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Folter in der BRD - Social History portal

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Freistunde: E<strong>in</strong>e halbe Stunde. Ich b<strong>in</strong> morgens immer um sieben dran.<br />

Die letzte Zeit hab ich auf die Freistunde verzichtet, weil sie an<strong>der</strong>e<br />

Gefangene mit Isolierfolter bedrohen, wenn sie sich weigern, mit mir Freistunde<br />

zu machen, und das, weil sie ke<strong>in</strong>e Spitzel se<strong>in</strong> wollen. Es gab vor<br />

kurzem den Spruch, daß die Anstaltsleitung LL-er aus Diez hierher<br />

gekarrt hat, die ihre Handlanger se<strong>in</strong> sollten. Daß dies beabsichtigt war,<br />

beweist die Tatsache, daß die LL-er gen au zu dem Zeitpunkt kamen, als<br />

Strack den Beschluß gemacht hatte. Heute machen die LL-er angeblich<br />

e<strong>in</strong>en »Lehrgang«. Der e<strong>in</strong>zige Weg, mit den Erpreßten solidarisch zu se<strong>in</strong>,<br />

besteht dar<strong>in</strong>, sich zu weigern, mit ihnen Freistunde zu machen. Genau<br />

wie sie es gemacht haben. Damit wird ihnen <strong>der</strong> W<strong>in</strong>d aus den Segeln<br />

genommen und den Gefangenen Repression erspart.<br />

Gegenüberstellungen: Die s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Witz. Zwei Tage davor kam die Soko und<br />

me<strong>in</strong>te, ich solle die Haare und den Bart schneiden lassen. Geweigert.<br />

Kurz darauf kamen mehrere und haben mich zum Frisör gezerrt. Immer<br />

noch geweigert, weil ke<strong>in</strong> <strong>der</strong>artiger schriftlicher Beschluß vorhanden. Da<br />

fielen sie über mich her, e<strong>in</strong>er fesselte mich, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e zerrte mir die Be<strong>in</strong>e<br />

weg, die Hände an den Stuhl gefesselt, den Kopf <strong>in</strong> die Zange genommen<br />

und gewürgt. Ich war machtlos. Danach sah ich wohl so aus, wie sie mich<br />

brauchten als »Täter«. Jedenfalls habe ich so noch nie vorher ausgesehen.<br />

Zwei Tage später Gegenüberstellung. Zuerst die Hände auf den Rücken<br />

gefesselt, dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e große Turnhalle gezerrt, wo gleich an <strong>der</strong> Tür Blitzlicht<br />

aufgebaut war. Sie haben so lange geknipst, bis ich nichts mehr sehen<br />

konnte. Ich wurde <strong>in</strong> die Mitte des Saales gezerrt und mußte 30 Sekunden<br />

stehen bleiben. Den Leuten fiel es sicher nicht schwer, e<strong>in</strong>en Typ zu identifizieren,<br />

dem die Hände auf den Rücken gefesselt s<strong>in</strong>d und <strong>der</strong> nach<br />

»ihrem« Geschmack verunstaltet ist. Diese Prozedur wurde nach zwei<br />

Monaten noch e<strong>in</strong>mal wie<strong>der</strong>holt.<br />

Transporte: Von Hamburg nach hier mit auf dem Rücken gefesselten<br />

Händen per Auto nach Fuhlsbüttel, von da an mit Hubschrauber. Die<br />

ganze Zeit wie e<strong>in</strong> Tier auf den Fußboden gefesselt. über Beschwerden<br />

von mir haben die von <strong>der</strong> Soko nur gelacht.<br />

VI.<br />

Hungerstreik<br />

8. 5. Hungerstreik beg<strong>in</strong>nt. For<strong>der</strong>ung an Sicherheitsbullen: weg mit<br />

<strong>Folter</strong>.<br />

10.5. Erste Spaltungsversuche <strong>der</strong> Büttel. Angeblich streiken M. und K.<br />

r<br />

nicht<br />

mehr. Lüge. Büttel will vorzeitig Luft rauslassen. Interessiert mich<br />

nicht. Streik geht weiter. Vom 10.5. bis 13.5. gibts abends immer<br />

gesüßten Kakao. Sonst gibts e<strong>in</strong>- o<strong>der</strong> zweimal Tee. Deshalb Gesöff<br />

verweigert.<br />

14.5. Zum ersten Mal war »Arzt« da. Untersuchung verweigert. Nicht<br />

Hungerstreik ist Ursache für Krankheit, son<strong>der</strong>n <strong>Folter</strong>. Also muß die<br />

