Folter in der BRD - Social History portal

(Gestapo- )Deutsch = Sippenhaft. (Im Iran werden Angehörige, z. B. Bruder
oder Schwester, physisch gefoltert, um den Gefangenen zu einer
Aussage zu bringen; siehe »Ein Brief aus dem Gefängnis«, in Resistance,
Nr. I, Sept. 1972, Hrsg. CISNU.)
Ineins damit ging eine Diffamierung von mir in der BZ als Verräter. Dazu
die Be- und Verhinderung des Verteidigerkontaktes, über einen Zeitraum
von fünf Tagen. Weitere Maßnahmen, die ersten 6 bis 8 Wochen: keine
Zeitungen, keine Bücher, die ersten zehn Tage kein Geld für Grundbedürfnisse
(Tabak etc.).
Im Laufe der Zeit Verschärfung der »Sicherungsmaßnahmen« : zusätzliches
Vorhängeschloß, nachts ein Schließer vor der Zelle und im Hof,
Schließer mit Gewehr. (Im Rückblick kann ich sagen, daß ich bei Gefangenen
und einer kleinen Fraktion Schließern einen ziemlichen Stein im
Brett hatte, weil ich mich u. a. bei der illegalen Gegenüberstellung stark
und laut gewehrt habe; z. B. kriegte ich von den Kalfaktoren Freßsonderrationen,
oder die Schließer drückten ein Auge zu, wenn mir ein Kalfaktor
Kaffee und Zigaretten zuschob. Der kleinen Fraktion von Schließern habe
ich natürlich trotzdem Spitzeldienst unterstellt. Bei einem gab es auch
einen fünfzigprozentigen Beweis: er beschwerte sich, daß ich ihm nichts
erzählen würde.)
Gleichzeitig mit der Verlegung nach Köln erfolgte eine totale Akkumulation
von »Sicherungsmaßnahmen« : Dauerbeleuchtung; Fliegendrahtgitter;
Hausstrafenterror (wegen Kleinigkeiten, z. B. wegen zwei Batterien,
die ich nicht haben durfte, die aber bei der Eingangskontrolle von den
Schließern übersehen wurden); Filzen auf dem Weg zum und vom
Hofgang; beim Hofgang drei Mann, einer mit Gewehr; Terrorisierung
meiner Verwandten bei Besuchen, durch Vier-Mann-überwachung des
Besuches; Entzug meines Radios, trotz vorhandener richterlicher Genehmigung;
ebenso Entzug meines Tauchsieders ... Das sind so die groben
Daten.
Klare und eindeutige Folter: Dauerbeleuchtung und Fliegengitter
Dauerbeleuchtung, später (ab Januar 73) stündliches Wecken: der Foltercharakter
ergibt sich aus der Situation (Isolation) als der Basis und der
Maßnahme Dauerlicht / stündliches Wecken. »Die Gedanken sind frei« ist·
nur bedingt richtig. Dazu gehört ein Minimum von materieller Basis =
psychischer und physischer Autonomie. Wird diese Autonomie z. B. durch
Dauerlicht / Wecken reduziert, reduziert sich das Dasein aufs einfache
Atmen. Weiter sind Dauerbeleuchtung plus nächtliches Wecken der Ausdruck
der totalen Macht / Herrschaft - das ist die Zermürbung des Kämpfers
durch die permanente Demonstration der »Allmacht« des imperialen
Systems. Während diese Permanenz der Kontrolle auf das Innere des
146 Dossier
rI
I
I
I
I
I
I
I
I
L
Gefangenen gerichtet ist - Zermürbungstaktik gegen den Bürgerkriegs-.,
herd im Gefangenen -, ist der Fliegendraht ein Moment der Einkreisung
des Gefangenen, das Tüpfelchen aufs i der Isolation. Und damit die
permanente Erinnerung an das »atmende Dasein«, d. h. das Dasein eines
Kaninchens.
Die Foltermethoden zum Zweck der Disziplinierung: Beruhigungszellen
plus Hausstrafen (Arrest, zehn Tage totale/akustische/optische Isolationsfolter).
Oder auch die vorbereitende Folterung, um andere Maßnahmen
ungestörter durchführen zu können (z. B. illegales Aufbereiten für Gegenüberstellungen).
Die offensichtliche und die nicht offensichtliche Folter
Offensichtlich und klar = toter Trakt und Dauerlicht/Wecken oder Fliegendraht
oder Isolation, auch wenn nicht im toten Trakt.
Nicht so offensichtlich = die Folter als ganze, die Summe kleiner Terrorismen,
die breite Front von Terror in kleinen Portionen.
Genauer als Einzelmaßnahme erscheint z. B. gefesselter Hofgang. Unbedeutend
nun aber. dazu: tägliche Zellenkontrollen, penibelst, Abtasten
beim Verlassen der Zelle, und so weiter, und so weiter.
Das ist auch Folter, die allerdings keine Schlagzeile macht. Ich denke an
das Erschrecken der Anwälte, weil doch ein Teil dieses »kleinen Terrors«
tägliche Schinderei aller Gefangenen ist. Aber es ist Folter und muß
deshalb bekämpft werden, nicht nicht bekämpft werden, nur weil diese
Folter als Alltag erscheint.
2·5·[973
Von Recht keine Spur, das ist nur eine Machtfrage. Das Neuartige war die
Brutalität:
überfallartig kommen zwei Grüne in die Zelle und packen mich am Arm.
Bevor ich mir überhaupt überlegen kann, was los ist, steht der sprachgestörte
Sokotyp vor mir und will einen Beschluß vorlesen. Ich lasse mich
zu Boden fallen, in der Zeit füllt sich die Zelle mit Schließern (einer mit
Knüppel, die anderen sind in der Mehrzahl »Schränke«). Das Folgende ist
schwer zu beschreiben - während des Fesselns haut der mit dem Knüppel
auf mein linkes Knie und Bein, ein anderer versucht mir das Genick zu
brechen; überhaupt komme ich mir vor wie eine Schraube mit fünf Nebenschrauben
(die Haare sind die fünfte). Die Handfesseln werden bis auf die
Knochen angezogen. Ich werde in die Beruhigungszelle geschleppt und auf
die Matte geworfen. Der Sokotyp versucht immer noch, den Beschluß vorzulesen.
Ich brülle: »Ist mir scheißegal! Hau ab, du Ratte!« Die Antwort
ist kurz, ich werde an den Fesseln hochgehoben, die Fesseln ziehen sich so
fest, daß ich schreie, und dann mit dem Kopf zuerst auf die Matte
147 Berichte und Erklärungen von Gefangenen