Folter in der BRD - Social History portal
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e<strong>in</strong> demokratisches<br />
Staatswesen nicht auch die Würde dessen zu achten<br />
hat, <strong>der</strong> diesen Staat und se<strong>in</strong>e gesellschaftliche Ordnung militant<br />
bekämpft, und zwar selbst dann, wenn Gegner von l<strong>in</strong>ks gegen Strafbestimmungen<br />
verstoßen, die geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> zur üblichen Krim<strong>in</strong>alität gerechnet<br />
werden. Dieser Gegner muß wie<strong>der</strong> als politischer Gegner anerkannt<br />
werden. Das würde bedeuten, daß man auch dem politischen Gegner von<br />
l<strong>in</strong>ks so etwas wie e<strong>in</strong>e mo<strong>der</strong>ne Form <strong>der</strong> Festungshaft zubilligen<br />
müßte.<br />
IV.<br />
Die beson<strong>der</strong>e Situation <strong>der</strong> <strong>in</strong>haftierten Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> »Roten Armee<br />
Fraktion« hat erneut die Frage aufgeworfen: <strong>in</strong>wieweit und <strong>in</strong> welchem<br />
Umfang müssen sich l<strong>in</strong>ke Organisationen o<strong>der</strong> müssen sich E<strong>in</strong>zelne, die<br />
sich als L<strong>in</strong>ke verstehen, mit den Inhaftierten solidarisieren?<br />
Selbstverständlich ist die Solidarität, die sich aus sozialer Sensibilität (als<br />
Hilfe für Genossen) ergibt, das E<strong>in</strong>treten für die Opfer e<strong>in</strong>es politischen<br />
Kampfes, das geboten ist, auch wenn man sich nicht mit <strong>der</strong> (selbst abgelehnten)<br />
politischen Praxis identifizieren kann.<br />
Darüberh<strong>in</strong>aus ist e<strong>in</strong>e Solidarität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sache im Falle <strong>der</strong> Inhaftierten<br />
<strong>in</strong>soweit geboten, als durch die Behandlung <strong>der</strong> Inhaftierten die Position<br />
aller L<strong>in</strong>ken betroffen ist; konkret heißt das: <strong>in</strong>soweit durch die<br />
Maßnahmen gegen die <strong>in</strong>haftierten Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> »Roten Armee Fraktion«<br />
die Behandlung l<strong>in</strong>ker Politischer Gefangener generell verän<strong>der</strong>t<br />
wird. Solidarität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sache heißt hier: Kampf um e<strong>in</strong>e politische o<strong>der</strong><br />
juristische Position, die für alle Fraktionen <strong>der</strong> politischen L<strong>in</strong>ken von<br />
Bedeutung ist. Wer selbst nicht getroffen, aber doch mitbetroffen ist, muß<br />
<strong>der</strong> Sache wegen Beistand leisten. Solches solidarisches Verhalten beruht <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Regel gerade nicht auf e<strong>in</strong>er politischen Identifizierung mit <strong>der</strong> politischen<br />
Position des Betroffenen. Nicht zuletzt deshalb kann solche Solidarisierung<br />
zu e<strong>in</strong>em überhaupt wirkungsvollen Faktor werden. Das Fehlen<br />
dieser Form <strong>der</strong> Solidarität dagegen demoralisiert: das Schweigen <strong>der</strong>jenigen,<br />
die im Augenblick nicht durch den Radikalenerlaß betroffen s<strong>in</strong>d; das<br />
Schweigen zu e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>reiseverbot, das nicht für den Vertreter <strong>der</strong><br />
eigenen politischen Organisation gilt, das aber e<strong>in</strong>en Präzedenzfall<br />
schafft; das Schweigen dazu, daß e<strong>in</strong>e vielleicht für die eigene Position<br />
unbequeme namens gleiche Konkurrenzorganisation verboten wird o<strong>der</strong><br />
