Folter in der BRD - Social History portal
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geknallt. Nach e<strong>in</strong>iger Zeit werde ich auf den Frisörstuhl geschleppt.<br />
Während mir die Haare, Bart und Koteletten gekappt werden, höre ich<br />
fürchterliches Schreien aus e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Keller; ich konnte es mir<br />
denken: Ulrike!<br />
Ich b<strong>in</strong> so geknickt worden und gehe freiwillig. Zuerst muß ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e<br />
Zelle. Dann ist es soweit. An Händen und Füßen gefesselt, die Handfesseln<br />
immer noch angeknallt, erreiche ich den Saal, <strong>in</strong> dem angeblich zehn<br />
Zeugen me<strong>in</strong>er harren. Es s<strong>in</strong>d 30 bis 50 Zeugen. L<strong>in</strong>ks und rechts steht je<br />
e<strong>in</strong> Grüner, ich werde fotografiert, und ich selbst sage »Mahlzeit« (es war<br />
gegen Mittag), »ich b<strong>in</strong> ... « Dieses Spiel wie<strong>der</strong>holt sich nochmals. (Vielleicht<br />
war das erste Mal e<strong>in</strong> Test?)<br />
übrigens, die haben mir e<strong>in</strong>e Frisur angedreht, so e<strong>in</strong>e hatte ich noch nie<br />
<strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben. Hun<strong>der</strong>tprozentig sah ich we<strong>der</strong> vor noch nach me<strong>in</strong>er<br />
Verhaftung je so aus.<br />
Die ganze Geschichte spielte sich ungefähr von 10.30 bis 12.30 Uhr ab.<br />
Von <strong>der</strong> Soko waren alle dabei, die mich verhören wollten, außer W. Von<br />
seiten <strong>der</strong> Anstalt waren S. und die Polizei<strong>in</strong>spektorenclique und natürlich<br />
e<strong>in</strong>e Ladung Schließer dabei.<br />
Die Ergebnisse: Da wo Fesseln waren, ist es geschwollen. Die Oberfläche<br />
<strong>der</strong> rechten Hand ist nach vielen Stunden immer noch gefühllos (die<br />
Nerven s<strong>in</strong>d taub). Wenn ich den Kopf bewege, knirscht es und tut weh.<br />
Auf dem Schädel ist e<strong>in</strong>e Beule.<br />
IV.<br />
Verhaftung<br />
»Was hast du Glück, daß <strong>der</strong> Schorsch so a ruhige Hand g'habt hat!«<br />
Vier Tage Identifizierung<br />
Aufmarsch <strong>der</strong> »neutralen« Hiwis: Pfaffe, Arzt<br />
»Mir können Sie doch ruhig ... « - »Was Sie hier sagen, bleibt unter<br />
uns ... «<br />
Erfahrung: ke<strong>in</strong> Stück »Nachgeben«, ke<strong>in</strong>e Zigarette, ke<strong>in</strong>en Kaffee,<br />
nichts. Denn: man will sie doch nicht sehen. Und bei je<strong>der</strong> »Schwäche«<br />
wittern sie Morgenluft, kommen sie wie<strong>der</strong>, fangen sie wie<strong>der</strong> an. Jede<br />
menschliche Regung wird im Gehirn e<strong>in</strong>es Bullen hun<strong>der</strong>tprozentig zu<br />
e<strong>in</strong>er Schwäche - sie können nicht mehr an<strong>der</strong>s denken.<br />
Am vierten Tag wird Mutter von vier Bullen zur Identifizierung angekarrt.<br />
T. höchstpersönlich hockt sich dazu, quatscht dazwischen: »Sie<br />
können Ihre Lage nur noch verbessern ... « usw. Will Verhör starten. Ich<br />
beachte ihn nicht. Quatscht wie<strong>der</strong> dazwischen. Ich brülle ihn an: »Halt<br />
die Schnauze!« Spr<strong>in</strong>gt auf, auf mich zu, als ob er mir e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>hauen<br />
148 Dossier<br />
rI<br />
wollte. Bes<strong>in</strong>nt sich darauf, daß das se<strong>in</strong>em Image bei me<strong>in</strong>er Mutter<br />
