Folter in der BRD - Social History portal
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Die Attentate auf die amerikanischen Hauptquartiere vergrößerten den<br />
Verfolgungs aufwand, zum<strong>in</strong>dest se<strong>in</strong>e publizistische Aufbereitung, weil<br />
hier die Interessen <strong>der</strong> imperialistischen Hauptmacht unmittelbar betroffen<br />
wurden und weil e<strong>in</strong>e Fortsetzung <strong>der</strong> Aktionen den Massen die Präsenz des<br />
Imperialismus als e<strong>in</strong>e Provokation begreiflich gemacht hatte.<br />
Daß es sich nicht um »gewöhnliche« Krim<strong>in</strong>alität handelt, son<strong>der</strong>n daß<br />
hier politische Verhaltensweisen krim<strong>in</strong>alisiert werden, zeigt e<strong>in</strong> Gedankenexperimen<br />
t:<br />
Angenommen, die RAF wäre nicht die RAF gewesen, son<strong>der</strong>n lediglich<br />
e<strong>in</strong>e Bande, e<strong>in</strong>e krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung:<br />
Glaubt denn irgendjemand, daß dann dieser search-and-destroy-Apparat<br />
<strong>in</strong> Gang gesetzt worden wäre? Das läßt sich doch nicht ausreichend mit<br />
<strong>der</strong> tendenziellen Regression <strong>der</strong> Polizei auf atavistisches Jägerverhalten<br />
erklären. Und auch die repressive Energie, mit <strong>der</strong> jetzt die politischen<br />
Gefangenen unterdrückt werden, ist nur politisch, nur als imperialistische<br />
Reaktionsform zu verstehen.<br />
Als Mitglied e<strong>in</strong>er Bande im »üblichen« S<strong>in</strong>n wären viele <strong>der</strong> jetzt aus<br />
politischen Gründen Inhaftierten schon wegen ihrer meist bürgerlichen<br />
Herkunft erheblich besser behandelt worden.<br />
Die Schärfe <strong>der</strong> Repression kann allerd<strong>in</strong>gs auch nicht aus <strong>der</strong> Reaktion<br />
auf die Verb<strong>in</strong>dung von politischer Aktion und sogenannter Krim<strong>in</strong>alität<br />
schlechth<strong>in</strong> erklärt werden.<br />
Machen wir e<strong>in</strong> zweites Gedankenexperiment:<br />
Wie hätte sich die Reaktion des Staatsapparats entwickelt, wenn <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>BRD</strong> e<strong>in</strong>e rechtsradikale krim<strong>in</strong>elle Vere<strong>in</strong>igung aufgetreten wäre?<br />
Dieses Gedankenexperiment sche<strong>in</strong>t schlecht durchzuführen zu se<strong>in</strong>:<br />
offensichtlich kann das politisch-ökonomische System <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
ke<strong>in</strong>e reaktionäre Abweichung mit terroristischen Konsequenzen freisetzen.<br />
Was als Annäherung an rechtsradikale Militanz aussah, entpuppte sich<br />
immer als e<strong>in</strong> von Schießbudencharakteren <strong>in</strong>szeniertes Polithappen<strong>in</strong>g.<br />
Das läßt darauf schließen, daß <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> faschistische Tendenzen gesellschaftlich<br />
<strong>in</strong>tegriert s<strong>in</strong>d, daß <strong>der</strong> Faschismus <strong>in</strong>stitutionell aufgehoben<br />
wurde. Und wo zeigte sich das unmittelbarer als im juristischen überbau?<br />
Ich darf hier als bekannt voraussetzen, daß die Justiz <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> die postulierte<br />
Selbstre<strong>in</strong>igung von den Verbrechen <strong>der</strong> Nazi-Justiz-Phase nicht <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Weise durchgeführt hat, daß jene Verbrechen wirklich sanktioniert<br />
wurden. Die vorzeitige Pensionierung <strong>der</strong> »belasteten« (!) Juristen kann<br />
doch wohl nicht als Sanktion gelten. Die notwendige radikale Säuberung<br />
wurde bewußt verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t zugunsten <strong>der</strong> Beseitigung e<strong>in</strong>es »Ärgernisses«<br />
auf dem Wege e<strong>in</strong>es gentlemen-agreement. Wichtig ist aber, sich klar zu<br />