<strong>Folter</strong> und nicht <strong>der</strong> Hungerstreik abgeschafft werden. »Weg mit <strong>Folter</strong>,<br />

dann fressen!«<br />

15.5. »Arzt« kommt um 6,30 Uhr, will mich im Schlaf überrumpeln,<br />

damit er leichtes Spiel hat (sonst kommt <strong>der</strong> »Arzt« erst um neun). Untersuchung<br />

mit obiger Begründung abgelehnt.<br />

18. 5. »Arzt« kommt mit Riesengefolge (drei Weißkittel und fünf Grüne).<br />

Erst Untersuchung verweigert, dann aber doch Blutdruck messen lassen<br />

(angeblich 80 Unterdruck), erste Schlauchdrohung, als E<strong>in</strong>schüchterung.<br />

Will me<strong>in</strong>e Reaktion drauf checken. Ke<strong>in</strong>e.<br />

19. 5. Transport nach Berl<strong>in</strong> (zum Kunzelprozeß) um I I Uhr. Anstalt<br />

gibt den Bullen e<strong>in</strong> Freßpaket mit. überredungsgequatsche im Flugzeug<br />

(»Essen Sie nur, es sieht ja ke<strong>in</strong>er außer uns, die an<strong>der</strong>n tun es heimlich<br />

auch, wir verraten Sie nicht« usw.). Erste Versuche zum Verhör durch<br />

Provokationen. Laß sie sich totlaufen (mit denen quatscht man nicht ... ).<br />

Ankunft nachmittags <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Dort ke<strong>in</strong>e Reaktion auf Hungerstreik bis<br />

Abfahrt am Mittwoch; außer mit Lockmitteln wie Apfels<strong>in</strong>en und jeden<br />

Tag Joghurt, Fleisch usw. haben sie ke<strong>in</strong>en Versuch gemacht.<br />

23.5. Mittwoch nachmittag hier angekommen. Von »Arzt« und Medbulle<br />

gleich <strong>in</strong> Beschlag genommen. Wollen mich an Schlauch zerren, ohne<br />

Gerichtsbeschluß. Also verweigert.<br />

25.5. Erste Beschwerden. Stiche im Magen und braune Pisse. »Arzt« war<br />

da. Weggeschickt. Abends wie<strong>der</strong> süßen Kakao, abgelehnt.<br />

26. 5. Stiche im Magen immer schlimmer. Be<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d wie gelähmt.<br />

Schw<strong>in</strong>delgefühl, kann mich kaum auf den Be<strong>in</strong>en halten. Abends wie<strong>der</strong><br />

gesüßten Tee, abgelehnt.<br />

27.5. »Arzt« war da. Weggeschickt. Nachts heftige Stiche im Magen.<br />

Fresse e<strong>in</strong> Glas Marmelade. Geht besser.<br />

28. 5. Fresse Frühstück und Mittag. Sch. (Büttel) rennt im Knast rum und<br />

erzählt M. und K., daß me<strong>in</strong> Streik zuende ist. Am Arsch! Lüge. Damit<br />

will Sch. die an<strong>der</strong>en Streiker zum Aufgeben ermuntern. Ich sollte <strong>der</strong> Keil<br />

se<strong>in</strong>. M. wollten sie nach Karlsruhe verlegen. Zu gleicher Zeit war bei mir<br />

e<strong>in</strong> Riesenaufgebot, wollten mich zur »<strong>in</strong>tensiven Untersuchung« zerren<br />

(es war die Rede von Lebertest, EKG, Lungenröntgen). Das bedeutet, daß<br />

ich den Knast verlassen sollte. Woh<strong>in</strong>? Das läßt sich leicht erraten. Siehe<br />

Hausner. Da ich aber den Streik vorher unterbrochen hatte, war plötzlich<br />

die »<strong>in</strong>tensive Untersuchung« nicht mehr so wichtig. Das zeigt deutlich<br />

154 Dossier<br />

155 Berichte und Erklärungen von Gefangenen

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