>e neue Tendenz unter manchen Gefangenen<br />
sche<strong>in</strong>t sie stärker zu beunruhigen als das Lesen, Denken und Reden. Es<br />
161 Berichte und Erklärungen von Gefangenen