machen: Warum unterblieb e<strong>in</strong>e radikale Säuberung <strong>der</strong> Justiz, warum<br />
13 8 Christian Sigrist<br />
lI<br />
erfolgte die Bestrafung schuldiger Juristen nicht? E<strong>in</strong>e Antwort, die beim<br />
esprit de corps, <strong>der</strong> ständischen Solidarität stehen bliebe, wäre falsch.<br />
Statt aus diskutablen Prämissen zu deduzieren, möchte ich die Antwort<br />
<strong>in</strong>duktiv ermitteln. 1960 schloß die SPD e<strong>in</strong>es ihrer Mitglie<strong>der</strong>, den Publizisten<br />
Strecker, aus. R. Strecker hatte die Ausstellung »Ungesühnte Nazijustiz«<br />
organisiert. In e<strong>in</strong>er Diskussion mit Delegierten des Landes-Partei<br />
Vorstandes <strong>in</strong> Stuttgart erklärten mir damals sozialdemokratische Juristen,<br />
welche die Ludwigsburger Zentralstelle aufbauten, warum diese Ausstellung<br />
parteischädigend se<strong>in</strong> sollte: Sie trug zur Verunsicherung <strong>der</strong><br />
Richter bei. Das Ausgraben <strong>der</strong> Nazi-Vergangenheit von Juristen, obendre<strong>in</strong><br />
mittels Dokumenten aus <strong>der</strong> DDR, sei kommunistisch gesteuert und<br />
diene dem Ziel, e<strong>in</strong>e rechtliche Verfolgung von Richtern und Staatsanwälten,<br />
die im 3. Reich Regimegegner, darunter auch Kommunisten, verurteilt<br />
hatten, zu erzw<strong>in</strong>gen und damit auch die nicht belasteten Richter so<br />
e<strong>in</strong>zuschüchtern, daß sie nicht mehr wagten, gegen Kommunisten<br />
abschreckende Strafen zu verhängen.<br />
Schon die Bezeichnung <strong>der</strong> Ludwigsburger »ZentralensteIle <strong>der</strong> Landesjustizverwaltungen<br />
zur Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen«<br />
zeigt an, <strong>in</strong> welcher Richtung das Problem gelöst wurde: das<br />
Schwergewicht <strong>der</strong> Ahndung richtete sich gegen die untergeordneten<br />
Exekutoren <strong>der</strong> faschistischen Verbrechen, die <strong>in</strong>tellektuellen Urheber und<br />
die materiellen Nutznießer wurden weitgehend geschont.<br />
Der Klassencharakter <strong>der</strong> Justiz zeigte sich selbst <strong>in</strong> dieser vorgeblichen<br />
rechtsstaatlichen Sühnung nationalsozialistischer Verbrechen, <strong>in</strong>sofern sie<br />
<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Kriegsverbrecher mit nie<strong>der</strong>er sozialer Herkunft traf,<br />
während Schreibtischtäter wie Globke, ViaIon, Schlegelberger, Rehse,<br />
Hahn, Bütefisch ... nicht belangt wurden o<strong>der</strong> durch Ausnutzung aller<br />
Rechtsmittel e<strong>in</strong>er effektiven Bestrafung entg<strong>in</strong>gen.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e das berüchtigte BGH-Urteil zur Nichtstrafbarkeit von N.S.<br />
Terrorurteilen bei gehörigem richterlichen Fanatismus schuf die Basis, auf<br />
<strong>der</strong> die westdeutschen Richter weiterh<strong>in</strong> guten Mutes Kommunisten verfolgen<br />
konnten.<br />
Man darf nicht annehmen, daß faschistische Fossilien nur aus Versehen<br />
auf staatliche Versorgungsposten gesetzt wurden. Vielmehr hatten die<br />
Naziverbrecher im Staatsdienst e<strong>in</strong>e notwendige Funktion: die Kommunistenbekämpfung<br />
so lange als möglich zu erfüllen.<br />
Die Transformation <strong>der</strong> faschistischen Justiz <strong>in</strong> die formal-rechtsstaatliche<br />
Justiz unter Wahrung <strong>der</strong> imperialistischen Kont<strong>in</strong>uität ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />
Voraussetzungen, ohne die die spezifischen Ersche<strong>in</strong>ungsformen <strong>der</strong> aktuellen<br />
Kommunistenverfolgung nicht erklärt werden können.<br />
Aus dem Gesagten ergibt sich zugleich, daß sich die westdeutschen Justizorgane,<br />
daß sich <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tradition des Reichsgericht stehende Bundes-<br />
139 Imperialismus: Provokation und Repression