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Folter in der BRD - Social History portal

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sofort: Bullen. Aber bis ich wußte, wie ich <strong>in</strong> das Krankenbett gekommen<br />

war, das dauerte ne Weile. Ich mußte sie fragen, weil mir nicht e<strong>in</strong>fiel, was<br />

gewesen war. Zum Lokus gewankt, auf halbem Wege <strong>in</strong>s Waschbecken<br />

gekotzt. Das Schwe<strong>in</strong> hatte die dreifache Menge Äther genommen. Am<br />

Abend noch mußten sie mich stützen, wollte immer aus dem Bett raus <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>em Nebel. Ständig aufgesetzt und raus. Ich konnte den Kiefer nicht<br />

mehr bewegen, <strong>der</strong>. Hals war ganz zerkratzt. Sie wichen nicht von <strong>der</strong><br />

Stelle, um mich daran zu h<strong>in</strong><strong>der</strong>n, rauszugehen. Sagte immer, ich wolle <strong>in</strong><br />

die Zelle.<br />

Dann wollten sie sabbeln. Ich habe <strong>in</strong> den zehn Wochen ke<strong>in</strong>e zehn Sätze<br />

mit denen geredet. Ke<strong>in</strong> Wort. Ich hab mit den Wärter<strong>in</strong>nen nicht geredet,<br />

von Anfang an nicht und dann erst recht nicht. Ich konnte mit denen nicht<br />

reden. Ich kenn zwar all die klugen Analysen, »ihre Situation ist auch<br />

wi<strong>der</strong>sprüchlich« usw. usf., und die Analysen stimmen ja auch. Was ihnen<br />

aber fehlt, ist das Begreifen, daß genau diese Wi<strong>der</strong>sprüche Terror<strong>in</strong>strumente<br />

s<strong>in</strong>d - wenigstens <strong>in</strong> bestimmten Situationen. Ne<strong>in</strong>, immer. Sie<br />

entwaffnen dich. Klar, diese <strong>in</strong>stitutionalisierten Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeiten,<br />

die e<strong>in</strong>gerichtet werden, um das Opfer <strong>der</strong> Institution zu schwächen, zu<br />

entwaffnen, ihm den Haß zu nehmen. Und <strong>der</strong> Haß auf die Schwe<strong>in</strong>e ist<br />

die Form, unter <strong>der</strong> Leben im Knast überhaupt nur vorkommt.<br />

Wie richtig das Nicht-Quatschen ist, das merkst du daran, daß sie jedes<br />

Wort von dir als e<strong>in</strong>en Sieg feiern - tatsächlich als Entlastung ihres<br />

<strong>Folter</strong>knecht-Mör<strong>der</strong>gewissens. Du sollst ihnen e<strong>in</strong> Stück Verantwortung<br />

abnehmen, sollst dich zu ihrem Komplizen machen. Das E<strong>in</strong>verständnis<br />

mit de<strong>in</strong>er eigenen <strong>Folter</strong>ung sollst du ihnen geben. Sie wollen den vollständigen<br />

Sieg - und damit hätten sie ihn. Und genau das weißt du, und<br />

kapierst unter an<strong>der</strong>em vielleicht zum ersten Mal, was die klugen<br />

Analysen nicht wissen.<br />

Nach zwei Wochen brachten sie mir von selber Bücher. Brachten mich<br />

zum Arzt, weil ich nicht redete. Gequatscht hab ich mit denen erst, als ich<br />

(nach <strong>der</strong> Verlegung) übers Fenster mit an<strong>der</strong>en Gefangenen reden konnte.<br />

Da g<strong>in</strong>g das. Warum? Weil dann <strong>der</strong> Kampf an<strong>der</strong>s läuft, weil die Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

<strong>in</strong> dem Zusammenhang wie<strong>der</strong> wichtig werden.<br />

Von M. C. hört man, daß die Wärter<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> dem Kaff (Aichach) von<br />

ihren Nachbarn gefragt wurden, ob da wie<strong>der</strong> KZ-Zustände e<strong>in</strong>geführt·<br />

würden. Sie haben M. dann erklärt, daß sie ja nie vorher erfahren, was<br />

gemacht wird. Sie müßten das halt ausführen. Die Fragen ihrer Nachbarn<br />

waren ihnen pe<strong>in</strong>lich, weil sie vom Schlüsselknecht-Image runter wollen.<br />