schaden könnte: <strong>der</strong> gute Onkel, <strong>der</strong> doch nur me<strong>in</strong> Bestes will.<br />
Ich: »Entwe<strong>der</strong> du o<strong>der</strong> ich« und stehe auf. Darauf geht er raus, läßt mich<br />
mit ihr alle<strong>in</strong>. Ke<strong>in</strong> Wun<strong>der</strong>: sie hatte alle vier Wochen bei ihm angerufen,<br />
ihn gefragt, ob sie noch ke<strong>in</strong>e »Nachricht« von mir hätten und ähnliche<br />
Scherze.<br />
Kriegen ke<strong>in</strong>e richtigen Bil<strong>der</strong> und überhaupt ke<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>gerabdrücke. Teleobjektiv:<br />
nur mit hochgezogenem Pullover, Mantelkragen, Mundtuch<br />
usw. aus <strong>der</strong> Zelle raus ... Reißen e<strong>in</strong>em den Kopf an den Haaren zurück.<br />
Dann: Augen zu und Fratze schneiden. Du weißt nur e<strong>in</strong>s: <strong>in</strong>nerhalb des<br />
totalen Ausgeliefertse<strong>in</strong>s läßt du nichts freiwillig machen, sie kriegen<br />
nichts von dir. Innerhalb dieser Entschlossenheit gehst du wie auf Tatzen<br />
durch den Knast: Von wo kommt <strong>der</strong> nächste Angriff? Sie können alles<br />
mit dir machen, außer dem Apparat gibts nichts.<br />
Schreiben ist gut. Alles aufschreiben. Alles, was sie mit dir machen, auf<br />
den Begriff br<strong>in</strong>gen, jeden Dreck, jeden Trick - immer neu ihre Waffen<br />
stumpf machen.<br />
Zwangsnarkose<br />
Sie holen mich um ca. 6 Uhr aus <strong>der</strong> Zelle. Trockenzelle. »Sie sollen nüchtern<br />
bleiben.« B<strong>in</strong> nicht draufgekommen, warum. Blödheit? Weiß nicht<br />
genau. Glaube, ich wollte es irgendwie nicht wissen. Ich kanns nicht genau<br />
erklären. Ich kann nur sagen, daß ich es nie fertigbrachte, mir auszumalen,<br />
was sie als nächstes machen, wenn sie »die Anwendung unmittelbaren<br />
Zwangs« angedroht hatten. Und das hatten sie. Ich hab mir e<strong>in</strong> Buch<br />
br<strong>in</strong>gen lassen.<br />
Dann Krankenabteilung. Der gynäkologische Stuhl als Liege. überall<br />
Le<strong>der</strong>gurte. 30-40 cm breit. Ich stehe vor dem D<strong>in</strong>g. H<strong>in</strong>ter mir zwei<br />
»Schränke«, die die Tür bewachen. Vor mir drei Bullen, e<strong>in</strong> Arzt, die<br />
»Schwester«. Sabbeln alle. Ich denke: sie wollen mich festb<strong>in</strong>den, damit sie<br />
dann acht Hände freihaben, um me<strong>in</strong>e Hände <strong>in</strong> F<strong>in</strong>gerabdruckstellung<br />
zu br<strong>in</strong>gen. (Sie hattens nämlich vorher zweimal zu fünft ohne Fesseln<br />
stundenlang ergebnislos versucht.) Weiß überhaupt nicht, was sie alles<br />
erzählt haben. Ich denke nur fieberhaft nach, was kommt. Sie packen<br />
mich dann und werfen mich auf den Stuhl. Ich trete um mich. Als sie Be<strong>in</strong>e<br />
und Bauch fest haben, packt plötzlich von h<strong>in</strong>ten jemand me<strong>in</strong>en Kopf,<br />
drückt ihn runter, im selben Moment hab ich die Narkosemaske im<br />
Gesicht. Ich atme natürlich <strong>in</strong> vollen Zügen. Kriege dann so ne Todesangst,<br />
will wach bleiben und stemme mich gegen die Fesseln, was nur<br />
macht, daß ich das Zeug noch tiefer e<strong>in</strong>atme.<br />
Aufgewacht im Krankenzimmer. Nebel~ Die stehen ums Bett rum. Was<br />
sie, die Vollzugsbullen betraf, überhaupt ke<strong>in</strong>e Desorientierung. Wußte<br />
149 Berichte und Erklärungen von Gefangenen