Folter in der BRD - Social History portal

Gewalt, die durch die Herstellung von Zuständen wirkt, stellt ihre Totalität
durch nicht-personelle Mittel her.
Von außen kann man die wahrscheinlichen Auswirkungen bzw. den
Zweck, der erreicht werden soll, d. h. den Charakter der Sonderhaftpraxis,
d. h. was unter dem Begriff »Isolationsfolter« zu verstehen ist, von außen
kann man das sehen.
Ich will sagen, daß das Gitter eine umfassende materielle Erscheinungsform
der zumeist subtilen Isolationsfolter darstellt.
(Was Post- und Besuchsverbot bedeutet und bewirkt, kann man sich ohne
Erfahrung nicht recht vorstellen, die Vorstellung bleibt immer hinter der
Wirklichkeit zurück. Beim Gitter kann man sichs nicht nur vorstellen, das
Gitter erzwingt diese Vorstellung, die dann auch erheblich weniger hinter
der Wirklichkeit zurückbleibt.)
Wenn man das Gitter sieht, hat man eine komprimierte Vorstellung von
der Wirklichkeit der Auswirkungen, die sich drinnen erst mit der Dauer
einstellen, in ihrer Kalkulation gerade auf die Dauerwirkung abzielen.
II.
Peter erzählt: Der Chef grast Amerika ab. Die Knäste und den Sicherheitsmarkt
für die Knäste in den USA. Was er für gut befindet, wird hier
eingebaut.
»Reformknast« Klingelpütz ist ein gutes Beispiel. Nicht: mehr Leben auch
für Gefangene - sondern: mehr Sicherheit für Ruhe und Ordnung und
Verwahrung.
Der U-Gefangene ist absolutes Ding - in der Verwaltung Nummer, in der
Existenz Kaninchen an der Grenze des Lebens. Hier.
Die Mittel:
- verwaltungstechnisch: Eine Skala vom Psychiater bis zur nackten
Gewalt. Reicht dieses Extrem nicht aus, so steht im Zuchthaus Reinbach
ein Stück Mittelalter - Dunkelzelle - zur Verfügung. Vierzehn Tage
Dunkelhaft zum Beispiel. Die große Verwaltung garantiert Flexibilität
über die ganze Breite der Skala. Oder, frei nach dem Innenministerium:
differenzierte Gewalt.
- bautechnisch: Die Anstalt ist zu 80 oder 90% optisch und akustisch
von der Außenwelt abgeschnitten (niedere Bauten, hohe Mauern, in sich
abgeschlossene Einheiten, Staffelung - die schweren Jungs in der Mitte, die
leichteren drum herum). Diese in sich abgeschlossenen Einheiten - Häuser
- sind voneinander isoliert, z. T. optisch, z. T. akustisch. Das einzelne
Haus ist wie ein Hasenstall, zweistöckig - es gibt kein Gegenüber, und
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wenn man zum Zellenfenster rausguckt, sieht man die nacktrotöde Rückseite
des Nachbarhauses. (Alles ist nacktrotöde). Das garantiert von vornherein
»begrenzte - isolierte Konflikte«. Der Knast ist kontrollierbarer,
Rebellion leichter bekämpfbar. Gegen den Menschen die Waffe Isolation.
Das ist das Prinzip, die Methode Ossendorf: Isolation.
Isolation:
Außen - Innen. Gesamtknast - soundsoviel einzelne Häuser. Gesamthaus
- soundsoviel einzelne Zellen. Diese Isolation ist noch variierbar: strenge
(optische / akustische) Einzelhaft. Verweigerung von Vergünstigungen.
Verweigerung von anerkannten Rechten. Allgemein: Mord auf Raten.
Anstelle eines Propagandaministeriums eine Haus-Sendeanlage. Der
große Bruder kann dich immer und überall erreichen, auch wenn das
Zellenradio abgestellt ist; auch wenn du schläfst. Der Mensch ist ein jederzeit
und überall kontrollierbares, bestehibares Wesen.
Eine Subkultur der Gefangenen, unkontrolliertes Leben, Solidarität,
menschliches Leben wird hier unterdrückt, vernichtet. Das und der Bau,
die Zellen erschlagen hier die Menschen - achtmal dieses Jahr in Ossendorf
(acht »Selbst«-Morde). Ausländerbehörde, Justiz, Bullen sind nur Mitschläger.
Die Basis ist Klingelpütz.
III.
Der dickste Hund, nach meiner Verhaftung: meinen Eltern, zwei Schwestern,
einem Bruder wird, einmal in meiner Gegenwart und einmal nicht
in meiner Gegenwart, erzählt, vorgelogen, was ich getan habe, was ich
getan haben könnte, was noch passieren könnte, was ich verhindern
könnte. Kurz, meine Verwandten werden gequält, zu dem Zweck, eine
Aussage von mir zu kriegen. Die weibliche Seite bricht zusammen, fängt
an zu heulen. Die ganze Familie redet auf mich ein. Und ich muß zu allen
Lügen und Verleumdungen sprachlos bleiben. (Meine Eltern sind/ waren
autoritätsgläubig - ergo war zu der Zeit alles richtig, was die Bullen
sagten.)
Die Soko fuhren auch zu meinen Eltern nach Hause; das Ergebnis war,
daß meine Mutter einmal oder zweimal wegen dieser Besuche ins Krankenhaus
mußte. Und mein Vater mich bei einem Besuch pro-kapitalistisch
agitieren wollte (das ist mein Staat, ihr wollt alles kaputtmachen, etc.),
was er aber nach 40 Minuten wieder aufgab, weil ich ihn schließlich besser
kenne als so ein Soko ...
Das ist - kurz gesagt - die Vorstufe zur physischen Folterung von
Verwandten, um von einem Partisan eine Aussage zu kriegen. Oder auf
145 Berichte und Erklärungen von Gefangenen