verboten werden soll; das Schweigen zu e<strong>in</strong>em Beschluß, durch den unbequeme<br />
Opponenten aus <strong>der</strong> eigenen Organisation ausgeschlossen werden.<br />
l<br />
Wer <strong>in</strong> solchen Fällen me<strong>in</strong>t, sich davonschleichen o<strong>der</strong> durch Taktieren<br />
134 Jürgen Seifert<br />
e<strong>in</strong>en Angriff auf sich abwenden zu können, fällt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel morgen<br />
selbst <strong>in</strong> die Grube, <strong>der</strong> er auszuweichen sucht. Denn für das herrschende<br />
System ist <strong>der</strong> jeweilige Gegner austauschbar. »Jedes politische Regime hat<br />
se<strong>in</strong>e Fe<strong>in</strong>de o<strong>der</strong> produziert sie zur gegebenen Zeit.«2<br />
Die Bekundung von politischer Solidarität mit den Inhaftierten o<strong>der</strong> mit<br />
<strong>der</strong> Position <strong>der</strong> »Roten Armee Fraktion« dagegen ist <strong>in</strong> jedem Fall e<strong>in</strong>e<br />
fragwürdige Sache. Für politische Organisationen und für den e<strong>in</strong>zelnen,<br />
sofern er sich politisch verhält, kann es politische Solidarität mit denjenigen<br />
nicht geben, die von e<strong>in</strong>er Analyse ausgehen, die man als falsch<br />
erkannt hat, o<strong>der</strong> die e<strong>in</strong>e Praxis treiben, die man für verhängnisvoll hält.3<br />
Derjenige aber, <strong>der</strong> diese E<strong>in</strong>wände nicht hat, muß sich im Fall <strong>der</strong> »Roten<br />
Armee Fraktion« fragen, ob das bloße Bekunden politischer Solidarität<br />
<strong>der</strong> Sache nach überhaupt geeignet ist, Beistand zu leisten.<br />
In den vergangenen Jahren s<strong>in</strong>d diese Unterschiede zwischen politischer<br />
Solidarität, Solidarität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sache und Solidarität <strong>der</strong> sozialen Sensibilität<br />
verwischt o<strong>der</strong> nicht beachtet worden. Diese Unklarheit hat dazu<br />
geführt, daß mancher sich mit e<strong>in</strong>er Politik identifizierte, mit <strong>der</strong> er sich<br />
letztlich nicht identifizieren wollte (und alle<strong>in</strong> aufgrund dieser Bekundung<br />
verfolgt wurde), o<strong>der</strong> dazu beigetragen, daß viele - wegen ihrer politischen<br />
Kritik an <strong>der</strong> »Roten Armee Fraktion« - ihre soziale Sensiblität mit<br />
den Inhaftierten verdrängten und nicht mehr bereit waren, sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Sachposition, <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Behandlung Politischer Gefangener, solidarisch<br />
zu verhalten.<br />
Anmerkungen:<br />
Carl Schmitt (Theorie des Partisan, Berl<strong>in</strong> 1963, S. 94) macht Len<strong>in</strong> dafür verantwortlich,<br />
durch e<strong>in</strong>en »gedanklichen Kunstgriff« die »Verän<strong>der</strong>ung des Fe<strong>in</strong>dbegriffes«<br />
bewirkt zu haben; s. dazu auch Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (zuerst<br />
1932), Berl<strong>in</strong> 1963.<br />
2 ütto Kirchheimer, Politische Justiz, Neuwied/Berl<strong>in</strong> 1965, S. 2 I.<br />
Auf diese Unterscheidung habe ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Rede »Solidarität mit Peter Brückner«<br />
am 25. I. 1972 h<strong>in</strong>gewiesen. Die »Rote Armee Fraktion« ist dieser Differenzierung<br />
entgegengetreten (Dem Volke Dienen. Stadtguerilla und Klassenkampf, 1972, S. 58 f.):<br />
"Solidarität ist politisch, nicht erst als Solidarität mit Politischen, son<strong>der</strong>n als Weigerung,<br />
nur unter dem Büttel des Wertgesetzes, nur unter dem Aspekt von Tauschwert<br />
zu handeln.«<br />
135 Plädoyer gegen die Achtung des politischen Gegners