Sozial<strong>in</strong>spektoren ...<br />

150 Dossier<br />

, .. ' ~<br />

r·····<br />

L<br />

Der Knast<br />

Aichach ist e<strong>in</strong> alter Knast. Kreuzförmig. Von e<strong>in</strong>em runden verglasten<br />

Turm auf <strong>der</strong> Höhe des ersten Stocks kann man voll alle Zellen flure e<strong>in</strong>sehen.<br />

Zwischenböden gibts nicht, man läuft auf Eisengalerien.<br />

Direkt am Turm gibts e<strong>in</strong>e Sicherheitszelle, mit abgedunkelter Dauerbeleuchtung,<br />

ohne Schalter. E<strong>in</strong> Lautsprecher, den man ke<strong>in</strong>e halbe Stunde<br />

anlassen kann, sonst dröhnt e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Schädel. Da die Sicherheitszelle<br />

ke<strong>in</strong>e Schalter hat, muß man die Wärter<strong>in</strong>nen ständig rufen, wenn man<br />

Nachrichten hören will. Die zwei Zellen daneben dienen zur Aufbewahrung<br />

von Lokuspapier und ähnlichem Putzkrempel, s<strong>in</strong>d also leer. Auch<br />

die Zellen drunter und drüber s<strong>in</strong>d nicht belegt.<br />

Zur Essensausgabe wird e<strong>in</strong> Hocker vor me<strong>in</strong>e Zelle gestellt, drei Blechnäpfe<br />

und Plastikbesteck. Die Wachtel baut sich neben dem Hocker auf.<br />

Die Hausarbeiter<strong>in</strong>nen kommen mit den Kübeln, füllen die Näpfe voll,<br />

müssen fünf Meter um die Ecke gehen. Klappe auf, <strong>der</strong> Fraß fliegt re<strong>in</strong>,<br />

das Besteck. E<strong>in</strong>e halbe Stunde später holen sie den Fraß wie<strong>der</strong> und das<br />

Besteck. Hocker kommt weg.<br />

Bevor ich die Zelle verlasse, wird grundsätzlich e<strong>in</strong> Beamter aus <strong>der</strong><br />

Männerabteilung gerufen. Die Flure werden geräumt. Ziemlich mühsam,<br />

die Gefangenen wollen mich sehen, lugen durch die Ritzen.<br />

In <strong>der</strong> Zelle e<strong>in</strong> Eisenbett zum Hochklappen bei Tag. Zwei Bretter als<br />

Tisch und Bank, die von <strong>der</strong> Wand geklappt werden. E<strong>in</strong> Schrank, das<br />

Fenster. Unterer Rand <strong>in</strong> 2,50 m Höhe. E<strong>in</strong>e lange Stange, mit <strong>der</strong> man<br />

das Oberlicht ausstellen kann. Riffelglas. Um aus dem Fenster auf den<br />

Hof und den gegenüberliegenden Männerbau zu gucken, muß man auf<br />

den wackligen Schrank steigen. Und so heißt es dann auf dem Hausstrafenzettel:<br />

»stieg auf den Schrank«.<br />

Der fette Unternehmertyp ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>mal die Woche und erklärt, ich<br />

solle >,frauliche Ordnung« halten. Als sie mir ke<strong>in</strong>en großen Besen geben,<br />

gebe ich die Fragerei nach e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Wochen auf. Da <strong>der</strong> Fraß nicht<br />

eßbar ist, weigere ich mich, die Näpfe selber abzuwaschen.<br />

E<strong>in</strong>mal die Woche gehen e<strong>in</strong> paar Tanten zur Hofstundenzeit (7 Uhr<br />

morgens) an me<strong>in</strong>em Flurfenster vorbei. Sie klopfen, und drei o<strong>der</strong> vier<br />

machen ne Faust o<strong>der</strong> das Peace-Zeichen. Die Sklaventreiber<strong>in</strong>nen treiben<br />

sie schnell weg.<br />

Ich freue mich, als ob sonst was passiert wäre.<br />

V.<br />

Knast: Der Knast ist e<strong>in</strong> Neubau mit allen Schikanen. Sprich: nach den<br />

neuesten <strong>Folter</strong>erkenntnissen. Es ist möglich, alle Gefangenen vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

151 Berichte und Erklärungen von Gefangenen

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